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Dem Wind versprochen

von

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One Shot

Der Himmel über Loguetown war farbloser und verwaschener als alles, was er in der Neuen Welt gesehen hatte. Zwischen all dem Grau konnte er nicht erkennen, ob es schlicht Wolken waren, die das Blau vor seinen Augen versteckten, oder ob der Himmel sich einfach dem Anlass angepasst hatte. Luffy fand es trotzdem besser als das Wetter auf der letzten Insel, die sie gemeinsam bereist hatten, denn auf dieser ersten Herbstinsel, auf der sie an Land gegangen waren, hatte es nur geregnet, die ganze Zeit, und das war ihm wirklich tierisch auf die Nerven gegangen. Er war zufrieden, solange es trocken war und er mit seinen Sandalen nicht durch Pfützen laufen musste. Außerdem hatte er bei seinem ersten Besuch in der Stadt bereits gutes Wetter gehabt, zumindest teilweise.

Damals, vor so schier unendlich langer Zeit, als er das erste Mal nach Loguetown gekommen war. In die Stadt, in der alles begonnen und alles geendet hatte.

Aber eigentlich war ihm auch egal, ob die Sonne nun schien oder nicht. Schließlich hatte Luffy sich nie Gedanken darüber gemacht, wie der Himmel aussehen sollte, während er seinen letzten Marsch in Richtung Galgen lief. Wobei, Galgen? Quatsch, Schafott war das Wort, das er gesucht hatte, denn Loguetown kannte nur Hinrichtung durch Enthauptung. Erhängen ließ sich ein Gummimensch auch schlecht.

Luffy lächelte, als er das Schafott inmitten des großen Platzes aufragen sah, als wollte es bis in den Himmel greifen und die Götter von ihrem Thron stoßen. Dabei gab es da oben gar keine Götter, das hatte er selbst gesehen. Der Anblick hatte etwas Vertrautes, etwas Beruhigendes. Er hatte bereits auf der Plattform gestanden, auf denselben Holzbrettern wie Roger einst auch, und schon damals hatte er für eine kurze Zeit mit seinem Leben abgeschlossen. Es schien ihm nicht schwer, das erneut zu machen, vor allem weil er mittlerweile so viel mehr erlebt und gesehen hatte. Er durfte nur Nami nicht sagen, dass er es eigentlich gar nicht so beängstigend fand, seinem eigenen Tod entgegenzulaufen, sonst verpasste sie ihm wieder einen Schlag auf den Hinterkopf.

Wie auch kurz bevor sie ihn gefasst hatten, obwohl er wirklich nicht mehr wusste, wie das eigentlich geschehen war. Nami hätte bestimmt behauptet, dass er wieder einmal nicht zugehört und sich deswegen in mehr Schwierigkeiten begeben hatte, als notwendig gewesen wäre, aber das wollte er nicht glauben. Egal, wie schlimm es aussah, irgendwie kam er immer ungeschoren davon. Seit er bei seinem letzten Besuch in Loguetown mit dem Leben davongekommen war, war Luffy fast schon davon ausgegangen, dass er nicht sterben konnte. Er würde schließlich der König der Piraten werden, da wäre es nicht verwunderlich, wenn er dazu noch unsterblich wäre.

Unsterblichkeit. Das Wort gefiel ihm, denn das bedeutete, dass sich alle noch kommenden Generationen an das erinnern würden, was er vollbracht hatte. Er wäre die neue Legende der Neuen Welt, der Mann, der das One Piece gefunden hatte. Aber wenn er nicht sterben konnte, würde er niemals die Menschen wiedersehen können, die ihm am meisten bedeuteten, also vielleicht war es doch besser, wenn er diesmal auf dem Schafott starb wie jeder andere Mensch auch.

Die riesige Menschenmenge auf dem Platz wusste nichts von seinen Gedanken. Alles, was die vielen Schaulustigen sahen, war ein junger Mann, der mit neugierigem Blick und ohne Zögern in seinem Schritt auf seinen Tod zulief. Luffy fragte sich, wie viele Menschen überhaupt gekommen waren, um ihn sterben zu sehen. Waren es mehr als damals bei Roger? Immerhin war sein Kopfgeld mittlerweile schon verdammt hoch, da würde es ihn nicht wundern. Wenn er es genau wüsste, könnte er im Jenseits vielleicht damit angeben.

Er lachte leise und nahm aus dem Augenwinkel wahr, wie einer der Soldaten, der ihn eskortierte, zusammenzuckte. Obwohl mehr Leute sich in Richtung Schafott drängten, als der Platz überhaupt fassen konnte, spaltete sich die Menge vor ihm dennoch, als hätte Zoro sie mit seinem Schwert in zwei Hälften geteilt. Ob nun wegen der vielen Soldaten, die ihn umringten, oder ob tatsächlich aus Angst und Ehrfurcht vor ihm wusste er nicht, aber er gluckste dennoch glücklich.

Ein paar andere Soldaten zogen die Schultern hoch, als würde ihnen das Geräusch, so fremd und unpassend in der jetzigen Situation, einen Schauer über den Rücken jagen. Nur Coby warf ihm einen beinahe amüsierten Blick zu und wirkte zumindest äußerlich sehr viel beherrschter, als er sich vermutlich fühlte. Luffy freute sich, ihn noch einmal zu sehen, bevor er starb. Mittlerweile war Coby weiter in den Rängen der Marine aufgestiegen und besaß wohl jetzt so viel Einfluss, dass ihm sein Wunsch, Luffy zum Schafott zu eskortieren, erfüllt worden war. Von Marinerängen hatte er nach wie vor keine Ahnung, aber er glaubte, dass Coby zumindest noch unter seinem Großvater arbeitete. Aber wer wusste schon, wie lange das noch der Fall sein würde? Der Admiralstitel wartete schließlich auf seinen Freund, und Luffy wusste, dass er irgendwann einen hervorragenden Admiral abgegeben würde, besser und gütiger als alle anderen Admirale, denen er begegnet war.

Luffy lachte wieder und grinste Coby dann solange schief an, bis dieser die Geste zaghaft erwiderte und danach wieder stur nach vorne sah.

Als er sah, wie Coby schluckte, folgte Luffy seinem Blick. Die Menge war so sehr zur Seite gewichen, dass er problemlos bis zum Schafott sehen konnte, doch er hätte auch über ihre Köpfe hinweg sehen können, wer dort am Fuße des Schafotts auf ihn wartete. Der Ausdruck in Garps Augen verriet nicht im Geringsten, wie er sich dabei fühlte, einem weiteren seiner Enkel dabei zuzusehen, wie er seinen letzten Atemzug tat, aber das Ziehen in Luffys Magengrube war Antwort genug.

Anstatt seinem Großvater ins Gesicht zu sehen, ließ er den Blick schweifen. Er wusste, dass seine Crew in der Menge untergetaucht war, immerhin hatte er feuerrotes Haar gesehen, Zigarettenqualm gerochen, und gehört, wie eine sehr lange Lügennase und eine blaue Stupsnase geräuschvoll schnieften. Luffy hatte sogar geglaubt, Law zu sehen, der vermutlich jederzeit dazu bereit war, ihn mit seinen Teufelskräften aus diesem letzten Schlamassel zu retten.

Endlich fanden seine Augen Zoro, der zugleich ruhiger und angespannter wirkte als die anderen. Er nickte Luffy zu, knapp und beherrscht, so als würde er nur auf seinen Befehl warten, alles in Schutt und Asche zu legen und seinen Kapitän zu retten, wie er es am Ende des Tages fast immer tat.

Aber Luffy dachte nicht daran, ihm diesen Befehl zu geben, keinem von ihnen. Er brauchte ihre Hilfe auch nicht, denn man hatte ihm nicht einmal Fesseln aus Seestein angelegt, sondern welche aus ganz gewöhnlichem Metall. Luffy dachte nicht daran, vor seinem Ende davonzurennen, sondern hing stattdessen Erinnerungen nach. Er und seine Kameraden hatten so viel erlebt. Sie hatten die stürmischsten Seen der Neuen Welt befahren, hatten unermessliche Schätze gefunden und gegen schier unbesiegbare Gegner gewonnen. Sie hatten den Himmel gestürmt und waren in die Tiefen des Meeres getaucht. Sie hatten falsche Götter gestürzt und Legenden geschrieben. Die ganze Welt hatte vor ihnen gelegen und darauf gewartet, dass sie ihre Träume wahr werden ließen.

Alle waren hier. Seine Crew, seine Verbündeten, der Rest seiner Familie. Sogar Sabo hatte er ausfindig machen können, als er den Platz betreten hatte. Wobei er viel mehr die unruhige Wärme gespürt hatte, die aus einer Seitengasse gesickert war, als dass er ihn wirklich gesehen hatte. Wunderte ihn aber nicht, ihn hier zu sehen, denn Sabo wollte bestimmt nicht auch noch seinen zweiten Bruder verlieren.

Brüder. Das nächste Lachen blieb Luffy im Hals stecken.

In diesem Moment waren nicht die wichtig, die mit ihm hier waren, sondern diejenigen, die es nicht sein konnten. Luffy nahm das Stechen in seiner Brust mit der Art von Gleichmut hin, die einen nur dann heimsuchte, wenn man einen Schmerz nicht mehr loswerden konnte. Er dachte häufig an Ace, meist dann, wenn er auf dem Kopf der Thousand Sunny saß und in die Ferne starrte, und auch wenn er nur an die schönen Dinge zurückdachte, tat es dennoch immer ein bisschen weh.

Ace war der Grund gewesen, aus dem er ohne Furcht nach vorne hatte gehen können, weil er immer gedacht hatte, dass sie im Alter denselben Weg entlangschreiten würden, auch wenn sie in ihrer Jugend verschiedene Richtungen eingeschlagen hatten. Luffy hatte die Anwesenheit seines großen Bruders immer als selbstverständlich hingenommen, mit dem unerschütterlichen Glauben an die Lüge, dass auch Ace unsterblich war, genau wie er selbst. Und dann war Ace gestorben, in seinen Armen, mit einem Lächeln auf den Lippen und einer Mahnung an Luffy, sein Leben nicht auf die leichte Schulter zu nehmen.

Luffy hatte Ace geliebt, wie man sonst nur sein eigenes Blut liebte, und genau deshalb hatte es ihn umso mehr getroffen, ihn von dieser Welt gehen zu sehen.

Aber er hatte noch ein anderes Vorbild, jemanden, der bereits vor Ace in sein Leben getreten war. Das Versprechen, das er Shanks vor langer Zeit gegeben hatte, war älter als alle anderen, die er je leichtfertig ausgesprochen hatte. Luffy hatte immer so werden wollen wie Shanks, genauso furchtlos und großartig und mit einer Crew, die sich viel mehr wie eine Familie anfühlte. Shanks war die Figur, der er seit Beginn seiner Reise nachjagte, der eigentliche Grund dafür, dass er überhaupt in See gestochen war. Der Strohhut auf seinem Kopf war eine konstante Erinnerung daran, dass er sein Ziel noch nicht erreicht und sein Versprechen noch nicht eingelöst hatte.

Mit einem Mal frischte der Wind auf und wehte ihm den Strohhut so gewaltsam vom Kopf, dass nur das Band um seinen Hals ihn davor bewahrte, in die Luft getragen zu werden. Luffy spürte die Sonne wie eine warme Hand auf seinem Kopf, obwohl der Himmel immer noch von grauen Wolken verdeckt wurde.

Stimmt ja. Er konnte jetzt noch nicht sterben.

Eine warme Brise umwehte ihn. Für einen Moment fühlte es sich so an, als würden lange Finger durch seine Haare fahren, ehe der Wind ihm etwas ins Ohr flüsterte.

›Du musst noch eine Weile warten, bis wir uns wiedersehen, Kleiner.‹ Das Lachen des Windes klang wie eine der Kindheitserinnerungen, die ihm das Herz nicht schwer werden ließ. ›Du bist hier nur dann willkommen, wenn du mir als König unter die Augen trittst.‹

Ein breites Grinsen stahl sich auf seine Lippen. Natürlich, er hatte völlig recht; Luffy stand es gar nicht zu, Ace jetzt schon wiederzusehen, nicht wenn er noch nicht alles erreicht hatte, was er sich vorgenommen hatte. Zwischen ihm und dem One Piece lagen noch so viele Inseln, Gegner und Gefahren. Was dachte er sich eigentlich dabei, jetzt schon zu gehen, wenn Ace sein Leben dafür gegeben hatte, dass er seine Ziele erreichen konnte?

Kurz schloss Luffy die Augen, konzentrierte sich auf die Wärme in seinem Rücken, die er nur ganz selten spürte, und versuchte, das Gefühl so lange wie möglich festzuhalten. Dann lachte er, laut und ungehalten und aus voller Kehle. Er achtete nicht darauf, wie Coby fast Tränen in die Augen stiegen oder wie Garp zufrieden grinste, als er endlich seine Fesseln sprengte und einen erwartungsvollen Blick in die Menge warf, um seiner Crew zu signalisieren, dass sie jetzt aus Loguetown verschwinden würden.

Bevor die Soldaten und Schaulustigen um ihn herum in Panik ausbrachen, horchte Luffy noch ein letztes Mal angestrengt auf das Flüstern des Windes, konnte aber nichts mehr hören. Musste er aber auch nicht. Dann setzte er sich seinen Strohhut wieder fest auf den Kopf und rannte los, Richtung Hafen. Monkey D. Luffy würde an diesem Tag nicht sterben. Das konnte er erst dann, wenn er das One Piece gefunden hatte und zum König der Piraten geworden war, damit Ace auch stolz auf ihn sein konnte, wenn sie sich endlich wiedersahen.



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Kommentare zu diesem Kapitel (1)

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Bitte keine Beleidigungen oder Flames! Falls Ihr Kritik habt, formuliert sie bitte konstruktiv.
Von:  ShaSha
2019-03-13T06:54:12+00:00 13.03.2019 07:54
ICH LIEBE DICH. T3T
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over & out
Antwort von:  Schangia
13.03.2019 10:49
♥♥♥


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