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Land unserer Väter

Magister Magicae 1
von

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Geächteter

[Moskau, Russland]
 

Waleri lief suchend durch die Straßen und behielt die Hausnummern im Auge. Irgendwo hier musste es sein. Er blieb vor einer tunnelartigen Durchfahrt in einen Hinterhof stehen und warf einen abschätzenden Blick hinein. Da drin vielleicht? An den Hauswänden war nirgends eine Werbung oder ein Wegweiser angebracht.

„Waleri?“, fragte Mischka, der ihn begleitete, vorsichtig.

„Hm?“

„Bist du böse auf mich, wegen letzter Woche?“

„Wie kommst du darauf?“, gab der Genius zurück, wandte sich Mischka zu und ging vor ihm in die Hocke, um mit ihm mehr auf Augenhöhe zu sein. Sie hatten über den Vorfall im Park nie wieder ein Wort verloren, obwohl Waleri durchaus gespürt hatte, wie sehr es den Jungen beschäftigte. Waleri war froh, dass er endlich bereit war, darüber zu reden.

„Als diese Hunde angegriffen haben, hab ich nur dagestanden und dumm geglotzt. Ich hätte irgendwas tun sollen, aber ich hab dich alleine mit ihnen kämpfen lassen. Und deshalb bist du verletzt worden.“

„Unsinn“, entschied der Hüne mild und legte ihm eine Hand auf die Schulter. „Dafür kannst du nichts. Deine Eltern hätten dir erlauben sollen, dein magisches Talent zu trainieren, dann hättest du vielleicht mehr tun können. Aber so warst du einfach noch nicht soweit. Ich mache dir keine Vorwürfe. Gegen eine Schreckstarre kann man nichts tun.“

„Es tut mir trotzdem leid.“

Waleri schmunzelte. „Keine Ursache, Partner. Und damit ich bei sowas nicht wieder verletzt werde, trainiere ich jetzt!“

„Du solltest dich noch etwas schonen“, befand Mischka. „Der Hundebiss ist noch keine ganze Woche alt!“

„Im Krankenhaus war jemand so freundlich, die Verletzung mit Magie zu heilen. Glaub mir, Großer, ich bin topfit“, versicherte Waleri ihm und stand wieder auf. „Komm, da drin sollte es sein. Wir sind da.“
 

Tatsächlich fanden sie im Hinterhof ein Ladengeschäft mit dem gesuchten, dunkelroten Schriftzug über der Tür, den Waleri schon im Internet gesehen hatte. Die Glasfront war mit Blickfangfolie zugeklebt, damit man nicht hineinsehen konnte. Die Ladenfläche war zu einer kleinen Sporthalle umfunktioniert worden und man wollte drin seine Ruhe vor neugierigen Blick haben. Waleri betrat das Gym und sah sich um. Sofort überfiel ihn eine wehmütige Sehnsucht. Wie hatte er all das hier vermisst! In der einen Ecke vermöbelte jemand einen mannshohen Sandsack, der von der Decke baumelte. Ein Trainer hielt den Sandsack von hinten fest und feuerte seinen Kämpfer an. Weiter hinten arbeitete jemand mittels eines Springseils an seiner Kondition. Hinter dem Boxring mühte sich ein Muskelprotz mit Gewichten auf der Hantelbank ab. Da wurde donnernd eine Boxbirne gehämmert, dort machte jemand Dehnungsübungen. Waleri bekam akut Lust, mitzumachen. Und das Schöne war: seit der Sache im Park hatte Mischkas Vater eingewilligt, ihm die Vereinsmitgliedschaft zu bezahlen. Was wollte man mehr?

Der Trainer ließ seinen Sportler allein am Boxsack zurück und kam herüber. Er war hochgewachsen und hatte eine sportliche, wenn auch nicht übertrieben aufgepumpte Statur. Über seinem kantigen, vernarbten Gesicht thronte ein kurzer Bürstenhaarschnitt. Die eng stehenden, eisigen Augen wirkten hart und stechend. Er trug ein blass-oranges T-Shirt und kurze Boxer-Hosen. „Hey, kann ich euch helfen?“, grüßte er mit interessiert-fragendem Blick. Dabei rieb er sich abwechselnd beide Handgelenke, als wolle er nicht vorhandene Bandagen festdrücken.

„Ja ... äh ... ich wollte mich gern etwas umschauen. Ich spiele mit dem Gedanken, hier Mitglied zu werden“, gab Waleri etwas unschlüssig zu.

Der Mann musterte Waleris muskelbepackte Statur, die bereits auf sportliche Aktivitäten in der Vergangenheit hindeutete. „Haben Sie denn schon mal geboxt?“

„Ist ne ganze Weile her. Ich bin eingerostet“, grinste Waleri schief. „Aber ich würde gern wieder damit anfangen.“

„Sportsachen dabei?“

„Logisch.“

„Na, dann gehen Sie sich doch mal umziehen“, schlug der Trainer vor und zeigte in die Richtung, in der die Umkleiden zu finden waren. „Und dann testen wir im Rahmen einer kostenlosen Probestunde aus, was noch so da ist.“

„Cool, gerne!“, stimmte der Genius begeistert zu.

„Ich bin Vladimir“, stellte sich der Trainer daraufhin endlich vor und hielt ihm sportlich die Hand hin.

„Waleri“, entgegnete der und nahm die Hand an.

In Vladimirs Augen blitzte es kurz rätselhaft auf, dann wanderte sein Blick aber auch schon weiter zu Mischka. „Und was machen wir mit dem Stöpsel hier? Willst du auch mal boxen, Kleiner?“

„Ich weiß nicht ... Ich glaube, ich schau lieber zu“, fand der Junge überzeugt.
 

Kurze Zeit später stand Waleri umgezogen und leicht aufgewärmt im Boxring. Man hatte ihm einen Trainingspartner hingestellt, mit dem er sich einfach mal rumschlagen sollte. Vladimir wusste, dass sein neuer Interessent wegen nichts anderem hier war und einen Heidenspaß daran haben würde, also gab Vladimir ihm, was er wollte. Das steigerte die Chancen, dass er hinterher auch wirklich ein zahlendes Mitglied dieses Boxclubs werden würde, enorm. Vladimir wollte zuschauen und beurteilen, was Waleri noch an Technik, Taktik und Kondition zu bieten hatte, und wo Nachholbedarf bestand.

Mischka schlug fest auf die Ringglocke und drückte die Stoppuhr. Das war seine Aufgabe geworden, damit er nicht unbeaufsichtigt in der Trainingshalle herumrannte und den anderen Schwergewichten in die Quere kam. Vladimir wollte keine Haftung übernehmen, wenn der Junge versehentlich einem Boxer in die Faust rannte.

Beim Klang der Ringglocke holte Waleri aus und stempelte seinem Gegenüber rigoros den Boxhandschuh ins Gesicht. Der Mann krachte auf die Bretter wie ein gefällter Baumstamm und blieb erstmal liegen, worüber Waleri selbst ganz erschrocken war.

Der Trainer zog nur die Stirn kraus und kratzte sich nachdenklich am Ohr. „Okay, du brauchst einen stärkeren Gegner, wie ich sehe“, kommentierte er, ganz die Ruhe selbst. Er hatte inzwischen beschlossen, seinen neuen Interessenten zu duzen. Das war im Sport einfach üblich. „Du gehst ganz schön auf Mann. Hattest du früher schon so einen offensiven Kampfstil?“

„Inwiefern?“, wollte Waleri abgelenkt wissen. Er war damit beschäftigt, seinem halb betäubten Trainingspartner wieder auf die Beine zu helfen, der sich daraufhin etwas unbeholfen durch die Seile aus dem Ring hinaus wand.

„Du solltest zum Gegner wenigstens so viel Abstand halten, dass du beim Schlag deinen Arm ganz ausfahren kannst. Du kämpfst fast auf Ellenbogendistanz.“

„Danke für den Hinweis. Ich werde drauf achten.“ Waleri hatte sich in den letzten Jahren mit Sumo beschäftigt. Wohl deshalb war er jetzt die „Ellenbogendistanz“ gewöhnt, von der der Trainer gerade gesprochen hatte. Im Sumo-Ringen ging es etwas kuscheliger zu als beim Boxen. Das musste er sich schnell wieder abgewöhnen.

Vladimir lehnte sich mit verschränkten Armen in die Ringseile. „Na schön, ich sag dir was, Kumpel. Ich lasse dich hier trainieren, wenn du willst. Meinetwegen kannst du mit den anderen auch Übungskämpfe austragen, wenn du Freiwillige findest. Aber du wirst nicht den Namen meines Fightclubs in der Öffentlichkeit spazieren tragen und schon gar nicht an Wettkämpfen teilnehmen.“

Waleri sah ihn verdutzt an. „Hältst du mich etwa für lebensgefährlich?“, wollte er wissen und äugte seinem Trainingspartner hinterher, der schwankend davontaumelte.

„Nein. Ich halte dich für eine Gefahr für den Ruf meiner Kampfschule, Mister Konjonkow“, stellte der Trainer klar, wobei er den Namen vielsagend betonte.

Waleri atmete tief durch. „Man hat mich seit damals also in guter Erinnerung behalten“, grummelte er. Seinen Familiennamen hatte er dem Mann nicht verraten. Und er hätte auch nie gedacht, dass er nach so vielen Jahren und so viele Kilometer entfernt immer noch erkannt werden würde. Das versetzte seinem Selbstbewusstsein einen ziemlichen Dämpfer. Ja, er war damals wegen exzessiven Betrugs aus dem Sport verbannt worden, weil er seine Zeitpuffer-Fähigkeit im Boxring genutzt hatte. Aber seither war er mehrere Jahre in Japan gewesen. Waleri hätte nie für möglich gehalten, dass sich heute noch irgendwer an ihn erinnerte. Vor allem nicht hier. Damals hatte er ja noch nicht mal in Moskau gelebt und trainiert, sondern viel weiter draußen auf dem Land.

Vladimir schmunzelte überlegen. Er hatte also Recht behalten. Das war wirklich DER Waleri Konjonkow, den er vermutet hatte. Er war sich erst nicht sicher gewesen. Er war Waleri früher nur ein paar Mal auf überregionalen Wettkämpfen begegnet, und das war Jahre her. Aber nun, wo er den Kerl wieder im Ring in Aktion gesehen hatte, hatte kein Zweifel mehr bestanden. „Die wenigsten werden dich noch kennen. Und was mich betrifft, werde ich darüber auch schweigen. Aber zumindest ich als Leiter so eines Boxclubs hier sollte solche Typen wie dich schon auf dem Schirm haben. Für gewöhnlich will man keine Leute in seinem Gym, die wo anders unehrenhaft rausgeschmissen wurden.“

„Schon okay. Ich will weder Ärger haben, noch Ärger machen.“

Vladimir nickte einverstanden und warf einen ernsten Blick zu Mischka hinüber. Der Junge saß immer noch artig hinter seiner Ringglocke und grinste stolz, dass sein Schutzgeist den ersten Kampf so spektakulär gewonnen hatte. „Du hast also ein Kind?“

„Nein, einen Schützling“, gab Waleri zurück.

„Du bist inzwischen ein Genius Intimus? Das überrascht mich.“ Er überdachte das. „Okay, dann verstehe ich, warum du wieder trainieren willst.“

„Kann Mischka hier mittrainieren, falls er Spaß dran findet?“

Der Trainer wog nachdenklich den Kopf hin und her. „Vielleicht. Im Moment habe ich keinen passenden Trainingspartner in seinem Alter. Aber das kann man ja einrichten. Anfangen müsste er sowieso erstmal mit Ausdauer- und Krafttraining und dann mit einem Sandsack. Egal, jetzt bist du erstmal an der Reihe.“ Vladimir ließ suchend den Blick durch seine Halle wandern. „Eh, Yarupolk!“, rief er laut. „Komm her! Ab in den Ring mit dir! Liefer dem Kerl hier mal einen gescheiten Kampf!“



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