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Panik

Nur mühsam konnte Akihito einen Aufschrei unterdrücken als er schweißgebadet aus seinem Alptraum erwachte. Mit weit aufgerissenen Augen starrte er in die Dunkelheit von Eurys Schlafzimmer, während er dem donnernden Rhythmus seines Herzens lauschte. Immer wieder versuchte er normal Luft zu holen, doch außer einem abgehakten Keuchen kam nichts über seine Lippen. Egal wie viel Luft er ansaugte, es war noch immer zu wenig. Vorsichtig drehte er sich von dem großen Russen weg auf die Seite, in der Hoffnung das ein Positionswechsel ihm Linderung verschaffen würde. Abgerissene Bilder seines Traums tauchten immer wieder vor seinen Augen auf und brachten ihn beinahe zum Schluchzen. Er hatte schon die letzten Tage Alpträume, doch so schlimm wie heute waren sie nie gewesen.

Steif wie ein alter Mann quälte sich der Japaner aus dem Bett und taumelte in das angrenzende Badezimmer. Mittlerweile musste er nicht mehr lange suchen um den Lichtschalter zu finden. Mit zusammengekniffenen Augen bewegte Akihito sich durch den Raum in Richtung Waschbecken. Sein erster Impuls war es den Blick in den Spiegel zu vermeiden, doch er wurde magisch von der reflektierenden Oberfläche angezogen.

Ein Wimmern kam über die Lippen des Fotografen, als er sich selbst erkannte. Tiefe Ringe lagen unter seinen Augen, während seine Haare einem explodierten Vogelnest ähnelten. Das war es aber nicht was den Japaner so schockierte, schließlich stand er hier mitten in der Nacht. Vielmehr war es sein stumpfer Blick, die matte Haut und der mittlerweile deutlich sichtbare Gewichtsverlust, was ihm so zusetzte. Erschrocken starrte Akihito die Person im Spiegel an, die er kaum noch erkannte. Ungläubig strich er sich immer wieder selber durchs Gesicht und die Haare. Am Ergebnis änderte sich nichts.

Er würde schnell etwas unternehmen müssen, wenn er diesen Zerfall würde aufhalten wollen. Ansonsten würde er sehr wahrscheinlich Asami in den nächsten Monaten folgen. Die Frage war nur. Wollte er das überhaupt?

Immer hatte er sich gewünscht wieder selber über sein Leben bestimmen zu wollen. Frei von dem Yakuza zu sein. Und jetzt war er hier, bei einem Russen der ihm wirklich jeden Wunsch von den Augen ablas und ihm alles kaufte, noch bevor er auch nur ein Wort gesagt hatte. Sogar eine Aufgabe hatte Eury ihm verschafft, indem er einen Raum in der Villa seines Vaters hatte umbauen lassen. In diesem hatte er Akihitos persönliches Fotostudio eingerichtet, inklusive Dunkelkammer.

Allein die Kameras die der Russe angeschafft hatte, kosteten mehr als das was Akihito jemals würde verdienen können. Es war ein wahrgewordener Traum bei Eury leben zu dürfen.

Doch anstatt sich zu freuen hatte sich nur kälte in dem Japaner breit gemacht. Immer weniger zeigte er Gefühle, doch nicht weil er sie unterdrückte. Fragend sah Akihito auf seine Hand und spürte wie sich die Taubheit mittlerweile durch seinen gesamten Körper zog. Selbst wenn er mit dem Blonden schlief, spürte er immer weniger. Unwillkürlich bekam der Fotograf Angst vor dem Tag an dem er vollkommen erkaltete. Würde er dann noch leben? Oder würde es dann endlich vorbei sein?

Er wusste es nicht. Ekel überkam Akihito als er auf die makellose Haut starrte. Haut die schon so oft beschmutzt worden war. Von Asami, Feilong, Eury und so vielen anderen. So oft schon war es ihm gelungen sich wieder rein zu waschen. Diesmal jedoch war etwas anders. Der Antrieb fehlte ihm sich wieder aufzurichten. Bitter lachte Akihito auf und kniff in die helle Haut. Für einen Sekundenbruchteil spürte er die Hitze und den kurzen Schmerz. Nur ein roter Fleck zeugte von dem was er gerade getan hatte. Sachte strich der Japaner darüber. Für einen winzigen Augenblick hatte er gerade etwas gespürt, sich selbst gefühlt.

Ohne groß darüber nachzudenken, wühlte Akihito sich durch den Badezimmerschrank, bis er schließlich die Ersatzklingen für den Rasierer gefunden hatte. Neugierig fuhr er mit den Fingern über die scharfe Klinge, darauf bedacht sich nicht zu schneiden. Vor Aufregung zitterte der Fotograf am gesamten Leib. Wollte er diese Schwelle wirklich überschreiten? Probeweise legte er sich die reflektierende Klinge auf den Arm. Zuckte jedoch sofort zurück, als er an die Spuren dachte, die zurückbleiben würden. Sollte er jemals wieder in ein normales Leben zurückfinden, würde er seine Arme brauchen. Wie sollte er sonst seine Kamera halten? Das war jedoch auch der Knackpunkt, würde er sich jemals fangen können?

Trotzdem glitt er weiter über mit der Klinge über seinen Körper, bis er an seinen Beinen angelangt war. Zittrig atmend setzte Akihito sich auf den geschlossenen Toilettendeckel und schloss die Augen. Er erinnerte sich daran wie gern Asami sich an seinen Beinen entlanggeküsst hatte, dabei feurige Spuren der Leidenschaft hinterlassend. Fast glaubte er die goldenen Augen des Yakuzas vor sich zu sehen, als sich die Klinge in seine Haut versenkte. Ein Stöhnen kam über die Lippen des Fotografen, während er den Schnitt langsam vergrößerte. Diese besondere Mischung aus Schmerz und Lust die nur Asami in ihm auslösen konnte, nahm für einen glückseligen Moment Besitz von ihm. Pures Leben schien durch seinen sonst so abgestumpften Körper zu pulsieren.

Zumindest so lange, bis er nach einer gefühlten Ewigkeit die Augen wieder öffnete. Er war wieder allein. Natürlich.

Doch was ihm in diesem Moment am meisten schockte waren die vier langen Schnitte in seinem Oberschenkel. Akihito hatte gar nicht bemerkt das er mehrmals angesetzt hatte, so sehr war er gefangen in seiner kurzen Euphorie.

Hastig griff er nach einem Handtuch und presste es auf die tiefen Schnitte. Erschrocken zischte der Japaner auf, als ein greller Schmerz durch sein Bein ging. Trotzdem stand er mit zittrigen Beinen von der Toilette auf um hastig nach einem Lappen zu suchen um seine Spuren zu beseitigen. Dabei war es schwieriger als gedacht, sich mit seinem verletzten Bein zu bewegen. Doch nach einer gefühlten Ewigkeit war es ihm schließlich gelungen, das Bad zu putzen, die benutzte Klinge wegzuwerfen und ein neues Handtuch um die Verletzung zu wickeln. Erleichtert atmete Akihito auf, als er sich noch einmal prüfend im Badezimmer umsah, aber keine Spuren mehr finden konnte.

Schmerzhaft humpelnd verließ der Japaner den Raum und kroch schließlich zurück in das warme Bett. Zu seiner Überraschung schlief er sofort wieder ein nachdem er sich an Eury gekuschelt hatte. Zum ersten Mal seit langer Zeit spürte er eine angenehme Mattigkeit in den Gliedern und der Rest der Nacht blieb vollkommen traumlos.
 

Die Sonne stand bereits hoch, als Eury die Augen aufschlug. Wie immer wenn er dabei den Blonden neben sich entdeckte, glitt ein Lächeln über die harten Züge. In solchen Momenten schien es einfach keine Probleme zu geben und alles war vollkommen in Ordnung. Zärtlich strich der Russe über die weichen Haare des Fotografen und zog diesen zu sich heran. Er genoss dabei die Wärme die von dem zarten Leib ausging, der sich wie selbstverständlich an ihn schmiegte. Der unverwechselbare Geruch Akihitos umgab ihn dabei und brachte ihn dazu seine Gedanken schweifen zu lassen. Denn natürlich war nicht alles in Ordnung mit dem Japaner. Selbst Eury, mit seinem mehr als begrenzten Repertoire an Mitgefühl und Fürsorge, bemerkte wie ihm der Junge jeden Tag ein wenig mehr entglitt. Hatte er anfangs noch geglaubt mit ein wenig körperlicher Nähe an Akihito heran zu kommen, so war das mittlerweile in einen wahren Marathon ausgeartet. Zwar hatte der Russe nie auf Blümchensex und Kuscheln gestanden, doch es war eine Tatsache das der Fotograf ihn an seine Grenzen brachte. Nicht nur was die Häufigkeit sondern auch die Härte ihres Liebeslebens anbelangte. Es war jetzt sogar schon so weit das er begann sein eigenes Schlafzimmer zu meiden. Immer länger blieb er abends in seinem Büro und wartete darauf das Akihito endlich einschlief, damit auch er sich endlich hinlegen konnte. Natürlich war sich Eury nur zu bewusst dass sie so auf eine Sackgasse zusteuerten. Es gelang ihm nicht den Fotografen zurück ins Leben zu locken. Egal was er auch versuchte, es endete immer damit das der Japaner sich ihm verweigerte. Mehrmals schon hatte der Russe versucht den Jüngeren aus dem Haus zu locken, doch egal was er auch auffuhr, Akihito ließ es allerhöchstens über sich ergehen und verschwand danach wortlos wieder im Schlafzimmer, welches mittlerweile so etwas wie seine Festung war. Doch für den Älteren wurde es immer schwerer den Raum zu betreten, der sich von Tag zu Tag fremder anfühlte. Es war nicht länger sein Schlafzimmer oder sein Bett. Es war keine Freude mehr mit Akihito zu schlafen, geschweige denn war noch Lust am Akt vorhanden. Es wurde zu einer Pflicht. Jeden Tag zwang Eury sich dazu seiner Pflicht nachzukommen. Er wollte um jeden Preis den Japaner am Leben erhalten. Doch selbst wenn er alles tat was der Jüngere wollte, so sah er ihn jeden verfluchten Tag beim sterben zu. Schon jetzt hatte er das Gefühl das jeden Morgen ein wenig mehr von Akihito verloren ging, ohne dass er es verhindern konnte. Mühsam versuchte Eury die negativen Gedanken aus seinem Kopf zu vertreiben, wollte er doch zumindest den winzigen Moment des Friedens auskosten, auch wenn ihm klar war, das der Tag an dem er nicht mehr in dieses Schlafzimmer zurückkehren würde nicht mehr fern war.

Mehrmals hatte Eury schon mit Michel telefoniert. Doch da dieser sich noch immer irgendwo vor Italien auf einem Kreuzfahrtschiff aufhielt um dem Chinesen und den beiden Japanern zu helfen, hatte dieser ihm bis auf ein paar Ratschläge auch nicht weiter helfen können. Immer öfter dachte der Russe darüber nach Akihito zu sagen das Asami noch lebte. Genauso oft jedoch entschied er sich dann aber auch wieder dagegen, denn selbst wenn der Yakuza konnte derzeit nicht einfach nach Russland kommen, mussten sie doch zuerst rausfinden wer hinter dem ganzen steckte. Und einfach so wollte er es dem Jüngeren nicht sagen, wusste er doch nicht wie dessen fragile Psyche auf diese Aussage reagieren würde. Deutlich konnte man dem Jungen ansehen wie er litt und auch trauerte. Es war jedoch nicht gesagt das der ältere Yakuza nur eine positive Wirkung auf Akihito hatte. Immer wieder hörte Eury wie Akihito nachts aus dem Schlaf fuhr mit dem Namen Asamis auf den Lippen. Dabei klang es oft genug danach, als hätte er Angst vor dem Yakuza. Mehrmals hatte der Russe den Jüngeren schon gefragt was genau dieser denn träumte, doch Akihito blockte jeden seiner Versuche ab und meinte er könne sich nicht mehr erinnern.

Sanft strich Eury über die die Haare und seine Finger glitten über die weiche Haut an seinem Hals langsam tiefer. Zärtlich küsste er das zarte Genick, während er über den schmalen Rücken strich und über Akihitos Hintern strich. Genauso wollte er gerade über die schlanken beine streichen, als er auf einmal die Feuchtigkeit an seinen Händen fühlte. Irritiert richtete sich der Russe auf. Hatte Akihito sich etwa eingenässt? Doch die Flüssigkeit fühlte sich dafür viel zu klebrig an und auch zu vertraut. Noch bevor der Fotograf ganz wach war, riss der Ältere die Decke beiseite und starrte entsetzt auf das mit Blut vollgesogene Handtuch und die roten Flecken auf der Matratze.

„Akihi-“

„Fass mich nicht an!“ Schnell wie eine Schlange hatte Akihito sich aufgerichtet und kroch jetzt mit dem Rest der Decke zum Kopfende. Das er dabei eine rote Spur hinter sich herzog, bemerkte er dabei nicht. Erst als er dem Blick des Russen folgte, schien er zu begreifen was geschehen war. Mit ungeschickten Fingern griff er nach dem Handtuch und schob es von seinem Oberschenkel. Vier tiefe Schnitte kamen zum Vorschein.

Für einen winzigen Moment war es vollkommen still. Dann setzte etwas in Eury aus. Noch bevor der Japaner begriff was geschah, holte der Russe aus und schlug ihm ins Gesicht. Überrascht schrie Akihito auf und umklammerte sofort seine schmerzende Wange, während er den Älteren aus weit aufgerissenen Augen anstarrte. Er konnte es nicht fassen, was dieser gerade getan hatte. Doch der Blonde schien noch nicht fertig zu sein. Pure Wut schlug dem Jüngeren entgegen als sich Eury aus dem Bett erhob und den Raum verließ. Kurz überlegte Akihito ob er ihm folgen sollte, blieb dann jedoch auf dem Bett sitzen.

Einen Moment später jedoch wünschte er sich, er wäre geflohen. Denn die Gegenstände die der Russe in der Hand hielt waren ihm nur zu vertraut. Verzweifelt versuchte der Japaner sich gegen den Größeren zu wehren, hatte gegen den Blonden jedoch keine Chance, als dieser ihn an den Füßen zu sich heranzog und mit einem Ruck auf den Bauch drehte. Ein erstickter Schrei kam über Akihitos Lippen, als sich das Knie des Russen in seinen Rücken bohrte und ihn auf der Matratze festnagelte.

Ohne auf die Gegenwehr des Jüngeren zu achten, legte Eury ihm das lederne Halsband an, welches mit einem Klicken einrastete.

Das Geräusch schien in Akihito einen Schalter umzulegen. Mit einem schrillen Schrei versuchte er sich aufzubäumen. Verzweifelt gruben sich seine Hände in das harte Leder und versuchten es von seinem Hals zu reißen. Röchelnd kämpfte der Japaner gegen das einengende Gefühl. Schwarze Punkte tanzten vor seinen Augen, während er seinen Rücken durchdrückte. Verzweifelt versuchte der Fotograf seine Lungen mit dem lebensnotwendigen Sauerstoff zu füllen, doch er konnte nicht. Die Panik machte es ihm vollkommen unmöglich auch nur einen klaren Gedanken zu fassen.

Eury hingegen bemerkte von dieser Panikattacke nichts. Für ihn sah es nach einer normalen Abwehrreaktion des Japaners aus, weshalb er nach dem Halsband griff und jetzt auch die Leine daran einhakte und sicherte. Für einen Moment blieb der Russe unschlüssig sitzen, während er mit seinem Blick über das Kopfende seines Bettes fuhr. Anders als bei Asami gab es bei ihm nirgends die Möglichkeit jemanden anzubinden. Erst als er sich erhob, fiel sein Blick auf die stabilen Füße des Bettes. Prüfend hob er den schweren Rahmen ein winziges Stück an und legte die Schlaufe der Leine unter den Fuß. Für jemanden mit Akihitos Statur sollte es unmöglich sein sich selbst zu befreien.

Langsam bemerkte Eury wie die Wut in ihm abflaute als er sich langsam der Tür näherte. Kurz bevor er den Raum verließ drehte er sich noch einmal zu dem noch immer kämpfenden Akihito herum. „Tut mir leid, Kleiner. Ich wollte dir wirklich helfen. Mittlerweile glaube ich jedoch nicht mehr daran das ich dazu in der Lage bin. Doch jetzt wirst du erstmal Zeit haben darüber nachzudenken, was du gerade getan hast, und ich auch.“

Das leise Geräusch einer schließenden Tür ließ bei Akihito die letzten Sicherungen raus springen. Ohne Rücksicht auf sich selbst gruben sich seine Finger in die zarte Haut an seinem Hals und zerrten an dem breiten Leder, während er sich immer heftiger in dem großen Bett hin und her warf. Die Laute die er dabei von sich gab konnte man nicht mehr wirklich als menschlich bezeichnen. Die grausamsten Bilder liefen vor seinen Augen ab, während er wieder glaubte fremde Hände auf seinem Körper zu spüren. Grausame Schmerzen jagten durch seinen Leib, ohne das er verstand das er sich diese gerade selber zufügte. Sein Atem kam nur noch als abgehacktes Röcheln, während sein Sichtfeld immer kleiner wurde. Nur noch vereinzelte Worte hämmerten durch seinen umnebelten Verstand und verstärkten seine Umnachtung weiter. ALLEIN! SCHMERZ! LUFT!

Ohne es wirklich mitzubekommen vergrub er seine Zähne in dem harten Leder der Leine, während er sich vollkommen außer Kontrolle durch das Bett wälzte und gegen sich selber kämpfte.
 

Es war bereits dunkel, als Michel die ruhige Villa betrat und das Wohnzimmer seines Bruders aufsuchte. Überrascht stellte der Russe fest das alle Lichter im Raum gelöscht waren, doch es war die Ruhe, die ihm verriet das Eury nicht anwesend war. Er erinnerte sich noch zu gut an seine Begrüßung als er vor einem Monat Tao nach Sankt Petersburg gebracht hatte. Man hatte den kleinen Japaner beinahe in der gesamten Villa hören können und so jedem den Aufenthaltsort Eurys preis gegeben. Doch jetzt war da nichts. Irritiert runzelte Michel die Stirn und sah noch einmal nach der Uhr gegenüber vom Kamin, in der Annahme das die Zeitverschiebung ihm einen Streich gespielt hatte und es bereits später war als angenommen. Doch auch nach dem zweiten Blick war es erst kurz nach neun. Viel zu früh also um sich bereits hinzulegen. Seufzend bediente der Russe sich an der Bar und machte sich dann auf den Weg in den nächsten Raum um seinen Bruder zu suchen.

Diesmal hatte er Glück und fand Eury in seinem Büro, wo er über einigen Papieren zu brüten schien. Lächelnd betrat der Jüngere den Raum und schloss leise die Tür hinter sich. In der Erwartung auch Akihito anzutreffen, wandte er sich der gemütlichen Sitzecke, gegenüber vom großen Schreibtisch, zu. Doch zu seiner Überraschung saß dort niemand.

Stirnrunzelnd nahm der Blonde einen kleinen Schluck von seinem Getränk und setzte sich dann vor Eurys Schreibtisch. Geduldig wartete er bis der Ältere endlich seine Papiere beiseitelegte. Müde kniff Eury die Augen zusammen, bevor er zu seinem Bruder herüber sah. Im Gegensatz zu ihm, sah der Jüngere vollkommen entspannt und ausgeruht aus. Eine gesunde bräune lag jetzt auf seiner Haut. Anscheinend hatten sich die drei Wochen an Bord des Kreuzfahrtschiffes gelohnt, wenngleich es für Eury ein Geheimnis blieb wie sein Bruder es geschafft hatte, trotz Kimono und Schminke, so braun zu werden. Wie immer lag ein amüsiertes Lächeln auf den Zügen des Jüngeren, während er weiter an seinem Getränk nippte. Es war schließlich der Ältere der das Schweigen zwischen ihnen brach. „Das du wieder hier bist, bedeutet wohl das eure Mission erfolgreich war.“

Zustimmend nickte Michel und stellte sein leeres Glas auf den Tisch vor sich. Dabei bemerkte er den großen Stapel auf der Seite, auf der sein Bruder die erledigten Aufgaben abzulegen pflegte. Unwillkürlich fragte er sich wie lange der Ältere schon in diesem Büro saß. „Wir waren sogar sehr erfolgreich. Nicht nur das ein sehr mächtiger Oyabun uns am liebsten für sich privat buchen würde, er war sogar so frei, seinen Sekretär frei Haus zu Kanou zu liefern.“

Während der Jüngere immer breiter grinste, runzelte Eury irritiert die Stirn und versuchte die Informationen die er gerade bekommen in Einklang zu bringen, was ihm jedoch nur bedingt gelang.

„Oumi will euch nicht wirklich noch einmal live sehen,“ war schließlich das erste was über seine Lippen kam.

Jetzt glich Michel auf beängstigende Weise einer Grinsekatze und der Ältere machte sich unwillkürlich sorgen um dessen geistige Gesundheit. „Natürlich würde er uns gern noch einmal sehen. Er liebt alles was traditionell ist und wenn du einmal das Privileg genossen hättest Kanou singen zu hören, wärst du derselben Meinung wie der Alte.“

Belustigt lehnte der Ältere sich in seinem Stuhl zurück. „Soso, der wunderschöne Gesang Kanous also. Meines Wissens klingen diese alten japanischen Lieder doch eher so als würde man einer Katze im Takt auf den Schwanz treten. Ich denke mal eher das dein schon fast bekifftes Grinsen nicht von dem betörenden Gesang kommt, sondern eher von einem gewissen Chinesen im Kimono hervorgerufen wird.“

Lachend griff Michel nach seinem Glas, nur um festzustellen dass es noch immer leer war. „Du kennst mich wohl einfach zu gut. Doch du kannst mir eines glauben Eury, wenn dir Feilong verspricht die zu entschädigen, dann hält er auch sein Wort. Doch wer mich wirklich überrascht hat, war Asami.“

Interessiert sah Eury auf, während er eine Schublade vom Schreibtisch öffnete und eine frische Flasche Wodka und zwei Gläser zutage förderte. „Inwiefern hat dich der Yakuza überrascht?“

„Wusstest du das er einen Panikraum hat?“

Ungerührt zuckte Eury mit den Schultern. „Was soll daran so ungewöhnlich sein? Den haben doch viele, sogar Vater hat einen.“

„Das schon, doch ich glaube die wenigsten haben dort ein komplettes SM Studio untergebracht.“

Ein lautes Husten war zu hören, als Eury sich an seinem frisch aufgefüllten Glas verschluckte. Es dauerte eine ganze Weile bis der ältere Russe es schaffte wieder normal Luft zu holen und selbst dann brannte sein Hals noch ziemlich. „Möchte ich wissen wie du zu diesem Wissen gekommen bist?“

Michels Augen glänzten, als er an den Moment zurückdachte, vor allem an den kurzen Augenblick als er sich hatte vorstellen können Asami an ihrem Spiel zu beteiligen. Er beließ es jedoch bei dem Grinsen und schüttelte den Kopf. „Ich glaube eher nicht, doch so einen Raum lasse ich mir jetzt auch einrichten.“

Eury schüttelte den Kopf und hielt seinem jüngeren Bruder sein Glas entgegen. „Also war dein Aufenthalt in Japan ziemlich interessant?“

Zustimmend nickte Michel, während er wieder an seinem Glas nippte. „Im Nachhinein muss ich allerdings sagen das es auf dem Kreuzfahrtschiff auch nicht übel war. Zwar hatten wir die mickrigste Kabine die man sich nur vorstellen konnte, doch so konnte man auch recht einfach sehen wie das Sicherheitspersonal des Oumi-Clans arbeitet. Vielleicht wird es irgendwann ja auch noch mal wichtig sein den Oyabun kennengelernt zu haben.“

Seufzend schloss der ältere Bruder die Augen. Wie gern wäre er mit Michel unterwegs gewesen. Es lag einfach nicht in seiner Natur so lange Zuhause zu bleiben, da es Akihito jedoch noch immer nicht besser ging hatte er mittlerweile das Gefühl ans Haus gefesselt zu sein.

Aufmerksam beobachtete Michel seinen Gegenüber. Er kannte seinen Bruder besser als jeder andere. Und auch wenn viele es nicht sahen, so wusste er doch wie fürsorgliche Eury sein konnte. Seufzend stellte er sein Glas wieder auf den Tisch, sorgfältig darauf bedacht keines des vielen Papiere darauf als Unterlage zu benutzen. „So wie du drauf bist kann ich wohl nicht annehmen das es Akihito besser geht.“

Müde schüttelte Eury nur den Kopf. „Es geht ihm nur nicht besser, ich habe das Gefühl ihn zu verlieren Michel.“

Selten hatte der Jüngere seinen Bruder so ratlos erlebt, wie in diesem Moment. „Wie meinst du das? Und vor allem, wo ist der Kleine? Er wird ja wohl noch nicht schlafen gegangen sein.“

„Soll ich ehrlich sein? Ich weiß es nicht.“

Michel war kurz davor aufzuspringen, als Eury schon weiter sprach. „Er ist in meinem Schlafzimmer, doch ich weiß nicht was er gemacht hat. Besonders viel kann es jedoch nicht sein, wenn man bedenkt das er auf das Bett und etwa anderthalb Meter davor begrenzt ist.“

Misstrauisch legte der Jüngere bei dieser Aussage den Kopf auf die Seite. „Eury, was hast du getan?“

„Ihn angebunden.“

Für einen kurzen Moment hatte Michel das Gefühl das ihm die Luft wegblieb. „Du hast ihn angebunden? Warum?“

Das Gesicht des Älteren war vollkommen ausdruckslos, als er seinem Bruder erklärte was er heute Morgen in seinem Bett vorgefunden hatte. Selbst seiner Stimme war nicht die kleinste Regung anzumerken. Was andere dazu gebracht hätte zu glauben, dass der ältere der Albatof-Brüder kälter als ein Klotz Eis war, zeigte seinem Bruder nur wie stark ihn die ganze Situation mit Akihito mitnahm.

„Also habe ich das jetzt richtig verstanden, du hast den Kleinen mit vier tiefen Schnitten auf seinem Oberschenkel in deinem Bett gefunden, das er so stark vollgeblutet hatte das alles nass war. Anstatt die Wunde zu versorgen oder überhaupt mit ihm zu reden hast du ihn anschließend in deinem Bett angebunden und hast ihn den ganzen Tag sich selbst überlassen.“

Verlegen senkte der Ältere den Kopf, er jetzt so zu hören zeigte auch ihm nur all zu deutlich wie er versagt hatte. Anstatt für den Fotografen da zu sein, wenn er ihn brauchte, hatte er ihn allein gelassen.

„Wenn ich mir die Frage erlauben darf, mit was hast du Akihito an das Bett gefesselt?“

Nie hätte Michel geglaubt seinen älteren Bruder jemals so verlegen und unsicher zu sehen. Zögernd zog dieser eine der Schubladen an seinem Schreibtisch auf uns zog ein breites, schwarzes Halsband hervor. Leise klimperte die silberne Marke als er es auf den Tisch legte.

„Das ist nicht dein Ernst, Eury.“

Unwohl zog der Ältere die Schultern hoch. „Was hätte ich denn sonst nehmen sollen? Ich heiße schließlich nicht Asami und betreibe ein privates SM-Studio.“

„Nur damit ich das jetzt mal genau verstehe. Du hast einen vollkommen traumatisierten Jungen mit einem Halsband und einer Leine wie einen Hund an dein Bett gefesselt und das obwohl du weißt das er genau so etwas vorher schon durchlitten hat. Dann hast du ihn den ganzen Tag mit seinen unbehandelten Wunden und ohne etwas zu Essen oder zu Trinken dort sitzen lassen. Da du ihn nicht wieder aufgesucht hast, kann ich wohl auch davon ausgehen das er noch nicht einmal das Badezimmer aufsuchen durfte.“

Verlegen sah Eury bei diesen Worten auf. „Wenn du das so aufzählst klingt das nicht gerade positiv.“

Ungläubig sah Michel den Älteren an. „Wenn du in dieser Miesere etwas positives finden willst, dann sag mir das es ihm zumindest körperlich gut geht.“

Unsicher zuckte der ältere Bruder mit den Schultern. „Wir können ja nach ihm sehen. Was kann er sich in einem Bett schon antun?“

Der Blick des Jüngeren wurde düster, als er sich erhob um das Büro zusammen mit seinem Bruder zu verlassen.

Vollkommene Stille empfing sie, als sie das dunkle Wohnzimmer durchquerten und die Tür zum Schlafzimmer öffneten. Überrascht runzelte Eury die Stirn als er bemerkte wie kalt es in dem Raum war. Dabei war er sich ziemlich sicher das die Fenster geschlossen gewesen waren, als er Akihito verlassen hatte. Da der Japaner es mit der kurzen Leine niemals bis an die Fenster heran geschafft hätte, musste jemand gegen seinen Befehl das Zimmer betreten haben. Um den Fotografen nicht zu verschrecken, rief er leise dessen Namen in den Raum. „Akihito!“

Doch nichts tat sich, weder war das rascheln der Bettwäsche zu hören, noch das Tapsen von nackten Füßen auf dem Boden. Mit einem unguten Gefühl tastete der Russe nach dem Lichtschalter. „Akihito?“

Noch bevor die gnadenlose Helligkeit es zeigte, wusste Eury dass der Raum leer war. Trotzdem war er geschockt als sein Blick auf das komplett zerwühlte Bett fiel. Nicht nur die Menge an Blut die er dabei sah, sorgte dabei für ein mulmiges Gefühl in seinem Magen. Denn das Bett war nicht einfach nur zerwühlt. Irgendwie hatte Akihito es nicht nur geschafft das Bettlaken zu zerreißen, er hatte auch tiefe furchen in der eigentlich ziemlich stabilen Matratze hinterlassen. Deutlich waren noch die Zahnabdrücke im Stoff zu erkennen. Erst in diesem Augenblick begriff der Russe welche Panik der Jüngere durchlitten haben musste, nachdem er ihn einfach allein gelassen hatte. Den ganzen Tag war er nicht einmal in den Raum gekommen um nach Akihito zu sehen. Stöhnend sank der Ältere auf die Knie und griff nach der durchgebissenen Leine. Er nahm gar nicht mehr war wie sein Bruder neben ihn trat und ihm das zerkaute Leder aus der Hand nahm. „Bitte sag mir das du ihm ein Halsband ohne Marke angelegt hast.“

Michel musste ihn mehrmals ansprechen, bis Eury endlich den Inhalt der Worte verstand, dann wurde er blass. Vollkommen entgeistert starrte der zukünftige Patriarch des Albatof-Kartells seinen jüngeren Bruder an. Zu deutlich hörte er in diesem Moment das leise Klimpern der silbernen Marke, als er Akihito das Halsband anlegte. Michel deutete die Reaktion seines Bruders in einem Sekundenbruchteil und wurde ebenfalls blass. „Wir sollten sofort eine Suchmeldung nach Akihito raus geben und wirklich jeden unserer Männer informieren. Hoffentlich hat ihn noch keiner gefunden.“

Erstaunlicherweise sagte Eury nichts dazu, sondern nickte nur. Zu groß war seine Angst um den kleinen Japaner in diesem Moment. Durch das Halsband mit Marke war er gezeichnet als Eigentum des Albatof-Kartells. Als entlaufenes Eigentum…



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