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Pride

von

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Sonntag
 

Ich stand vor meinem Bücherregal und zog den nächsten Stephen King Roman heraus, mit dem letzten bin ich gerade erst fertig geworden. Die Bücher machen es für mich noch irgendwie erträglich hier. Sie gaben einem Hoffnung. Sicher war es nicht Kings Absicht gewesen, ein Gefühl der Hoffnung mit seinen Werken auszulösen, da war ich wohl ein Einzelfall. Aber ich mochte die Vorstellung, dass auch an Orten wie diesen etwas Spannendes passieren konnte und sei es eben ein Monster in den Abwasserrohren das Kinder frisst.

Kennst du diese Sonntagsstimmung? Wenn die Welt einen Gang runterschaltet und man in Melancholie versinkt. Und jetzt stell dir eine Stadt vor die, die Verkörperung dieser Stimmung ist. Alle Einwohner, die Natur und sogar die Gebäude in einer ewigen Lethargie.

Pottsville, war genauso spannend wie der Name vermuten ließ. Eigenheim, Eigenheim, Park, Eigenheim, Eigenheim, Teich, Eigenheim… Suburbs eben. Nur das es hier kein Urban gab, nur Sub. Egal wo man hinsieht.

Mein Blick ging zum Fenster. Regen. In letzter Zeit regnete es oft, es wurde wohl Herbst. Ich war noch nicht bereit dafür. Ich war nicht bereit für kahle Bäume, Regen, Wind und noch mehr Melancholie.

Mit einem Seufzer warf ich mich aufs Bett und schlug die erste Seite auf.

Allerdings war ich nicht wirklich bei der Sache. Der Gedanke daran morgen wieder in die Schule zu müssen, drängte sich in meinen Kopf. Wie konnten die Ferien nur so schnell vergangen sein?
 


 

Montag
 

In der Schule lief es eigentlich nicht schlecht. Ich hab mich nie ausgeschlossen gefühlt, weil ich der Neue war. Die Leute wollten sogar etwas mehr sozialen Kontakt mit mir, als mir lieb war. Mit dem Unterrichtsstoff hatte ich auch keine Probleme. Nur blieb in mir immer ein Gefühl, als wäre ich hier nur zu Gast.

Immer wenn ich mit Leuten sprach, schienen sie so weit weg. Small-Talk mit Fremden, die man nie wiedersehen würde. Sie waren kein Teil meiner Welt und ich war kein Teil ihrer Welt. Dafür konnten sie wahrscheinlich nicht mal was. Es war größtenteils meine eigene Einstellung. Fast wie ein außenstehender Betrachter, der sich nicht in die Geschichte um ihn herum einmischen wollte.

Und ich hatte nicht vor etwas daran zu ändern.

Als ich auf den Vertretungsplan sah, war meine schlechte Laune von gestern schnell vergessen. Astronomie, endlich! Es war mein Lichtblick gewesen, als ich den Stundenplan am ersten Tag bekommen hab.

Da, aber der Lehrer die ganze Zeit krank gewesen war, haben wir bis jetzt immer nur eine Extrastunde Mathe oder Physik reingedrückt bekommen.

Ich setzte mich in die erste Reihe. Zum einen, weil ich ein elender Streber war und zweitens wollte ich die Wahrscheinlichkeit senken dass sich jemand neben mich setzt.

Dieser Plan ging auch auf… bis zur letzten Minute vor Unterrichtsbeginn. Zusammen mit Lehrer spazierte ein schlaksiger, blonder Junge durch die Tür und setzte sich neben mich.

Wir nickten uns kurz zu, lächelten, wechselten, aber kein Wort. Er war sehr blass, komplett in grau und weiß gekleidet und hatte seine langen, blonden Haare in einen Zopf geflochten. Es hatte irgendwas geisterartiges.

Es klingelte und der Lehrer, Mr. Svensson, wie er sich vorstellte, erkläre, dass wir trotz unseres verspäteten Starts den Stoff für dieses Jahr locker schaffen würden und begann bei den absoluten Basics.

Der Mann war mir sympathisch, bis zu dem Moment, in dem er uns zwang ein Arbeitsblatt zusammen mit unserem Nachbar auszufüllen, um zu testen wie viel Vorwissen wir schon haben.

An seinem gequälten Gesichtsausdruck, deutete ich, dass mein Nachbar genauso wenig Lust darauf hatte wie ich.

Wir starrten erst auf das Blatt, dann zueinander, dann schnell wieder weg. Die anderen Gruppen unterhielten sich schon angeregt.

“Ich...”, meine Stimme klang falsch, ich räusperte mich. “Ich hatte schon letztes Jahr Astro in meiner alten Schule. Ich kann das alles ausfüllen, wenn du willst.”

Erst jetzt wurde mir bewusst, wie arrogant das wohl klang.

“Oh ok”, sagte er verunsichert und guckte einfach nur zu wie ich die Fragen ausgefüllt.

Ich bereute meine Überheblichkeit nochmal, als ich eine Frage nicht ausfülle konnte. Ich kam einfach nicht auf die Antwort und die Tatsache, dass er mich beobachtete mache die Sache nicht einfacher.

Ich traute mich nicht vom Blatt anzusehen.

“Quasar”, flüsterte er zögerlich.

“Was?”, fragte ich nach.

“Die Antwort... Quasar...”, wiederholte er jetzt lauter.

Ich wollte ihm den Kuli reichen, damit er es selber eintragen konnte, aber er griff schon nach ihm, so das unsere Hände sich kurz berührten.

“Tut mit Leid!”, stieß ich aus und zog meine Hand sofort weg. Jedoch war dieser peinliche Moment allein noch nicht schlimm genug.

Der Junge neben mir bewegte sich nicht mehr. Sein Blick wurde leer und er sank immer weiter in sich zusammen.

“Hey!” rief ich und war mir nicht sicher was ich sonst machen soll.

Zum Glück wurde auch unser Lehrer auf die Situation aufmerksam. Er fasste ihn beherzt an der Schulter, aber nicht um ihn aufzuwecken, sondern nur um zu verhindern, dass er mit dem Kopf auf dem Tisch landete.

Nach etwa 20 Sekunden war mein Nachbar wieder da. Er schnappte einmal kräftig nach Luft, drehte sich erschrocken zu mir und dann zu Mr. Svensson.

“Alles wieder gut?”, fragte dieser.

Der blonde Junge nickte leicht und der Lehrer zog wieder weiter. Keiner, außer mir, schien über diese Verhalten irgendwie verwundert.

“Tut mir Leid, wenn ich dir Angst gemacht habe.”, sagte mein Nachbar, nachdem er sich wieder gesammelt hatte. “Ich hab eine Absence-Epilepsie und da passiert das manchmal.”

“Ach so...”, meinte ich, unschlüssig wie man darauf normalerweise reagieren sollte.

“Willst du die Lösung noch eintragen?”, füge ich noch hinzu bevor eine peinliche Stille entstehen konnte.

Darüber musste er zwar leicht lachen, schrieb die Antwort dennoch ein.

“Ich bin übrigens Kilian”, offenbarte er.

“Alexis”, antwortete ich.

Den Rest des Blattes füllten wir, dann doch noch zusammen aus.

Nach der Stunde war Mittagspause und naiv wie ich war, setzte ich mich während des Essens zu Kilian. Ich hatte keine feste Gruppe mit der ich sonst aß und wir verstanden uns gerade ganz gut. Er war scheinbar genauso Astronomie affin wie ich.

Dennoch war es naiv zu glauben, dass er niemanden sonst hatte mit dem er essen wollte. Leider fiel es mir erst auf,als die besagte Person am Tisch stand und mich mit ihren Blicken durchlöcherte. Es war ein anderer Junge, der mir schon ein paar mal wegen seiner rosa-gefärbten Haare im Gang aufgefallen war. Wenn ich mich nicht irrte war er ein Senior, also eine Klassenstufe über uns. Er trug eine schwarze Jeans, hohe Stiefel mit einem Plateauabsatz, ein schwarzes T-shirt, darüber ein Kimono-Oberteil mit allerhand astrologischen Symbolen darauf. Gekrönt wurde das Outfit von einem schwarzen Hut mit breiter Krempe und unmengen an Schmuck.

Kurz gesagt, sah er aus wie eine modernisierte Darstellung eines klischeehaften Jahrmarkt-Orakels.

“Hey, Newy!”, grüßte Kilian.

Er bekam einen vorwurfsvollen Blick und ein genervtes “Hi” zurück.

Newy klatschte erst sein Tablett und dann sein Rucksack lieblos auf den Tisch.

Man hörte es im Rucksack rumoren und als ihn öffnete, verstand ich auch warum.

Eine hellbraune Katze mit leuchtend gelben Augen sprang heraus und fauchte ihn an.

“Ja,ja...” Newy schnippte in die Richtung der Katze, woraufhin sie sich umdrehte, zu Kilian auf den Schoß hüpfte und sich dort hinlegte.

Mir entwich ein nervöses Lachen. In welcher surrealen Parallelwelt bin ich soeben gelandet?

Newy drehte sich wegen des Lachens zu mir um und fragte gereizt: “Was?”

Mein Kopf suchte und suchte, aber fand einfach keine Antwort, die gut beschrieb was genau gerade mein Problem war.

“Ich hab mich gewundert, warum die Katze nicht schwarz ist...”, haute ich schließlich raus.

Newy verzog das Gesicht . “Was für eine dumme Frage... Warum bist du blond und nicht brünett?” Er seufzte und stocherte unmotiviert in seinem Essen.

Kilian schnitt das Schnitzel auf seinem Teller in kleine Stückchen und begann sie nach und nach an die Katze zu verfüttern.

“Hör auf ihn zu füttern! Er ist ein fauler Sack!”, empörte sich Newy erneut.

Kilian sah ihn nur an und reichte das nächste Stück nach unten.

“Klar, mach weiter! Meine ganze Erziehung für den Arsch.”

Ich habe mich selten so fehl am Platz gefühlt. Also aß ich schnell eine mehr symbolische Menge, damit meine Flucht nicht so auffällig war und verschwand.



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Kommentare zu diesem Kapitel (1)

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Von:  Verzockt
2019-09-02T18:41:57+00:00 02.09.2019 20:41
Liest sich sehr flüssig und der Einsatz der Epilepsie fand ich echt gut. Da viele sowas nicht kennen bzw nicht verstehen. Trotz dessen dass sich manchmal Tagebücher schwer lesen fand ich deine Geschichte so gut das ich obwohl ich nur den Anfang lesen wollte, doch weiter gelesen habe.
Dein Schreibstil mag ich, hat einen Ironischen Hauch :)
Antwort von:  SpacePirate
03.09.2019 18:48
Vielen Dank für deine lieben Worte! Ich weiß es wirklich zu schätzen!
Ich arbeite zurzeit an einem Remake der Geschichte, damit sie nicht so unvollständig stehen bleibt, aber ich etwas zufriedener mit ihr werde.


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