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Land unserer Väter

Magister Magicae 1
von

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Befehlshaber

[London, England]
 

Edd und Urnue standen im Wohnzimmer und schauten gemeinsam zur Deckenlampe hinauf. Eine der Glühbirnen war wohl durchgebrannt. Sie leuchtete nicht mehr. Die Lampe hing allerdings zu hoch, als dass man mit einem Stuhl oder ähnlichem noch hinan gekommen wäre. Edd seufzte lustlos. „Ich werde wohl die Leiter aus dem Keller holen müssen“, stellte er fest.

„Du bist doch ein Greif. Kannst du da nicht rauffliegen?“, wollte Urnue wissen.

„In geschlossenen Räumen lass ich das mal lieber bleiben.“

„Nagut, warte ...“ Der Junge suchte sich ein Stück freie Wand und legte beide Hände dagegen. Unter seinen Handflächen leuchtete ein grünlicher Schimmer auf. Ein Zeichen dafür, dass er Magie einsetzte. Als nächstes stellte er auch noch einen Fuß gegen die Wand. Dann zog er sich an selbiger hoch. Ohne den geringsten Halt. Seine Hände und Schuhsohlen klebten am Putz fest wie angeleimt. Er hatte sie mit Bann-Magie an der Wand festgebannt. Urnue löste die Bann-Magie in seiner linken Handfläche, setzte die Hand ein Stück höher und bannte sie wieder fest. Dann löste er die Bann-Magie in der rechten Hand, setzte diese ebenfalls ein Stück höher, und bannte sie wieder an der Wand fest. Er zog sich hoch. Dann setzte er den linken Fuß höher. Dann den rechten. Dann wieder die linke Hand. So arbeitete er sich wie ein Gecko Schritt für Schritt die Wand nach oben, Richtung Deckenlampe.

Edd fielen fast die Augen vom Stamm. Er hatte keinen Zweifel, dass Urnue dieses Spiel auch über Kopf an der Decke baumelnd fortsetzen konnte, ohne herunter zu fallen. „Meine Güte, wieso kannst du sowas schon? Ist das nicht ein bisschen zu starker Tobak für dein Alter?“ Bann-Magie an vier getrennten, präzise definierten Stellen des Körpers gleichzeitig zu wirken, war schon schwer genug. Aber dann auch noch abwechselnd an jedem der Punkte die Bann-Magie wieder zu lösen, ohne die anderen drei dabei mit abzuwürgen, das war echt beeindruckend.

„Ich darf nur die Konzentration nicht verlieren“, meinte der Junge, nun doch ein bisschen angestrengt. Inzwischen war er an der Deckenlampe angekommen und drehte die kaputte Glühbirne heraus.

„Du bist was Besonderes“, befand Edd anerkennend.

„Meinst du, Ruppert wäre stolz auf mich, wenn er das wüsste?“

„Da bin ich ziemlich sicher. Du solltest es ihm zeigen.“

„Ich bin doch nicht bescheuert!“, gab Urnue schlagartig sehr ernst zurück. Er warf Edd die Glühbirne zu und machte sich wieder auf den Rückweg. „Am Ende kommt Ruppert noch auf die Idee, dass du nicht mehr gebraucht wirst, weil ich schon stark genug bin. Ich werde schön die Klappe halten.“

Edd seufzte verständnisvoll. „Ich werde so oder so nicht ewig da sein, U.“

„Ich weiß. Aber ich muss es ja nicht noch beschleunigen. Wenigstens bis ich volljährig bin, hätte ich dich gern noch hier. Du bist die einzige gute Person in meinem Leben.“

Edd hielt vielsagend die kaputte Glühbirne hoch. „Ich geh mal eine neue suchen.“ Glücklich wirkte er bei dieser Äußerung nicht. Man merkte, dass Urnue ihm nicht egal war, und dass er zu diesem Thema gern noch mehr gesagt hätte, aber nicht wusste, was.
 

Die Küche im Hause Edelig war groß und tadellos aufgeräumt und sauber. Zwei große Fenster sorgten für einen hellen Raum. Das Küchenmöbel war in einem geschmackvollen kirschrot gehalten. An der Wand stand ein Esstisch mit sechs Stühlen, ebenfalls penibel saubergescheuert und akkurat angeordnet. Das hier war das heilige Reich ihrer Haushälterin, deshalb verirrte sich Edd normalerweise nur sehr selten hier rein. Nicht mal zum Essen. Als Personal war er angehalten, seine Mahlzeiten wo anders einzunehmen. Er aß nie zusammen mit den Hausherren am Esstisch. In der Küche traf Edd auf Ruppert, was ebenfalls ein ungewohnter Anblick war.

priwjet, tawarisch“, warf der Hellseher ihm völlig unvermutet an den Kopf.

Edd glotzte ihn einen Moment lang irritiert an und vergaß glatt, seine Glühbirne in den Mülleimer zu befördern. „Redest du neuerdings Russisch?“

„Ich lerne jetzt Russisch, ja.“

„Und ich vermute wohl mal, das hat auch Gründe?“

Ruppert nickte und lehnte sich mit dem Hintern gegen den Rand der Spüle. „Ich nehme an, dass das nächste Bruchstück in Russland sein könnte.“

„Du nimmst an, dass es dort sein könnte?“, betonte der Greif mit gerunzelter Stirn, als würde das in seinen Ohren irgendwie falsch klingen. „Ist das nicht eine etwas dürftige Grundlage für so eine Aktion?“

Ruppert zuckte mit den Achseln. „Wir werden es nicht rausfinden, solange wir nicht hinfahren. Ich will, dass du dir ein Lehrbuch nimmst und auch Russisch lernst. Ich erwarte von dir, dass wir uns mit den Leuten verständigen können, wenn wir dort sind.“

Edd schaute dem Hellseher mit offenem Mund nach, als der fröhlich aus der Küche spazierte. Er konnte es einfach nicht fassen. Es war jetzt beinahe ein Jahr her, dass sie das letzte Bruchstück gefunden hatten. Das dritte von den fünfen. Seither hatte es keine Hinweise mehr auf den Verbleib der übrigen gegeben. Edd hatte schon fast vergessen, dass sie überhaupt noch danach suchten. Woher war Ruppert sich denn aus heiterem Himmel so sicher, dass er in Russland noch eines finden würde? So sicher, dass er sogar die Sprache dafür lernen wollte? Das wirkte ja, als würde er länger dortbleiben und intensiv vor Ort recherchieren wollen. „Russisch lernen!“, maulte Edd begeisterungsfrei in sich hinein. Da hatte er ja vielleicht Bock drauf ...

„Hast du was gesagt?“, rief Ruppert zynisch von draußen.

„Das steht nicht in meinem Arbeitsvertrag, hey!“

„Hör auf, zu jammern!“

„Russland ist verdammt groß!“, rief Edd aus der Küche zurück. Eine Antwort bekam er darauf nicht mehr.
 

Urnue kam einige Minuten später in die Küche und warf sich auf einen Stuhl am Esstisch. Da Edd immer noch damit beschäftigt war, alle Schränke nach Ersatzglühbirnen zu durchwühlen, bekam er Urnues niedergeschlagene Stimmung gar nicht sofort mit. Erst als er ein Schniefen hörte und sich fragend umsah, bemerkte er die Tränenränder in den Augen des Jungen. „Was ist denn passiert?“, wollte Edd erschrocken wissen.

„Ruppert will mit uns nach Russland.“

„Ja, ist mir nicht entgangen.“

„Er will im Oktober hinfliegen und wer weiß wie lange bleiben.“

„Na und?“, hakte der Greifen-Genius mild nach. Das Problem erschloss sich ihm noch nicht so recht. Aber er wusste, dass Urnue kein Junge war, der wegen jeder Belanglosigkeit gleich herumheulte.

„Das heißt, meine Familie kann nicht herkommen, um mich zu besuchen. Sie wollten im Oktober nach London kommen.“

„Oh ...“, brachte Edd nur hervor, als er sich erinnerte.

„Ich hab Marilsa und Antreo seit 3 Jahren nicht mehr gesehen.“

„Wir reden mit Ruppert, ob wir nicht etwas später fliegen können. Auf zwei, drei Wochen wird es ja wohl nicht ankommen.“

„Hab ich gerade versucht“, erzählte Urnue geknickt. „Er lässt nicht mit sich diskutieren.“

Edd schloss die Augen und atmete tief durch. Das durfte nicht wahr sein.

„Edd, warum hasst er mich so?“, wollte der Junge verzweifelt wissen.

„Er hasst alle Genii, das weißt du doch“, seufzte der Greif müde. „Das liegt nicht an dir. Das habe ich dir schon mal gesagt.“

„Aber mich hasst er ganz besonders! Du weißt irgendwas!“

Edd schwieg und wich Urnues Blick aus.

„Sag es mir!“

„Es gibt nichts, was ich dir sagen könnte.“

Urnue schossen schon wieder Tränen in die Augen. „Edd ... bist du jetzt etwa auch noch gegen mich?“

„Ich weiß wirklich nichts, U. Ich habe eine wage, haltlose Vermutung. Aber ich weiß es nicht mit Sicherheit. Ich weiß, wie sehr du unter Rupperts Behandlung leidest und wie sehr dich das prägt. Und ich werde dir keine Gründe dafür nennen, die ich nicht belegen kann. Damit könnte ich ungewollte Zwietracht säen. Das will ich nicht. Ruppert soll uns selber sagen, was sein Problem ist. Irgendwann wird er das bestimmt.“

„Er sagt, dass er keine Frau finden wird, weil ihm immer sein Genius Intimus im Weg stehen wird, der nie von seiner Seite weicht.“

„Das ist Blödsinn.“

„Natürlich ist das Blödsinn“, stimmte Urnue frustriert zu und schaute Richtung Fenster. Einige Sekunden des Schweigens folgten, bis er sich wieder gefasst hatte. „Glaubst du, Ruppert weiß selber nicht, warum er uns so hasst?“



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