Zum Inhalt der Seite

Noch einmal mit Gefühl

[Itachi x Ino | Sasuke x Sakura | modern AU]
von

.
.
.
.
.
.
.
.
.
.

Seite 1 / 1   Schriftgröße:   [xx]   [xx]   [xx]

Startfeld


 

.

.

 

 

Los Angeles, Kalifornien; 9 Jahre zuvor

 

»Na, alles klar für deine große Begegnung mit Benedido Cumberbumber?«

Ino nahm ihre Autoschlüssel im Vorbeigehen von der Küchentheke und warf ihrer Mitbewohnerin, die über die Sofalehne gebeugt spitzbübisch grinste, einen bösen Blick zu. »Manchmal hasse ich dich, Miley. Einmal, okay? Ich hab ihn nur einmal so genannt. Das ist nicht so einfach, wenn die Hälfte aller notwendigen Silben nicht in deiner verflixten Muttersprache vorhanden ist.«

»Ana kommt aus dem Iran und hat’s auch beim ersten Mal geschafft.«

»Klappe!« Ino warf einen Flipflop in Mileys vage Richtung. Ein anklagender Finger folgte. »Ihr werdet noch um mein Wohlwollen winseln, wenn ich erst einmal berühmt bin!«

»Sicher, wenn du uns ein Date mit Johnny Depp klarmachst«, meinte Ana. Sie knipste ein Foto mit ihrem Smartphone. »Damit wir immer den Tag in Erinnerung haben, an dem unsere kleine Ino ein großer Star wird. Soll ich’s gleich an die Presse verschicken oder erst in Gold einrahmen?«

Ino brummte leise. »Warum wohne ich nochmal mit euch zusammen?«

»Weil du dir alleine die Miete nicht leisten kannst«, summten die beiden im Chor und brachen in tragisches Gelächter aus. Miley sang abends in einer Pianobar und Ana war eine grenzwertig politisch inkorrekte Kabarettistin, die ihre Witze gerne über Frauen am Steuer und Steinigung machte. Niemand von ihnen konnte sich die Miete auch nur im Ansatz alleine leisten. Bis jetzt zumindest.

Denn Ino brach zu Größerem auf. Sie hatte alles in Japan zurückgelassen für diese Nebenrolle, hatte jedes Risiko in Kauf genommen, um eine alkoholkranke Autostopperin auf der Suche nach sich selbst zu spielen. Sie kannte das Drehbuch, hatte seit ihrer Ankunft in Los Angeles vor vier Monaten nur aufgehört zu üben, wenn sie ein aufregendes Foto oder ihren Status twitterte, um ihre Fans bei Laune zu halten, während diese auf den angekündigten Blockbuster mit ihr warteten.

»Viel Glück!«, riefen ihr Ana und Miley hinterher, als Ino die Tür öffnete und ihre Sonnenbrille aufsetzte. Sie warf ihnen eine Kusshand über die Schulter zu. Es hatte einige Wochen gedauert, bis sie sich an die freundschaftlichen Neckereien gewöhnt hatte.

Als Ino an diesem Morgen in Shorts und Sandalen auf Los Angeles‘ heiße Straßen trat, war sie sich sicher, dass We remember you ein Kinohit werden würde. Ein Jahr später sollte sie rechtbehalten.

Sie hatte es geschafft. Von hier an konnte es nur bergauf gehen.

 

 

 

—Tokio, Japan; Gegenwart
 

Mäßig beeindruckt sah Ino das Hochhaus hinauf. Die Strahlen der kühlen Herbstsonne brachen sich in den sauberen Glasfenstern und kreierten mit etwas Fantasie einen fast schon übersinnlichen Halo um die Fassade. Als sie das erste Mal davorgestanden hatte, war es ihr bestimmt so vorgekommen und sie hatte ehrfürchtig auf den großen Schriftzug gestarrt, der sich über die obersten drei Etagen einmal um den quadratischen Koloss zogen.

Sakiyama N.S.P. Talent Agency stand dort gut leserlich, so wie vor elf Jahren, als sie das riesige Foyer zum ersten Mal betreten hatte. Auch heute standen zwei junge Mädchen, vermutlich noch in der Oberschule, mit zitternden Knien davor und deuteten ehrfürchtig nach oben. Von ihrem Platz auf der Sitzbank gegenüber beobachtete Ino sie eine Weile. Beide waren hübsch, schlank und niedlich. Sie würden schon einen Platz dort finden, wenn sie den Mut hatten, hineinzugehen.

Nach einer Weile stand Ino auf, schulterte ihre Designerhandtasche und schob ihre Sonnenbrille über ihre Stirn hinauf, als sie nach so vielen Jahren erneut das riesige Foyer betrat.

Innen hatte sich mehr verändert. Die Möbel im Wartebereich waren ersetzt worden, es gab neue Teppiche und die Empfangsdame war neu. Ino nannte ihren Namen und verlangte Mabuchi Akane zu sprechen. Die Dame bat sie, sich zu setzen, suchte in ihrem Computer herum und telefonierte eine Weile. Fast eine viertel Stunde später kündigte ein sanftes Pling das Ankommen des Fahrstuhls an und kurz darauf entließen die metallenen Türen eine Frau mit kurzen Haaren und Klemmbrett.

»Yamanaka Ino«, sagte sie, jeder Schritt ein Klackern unter ihren Pumps aus dunkelblauem Lackleder. »Ich hätte niemals im Leben gedacht, dass du den Mumm hast, mir nochmal unter die Augen zu treten.«

»Mabuchi. Und ich hätte geglaubt, Sie wären längst in Rente, und doch sind wir beide hier.«

Mabuchi verschränkte die Arme über ihrem Klemmbrett. »Ich sehe schon, Amerika hat dich nicht gerade höflicher gemacht. Schockierend. Was kann ich für dich tun?«

Unwillkürlich verfestigte sich Inos Griff um die Henkel ihrer Handtasche. Sie hatte ganz vergessen, dass ihre frühere Agentin immer schnell zum Punkt kam. Verdrängt, besser gesagt. Es war ihr Talent, sich nicht über Dinge Gedanken zu machen, die etwas weiter als fünf Minuten in der Zukunft lagen. Darum stand sie hier, im Foyer ihrer alten Agentur, und sagte: »Ich möchte mit Ihnen reden. In Ihrem Büro, wenn’s geht.«

Fast schon hatte Ino damit gerechnet, dass Mabuchi in schallendes Gelächter ausbrechen würde. Doch die strenge Frau studierte ihr Klemmbrett intensiv, machte ein paar Notizen und nickte in Richtung Aufzug.

»Ich kann dir zehn Minuten geben. Sie da«, sagte sie an die Empfangsdame gewandt und schnippte mit den Fingern, als ihr der Name nicht einfiel, »wenn die Horde Mädchen kommt, die ich herbestellt habe, rufen Sie meinen Assistenten an. Er soll sie rumführen und beschäftigen, bis ich wiederkomme.«

»Sehr gerne, Mabuchi-san.«

Die Fahrt in den achtundvierzigsten Stock war so wie alle Fahrten in Aufzügen, nur zehnmal schlimmer. Im gebürsteten Stahl der Innentüren sah Ino den verzerrten Schatten ihrer Silhouette, die aufrecht stand und so tat, als würde sie nicht gerade zurück zu ihrer alten Agentur kriechen. Die gesamte Rückseite der Kabine war mit einem riesigen Spiegel ausgekleidet, damit berühmte Persönlichkeiten und solche, die es werden wollten, vor der Ankunft in der Agentur Haare und Make-up richten konnten. Vor Jahren hatte Ino das Dutzende Male pro Woche gemacht. Nun verbat sie sich strikt, sich umzudrehen. Sie wusste, wie sie aussah; hatte sich im Hotel mehrmals umentschieden, um das perfekte Outfit zu finden. Demütigung ertrug man besser in Prada.

Redete sie sich zumindest ein.

Mabuchi war noch nie eine gesprächige Person gewesen, wenn es nicht von ihr erwartet wurde. Auch jetzt wies sie Ino mit nicht mehr als einer Handbewegung einen Sessel vor ihrem grauen Schreibtisch zu und ließ sich selbst dahinter nieder. Der Bürosessel federte ihr leichtes Übergewicht mit einem kaum zu vernehmenden Laut ab, dann legte sie die Finger auf der Arbeitsfläche aufeinander und sah Ino abwartend an.

Sehr schön, dachte Ino grimmig. Sie prüfte ihre Gesichtsmuskeln auf eine selbstbewusste Mimik und überschlug die Beine. »Ich musste aus persönlichen Gründen nach Japan zurückkommen. Meine Agentur in Hollywood hat hier keine Kontakte und keinen Einfluss.« Es war nicht die Wahrheit, aber auch keine glatte Lüge.

»Du brauchst einen Job.«

»Ich möchte einen Job«, betonte Ino, als würde es einen Unterschied machen. »N.S.P. hat mich großgemacht. Ich kann mir nicht vorstellen, bei einer anderen Agentur unter Vertrag zu sein.«

»Das kann ich mir gut vorstellen. Wenige Agenturen nehmen alte Schauspielerinnen. Noch weniger nehmen alte Models.«

»Ich bin neunundzwanzig. Und ich habe Erfahrung. Sie können sich meine Filme und Fotos ansehen –«

»We remember you, Borderline, The Projection, wie hieß der letzte noch gleich?”

»Barrel for a thought

»Barrel for a thought, ja richtig«, wiederholte Mabuchi langsam. »Ich habe sie natürlich alle gesehen. Du bist gut, Yamanaka. Besser wahrscheinlich als drei Viertel der Leute, die täglich hier reinspazieren. Wir können dich schon irgendwo unterbringen. Aber du weißt sehr gut, dass Talent allein in dieser Industrie nicht reicht. Besonders nicht hier in Japan.«

Und wie sie das wusste. Trotzdem, »darüber wäre ich Ihnen sehr dankbar, Mabuchi-san.«

»Fein. Schick mir bis morgen Lebenslauf, Tapes und deine Fotomappe, dann werde ich sehen, was ich tun kann. Irgendwelche Rollen oder Themen, mit denen du ein moralisches Problem hast?«

Ino hatte mit den meisten Rollen oder Themen und mit Japans gesamter Filmindustrie ein Problem. Das war nur leider keine gute Antwort. »Nein. Ich habe allerdings eine Bedingung.« Sie machte eine kurze Pause. »Ich will meine Social Media Accounts selbst betreuen.«

Mabuchis Augenbraue wanderte skeptisch nach oben, als sie die Konsequenzen der Forderung evaluierte. Der Haken war klar. Sie würde keine Kontrolle darüber haben, was ihre neue alte Klientin nach außen tragen würde. Andererseits war Ino ein international bekanntes Gesicht, das der Agentur einen Haufen Geld bringen konnte. »Keine negativen Aussagen über die Agentur oder frühere, aktuelle oder potenzielle Auftraggeber.«

»Einverstanden.«

Erst draußen erlaubte Ino sich ein tiefes, langes und raues Raunen. Ihre Schultern sackten nach unten und ließen ihre Handtasche fast auf den aufgewärmten Asphalt fallen. Mit dem kleinen Finger erwischte sie die Schlaufe gerade noch rechtzeitig, balancierte ihre Bewegung mit einem Schritt nach vorne aus und stampfte mit dem anderen einmal kräftig auf den harten Untergrund. Nur weil viel zu viele Leute um sie herum waren, begann sie nicht zu schreien, sondern ballte ihren Ärger in einer Faust, die sie in ihrer Manteltasche versteckte.

Wie sie ihr Leben hasste! Aber irgendwo musste sie anfangen, und bevor sie sich an eine Supermarktkasse stellte oder Hostess wurde, gab sie sich lieber den gierigen Krallen dieser riesigen Agentur hin, die Models, Schauspielerinnen und Sängerinnen am laufenden Band fraß und wieder ausspuckte. Genau das hatte sie ihnen damals entgegengeschrien, als sie durch die großen Glastüren nach draußen Richtung USA marschiert war.

Was konnte schon schiefgehen?

 

 

 

Uchiha Itachi sah gut aus in Anzug und Krawatte, hatte er schon immer getan, der miese Angeber. Vielleicht war seine Variation an Kleidung deshalb so stark beschränkt. Ihn in etwas anderem als zumindest einem perfekt gebügelten Hemd zu sehen, war selbst für Sasuke ungewöhnlich bis irritierend, und die beiden waren immerhin im selben Elternhaus aufgewachsen. Auch heute machte Itachi eine souveräne, fast schon autoritäre Figur, als er vor der adrett gekleideten Menschenmenge eine zehnminütige Laudatio auf seinen Vater hielt.

Uchiha Fugaku und der Aufsichtsrat der UCHIHA Corp. hatten einen ganzen Universitätsflügel gespendet und wurden nun als Dank auf einer goldenen Plakette im Foyer verewigt. Der Bau hatte drei Jahre gedauert und ein pompöses Gebäude mit vier neuen Lehrsälen und einem Computerraum aus dem Boden gestampft. Die Gäste auf den Sitzplätzen waren geladen – Universitätspersonal, Politiker, Vertreter des Bauträgers, andere kleinere Investoren – dahinter drängten sich aufgeregte Studenten und andere Schaulustige um die Freiluftveranstaltung. Nichts davon störte oder behelligte Itachi auch nur ansatzweise. Er sprach seine Rede genauso, wie er sie dem Aufsichtsrat und Sasuke gestern probehalber vorgetragen hatte.

Die Lobrede endete, der Dekan der Universität war dran und nahm sich ebenfalls fast eine viertel Stunde Zeit, den Investoren in großen Worten zu danken. Am Ende teilte er sich eine übergroße Schere mit Fugaku und zerschnitt das rote Band, das vor den Eingangstoren des neuen Flügels drapiert worden war. Die Tore wurden von innen geöffnet, wo mehrere Angestellte in Hosenanzügen die hereinschwappende Menge teilten, um sie in kleineren Gruppen durch das fast fertige Bauwerk zu führen.

Sasuke ließ allen Gästen den Vorrang und schloss sich der letzten Gruppe an, in der sich auch die restlichen anwesenden Uchihas und der stolze Dekan eingefunden hatten. Halb interessiert lauschte er dem höflichen Geplauder, äußerte seine Laienmeinung über den besonders kunstfertig angelegten Treppenaufgang und wurde am Ende der Führung gemeinsam mit seiner Familie in einen zum Festsaal umfunktionierten Hörsaal geleitet.

»Imposant, ja wirklich!«, rief Mikoto begeistert aus. Sie hatte schon immer ein Faible für Kunst gehabt, insofern war es wenig verwunderlich, dass das moderne Glasmosaik, das dem Saal als Decke diente, sie in Verzückung geraten ließ. »Welcher Künstler hat das entworfen?«

Fugaku nannte einen Namen, denn natürlich war er über jedes noch so banale Detail dieses Bauvorhabens bestens informiert. Mit dem Zeigefinger nach oben gestreckt führte er seine Frau an der Schulter zu einer Stelle, von wo aus man das Mosaik noch besser betrachten konnte. Auf dem Weg sammelte er mehrere Interessierte ein, nicht wenige davon potenzielle Geschäftspartner oder Kunden.

»Was für eine Geldverschwendung«, murmelte Sasuke in sein Champagnerglas, das eine übereifrige Kellnerin ihm am Ende der Führung aufgedrängt hatte. Als würde jemand irgendetwas auf Wandgestaltung geben. Um das Geld hätten sie wahrscheinlich auch den gesamten Sportplatz erneuern können.

Aus den Augenwinkeln sah er Itachi an ihn herantreten. Gleich würde Sasuke belehren. Dieser Mensch war so berechenbar.

»So teuer war das nicht.« Und da war es auch schon. »Die Künstlerin gestaltet ihre Werke aus Altglas. Wir haben ihr zehntausend Yen für das Material gezahlt. Und eine Million für die Idee.«

»Ein Schnäppchen.« Noch weniger als die Informiertheit seines Vaters überraschte Sasuke die von Itachi. Sein Bruder war schon immer ein Streber gewesen, dessen Kopf die langweiligsten Fakten so mühelos und natürlich aufsaugte wie ein Schwamm. Er selbst hatte sich nicht nur oberflächlich mit dem Bauprojekt auseinandergesetzt. Die Gelder waren nicht über die UCHIHA Corp. geflossen, sondern stammten aus dem Privatkapital seines Vaters, Großonkels und mehreren entfernten Cousins. »Wenn sie so viel Geld für kaputte Glasflaschen ausgeben können, ist mir wenigstens klar, warum ich keine Teilfinanzierung übernehmen durfte.«

»Lass ihnen den Ruhm«, sagte Itachi. Er schob den Ärmel seines schwarzen Anzugs nach oben, um auf die Uhr zu sehen. Eine weibliche Stimme hinter ihm ließ ihn wieder aufsehen.

»Ich hab mir schon gedacht, dass du dich hier irgendwo rumtreibst, Sasuke – oder muss ich dich jetzt Uchiha-san nennen?«

Sasuke unterdrückte den Impuls, mit den Augen zu rollen. Seit er letztes Jahr einen möglichen Kunden wegen einer ähnlichen Geste verloren hatte, regulierte er seine emotionalen Reaktionen im professionellen Kontext streng. Stattdessen deutete er eine knappe Verbeugung an. »Tsunade-sama. Ich wusste nicht, dass Sie hier sind.«

»Dein Vater muss die Ex-Bürgermeisterin seiner Ex-Heimatstadt natürlich der Höflichkeit halber einladen. Normalerweise sage ich immer ebenso höflich ab, aber da ich heute zufällig in der Nähe war, dachte ich mir, ich schaue einen Sprung vorbei.« Sie tippte ihr Champagnerglas gegen seines und schwenkte bei Itachi ins Leere. »Wer hätte gedacht, dass man als Ex-Bürgermeisterin so viel weniger Zeit hat als im Amt?«

»Das Krankenhaus läuft gut, nehme ich an?«, fragte Itachi. Bei ihm war immer schwer zu sagen, ob er sich für etwas ehrlich interessierte oder nicht. Gemessen am Arbeitsinhalt der Frage wollte er es tatsächlich wissen. Tsunade tat ihm den Gefallen und Sasuke sah sich auf der Suche nach anderen Leuten um, die er alibihalber begrüßen musste.

»Acht Prozent Umsatzsteigerung im letzten Geschäftsjahr und Operationsbesteck ist so günstig wie noch nie. Ich kann nicht klagen. Man munkelt, ihr feilt gerade an einer neuen medizinischen Administrationssoftware?«

»Das ist Sasukes Projekt.« Itachi klopfte seinem Bruder leicht auf die Schultern.

»Wenn alles gut geht rollen wir Mitte nächstes Jahr aus«, übernahm Sasuke. »synCOM befindet sich noch in der Entwicklungsphase, aber sobald wir einen Prototyp haben, können Sie ihn gerne ausprobieren. Anwenderfeedback können wir immer brauchen.«

»Setzt mich auf die Liste. Es ist schon schwer genug, gutes Personal zu finden, da wäre eine funktionierende Software tatsächlich eine Errungenschaft. Apropos, wo ist eigentlich deine Frau?«

»Sakura arbeitet. Sie mag solche Veranstaltungen nicht sonderlich.«

Enttäuscht verzog Tsunade den Mund und leerte ihr Glas. »Zu schade. Richte ihr trotzdem schöne Grüße aus, ja?«

Das Gespräch stockte, wenig später verabschiedete Tsunade sich und Sasuke entschied sich ebenfalls für den Rückzug. Er war nur hier, damit sein Vater all seine Vorzeigesöhne beisammenhatte. Auf seiner Abschiedsrunde schüttelte er die Hände, die er zuvor übersehen hatte, ließ bei jedem eine kurz angebundene Floskel fallen und ließ sich erschöpft in die Ledersitze seines Autos sinken.

Nach drei Stunden kam er endlich dazu, seinen Posteingang zu überprüfen. Achtzehn unbeantwortete Mails, vier davon mit hoher Priorität, neun verpasste Anrufe. Und er hatte nur mehr zwanzig Minuten Zeit, um pünktlich zu seinem nächsten Meeting zu kommen.

Er parkte aus und trat aufs Gas. synCOM war sein erstes großes Projekt in der Firma. Die Marktchancen waren ideal, die Konkurrenz lahmte in diesem Sektor und sie waren noch keinen einzigen Tag in Verzug. Diese Software würde ein Erfolg werden, musste ein Erfolg werden. Sonst würde das sein letztes Projekt in diesem verdammten Familienunternehmen sein.

 
 


 

Vier Tage später klingelte Inos Smartphone. Ein Model fiel wegen einem Haushaltsunfall aus, es wurde kurzfristiger Ersatz gebraucht. 60,000 Yen dafür, einen Tag lang mit verschiedenen Modellen von Regenponchos im künstlichen Regen zu stehen. Das Gehalt war doppelt so hoch wie üblich und Ino musste zuerst die Währung umrechnen, bevor sie entschieden ablehnte. Fünfhundert Dollar für einen ganzen Tag? Das war ein Zehntel ihres normalen Tagessatzes. Sie war keine Anfängerin.

Den Rest des angebrochenen Tages verbrachte sie mit Kalkulationen. Mathematik war nie ihre Stärke gewesen, insofern mühte sie sich bis zum Heulkrampf damit ab, ihre Lebenserhaltungskosten hochzurechnen und mit ihrem Ersparten abzugleichen.

Sie war alles andere als arm. Obwohl sie manche Monate bis zu 50,000 Dollar verdient hatte – vor Steuern, aber trotzdem – waren ihre Fixkosten recht flach geblieben. Die meisten Designerstücke hatte sie Sponsoren zu verdanken oder nach erfolgreichen Fotoshootings angesammelt. Leute schenkten ihr gerne Dinge, wie sie bald festgestellt hatte. Sie hatte einiges an Kapital angesammelt. Für eine Stadt wie Tokio würde es ein gutes Jahr reichen, bis sie sich wirklich Sorgen machen musste. Bis dahin würde ihr schon etwas einfallen. Zu allererst brauchte sie Wohnung. Und schnelleres Internet.

Fünf Stunden später realisierte sie in einem nahen Coffeeshop, dass eine Wohnung in einer der dichtest besiedelten Städte der Welt zu finden nicht ganz so einfach war wie gedacht. Eine Wohngemeinschaft kam bei den beengten Wohnverhältnissen nicht in Frage und sie wollte auch nicht ewig weit von der Innenstadt wegwohnen. Die Sache war diffizil. Und wie groß war nochmal eine Tatamimatte? Gerade als sie aufgab und ihren Kummer in dem niedlichsten Bubbletea ihres Lebens ertränkte, vibrierte ihr Smartphone am Tisch.

»Sakura«, hob sie ab. »So ein Zufall, ich hab gerade an dich gedacht.«

»Ich bin ja auch deine einzige Freundin hier.«

»Punkt für dich. Wird schon noch, ich hab immerhin ein liebreizendes Wesen und hör auf zu schnauben!« Sie hörte Sakura verhalten lachen und streckte ihr hörbar die Zunge raus. »Ich brauche trotzdem deine Hilfe. Kennst du dich mit Immobilien aus?«

Sakura zögerte. »Nicht wirklich.«

»Egal. Ich hab mir vorhin ein paar Besichtigungstermine ausgemacht und brauche ein Paar rein-japanische Augen, die mir sagen, ob die Wohnungen das Geld wert sind. Bitte, ich hab doch keine Ahnung von den Wohnungsstandards hier!«

»Da ruft man dich einmal an …«, seufzte Sakura. »Wie viele Gefallen schuldest du mir schon?«

»Zu viele, hör auf zu zählen«, befahl Ino und klappte ihren Laptop zu. »Der erste Termin ist in einer Stunde in Shibuya.«

»Also schön, aber du musst mich vom Büro abholen und mir den extravagantesten Caramelloccino mitbringen, den diese Welt jemals gesehen hat. Und wir nehmen Sarada mit.«

»Kein Problem. Wie lange brauch ich von Tamachi zu dir?«

Sakura sagte zwanzig Minuten, aber es wurde fast eine Stunde. In Los Angeles hatte jeder sein eigenes Auto, die Straßen waren daher zwar überfüllt, aber wenigstens hatte man um sich herum ein bisschen Freiraum gehabt. Mit der Bahn in Tokio zu fahren war eine Erinnerung, die Ino gerne nicht wiedererlebt hätte. Schon gar nicht in der Stoßzeit. Die ganze zwanzigminütige Fahrt war sie zwischen Anzügen und Aktentaschen eingeklemmt und fluchte tonlos vor sich hin. Nur weil sie enorm viel Übung hatte, schaffte sie es, einen Schnappschuss von sich zu ergattern, den sie twitterte, sobald sie am Bahnsteig etwas Luft hatte.

Fünfter Tag zurück in Tokio. Hab die menschliche Nähe der Stadt vermisst, tippte sie mit ihren manikürten Fingernägeln und nahm sich vor, spätestens nächste Woche die Nagellackfarbe zu wechseln. Laut ihrem Feed war Metallicblau längst wieder aus der Mode, Pastell war nun en vogue. Ihr sollte es recht sein.

Die UCHIHA Corp. war nicht schwer zu finden, selbst wenn Sakura ihr keine minuziöse Wegbeschreibung für die achthundert Meter vom Bahnhof gegen hätte. Es war ein imposantes Gebäude von etwa zwanzig Stockwerken im Herzen Shinjukus, mit einem weitläufigen Eingangsbereich und einem Kreis Kirschbäumen um einen flachen Zierbrunnen; ein überraschend kitschiges Arrangement für die Uchihas. Nicht, dass Ino das sonderlich gut beurteilen konnte. Seit Sasuke vor über fünfzehn Jahren mitsamt dem Sitz der UCHIHA Corp. von Konoha nach Tokio übersiedelt war, hatte sie kaum mehr vier Sätze mit ihm gesprochen. Nicht, dass Sasuke zuvor allzu gesprächig gewesen wäre.

Mit einer seichten Herbstbrise im Rücken betrat sie das Foyer, meldete sich an und setzte sich in den hell gestalteten Wartebereich. Die Empfangsdame hatte ihr versichert, dass Uchiha Sakura-sama sofort für sie da wäre, dennoch schickte Ino eine kurze Nachricht. Zehn Minuten!, war die knappe Antwort.

Bis dahin suchte Ino ihren Feed nach interessanteren Nachrichten als Nagellack ab – bei einer Recherche für eine Rolle hatte sie bestimmt irgendwann einmal was mit Politik oder Literatur abonniert – und sah kurz auf, als sich drei Männer mit Aktentaschen ihr gegenüber niederließen. Als wäre es das Normalste auf der Welt, verfielen sie in wirtschaftliches Kauderwelsch, bis einer einen verwunderten Ausruf äußerte.

»Oh! Sie sind Yamanaka Ino, oder?«

Ino sah auf, ein breites Lächeln auf dem Gesicht. »Ja. Ich bin überrascht, dass Sie mich kennen.«

»Meine Tochter hat ihr Zimmer mit Fotos von Ihnen tapeziert. Wir haben alle ihre Filme gesehen. The Projection war ein Meisterwerk, so melancholisch und trotzdem nüchtern. Wären Sie so freundlich …?« Er begann seine Aktentasche zu durchforsten und nickte dankbar, als Ino eine ihrer Autogrammkarten hochhielt. Ja, sie war eitel genug, um immer Autogrammkarten bei sich zu tragen.

»Wie heißt Ihre Tochter?«

»Futaba. Mit den Kanji für doppelt und Blatt.«

Sie überspielte ihre kurze Nachdenkphase mit der Suche nach einem besseren Stift, bis ihr die Kanji wieder einfielen. Es würde wohl etwas länger dauern, bis sich wieder komplett akklimatisiert hatte. Sie überreichte die Autogrammkarte mit beiden Händen und grinste.

»Futaba wird sich unglaublich freuen. Darf ich Sie vielleicht noch um ein Foto bitten? Sie da, würden Sie – ja, perfekt.« Er drückte der Empfangsdame sein Tablet in die Hand und stellte sich gemeinsam mit seinen Kollegen um Ino auf. Mit ihren hohen Schuhen überragte sie alle drei Männer um ein paar Zentimeter. Die drei standen kerzengerade neben ihr, sodass sie aus einer Laune heraus ihre Arme um die Schultern ihrer beiden Nebenmänner legte und sie näher an sich heranzog. Die überraschten Gesichtsausdrücke würden sich hervorragend auf dem ansonsten geordneten Foto machen.

»Sehr gut! Wollen Sie auch?«, fragte sie den dritten, den sie vorhin nicht erwischt hatte. »Kommen Sie, seien Sie nicht schüchtern.«

Die anderen klatschten dumpf in die Hände und versuchten ihren jüngsten Kollegen zu ermutigen.

Eine Stimme durchschnitt das Gelächter, stahlhart und nicht amüsiert.

»Kurosawa-san.«

Ino wandte den Kopf zur Seite, um zu sehen, wer unbedingt den Miesepeter spielen musste. Er war hochgewachsen, trug einen Anzug und hatte den strengsten Gesichtsausdruck, den sie jemals gesehen hatte. Auf seinem Revers war das Logo der Uchihas gestickt. Sie kannte ihn von irgendwo her.

»Entschuldigen Sie die Verspätung«, fuhr er fort. »Ich hoffe, meine Empfangsdamen haben Sie nicht allzu sehr belästigt.«

Der Angesprochene nahm seine Aktentasche auf und sammelte sein Smartphone wieder ein. »Ganz und gar nicht, Uchiha-san.«

»Gehen Sie doch schon einmal vor, ich stoße sofort zu Ihnen.« Mit einer Geste leitete er die Männer zum Aufzug. An Ino gewandt sagte er weit weniger höflich, »Fotos mit Gästen zu machen ist wohl kaum Teil Ihrer Stellenbeschreibung, …?«

»Yamanaka … Ino?«, fragte sie mehr als sie sagte. Erst als die Empfangsdame ihre Hand hob, fiel ihr auf, dass sich ihre blauen Blazer zum Verwechseln ähnlich sahen. Sie lachte. »Ich denke, die Herrschaften hatten sehr viel Spaß.«

»Uchiha-sama, wenn ich kurz –«, versuchte die Empfangsdame einzuwenden, wurde jedoch von einer weiteren Stimme unterbrochen.

»Itachi-san«, sagte Sakura verwundert über den Tumult. Über ihrer rechten Schulter hing eine riesige Tasche, auf dem rechten Arm balancierte sie ein kleines Mädchen, das einen Plüschsushi umklammert hielt. »Ino. Ich wusste gar nicht, dass ihr euch kennt.«

Itachi, ja richtig. Sasukes genialer großer Bruder. Ein paar Mal hatte er Sasuke von der Schule abgeholt, dabei hatte Ino ein paar kurze Blicke auf ihn werfen können. Schon damals hatte er verklemmt wie eine Schachtel Heftklammern ausgesehen. Und mindestens genauso heiß wie jetzt. Für einen Japaner wenigstens.

Amüsiert streckte Ino ihm ihre Hand entgegen. Er ergriff sie nur zögerlich. »Wie gesagt, Yamanaka Ino. Ich bin eine Freundin deiner Schwägerin. Und Sasukes ehemalige Klassenkollegin.«

»Ich verstehe. Entschuldigen Sie das Missverständnis, Yamanaka-san.«

»Alles gut. Ich für meinen Teil hatte sehr viel Spaß. Also, Sakura, können wir gehen? Der Makler wird nicht ewig warten. Hat mich gefreut, Itachi.« Im Aufzug zur Tiefparkgarage begann Ino breit zu grinsen. »Dein Schwager ist ein schräger Vogel.«

»Wem sagst du das«, meinte Sakura und visierte einen grünen SUV an, in dem sie die Tasche und ihre Tochter verstaute. »Wir nehmen Sarada mit. Sasuke arbeitete heute länger und der Betriebskindergarten hat nur bis sieben geöffnet.«

»Ihr habt einen Betriebskindergarten hier? Praktisch.«

»Wir haben einen Betriebskindergarten hier, seit ich unbedingt arbeiten gehen wollte und Sasuke dagegen war, Sarada in einen öffentlichen Kindergarten zu stecken. So, das hätten wir. Möchtest du Sushi-chan halten, ja? Hier.« Sie drückte ihrer Tochter das Plüschessen in die Hand und ließ sich in den Fahrersitz fallen. »Sie geht nirgendwo hin ohne das Teil. Ehrlich, manchmal verfluche ich Itachi für dieses Weihnachtsgeschenk. Wir haben Sushi-chan mal in einem Restaurant liegen lassen. Das Geschrei war unerträglich, nicht wahr, du kleiner Kreischer?«, fragte sie in Brabbelstimme in den Rückspiegel. Das kleine Mädchen am Rücksitz warf freudig die Arme in die Luft und Ino kam nicht umhin, zu kichern.

»Du scheinst dich gut als Mutter zu machen.«

»Irgendwie krieg ich’s hin«, sagte Sakura, während sie rückwärts ausparkte und ihre Mitarbeiterkarte gegen das Lesegerät der Schrankenanlage hielt. »Hoffen wir, dass ich als Wohnungskritikerin genauso viel tauge.«

Tat sie, wie Ino später feststellte. Schon nach drei Wohnungen hatte Ino eine wesentlich bessere Vorstellung und kehrte mit einer Einkaufstasche voller Maklerunterlagen ins Hotel zurück. Der Tag war gut gewesen. Nicht so gut wie in Los Angeles oder Toronto oder London, aber in Ordnung.

Irgendwie.

Sie hatte gelacht, gescherzt, war amüsiert gewesen. Doch nun, wo endlich niemand mehr hinsah, ließ sie ihre Mundwinkel fallen und erlaubte sich, schlaff mit dem Bauch nach unten auf das knarzende Bett zu fallen. Sie hatte gerade noch Kraft, ihr Smartphone heranzuziehen und ihren Browser aufzurufen, um Sushi zu bestellen. Die Hotelbar war unverschämt teuer und Saradas Plüschding hatte ihr unsäglichen Gusto auf Fisch gemacht. Ehe sie sich aktiv davon abhalten konnte, hatte ihr Daumen die meistbesuchte Seite ihres Browsers angeklickt und ihre Augen begannen zu brennen.

Ino Yamanaka ist ein internationales Model und Schauspielerin. Erste internationale Bekanntheit erlangte sie mit ihrer Nebenrolle im Drama We remember you, stand auf ihrer Wikipedia-Seite, die sie mittlerweile auswendig kannte. Ein Fan hatte sie kurz nach dem Kinostart ihres ersten Films angelegt, seitdem war sie immer wieder erweitert worden. Bis vor zwei Jahren, als keine Filme mehr dazugekommen waren, keine großen Kampagnen mehr, nur mehr ein paar inhaltslose Auftritte in Late Night Talkshows und dieser eine peinliche Abend in einer ungeahnt brutalen Spielshow.

Ino Yamanaka ist ein internationales Model und Schauspielerin. War sie das noch?

Ein Anruf besetzte den Bildschirm. Ihre Mutter.

Frustriert drückte sie den Anruf weg und steckte ihr Smartphone tief unter das Kissen der unbenutzten Doppelbetthälfte. Sie würde ihr Leben wieder in den Griff bekommen. Dann würde sie ihre Mutter zurückrufen.

Irgendwann.

Für den Moment war sie zurück am heimischen Startfeld. Von hier an konnte es nur besser werden, oder?

 
 

.

.
 



Fanfic-Anzeigeoptionen

Kommentare zu diesem Kapitel (2)

Kommentar schreiben
Bitte keine Beleidigungen oder Flames! Falls Ihr Kritik habt, formuliert sie bitte konstruktiv.
Von:  Annasche
2019-04-29T15:53:31+00:00 29.04.2019 17:53
Wie gesagt eim Guter Anfang. Es scheinen wohl auch ein paar Rückblenden aufzutauchen... Da bin ich gespannt drauf. Die jetzige war schön kurz gehalten, das mag ich ganz gerne so.

Ich mag deine Art zu schreiben wirklich sehr. Kein unnötiges füllen von belanglosen... Sehr angenehm zu lesen!

Bin gespannt, wie es weiter geht!
Von:  Kleines-Engelschen
2019-04-28T21:19:07+00:00 28.04.2019 23:19
ein tolles kapitel. ich finde es wahnsinnig gelungen wie du die einzelnen facetten der gedanken niedergeschrieben bekommst. freue mich auf das nächste!

greetz


Zurück