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Im Himmel ist der Teufel los

Apokalypse Reloaded
von

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Heiliger Bürokratius!

Der Streit war wieder von neuem entbrannt und die Hälfte der Anwesenden war drauf und dran, sich wieder gegenseitig an die Gurgel zu gehen. Da eine gewaltsame Auseinandersetzung zwar schneller beendet war, jedoch in der Regel keine zielführenden Ergebnisse brachte, kam Metatron mit einer Idee an, um ein unnötiges Blutbad zu verhindern. „Sag mal Michael, du richtest die Seelen doch nach dem offiziellen schriftlich verfassten Regelwerk unseres Herrn, nicht wahr?“

„Selbstverständlich, wonach auch sonst?“ antwortete der Kriegsengel pflichtgetreu, der gerade Gabriel am Kragen gepackt hielt und ihm einen Faustschlag ins Gesicht verpassen wollte. Der androgyne Schutzengel seinerseits nutzte die kurze Ablenkung seines Kollegen, um ihm zuvorzukommen. Mit einem kräftigen Kinnhaken schickte er Michael auf die Matte und wollte ihm noch ein blaues Auge verpassen weil er so richtig in Stimmung war, aber da ging Uriel dazwischen und hielt ihn davon ab. Diesen heldenhaften Einsatz kassierte er aber sogleich selbst mit einem Veilchen.

„Himmel noch eins, seid ihr mit dieser Kindergartenvorstellung bald fertig?“ seufzte Samael genervt und schüttelte den Kopf. „In Momenten wie diesen bin ich echt dankbar, dass ich blind bin. Ansonsten müsste ich mir dieses Kasperletheater auch noch ansehen! Wärt ihr bitte so freundlich und würdet mit der Prügelei bis nach der Versammlung warten? Manche von uns müssen auch noch wichtige Dinge erledigen.“

Michael wollte protestieren, doch Metatron kam ihm zuvor, denn er wollte diesen kindischen Streitereien nicht noch mehr Raum geben und endlich zur Sache kommen. „Hol bitte das Buch der heiligen Gesetze, damit wir uns alle einen Überblick verschaffen können, wie aktuell die Urteilung der Seelen gehandhabt wird. Vielleicht bekommen wir so ein paar Antworten darauf, wo genau der Fehler liegt.“

Gehorsam nickte der erste Erzengel und einem grellen Lichtblitz mit rotem Rauch und Donner verschwand er auf der Stelle um sein Regelwerk zu holen. Man mochte glauben, dass alle Engel sich bestens damit auskannten, was alles als Sünde galt und was nicht. Immerhin wurden sie doch in der Regel nach unten geschickt um entweder die Sünder zu bestrafen, oder aber um den Notleidenden zu helfen. Zudem waren sie Gottes Diener und da konnte man doch erwarten, dass sie über alle Entscheidungen und Pläne ihres Herrn informiert waren. Diese Annahme war jedoch falsch. Erstens war Gott nicht nur ein leidenschaftlicher Geheimniskrämer, das himmlische Regelwerk war obendrein weitaus verworrener als die irdischen Gesetze. Denn wenn die himmlische Bevölkerung etwas mehr liebte als theatralische Auftritte, dann war es die Einführung von neuen Regeln und Gesetzen. Immerhin waren sie zu dem Zweck erschaffen worden, das ideale moralische Vorbild für die Menschen zu verkörpern. Zwar stellte sich die Wahrheit meist ganz anders dar (was sich bereits an den Streitigkeiten zwischen den Erzengeln gezeigt hatte), aber solange der Schein gewahrt blieb, erfüllte es seinen Zweck. Und was konnte mehr Ordnung und Frieden symbolisieren als ein wahrer Urwald aus Vorschriften, Verhaltensregeln und Verboten? Es hatte ja auch keiner gesagt, dass es Spaß machen sollte, ein moralisches Vorbild für andere zu sein.

Als direkte Diener Gottes waren die Engel regelrecht darauf gedrillt, wie Ameisen stets in einer Reihe zu laufen und sich blind an die Vorschriften zu halten. Je weniger nachgefragt wurde, desto unkomplizierter waren die ganzen Abläufe im Himmel. Es ließ sich auf diese Weise relativ einfach und komfortabel arbeiten, vor allem wenn man sein Hirn nicht zum Nachdenken einschalten musste. Allerdings brachte das auch den großen Nachteil mit sich, dass sich kaum jemand darum kümmerte, ob die aktuellen Gesetze auch wirklich Sinn ergaben oder nicht vielleicht einen Widerspruch zu dem darstellten, was kurz zuvor gesagt wurde. Bei einer derartigen Soldatenmentalität war es nur eine Frage der Zeit gewesen, bis sich eine solch große Anzahl von vielerlei Vorschriften, Verhaltensregeln, Verbote und anderweitigen Anweisungen ansammelte, dass keiner mehr wirklich den Durchblick hatte. Ganz zu schweigen davon, dass einige Regeln absolut unnötig waren und keiner so wirklich wusste, wozu sie eigentlich gut waren. Zum Beispiel gab es ein Gesetz, welches strengstens verbot, dass sich Männer die Bärte abrasieren durften. Das wurde zusätzlich durch die Tatsache erschwert, dass Gott sich nicht mal von seinen Engeln in die Karten schauen ließ und somit niemand genau wusste, welche Regeln überhaupt noch in seinem Sinn waren und welche nicht.
 

Man konnte sich auch die Frage stellen, ob niemand jemals daran gedacht hatte, widersprüchliche Regeln einfach auszustreichen und mal ein bisschen mehr Ordnung und Logik in diesen Paragraphen-Dschungel hineinzubringen. Leider waren die Engel meistens viel zu beschäftigt mit Botengängen und Gesangsstunden, sodass die Bürokratie infolgedessen ein wenig zu kurz gekommen war.

Ganz zu Anfang, bevor mit den ersten Modernisierungen im Himmel begonnen worden war, musste man sein Anliegen mündlich seinen direkten Vorgesetzten vortragen. Und diese mussten sich wiederum an ihre Vorgesetzten wenden. Dröselte man das Ganze auf und ging vom Fallbeispiel aus, dass ein ganz gewöhnlicher Engel niedersten Ranges eine Bitte hatte, spielte sich folgendes Szenario ab: der Engel ging zu den Erzengeln und diese wiederum wandten sich an die Fürsten, dass diese sich doch bitte an die zweite Klasse wandten. Diese sprachen dann bei den Gewalten vor, welche dann wiederum die Kräfte konsultierten. Anschließend ging das Ganze zu den Herrschaften, die dann eine Vorladung zur Eliteklasse erbitten mussten. All diese Vorladungen erfolgten durch die Throne, die sich dann an die Cherubim wandten und letztendlich gelangte alles zu den Seraphim und wurde, nachdem alles von den niederen Seraphim gesondert wurde, dem König der Engel vorgetragen.

Man konnte sich also vorstellen, dass dieses Stille-Post-Spiel nicht sonderlich erfolgreich gewesen war und für einige Missverständnisse gesorgt hatte. Da passierte es schnell, dass eine Bitte um die Bekämpfung einer Seuche dazu führte, dass stattdessen eine neue Vorschrift für die Priester verfasst wurde, wie sie ihre Frisur zu tragen hatten.

Irgendwann waren die Engel zu der Schlussfolgerung gekommen, dass diese Vorgehensweise nicht unbedingt zielführend war und sich obendrein als extrem fehleranfällig erwies. Also hatte man den ganzen Prozess modernisiert und es wurden seitdem schriftliche Anträge gestellt, die an die jeweils zuständigen Ansprechpartner der einzelnen Hierarchien gesendet wurden. Weil aber allein schon das Klassensystem im Himmel ein völliges Durcheinander war, wusste man also meistens gar nicht, wer denn jetzt gerade für was zuständig war. Vernünftige Organigramme waren nämlich bis heute noch nicht im Himmel eingeführt worden und die derzeitigen Auslegungen über die Rollenverteilungen ließen viel Interpretationsspielraum. Das führte schnell dazu, dass die Anträge an die falschen Leute gingen und diese beförderten die Dokumente entweder in Ablage P oder reichten es ihrerseits an weitere falsche Ansprechpartner weiter. Das Ganze setzte sich dann so weiter fort, dass irgendwann keiner mehr wusste, welcher Antrag wo genau hängen geblieben war und was damit eigentlich passiert war. Ganz zu schweigen davon, dass der größte Teil des himmlischen Personals gar nicht für den bürokratischen Dienst ausgebildet war. Genauso gut hätte man ein Orchester in die Buchhaltung setzen können und das Ergebnis wäre ungefähr das Gleiche gewesen. Man hätte den ganzen Vorgang natürlich abkürzen können, indem man einfach direkt zu Gott ging. Da dieser aber ausschließlich zu Metatron sprach, grenzte das diese Möglichkeiten massiv ein. Und dieser hatte so viel zu tun, dass jeglicher Versuch zum Scheitern verurteilt war, den ganzen Prozess einfach abzukürzen.
 

Als Michael mit seinem Buch zurückkam, wurde es mitten auf den Tisch platziert und von den Anwesenden eingehend studiert. Wie sich schnell herausstellte, bestand das Regelwerk ausschließlich aus dem ersten bis fünften Buch Moses, angefangen von der Genesis bis hin zum Deuteronomium. Und kaum, dass sie das dritte Buch aufgeschlagen hatten, schlug sich Gabriel mit einem fassungslosen Stöhnen die Handfläche gegen die Stirn und verdrehte die Augen. „Ich glaub’s ja wohl nicht. Du benutzt allen Ernstes noch das dritte Buch Moses?“

Auch Luzifer runzelte die Stirn und war genauso sprachlos wie der Schutzengel. Er verzog die Mundwinkel als wäre er nicht so ganz sicher, ob er nun lachen oder schimpfen sollte. „Das erklärt natürlich alles. Wieso habt ihr immer noch den verdammten Levitikus im Regelwerk? Sag bloß ihr schickt wirklich Menschen zu mir, bloß weil sie Hasen essen oder sich die Bärte abrasieren. Das kann ja wohl nur ein schlechter Scherz sein.“

„Ist ja mal wieder so typisch für dich, Michael“, giftete Gabriel und lachte höhnisch. „Anstatt, dass du mal deinen Kopf benutzt und nachdenkst, machst du irgendeinen Schwachsinn und richtest so ein Durcheinander an.“

„Ist wenigstens schön zu wissen, dass mir jemand die Arbeit abnimmt und ich mich gar nicht mehr darum bemühen muss, die Menschen in die Hölle zu schicken“, bemerkte Samael mit einem amüsierten Grinsen und schien seinerseits Spaß an der ganzen Sache zu haben. „Das macht die ganze Sache umso leichter für mich.“

„Toll gemacht, du Hornochse“, trat Gabriel noch mal nach und war nun noch wütender als ohnehin schon. Doch das wollte Michael nicht so leicht auf sich sitzen lassen und er schlug mit der Faust auf den Tisch. „Ich befolge die Worte unseres Herrn, so wie ich es schon immer getan habe. Sein Wort ist Gesetz und solange es im Buch steht, muss ich mich danach richten. Natürlich versuche ich den Menschen zu helfen, aber wenn sie gegen derart viele Gesetze verstoßen, sind mir eben die Hände gebunden. Was kann ich denn dafür, dass immer wieder neue Regeln gemacht werden, aber nie welche aus der Liste gestrichen werden?!“

Der Kriegsengel fühlte sich in seinem Stolz verletzt und zutiefst beleidigt. Es war eine unvergleichliche Ehre, eine derart große Verantwortung zugewiesen zu bekommen und die Urteile für die Verstorbenen nach ihrem Tod zu fällen. Er hatte seine Aufgabe immer sehr ernst genommen und sein Bestes getan, um seiner moralischen Verantwortung als auch seiner Aufgabe gerecht zu werden. Aber leider war es nicht immer einfach, persönliche Interessen mit den Gesetzen zu vereinbaren. Es fehlte ihm auch schlichtweg das diplomatische Geschick dafür, weil er vom Geist her sehr einfach gestrickt war. Alles, was in Gottes Regelwerk stand, war für ihn absolut und unumstößlich. Wenn drin stand, dass das Lästern gegen die Eltern mit dem Tode bestraft werden sollte und eine Glatze sündhaft war, dann war es für ihn Gesetz und es gab nichts, was er dagegen tun konnte. Ihm kam einfach nicht der Gedanke, diese völlig absurden Regeln zu hinterfragen und zu überlegen, ob es nicht vielleicht zu viel des Guten war. Denn alles, was in den Büchern als verboten oder unangemessen deklariert war, bedeutete für ihn automatisch eine Lästerung gegen Gott und damit etwas, das nur Dämonen tun würden.

Hätte man die Verurteilung der Seelen mit einer Gerichtssendung verglichen, wäre Michael ein ziemlich schlechter Verteidiger gewesen. Zwar hatte er gute Absichten und eine noble Einstellung, aber man sagte nicht umsonst, dass der Weg zur Hölle mit guten Absichten gepflastert war. Da half auch die weißeste Weste nichts, wenn der ganze Fall an einem bedingt kompetenten Verteidiger scheiterte. Und genau hier trat Samael ins Spiel, der genauso wie Michael eine zentrale Rolle beim Seelengericht spielte. Er verkörperte seinen Gegenpart, den unsympathischen und voreingenommenen Staatsanwalt, den es viel zu sehr in den Fingern juckte, sämtliche Seelen ins Höllenfeuer zu schicken. Er war der Ankläger, der alle Vergehen und Sünden aufzählte und alles in seiner Macht stehende tat, um den Menschen nach ihrem Tode den Eintritt ins Paradies zu verwehren. Das tat er nicht nur deshalb, weil er immer noch sauer auf Moses wegen der Stockgeschichte war, sondern weil er als Engel der Reinheit der Ansicht war, dass solch wankelmütige Wesen unmöglich in den Himmel gehörten. Zumindest konnte ihm keiner unterstellen, dass er diskriminierend war, denn Samael hasste alle Menschen gleichermaßen. Aus diesem Grund hatte die aktuelle Situation eine gewisse Ironie, dass sich die beiden Erzrivalen ausnahmsweise mal in einer Sache einig waren, wenn auch aus völlig unterschiedlichen Gründen.
 

Als Luzifer sich die ganzen Gesetze und Verhaltensvorschriften durchlas, kam er nicht umhin, erneut den Kopf zu schütteln. „Ich weiß ich bin schon recht lange unten, aber wenn ich mir allein die Priestervorschriften ansehe, kriege ich so langsam das Gefühl, als hätte der Alte was gegen Behinderte. Kein Wunder, dass ich so viele von denen bei mir habe…“

Metatron dachte angestrengt nach und musste zugeben, dass die ganze Sache doch recht eigenartig war. Zwar war er das Sprachrohr Gottes und König der Engel, aber Urteilssprüche gehörten nun mal nicht zu seinem Zuständigkeitsbereich und deshalb war er nicht unbedingt auf dem aktuellsten Stand. Und nun, da sich herausstellte, dass sich der Levitikus noch immer im Regelwerk befand und offenbar selbst einzelne Verstöße für Michael und Samael ausreichten, um die Toten zur Hölle zu schicken, war es ja kein Wunder, dass sie derzeit in einer solchen Krise steckten. Aber irgendetwas machte ihn stutzig an der Sache. „Merkwürdig“, murmelte er und legte die Stirn in Falten. „Ich hätte schwören können, dass ich mal einen Antrag für die Aktualisierung der Levitikus-Gesetze bekommen hatte. Was da wohl schief gelaufen ist?“

„Ich sag dir, was schief gelaufen ist“, schaltete sich Luzifer ein. „Die gesamte verschissene Himmelsbürokratie ist die reinste Schmierenkomödie und keiner weiß, was der andere tut und wer für was zuständig ist. Selbst die Hölle ist wesentlich besser organisiert als ihr! Ich wette mit euch, dass der Antrag irgendwo flöten gegangen und dann wie so ziemlich alles Wichtige mal wieder in irgendeinem Papierkorb gelandet ist.“

„Hatte nicht mal jemand einen Antrag geschickt, dass die Prozessabläufe für die Antragsbearbeitungen optimiert werden sollen?“ hakte Raphael skeptisch nach und unsicher wurden kurze Blicke ausgetauscht. Dann meldete sich Uriel kleinlaut „Ich habe mal einen solchen Antrag geschickt. Aber offenbar ist er unterwegs verloren gegangen.“

Michael funkelte ihn bitterböse an und ballte die Hände zu Fäusten. Hätte ein Blick zum Töten ausgereicht, wäre vom armen Uriel nicht mehr viel übrig geblieben. Mit ruhigen, aber verächtlichen Worten fragte er langsam „Was kannst du eigentlich?“

Samael und Luzifer ihrerseits mussten trotz der aktuellen Krise darüber lachen und amüsierten sich prächtig. Wenn die Lage nicht so ernst wäre, dann wäre es in der Tat verdammt komisch gewesen. Nun hatten sie zwar die Wurzel allen Übels gefunden, aber das löste noch lange nicht das einzige Problem. Es gab insgesamt drei Wege, wie man mit verstorbenen Seelen verfahren konnte: Himmel, Hölle oder Wiedergeburt. Und die Wiedergeburt war nur möglich, solange die Seele noch nicht in die Hölle geschickt worden war. Zwar konnte man sich im Himmel problemlos für die Wiedergeburt registrieren lassen, aber das teuflische Personal im Kellergeschoss hatte leider nicht die Berechtigungen dafür. Ebenso wenig war es gestattet, Seelen aus der Hölle in den Himmel zu schicken, ganz gleich wie lange sie ihre Schuld schon verbüßt hatten. Wer also erst einmal unten angelangt war, der kam nie wieder dort raus.
 

Metatron faltete die Hände und dachte angestrengt nach, ob es nicht vielleicht einen Weg gab, eine Art Generalamnestie für all die zu Unrecht verdammten Seelen zu erwirken und sämtliche Fälle noch mal neu aufzurollen. Theoretisch wäre das machbar, allerdings war das selbst für den Himmel eine schier unlösbare Aufgabe. Zuerst musste man sämtliche Verurteilungen neu aufrollen und das nahm extrem viel Zeit und Arbeit in Anspruch. Und während der ganzen Zeit hörten die Menschen ja nicht auf zu sterben. Das hieß also, dass neben der ganzen Aufarbeitung auch noch der Regelbetrieb weitergehen musste. Außerdem gab es noch ein weiteres ernsthaftes Problem, wovon aber noch niemand außer Metatron selbst wusste.

Bevor er sich aber dieser kniffligen Aufgabe zuwenden würde, musste zuerst einmal eine Entscheidung gefällt werden, wie nun mit dem Regelwerk vorgegangen werden sollte. „Also ich denke, wir haben die Fehlerquelle recht schnell gefunden. Stellt sich nur noch die Frage, wie wir weiter verfahren sollen. Da die Erzengel, Samael und Luzifer die Hauptverantwortung für die Menschen tragen, möchte ich eine klare Abstimmung haben. Jeder soll nach seinem eigenen Ermessen entscheiden, ob das Regelwerk überarbeitet und der modernen Zeit angepasst werden sollte. Wer für eine Änderung stimmt, hebt bitte die Hand.“

Luzifer war der erste der Anwesenden, der blitzschnell seine Hand hob. Kurz nach ihm folgte Gabriel und dann letztendlich Uriel. Metatron schaute kurz in die Runde und fragte dann „Und wer stimmt gegen eine Abänderung?“

Nun hoben Michael und Samael die Hand. Raphael hingegen enthielt sich. Gabriel schaute sich kurz um und stellte fest: „Zwei zu zwei. Also unentschieden…“

„Aber… ich habe doch auch…“, wollte sich Uriel protestierend zu Wort melden, doch da fuhr ihm Michael sofort übers Wort. „Keiner interessiert sich dafür, was du willst, Uriel.“

Metatron beschloss, nicht weiter darauf einzugehen und es erst mal bei einem vorübergehenden Unentschieden zu lassen. Das war natürlich nicht wirklich ein Ergebnis, das er sich erhofft hatte und es brachte ihn in eine unangenehme Zwickmühle. Ganz gleich wie die Entscheidung ausfallen würde, es würde schlimmstenfalls großen Ärger bedeuten und er als König der Engel musste dann die Verantwortung dafür tragen. Seine Hoffnungen lagen nun bei der einzigen Stimme, die sich enthalten hatte. „Raphael, warum hast du nicht mit abgestimmt?“

Der Heiler blieb völlig gelassen und unbeeindruckt und erklärte „Ich bin doch nicht so verrückt, dass ich bei einer Sache abstimme, die in jedem Fall Ärger bedeuten wird. Wenn wir das Regelwerk einfach so abändern, könnten wir den Zorn des Herrn auf uns ziehen und alle genauso in der Hölle enden wie Luzifer. Und wenn wir es nicht tun, haben wir es früher oder später mit einem Aufstand der Hölle zu tun und dann steht Satan persönlich vor der Tür. Bei derart hohen Risiken mische ich mich da lieber nicht ein.“

Verdammter Mist, dachte sich Metatron und biss sich auf die Unterlippe. Raphael war in solchen Dingen schlauer als ihnen allen gut tat. Das brachte ihn nun immer mehr in die Bredouille. Schließlich aber meldete sich Samael zu Wort und er klang schon beinahe hämisch dabei. „Das ist jetzt natürlich eine ganz unangenehme Lage für dich, Metatron. Scheint so, als würde alles nun von dir abhängen. Wie stimmst du denn zu der ganzen Sache? Keiner von uns hat bisher deine Stimme dazugezählt. Oder kann es etwa sein, dass du gar nicht das Rückgrat besitzt, dir eine eigene Meinung zu bilden? Andererseits kann ich es dir ja schlecht verübeln, denn immerhin musst du dich allein vor Gott verantworten, wenn die Sache schief läuft.“
 

Ein eiskalter Schauer des Schreckens lief dem armen Himmelsregenten über den Rücken und er versuchte, sich seine Panik nicht anmerken zu lassen. Samael hatte genau seinen wunden Punkt getroffen und ihn vor versammelter Mannschaft bloßgestellt und in Zugzwang gebracht. Wenn er sich jetzt drückte, zeigte er allen Anwesenden, dass er tatsächlich ein Feigling war und er würde das letzte bisschen Respekt und Autorität verspielen. Aber einfach so auf eigene Verantwortung hin die Gesetze des Himmels abändern konnte er genauso wenig. Das Risiko war einfach viel zu groß. Vor allem aber durfte er niemanden wissen lassen, was er schon viel zu lange der gesamten Welt verheimlichte. Das wäre viel zu gefährlich und würde mit großer Sicherheit für Chaos und Anarchie sorgen. Das musste er unter allen Umständen verhindern.

Stellte sich aber nun die Frage, was er sonst tun konnte. Den Antrag konnte er weder ablehnen noch ohne weiteres genehmigen. Es gab nur eine Möglichkeit, die ihm im Moment blieb. Und das war, möglichst viel Zeit zu schinden um sich irgendetwas einfallen zu lassen, ohne unnötig Verdacht zu erregen. „Es war mir in erster Linie wichtig, eure persönliche Meinung zu hören. Aber eine derartige Entscheidung kann und möchte ich nicht eigenmächtig treffen. Aus diesem Grund werde ich die Sitzung bis auf weiteres vertagen und dieses Anliegen unserem Herrn persönlich vorlegen. Wenn wir seinen Segen haben, können wir uns in aller Ruhe um die weiteren Details kümmern. Sollte er unsere Bitte ablehnen, wird er uns die entsprechenden Mittel zur Verfügung stellen, um die Krise in der Hölle zu lösen.“

„Ich kann mir schon vorstellen wie die aussehen wird, aber sie wird keinem gefallen“, kommentierte Samael mit einem selbstgefälligen Grinsen, ging aber nicht weiter ins Detail. Jeder von ihnen wusste, was die Alternative zur Gesetzesänderung bedeuten würde. Dämonen wurden nämlich nicht einfach so direkt als solche von Gott geschaffen, dies geschah über einen etwas umständlichen Umweg. Der Grund dafür war einfach erklärt: Gott repräsentierte das Gute in der Welt, also musste alles, was von ihm geschaffen wurde, auch gut sein. Was die Erziehungsmethoden und Strafmaßnahmen betraf, darüber ließ sich natürlich streiten. Aber es genügte zu wissen, dass Gott die Sünde ablehnte. Wie also würde es bitteschön ins Bild passen, wenn er plötzlich damit anfing, Dämonen zu kreieren, die die personifizierte Sünde waren? Hier bediente er sich eines kleinen aber raffinierten Tricks: er erschuf Engel und gab ihnen genug Eigenständigkeit, die sie dazu brachten, ihn zu hinterfragen und seine Pläne anzuzweifeln. Wenn er sie daraufhin bestrafte, indem er sie aus dem Himmel verbannte und somit zu gefallenen Engeln, oder besser gesagt Dämonen machte, war er nach wie vor im Recht und handelte im Sinne des Guten. Dann lag das eigentliche Vergehen nicht bei ihm, sondern bei den aufmüpfigen Dienern, die sich versündigt hatten.

Es ergab sich also folgendes Bild, das Samael mit seiner Bemerkung andeutete: wenn die Gesetze nicht geändert wurden, dann musste zwangsweise das Personal in der Hölle erhöht werden. Und dazu mussten ein paar Engel zu gefallenen Engeln werden. Entweder geschah das durch einen praktischen Zufall von ganz alleine, oder aber sie mussten eben zu Fall gebracht werden, wenn sie es nicht von sich aus taten. Und da selbst Gottes Lieblingsengel Luzifer nicht verschont geblieben war, konnte es praktisch jeden im Himmel treffen. Ja, in Zeiten wie diesen war selbst das himmlischste Paradies nicht mehr so sicher wie die Bibel es einem versprach.



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Kommentare zu diesem Kapitel (1)

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Von:  Charly89
2020-09-25T11:00:54+00:00 25.09.2020 13:00
Toll XD

Das hat mir heute den Tag gerettet. Es gab so viele kleinen Andeutungen und Metaphern die mich echt zum Schmunzeln gebracht haben. Das Stille Post Prinzip zum Beispiel.
Bei der P-Ablage musste ich kurz überlegen; bei mir auf Arbeit heißt es Rund-Ablage ^-^"

Mein unangefochtenes Highlight ist aber:
Es hatte ja auch keiner gesagt, dass es Spaß machen sollte, ein moralisches Vorbild für andere zu sein.
In diesem Satz steckt so viel Wahrheit.
Antwort von:  Sky-
25.09.2020 14:07
Ich hab selbst im Büromanagement meine Ausbildung gemacht und hab immer wieder aufs Neue diese Bürokratiehölle miterlebt. Vor allem merk ich es im Callcenter, wo wir tatsächlich die meisten Anweisungen mündlich weitergeben. Zwei Personen später bleibt von der Info nicht mehr viel übrig. XD
Den Ausdruck mit der Rundablage kenne ich tatsächlich noch nicht. Bei mir sagt man immer Ablage P. Aber so lernt man immer wieder was Neues dazu.


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