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Land unserer Väter

Magister Magicae 1
von

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Invasor

[Moskau, Russland]
 

„Hallo, Mama! Ich ...“ Mischkas kleine Schwester blieb so angewurzelt in der Tür stehen wie ihre Begrüßung abbrach, als sie eine halbe Stunde später nach Hause kam. Sie starrte Waleri mit riesigen Augen an.

„Hallo, Kleines“, erwiderte diese verkniffen.

„Mama, wer ist das?“

„Beachte ihn einfach nicht.“

„He!“, brummte Waleri beleidigt. „Was heißt hier 'beachte ihn nicht'? Ich gehöre jetzt zur Familie, ja?“

„Darüber reden wir erst noch, wenn mein Mann da ist!“

Waleri winkte abtuend mit der Hand ab, sprang vom Sofa hoch und marschierte unter den todwünschenden Blicken ihrer Mutter zu dem dunkel gelockten Mädchen hinüber. Obwohl er beinahe damit gerechnet hätte, schritt Oksana nicht ein. Er ging vor dem Mädchen in die Hocke, um nicht mehr so viel größer zu sein als sie. Trotzdem wich sie befremdet einen Schritt zurück. „Hallo, du. Ich bin Waleri. Und du musst Inessa sein, hm? Mischka hat mir schon erzählt, daß er eine jüngere Schwester hat.“

„Du siehst aus wie ein Knasti!“, entfuhr es der Kleinen.

Waleri konnte sich ein entrüstetes 'Boar!' nicht verkneifen. Warum mussten Kinder immer so ehrlich sein?

„Inessa, du sollst Fremde nicht mit 'du' ansprechen!“, tadelte ihre Mutter.

Der breitschultrige Glatzkopf stand wieder auf. „Du hast mich vorhin mit der Handtasche verhauen, Oksana. Wir sind nun wirklich keine Fremden mehr.“

„Mama, wieso hast du den Mann denn mit der Handtasche verhauen? Hat er dir etwa was getan?“

Der Boxer warf Oksana Bogatyrjow einen drohenden Blick zu. Sie sollte jetzt bloß nichts Falsches sagen.

„Ich ... ich hab mich nur vor ihm erschreckt“, versicherte sie ihrer Tochter also. Was hätte sie auch anderes sagen sollen? Sie konnte ja nichtmal behaupten, daß dieser wildfremde Mann ihr was getan hätte. Hatte er ja wirklich nicht.

Waleri patschte dem Mädchen liebevoll mit der flachen Hand auf den Kopf.

Daraufhin lächelte Inessa vorsichtig. Auch wenn der Kerl auf den ersten Blick gefährlich aussah, schien man keine Angst vor ihm haben zu müssen, entschied sie in ihrem kindlichen Leichtsinn. „Wieso gehörst du denn jetzt zur Familie? Bist du mit uns verwandt?“

„Du und ich nicht, nein. Aber mit deinem Bruder Mischka bin ich sowas ähnliches wie verwandt.“

„Das ist eine Lüge!“, giftete ihre Mutter hysterisch dazwischen.

Er verschränkte herausfordernd die Arme. „Wenn du einer 11-Jährigen die Seelen-Verbindung zwischen einem Magi und einem Genius Intimus besser erklären kannst, dann nur zu, Oksana.“

„Hör auf, meinen Namen immer so komisch zu sagen, als würdest du dich über mich lustig machen! Ich hab dir noch nichtmal erlaubt, mich überhaupt mit dem Vornamen anzusprechen!“

Mischka selbst saß nur grinsend auf dem Sofa, folgte dem ganzen Theater wie einem Kinofilm und ließ Waleri einfach machen. Als Erwachsener würde der schon alles zu regeln wissen. Mischka sagte kein Wort zu all dem hier. Er fand es toll, wie durchsetzungsfähig der Glatzkopf war und wie souverän er seine Mutter in die Schranken weisen konnte. Ja, seine Eltern waren überhaupt nicht begeistert davon, daß Mischka ein magisch Begabter war. Und das verletzte Mischka durchaus. Schließlich konnte er ja nichts dafür. Er war ja nicht mit Absicht so geworden. Aber mit Waleris Hilfe wurde jetzt sicher alles gut. Waleri konnte seinen Eltern bestimmt klar machen, daß ... tja ... das alles eben!
 

„Mister Konjonkow?“

Ein unterschwelliges Schnarchen und das leise Kichern der anderen schwebten als Antwort durch den Raum.

„Mister Konjonkow!“, wiederholte die Lehrerin nochmal etwas strenger.

„Waleri“, raunte Mischka ihm zu und schubbste ihn unter der Schulbank mit dem Fuß an, um ihn zu wecken. Der Genius lag nämlich gerade vornüber gebeugt mit dem Kopf auf dem Tisch und pennte.

Grummelnd regte sich Waleri und schaute aus kleinen, verschlafenen Augen nach vorn Richtung Tafel. Gott, es war so furchtbar, wieder in die 6. Klasse gehen zu müssen! Das war eine Strafe!

„Mister Konjonkow! Es ist schön, wenn Sie das alles schon wissen und können. Aber seien Sie wenigstens den Kindern ein Vorbild!“, verlangte die Lehrerin.

Stöhnend streckte Waleri seinen Rücken durch, bevor er sich nach hinten gegen die Stuhllehne sacken ließ und die Arme verschränkte. Ein verdammter Mist, das alles hier. Das hatte er nicht verdient.

„Wollen Sie vielleicht an die Tafel kommen, und uns die Mathe-Aufgabe vorrechnen? Damit Sie wieder munter werden?“

„Dazu bin ich nicht hier“, brummte der Hüne in seiner finsteren Bass-Stimme. „Und solange ich den Unterricht nicht störe, kann es Ihnen auch egal sein, was ich mache.“

Mischka musste sich neben ihm das Kichern verkneifen.

Als die Lehrerin daraufhin endlich mit dem Unterricht fortfuhr, griff Waleri sich das Hausaufgabenheft des Jungen und schaute nach, was heute noch so auf dem Stundenplan stand. Es wurde nicht besser. Um genau zu sein, die ganze Woche nicht mehr. Außer am Donnerstag, wenn Sport angesagt war. Das war aber auch das einzige, worauf er sich freute. Er musste sich dringend eine Beschäftigung suchen, die er in die Schule mitbringen konnte. Aber was? Das Lesen von Büchern zählte jetzt nicht gerade zu seinen Hobbies. Er war eher der körperliche Typ. Dem Himmel sei Dank läutete in diesem Moment die Pausenglocke. Die elende Mathe-Stunde war vorbei. Jetzt kam erstmal die etwas größere Frühstückspause. Waleri atmete erleichtert auf. „Ich muss dringend eine rauchen, Partner. Ich geh mal raus.“

„Ist gut!“, stimmte Mischka fröhlich zu und wollte sich anderen Dingen zuwenden.

„Na, du musst schon mitkommen.“

„Ach, stimmt.“ Mischka hatte sich nach den 3 Wochen, die Waleri nun schon an seiner Seite war, immer noch nicht ganz daran gewöhnt, daß sie beide sich nicht trennen durften. Erst wenn Waleri sich zu weit entfernte, erinnerte ein ekelhaftes Gefühl in der Magengegend ihn wieder daran, daß irgendwas verdammt Wichtiges fehlte. Waleri war wirklich jede einzelne Minute da, wenigstens in Sicht- oder Rufweite. Gerade so, daß man mal alleine auf´s Klo gehen oder unter die Dusche springen konnte, mehr Privatsphäre gab es nicht.

„Hör mal ...“, meinte der Glatzkopf auf dem Weg durch das Treppenhaus. „Hast du eigentlich auch irgendwann mal Magie-Unterricht? Dein magisches Talent musst du doch auch trainieren und zu kontrollieren lernen.“

Mischka schüttelte traurig den Kopf. „Du hast doch gemerkt, was meine Eltern von meinem magischen Talent halten. Sie mögen das nicht. Ich soll meine Magie nicht einsetzen, weil das unnormal ist, haben sie gesagt.“

„Also erstens ist Magie nicht gleich unnormal, nur weil nicht jeder Mensch ein Magi ist! Und du kannst dir das auch nicht aussuchen. Die Magie bahnt sich ihren Weg. Wenn du nicht lernst, sie vernünftig zu beherrschen, wirst du sicher Unfälle verursachen. Und unkontrolliert freigesetzte Magie ist gefährlich, glaub mir.“

„Kannst du es mir beibringen?“, wollte Mischka wissen.

Da sie inzwischen eine Stelle vor dem Tor erreicht hatten, wo man sie nicht so direkt sehen konnte, zündete sich Waleri endlich seine heiß ersehnte Kippe an. Auf dem Schulgelände durfte man ja nicht rauchen. Er nahm einen tiefen Zug und ließ den Qualm dann leicht kopfschüttelnd wieder ausströmen. „Du weißt, daß ich von Bann-Magie keine Ahnung habe. Da bin ich dir echt keine Hilfe, Großer“, seufzte er. „Ich kann dir bestenfalls helfen, jemanden zu finden, der Ahnung davon hat. Aber ohne die Zustimmung deiner Eltern wird da kein Weg rein gehen.“

„Die werde ich nie im Leben kriegen. Ich fühl mich ja jetzt schon wie ein Psycho, weil ich 'anders' bin.“

„Ist mir auch schon aufgefallen. Es wäre sicher leichter, wenn du nicht der einzige Magi in der ganzen Familie wärst. Sie scheinen irgendwie nichts mit deinem Talent anfangen zu können.“
 

An diesem Nachmittag standen Boris und Oksana Bogatyrjow gemeinsam am Fenster und schauten mit gemischten Gefühlen zu, wie ihr Sohn und dieser zwielichtige Waleri unten vor dem Haus Ball spielten. Mischka zeigte sich bester Laune und lachte viel, und auch Waleri machte einen verstörend lockeren Eindruck. Er benahm sich, als wäre alles hier völlig normal und genau so, wie es sein müsse.

„Ich kann immer noch nicht glauben, wie selbstverständlich sich dieser Kerl in unserer Wohnung breit gemacht hat“, fand Oksana. „Als würde er hier her gehören.“

„Ich hab mich auch noch nicht so richtig an ihn gewöhnt“, gestand ihr Mann.

„Ich glaube, er tut unserem Sohn nicht gut.“

„Wieso? Wenn ich von der Arbeit komme, sitzen die beiden in der Regel schon zusammen am Tisch und machen Hausaufgaben. Mischka hat vorher noch nie freiwillig seine Hausaufgaben gemacht! Er kriegt es sogar fertig, daß Mischka abends protestfrei zu Bett geht. Und, ich meine, sieh dir das da an!“ Er deutete aus dem Fenster, wo Waleri dem Jungen gerade den Volleyball-Aufschlag erklärte. Waleri behandelte den 12-Jährigen bisweilen wie einen eigenen Sohn.

„Er hat einen schlechten Einfluss auf Mischka“, beharrte seine Mutter. „Weißt du noch, wie Mischka neulich aus der Schule kam, beide Unterarme mit Filzstiften vollgemalt, weil er auch solche Tätowierungen haben wollte? Und ich habe ihn schon mehrfach mit Waleris Zigarettenschachtel rumlaufen sehen!“

„Hat unser Sohn denn geraucht?“

„Weiß ich nicht sicher. Wenn, dann hab ich ihn nicht dabei erwischt. ... Ich bin ja froh, daß dieser dreckige Kerl wenigstens die Finger von unserer Tochter lässt. Wenn ich auch nur den Verdacht habe, daß er sich an Inessa vergreift, schlage ich ihn tot!“

„Wir lassen Inessa ja nicht mit ihm allein“, versuchte Boris sie zu beruhigen.

„Er ist den ganzen Tag mit ihr in der Schule! Und er bringt sie früh hin und nachmittags meistens auch wieder nach Hause!“

„Er ist ja nichtmal ein Mensch, er ist ein Elasmotherium. Er wird ja wohl hoffentlich kein Interesse an menschlichen Mädchen haben.“

„Das ist keine Garantie!“

„Jetzt steiger dich doch nicht schon wieder so rein“, bat Boris etwas genervt. „Ich bin ja auch nicht glücklich, diesen zwielichtigen Kerl hier zu haben, aber wir können es nunmal nicht ändern. Findest du nicht, daß du dich ein bisschen zu sehr von seinem Aussehen leiten lässt?“

„Es ist nicht bloß sein Aussehen! Es sitzt abends auf unserem Sofa und säuft Vodka direkt aus der Flasche!“

„Aber erst, wenn die Kinder schlafen. Er ist ein erwachsener Mann, Oksana. Du kannst nicht von ihm verlangen, abstinent zu leben. Wir tun das ja schließlich auch nicht.“

„Aber wir saufen keinen halben Liter Vodka an einem Abend! Und das JEDEN Abend!!! Wie lange wird es dauern, bis Mischka sich das von ihm abguckt?“

Die Tür ging auf und Inessa kam aus dem Keller zurück, wo sie nachgeschaut hatte, ob die Waschmaschine schon fertig war oder noch lief. Mit ihrer Rückkehr unterbrach sie das Gespräch. Ihre Eltern drehten sich vom Fenster weg und schauten zu, wie sie sich kommentarlos an den großen Esstisch setzte und ein Buch aufschlug. „Schatz, willst du nicht runter gehen und mit Mischka spielen?“, schlug ihr Vater vor.

„Nein. Ich will für die Schule lernen.“

„Fleißiges Kind“, kommentierte er. Einerseits hätte er schon gern ungestört mit seiner Frau weiter diskutiert. Aber er war auch gar nicht so böse drüber, wenn Inessa Abstand von Mischka und seinem Genius Intimus hielt. Die ersten Tage hatte auch Inessa ein sagenhaftes Interesse an Waleri gezeigt. Mit Blick darauf, wie offen und kumpelhaft der mit ihrem Bruder umgesprang, hatte sie ihn sofort als vollwertiges Familienmitglied und Freund eingestuft und hatte wohl gehofft, von ihm ähnlich vertraut behandelt zu werden wie Mischka. Aber Waleri hatte sie hartnäckig immer wieder abblitzen lassen. Er ging mit Inessa zwar freundlich und hilfsbereit um, wenn sie eigeninitiativ zu ihm kam, widmete ihr darüber hinaus aber nicht mehr Aufmerksamkeit als unvermeidbar war. Er war komplett auf Mischka fixiert, andere Menschen interessierten ihn nicht. Nach zwei Wochen hatte Inessa es aufgegeben, Waleri als Freund gewinnen zu wollen, und ignorierte ihn seither schmollend. Aber immer noch besser als wenn sie sich diesem zweifelhaften Erwachsenen weiter an den Hals warf. Boris glaubte sogar, daß sie ein bisschen eifersüchtig war. Sie wollte spürbar auch jemanden ganz für sich allein haben, der nur für sie auf der Welt war. Um so schlimmer, da Mischka sich auch selbst nicht mehr so viel um seine jüngere Schwester kümmerte wie früher. Bevor Waleri aufgetaucht war, waren die zwei ein Herz und eine Seele gewesen und Mischka hatte sich sogar für seine Schwester auf dem Schulhof geprügelt, um sie zu verteidigen. Jetzt beanspruchte dieser dubiose Waleri ihn rund um die Uhr für sich. Man merkte, daß das an Inessa nicht spurlos vorbei gegangen war.

Boris beschloss, sich künftig etwas intensiver mit seiner Tochter zu befassen. Mischka hatte ja jetzt seinen siamesischen Zwilling Waleri und war ausreichend bedient. Er setzte sich mit an den Tisch. „Was lernst du denn da?“, wollte er wissen und warf von hinten einen Blick auf ihren Buchdeckel. „Astronomie ...“, las er überlegend vor. „Wollen wir drei ins Raumfahrt-Museum gehen, Mama, du und ich, und uns das ganze Zeug mal live angucken, was da als trockene Theorie in deinen Büchern steht?“



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