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Fassungslos

Mae & Kit
von

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2. Kit


 

Fassungslos

2

Kit
 

Beginne nie den ersten Tag in deinem neuen Job an einem Wochentag, der mit »M« beginnt, es sei denn, es handelt sich dabei um einen Mittwoch.

Schnaubend schüttele ich den Kopf. Warum mir gerade jetzt die Worte meiner Mutter einfallen, ist mir ein Rätsel, denn es ist Dienstag, mein erster Tag und somit habe ich den Montag ordnungsgemäß übersprungen.
 

Es ist kurz nach sieben Uhr am Morgen, als ich die Verandatür leise schließe und die kleine Pension verlasse, die die Einzige in dieser Stadt zu sein scheint, die es mit sichtlich Mühe auf die Landkarte schaffte. Der amerikanische Traum ist nicht gerade das, was ich mir verspreche, geschweige denn erhoffe, ihn mir zu erfüllen. Ich ziehe von Ort zu Ort, versuche den Leuten meine Hilfe aufzudrängen, auch, wenn diese noch nicht wissen, dass sie sie brauchen werden.

Man sagt mir nach, ich hätte nur Flausen unter dem gelockten, blonden Haar, doch mich zu verbiegen kommt nicht infrage. Ich werde vielleicht mit jedem Jahr älter, lege an Falten und Kilogramm zu, doch etwas an meiner Persönlichkeit ändern, käme einem verzweifelten Versuch gleich, der ohnehin zum Scheitern verurteilt wäre.
 

Die Luft ist vom gestrigen Tage noch immer aufgeheizt, denn nicht einmal der Nacht war es gelungen, uns ein wenig Abkühlung zu bringen. Meine Schritte lenken mich von der Lincoln Road auf die große Hauptstraße. Und viel mehr als ein paar Wege, die sich abzweigen, und eine überschaubare Anzahl an Läden, gibt es auch nicht zu sehen.

Ich bin erst seit ein paar Tagen an diesem Ort, an dem es nicht einmal eine Schule gibt. Das nötige Wissen wird den Kindern in der Nachbarstadt, etwa 24 Meilen nördlich von hier, vermittelt. Um Punkt sieben Uhr zehn scheuchen die Mütter ihre Kinder zur einzigen Haltestelle, denn den Luxus, die Kleinen von Zuhause abzuholen, gibt es offenbar nicht.

Gemüsehändler, Bäcker, Kirche, Kneipe und ein Rathaus begegnen mir auf meinem Weg zur Arbeit. Eine Eisdiele am Ende der Straße, das kleine Backsteingebäude, das dem Sheriff vorbehalten ist und ein Diner, das der Kneipe gegenüber liegt, folgen auf der anderen Straßenseite.

Ich biege nach rechts ab und erspähe bereits den großen plakatierten Aufsteller, der Wrights Motors beschreibt. Bisher sind mir nicht viele Autos ins Auge gefallen. Umso größer war die Überraschung, dass dieses Städtchen über eine Werkstatt verfügt. Das Fort- und Wegkommen scheint hier groß in Mode zu sein. Wer kann, verschwindet – und wer nicht über die finanziellen Mittel oder den nötigen Mut verfügt, versackt hier auf ewig.

Ein wenig bekümmert mich dieser Gedanke, lässt mir sogar mitleidig die Mundwinkel zucken, doch für das Schicksal anderer bin ich nicht verantwortlich. Ich reise, trampe, bin wie ein Blatt Papier.
 

Der Versuch, lässig und cool dem musternden Blick meiner neuen Kollegen standzuhalten, glückt mir. Jameson Wright, der Inhaber des Betriebes, klopft mir grinsend und voller Zuversicht auf die Schulter, ehe er mich mit seinen Mitarbeitern bekannt macht.

Der große, bullige Kerl, mit dem Blick eines Alligators, stellt sich mir als Bradfort Gallagher vor. Ich nicke ihm knapp zu, während Mister Wright mich mit seinen Söhnen Cole, der für die Buchhaltung verantwortlich ist, und Barry, eine schmächtige, schlaffe Gestalt mit Hornbrille, der gelangweilt auf einem Kaugummi herumkaut, bekannt macht. Er habe ein Nikotinproblem, versichert er mir später.

Der letzte im Bunde scheint der Entspannteste von dem Quartett zu sein. Er streckt mir die Hand entgegen, wirft den Zigarettenstummel, der ihm eben noch im Mundwinkel hing, auf den Boden und tritt diesen mit einem Ratschen aus.

»Bin Stewart, aber alle nennen mich Stewie«, nuschelt er, obwohl er sich bereits des Glimmstängels entledigt hatte.
 

Der Ton ist, wie nicht anders zu erwarten, rau und von Derbheit erfüllt. Das Radio plärrt den gesamten Tag, während es gelegentlich von tiefen Lachern unterbrochen wird.

Cole führt mich, nachdem Wright-Senior von mir ablässt, durch jeden Bereich, den diese Firma ausmacht:

Die kleine Werkstatt, der Dreh- und Angelpunkt, gefolgt vom Büro, das durch eine Nebentür erreichbar ist und wo der Jüngste der Wright-Brüder die Rechnungen schreibt und Bestellungen für Ersatzteile aufgibt. Eine weitere Tür, im hinteren Bereich des kleines Raumes, stellt sich als Waschraum heraus.

»Wir haben leider nicht immer genug zu tun«, erklärt Cole und tritt in den warmen Morgen hinaus, um mir den Rest des Geländes, das den Charme eines Hinterhofs besitzt, schmackhaft zu machen.

Verschlissene Reifen, Metallstangen, umgestürzte Fässer liegen auf dem sandigen Boden verstreut - und irgendwo kläfft ein Hund, während die heimischen Vögel einander jagen und um einen Krümel Brot streiten.

»Hier in Burbrook steppt der Bär, wirst schon sehen!« Stewart kommt, mit einem schiefen Grinsen auf den Lippen, auf uns zu. Er winkt mich zu sich und ich werfe einen kurzen Seitenblick auf Cole, der offenbar erleichtert ist, sich nicht länger um mich kümmern zu müssen. Schweigend zieht er sich in den kühleren Teil der Werkstatt zurück.
 

Den Vormittag über, spiele ich Stewarts Darreicher. Er wühlt sich durch den Motorraum des Cadillac Eldorado Biarritz und fragt gelegentlich nach ein paar Details zu meiner Person. Woher ich stamme und wie und warum ich, von allen Städtchen, ausgerechnet in Burbrook gelandet sei.

Mit einem Zucken der Schultern erkläre ich in nicht weniger beiläufigem Ton, dass es mich lang schon in die Fremde zieht, ich jedoch hart zu arbeiten bereit wäre und den Willen habe, keine Minute meines kurzen Lebens zu vergeuden und soviel mitzunehmen, und zu lernen, dass ich für fast jede Situation gewappnet bin.

Stewarts Lachen klingt seltsam metallisch, als er den Kopf hebt und mir den Maulschlüssel reicht, mit dem er soeben ein paar Schrauben justierte. Mit einem lauten Knall saust die tiefrote Motorhaube nach unten.

»Ein Allroundtalent also, ja?« Ich drehe mich um und erkenne den Kaugummi kauenden Barry. Er scheint mich nicht zu mögen, doch ich bin nicht hier, um Freunde zu finden. Ich will mir ein paar Dollar verdienen, damit ich weiterziehen kann.

»Und, was hast du so drauf? Ich meine, außer doof in der Gegend herumzustehen und dämlich zu glotzen?« Barry darf es sich offenbar erlauben, die Klappe aufzureißen und er gibt sich keine Mühe, höflich zu sein.

Wieder zuckte ich die Schultern. »Ich kann ein bisschen kochen, tapezieren. Ich habe auch mal auf dem Bau gearbeitet.«

»Was bedeutet, dass du, wenn die Hütte hier den nächsten Sturm nicht übersteht, uns getrost beim Wiederaufbau helfen kannst?«, fragt Stewart lachend, doch Barry mustert mich mit Vorsicht.

Mehr als irritiert zu nicken, gelingt mir nicht, da ich nicht vorhabe, auf das nächste Unwetter zu warten. Dass ich auch hier nicht reich werde, verriet mir bereits der erste Eindruck von Stadt und Leuten. Dennoch, den Mechanikern ein wenig über die Schulter zu spähen, wird mir nicht zum Schaden sein.
 

Die nächsten beiden Tage stehen unter keinem guten Stern. Es ist heiß und die Luft flirrt mit jedem Atemzug. Selten verirrt sich jemand in die Werkstatt, doch die Jungs sind froh darüber, ihre Kräfte zu schonen. Sie machen ihre Späße miteinander, mich beziehen sie nur selten mit ein.

Ich spüre nur zu deutlich, wie mir der Schweiß den Rücken hinabrinnt, während mein Blick konzentriert auf das Innenleben des Motors gerichtet ist. Der silberfarbene VW-Käfer, den Barry mir zum Knobeln zur Verfügung stellte, gibt keinen Mucks von sich. Ich solle mich um die Behebung dieses Mangels kümmern, doch vom Starren allein laufe das Wrack nicht, wie Bradfort unnötigerweise erklärte.

Dass der Ältere der Wright-Brüder darauf aus ist, mich zu triezen, entgeht nicht einmal dem Senior-Chef. Doch ich klage nicht. Und obschon ich nicht einmal weiß, wo ich mit der Arbeit beginnen soll, welche Klemme ich lösen oder welchen Hahn ich zu drehen habe, bleibe ich ruhig.

Dass mir jegliche Kenntnis fehlt, was die Reparatur eines Autos betrifft, amüsiert meine neuen Kollegen sehr. Erst am Abend, kurz, bevor die Werkstatt ihre Pforten schließt, und ich noch keinen Handschlag getan habe, tritt Stewart an mich heran.

»Du hast sicherlich bemerkt, dass Barry dich nur ein bisschen ärgern will«, sagt er, doch ich schweige und starre weiterhin ungerührt auf den Motorblock. »Boxermotor, hm? Schwierig, schwierig.«

Dass ich ihn mit Ignoranz abstrafe, hat Stewart nicht verdient. So löse ich die Anspannung in meinen Schultern und lasse sie, resigniert, gen Süden sinken.

»Mach' dir nichts draus, Christopher«, beginnt Stewart von Neuem.

»Kit«, gebe ich zähneknirschend zurück.

»Okay«, er hebt beschwichtigend die Hände. »Okay, Kit

Beim Klang der Kurzform meines Namens, höre ich ein Grinsen aus seinen Worten heraus.

»Das ist cool«, gibt Stewart unvermittelt zu, dann verstummt er für einen kurzen Augenblick, ehe er seine Stimme wiederfindet. »Pass' auf. Ich mache jetzt Feierabend, aber ich gebe dir einen guten Rat: Reinige die Zylinderköpfe. Barry geht nicht sonderlich pfleglich mit Rosie um.«

»Rosie?« Meine Augenbraue schnellt fragend, und nicht weniger skeptisch, empor, als ich knapp den Blick hebe.

Stewart lässt die Zunge schnalzen. »Rosemind. Ja, er hat das Auto nach seiner ersten Freundin benannt.«

»Scheint eine Liebe für die Ewigkeit zu sein«, spekuliere ich.

»Nein, mein Freund, ganz und gar nicht«, erklärt Stewart lachend. »Eine Liebe, die seit dem Kindergarten besteht und auch nur drei Tage hielt. Aber, er hasst sie. Das arme Mädchen.«

»Redest du von dem Auto?« Wieder richtet sich mein Fokus auf den Motor.

Schnaubend schüttelt Stewart den Kopf.

»Unerfüllt und niederschmetternd, nehme ich an?«, wage ich mich einen kleinen Schritt hinaus auf das Minenfeld.

»Man könnte meinen, du magst unseren Barry nicht.« Stewart verschränkt die Arme vor der Brust.

Mit meinen vorschnellen Worten mache ich mir keine Freunde, das weiß ich, deshalb sage ich: »Danke, für den Tipp.« Und spiele damit auf die kleine Hilfestellung seinerseits an.

Stewart zuckt mit den Schultern. »Und wenn du schon beim Putzen bist, reinige auch gleich den Innenraum des Wagens. Damit sammelst du vielleicht ein paar Punkte – wenn nicht bei Barry, dann zumindest beim Alten.«
 

Als Stewart den Hof verlässt, blicke ich vom Wagen zu dem Tor, durch das die Jungs in den späten Nachmittag verschwunden sind. Die Wrights wohnen nur eine kleine Querstraße von der Werkstatt entfernt, so viel habe ich bereits mitbekommen. Und sie kehren nicht selten in das kleine Diner ein, das mir auf dem Heimweg entgegenkommt. Doch weil ich nicht über die Mittel verfüge, mir teures Diner-Futter zu leisten, bleibe ich, wie ein Gefangener, bei altbewährtem Wasser und Brot, oder nehme nur unter größter Bescheidenheit das Essen Mrs. Shoemakers an.

»Du bist noch da?« Ich zucke kaum merklich zusammen, spähe über die Schulter und erkenne Cole, der die Tür zur Werkstatt verschließt. Der Jüngste der Brüder neigt den Kopf, ehe ihm ein schnaufender Laut entfährt. »Barry kann so ein Arschloch sein.«

Irritiert blinzle ich gegen die gefallenen Worte an. Mir ist durchaus bekannt, dass es zwischen Geschwistern zu gewissen Spannungen kommen kann, und das gegenseitige Frotzeln gehört hier zum guten Ton.

Knapp kratzt sich Cole an der Schläfe, da ich weder schockiert noch entrüstet reagiere. »Das gehört zu seinem Standardprogramm«, erklärt Cole. Es klingt beinahe, als wolle er sich für das Verhalten Barrys entschuldigen.

»Ich will euch keinen Ärger machen und Streit suche ich auch nicht«, entfährt es mir beinahe knurrend, da es mich frustriert, wie ein dummer Junge behandelt zu werden. Auch meine Geduld ist irgendwann erschöpft, obschon es nicht sonderlich klug war, nun auch Cole zu verprellen. Doch zu meiner Verwunderung scheint diesem mein kleiner Ausbruch nicht einmal aufgefallen zu sein.

»Unsere Auftragslage lässt seit geraumer Zeit ziemlich zu wünschen übrig.« Cole tritt neben mich, streckt die Hand aus und fährt mit den Fingern über den silbrig schimmernden, jedoch ziemlich verschmutzten Lack.

Dass die Zeiten schlecht sind, entgeht auch mir nicht. Dennoch ist mir bewusst, dass man mich als Last, vielleicht sogar Störenfried ansieht.

»Du willst etwas lernen?«, fragt Cole.

Schweigend nicke ich.

»Okay«, gibt er zurück und macht sich daran, die Ärmel des Hemds hochzukrempeln. »Gib den Jungs eine Chance, vor allem dem Großmaul, und meinem Bruder.«

Meine Reaktion, mich auf seine Worte hin im Hintergrund zu halten, scheint Cole zu amüsieren. Er beugt sich vor und lässt die Zunge schnalzen, ehe er den Blick über das Innere des Motorraumes schweifen lässt. »Die Zylinder, nehme ich an?«

»War Stewarts Meinung«, gebe ich wahrheitsgemäß zurück.

»Einer der wenigen mit eigener Meinung und ein wenig Verstand«, räumt Cole ein und bietet mir an, bei der Reinigung des alten Käfers behilflich zu sein.
 

Die Motten flattern um die spärliche Beleuchtung der Laterne, als mich mein Weg zur Pension führt. Leise überquere ich den kleinen Hof, bis ich die Hütte erreiche, die mir Mrs. Shoemaker als Bleibe anbot.

Erfolgreiche Stunden liegen hinter mir und die Zusammenarbeit mit Stewart, und nicht zuletzt mit Cole, hatte mir gezeigt, dass der erste Eindruck nicht immer zählen muss.

»Sieh' es als notwendiges Übel, weil wir selbst nicht viel abreißen können«, hatte Cole gemeint, während ich, seinen Anweisungen folgend, mit dem Säubern der Zylinder begann. Der Reinigungsprozess der alten Rosie nahm meine gesamte Konzentration in Anspruch und umso erstaunter war ich, als Cole verkündete, dass die Uhr fast zehn schlug. Doch das gute Stück glänzte nunmehr von Innen, wie von Außen. Ich wollte es nicht Barry, oder den anderen beweisen, ob ich es schaffte, den Wagen zum Schnurren zu bringen - ich wollte es mir beweisen.

Dennoch wäre ich ohne die Hilfe meiner Kollegen nicht einen Meter weit gekommen. Ich versprach Cole, und auch Stewart, sobald ich ihm am nächsten Morgen begegnete, mich für die Unterstützung erkenntlich zu zeigen.

Es ist ziemlich lang her, dass ich so erschöpft war, wie ich es heute bin. Behutsam öffne ich die Verandatür und versuche, das lästige, krabbelnde und kriechende, surrende und summende Volk draußen, in der Natur, zurückzulassen.

Als Vorsichtsmaßnahme habe ich die Fenster verdunkelt und verschlossen. So ist es zwar angenehm kühl, doch die Luft, die mich umgibt, ist abgestanden und muffig. Ich quäle mich in die kleine Nasszelle, um den Schweiß und Schmutz von mir zu waschen.

Sobald dies vollbracht ist, schleppe ich mich in das Wohnzimmer, wo das Sofa noch immer ein so unordentliches Erscheinungsbild abgibt, wie am Morgen zuvor. Ich krieche unter die Decke und schaffe es nicht einmal mehr, das Kissen aufzuschütteln, zu sehr haben mich die Müdigkeit und Hitze für sich eingenommen.
 

Ein Scheppern schreckt mich auf. Die Tür zur Veranda klappert unaufhörlich, als weigere sie sich, in der Verankerung verbleiben zu wollen. Der Wind heult auf und rüttelt an den Fenstern, auch vernehme ich das stetige, bedrohliche Prasseln von Tropfen. Mühsam erhebe ich mich, wandere durch das Haus und versuche dem Tosen nicht allzu viel Bedeutung zu schenken. Da auch von Mrs. Shoemaker noch nichts zu vernehmen ist, wage ich die stille Vermutung, dass ihr solche Wetterkapriolen zu dieser Jahreszeit mehr als vertraut sind. Ein wenig Regen wird dieser Stadt gut tun. Mit diesem Gedanken versuche ich, mich von der Wärme abzulenken.

Der Freitag begrüßt mich mit erträglichen Temperaturen. Hier und da schimmern noch ein paar Pfützen, die jedoch bereits am Nachmittag nichts mehr von einem Schauer in der Nacht erahnen lassen.

Sowie ich den Hof zur Werkstatt betrete, stellt sich mir Bradfort, breit grinsend, in den Weg. Da ich pünktlich bin, kann dies nicht der Grund für das freudige Blitzen in seinen Augen sein. Ich darf nicht voreingenommen sein, denn bis auf ein paar Worte, die leichte Häme versprühen, ist mir Bradfort meist freundlich gesinnt.

Lässig deutet er auf das Vordach zum Seiteneingang der Werkstatt, unter dem ich Rosie, den Käfer, sorgsam abgestellt hatte.

»Das hast du doch nicht allein bewerkstelligt?« Bradfort beäugt mich mit unverhohlener Skepsis, die ebenso in seiner Frage mitschwingt.

Ich zucke mit den Schultern, recke den Hals und ziehe ihn sofort wieder ein.

»Wenn ich es nicht besser wüsste, würde ich dich für eine Art Universalgenie halten«, knurrt Barry und stapft, mit hochrotem Kopf, auf mich zu. »Aber das tue ich nicht. Trotzdem muss ich zugeben, dass du dich gewissenhafter angestellt hast, als die letzten Idioten, die versucht haben, Hand an Rosemind zu legen.«

»Jetzt jag' ihm bloß keine Angst ein, Barry«, lacht Bradfort auf. Murrend wendet sich Barry ab und marschiert, offensichtlich in seinem Ego gekränkt, in Richtung Büro davon.

Doch mir bleibt nicht viel Zeit, um über diesen seltsamen Moment nachzudenken, denn Bradfort, als oberster Werkstattmeister, schnippt drei Mal kurz mit den Fingern und bedeutet mir, ihm zu folgen.
 

Der Sturm hat es in der Nacht nicht gut mit dem Schuppen gemeint, in dem Reifen und andere Materialien gelagert werden. Käme eine kleine Böe, so würde dieser Bretterverschlag von dannen geweht, wie die Bleibe Dorothy Gales, in The Wonderful Wizard of Oz.

»Dann zeig' uns mal, was du kannst«, höhnt Bradfort und klopft mir auf die Schulter. »Bretter haben wir genug.«

»Um diesem Kartenhaus Stabilität zu verleihen, solltet ihr es sofort abreißen und neu wiederaufbauen.« Stewart taucht hinter uns auf und inspiziert mit kritischem Blick das Überbleibsel der Hütte.

»Dann kannst du ihm sofort dabei behilflich sein«, weist Bradfort an. Unbeeindruckt von dem barschen Ton Bradforts, zuckt Stewart mit den Schultern und gibt mir mit einem knappen Nicken zu verstehen, an die Arbeit zu gehen.
 

Zu Stewarts Ärgernis, behält er in seinen Worten recht. Bis in die Mittagsstunde hinein schleppen wir alles aus dem Lager, was sich noch als brauchbar erweist.

Unser Hantieren bleibt nicht unbemerkt, da sich, zu meiner Verblüffung, die Gebrüder Wright an unserem Vorhaben beteiligen. Einzig Bradfort begnügt sich damit, uns, aus sicherer Distanz, beim Werkeln zuzusehen und gibt dann und wann eine Bemerkung zum Besten.

»Er hat Höhenangst«, erklärt Cole gelassen und wirft das letzte Brett auf den Haufen, der genug Holz für ein schönes Lagerfeuer bietet, sich jedoch nicht länger für einen Wiederaufbau eignet.

»Wieso Höhenangst? Hier ist noch nichts von Höhe zu erahnen.« Ich besehe mir den leeren Platz, auf dem zuvor noch der Schuppen sein Dasein fristete. Die Jungs beschlossen, nach einer fachkundigen Beurteilung meinerseits und einer darauffolgenden, hitzigen Auseinandersetzung, sich des alten Katens zu entledigen.

»Holz bekommt ihr von Smitty.« Jameson Wright sah sich mit dem Abriss einverstanden und zeigt sich nunmehr erfreut, dass ihm die Last des Abtragens und Neuerrichtens erspart bleibt.

»Und?«, belächelt mich Barry. »Bist du auch Architekt, Wunderjunge?«

Ich schüttle den Kopf und muss mich zur Ruhe mahnen. Ich darf mich nicht provozieren lassen, vor allem nicht von jemandem wie Barry. »Nein, tut mir leid«, sagte ich und hebe beschwichtigend die Hände in die Höhe.

»Kein Problem«, lacht Stewart, »ich kann meinen Cousin Mitchell bitten, uns behilflich zu sein.«

»Nicht Humpen-Mitch!«, protestiert Bradfort aus dem Hintergrund.

»Ich verstehe kein Wort«, sage ich. »Ist er Architekt?«

Cole grölt und wiehert beinahe wie ein Pferd. »Nein, aber Stewie ist der festen Überzeugung, dass sein Cousin, obwohl er nur drei Steine aufeinander stellt, es als Baukünstler zu Ruhm und Ehre bringt.«

Irritiert ziehe ich die Augenbrauen zusammen. »Und was hat es mit dem Humpen auf sich?«

»Er säuft wie ein Loch und nennt es kreativer Fluss seiner Inspiration«, schnaubt Bradfort.

»Ja, ein Künstler mit Leib und Seele«, entgegnet Cole gedehnt und winkt ab, als wolle er nicht an die Fähigkeiten Mitchells festhalten.
 

»Der Boden ist zu weich, ihr braucht ein solides Fundament«, erklingt die rauchige Stimme Mitchell Phillips', als es Stewart endlich gelang, seinem Cousin habhaft zu werden.

»Es soll ein Holzschuppen werden, nicht der Taj Mahal«, knurrt Barry und nimmt unwirsch die kalte Limonade entgegen, die Cole ihm reicht.

»So ungeduldig wie immer, Barry Wright. Alles zu seiner Zeit«, beschwichtigt ihn Mitchell mit breitem Lächeln. »Ihr könnt eure Hütte natürlich auch weiterhin auf diesem Morast betten. Aber kommt dann nicht zu mir, weil euch der Lattenzaun absackt.«

Zähneknirschend akzeptiert Barry den Vorschlag, doch wird das Errichten des neuen Schuppens einiges an Zeit erfordern.

In der Hoffnung, dass das Städtchen in den nächsten Tagen vom Regen verschont bleibt, verabschiedet sich der kreative Kopf der Phillips in das Wochenende und lässt uns mit verdutzten Blicken zurück.

Am Montag erst werden wir uns mit dem Aufbau befassen können, wenn sowohl Mitchell als auch Smitty auf dem Hof einkehren, bis dahin bleibt uns nichts weiter zu tun, als zu warten.
 

Das Wochenende schleppt sich zäh und heiß dahin. Und wie von Mitchell erwartet, bleibt es trocken und der Staub wirbelt unter meinen Füßen auf, als ich den Hof zu Wrights Motors betrete. Bretter und Architekt trudeln gegen den späten Vormittag ein, während letzterer erklärt, er müsse Skizzen und Pläne vorbringen, damit man ihm nicht wegen Pfuscherei an den Kragen gehe.

Der Dienstag erweist sich als ereignislos. Träge schleppen sich die Stunden des Nichtstuns dahin und nicht einmal ein Wagen, den es nach einem Ölwechsel verlangt, ist in Sicht.

Die Hitze macht der Stadt zu schaffen. Die Bewohner ächzen unter dem Klima und die kleine Abkühlung der vergangenen Woche verblasst mit jedem Schweißtropfen.

Als der Feierabend naht, wendet sich Stewart an mich und erklärt, dass es sie in das kleine Diner ziehe. Ich werfe einen Blick auf Bradfort, der angespannt wirkt, als erwarte ihn Schelte, sollte er unpünktlich heimkehren.

»Komm mit!«, fordert Stewart.

Gedanklich zähle ich die wenigen Quarter zusammen, die ich bei mir trage. Mit einem unguten Gefühl willige ich dennoch ein, mit ihnen zu gehen.
 

Bradfort treibt seine Jungs zur Eile an, ich jedoch verfalle in gemächlichem Schritt und bleibe hinter ihnen zurück. Der Duft nach French Fries steigt mir in die Nase und lässt meinen Magen fordernd knurren. Was würde ich nicht alles für einen Burger geben – trotz der Hitze!

Vielleicht tue ich der armen Mrs. Shoemaker Unrecht, wenn ich heute auf ihre Kochkünste verzichte, und obschon ich der alten Dame wirklich dankbar bin, dass sie mir die Bleibe überlässt, beinahe kostenlos, und mich dazu noch regelmäßig verköstigt, kann ich dem Drang nicht widerstehen.

Und so betrete ich das örtliche, kleine Diner und spüre einen Schwall kühler Luft, der mich begrüßt. Zu meiner linken, gleich an der Tür, haben sich Bradfort und die anderen niedergelassen.

Ein junges Mädchen, mit blondem, wallendem Haar, und in der Diner-Uniform gekleidet, hat es sich auf Bradforts Schoß gemütlich gemacht und die dünnen Arme um dessen Hals geschlungen. Cole, Stewart und Barry lümmeln sich auf dem Polster der Sitzbank.

Ich benötige ein wenig Zeit, um mich zu orientieren. Rechts von mir zeigt sich der lange Tresen, an dem Hocker zum Verweilen einladen. Irgendwo, im hinteren Teil des Diner, plärrt ein Kind, während eine andere, junge Frau am Nachbartisch Teller und Besteck zusammenträgt.

Plötzlich verspüre ich einen Stoß in den Rücken und habe Mühe, das Gleichgewicht zu halten. Ein Schatten, riesig, als reiche er bis zur Zimmerdecke hinauf, drängt sich an mir vorbei. Es sind nur wenige Sekunden, die mich realisieren lassen, was dann geschieht.

Die Kellnerin, die den Tisch abräumt, umfasst die Wanne und ist im Versuch, sich umzudrehen, als die Gläser bereits einen protestierenden Song anstimmen.

Der Kerl misst mindestens zwei Meter. Ein richtiger Hüne, im Gegensatz zu mir. Ich sehe, wie die Schüssel mit benutztem Geschirr gefährlich in ihren Händen wackelt. Gleich werden sie die Kräfte verlassen, alles wird ihren Fingern entgleiten und scheppernd auf die Schachbrettmusterfliesen krachen. Die Bedienung scheint in einer Art Starre verfallen zu sein, denn noch immer klammert sie sich tapfer an das hellblaue Plastik. Ihr Blick ist nicht weniger starr auf den Kerl gerichtet. Sie muss den Kopf in den Nacken legen, um zu ihm aufzuschauen. Bei mir bräuchte sie das nicht, drängt es sich mir unweigerlich auf. Ich setzte einen weiteren Schritt nach vorn und verharre, als ich den Blick bemerkte, den sie dem Gast zukommen lässt. Er hat etwas drohendes. Es ist offensichtlich, dass ihr die Situation nicht behagt.

Abermals rücke ich zu ihnen auf, lege meine Hand von unten an die kleine, eckige Wanne, hebe diese leicht an und vernehme ein Zischen.

»Was soll das?!«, knurrend und scharf gelangen die ersten ihrer Worte an meine Ohren.



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Kommentare zu diesem Kapitel (1)

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Von:  JO89
2019-06-23T15:17:20+00:00 23.06.2019 17:17
Was für ein tolles Kapitel!
Man merkt sofort das das Leben mit den Jungs schwierig ist.
Ich finde es gut, dass sie trotzdem nach der Arbeit etwas gemeinsam unternehmen.
Ich frahe mich gerade ob der Raue Ton Maevis Kit oder dem anderen Kerl gilt.

Ich bin wirklich gespannt wie es weitergeht
Glg
Antwort von: irish_shamrock
23.06.2019 17:20
*_* ...
Meine liebe Jo,
der versüßt mir gerade die stressige Lernphase (vor der mündl. Prüfung) ...
Ich freue mich sehr über deine Worte ...
:3 ... ja, ich bin gemein ...
Sobald ich meine Prüfung hinter mir habe, aus dem Urlaub (der sich sofort daran anschließt) wiederkomme und meine persönlichen Verhältnisse (Arbeitsamt) geregelt habe, geht es weiter :D ...

Liebe Grüße,
irish C:


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