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Fassungslos

Mae & Kit
von

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5. Mae


 

Fassungslos

5

Mae
 

Die alte Straßenlaterne vor unserem Haus begrüßt mich flackernd. Ich schaue zu ihr auf und bemerke die Motten, die ihren Tanz fortführen, den kleinen Unterbrechungen zum Trotz. Kurz werfe ich einen Blick über die Schulter. Er verharrt noch immer dort, an jener Straßenecke, wo sich unsere Wege trennten. Ich weiß nicht, ob er sich für diese prekäre Situation verantwortlich fühlt. Doch die Vermutung liegt nahe.

Ich hebe die Hand zum Abschied und stoße dann mit dem Vorderrad des alten Drahtesels die Gartenpforte auf, deren Angeln quietschend protestieren. Es behagt mir nicht, dass er nunmehr weiß, wo ich wohne, dass mein Leben nur aus dem Diner und meiner Mutter besteht, deren Aufgabe es seit je her ist, über mich zu bestimmen.

Ein tiefer Seufzer verlässt meine Lippen. Die Luft ist warm und schwer. Und wieder duftet es nach Regen.
 

So ohrenbetäubend das Gartentor protestierte, so still und leise lässt sich unsere Haustür öffnen. Der altbekannte Duft nach welken Blumen kitzelt mich in der Nase. Der Schein der kleinen Lampe lotst mich ins Wohnzimmer. Wie erwartet hockt meine Mutter auf dem kleinen Schemel vor dem Kamin. Ihr Rücken ist gebeugt und ihre Finger nesteln mit Nadeln an einem Knäuel Garn herum. Doch Isla Marie Parker ist es nicht vergönnt, sich des Strickens oder Häkelns anzunehmen. Ihre Hände weisen bereits Formen leichter rheumatoiden Arthritis auf. Allerdings hat diese Krankheit, die sich langsam heranschleicht und vom vielen Arbeiten in der alten Wäscherei herrührt, nichts mit der Tatsache gemein, dass meine Mutter in der handwerklichen Kunst keinerlei Talent besitzt. Vor einigen Jahren sagte sie mir, als ich ihr stolz eines meiner ersten, bestickten Taschentücher präsentierte, dass ihr dieser Zeitvertreib völlig abging und sie nicht verstehen könne, dass sich Frauen mit dieser Beschäftigung zufrieden geben. Dennoch ist Isla Parker ein Mal in der Woche in dem Haushaltswaren Laden der Familie Denver zu sehen, wo sie vor dem mageren Angebot an Wolle und Garnen stehend, nach einem neuen Knäuel langt. Den Schein waren – nie den Leuten zeigen, dass wir ihnen nicht gleichgestellt sind.

Meine Mutter, mit ihrem blondgefärbten, toupierten Haar, wirkt wie ein sehr eigenwilliges Pendant zu mir, ihrer einzigen Tochter. Ob sie meinen Vater je geliebt hatte, vermag ich nicht zu sagen. Ihren Worten, es handle sich bei ihm um einen armen Säufer, der es zurecht verdient habe, im nächsten Straßengraben gelandet zu sein, entnehme ich nur Bosheit, Wut und verletzten Stolz.

Einst soll George Lee Parker II. der hübscheste und begehrteste junge Mann der Stadt gewesen sein. Die Mädchen waren verrückt nach ihm und selbst aus den Nachbarstädten kamen sie, um einen Blick auf ihn zu erhaschen. In der Schule, so erzählten mir die alten Damen beim Klatsch im Diner, war er den anderen Jungen ein Dorn im Auge, doch sei es nie zu unerwünschten Zwischenfällen gekommen. Im Gegenteil. Jeder, der konnte, wollte sich an seine Fersen heften, mit ihm befreundet oder, im Falle der jungen Mädchen, mit ihm zusammen sein. George Parker galt als freundlich, zuvorkommend, höflich. Er war eine Augenweide, mit dem rabenschwarzen Haar, den graugrünen Augen und den Grübchen, die sich seine Wangen bohrten, wann immer er lächelte. Und er lächelte, viel. Niemand vermochte je ein böses Wort über ihn oder seine Eltern zu sagen. Sie galten als friedlich, freundlich und fleißig.

Mein Großvater, George Parker, war als Sattler tätig, doch mit dem Aufkommen und der Überschwemmung hochmoderner Automobile, musste er sich nach anderweitigen Tätigkeiten umsehen, doch Sattler, ein Beruf der für ihn mehr eine Berufung war, blieb er bis zu seinem Tode. Mercy Parker, meine Großmutter, widmete sich dem Haushalt und der Aufzucht ihrer Jungen.

Heute erinnert nur noch eine alte Fotografie an die Familie meines Vaters. Mit den vier Brüdern, die beinahe alle im Krieg gefallen waren, und jenen, die übriggeblieben waren, war der Verlust ihrer Söhne für Mercy kein Akt der Gnade.

In gewisser Weise scheint es in dieser Familie eine Parallele zu geben, die mich weinenden und lachenden Auges in eine Welt blicken lässt, deren Sturm und Drang ich wohl nie verstehen werde.

Dass sich meine Mutter und George Parker II. fanden, einander die Ehe versprachen und diese mit einem Kind krönten, erschien den Leuten in dieser kleinen Stadt wie eine Absurdität, die Ihresgleichen suchte. Meine Mutter war nicht unansehnlich, doch stach sie auch nicht mit überwältigender Schönheit aus der Masse an ehrbaren Heiratskandidatinnen heraus. Was meinen Vater wohl dazu bewogen hatte, sich dieses Mädchens anzunehmen? Isla Parkers Lippen blieben und bleiben verschlossen, also verbot ich mir, sie danach zu fragen. Und meine Mutter schien eine Meisterin darin zu sein, die tuschelnden Äußerungen ihrer Konkurrentinnen zu ignorieren, so kränkend sie auch waren.

Sie sei ein graues Mäuschen gewesen und habe ihn durch ihre unbeholfene Art dazu gebracht, sich ihrer anzunehmen. Man munkelt noch heute, meine Mutter habe ihn erpresst, unter Druck gesetzt und sei bereit gewesen, den Leuten, bis hin zum Sheriff, Geschichten von unangemessenen Zusammenkünften zu erzählen, nur, damit er bei ihr bliebe und der Schein einer intakten Familie über all den Gerüchten strahlen konnte.

Was meiner Mutter an Äußerlichkeiten fehlte, machte sie mit Scharfsinn, Schläue und einer emotionalen Abhängigkeit wett, die an Manipulation grenzt. Und manchmal wünschte ich mir, dass mein Vater stark genug gewesen wäre, sie zu verlassen, mich mitzunehmen und sich nicht den Worten seiner Familie gebeugt und wie ein kümmerliches Häufchen Zuflucht im Alkohol gesucht hätte.

Ich war kaum drei Jahre alt, begann erst, mich zu erinnern, doch mit dem Tod dieses Mannes war kein Schmerz verbunden. Keine Trauer. Doch - vielleicht ein wenig. Und Wut, eine kleine Prise.

Mutter versuchte sich gegen die verletzenden, hinter vorgehaltener Hand gemurmelten Worte zu wehren, in dem sie eine Arbeitsstelle in der Wäscherei annahm. Sie, die arme, verlassene Isla Parker, deren Ehemann, der einst schönste Junge Stadt, zu einem Trinker geworden war, der stritt, schlug und dessen Manieren nichts von einem guten Gatten und sorgenden Vater erkennen ließen.

Auch mich will sie in eine Abhängigkeit zwingen, in eine Ecke drängen, mich durch Tränen und Anschuldigungen zu einer emotionalen Unruhe treiben. Erpressung – später erst lernte ich die Bedeutung hinter diesem Wort kennen. Als ich meinen Lehrer, Mr. Hillfield, danach fragte und er mir versuchte, die Tragweite und das Gewicht dieses Ausdrucks als knechtend, drohend und einschüchternd zu erklären. Das bittende und zugleich verstörende Lächeln auf den Lippen meines Lehrers hatte sich eingebrannt. Dass er mir noch weitere Worte vortrug, die auch Positives mit sich brachten, blendete ich aus. Denn für mich gab es keine passendere Beschreibung für das Verhalten meiner Mutter.

Noch immer versucht sie, den Faden durch das Nadelöhr zu schieben. Schweigend verharre ich auf der Schwelle zum Wohnzimmer, betrachte die hagere Gestalt und komme nicht umhin, den Bürgern dieser Stadt beizupflichten.

Zu meinem Bedauern erkenne ich den Hass auf meinen Vater und zugleich schmachtendes Sehnen nach ihm in jedem ihrer Blicke. Dass ich ihm so ähnlich sehe, missfällt ihr und es wurde mit den Jahren zu einer Tortur, ihr täglich begegnen zu müssen. Doch statt mich mit dem Selbstbewusstsein eines Pfaus gleich durch die Flure der Schule zu bewegen, oder auf den Straßen zu flanieren, um Aufsehen zu erregen und zu kokettieren, verhalte ich mich so, wie sie es verlangt. Ich halte mich zurück, bin still und ertrage. Und doch … überkommt mich nicht selten ein Drang, auszubrechen, fortzulaufen. Doch wohin? Ich käme nicht weit. Und der Traum von einem Leben in anderswo, bleibt mir versagt.

»Du kommst spät.« Ihre Worten erreichen mich kaum. Doch die Bewegung ihrer Lippen lassen erahnen, dass sie mit mir spricht.

Ich schweige, warte darauf, welche bleiernen Umschreibungen ihr einfallen, um meinem Gewissen einen weiteren Hieb zu versetzen.

»Ich habe Barry Wright getroffen«, informiere ich sie und Isla Marie Parker wendet sich, zum ersten Mal an diesem Abend, mir zu.

Ihre Augen schmälern sich. Sie taxiert mich, schätzt Tonlage und Gewicht meiner Worte ab, interpretiert und entschließt sich dazu, sich zu erheben. Meine Mutter richtet sich zu ihrer vollen Größe auf. Sie ist fast einen Kopf kleiner als ich, ohne Schuhe, doch rasch schlüpft sie in ihre Pantoffeln und kommt mit einer Schnelligkeit auf mich zu, als sei sie von einem Gedanken besessen und könnte ihn verlieren, sollte sie nicht zeitig vor mir stehen. Etwas, das ich nur noch selten zu sehen bekomme, schiebt sich ins Rampenlicht. Die Mundwinkel zucken und beginnen sich mit einem Wohlwollen kräuselnd gen Himmel zu heben. In die blassblauen, müden Augen macht sich der Anflug eines Strahlens breit, das dort nicht hingehört.

Mir schwant bereits, was all das zu bedeuten hat und ich erhasche einen Blick auf die Zeitschriften, auf dem kleinen Wohnzimmertisch verteilt liegen.
 

Donnergrollen begleitet die Worte meiner Mutter, die mir erklärt, welch eine gute Partie Barry Wright sei und dass ich mich als glückliche Frau schätzen darf, dass jemand wie er auf das Angebot eingangen sei.

Angebot? Mein abfälliges Schnauben missfällt ihr. Erhobenen Fingers droht sie mir, erst lautstark, dann leise flehend. Sie wisse nicht, was sie noch mit mir machen solle. Ich sei im besten Alter und die Auswahl an Kandidaten sei spärlich und rar. Und mit einem Wright kämen wir aus der Geldnot heraus.

Schweigend lasse ich ihre Rede über mich ergehen, zeige ihr die Flecken, die Barrys Hand auf meinem Handgelenk hinterließ. Eine sorgenvolle, achtsame Frau würde mich in den Arm nehmen, das Arrangement sofort beenden und sich mit der Tatsache abfinden, dass es niemanden in diesem Örtchen gäbe, der zu mir passt. Isla Parker jedoch verengt abermals die Augen, fixiert die dunklen Stellen auf meiner blassen Haut und zuckt ungerührt die Schultern, als sei es ihr einerlei, dass sie ihr Kind womöglich jemandem anvertraue, der nichts Anständiges an sich hat.
 

Niemand mag Rebellen. Eltern wollen keine trotzigen, eigensinnigen Kinder, die nicht gehorchen. Als ich mich von ihr abwende, ohne etwas zu erwidern, fegt sie hinter mir her als sei der Leibhaftige ihr auf den Fersen. Ich erreiche die Treppe zu meinem Zimmer, steige erschöpft und gepeinigt die Stufen hinauf. Meine Mutter ist aufgebracht, erbost über meine nicht vorhandene Euphorie, wütend, dass ich ihr Vorhaben still und tatenlos ablehne. Ihre Stimme hallt durch unser kleines Haus, doch als ich die Zimmertür schließe und meinen Rücken dagegenlehne und an dem Holz hinab auf die Holzdielen rutsche, entfährt mir Laut wie selten nicht mehr. Ein bitteres, heiseres Auflachen, das von einer Tränenflucht der Machtlosigkeit begleitet wird.

Mein Blick geht zum Fenster, das zur Straße hinaus zeigt.

Ein Schauer ergießt sich auf den Asphalt und ich frage mich, ob der Fremde sein Ziel, trockenen Fußes bis ans andere Ende unser kleinen Stadt zu gelangen, erreicht hat.



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Kommentare zu diesem Kapitel (2)

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Von:  JO89
2023-09-30T10:10:47+00:00 30.09.2023 12:10
Hallo liebe Irish :)
mir fällt zu dem Kapitel nur eins ein, Kinder, ganz egal wie alt, sind keine Gegenstände, die man von A nach B schiebt und mit ihnen umgeht wie man will.
Dass das manche nicht verstehen, hast du sehr gut in dem Kapitel sehr gut rüber gebracht, und ich kann Barry nicht leiden, wirklich. Aber Mae's Mutter toppt ihn.

Ich hoffe, irgendwann mehr von dieser Geschichte zu lesen und zu erfahren, wie es mit Kit und Mae weiter geht :)
Ich weiß, das mit der Zeit ist immer so eine Sache...
Ich liebe deine Geschichten :)

lg jo
Antwort von: irish_shamrock
08.10.2023 09:23
Meine liebe Jo,

auch hier nochmals vielen Dank für deinen Kommentar. Na ja, einen gewissen Konfliktpartner braucht es schon, so ein widerliches Ekel und eine Mutter, die das eigene Ansehen über das Leben der Tochter stellt :/ ...
Vielleicht schaffe ich es ja irgendwann, die Geschichte fortzusetzen.

Alles Liebe,
irish C:
Antwort von:  JO89
08.10.2023 16:13
Oh für Konflikt ist damit gesorgt und macht alles spannend und aufregend für den Leser ❤️ ich liebe deine Geschichten 🥰


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