Zum Inhalt der Seite

Perfect For You

von

.
.
.
.
.
.
.
.
.
.

Seite 1 / 1   Schriftgröße:   [xx]   [xx]   [xx]

Eigentlich mochte Daisuke die Schulferien. Eigentlich.

Dieses Jahr hatte er zusammen mit seinen Eltern und Jun die zwei Wochen Neujahrsferien in den USA verbracht. Und so sehr sich Daisuke auch auf die Reise gefreut hatte, es hieß auch, dass er zwei Wochen lang Ken nicht sehen konnte.

Zwei Wochen lang waren E-Mails ihre einzige Kontaktmöglichkeit und Daisuke sehnte sich schon nach einer Woche nach seinem besten Freund. Ihr Rückflug war erst Sonntagabend gelandet und Daisuke hatte es gerade noch geschafft eine kurze Nachricht an Ken zu schicken, dass er wieder zuhause war, ehe er erschöpft ins Bett fiel.

Seit sie beide die High-School besuchten, hatten sie unter der Woche nur wenig Zeit sich zu sehen. An drei Tagen in der Woche half Daisuke nach dem Unterricht in einem Ramen-Shop aus und auch sonst waren sie zu sehr mit Lernen und Hausaufgaben beschäftigt. Trotzdem ließ es sich Daisuke nicht nehmen, jeden Abend noch stundenlang mit Ken zu telefonieren und irgendwann am Telefon einzuschlafen. Aber heute endete Daisukes Schultag früher als sonst. Ein Lehrer war erkrankt und sie hatten die letzten beiden Stunden freibekommen. Daisuke dachte gar nicht darüber nach, sondern fuhr nach Tamachi mit der nächsten U-Bahn. Sicher würde Ken sich freuen, wenn er ihn überraschte. Obwohl er wusste, dass er genügend Zeit hatte – Kens Unterricht würde erst in einer halben Stunde enden – eilte Daisuke zu der privaten High School, die Ken besuchte. Es gab so vieles, was er ihm erzählen wollte. Vielleicht könnte er Ken das nächste Mal mitnehmen und mit ihm das Silvesterfeuerwerk auf dem Times Squares ansehen.

Er erreichte das Schulgebäude und warf einen Blick auf seine Armbanduhr, ein Weihnachtsgeschenk von Ken. Er hatte weniger als zehn Minuten gebraucht. Daisuke grinste. Ein neuer Rekord.

Er blieb direkt neben dem Schultor stehen, lehnte sich leicht gegen die Backsteinmauer. Zwanzig Minuten noch, bis er Ken endlich wiedersehen würde. Daisuke kramte sein Handy hervor und nutzte die Zeit, um seinen Freunden zu schreiben, dass er heil in Japan angekommen war.

Die Zeit verstrich wie im Flug und als der Schulgong ertönte, stieß sich Daisuke von der Mauer ab und richtete seinen Blick zum Schultor, aus dem nun langsam die ersten Schüler geströmt kamen. Flink flogen seine Augen über die verschiedenen Köpfe, auf der Suche nach Kens schulterlangem, schwarzen Haar.

„Daisuke?“

Überrascht blickte er sich um, als Ken ihn plötzlich rief. Hatte er ihn etwa übersehen? Bisher hatten noch nicht allzu viele Schüler das Gebäude verlassen.

Doch dann entdeckte er ihn und automatisch hoben sich seine Mundwinkel zu einem breiten Grinsen. Ein Windstoß kam auf und wehte seinem besten Freund durch das Haar.

Daisuke blieb stehen. Etwas an Ken war anders.

Verwirrt rieb er sich seine Augen und starrte Ken an, kniff die Augen zusammen, um sicherzugehen, dass er es sich nicht einbildete. Aber er war es wirklich. Und sein schulterlanges Haar, dass irgendwie so typisch Ken gewesen war, war nun abgeschnitten, einem Kurzhaarschnitt gewichen.

„Sieht es so schlecht aus?“ Ken war ihm entgegengetreten und spielte nun mit einer seiner Haarsträhnen, ein nervöser Blick in seinen Augen.

Daisuke schluckte und versuchte, passende Worte zu finden.

Er konnte Ken ja wohl schlecht sagen, dass er noch nie jemand hübscheres gesehen hatte.

Nicht, dass Ken nicht auch schon vorher hübsch gewesen war. Ken sah immer gut aus. Also wieso schlug sein Herz auf einmal wie wild? Etwa nur wegen Kens neuem Haarschnitt? Es waren doch nur Haare, schalt sich Daisuke gedanklich und umarmte ihn dann.

„Es ist einfach ungewohnt“, meinte er, nachdem sie sich wieder voneinander getrennt hatten und ließ seinen Blick über das schwarze, nun kurze Haar gleiten. Daisuke überkam das Verlangen, ihm mit der Hand durch die Haare zu wuscheln. Stattdessen schob er seine Hände so tief es ging in seine Hosentaschen.

„Aber … uhm … es steht dir“, murmelte er leise.

„Danke.“ Ken errötete leicht und dann schwiegen sie sich beide für einige Sekunden lang an. Es war eine merkwürdige Stille. Normalerweise machte es Daisuke nichts aus, wenn sie sich mal nicht unterhielten. Seit der ersten Jogress-Evolution ihrer beiden Digimonpartner verstanden sie sich auch ohne Worte. Aber jetzt war irgendetwas anders. Oder kam es Daisuke nur so vor?

„Also… was machst du hier?“ Kens Frage riss ihn aus seinen Gedanken.

„I-ich dachte mir, dass ich dich überrasche“, meinte Daisuke grinsend. „Aber anscheinend ist dir das viel besser gelungen als mir.“

Ken lächelte sanft und die beiden schlugen den Weg Richtung Kens Zuhause ein. Während er neben Ken herlief, konnte er ihn wenigstens nicht die ganze Zeit anstarren. Daisuke hatte wirklich nicht vor, gegen einen Laternenpfahl zu laufen. Und schon bald hatte er einen Arm um Kens Schultern gelegt. Aufgeregt erzählte Daisuke ihm jedes Detail seines USA-Urlaubs.

Kens Mutter war zuhause. Sie war erfreut, Daisuke zu sehen und lud ihn zum Abendessen ein. Daisukes Angebot ihr zu helfen, lehnte sie ab und bestand darauf, dass er lieber Zeit mit ihrem Sohn verbringen sollte, der die ganzen zwei Wochen Ferien über deprimiert darüber gewesen war, dass Daisuke nicht da war. Bei diesen Worten errötete Daisuke und sah Ken überrascht an, doch dieser tat so, als hätte seine Mutter einfach nur übertrieben. Und nun saßen sie sich gegenüber am Wohnzimmertisch und machten ihre Hausaufgaben.

Daisuke ließ es sich nicht nehmen, alle fünf Minuten darüber zu quengeln, wie ungerecht er es von seinen Lehrern fand, ihnen gleich am ersten Tag nach den Ferien schon wieder Hausaufgaben aufzugeben. Ken lachte nur und beugte sich dann vor, um Daisuke etwas besser erklären zu können. Nicht, dass dieser wirklich zuhörte. Kens Haar lenkte ihn viel zu sehr ab.

Alles, woran er denken wollte, war, wie sich Kens Haare wohl anfühlen würden, wenn er sie berührte. Er warf seinem besten Freund einen Blick zu, betrachtete ihn eingehend. Sein schwarzes Haar glänzte wie Seide. Wunderschön. Ken war einfach nur wunderschön.

„Du kannst ruhig sagen, wenn es dir nicht gefällt.“ Ken hatte seinen Stift zur Seite gelegt und sah ihn enttäuscht an. „Ich dachte, wir sind Freunde.“

Mist. Daisuke wollte nicht, dass sich Ken schlecht fühlte.

„Ich … es ist einfach nur ungewohnt.“ Ungewohnt war wohl nur, welche Gedanken er auf einmal hatte, wann immer er Ken ansah. „Ich bin halt einfach dein schulterlanges Haar gewöhnt, Ken.“

Sein bester Freund blickte ihn für einige Sekunden lang zweifelnd an und Daisuke, der sonst nie Probleme damit gehabt hatte, diesem Blick standzuhalten, musste sich anstrengen, nicht wegzuschauen. Verdammt, er sollte sich wirklich zusammenreißen. Es war doch nur ein neuer Haarschnitt.

Schließlich seufzte Ken und hob seinen Stift wieder auf, löste die nächste Rechenaufgabe. Daisuke blickte auf sein eigenes Buch, versuchte sich angestrengt an das zu erinnern, was Ken ihm gerade erst erklärt hatte. Stattdessen warf Daisuke ihm immer wieder einen schnellen Blick zu, wann immer Ken nicht darauf achtete.

„Du starrst“, merkte dieser an ohne von seinem eigenen Blatt aufzublicken. „Und du hast absolut keine Ahnung, was ich dir eben erklärt habe, richtig?“

Daisuke errötete. Wieso musste es Ken auch nur so leicht fallen ihn zu durchschauen?

„Ich … es tut mir leid“, meinte Daisuke und sah seinen besten Freund entschuldigend an.

„Was genau?“ Ken wandte sich ihm zu und hob skeptisch eine Augenbraue an. Da war es wieder, dieses Herzklopfen. Sollte das jetzt jedes Mal so gehen, wenn er Ken ansah? Es war nur ein neuer Haarschnitt.

„Ich … alles“, meinte er leise. „Das Starren und … Ich werde es nicht wieder tun, versprochen. Dein neuer Haarschnitt sieht halt einfach …“ – wunderschön – „… wirklich gut aus.“

Ken lächelte ihn wieder an und Daisuke fiel ein Stein vom Herzen.

„Ich war besorgt, dass es dir nicht gefallen würde“, meinte Ken leise.

„Dummkopf! Es sind deine Haare, wenn es mir nicht gefällt, dann ist das doch mein Problem“, warf Daisuke verärgert ein. Aber selbst, wenn Ken sich die Haare komplett abrasierte, er würde immer noch wunderschön sein in Daisukes Augen.

„Aber du bist mein bester Freund, Daisuke. Deine Meinung ist mir wichtig.“

„D-danke.“ Daisuke wusste nicht, was er sagen sollte.

„Soll ich es dir nochmal erklären?“, fragte Ken freundlich. Daisuke nickte und nahm sich vor, dieses Mal besser aufzupassen.

Und während Ken ihm ein zweites Mal erklärte, wie genau er die Matheaufgabe zu lösen hatte, ließ Daisuke immer wieder seinen Blick vom Schulbuch zu Kens Haaren wandern. Ken sah so gut aus mit diesem neuen Haarschnitt.

Ken hob seinen Kopf und blickte ihn vorwurfsvoll an. Ertappt sah Daisuke wieder auf sein Schulbuch.

„Es stört mich übrigens nicht“, meinte Ken plötzlich mit einem sanften Lächeln. „Wenn du mich anstarrst.“

Daisuke sah ihn verwirrt an. Wieder fragte er sich, wie es sich wohl anfühlen würde, Kens Haare zu berühren. Was lächerlich war, denn wie oft hatte er früher immer Kens Haare zerwuschelt? Er wusste doch, wie sie sich anfühlten.

„Was hältst du von einer kleinen Pause?“ Ken sah ihn lächelnd an. „Du bist sowieso viel zu abgelenkt gerade.“

Daisuke überlegte kurz nachzuhaken, was Ken genau damit gemeint hatte. Es würde ihn nicht stören, wenn Daisuke ihn ansah? Skeptisch warf er ihm einen Blick zu und öffnete seinen Mund und entschied sich dann doch dagegen. Vielleicht war es besser, wenn sie das Thema ruhen ließen.

„Wie waren deine Ferien?“, fragte er stattdessen und folgte Ken in die Küche, wo seine Mutter gerade einen Teller mit Essen füllte.

„Seid ihr schon fertig mit den Hausaufgaben?“, fragte sie freundlich.

Ken schüttelte den Kopf.

„Wir haben Hunger“, erklärte er freundlich und wandte sich dann an Daisuke. „Ziemlich langweilig. Du warst nicht da.“

Daisukes Herz klopfte laut, es war erstaunlich, dass Ken oder seine Mutter – und er konnte nicht sagen, was schlimmer wäre – es nicht hörten.

„Hast du mich ernsthaft vermisst, Ken?“ Er setzte ein schiefes Grinsen auf, als Ken ihn ansah.

Ken errötete und blickte dann eilig wieder weg.

Daisuke grinste breit und hielt Ken den nächsten Teller hin. Ihre Finger berührten sich, als dieser den Teller entgegennahm. Doch anstatt, dass Ken seine Hand zurückzog, ließ er seine Finger genau da, wo sie waren und blickte Daisuke auffordernd an. Alles, woran Daisuke denken konnte, war das Prickeln seiner Haut, dort wo Ken ihn berührte. Wieder glitt sein Blick zu Kens Haaren, die sein Gesicht umrahmten. Wie sehr wollte er ihn berühren.

Dann wurde die Wohnungstür geöffnet und Ken trat einen Schritt zurück. Herr Ichijouji kam in die Küche. Er lächelte, als er Daisuke entdeckte.

„Wie schön dich zu sehen, Daisuke-kun“, begrüßte er ihn. „Ken hat mir von deinem Urlaub erzählt. Wie war es in den Staaten?“

„Kalt“, meinte Daisuke grinsend und unterdrückte das merkwürdige Gefühl darüber, dass in ihm hochgekommen war, als Kens Vater den Moment zwischen ihm und Ken zerstört hatte. Daisuke wusste ja nicht einmal, was das zwischen ihnen da gerade war.

Vielleicht … schoss ein Gedanke durch seinen Kopf. Vielleicht hatte er dieses Herzrasen auch nur, weil sie Jogresspartner waren. Ja, das musste es sein. Wenn er Taichi fragte, dann würde ihm dieser sicher bestätigen, dass er auch so empfand in Yamatos Nähe.

Sicher war es eine vollkommen übliche Nebenwirkung ihrer Jogress-Verbindung, dass Daisuke nur wegen Kens neuem Haarschnitt Herzklopfen bekam.

 
 

~*~
 

 

„Einen Oolong-Tee und für Sie eine heiße Schokolade mit Sahne, bitte sehr.“ Die Bedienung stellte die beiden Getränke vor ihnen auf dem Tisch ab und eilte dann weiter zu einem älteren Herrn, der sie mit dem Portemonnaie in der Hand zu sich winkte.

„Endlich, ich war am Verdursten“, murmelte Taichi und trank vorsichtig aus seiner Tasse. Daisuke betrachtete ihn verwundert. Seit wann trank Taichi Oolong-Tee? Normalerweise würde er nachfragen, aber wenn er sich jetzt ablenken ließ, würden sie nicht dazukommen, über das Thema zu reden, weshalb Daisuke ihn hatte sehen wollen.

Daisuke umklammerte die warme Tasse und sah sich nervös um. Es war ein kleines Café, dass vor allem mit Studierenden gefüllt war, lag es doch in reichweiter Nähe der Universität, die auch Taichi besuchte. Ausgerechnet heute war es berstend voll. Die beiden hatten gerade noch so einen Platz erhaschen können.

„Also, worüber wolltest du mit mir reden?“ Taichi sah ihn aufmerksam über den Rand seiner Tasse entgegen. „Deine Nachricht klang danach, als würde es um Leben und Tod gehen.“

Daisuke zuckte mit den Schultern. Es war ihm zu voll hier. Zu viele Leute, die zuhören konnten. Aber Taichi hatte gemeint, dass er die meisten Nachmittage mit Lernen verbrachte. Und Daisuke wollte mit ihm gesprochen haben, ehe er Ken wiedersah.

„Naja, nicht wirklich“, meinte er kleinlaut. Wie genau sollte er ansprechen, dass er auf einmal solch merkwürdige Gefühle bekam, wann er Ken ansah? Er hatte Ken die restliche Woche nicht mehr gesehen – beide waren zu beschäftigt gewesen. Aber jetzt war Freitag und in nur wenigen Stunden würde er Ken am Bahnhof abholen. Sie würden das ganze Wochenende zusammen verbringen. Alleine, denn Daisukes Eltern besuchten dessen Großmutter und Jun war letztes Jahr ausgezogen.

Sie hatten Kens Übernachtung schon geplant, da hatte Daisuke noch nicht einmal seine Koffer für den USA-Urlaub gepackt. Aber jetzt erschien es ihm wie eine vollkommen schlechte Idee, zwei Nächte mit Ken zu verbringen. Zwei Nächte, die sie zusammen in einem Bett verbringen würden. Nachdem Daisuke die ersten Male von einem weinenden, manchmal auch schreienden Ken mitten in der Nacht geweckt wurde und er – sobald er Ken aus seinem Albtraum geholt hatte – darauf bestand, dass dieser den Rest der Nacht bei ihm im Bett verbrachte, waren sie irgendwann dazu übergegangen, gar nicht mehr das Gäste-Futon aufzuschlagen, sondern hatten es sich zu zweit in Daisukes Bett gemütlich gemacht. Vor zwei Jahren hatten seine Eltern ihm dann ein größeres Bett gekauft. Jetzt kam es Daisuke jedoch viel zu eng vor.

Was, wenn ihm wieder auffiel, wie Daisuke ihn anstarrte? Oder wenn Daisukes Körper irgendetwas peinliches tat?

„Es ist nur …“, begann er zögernd, als Taichis Handy plötzlich vibrierte. Der Ältere sah ihn entschuldigend an, ehe er es aufklappte und die Textnachricht las. Er lächelte breit und in seinen Augen lag ein verträumter Blick, während er eine kurze Antwort tippte. Daisuke brannte die Frage auf den Lippen, wer ihm da gerade geschrieben hatte, denn Taichis Gesichtsausdruck verriet eindeutig, dass der Absender jemand Besonderes für ihn war. Stattdessen biss er sich auf die Unterlippe und nippte an seinem Getränk, bis Taichi das Handy zuklappte.

„Entschuldige, Daisuke. Also, rück raus mit der Sprache. Egal was es ist, du kannst mit mir reden.“

„Ken hat einen neuen Haarschnitt!“, platzte Daisuke heraus.

„Und?“ Taichi hob eine Augenbraue an. „Ein neuer Haarschnitt ist doch nichts Außergewöhnliches.“

Daisuke senkte seinen Kopf und blickte auf seine Tasse. „Da hast du ja Recht, aber…“ Er verstummte und suchte nach den passenden Worten.

„Sieht er etwa so schlecht aus und du wolltest mich fragen, wie du Ken am besten beichten kannst, dass er absolut grässlich aussieht mit dem neuen Haarschnitt?“

„Ken sieht nicht grässlich aus“, erklärte Daisuke verärgert. Wie konnte jemand es überhaupt wagen, Ken hässlich zu bezeichnen? „Der neue Haarschnitt steht ihm absolut und er sieht so wunderschön damit aus und ich …“

Er verstummte, als er Taichis grinsendes Gesicht bemerkte.

„Wunderschön?“, fragte dieser neugierig. Daisuke schoss das Blut ins Gesicht und er rutschte nervös auf seinem Platz hin und her.

„Naja, also … er sieht jedenfalls nicht schlecht aus“, versuchte er seinen Gefühlsausbruch von vorhin zu beschwichtigen.

Taichi sah ihn skeptisch an. Sicher, dass das alles ist? Er brauchte die Frage nicht auszusprechen, Daisuke wusste auch so, was er sagen wollte.

„Du magst Ken“, stellte Taichi ruhig fest.

„Natürlich mag ich Ken. Er ist mein bester Freund. Mein Jogress-Partner. Weshalb sollte ich ihn nicht mögen?“

„Und Yamato ist mein bester Freund und unsere Digimon fusionieren ebenfalls, trotzdem bekomme ich kein Herzklopfen in seiner Nähe“, meinte Taichi.

„Woher weißt du, dass ich Herzklopfen in Kens Nähe kriege?“ Daisuke klappte die Kinnlade nach unten.

„Du hast es mir gerade eben verraten.“ Taichi sah Daisuke grinsend an.

„Ich dachte, vielleicht ist es, weil Ken und ich Jogress-Partner sind“, fing er langsam an. Er hatte die ganze Woche weiter über seine Theorie nachgedacht. Es konnte nur wegen ihrer Jogress-Verbindung sein. Daisuke hatte seine Freunde nicht fragen wollen, ob sie das Gleiche empfanden. Denn wenn nicht, dann würden Takeru und Miyako ihn nur damit aufziehen. Oder noch schlimmer: Sie würden zu Ken rennen und ihn fragen, ob er auch Herzklopfen bekam. Bei Taichi war er sich sicher, dass sein Geheimnis sicher bei ihm war.

„Ich meine… manchmal kann ich immer noch das Echo seines Herzschlags hören. Und ich weiß, dass er anruft, noch bevor das Telefon klingelt. Es genügt ein Blick und ich weiß, was er fühlt. Ich dachte bei dir und Yamato-san wäre es genauso?“

Taichi schüttelte langsam seinen Kopf. „Glaub mir, manchmal wäre es wirklich einfacher, diesen Sturkopf zu verstehen, aber da muss ich dich enttäuschen. Unsere Verbindung war noch nie so eng wie die von dir und Ken.“

Daisuke stöhnte leise. Er war sich so sicher gewesen, dass ihre Jogress-Verbindung damit zu tun haben musste. Was für einen Grund konnte es denn sonst geben, dass er sich so merkwürdig in Kens Nähe fühlte?

„Ich verstehe einfach nicht, was mit mir los ist“, klagte Daisuke. „Sonst war doch auch alles gut. Und jetzt hält mich Ken wahrscheinlich für total unheimlich, weil ich ihn am Montagnachmittag wie so ein Irrer die ganze Zeit über angestarrt habe. Ich meine, es ist nur ein neuer Haarschnitt. Ich wusste doch schon vorher, dass Ken gut aussieht. Wir reden hier von Ken. Ken ist absolut perfekt. Er ist freundlich und klug und witzig und liebevoll und er sieht so gut aus mit diesem neuen Haarschnitt, ich will ihn k-“ Ich will ihn küssen und ihm sagen, wie hübsch er aussieht.

Daisuke verstummte.

Hatte er gerade beinahe wirklich zu Taichi gesagt, dass er Ken küssen wollte?

Wollte er Ken wirklich küssen?

Er starrte einige Sekunden lang Löcher in die Luft und versuchte zu verstehen, was er da gerade gedacht hatte.

Und dann fiel es ihm wie Schuppen von den Augen.

„Scheiße“, entfuhr es ihm schließlich. Denn der Gedanke an Ken war auf einmal zuckersüß und allein die Idee, Ken zu küssen, brachte sein Herz zum Schmelzen.

„Scheiße, scheiße, scheiße“, fluchte er und schlug dann die Hand vor seinen Mund. „Ich glaube, ich habe mich in Ken verliebt.“

Es machte Sinn. Dieses Herzklopfen in Kens Nähe, dass er ständig an ihn dachte, dass Kens neue Frisur ihn so sehr aus der Fassung brachte. Er hatte sich schon einmal so gefühlt, damals als er noch in Hikari verknallt gewesen war. Aber die Gefühle für Taichis jüngere Schwester waren schon längst verblasst und sie waren nie so intensiv gewesen. Hilflos sah er zu Taichi rüber.

„Denkst du, Ken wird mich noch mögen, wenn er das erfährt?“

Taichi sah ihn verblüfft an und lachte dann laut. Daisuke spürte die fragenden Blicke der anderen Gäste und blickte auf die Tasse Kakao vor sich, während er darauf wartete, dass der Ältere sich wieder beruhigte. Er verstand wirklich nicht, was daran so witzig sein sollte. Daisuke machte sich ernsthafte Sorgen.

„Das ist alles, was du wissen willst?“, fragte Taichi, nachdem er sich wieder beruhigt hatte. „Ob Ken dich noch mag, nur weil du auf Jungs stehst? Ich dachte, du wärst mehr irritiert darüber, dass du auf Jungs stehst.“

Daisuke zuckte mit den Schultern. Wenn er eben auch – und er war sich ganz sicher, dass er beides mochte – Jungen mochte, dann war das ebenso. Er hatte sich noch nie etwas daraus gemacht, was andere über ihn dachten. Am wichtigsten war für ihn, was Ken von ihm dachte.

Er konnte es Ken nicht sagen. Was, wenn Ken ihn dann hasste?

Aber er hatte noch nie irgendein Geheimnis vor Ken gehabt! Er teilte alles mit Ken. Und jetzt sollte er seinem besten Freund verheimlichen, dass er in ihn verliebt war? Aber was, wenn es ihre Freundschaft zerstörte? Wenn Ken nicht so empfand wie er oder es ihn sogar anekelte? Daisuke wollte ihre Freundschaft nicht ruinieren. Aber er konnte es unmöglich vor Ken verbergen. Er wollte Ken sagen, was er für ihn empfand. Er hatte einfach nur Angst vor seiner Reaktion.

Taichi beugte sich nach vorne. „Denkst du wirklich, dass Ken dich nicht mehr mag, wenn er es weiß? Daisuke, warum sollte er das tun? Er ist dein bester Freund.“

Daisuke biss sich auf die Unterlippe.

„Ken würde sicher nicht eure Freundschaft beenden, nur weil du nicht nur Mädchen magst.“ Taichi schüttelte seinen Kopf. „Dazu bist du ihm zu wichtig, das merkt jeder. Und bist du sicher, dass du es vor ihm verbergen willst? Du teilst sonst auch alles mit ihm.“

Daisuke errötete, denn er wusste, dass Taichi richtig lag. Er hatte keine Geheimnisse vor Ken und ein Teil von ihm wollte es ihm am liebsten sofort erzählen. Früher hätte er es wahrscheinlich auch einfach getan.

Taichi trank den letzten Rest seines Tees aus und sprang dann auf, als er einen kurzen Blick auf seine Uhr geworfen hatte. „Ich will wirklich nicht unhöflich sein, aber ich wollte mich mit Koushiro treffen…“

„Nein, ist schon okay.“ Seine Tasse war noch halb voll. Aber Kens Zug kam erst in zwei Stunden an und er könnte die Zeit nutzen, um weiter nachzudenken. Über die Gefühle für Ken, die ihm jetzt erst klargeworden sind.

Taichi lächelte mitleidig und legte ihm dann eine Hand auf die Schulter. „Du solltest wirklich mit Ken reden“, meinte er dann. „Es war noch nie die richtige Entscheidung, seine Gefühle zu unterdrücken. Und vielleicht wirst du ja auch positiv überrascht und er erwidert deine Gefühle sogar?“

„Hattest du denn jemals Angst davor, jemandem zu gestehen, was du für diese Person empfindest, weil sie nicht das Gleiche empfinden könnte?“

Taichi dachte kurz nach, ehe er seinen Kopf schüttelte.

„Ich nicht“, meinte er schließlich. „Aber Koushiro war ziemlich nervös, weil er dachte, ich würde nichts für ihn empfinden.“

Daisuke sah ihn überrascht an. „Warte … du und Koushiro?“

Der Oolong-Tee. Die Nachricht, die Taichi zum Lächeln gebracht hatte. Und dass er sich jetzt mit Koushiro traf. Es machte alles Sinn.

Taichi nickte. „Koushiro und ich hatten noch nicht die Gelegenheit, es euch zu sagen. Also, wäre super, wenn du es für dich behältst?“

Daisuke lächelte zustimmend. Taichi wirkte glücklich. Und auch wenn es überraschend kam, dass er ausgerechnet Koushiro datete, es freute Daisuke, dass Taichi glücklich war mit ihm.

Taichi nickte ihm zum Abschied zu und verließ dann das Café. Daisuke nippte langsam an seinem Getränk und dachte über Taichis Worte nach.

Vielleicht würde er positiv überrascht werden? Aber wenn Ken ihn auf die Art mochte, wie Daisuke es tat, dann hätte es Daisuke doch auffallen müssen. Er wusste doch sonst auch, was Ken dachte.

Vielleicht sollte er Ken absagen. Er könnte behaupten, dass er krank war. Dann fiel ihm ein, dass er kurz vor dem Treffen mit Taichi Ken eine kurze Nachricht geschickt hatte, dass sie auf dem Weg zu Daisukes Zuhause noch kurz im Ai-Mart einkaufen mussten. Er konnte jetzt unmöglich absagen.

Daisuke trank den letzten Schluck Kakao aus und wischte sich dann mit dem Handrücken über den Mund. Vielleicht könnte er erst einmal versuchen, herauszufinden, was Ken generell von Menschen hielt, die das gleiche Geschlecht mochten. Und dann würde er weitersehen.

 
 

~*~
 

 

Kalte Luft schlug Ken entgegen, als die U-Bahntüren sich öffneten und er auf den Bahnsteig trat. Aber es war ihm egal, denn er würde Daisuke heute sehen und ein ganzes Wochenende mit ihm verbringen. Etwas, worauf er sich seit Tagen freute.

Daisuke wartete hinter der Bahnsteigsperre und winkte ihm aufgeregt zu, als er Ken entdeckte. Ken lächelte und so sehr er seinen besten Freund am liebsten sofort umarmen wollte, er reihte sich in die Schlange ein, um die Sperre zu passieren.

Die Zeit konnte er nutzen, damit sich sein Herz wieder beruhigte, dass so oft, wenn er Daisuke sah, so schnell zu klopfen anfing, als wäre er einen Marathon gerannt.

Eigentlich hatte Ken gedacht, dass er seine Gefühle unter Kontrolle hatte. Aber seit sich die beiden am Montag wiedergesehen hatten, seit Daisuke seinen neuen Haarschnitt gesehen und ihn mit seinen großen, mahagoni-braunen Augen angestarrt hatte und den ganzen Nachmittag über immer wieder Blicke zu Ken geworfen hatte, war Ken wieder daran erinnert worden, dass er hoffnungslos in seinen besten Freund verknallt war.

„Hey!“ Daisuke schlang seine Arme um ihn, als Ken durch die Absperre trat und dieser erwiderte die Umarmung seines besten Freunds nur allzu gerne. Und vielleicht drückte er Daisuke etwas enger an sich und hielt ihn etwas länger fest, als normale Freunde es tun würden. Es war ihm egal.

„Wie war die Schule?“, fragte Ken lächelnd, während die beiden sich Arm in Arm auf den Weg zum Supermarkt machten. Er genoss die Nähe seines besten Freundes, der nun darauf losplapperte und erzählte, wie seine Woche verlaufen war.

Ken war erleichtert, dass Daisuke sich wieder normal benahm. Sein Verhalten am Montag hatte ihn vollkommen irritiert und er hatte die ganze restliche Woche damit verbracht, darüber zu grübeln, was mit Daisuke los war. Vielleicht war seine größte Angst wahrgeworden und Daisuke hatte geschnallt, dass sich Ken in ihn verguckt hatte.

Er hatte schon längst akzeptiert, dass er auf seinen besten Freund stand. Genauso wie er akzeptiert hatte, dass Daisuke seine Gefühle nicht erwiderte. Immerhin hätte dieser doch sonst längst etwas getan, oder? Motomiya Erst-handeln-dann-denken-Daisuke. Auch wenn er im Laufe der Jahre etwas ruhiger geworden war. Wenn er also auch nur den Hauch von dem empfand, was Ken fühlte, dann hätte er ihn doch sicher schon längst geküsst.

„Ken? Hörst du mir eigentlich zu?“ Daisuke sah ihn verwundert von der Seite an und dieser errötete. Als ihm klar geworden war, was er für Daisuke empfand, hatte er sich Sorgen gemacht, dass ihr ständiges Aneinanderkleben, ihre ständigen Berührungen und dergleichen, Daisuke irgendwann stören würden. Also hatte Ken beim nächsten Treffen mit Daisuke und den anderen versucht, sich von Daisuke fernzuhalten. Allerdings war es Daisuke gewesen, der sich ihm regelrecht aufgedrängt hatte, immer einen Arm um ihn gelegt und Ken hatte nicht leugnen können, dass ihn Daisukes Nähe glücklich machte. Und vielleicht warf er Daisuke immer mal wieder sehnsüchtige Blicke zu, wenn dieser nicht guckte, oder bewunderte seinen Körper.

„Ich war gerade mit den Gedanken woanders“, meinte er entschuldigend. Sie hatten den Supermarkt erreicht.

„Ich wollte wissen, was du heute Abend essen willst“, fragte Daisuke nach. Ken zuckte mit den Schultern.

„Wenn du dich nicht entscheidest, dann koch ich Ramen“, warnte er ihn und zwinkerte ihm zu, während er den Einkaufswagen vor sich herschob und prüfend zwei Chinakohlköpfe betrachtete.

Ken lachte leicht. „Du arbeitest in einem Ramen-Shop und willst trotzdem Ramen für mich zubereiten? Wird dir das nicht langweilig?“

Daisuke grinste breit und legte dann beide Kohlköpfe in den Wagen. „Ich muss doch in Übung bleiben. Und außerdem liebst du mich und meine Ramen!“

Ken schluckte. Wenn Daisuke nur wüsste, wie sehr er mit dieser Aussage richtig lag.

„Ich will halt nicht, dass dir langweilig wird“, meinte er stattdessen. „Und nach einer Woche lang Ramen kochen, denkst du nicht, dass es Zeit für etwas Abwechslung wird?“

Er blickte Daisuke auffordernd an.

„Hm… aber es ist etwas anderes, wenn ich für dich koche“, meinte Daisuke nach einer Weile, in der sie einfach nebeneinanderhergingen und Daisuke gezielt Sachen aus den Regalen zog. „Du bist mein bester Freund und ich koche gerne Ramen für dich.“

Ken konnte es nicht leugnen, Daisukes Ramen zählte definitiv zu seinen Lieblingsessen.

„Keine Sorge, ich werde dich nicht das ganze Wochenende dazu zwingen, Ramen zu essen“, fügte Daisuke hinzu. „Was hältst du von Snacks für nachher?“

„Was hast du denn für nachher geplant?“, fragte Ken neugierig.

„Es gibt da diesen Film, den ich gerne gucken würde“, meinte Daisuke zögernd. Ken hob fragend eine Augenbraue an. Da ihr Filmgeschmack sich so sehr unterschied, hatten sich die beiden darauf geeinigt, immer abwechselnd einen Film auszuwählen. Letztes Mal war Daisuke dran – und seine Wahl war auf einen Horrorfilm gefallen, bei dem sich Ken vor Angst beinahe in die Hose gemacht hatte. Trotzdem hatte er die Gelegenheit genutzt, und sich an Daisuke gekuschelt, wann immer ihn etwas erschreckte. Daisuke hatte es nicht gestört, sondern stattdessen mit seiner freien Hand über Kens Rücken gestreichelt. Und Daisukes Streicheleinheiten hatten den Film nicht ganz so schlimm gemacht.

„Es ist kein Horrorfilm“, erklärte Daisuke ihm. „Und ich weiß, dass du eigentlich dran wärst, aber ich habe den Film auf dem Weg hierher durch Zufall in der Videothek gesehen und mir gedacht, dass ich die Chance nutzen sollte, ehe er wieder für Wochen ausgeliehen ist.“ Seine Unterlippe vorgeschoben sah er Ken mit großen Augen an.

„Was ist es denn für einer?“, fragte er neugierig.

„Eine Action-Komödie“, meinte Daisuke und streckte sich, um das obere Regal zu erreichen. Ken nutzte die Gelegenheit, Daisukes Körper zu bewundern. „Russischer Geheimagent und amerikanischer Ex-Dieb müssen zusammenarbeiten, um einen Wissenschaftler zu befreien, der von Nazis entführt wurde.“

„Meinetwegen.“ Ken ahnte, dass Daisuke den Film aus einem bestimmten Grund sehen wollte und er war neugierig, was das für ein Grund war. Sie gingen weiter zur Kasse, Daisuke unterhielt sich mit Miyakos Vater und erst als Ken ihn darauf aufmerksam machte, dass hinter ihnen noch andere Menschen warteten, unterbrachen sie ihr Gespräch. Herr Inoue versprach, seiner Tochter Grüße von den beiden auszurichten.

Den Rest zur Wohnung der Motomiyas verbrachten sie damit, sich gegenseitig zu erzählen, was sie die letzten Tage erlebt hatten.

Sie erreichten Daisukes Zuhause ohne besondere Vorkommnisse und wie üblich schlüpfte Ken aus seinen Schuhen in das Paar Hausschuhe, dass irgendwann im Laufe der Jahre zu seinem geworden war.

Sie räumten zusammen den Einkauf ein, Ken wusste inzwischen nur allzu gut, wo alles hingehörte. Dann machte Daisuke sich an die Zubereitung ihres Abendessens, während Ken nur das Gemüse wusch und schnitt. Er war noch nie wirklich begabt, wenn es ums Kochen gab, weshalb er die meiste Arbeit Daisuke überließ. Und außerdem sah er seinem besten Freund gerne beim Kochen zu. Daisuke sah dann immer so konzentriert und wachsam auf, am liebsten hätte Ken ihn von hinten umarmt und ihm ins Ohr geflüstert, wie gut sein bester Freund aussah. Stattdessen begnügte er sich damit, ihm beim Kochen zuzusehen und schob jede Fantasie, die Daisuke involvierte, in die tiefsten Ecken seines Bewusstseins.

„Bitte sehr!“ Grinsend stellte Daisuke schließlich eine Schüssel gefüllt mit Ramen vor ihm auf den Tisch. In der Mitte der Schüssel, umgeben von Ramen-Nudeln, Schweinefleisch und Mais, lag ein halb aufgeschnittenes Ei, zwei Maiskörner auf dem Eiweiß, sodass das Ei aussah, als würde es ihn erschrocken angucken. Daisuke sah ihn abwartend an, während Ken mit dem Löffel zuerst die Brühe kostete, die einen wunderbar würzigen Geschmack hatte, und sich dann Nudeln und Fleisch in den Mund schob. Die Nudeln waren nicht zu weichgekocht, genau wie Ken es mochte. Das Fleisch zerfloss regelrecht auf seiner Zunge. Eilig aß er weiter und das Ramen wärmte ihn von innen. Wie sehr er Daisukes Ramen doch vermisst hatte. Mit seinem besten Freund hier am Tisch sitzend und Ramen essen, hatte eine unglaublich beruhigende Wirkung auf ihn.

Ken warf Daisuke einen nervösen Blick zu und hielt dann inne. Sein bester Freund hatte seine eigene Portion noch gar nicht angerührt, sondern starrte ihn wieder einmal an. Und … war es bloß seine Einbildung oder starrte Daisuke ihm gerade auf die Lippen? Sein bester Freund schien nicht bemerkt zu haben, dass Ken ihn erwischt hatte. Langsam kaute Ken weiter, er wollte nicht, dass Daisuke etwas bemerkte und schluckte dann schließlich.

Daisuke sagte nichts, also entschied sich Ken weiter zu essen.

„Hmmm“, seufzte er begeistert, als er fertig gegessen hatte. Daisuke hatte ihn die ganze Zeit über beobachtet. „Daisuke, du hast dich mal wieder selbst übertroffen.“

Daisuke errötete und blickte auf seine eigene Portion. Er bemerkte, dass die Schüssel vor ihm noch voll war und schob sich hektisch das Essen in den Mund. Ken kicherte, legte die Essstäbchen entgegen und beobachtete nun Daisuke aufmerksam beim Essen.

„Ist was?“, fragte Daisuke verwirrt, als er sein Ramen zur Hälfte aufgegessen hatte. „Sag nicht, ich habe gekleckert.“

Nein, aber du siehst wunderschön aus.

„Ich habe mich einfach nur gefragt, ob es einen bestimmten Grund gibt, dass du nachher diesen Film gucken willst“, meinte er stattdessen.

Daisuke zuckte kaum merklich zusammen. „Uhm … ich fand den Trailer halt sehr interessant“, entgegnete er langsam und Ken war sich nun zu 100 Prozent sicher, dass Daisuke mit dem Film etwas bezwecken wollte.

„Wenn du den Film so sehr gucken willst, was hältst du davon, wenn wir ihn jetzt gleich anmachen?“

„Aber …“ Daisuke deutete auf seine Portion Ramen.

„Du kannst auch in deinem Zimmer essen“, schlug Ken vor und beugte sich dann über den Tisch, um nach Daisukes Schüssel zu greifen. Mit der Schüssel in der Hand ging er in Richtung Daisukes Zimmer. Erst als er im Flur stand, schob Daisuke seinen Stuhl nach hinten, kramte in seinem Rucksack und eilte ihm hinterher.

„Du bestehst doch immer darauf, dass wir am Tisch essen“, meinte er kopfschüttelnd und schaltete seinen Fernseher und den DVD-Rekorder ein.

„Nun, ich war halt neugierig auf den Film.“

Daisuke sagte nichts, sondern legte die DVD ein und machte es sich dann auf dem Bett gemütlich.

Er startete den Film und nahm dann die Schüssel entgegen, die Ken ihm hinhielt.

Ken war normalerweise kein Fan von Actionfilmen. Der Film war jedoch interessant. Und dann war da noch die Tatsache, dass der amerikanische Ex-Dieb und der russische Geheimagent sich während der Handlung immer näherkamen. Da waren sanfte Blicke, die die beiden sich gegenseitig zuwarfen, eine besitzergreifende Hand, die der Russe dem Amerikaner um die Hüfte legte, als die Antagonistin mit diesem flirtete. Doch die beiden Männer waren in Begleitung einer jungen Frau, die mit dem Russen eine Ehe vorspielte, um den Feind so besser ausspionieren zu können. Ken wusste, dass die beiden am Ende des Films zusammenkommen würden. So war es doch immer in dieser Art von Filmen, auch wenn der Mann und die Frau absolut keine Chemie miteinander hatten. Immerhin hatte sie in diesem Film eine wichtige Rolle und diente nicht nur dazu, die Handlung des männlichen Protagonisten voranzubringen.

Umso erstaunter war Ken, als dann die Szene kam, in der der Amerikaner entführt und gefoltert wurde. Gerade rechtzeitig tauchte der Russe auf und knockte den Gegner mit einer Eisenstange aus. Dann befreite er seinen Kollegen und als dieser ihm etwas sagen wollte, drückte er seinen Mund auf den des anderen.

Ken wusste nicht, wer erstaunter dreinblickte. Er oder der Amerikaner. Aber der Ex-Dieb blinzelte einfach nur mehrmals und grinste seinen Partner dann schief an. „Da ist eine Bombe zu entschärfen, also so sehr ich auch weitermachen will, was hältst du davon, wenn wir das auf später verschieben?“

Vorsichtig blickte Ken in Daisukes Richtung. Sein bester Freund saß kerzengerade neben ihm, die Hände auf den Knien abgestützt. Er blickte konzentriert auf den Bildschirm, seine Wangen leicht gerötet.

War das der Grund, weshalb Daisuke diesen Film hatte sehen wollte?

Den Rest des Filmes bekam Ken nicht mehr mit. Er war zu beschäftigt damit, Daisuke anzustarren und sich zu fragen, ob seine Vermutung wirklich richtig war. Daisuke vermied es, in seine Richtung zu blicken, doch die Angespanntheit seines Körpers verriet Ken, dass dieser innerlich brannte. Schließlich, es kam Ken wie eine halbe Ewigkeit vor, liefen die Endcredits über den Bildschirm. Daisuke seufzte erleichtert und blickte dann auf seine Knie, zupfte am Ärmel seines Pullovers.

„Der war gar nicht mal so schlecht“, meinte Ken vorsichtig. Daisuke zuckte kaum merklich und blickte ihn dann schüchtern an. „Ich muss sagen, die Sache mit Dmitri und Jim hat mich erstaunt.“

„Es hat … dich also nicht gestört?“

Ken schüttelte den Kopf.

„Oh.“ Daisuke sah ihn verwundert, aber auch erleichtert an. Er öffnete mehrmals seinen Mund und klappte ihn dann immer wieder zu, so als könne er sich nicht entscheiden, was er sagen wollte. Ken starrte ihn stumm an. Küss mich bitte, schrie alles in ihm.

„Du hast also kein Problem … damit?“ Er zeigte mit dem Kopf Richtung Fernseher.

„Nicht wirklich“, erwiderte Ken achselzuckend.

Daisuke seufzte erleichtert und rutschte nach hinten.

„Fuck, du weißt gar nicht, wie erleichtert mich das macht.“

Ken betrachtete Daisuke, wie er sich in die Länge streckte und rutschte dann näher an seinen besten Freund heran, stützte seinen Kopf mit dem Ellenbogen an der Wand ab.

Daisuke biss sich kurz auf die Unterlippe und rutschte dann ebenfalls enger an Ken.

„Gibt es etwa einen bestimmten Grund, warum dich das so erleichtert?“ Ken konzentrierte seine Aufmerksamkeit auf Daisukes Brust, die sich mit jedem Atemzug hob und senkte.

„Ich glaube, dass ich beides mag. Also Mädchen und Jungen.“

Oh.

Ken sah ihn erstaunt an. Wenn er sich jetzt vorbeugte, könnte er Daisuke küssen. Daisuke mochte Jungen. Er könnte so tun, als hätte er das Gleichgewicht verloren. Es bestand die Chance, dass Daisuke für ihn das Gleiche empfand, wie er für Daisuke.

Sollte er es wagen? Langsam beugte er sich tiefer.

„Ich … ich war nicht ganz ehrlich mit dir gewesen“, setzte Daisuke an und Ken hielt inne. Sein bester Freund hob seine Hand und strich ihm dann über das kurze Haar.

„Also, was dein Haar angeht. Es sieht nicht nur ganz gut aus … also, eigentlich … du bist wunderschön, Ken“, flüsterte er, seine Wangen knallrot. „Du warst schon immer wunderschön, aber irgendwie ist es mir erst jetzt aufgefallen.“

„Daisuke, ich …“

„Darfichdichküssenken?“ fielen ihm die Worte hektisch aus seinem Mund.

Ken blickte ihn überrascht an. Er wusste nicht, was er sagen sollte. War das gerade wirklich passiert oder bildete er es sich nur ein? Daisuke hatte ihn gefragt, ob er ihn küssen dürfte. Oder hatte er sich nur verhört? meldete sich eine kleine Stimme in seinem Bewusstsein. Ken schluckte nervös. Was, wenn all das nur dazu da war, dass Daisuke herausfinden wollte, ob sein bester Freund schwul war und deswegen dann ihre Freundschaft beenden würde?

Ken runzelte seine Stirn, um den Gedanken zu vertreiben. Daisuke würde so etwas nicht tun.

„Ken?“, unterbrach dieser seine Gedanken. „Bitte, sag doch etwas...“

Seine Stimme war brüchig, so als wäre er den Tränen nahe. Etwa wegen ihm? Dachte Daisuke etwa, dass Ken ihn nicht küssen wollte? Dabei gab es nichts, was Ken lieber tun würde.

Statt zu antworten, kletterte Ken auf seinen Schoß und drückte dann vorsichtig seine Lippen gegen die von Daisuke.

Daisukes Lippen schmeckten nach dem Ramen von vorhin und wahrscheinlich schmeckte er genauso. Er wollte sich zurückziehen, doch Daisuke hatte schon seine Arme um ihn geschlungen und hielt ihn fest. Hungrig presste er seinen Mund gegen Ken und leckte mit seiner Zunge über dessen Unterlippe.

Ken öffnete nur allzu gerne seinen Mund und dann war Daisukes Zunge in ihm und erkundete und liebkoste ihn und Daisukes Hände wanderten über seinen Rücken nach oben, bis sie sich in Kens Haaren vergruben.

Es war alles, was Ken sich immer erträumt hatte. Und jetzt saß er hier auf Daisukes Schoß und dieser küsste ihn innig und voller Liebe. Zaghaft löste er sich einmal ein kleines Stück von Daisukes Lippen, doch Daisuke sah ihn mit einem offenen Auge an und flüsterte ein leises „Später, will dich weiter küssen“, ehe er wieder ihre Lippen aufeinanderdrückte.

Und Ken hatte definitiv keine Einwände. Er hatte so lange davon geträumt, dass er Daisuke küssen wollte, da wollte er jetzt nicht so schnell aufhören.

Es war das laute Klingeln des Telefons, dass die beiden schließlich dazu brachte, ihren Kuss zu unterbrechen. Ken kletterte von Daisuke und dieser rannte in den Flur, um das Gespräch anzunehmen.

Vorsichtig befühlte Ken seine Lippen. Waren sie geschwollen von dem vielen Küssen oder kam es ihm nur so vor?

Er hatte Daisuke geküsst. Wie lange hatte er auf diesen Moment gewartet und nun war er da, Ken könnte weinen vor Glück. Daisuke mochte ihn. Daisuke mochte ihn sogar so sehr, dass er ihn stundenlang küssen wollte.

„Da hat sich jemand verwählt“, erklärte Daisuke genervt, als er wieder in sein Zimmer kam. Er blieb stehen, als er Ken sah und eilte dann zu ihm.

„Scheiße, Ken, was ist los? Habe ich irgendwas falsch gemacht, dich zu irgendetwas gedrängt, wofür du noch nicht bereit warst?“ Besorgt wischte er ihm über die nasse Wange.

Ken hatte gar nicht bemerkt, dass er weinte. Lachend schüttelte er seinen Kopf und lehnte sich gegen Daisukes warme Hand.

„Ich bin einfach nur glücklich“, erwiderte er sanft. „Du weißt gar nicht, wie oft ich von diesem Moment geträumt habe.“

Daisuke blinzelte und kicherte dann leicht, ehe er sich neben ihn setzte. „Ich hatte Angst, dass du nicht so für mich empfindest“, gestand er leise. „Ich dachte, dass ich doch hätte merken müssen, was du für mich fühlst.“

„Ich schätze, ich war schon immer in dich verliebt gewesen“, meinte Ken sanft und strich mit den Fingern sanft über Daisukes Unterarm. „Aber … so wirklich klar wurde es mir erst, als du aus deinem Koma aufgewacht bist, nachdem wir in der Digiwelt gefangen gehalten wurden.“

Daisuke blickte ihn erstaunt an. „Das war vor zwei Jahren, Ken“, rief er aus. „Du bist seit zwei Jahren in mich verliebt und ich habe es nie gemerkt?“

Ken schüttelte seinen Kopf. „Das war der Moment, indem es mir klar geworden war“, korrigierte er ihn. „Ich war es auch schon vorher gewesen.“

„Wow. Toller Freund bin ich, dass mir das nicht einmal aufgefallen ist.“ Daisuke sah enttäuscht aus, also tat Ken das Einzige, was ihm in dieser Situation als richtig erschien und drückte ihm einen Kuss auf die Wange.

„Mach dir keine Vorwürfe, Dai“, bat er ihn. „Das Wichtigste ist doch, dass wir es jetzt wissen.“

Daisuke lächelte zustimmend.

„Magst du mir verraten, wie du es gemerkt hast?“, fragte Ken neugierig.

Daisuke grinste breit. „Dein neuer Haarschnitt hat mein Herz im Dreieck springen lassen. Ich wusste nicht, was mit mir los war, also habe ich Taichi-san um Rat gebeten und er hat mich ermutigt, dir meine Gefühle zu gestehen. Ich glaube, Taichi wusste, was du für mich empfindest, sonst hätte er es nicht getan.“

Ken sagte nichts, sondern ließ seine Hand weiter über Daisukes Arm wandern, bis er ihre Finger ineinander verschränken konnte.

„Kann ich dich was fragen, Daisuke?“

„Alles.“

„Sind wir jetzt zusammen?“

Daisuke kicherte leicht und streckte sich dann, um Ken einen Kuss auf die Stirn zu drücken. „Aber natürlich“, meinte er und bedeckte sein Gesicht weiter mit Küssen. „Ich könnte mir niemand anderen als meinen festen Freund vorstellen.“

Ken drückte sanft seine Hand. „Ich mir auch nicht. Du bist absolut perfekt für mich.“

 
 

Ende.
 


 



Fanfic-Anzeigeoptionen

Kommentare zu diesem Kapitel (0)

Kommentar schreiben
Bitte keine Beleidigungen oder Flames! Falls Ihr Kritik habt, formuliert sie bitte konstruktiv.

Noch keine Kommentare



Zurück