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Pride

von

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Sonntag
 

Ich stand vor meinem Bücherregal und zog den nächsten Stephen King Roman heraus, mit dem letzten bin ich gerade erst fertig geworden. Die Bücher machen es für mich noch irgendwie erträglich hier. Sie gaben einem Hoffnung. Sicher war es nicht Kings Absicht gewesen, ein Gefühl der Hoffnung mit seinen Werken auszulösen, da war ich wohl ein Einzelfall. Aber ich mochte die Vorstellung, dass auch an Orten wie diesen etwas Spannendes passieren konnte und sei es eben ein Monster in den Abwasserrohren das Kinder frisst.

Kennst du diese Sonntagsstimmung? Wenn die Welt einen Gang runterschaltet und man in Melancholie versinkt. Und jetzt stell dir eine Stadt vor die, die Verkörperung dieser Stimmung ist. Alle Einwohner, die Natur und sogar die Gebäude in einer ewigen Lethargie.

Pottsville, war genauso spannend wie der Name vermuten ließ. Eigenheim, Eigenheim, Park, Eigenheim, Eigenheim, Teich, Eigenheim… Suburbs eben. Nur das es hier kein Urban gab, nur Sub. Egal wo man hinsieht.

Mein Blick ging zum Fenster. Regen. In letzter Zeit regnete es oft, es wurde wohl Herbst. Ich war noch nicht bereit dafür. Ich war nicht bereit für kahle Bäume, Regen, Wind und noch mehr Melancholie.

Mit einem Seufzer warf ich mich aufs Bett und schlug die erste Seite auf.

Allerdings war ich nicht wirklich bei der Sache. Der Gedanke daran morgen wieder in die Schule zu müssen, drängte sich in meinen Kopf. Wie konnten die Ferien nur so schnell vergangen sein?
 


 

Montag
 

In der Schule lief es eigentlich nicht schlecht. Ich hab mich nie ausgeschlossen gefühlt, weil ich der Neue war. Die Leute wollten sogar etwas mehr sozialen Kontakt mit mir, als mir lieb war. Mit dem Unterrichtsstoff hatte ich auch keine Probleme. Nur blieb in mir immer ein Gefühl, als wäre ich hier nur zu Gast.

Immer wenn ich mit Leuten sprach, schienen sie so weit weg. Small-Talk mit Fremden, die man nie wiedersehen würde. Sie waren kein Teil meiner Welt und ich war kein Teil ihrer Welt. Dafür konnten sie wahrscheinlich nicht mal was. Es war größtenteils meine eigene Einstellung. Fast wie ein außenstehender Betrachter, der sich nicht in die Geschichte um ihn herum einmischen wollte.

Und ich hatte nicht vor etwas daran zu ändern.

Als ich auf den Vertretungsplan sah, war meine schlechte Laune von gestern schnell vergessen. Astronomie, endlich! Es war mein Lichtblick gewesen, als ich den Stundenplan am ersten Tag bekommen hab.

Da, aber der Lehrer die ganze Zeit krank gewesen war, haben wir bis jetzt immer nur eine Extrastunde Mathe oder Physik reingedrückt bekommen.

Ich setzte mich in die erste Reihe. Zum einen, weil ich ein elender Streber war und zweitens wollte ich die Wahrscheinlichkeit senken dass sich jemand neben mich setzt.

Dieser Plan ging auch auf… bis zur letzten Minute vor Unterrichtsbeginn. Zusammen mit Lehrer spazierte ein schlaksiger, blonder Junge durch die Tür und setzte sich neben mich.

Wir nickten uns kurz zu, lächelten, wechselten, aber kein Wort. Er war sehr blass, komplett in grau und weiß gekleidet und hatte seine langen, blonden Haare in einen Zopf geflochten. Es hatte irgendwas geisterartiges.

Es klingelte und der Lehrer, Mr. Svensson, wie er sich vorstellte, erkläre, dass wir trotz unseres verspäteten Starts den Stoff für dieses Jahr locker schaffen würden und begann bei den absoluten Basics.

Der Mann war mir sympathisch, bis zu dem Moment, in dem er uns zwang ein Arbeitsblatt zusammen mit unserem Nachbar auszufüllen, um zu testen wie viel Vorwissen wir schon haben.

An seinem gequälten Gesichtsausdruck, deutete ich, dass mein Nachbar genauso wenig Lust darauf hatte wie ich.

Wir starrten erst auf das Blatt, dann zueinander, dann schnell wieder weg. Die anderen Gruppen unterhielten sich schon angeregt.

“Ich...”, meine Stimme klang falsch, ich räusperte mich. “Ich hatte schon letztes Jahr Astro in meiner alten Schule. Ich kann das alles ausfüllen, wenn du willst.”

Erst jetzt wurde mir bewusst, wie arrogant das wohl klang.

“Oh ok”, sagte er verunsichert und guckte einfach nur zu wie ich die Fragen ausgefüllt.

Ich bereute meine Überheblichkeit nochmal, als ich eine Frage nicht ausfülle konnte. Ich kam einfach nicht auf die Antwort und die Tatsache, dass er mich beobachtete mache die Sache nicht einfacher.

Ich traute mich nicht vom Blatt anzusehen.

“Quasar”, flüsterte er zögerlich.

“Was?”, fragte ich nach.

“Die Antwort... Quasar...”, wiederholte er jetzt lauter.

Ich wollte ihm den Kuli reichen, damit er es selber eintragen konnte, aber er griff schon nach ihm, so das unsere Hände sich kurz berührten.

“Tut mit Leid!”, stieß ich aus und zog meine Hand sofort weg. Jedoch war dieser peinliche Moment allein noch nicht schlimm genug.

Der Junge neben mir bewegte sich nicht mehr. Sein Blick wurde leer und er sank immer weiter in sich zusammen.

“Hey!” rief ich und war mir nicht sicher was ich sonst machen soll.

Zum Glück wurde auch unser Lehrer auf die Situation aufmerksam. Er fasste ihn beherzt an der Schulter, aber nicht um ihn aufzuwecken, sondern nur um zu verhindern, dass er mit dem Kopf auf dem Tisch landete.

Nach etwa 20 Sekunden war mein Nachbar wieder da. Er schnappte einmal kräftig nach Luft, drehte sich erschrocken zu mir und dann zu Mr. Svensson.

“Alles wieder gut?”, fragte dieser.

Der blonde Junge nickte leicht und der Lehrer zog wieder weiter. Keiner, außer mir, schien über diese Verhalten irgendwie verwundert.

“Tut mir Leid, wenn ich dir Angst gemacht habe.”, sagte mein Nachbar, nachdem er sich wieder gesammelt hatte. “Ich hab eine Absence-Epilepsie und da passiert das manchmal.”

“Ach so...”, meinte ich, unschlüssig wie man darauf normalerweise reagieren sollte.

“Willst du die Lösung noch eintragen?”, füge ich noch hinzu bevor eine peinliche Stille entstehen konnte.

Darüber musste er zwar leicht lachen, schrieb die Antwort dennoch ein.

“Ich bin übrigens Kilian”, offenbarte er.

“Alexis”, antwortete ich.

Den Rest des Blattes füllten wir, dann doch noch zusammen aus.

Nach der Stunde war Mittagspause und naiv wie ich war, setzte ich mich während des Essens zu Kilian. Ich hatte keine feste Gruppe mit der ich sonst aß und wir verstanden uns gerade ganz gut. Er war scheinbar genauso Astronomie affin wie ich.

Dennoch war es naiv zu glauben, dass er niemanden sonst hatte mit dem er essen wollte. Leider fiel es mir erst auf,als die besagte Person am Tisch stand und mich mit ihren Blicken durchlöcherte. Es war ein anderer Junge, der mir schon ein paar mal wegen seiner rosa-gefärbten Haare im Gang aufgefallen war. Wenn ich mich nicht irrte war er ein Senior, also eine Klassenstufe über uns. Er trug eine schwarze Jeans, hohe Stiefel mit einem Plateauabsatz, ein schwarzes T-shirt, darüber ein Kimono-Oberteil mit allerhand astrologischen Symbolen darauf. Gekrönt wurde das Outfit von einem schwarzen Hut mit breiter Krempe und unmengen an Schmuck.

Kurz gesagt, sah er aus wie eine modernisierte Darstellung eines klischeehaften Jahrmarkt-Orakels.

“Hey, Newy!”, grüßte Kilian.

Er bekam einen vorwurfsvollen Blick und ein genervtes “Hi” zurück.

Newy klatschte erst sein Tablett und dann sein Rucksack lieblos auf den Tisch.

Man hörte es im Rucksack rumoren und als ihn öffnete, verstand ich auch warum.

Eine hellbraune Katze mit leuchtend gelben Augen sprang heraus und fauchte ihn an.

“Ja,ja...” Newy schnippte in die Richtung der Katze, woraufhin sie sich umdrehte, zu Kilian auf den Schoß hüpfte und sich dort hinlegte.

Mir entwich ein nervöses Lachen. In welcher surrealen Parallelwelt bin ich soeben gelandet?

Newy drehte sich wegen des Lachens zu mir um und fragte gereizt: “Was?”

Mein Kopf suchte und suchte, aber fand einfach keine Antwort, die gut beschrieb was genau gerade mein Problem war.

“Ich hab mich gewundert, warum die Katze nicht schwarz ist...”, haute ich schließlich raus.

Newy verzog das Gesicht . “Was für eine dumme Frage... Warum bist du blond und nicht brünett?” Er seufzte und stocherte unmotiviert in seinem Essen.

Kilian schnitt das Schnitzel auf seinem Teller in kleine Stückchen und begann sie nach und nach an die Katze zu verfüttern.

“Hör auf ihn zu füttern! Er ist ein fauler Sack!”, empörte sich Newy erneut.

Kilian sah ihn nur an und reichte das nächste Stück nach unten.

“Klar, mach weiter! Meine ganze Erziehung für den Arsch.”

Ich habe mich selten so fehl am Platz gefühlt. Also aß ich schnell eine mehr symbolische Menge, damit meine Flucht nicht so auffällig war und verschwand.

Dienstag
 

Kilian winkte kurz als wir im Gang aneinander vorbei gingen. Das war meine Bestätigung, dass der gestrige Tag nicht bloß ein eigenartiger Tagtraum gewesen ist. Denn ich hab mir wirklich Sorgen gemacht, besonders weil heute wieder alles seine gewohnten Gang ging.

In der Mittagspause beobachtete ich aus sicherer Entfernung den Tisch an dem Kilian und Newy saßen. Dieses Mal hatte keiner von ihnen eine Katze dabei und irgendwie fand ich das ziemlich schade.

Es gab heute, aber eine Dritten in der Runde. Stilistisch war er genauso angezogen wie Newy (wenn auch nicht so übertrieben) und hatte lange, braune Haare.

Die drei diskutieren ziemlich angeregt und ich hatte wirklich zu gerne gewusst worüber. Sie schienen der einzige interessante Teil dieser Stadt zu sein, auch ohne Katze.

Mein Starren, blieb allerdings nicht lange unbemerkt. Mit einem Mal drehten sich alle drei Köpfe in meine Richtung. Sofort senkte ich meinen Blick zum Tisch. Den Rest der Pause traute ich mich nicht mal meinen Kopf in ihre ungefähre Richtung zu drehen.
 

Das hing mir sogar noch auf dem Nachhauseweg nach.

Warum bin ich sozial bloß so ein Krüppel? Warum kann ich nicht wie normale Menschen kommunizieren, anstatt zu starren?

Du willst mit ihnen abhängen? Dann geh hin, setz dich dazu. So einfach könnte es sein. Nicht für mich, nein! Ich starre Leute lieber an, bis ich ihnen unheimlich werde.

Der Wind fegte einmal kräftig durch die Bäume und holte mich aus meinen Gedanken. Ich verfolgte wie einige Blätter mitgerissen und durch die Luft gewirbelt wurden, bevor sie auf dem Weg vor mir landeten.

Einige Meter voraus saß eine Katze mitten auf dem Gehweg und leckte sorgfältig ihre Pfote.

Als ich näher kam erkannte ich diese unheimlichen, leuchtend-gelben Augen wieder. Es war also wahrscheinlich der Rucksack-Kater. Die Fellzeichnung sah auch genau so aus.

Das Tier machte nicht die geringsten Anstalten sich bewegen zu wollen, als ich vor ihm stand und vorbei wollte. Daher umging ich es vorsichtig.

Kaum war ich an ihm vorbei gegangen, stand der Kater, gefühlt widerwillig, auf und trottete mir hinterher.

Ich setzte meinen Weg erstmal wie gewohnt fort und hoffte darauf das der Kater irgendwann keine Lust mehr haben würde.

Nach der Hälfte des Weges, folgte der Kater mir immer noch. Ich war damit etwas überfordert und blieb stehe. Mein Wissen über Katzen, oder Haustiere im Allgemeinen, war sehr begrenzt. Ich hatte mal Fische, aber das half mir leider nicht weiter.

“Ich weiß nicht wo du hinwillst, aber ganz sicher nicht dorthin wo ich hin geh”, sagte ich leise.

Der Kater blinzelte mich an.

“Du bist nicht meine Katze, du musst mir nicht folgen.”

Ich lief wieder los und der Kater hinterher, also blieb ich wieder stehen.

“Was ich damit sagen will: Unsere Wege trennen sich hier!”

Keine Antwort. Wie den auch, es ist eine Katze?! So weit ist es schon Alexis, du redest mit Katzen. Hast du dir dein Leben so vorgestellt?

Wieder setzte ich mich in Bewegung, natürlich nicht ohne meinen Verfolger.

“Mach doch was du willst...”, murmelte ich.

Als ich auf unser Grundstück abbog, lief der Kater voraus und sprang elegant auf das Geländer unserer Veranda. Von dort, beobachtete er wie ich zur Tür lief ,sie langsam einen Spalt weit öffnete und mich hindurchquetschte.

“Du bleibst draußen!”

Einige Sekunden blieb ich hinter der Tür stehen.

Irgendwie war ich ja schon ziemlich gemein zu dem armen Tier gewesen. Vielleicht hatte er Hunger?

Ich holte ein bisschen Wurst aus dem Kühlschrank und ging wieder auf die Veranda. Die Katze war immer noch da und musterte mich und mein Friedensangebot. Vorsichtig legte ich die Wurst auf den Boden, machte einige Schritte zurück und kniete mich hin.

Der Kater sprang vom Geländer, streckte sich, schritt zur Wurst, roch an ihr und… Und marschierte mit erhobenen Schwanz weg, als hätte ich ihm einen alten Schuh angeboten.

“Dieses undankbare Stück Fell!”, dachte ich und sammelte die Wurst wieder vom Boden.
 

“Du bist ewig für das verantwortlich, was du dir vertraut gemacht hast.”, zitierte mein Vater, nachdem ich beim Abendessen von unserem Besucher berichtet hatte.

“Er hat die Wurst nicht gegessen und außerdem gehört er schon jemanden.”, verteidigte ich mich. Vielleicht hätte ich es nicht erzählen sollen.

“Du wirst schon sehen, der kommt wieder...”, drohte mein Vater.

Insgeheim wünschte ich mir, dass er recht hatte.

Mittwoch
 

Ich stand in der Schlange an der Essensausgabe, als Kilian mich ansprach und fragte ob ich wieder mit ihm essen wollte. Erfreulich, gleichzeitig aber auch eigenartig, wenn man beachtet wie das letzte Mal verlaufen ist. Das Angebot abzulehnen würde es allerdings noch eigenartiger machen, also nickte ich und bereitete mich mental auf diesen Trip vor.

Als ich an den Tisch kam, waren wir nur zur zweit.

“Ist alles gut?”, interessierte ich Kilian. “Du siehst so angespannt aus.”

“Es ist nichts” Ich klang etwa genau so überzeugend wie ein Laiendarsteller bei seinem ersten Dreh.

Er kaufte es mir nicht wirklich ab. Und den Versuch zu lächeln auch nicht.

Jetzt kamen noch Newy und der andere Typ von gestern dazu.

“Newy hast du ja schon kennengelernt und das ist mein Cousin Cain”, stellte Kilian vor.

Unsicher hob ich die Hand und presste ein “Hey” heraus.

Cain lächelte mich. “Schön, dich persönlich kennen zu lernen.”

“Übrigens tut mir Leid, wegen dem letzten Mal. Diese ganze “Grumpy-Nummer” gehört irgendwie zum Image dazu.”, sagte Newy und machte große Gesten um auf seine Kleidung zu deuten.

“Ist schon ok, jeder hat mal schlechte Laune” Ok, es lief besser als erwartet.

“Oh man, hätten wir früher gewusst, dass du einer von uns bist, hätten wir dich natürlich auch früher angesprochen und dir alles gezeigt. Wir haben so viel Zeug...” Newy hörte auf zu sprechen, da mir meine Verwirrung scheinbar sehr deutlich anzusehen war.

“Einer von euch?”, wiederholte ich zögerlich.

Newy und Cain sahen zuerst mich und dann Kilian völlig entgeistert an. Ich drehte mich auch zu ihm. Was hat er bitte über mich erzählt?

Man sah wie Kilian mit jeder Sekunde immer panischer wurde und einfach keine Worte fand. “Ähm...also...äh”

Plötzlich lachte Cain los. “Oh man, das ist so awkward.” Jetzt hafteten alle Blicke auf ihm.

“Ich glaube wir ziehen, dass gerade alle etwas mehr auf als nötig. Wir leben im 21. Jahrhundert Leute, dafür wird schon lange keiner mehr auf dem Scheiterhaufen verbrannt”

Ich hatte immer noch keine Ahnung worauf er hinaus wollte und die anderen beiden offenbar auch nicht.

“Ja, wir sind alle queer. Aber dafür müssen wir doch keinen Club aufmachen. Ich bin Bi, Newy ist Pan und Kilian ist was ganz besonders und ist ace.”

Man hörte Kilian tief durchatmen.

“Wir helfen dir gerne weiter, wenn du diskriminiert werden solltest oder so…”, ergänzte Newy. “Wir sind DIE LGBT-Clique in Pottsville und du bist in unsere Mitte willkommen.”

“Vielen Dank...?” Konnte die Situation noch komischer werden? War ich so offensichtlich gay?

“Wir wollen dir natürlich nicht zu nah treten, aber wenn du willst kannst du dich immer zu uns setzen.”, meinte Kilian.

“Ok, das merk ich mir.”

“So und jetzt mal bitte Themawechsel.”, plädierte Cain. “Kann mir einer von euch sagen was sich Ms. Miller gedacht hat, als sie diesen Rock angezogen hat?”

“Uh super straight... Lass uns über Mode reden!”, lachte Newy.

“Oh sorry. Ich meinte natürlich Bier, Monstertrucks, Fußball, Brüste, Gewichtheben!”

Er präsentierte mit einem übertrieben ernsten Gesicht seinen kaum vorhandenen Bizeps.

“Ich glaube nach der Schule, geh ich erstmal ein paar Bäume mit meinen bloßen Händen ausreißen.”

Newy strich über das Gesicht. “Und ich muss mich zum fünften Mal heute rasieren. Ich bin einfach zu männlich!”

“Ihr denkt, Ihr seid männlich? Ich esse Salat, nur wenn er mit Motoröl gemacht ist ”, brachte sich Kilian ein.

“Und Sie, guter Sir? Wie männlich sind Sie?”, fragte Cain mich.

“Ich... Ich habe Liebesromane gekauft, nur um sie zu verbrennen?”

“Nicht schlecht. Aber das üben wir nochmal...”, lachte er. Sein Gesicht sah so schön aus, wenn er lachte. Wahrscheinlich war es immer schön, nur beim Lachen eben ganz besonders. Also lächelte ich zurück wie ein bekiffter Affe...

Oh Gott und ich hab mich tatsächlich gefragt wie sie gewusst haben können, dass ich schwul bin. Es war eher ein Wunder, dass es Leute gab, die es noch nicht wussten!

Leider konnten wir unser Gespräch über unsere Männlichkeit nicht zu sehr ausweiten, da die Pause sich dem Ende neigte. Wir verabschiedeten uns mit einem förmlichen Handschlag voneinander und vereinbaren dann morgen auszudiskutieren wer von uns mehr rohe Eier trinken kann.
 

Die Mathe Hausaufgaben hatten keine Chance, sie konnten nicht gegen den anderen Gedankenstrom in meinem Kopf ankommen. Jahrmarkt-Orakel, Katzen, Astronomie und Cain. Cain und seine dummen, weichen Haare, sein widerliches, ansteckendes Lachen, seine ekelhaften, schönen Lippen...

Zusammenfassend: Ich war gerade zu gay um an Mathe zu denken. In meinem Kopf fanden, gerade ganz andere Kurvendiskussionen statt.

Meine Mutter klopfte an der Zimmertür und kam, ohne auf eine Antwort zu warten, herein.

“Dein neuer Freund ist draußen auf der Veranda. Schick ihn lieber weg, bevor dein Vater das mitbekommt.”

Ich spürte wie mein Herz in Panik anfing in den Overdrive zu schalten. Mein neuer Freund?! Was? Wie?

Nein, ganz ruhig. Sie kann es nicht wissen, sonst hätte sie nicht so reagiert… Dafür war sie viel zu entspannt. Sie hat noch keine Mistgabel dabei.

Ohne noch weiter zu überlegen, sprintete ich die Treppe runter und stellte mit Erleichterung fest, dass meine Mutter nur den Kater meinte. Er spazierte auf unserer Veranda umher und miaute herzzerreißend.

Als ich die Tür öffnete, lief er sofort zu mir und rieb sich schnurrend an meinen Beinen.

So kannte ich ihn ja noch gar nicht. Vielleicht war er heute hungriger?

Ich kniete mich hin um ihn zu streicheln, hörte aber wie meine Mutter die Treppe herunterkam.

“Dafür hab ich dich nicht geholt. Du sollst ihn wegschicken. Wir holen uns keinen Streuner in Haus.”, mahnte sie.

“Ich hab es versucht, er hört nicht auf mich”, log ich, während ich mein Bestes versuchte den Kater beim streicheln nicht weh zutun. Wer hätte gedacht dass Tiere streicheln gelernt sein muss. Gibt es da Youtube-Tutorials zu?

“Du darfst nicht hier bleiben, du musst gehen. Kusch! Kusch!”, sagte ich zum Kater theatralisch, um meine Mutter zu überzeugen, dass ich bereits alles in meiner Macht stehende probiert habe.

Es schien zu funktionieren, denn sie zog mit einem Seufzer von dannen.

Ich wollte schon immer ein Haustier haben, aber man sah ja die Einstellung meiner Eltern zu diesem Thema. Für meine Mutter waren Tiere nur Dreckschleudern und mein Vater meinte ich wäre noch nicht alt genug um die Verantwortung für ein anderes Lebewesen zu tragen. Was für ein dummes Argument. Das sagt man vielleicht zu 5-Jährigen, aber doch nicht zu einem 17-Jährigen. Manche haben schon eigene Kinder in meinem Alter, da darf ich wohl eine Katze haben!

Ich musste mich kurz selbst daran erinnern, dass dieser Kater schon Newy gehörte.

“Du bist hungrig, ich bring dir gleich was!”,versprach ich und ging in die Küche. Dieses Mal wollte ich ihm Schinken auf einem Teller anbieten.

Plötzlich hörte ich ein Fauchen von draußen.

Meine Mutter hatte die Sprüh-Flasche geholt und benutzte sie um meinen Besucher zu vertreiben. Der Kater stellte sein ganzes Fell auf und fauchte erneut.

“Hey, lass das!”, rief ich.

Vergebens denn sie sprühte nochmal in seine Richtung und der Kater lief weg.

“Nächstes Mal, hol ich den Gartenschlauch”, drohte sie und schloss die Tür. “So wird das gemacht.”

Es hatte keinen Sinn mit ihr zu diskutieren, dass hab ich schon zu oft versucht. Das Einzige, was ich machen konnte war mich in meinem Zimmer verkriechen und die Tage zählen bis ich endlich ausziehen kann.

Donnerstag
 

Am Tisch blieb heute zu meinem Unglück ein Platz frei.

“Ist Cain heute nicht da?”, fragte ich in die Runde.

“Natürlich nicht. Immerhin haben wir heute einen Test geschrieben.”, meinte Newy mit einem Augenrollen. “Er ist so ein Penner… Nie hört er auf mich!”

“Er hat bestimmt sein Gründe.”, versuchte Kilian ihn zu beruhigen.

“Ja, ja ich weiß. Er will die Tests nicht verhauen. Idee: Wie wärs wenn er anfängt für sie zu lernen statt darauf zu warten, dass du ihm helfen kannst?! Aber nein, der Herr verbringt seine Zeit lieber anders... Das ist so dumm, mir fehlen die Worte, wie dumm das ist!”

“Ich mach mir auch Sorgen. Aber du weißt genau, dass es nichts bringt, wenn du wütend auf ihn wirst.” Kilian sah ziemlich bedrückt aus.

“Wir sollten zusammen aufs College und coole Roommates sein...”

Newy stütze seinen Kopf mit einem Arm und sah leicht schmollend in die Ferne.

Die Stimmung war im Keller, ich versuchte dennoch eine neues Thema anzufangen, weil es mir keine Ruhe ließ.

“Newy, deine Katze saß gestern bei mir vor dem Haus. Sie ist mir schon Dienstag hinterher gelaufen.”

Newy drehte seinen Kopf leicht in meine Richtung und antwortete ohne die Hand von seinem Mund zu nehmen: “Ist nicht mein Kater. Er treibt sich in der ganzen Stadt umher, wir füttern ihn bloß manchmal.”

Jetzt ergab es noch weniger Sinn, dass er ihn im Rucksack hatte.

“Und hat er einen Besitzer?”, wollte ich wissen.

“Er ist ein Kommunisten-Kater. Er hält nichts von Besitzansprüchen.”, sagte Kilian und musste über seinen eigenen Witz lachen.

“Bitte erschießt mich! Nur, weil Cain nicht da ist musst du nicht die schlechten Witze übernehmen.”, murmelte Newy.

“Du hast auch etwas gelächelt, dass hab ich gesehen!”, verteidigte sich Kilian.

“Das war das letzte Zucken meiner Gesichtsmimik, bevor sie wegen deines Witzes gestorben ist!”

“Jetzt wirst du überdramatisch...”

“Jetzt? Mein ganzes Leben ist ein einziges Drama!” Er flatterte mit den Fledermausärmeln seines schwarzen Strickpullovers.

Aus dem Augenwinkel seh ich wie Kilian wieder in sich zusammen sank, genau so wie damals im Unterricht.

“Das wird gleich wieder”, erklärte Newy und zeigte nicht die Absicht ihm irgendwie helfen zu wollen.

Ich tat das was Mr. Svensson, beim letzten Mal getan hat und packte ihn an der Schulter. Allerdings eher symbolisch, einfach nur um etwas getan zu haben, weil ich nicht wusste wie ich sonst sinnvoll helfen sollte.

Kilian kam dieses Mal schneller wieder zu sich.

Ich nahm meine Hand wieder weg.

“Ist alles gut?”, erkundigte ich mich.

Kilian lächelte schwach. “Ich hab das drei bis vier Mal am Tag, man gewöhnt sich dran.”

“Und man kann da gar nichts machen?”

“Ich hab Medikamente bekommen, aber die haben allesamt nicht geholfen und jetzt hoffen wir einfach, dass es sich verwächst.”

“Das wünsche ich dir. Ist bestimmt sehr anstrengend.”

“Dann könnte unser Kilian auch endlich selber Auto fahren und hätte keine Ausrede mehr sich von uns chauffieren zu lassen.”, stellte Newy fest. “Apropos, Alexis hast du ein Führerschein?”

“Ja, schon...”

Newy lehnte sich zurück. “Perfekt, dann bist du eingestellt und ich kann endlich mal ein Wochenende entspannen!”

“Ich hab aber kein Auto.”

“Nimm meins! Mir ist alles egal, solange ich am Samstag bis 12 Uhr schlafen kann und keiner mich stört. ”

“Wo musst du den hin?”, erkundigte ich mich bei Kilian.

“Er übertreibt wieder mal maßlos! Ich lass mich gar nicht so oft fahren.”, protestierte Kilian.

“Newy, ich muss in den Elektroladen in der nächsten Stadt. Oh, warte wenn wir schon mal unterwegs sind können wir gleich in den Buchladen am anderen Ende vom Staat. Halten wir an diesem Restaurant? Ist bloß in 130 Meilen, drüben in Virginia. ”, äffte Newy ihn nach.

“Du musst aber zugeben, die Burger waren echt genial.”, sagte Kilian.

“Ihr wart echt in Virginia für Burger?”

“Oh, ja! Wundert mich, dass wir noch nicht in New York waren um dort Hotdogs zu kaufen. Kilian kriegt Hummeln im Hintern, wenn er zu lange zuhause ist. ”

Das machte mir Kilian noch ein ganzes Stück sympathischer. Er wollte also auch hier weg.

“Wenn Newy mir wirklich sein Auto gibt, dann fahr ich dich gern, wenn was ist.”, sicherte ich ihm zu.

“Ach weißt du”, fing Kilian an. “Es gibt da einen coolen Laden in Philadelphia.”

Scheinbar hatte ich das erste Mal, seit einer Ewigkeit, am Samstag mehr vor als nur in meiner Depression zu versinken.
 

Heute ließ sich der Kater verständlicherweise nicht blicken, weder auf dem Heimweg, noch auf der Veranda. Vielleicht war es auch besser so, sonst wäre meine Mutter wieder auf ihn losgegangen. Dennoch war ich traurig. So traurig sogar, dass ich auf Webseiten von Tierheimen nach Katzen suchte, die ich später mal adoptieren wollen würde.

Mein Lebensziel war es nämlich ein verrückter Katzen-Opa zu werden und da konnte man nicht früh genug anfangen.

Und alle Katzen, die ihre 9 Leben aufgebraucht haben, lass ich ausstopfen, stell sie ins Wohnzimmer und lade dann die Nachbarn zu mir ein, um sie zu erschrecken.

Ich schüttelte mich selbst vor dieser Vorstellung. Da fiel mir ein das ich noch “Friedhof der Kuscheltiere” zu Ende lesen wollte. Daher schmiss ich mich ins Bett und war bereit für etwas Horror.

Entsprechend blieb mein Herz stehen, als etwas an meinem Fenster kratzte. Erschrocken drehte ich mich um und gelbe Augen leuchteten mir entgegen.

Ich musste einen kurzen Schrei unterdrücken. Es ist nur der Kater, entspann dich!

Nachdem ich mich wieder gesammelt hatte, öffnete ich das Fenster. Zusammen mit dem Kater kam, auch etwas frische Abendluft herein.

“Miauuuu!”, begrüßte das Tier mich.

“Pschhhhhh” Ich nahm den Finger vor dem Mund. “Du musst ganz leise sein.”

“Miau“, gab der Kater von sich, aber tatsächlich leiser, wobei es wohl nicht an meiner Ansprache lag.

Ich startete nun den dritten Versuch, dem Kater etwas zu Essen anzudrehen. Leise schlich, ich nach unten und machte ein Sandwich um den Schinken zu tarnen. Es war zwar nicht nötig, da meine Eltern im Wohnzimmer einen Krimi Serie schauten und sich nicht so leicht davon ablenken ließen, aber sicher war sicher.

Wieder im Zimmer, nahm ich das Sandwich wieder auseinander.

Der Kater hatte es sich auf meinem Bett bequem gemacht. Also stellte ich den Teller mit dem Schinken neben ihn, nahm selber auf dem Schreibtischstuhl platz und kaute am übriggebliebenen Brot.

Der Schinken wurde beschnuppert, für gut befunden und schnell verschlungen.

Und jetzt was? Ich sah den Kater an, er sah mich an. Was macht man so mit Katzen, beschäftigen die sich nicht normalerweise selbst?

Es wurde Zeit auf meiner Lieblingsseite zum recherchieren. WikiHow hatte natürlich einiges zum Thema Katzen.

Der Kater machte sich derzeit daran mein Zimmer zu erkunden und hüpfte von einem Möbel aufs andere.

Eine Katze zeichnen, Eine Katze baden, Das Geschlecht einer Katze bestimmen...

Jup, eindeutig männlich.

Eine Katze beruhigen, Katzenminze züchten, Eine Katze scheren…

Gewinne die Liebe deiner Katze - Das klingt doch mal nach was!

Ich überflog den Artikel kurz, bis ich merke dass es plötzlich verdächtig still im Raum war.

Mein Besucher saß vor dem Bücherregal und berechnete wahrscheinlich gerade die beste Route wie man das Regal erklimmen konnte.

“Hey!”, versuchte ich ihn abzulenken, knüllte einen Zettel zusammen und warf ihn als Spielzeug-Ersatz auf den Boden.

Beinah erschrocken über diese dumme Idee sah mich der Kater beleidigt an, als wolle er sagen: “Was denkst du, was ich bin? Ein treudoofer Hund, der mit jedem Müll spielt?”

So langsam hatte ich auch keine Lust mehr ihn als den Kater zu bezeichnen. Er musste doch einen Namen haben.

Ich sah mir das Tier nochmal von allen Seiten an.

“Du siehst aus wie ein Luzifer”, verkündete ich dem Kater, aber er reagierte nicht, also war es wohl nicht der.

“Garfield? Leo? Simba?” Nichts. Ich konnte vermutlich lange raten. So ein Streuner hatte bestimmt viele Namen und reagierte auf keinen oder auf jeden, je nach Laune.

“Ich nenn dich jetzt Kosmo”, entschied ich mich nach etwas überlegen. “Kosmo! Kosmo!”

Ich redete mir ein, dass wenn ich ihn oft genug so rief er irgendwann auf mich aufmerksam werden würde.

Kosmo sah sich immer noch meine Bücher an.

“Soll ich dir eins vorlesen?”, fragte ich. Es war zwar kein Kleinkind, aber einen Versuch war es vielleicht wert.

Keine Ahnung, was Katzen hören wollten... Und ob er mich überhaupt versteht, deswegen war vermutlich jedes Buch gleich gut geeignet. Da “Friedhof der Kuscheltiere” noch auf meinem Bett lag, setzte ich mich und begann vorzulesen.

Erst kam ich mir ziemlich doof vor, aber es schien auf irgendeine Art und Weise tatsächlich einen beruhigenden Effekt auf Kosmo zu haben.

Er legte sich neben mich und hörte so gespannt zu, dass ich irgendwann anfing ihm die Handlung zu erzählen die vorher passiert war, damit alles Sinn ergab.

Nach knapp einer Stunde war diese Idylle vorbei. Kosmo stand auf, marschierte zielstrebig zum Fenster und verlange mit Kratzen und Miauen herausgelassen zu werden.

“Komm aber mal wieder vorbei”, sagte ich als ich das Fenster öffnete. Das undankbare Stück Fell drehte sich allerdings nicht mal um.

Freitag
 

Nach der Schule treffen wir uns vor Newys knallrotem Ford Fiesta.

Meine Ouest: Newy nach Hause fahren und damit beweisen, dass ich würdig war den Wagen am Samstag zu haben.

So hat es Newy in der Mittagspause verkündet und so sollte es geschehen. Ich meine eigentlich war es das Geringste was ich tun konnte, immerhin gab er mir hier sein Auto, nachdem er mich nicht mal eine Woche kannte.

Kilian musste in die andere Richtung, so seine offizielle Ausrede. Wahrscheinlich wollte er bloß nicht bei diesem Spektakel dabei sein. Newy und ich waren also nur zu zweit. Das machte die ganze Situation für mich noch etwas unangenehmer.

Ich musste mich durchringen überhaupt den Schlüssel in die Zündung zu stecken. Ihn zu drehen schien eine unmögliche Aufgabe zu werden.

“Ich lotse, du fährst. Ganz einfach.”. meinte Newy und schaltete das Radio an.

Nichts war einfach, ich war bei meiner Fahrprüfung weniger aufgeregt gewesen, als jetzt. Nicht falsch verstehen: Bei meiner Fahrprüfung war ich ein totales nervliches Wrack, jetzt

war es bloß schlimmer.

Vielleicht sollte man diesen Ausflug einfach absagen.

“Ich weiß nicht ob -.”

Newy unterbrach mich. “Du fährst jetzt!”

Nochmal durchatmen und los gehts. Bremse durchdrücken, Motor an, in Drive schalten, und Fahren…Das Auto bewegte sich nicht von der Stelle. Newy nahm die Handbremse raus. Jetzt fahren.

Während ich am Lenkrad innerlich starb, ging Newy zu Lady Gaga Songs total ab und sagte mir immer kurz vor knapp, wo ich abbiegen musste.

“Daran kann ich mich echt gewöhnen. Später wenn ich reich und berühmt bin, lege ich mir eindeutig einen Chauffeur zu.”, ließ er mich wissen.

Die Einfahrt vor seinem Haus war zum Glück riesig, so dass Parken nicht wirklich ein Problem war und ich war einfach so froh, dass der Höllentrip endlich vorbei war.

Jetzt wartete ich gespannt auf die Verkündung der Prüfungsergebnisse, aber Newy stieg einfach aus. Ich tat es ihm gleich und war bereit die Schlüssel wieder abgeben zu müssen. Während ich Ausstieg spürte ich erst wie durchgeschwitzt ich war.

“Mir ist egal was ihr morgen mit dem Auto macht, ob Kilian dich bis nach Atlantic City fahren lässt, solange der Wagen am Sonntag, wenn ich aufwache unbeschädigt und mit vollem Tank wieder hier steht.”, erklärte mir Newy im weggehen.

“Und der Schlüssel?”, rief ich ihm hinterher.

“Wirf ihn in den Briefkasten. Ich will dieses Wochenende, von keinem mehr was wissen. Newy out!”

Nun stand ich vor einem Problem. Da ich den Ausflug eher als eine Witz angesehen habe, hatte ich meine Eltern auch nicht eingeweiht.

Ich konnte ihnen zwar sagen, dass ich am Samstag unterwegs sein werde, aber dass es in Philadelphia sein wird, in einem geliehenen Auto, mit mir am Steuer, das wäre zu viel.

Klar, ich könnte lügen, dass tat ich seit etwa dem Beginn meiner Pubertät bereits sehr erfolgreich, nur machte das Auto es ein Stück schwieriger als es sein müsste.

Mir fiel nichts bessere ein, als das Auto erstmal hier stehen zu lassen, immerhin war Newy egal was ich damit mache.

Zum Glück war Pottsville klein genug, dass man in einer Stunde Fußmarsch alles erreichen konnte.
 

Mein Abend mit Kosmo verlief eigentlich wie der letzte. Er saß urplötzlich vor dem Fenster, ich las ihm vor, während er mein Zimmer auseinander nahm, nur das er es heute nicht eilig hatte zu gehen. Nachdem er sich ausgepowert hatte, legte er sich erst neben mich, dann auf mich und begann mich zu kneten. Dabei schnurrte er begeistert. Ich legte mein Buch hin um ihn besser streichen zu können.

“Eine Katze müsste man sein”, meinte ich mit einem Seufzen. “Keine Schule, später keine Arbeit, keine Existenzängste. Jeden Tag macht man, was das Katzenherz begehrt und wenn man am Ende noch Zeit hat, schläft 20 Stunden ohne Unterbrechung.”

Irgendwas sagte mir, dass ich nicht der einzige Mensch mit diesem Wunsch war. Obwohl wenn ich nochmal darüber nachdachte, schien es mir gar nicht mehr so geil. Man musste sich sauber lecken, was super widerlich ist, man lief Gefahr Flöhe zu bekommen und man hatte keine Daumen. Zudem schmeckt Katzenfutter bestimmt scheußlich - apropos ich sollte morgen vielleicht Katzenfutter kaufen. Und noch etwas fiel mir ein.

“Morgen bin ich wahrscheinlich erst spät zuhause, also musst du nicht vorbeikommen.”, benachrichtigte ich den Kater. Er blinzelte mich fragend an.

“Wo ich bin? Ich fahr mit einem Freund nach Philadelphia. Er ist nett und weiß ziemlich viel. Allerdings kennen wir uns nicht so lange.”

Und im Moment, in dem ich es aussprach bekam ich Angst, dass unser Ausflug zu voreilig war. Selbst das Wort Freund hörte sich in Bezug auf Kilian auf ein Mal eigenartig an.

“Hoffentlich wird es kein Reinfall und wir schweigen uns nur an. Er kann schon ziemlich schweigsam sein und ich weiß auch nicht so Recht worüber wir reden könnten... ”

Ich hielt kurz inne. “Nein, das wird schon. In der Schule haben wir auch immer was zum reden.”

Kosmo hatte seine Augen zu und war vermutlich dabei weg zu dösen. Er lag wie ein Stein auf meiner Brust. Wie ein warmer, schnurrender, vibrierender Stein.

Da war es kein Wunder, dass ich auch schnell eingeschlafen war.

Samstag
 

Ich wollte eigentlich nur kurz die Augen zumachen, wurde allerdings erst wieder wach als mein Wecker klingelte.

Genervt nahm ich mein Handy in die Hand. 9 Uhr. Warte, 9 Uhr?! Wie viele Male hab ich bitte Snooze gedrückt?! Ich soll doch um 10 Uhr bei Kilian sein!

Hastig sprang ich auf und schleuderte Kosmo dabei unsanft runter.

“Tut mir leid”, rief ich und beeilte mich ins Bad. Als ich nach einer kurzen Dusche wieder aus dem Bad kam. Stand das Fenster in meinem Zimmer offen und Kosmo war weg.

Wahrscheinlich hatte ich es gestern Abend nicht richtig zugemacht und der Kater hat es beim Versuch rauszukommen geöffnet. Ich hatte allerdings auch keine Zeit mir weiter darüber Gedanken zu machen, die Zeit lief mir davon.

Mehr durch ein Wunder stand ich tatsächlich fast pünktlich, vor Kilians Haus und hatte sogar das Auto dabei.

Kilian wartete allerdings nicht draußen, wie ich gehofft hatte. Auch auf meine WhatsApp Nachrichten, bekam ich keine Antwort.

Musste ich echt klingen?

Unmotiviert stieg ich aus dem Auto und schlurfte zur Tür, alles extra langsam, in der Hoffnung Kilian würde von allein rauskommen. Leider war es vergebens und ich musste klingen.

Im Haus blieb es ruhig, nur eine rot-weiße Katze sprang ins Fenster neben der Tür und betrachtete mich.Sie hatte schöne grüne Augen und dichtes, schönes Fell. Warum hatte ich in letzter Zeit so ein Interesse an Katzen? Und warum hatten sie plötzlich so ein Interesse an mir?

Wenn Kosmo nur wüsste, dass ich andere Katzen betrachte…

In meinem Kopf machte sich der Gedanke breit, dass ich am falschen Haus war. Es war eigentlich unmöglich, aber auf logische Zureden wollte mein Gehirn gerade nicht eingehen.

Endlich bewegte sich im Haus etwas und bei mir setzte sofort der Fluchtreflex ein.

Langsam ging ich zurück zum Auto und überlegte mir bereits eine Ausrede für den ahnungslosen Hausbesitzer. Aktuell schwankte ich zwischen : “Ich bringe Ihn frohe Kunde von Gott.” und “Ich verkaufe Schokolade für die örtlichen Pfadfinder.”

“Alexis, warte!” hörte ich eine bekannte Stimme rufen. “Wir kommen gleich! ”

Ich drehte mich herum. Nicht Kilian, sondern Cain stand in der Tür.

Oh Gott, was ist bloß los heute?

Zaghaft lief ich zurück.

“Was machst du denn hier? ”, fragte ich ihn.

“Ich wohne hier”, antwortet er verwundert.

“Und Kilian?”

“Ja, der auch.” Cain drehte seinen Kopf ins Haus und schrie: “KILIAN! Komm schon, Mann!”

Scheiße, wenn Cain mitkommt, dann kann ich mich ja nur blamieren!

Man hörte im Haus eine Tür knallen. Kilian tauchte endlich auf, mit drei dicken Büchern in den Armen. Die Bücher sahen alt aus, sehr alt sogar. Sie waren in Leder gebunden und die Einbände waren handschriftlich beschriftet wurden.

“Cain kommt übrigens mit”, erklärte Kilian etwas verspätet. “Ich hoffe, es macht dir nichts aus.” Mein Mitspracherecht war wohl eher eine Farce.

Endlich waren alle bereit und wir konnten fahren.

Kilian bestand auf den Beifahrersitz, weil er navigieren wollte. Das war mir ganz recht, denn Cain würde mich nervöser machen als ich es eh schon war. Er sah hinten und erkläre sich zum DJ für die Fahrt.

Zum Glück war Kilian ein besserer Navigator, als Cain ein DJ.

Er war sich nicht sicher was er spielen sollte und schaltete die Songs immer nach ein paar Sekunden wieder, weil er dann doch nicht mit ihnen zufrieden war.

Die Inspiration kam ihm erst als wir auf der Staße eine Ausfahrt Richtung Fleetwood sahen.

Jetzt wurde Fleetwood Mac aufgelegt und mit ihnen auch alle anderen Kult Künstler der 70er.

Laut Cain waren die 70er eh die beste Zeit für Musik gewesen und ich stimmte ihm natürlich zu, ohne die Musik vorher jemals gehört zu haben. Man musste sich immerhin beliebt machen.

Mir gefiel die Musik tatsächlich, allerdings hätte er in meinem Zustand, eh jegliche Musik anmachen können und sie hätte mir gefallen.

Kilian blätterte hastig durch seine Bücher, als wolle er sie auf der Fahrt noch alle durchlesen.

Nach der ersten Stunde Fahrt verstand ich, dass ich die Strecke eindeutig unterschätzt hatte und wir hatten noch eineinhalb Stunden zu fahren. Und die Rückfahrt… Böser Fehler meinerseits.

Wann immer der Verkehr es zuließ, sah ich in den Rückspiegel zu Cain um mich etwas zu motivieren. Er ging in der Musik total auf, trommelte und sang mit, fast schon mit einer kindlichen Begeisterung.

Allerdings langweilte ich mich trotzdem ziemlich. Der Highway bot nicht viel Abwechslung und Gespräche kamen auch nicht so wirklich zustande.

“Was liest du da eigentlich? ”, fragte ich Kilian, um mich bei Laune zu halten.

Er lachte peinlich berührt. “Ich glaube nicht, dass du dich dafür interessiert.”

“Ach sag schon. Sonst schlaf ich hier noch ein.”

“Aber du darfst nicht lachen.”

“Versprochen.”

“Das ist eine Sammlung von verschiedenen Naturritualen, Zaubern und Tränken.”

“Alles klar...” So hätte ich ihn echt nicht eingeschätzt, er kam mir immer so rational vor. Nun gut, es war ja nichts verwerfliches.

“Glaubst du daran?”, interessierte ich mich.

“Schon. Und du?” In seinem Ton klang eine gewisse Gereiztheit über diese Frage mit. Wahrscheinlich hatte er sie zu häufig gehört.

“Teilweise.”, log ich. Eigentlich glaube ich gar nicht an diesen Quatsch, aber ich wollte die Stimmung nicht schon auf der Hinfahrt total vermiesen.

Ich hörte wie Kilian seufzte. Er war mit der Antwort wohl nicht wirklich zufrieden..

Vielleicht hör ich lieber auf zu reden, bevor es zu spät ist.

“Alexis, ich muss dir ja noch meinen Traum erzählen.”, meldete sich Cain von der Rückbank. Und was für ein Traum es war! Er beschrieb erstmal ein ganzes dystopisches Science-Fiction Setting, bevor er überhaupt zum eigentlichen Inhalt kam.

Er hat geträumt, dass er Drohnen für eine Straßengang repariert hat, die gegen eine andere Gang um die digitale Vorherrschaft in der Welt kämpfte. Kilian war ein Hacker und Newy auch. Sie waren auch in dieser Gang. Und ich war wohl auch irgendwie da, auch wenn er sich nicht mehr richtig erinnerte warum.

“Sie wollten mich verhaften und ich bin weggeräumt. Und dann bin ich aufgewacht.”, beendete er seine Erzählung.

“Hast du schonmal daran gedacht so aufzuschreiben? Ich würde es auf jeden Fall lesen. ”, interessierte ich mich.

“Uhhh heikles Thema”, flüsterte Kilian.

“Ich hab es versucht... oft...” Im Rückspiegel sah ich wie Cain dramatisch aus dem Fenster starrte. “Aber ich hab es nie hinbekommen. Ich kann einfach besser erzählen, als ich schreiben kann.”

“Wie oft denn noch, das Geschriebene war super. Du darfst bloß nicht nach 2 Kapiteln aufhören!”, meinte Kilian.

“Schreiben ist anstrengend und ich mag es nicht., gestand Cain nun.

“Ja, das klingt schon eher nach der Wahrheit.”

“Du bist heute gemein! Ich dachte ich habe einen entspannten TAg, weil Newy mich nicht nerven kann, aber ihr hat euch wohl abgesprochen.”

Ich musste etwas lächeln.

“Ich kann dir noch so viele Ideen erzählen! ”, sagte Cain. “Du bist nämlich nett zu mir!”

“Nur zu! Du hast noch die gesamte Fahrt.”, beschwor ich das Unheil.

Das war nur die Antwort auf die Cain gewartet hatte. Er erzählte von allem was ihm je im Kopf herum geschworen war oder was er irgendwann mal geträumt hatte. Von Drachen über Raumschiffe bis zu sprechenden Pflanzen, war alles dabei.

Und ich könnte glücklicher nicht sein. Erstens hatte ich endlich meine Unterhaltung für die fahrt, zweitens war es auch noch gute Unterhaltung und drittens es war Cain.

Kilian ließ sich weder durch die Erzählung, noch von einem seiner Anfälle, von seinen Büchern ablenken.
 

In Philadelphia regnete es, also so viel zum Thema Sightseeing.

Also gingen wir eigentlich nur einkaufen und dafür sind wir fast 100 Meilen gefahren…

Wir kamen auch an einem Tierfachgeschäft vorbei und ich erinnerte mich, dass ich ja Kosmos etwas kaufen wollte.

Ich war allerdings mit der Auswahl an Sachen dort etwas überfordert, 1000 Sorten an verschieden Futter und Spielzeug.

“Ihr habt doch eine Katze.” sagte ich zu meine beiden Begleitern.

Kilian und Cain wechselten verwirrte Blicke aus.

“Die rote Katze… Ich hab sie im Fenster gesehen.”

“Ach die…”,meinte Cain. Jetzt war ich verwirrt, hat er vergessen, dass er eine hat?

“Wir haben sogar drei Katzen”, erklärte Kilian.

“Was kauft ihr denn so für sie?”

“Was brauchst du denn?”, interessierte sich Cain.

“Naja primär erstmal Futter und vielleicht etwas zur Beschäftigung.”

“Du willste dir eine Katze zulegen?”, fragte er mich als ich ihm zum Futterregal folgte.

“Naja ich hab mir etwas unfreiwillig eine angelacht. - Die, die Newy mal dabei hatte.”, sagte ich zu Kilian, der uns ebenfalls nachlief.

“Na dann, viel Spaß”, meinte Kilian. “Er ist sehr wählerisch. ”

“Wir finden schon was.”, versicherte Cain wiederum.

Er studierte die Etiketten wirklich sehr genau, bevor er mir ein paar Dosen in die Hand drückte.

Beim Spielzeug brauchte er nicht so lange. Es beschränkte sich auf einen Ball und ein einzeln verpacktes Kissen.

“Schmusekissen mit Baldrian”, las ich vor. “Was ist das genau?”

“Drogen für Katzen”, lachte Cain. “Die stehen da total drauf.”

Kilian allerdings riet mir allerdings davon ab, es zu kaufen. “Das sieht total ekelhaft aus, wenn sie damit spielen. Alles voller Sabber.”

“Aber es ist der Shit!... für Katzen....”, empörte sich Cain.

Also hatte ich keine Wahl als das Kissen auch zu kaufen.

Am Ende unserer Shopping Tour kamen wir endlich zu dem Laden, wegen dem wir eigentlich hier waren. Und es war gleichzeitig die Antwort auf die Frage, woher Kilian seine Esoterik-Bücher hatte.

Perfekt gelegen in einem dunklen Hinterhof befand sich “Gates of Hell”, stilecht mit einem Pentagramm statt dem A im Namen.

Tja, Alexis lass es dir eine Lehre sein. Fahr niemals mit Leuten, die du eine Woche kennst, nach Philadelphia. Sie könnten Kultisten sein!

Meine nicht vorhandene Begeisterung über diesen Ort war so deutlich, dass Kilian mich fragte ob ich lieber draußen warten wollte.

Ich vermutete allerdings, dass es drin nicht schlimmer sein könnte als in einem dunklen, kalten, nassen Hinterhof und kam mit rein.

Die Ladenfläche war eindeutig zu klein für die Menge an “Waren”, die man versucht hat unterzubringen. Bei jedem Schritt musste man aufpassen, nichts umzuwerfen.

Kilian und die Besitzerin des Ladens, eine Frau in mittelalterlich anmutender Kleidung, scheinen sich gut zu kennen. Er gab ihr die drei Bücher zurück und sie verließen uns in ein Hinterraum, um neue Bücher für ihn zu suchen. Kilian kam noch einmal kurz raus und schleifte Cain mit hinein.

Ich nutze die Zeit um mich etwas umzusehen. Hier war alles zu finden, was man erwartete hier zu finden und sogar noch ein Bisschen mehr. Pendel, Kristallkugeln, von der Decke hängende Kräuter, Gläser gefüllt mit zweifelhaften Inhalten,... Besen!?

Meine Meinung über Kilian und eigentlich die ganze Gruppe, begann nach und nach etwas zu kippen.

Ich persönlich war zu logisch veranlagt, um dem ganzen Zeug auch nur den Hauch einer Chance zu geben.

Eine Art Schneekugel, schaffte es dennoch mich zu fesseln. Sie war gefüllt mit einer violetten Flüssigkeit und Glitzer, welcher nach dem Schütteln hypnotisch darin herum wirbelte. Ich konnte mir richtig vorstellen, dass Newy so eine Kugel besitzt.

“Alexis”, hörte ich hinter mir.

Erschrocken drehte ich mich um. Zum Glück waren es nur Cain und Kilian hinter mir, aber irgendwie sahen sie trotzdem beunruhigend aus, wie diese Zwillinge aus The Shining.

Kilian hielt mir eine kleine Skulptur entgegen.

“Was ist das?”, fragte er in einem eigenartigen Tonfall.

“Ein Einhorn?”, antwortete ich unsicher. Es war ganz sicher ein Einhorn, bloß die Frage ließ einen Twist erwarten.

“Siehst du, ich hab dir gesagt, dass es kein Pegasus ist.”, merkte Cain an.

“Da hab ich mich geirrt, vielen Dank Alexis. Wir sind gleich wieder zurück.”, sagte Kilian und sie verzogen sich wieder in den Hinterraum.

Die schauspielerische Leistung der beiden unterbot sogar meine..

Was zur Hölle passierte hier?

Ich schlich mich an die Tür und lauschte. Vielleicht bekam ich so ein paar Antworten.

“Wir müssen es ihm erzählen!”, hörte ich Kilian sagen.

“Ich weiß nicht…”, widersprach Cain zögerlich.

“Das war doch der Beweis, den du wolltest. Du weißt was ich gesehen hab. Wir haben jetzt mehr als damals bei Newy.”

“Newy wusste es, doch fast schon selber. Und du hast gehört wie er über, das Ganze hier denkt. Er wird es nicht glauben.”

“Natürlich wird er es glauben. Wir haben genug Sachen um es zu beweisen.”

“Uhhhh so spannend!”, merkte eine Frauenstimme an, die wahrscheinlich der Verkäuferin gehörte.

“Denkst du, ich weiß nicht warum du es ihm nicht sagen willst?”, setzte Kilian fort, ohne dem Kommentar Beachtung zu schenken.

Eine kleine Glocke klingelte, als die Eingangstür aufging und eine Gruppe Goths rein kam.

Ich hörte, wie sich daraufhin etwas im Hinterraum bewegte und sprintete sofort von der Tür weg.

Das Gespräch hat mehr Fragen aufgeworfen als es geklärt hat. In meinem Kopf ging ich alle möglichen Szenarien durch. Am plausibelsten schien mir tatsächlich, dass sie etwas mit einem Kult zutun hatten. Und wenn das die plausibelste Lösung war, dann konnte man sich ja vorstellen was mir sonst so im Kopf herumschwirrte.

Ich finde Freunde und am Ende stellt sich heraus, dass es Kultisten sind. Das ist mal wieder typisch.

Während sich die Verkäuferin um die Goths kümmerte, kamen auch Kilian und Cain aus dem Raum. Sie warfen sich vieldeutige Blicke zu und in mir kam die Hoffnung auf, dass sie mir endlich sagen würden, was hier passiert.

Doch das Einzige was Cain mir sagte war: “Willst du noch irgendwo hin? Wir sind hier fertig.”

Er deutete auf einen neuen Stapel Bücher, die Kilian jetzt dabei hatte.

Ich schüttelte den Kopf. Ehrlich gesagt wollte ich momentan nur nach Hause und mir alles in Ruhe durch den Kopf gehen lassen.

Die Fahrt zurück kam mir um einiges kürzer vor, worüber ich nicht böse war.

Leider erwähnte ich, dass ich allein nach Hause laufen muss, nachdem ich das Auto bei Newy abgestellt hab. Also bestand Cain darauf mich zu begleiten, nachdem wir Kilian zuhause abgesetzt hatten.
 

Was war mittlerweile dunkel geworden und die Straßen waren praktisch menschenleer.

Wir liefen wortlos nebeneinander her und diese Stille machte mich verrückt. Ich hatte das Gefühl als müsste ich einfach was sagen.

“Da-Danke.”, ich räusperte mich. “Du musst nicht weiter mitkommen. Du musst ja auch noch nach Hause.”

“Wie gesagt, es ist kein Problem.”

Ich spürte, dass er mich ansah und drehe mich noch etwas mehr in die andere Richtung um jeden Augenkontakt sicher aus dem Weg zu gehen.

Kultisten hin oder her, ich war immer noch hoffnungslos in ihn verschossen. Solange Kilian dabei gewesen war, war die Atmosphäre lockerer, aber jetzt bekam ich die volle Ladung meiner Awkwardness zu spüren. Zum Beispiel war mein Mund schneller im Sprechen als mein Hirn im Denken.

“Ich denke nicht, dass mir hier viel passieren kann. Pottsville ist nicht gerade eine Kriminalitätshochburg. Hier überfallen mich höchsten tollwütige Rentner.”

“Auch vor denen muss man sich in Acht nehmen ”, lachte Cain. “Aber deswegen bin ich eigentlich nicht mitgekommen.”

“Nicht? Ich denke immer zuerst an die tollwütigen Rentner.” Ja, genau...

“Ich wollte nicht, dass der Tag schon vorbei ist”

Ich höre mein Herz hämmern.

“Achso ok, cool...” Wow Alexis, du bist heute eine richtige Bombe. Hättest ja gleich ‘Key, sagen können.

“Ich bin froh, dass du heute mitgekommen bist.”, versuchte ich es noch auszubügeln.

“Und ich hatte schon Angst, dass ich euch Nerds stören würde.” Oh, du kannst mich ruhig jederzeit und überall stören.

Ich wusste nicht so recht was ich darauf sagen sollte, daher setze ich meinen Geheimwaffe ein: ungeschickter Themenwechsel!

“Da ist der große Wagen.” Ich deutete in den Himmel.

Cain sah nach oben. “Oh ja stimmt, den erkenne sogar ich… Außer den Mond kenn ich nicht besonders viel da oben.”

Er sah sich kurz um und deutete auf einen Stern.

“Weißt du. wie der farbig-blinkende Stern dort heißt?”

“Das ist Capella. Es ist ein doppeltes Doppelsternsystem, also vier Sterne die einander umkreisen, darum funkelt er in so vielen Farben. Das ist mein Lieblingsstern. Also Lieblingssterne um genau zu sein… Also Lieblings-astromoisches-Objekt. Nein, das sind eher die Plejaden - ” Endlich brachte ich mich dazu die Klappe zu halten.

“Ich hab jetzt persönlich kein Lieblings-astronomisches-Objekt, aber ich hab schon immer gern in die Sterne geguckt und fand sie ziemlich cool, wenn das reicht... Vielleicht kannst du mir ja mal irgendwann ein bisschen mehr über sie erzählen.”

“Ähm...klar, wenn du das willst. Ich will dich auch nicht langweilen oder so.”

“Ich hab dich gefragt.”

“Ja. Ja, das stimmt.” Ich sah zu ihm rüber. Wieder böser Fehler. Augenkontakt. Warum war er bloß so heiß? Nein, Stop!

Wir waren mittlerweile vor unserem Haus angekommen. Als wir da nun vor der Haustür standen, musst ich an jeden klischeehaften Romance Film denken und ich hatte absolut nichts dagegen.

“Danke, nochmal für den schönen Tag und fürs fahren. War echt toll.”, sagte Cain. Man konnte ihm ansehen, dass er etwa genauso nervös war wie ich. Er hatte allerdings mehr Mut und kam näher.

“Danke, für die ganzen Geschichten” Ich biss mir kurz auf die Unterlippe.

Er lächelte kurz. Sein Gesicht war so nah. Ich hielt die Luft an. Es könnte wirklich passieren. Küss mich Trottel, küss mich jetzt!

Warte! Meine Eltern! Was wenn meine Eltern das sehen?! Nein!

“Meine Eltern… ich...nein… ein andermal.” Hastig öffnete ich die Tür und verschwand, ohne Cain nochmal anzusehen.

Hinter der Tür holte ich wieder Luft.

Fuck! Was war das, denn? Ein andermal? Es wird kein nächstes Mal geben, soviel steht fest. Und meine Eltern waren nicht mal zuhause! Aber ich konnte wohl schlecht jetzt wieder rauskommen.

Frustriert über mein Manöver verzog ich mich in mein Zimmer. Ich war so wütend auf mich selbst, ich wollte schreien.

Zu meiner Überraschung, sah ich hinter meinen Fenster zwei bekannte, leuchtende Augen.

Ich ließ Kosmo ins Zimmer und er schmiegte sich um meine Beine.

“Ich bin zwar gerade nicht in der Laune zum Kuscheln, aber dafür kannst du ja nichts...”, murmelte ich und seufzte.

Genervt setzte ich mich einfach auf den Boden und sah Kosmo an.

“Ich bin echt froh, dass du nicht weißt was für ein Loser ich bin, sonst würdest du wahrscheinlich auch aufhören vorbeizukommen.”

Kosmo sah mich an, als würde er beinah verstehen, was ich sagen wollte.

Mir kam nochmal die Vorstellung des Katzenopas in den Kopf, nur das ich jetzt nicht mehr allein, Katzen sammeln wollte. Cain sollte auch da sein, im Schaukelstuhl neben mir. Und dann wären es UNSERE Katzen und wir können zusammen Leute verschrecken und zusammen in die Sterne gucken.

Kosmo starrte mich immer noch an, vielleicht sah er, aber auch einfach nur in die Ferne.

“Können Katzen verliebt sein?”, fragte ich ihn.

Er miaute ich an.

“Ich hoffe es war ein Nein, verliebt sein suckt nämlich!”

Ich wiederhole nochmal, dass ich keine Ahnung von Katzen habe. Aber selbst ich wurde stutzig als Kosmo anfing dunklen Rauch abzusondern. Das konnte nicht gesund oder normal sein!

Immer mehr Rauch sammelte sich um ihn herum bis der Kater nicht zu sehen war.

Endlich verstand ich wieder, wie ich meine Beine benutze, sprang auf und versuchte nach meinem Handy zu greifen, ohne meinen Blick von der Wolke zu lösen, die immer weiter wuchs.

Sollte ich rennen? Wahrscheinlich schon, trotzdem bewegte ich mich nicht von der Stelle. Ich konnte nicht.

Die schwarze Rauchwolke wurde zumindest nicht mehr größer und begann sich sogar wieder zu lichten.

Auf einmal fiel mir auf, dass sich aus dem Rauch eine menschliche Silhouette bildete. Was passiert hier?

Sie nahm nach und nach immer mehr Gestalt an, Cains Gestalt.

Das ist ein Traum. Es muss ein böser Traum sein! Du musst rennen! Du musst jetzt rennen!

Mein ganzer Körper war Pudding und statt zu rennen, klappte ich einfach nur zusammen.

Selbst meine Schutzreflexe, waren ein Witz.

“Alles gut?”, fragte das Rauchmonster oder Cain oder was auch immer. Ich hatte keinen Ahnung mehr was hier passiert. Wenn es tatsächlich Cain war, dann sah er wirklich besorgt aus.

“Alexis, hey!”, sagte er und streckte seine Hand nach mir aus. Ich wich ihr aus.

“Ich bins, Cain. Ich weiß, es ist jetzt sehr verwirrend, aber ich erklär’s dir gleich alles.”

Ich konnte mich nicht bewegen, ich konnte nicht mal denken.

Cain lief planlos im Zimmer umher und blieb immer kurz stehen um was zu sagen: “Es gibt Magie. - Wir sind Hexen, also Kilian, Newy und ich. - Du weißt es bestimmt noch nicht, aber du bist auch magisch. Kilian hat es in der Zukunft gesehen. - Reagier doch wenigstens irgendwie!”

“Was passiert hier?”, brachte ich endlich raus.

“Das versuche ich gerade zu erklären. Wir sind Hexen und - ”

Ich unterbrach ihn: “Du warst gerade eine Katze!”

“Ja, ich bin ein Gestaltenwandler. Bitte Alexis, du musst mir, dass jetzt glauben. Magie ist nicht gruselig, man muss sich nur daran gewöhnen, dass es sie gibt. Das braucht ein bisschen, aber dann wird alles wieder normal.”

“Nichts ist hier normal!”, protestierte ich und versuchte wieder auf die Beine zukommen, kam allerdings nur zum Bett.

“Das läuft nicht so ganz wie geplant…”,flüsterte Cain und zog sein Telefon aus der Tasche. “Ich rufe jetzt Kilian, er erklärt dir das nochmal.”

Nach einigen Sekunden ging Kilian ran.

“Hey...Wir haben da so eine Situation”

Ich hörte leider nicht was am anderen Ende der Leitung gesagt wurde.

“Du wolltest doch, dass wir es Alexis sagen. - Ich hab es ihm gesagt.”

Längere Pause.

“Ich hab mich verwandelt. - Ja, ich weiß. - ”

Er sah zu mir. “Ziemlich blass”

Während Cain telefonierte kam ich nach und nach zu mir.

Ok, sie waren also keine Kultisten, sie waren Hexen. Das machte es irgendwie nicht besser.

“Weißt du, ich stell dich auf Lautsprecher und dann kannst du es ihm persönlich sagen.”

“- hasse dich!”, hörte ich Kilian noch sagen.

Cain setzte sich zu mir aufs Bett und legte das Handy zwischen uns.

“Sag: Hallo!” befahl Cain und ich war nicht sicher wem es galt, also sagte ich lieber nichts.

“Alexis, hörst du mich?”, fragte Kilian.

Ich nickte bis ich verstand, dass es sinnlos war. “Ja”, flüsterte ich.

“Er sagt Ja.”, übersetzt Cain.

“Ich weiß, es ist alles ungünstig gelaufen und es ist Cains Schuld, aber wir bekommen das wieder hin. Es ergibt bald alles mehr Sinn, versprochen. Du musst es nur etwas setzen lassen und wir reden morgen darüber. ” Man hörte im Hintergrund wie Kilian eine Treppe runter rannte.

“Wir reden morgen”, wiederholte er nochmal. Bevor er auflegte, rief er noch: “Ava!” und dann war Stille.

Cain sah mich immer noch beklommen an. “Willst du reden oder soll ich einfach gehen?”

Ich wusste es nicht und da von mir keine Antwort kam, stand er auf.

“Bleib”, sagte ich, immernoch unsicher ob es nun, das war was ich wollte.

“Natürlich” Er nahm wieder neben mir Platz.

“Träum ich?”

“Es ist wohl ein ziemlicher Alptraum für dich, kann ich mir vorstellen.”

Ich wollte es verstehen, dass alles verstehen. Aber mir fielen keine Fragen ein, die nicht total bescheuert klangen.

“Wie ist das mit der Magie? So wie bei Harry Potter?”, fragte ich.

“Naja, nicht ganz. Fliegende Besen gibt es zum Beispiel nicht und auch keine coolen, englischen Internate, wo man das ganze lernt. Die Realität ist immer uncooler als Fiktion, auch bei Sachen wie Magie.”

“Kannst du zaubern?”

“Es kommt drauf an, was du als Zaubern definierst. Ich kann mich in eine Katze verwandeln, das ist leider auch so ziemlich das Einzige, was ich kann. Wenn du was magischeres sehen willst, musst du Newy fragen, er kann unter anderem mit Geistern reden. Die gibts nämlich auch wirklich.”

“Und Kilian?”

“Wow, keine weiteren Fragen über die Geister? Na gut. Kilian ist spannender. Er kann in die Zukunft sehen. Seine Anfälle - .”

Cains Telefon klingelte. “Mama” leuchtete auf dem Display auf.

“Shit”, fluchte er und drückte den Anruf weg. “Ich sollte wahrscheinlich schnell nach Hause. Tut mir Leid! Sonst bringt sie mich um.”

“Eine Frage noch!”, bestand ich. “Warum hast du dich verwandelt? Warum jetzt, heute?”

Cain wurde leicht rot und griff sich in den Nacken. “Wie gesagt, ich wollte nicht, dass der Abend aufhört und das Ende war etwas unbefriedigend.”

Das war natürlich ein berechtigter Grund meine Weltanschauung zu zerstören.

“Ich muss jetzt wirklich los. Ich hoffe, du bist mir nicht böse wegen all dem.”, kündigte er nochmal an, konnte sich aber nicht dazu durchringen aufzustehen.

Es folgte also awkward Abschied, der zweite an diesem Abend. Ich sah zu ihm rüber. Er lächelte schwach, in seiner typischen Cain-Manier, aus der ich einfach nicht schlau werden wollte. War es falsch, dass ich ihn immer noch küssen wollte?

Zu meiner Enttäuschung stand er dann doch, streckte sich und lief zögerlich zum Fenster.

“Darf ich mich hier verwandeln oder soll ich es dann draußen machen?”, erkundigte er sich.

“Was dir lieber ist. Mein Gehirn kann die Situation so oder so nicht verarbeiten ”, meinte ich mit einem Schulter zucken.

Er warf mir nochmal mal dieses Lächeln zu, atmete tief durch und kam mit schnellen Schritten wieder zu mir zurück. Unsere Lippen berührten sich nur ganz kurz, aber das reichte mir schon.

Cain machte dann wieder einen großen Schritt zurück um meine Reaktion abzuwarten. Ich grinste über beide Backen, wie ein totaler Idiot.

“Da hat sich die ganze Aktion, ja doch noch gelohnt..”, lachte er. “Bis morgen”

“Bis morgen”, wollte ich sagen, aber er verwandelte sich schon in eine Wolke dunklen Rauchs. Aus dem Rauch trat nun ein sehr vertrauter Kater hervor, sprang aufs Fensterbrett und verschwand durch das Fenster in die Dunkelheit.
 

Ich bekam nicht viel Schlaf diese Nacht. Dafür war in meinem Kopf viel zu viel los und eine Internetrecherche konnte mir dieses Mal, auch nicht helfen. Natürlich fand man einiges zum Thema, allerdings wusste ich nicht, was davon echt war und was nicht.

Erst nach und nach wurde mir auch bewusst, was es richtig bedeutete das Cain und Kosmos eine Person bzw. Katze waren. Eigenartigerweise schien dass mich mehr zu beschäftigen als die Tatsache das Magie real war.



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Kommentare zu dieser Fanfic (2)

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Von:  Verzockt
2019-09-02T18:41:57+00:00 02.09.2019 20:41
Liest sich sehr flüssig und der Einsatz der Epilepsie fand ich echt gut. Da viele sowas nicht kennen bzw nicht verstehen. Trotz dessen dass sich manchmal Tagebücher schwer lesen fand ich deine Geschichte so gut das ich obwohl ich nur den Anfang lesen wollte, doch weiter gelesen habe.
Dein Schreibstil mag ich, hat einen Ironischen Hauch :)
Antwort von:  SpacePirate
03.09.2019 18:48
Vielen Dank für deine lieben Worte! Ich weiß es wirklich zu schätzen!
Ich arbeite zurzeit an einem Remake der Geschichte, damit sie nicht so unvollständig stehen bleibt, aber ich etwas zufriedener mit ihr werde.
Von:  Tharaia
2019-01-03T21:02:06+00:00 03.01.2019 22:02
Okay, bis hierhin gefällt es mir gut. Noch nicht zu kitschig und mal eine interessante Variation der immer beliebten Schulromanze. Ich freue mich, wenn es hier mal weitergeht =)


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