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Summer of '99

Die Herren des Todes
von

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Der Großseher

Ariana war der Betäubungstrank äußerst schlecht bekommen, doch zunächst hatte Albus keine Ahnung von dem Unheil, das er angerichtet hatte. Als er am nächsten Morgen aufwachte, fühlte er sich, als sei er in der vergangenen Nacht um ein halbes Jahrhundert gealtert. Jeder Muskel im Leib schmerzte ihm, aber er fühlte auch eine schelmische Zufriedenheit dabei, als er sich zu seinem Kleiderschrank schleppte und den Morgenmantel hervorholte. Von Gellert war keine Spur zu sehen. Er wird wohl in den frühen Morgenstunden verschwunden sein, dachte Albus und schmunzelte, denn er hatte ihn auch nicht für die Sorte nächtlichen Besuchs gehalten, die zum Frühstück blieb.

Die Sonne stand schon hoch am Himmel, als er sich in seinen Morgenrock gewickelt ins Erdgeschoss begab. Ariana saß am Küchentisch und starrte stumm auf den leeren Teller vor sich. Etwas an ihrer Haltung machte ihn argwöhnisch und besorgt. „Ariana? … Riri?“, versuchte er es mit dem Spitznamen, den Aberforth manchmal verwendete.

Auf das Kosewort hin wandte sie ihm den Kopf zu und betrachtete ihn mit einem seltsam leeren Blick. Albus eilte zu ihr und setzte sich schnell – ein wenig zu schnell allerdings, und er verzog das Gesicht.

Keine gute Idee nach der gestrigen Nacht, dachte er, zwang sich dann aber zur Konzentration auf das unmittelbare Problem vor ihm. Ariana schien geistig völlig abwesend zu sein, und er brachte sie für einige Zeit nicht dazu, ihm auf seine Fragen zu antworten. Erst nachdem er ihr eine Tasse Tee mit ein paar Tropfen des Glückstranks Felix Felicis eingeflößt hatte, den seine Mutter für besonders schwere Momente im obersten Wandschrank versteckt hatte, kehrte Leben in ihre Gesichtszüge zurück. Erleichtert wollte er sie umarmen, doch Ariana streckte die Hände aus und hielt ihn auf Abstand.

Albus vermutete, dass sie ihm für ihren unnatürlichen Schlaf die Schuld gab, und er konnte sie mit noch so vielen Aufmunterungsversuchen nicht von ihrem Argwohn abbringen. Diese Sturheit war eine schlimme Strafe. Er fühlte sich schuldig, besonders wenn er an die niederen Motive dachte, die ihn zu seinem Drachenblut-Experiment bewegt hatten. Das Klügste schien ihm, erst einmal in Arianas Nähe zu bleiben und die gewohnten Abläufe in ihrem Alltag wieder einzuhalten. Er hoffte, sie würde ihm wieder ihre fröhliche Seite zeigen, sobald die Nachwirkungen des Acontiums abgeebbt waren.

Es dauerte einige Tage, bis die Besserung eintrat – einige Tage, die Albus an Arianas Krankenbett verbrachte, strickend und ihr gut zuredend, während er wegen seiner Gewissensbisse recht einsilbige Antworten auf Gellerts Briefe zurückschickte.

Ingrid kehrte von ihrem Botenflug aus Hogwarts zurück, und es kam ihm sehr gelegen, dass er sich nicht mehr mit dem unheimlichen Nadir abgeben musste, wenn er eine Nachricht übermitteln wollte. In ihrer fast menschlichen Art gurrte sie verständnisvoll und knabberte zur Begrüßung an seinem Finger, aber auch diese Zärtlichkeit konnte ihn nicht von seinen Selbstvorwürfen abbringen.

Als er sich ein paar Tage später gegen Morgen zurechtmachte, um zum Grab seiner Mutter zu gehen, hörte er die vertraute, aber doch unwillkommene Stimme seines Bruders – unverkennbar durch den breiten Küstenakzent, den er von den Bewohnern in Godric’s Hollow übernommen hatte, obgleich die Familie Dumbledore aus Mittelengland stammte. Albus trat hinaus auf die Treppe und hörte nun Arianas Lachen aus der Küche. Das grüne Flackern im Türrahmen ließ vermuten, dass Aberforth oder viel mehr sein Kopf durch Flohpulver in den Küchen-Kamin gereist war. Strengstens verboten für Hogwarts-Schüler, aber das war ihm offenbar egal gewesen. Soeben musste er etwas sehr Lustiges erzählt haben, denn Ariana giggelte heftig.

Albus wollte sich gerade weiter zur Haustür bewegen, als Ariana prustete: „Aber so ein Besen im Hintern tut bestimmt weh!“

„Mir doch schnuppe“, entgegnete Aberforth. „Weißte, was dieses Zebra-Vieh mit mei’m Ohr angerichtet hat?“

Albus vermutete eine ziemlich tiefe Scharte, aber seine Schadenfreude darüber blieb gedämpft: Aberforth hatte Ingrid wegen ihres gestreiften Gefieders wieder einmal „Zebra“ genannt, und das ärgerte ihn maßlos!

„Ach, dann seid ihr ja beide gut angeschlagen“, sagte Ariana und flüsterte weiter: „Al kam neulich morgens in die Küche und sah aus, als wär’ er von einer Herde Zentauren übertrampelt worden. Und er bewegt sich seitdem wie ein alter Mann!“

„Wie, hat ihn jemand verdroschen – ohne mich? Der soll auf dich aufpassen!“, entrüstete sich Aberforth.

Arianas Stimme klang zögerlich: „Abe, wann kommst du wieder?“

„Ich nehm’ heute noch den Zug, is’ eh bloß noch die Abschlussfeier … aber ich wollt‘ sichergeh’n, dass es dir gut geht. Diese dumme Zeitschrift … Riri … mir tut das so, so leid!“

„Oooch!“, machte Ariana gerührt und gluckste. Albus konnte es nicht fassen – was musste man bloß tun, um bei Ariana so über jeden Zweifel erhaben zu sein?

„Un’ es gibt noch etwas anderes“, fuhr Aberforth fort. „Ich bring’ zwei Gäste mit … also eigentlich sinn‘s eher Haustiere.“

„Oh … du hast es geschafft?“, fragte Ariana und Albus rätselte, was sie wohl meinte.

„Jo“, bestätigte Aberforth.

„Hast du Al gefragt, ob das für ihn in Ordnung ist?“

„Der!“, schnaubte Aberforth, „Ally-McMally kann mir gestohl’n blei’m. Er und sein … Besenfreund.“

Albus hörte sie beide lachen und stürmte zur Haustür hinaus.

Kurze Zeit später saßen er und Gellert Grindelwald zusammen im Schatten der Friedhofsmauer. Die Sonne stand hoch am Himmel und ließ die Luft über den Gräbern flimmern. Gellert, dem in seiner dunklen Kleidung sehr warm war, hatte entgegen seiner sonst so korrekten Art, die obersten Knöpfe seines Hemdes geöffnet und schien ein wenig unruhig. Albus war schweigsam, denn er hatte ungeheuer schlechte Laune.

„Wie wär’s jetzt mit a zweiten Duellrunde?“, fragte Gellert. „Du schaust aus, als würd’st gleich wieder Dämonen-Phönixe beschwör’n.“

„Ich bin viel zu wütend, um mich zu duellieren“, raunte Albus. „Du hättest mich im Handumdrehen entwaffnet.“

„Es soll nicht zu dei’m Schaden sein“, meinte Gellert. Seine Hand streifte Albus’ Oberschenkel, doch der stieß ihn wütend weg: „Gellert! Es ist mitten am Tag unter freiem Himmel! Außerdem muss ich nachdenken … mein Bruder kommt heute zurück und er denkt eh schon, ich wurde verprügelt!“

Gellert lachte. „Na, dir fehlt eindeutig die Übung.“

„Ich bin fast 18 und verbringe meine Freizeit mit Blumenkränze-Flechten und Drachenblutexperimenten – was, glaubst du, fehlt in meinem Leben?“

Gellert grinste und beugte sich in gespielter Sorge zu ihm. „Na, wemma dem Herrn da nur behilflich sein könnt’ …“

Albus schnaubte und schubste ihn erneut weg – nicht unsanft allerdings, denn eigentlich war dieses aufreizende Gerede genau der Grund, warum er Gellert hierher bestellt hatte. Die Unterhaltung zwischen Aberforth und Ariana hatte ihn sehr getroffen.

„Zwei Monate mit Aberforth unter einem Dach!“, stöhnte er. „Und auch ohne ihn hasst mich Ariana …“

„In Fausts Namen, warum ist’s dir denn so wichtig, was deine Schwester von dir denkt?“

„Es ist wichtig, dass sie mich liebt – und ich sie. Sonst funktioniert der Schutz-Zauber nicht … sonst bekomme ich ihre Magie nicht unter Kontrolle …“ Er bracht erschrocken ab.

„Ihre Magie? Ich hab’ dacht, deine Schwester ist ein Squib? Sprich: Magisches Blut, aber keine Zauberkraft darin. Das meint zumindest Bathilda.“

„Nein, ist sie nicht …“, sagte Albus. Er sah Gellert an und rang mit sich selbst, denn die Worte brannten ihm auf der Zunge. Noch nie hatte er sich so sehr danach gesehnt, jemandem Arianas schreckliches Geheimnis anzuvertrauen, aber er wusste nicht wie … sein Blick huschte hinüber zum Grab seiner Mutter.

„Albus“, sagte Gellert ernst, „du musst’s nicht aussprechen, wennas nicht geht. Du kannst’s mich auch einfach sehen lassen.“

Er schien nach den richtigen Worten zu suchen, und als er Albus wieder ansah, hatte sein helles, rechtes Auge einen unangenehm stechenden Ausdruck bekommen. Ein grelles Licht strahlte daraus hervor, das tiefer in geheime Erinnerungen vordringen wollte … Albus verschloss erschrocken seinen Geist, wie er es im letzten Schuljahr für die Abschlussprüfungen gelernt hatte, aber es schien nicht recht zu funktionieren.

„Dieses Auge“, sagte Gellert, „sieht alles, was es will. Was glaubst‘, warum ich so viel über die Heiligtümer des Todes weiß, über schwarze Magie – ich bin ein Großseher.“

„Du kannst in deinem Alter unmöglich ein Großseher sein.“

„Nun, es ist mir nicht g’rad’ inan Schoß g’fall’n. Ich werd’ dir die G’schichte erzähl’n, wenn du mich zuerst sehen lässt“, sagte Gellert, und seine schwingende Stimme bekam einen hypnotisierenden Unterton. „Ich werd’ ganz präzise an den Punkt springen, über den’st nicht sprechen kannst. Führ’ mich hin. Befrei’ dich davon … Legilimens.“

Albus sank zurück gegen die Mauer. Gellert legte die Hand an seine Schläfe und übernahm seinen Geist – und er sprang an den Punkt vor über sieben Jahren, als sich die schreckliche Tragödie ereignet hatte.

Albus war zehn Jahre alt und spielte am Boden des Kinderzimmers ihres ersten Hauses im Städtchen Mould-on-the-Wood, als er Schreie aus dem Garten hörte – die entsetzlichen Schreie eines Mädchens. Er rannte zum Fenster, konnte aber von hier aus nichts erkennen. Während er aus der Zimmertür dem Geräusch entgegenhastete, hörte er weitere Stimmen.

Seinen Vater, der wüste Beschimpfungen rief. – Seine Mutter, die mit sich überschlagender Stimme schrie: „Percie! Percie, du bringt sie um! Percival, DAS SIND DOCH MUGGEL!“

Er rannte hinaus auf den Rasen und sah Aberforth links an der Hauswand kauern, wie gelähmt vor Entsetzen, die Augen starr nach vorn gerichtet. Dort im Gras lag Ariana – verkrümmt, zuckend und immer noch schreiend, während Kendra sich über sie beugte. Albus sah seinen Vater, den sonst so liebevollen, schönen und klugen Percival Dumbledore, der drei junge Muggel in einem Würge-Zauber gebannt hielt, bereit, sie mit einem einzigen Wink seines Zauberstabs zu töten.

Die Szenerie verschwamm.

Albus schreckte wie aus einer Ohnmacht auf und tastete um sich. Er war schweißgebadet und zitterte am ganzen Körper.

„Du hast’s nicht gesehen!“, rief Gellert und sprang in heller Wut auf. „Hab’ ich recht?“

Albus, dessen Atem keuchend und hysterisch ging, schüttelte den Kopf.

„Ich hab’s mir gleich ‘dacht und bin zum Fester rausgesprungen in eine and’re Erinn’rung. Weißt’, wer da war, noch bevor dein Vater ein’griffen hat? Dein damischer Bruder!“

„Aberforth“, flüsterte Albus. „Er war völlig verstört … und du hast es mit seinen Augen gesehen?“

„Korrekt.“ Gellerts Grindelwalds Hände ballten sich zu Fäusten. „Ich hätt’ sie auf der Stelle gemeuchelt, diese dreckigen Muggel.“

„Gellert, was hast du gesehen?“

„Na, drei ält’re Burschen, die auf eine ungelernte Hexe losgehen, weil s’ unbewusst an Zauber g’wirkt hatte – reicht das nicht für deine Vorstellungskraft?“

Albus kauerte sich zusammen. „Mein Vater ist verurteilt worden, weil er die drei attackiert hat, und ist vor einigen Jahren in Askaban gestorben. Er hat sich für sie geopfert und ICH war nicht da, als sie Ariana angriffen – ich war einfach nicht schnell genug …“

Er spürte Gellerts Hand auf seiner Schulter. Entfernt vernahm er, wie ein Zauber gemurmelt wurde, und plötzlich durchströmte ihn Erleichterung. Die Unmittelbarkeit des gerade wieder erlebten Moments verblasste, rückte weiter in die Vergangenheit, und er spürte neue Kraft in sich, spürte, wie Gellerts Zorn nun auch ihn erfasste.

„Magie ist was Kostbares, eine wunderschöne und wundersame Erscheinung in der Natur“, sagte Gellert. „Wenn einer das nicht sieht, wenna sich so grob über offensichtliche Schönheit hinwegsetzt … wie kann man den noch in Schutz nehm’n? Wo ich herkomm’, leiden sie seit Hunderten von Jahren unter der Vorherrschaft der Muggel. Albus: Du und ich, wir san dazu bestimmt, die G‘schichte neu zu schreib’n – die Zaubererschaft aus ihrem elendigen Schattendasein zu befrei’n“ – er zeigte auf das Grab von Ignotus Peverell – „und er hier, er und seine Brüder san der Schlüssel dazu.“

Albus erinnerte sich an Gellerts Revolutionspläne, doch ihm war ein weiteres Detail nicht entgangen: „Wo du herkommst … ist in deiner Familie etwas Ähnliches passiert wie bei Ariana?“

Gellert zögerte, dann aber schüttelte den Kopf und sagte: „Da ist’s mit bloßem Reden nicht getan. Das muss ich dir ebenfalls zeigen … ich hab’ eine Gerätschaft entwickelt, mit der ich ander’n meine Visionen zeigen kann … heut’ Abend, was machst’ da?“

Albus zuckte die Schultern. „Vermutlich mich mit meinem Bruder herumplagen.“

„Wieso kommst’ nicht stattdessen zu mir?“

Keine schlechte Idee, überlegte Albus. Aberforth würde sich erst einmal um Ariana kümmern und sie ohnehin von ihm abschirmen. Außerdem, dachte er mit einem schelmischen Lächeln, scheint mein Muskelkater endlich verflogen zu sein.

Er stand nun ebenfalls auf. „Zu dir“, sagte er, „damit du mir deine … Visionen zeigst?“

„Na, ich kann mir schon noch and’re Unternehmungen für den Abend denken …“ Gellert strich langsam mit den Fingern an Albus’ Nacken entlang. Die Berührung weckte die Erinnerungen an jenen Abend vor ein paar Tagen, und Albus musste tief durchatmen, um sich zu beherrschen. Er deutete an, dass es Zeit war, den Friedhof zu verlassen.

Als sie seitlich an der gotischen Steinkirche entlanggingen, sagte Albus: „Naja, für jede Art von Abendgestaltung sollten wir uns etwas wegen Bathilda überlegen.“

„Definitiv“, seufzte Gellert, „zurzeit schläft s’ wegen der Schwangerschaft sehr schlecht. Manchmal geistert s’ sogar noch mitten in der Nacht durchs ganze Haus …“

Albus griff in die Innentasche seiner Weste. Kurz spürte er die metallenen Schwingen der Phönixspange, die er dort verwahrt hatte, und zog dann eine Phiole des verstärkten Aconitums hervor – eine Notfallration, falls einmal wirklich jeder Schutzzauber bei seiner kranken Schwester versagen sollte.

„Hier“, sagte er und reichte Gellert die Phiole, „drei Tropfen davon in Bathildas Tee, und sie wird uns nicht stören.“

Gellert nahm das kleine Gefäß in die Hand und sah Albus mit einem merkwürdigen Blick an. Im nächsten Moment hatte er ihn gepackt und hinter einen steinernen Strebepfeiler der Kirchenfassade gezogen. Albus wollte protestieren, doch Gellert drückte ihn mit dem gesamten Körper gegen die Wand, schmiegte sich an ihn und küsste ihn – stürmisch, fordernd. Albus spürte, dass sein Körper geradezu nach einer Antwort schrie, und er erwiderte den Kuss fast zornig.

Merlin, das ist eine schlimmere Versuchung als jedes Zitronensorbet!

Im nächsten Moment durchschoss ihn die Panik, sie könnten entdeckt werden. Mit aller Willenskraft, die er aufbringen konnte, drückte er Gellert von sich und sah sich besorgt um.

„Die Meinung der Muggel ist mir völlig gleich!“, hörte er die schwingende Stimme nahe an seinem Ohr. „Wenn erst einmal wir Zauberer die Welt regier’n …“

Albus brachte Gellert mit einem weiteren Kuss zum Schweigen; einem langen, zärtlichen, der allerdings in seiner Bestimmtheit signalisierte, dass es Zeit für den Abschied war. „Wir sehen uns heute Abend.“

Gellert trat zurück, ordnete den Kragen seines Umhangs und fuhr sich durchs Haar. „Küss die Hand“, sagte er lächelnd und disapparierte.



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