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Im Himmel ist der Teufel los

Apokalypse Reloaded
von

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Angst essen Seele auf

Völlig benommen von dem Schlag stolperte Deeda zurück und presste sich mit einem Schrei, in welchem sich Schmerz mit Wut mischte, eine Hand auf ihre lädierte Nase. „Du verdammter Hurensohn!“ kreischte sie und fluchte dazwischen immer wieder „Scheiße“, während sie ihr Gesicht wieder zu richten versuchte. Blut floss aus ihrer Nase und für gewöhnlich hätte ein solcher Schlag einem Menschen das Nasenbein komplett gebrochen. Da Dämonen aber weitaus robuster waren, konnte diese Verletzung notdürftig wieder geflickt werden. Trotzdem war die Influencerin stinkwütend und wollte sich das nicht so einfach gefallen lassen. „Sag mal, stehst du etwa darauf, Frauen ins Gesicht zu schlagen oder was?“

„Du wolltest, dass ich aufhören soll, dich wie eine Frau zu behandeln. Also tue ich das auch“, meinte Malachiel und zuckte gleichgültig mit den Schultern. Normalerweise war so etwas nicht unbedingt sein Stil, aber manche Leute lernten es nur auf diese Art und Weise. Und es gab nur eine vernünftige Methode, um mit einer derart problematischen Todsünde wie Stolz fertigzuwerden. Hochmut konnte man nur klein kriegen, wenn man ihm den Spiegel vorhielt und all die Falschheit und Heuchelei darunter zutage brachte. Wenn man einen derart verblendeten Gegner erst mal auf den Boden der Tatsachen zurückgebracht hatte und ihn erkennen ließ, wie schwach er war, dann überlebte selbst der größte Stolz nicht lange. Und wenn er etwas mehr liebte als vorlauten Rotzgören den Hintern zu versohlen, dann war es eine verbale Zerfleischung. Wenn es darum ging, jemanden allein mit Worten auseinanderzupflücken, war er regelrecht in seinem Element und hatte zugegebenermaßen auch seinen sadistischen Spaß dabei. „Feministen wie du posieren für Erotikmagazine auf denen sich notgeile Teenager und verzweifelte Junggesellen einen runterholen und ihr kettet euch nackig an Zäune um gegen Objektifizierung anzukämpfen. Und ihr glaubt allen Ernstes, dass Diskriminierung der Männer euer gutes Recht sei, weil ihr euch derart wohl in eurer Opferrolle fühlt, dass es euch gar nicht mehr um Fairness geht. Auf der einen Seite verlangt ihr besonderen Schutz für Frauen, prangert aber gleichzeitig jeden an, der Frauen eine Sonderbehandlung zukommen lassen will. Ihr wollt immer nur die guten Seiten der Gleichberechtigung, aber sobald ihr die Schattenseiten der absoluten Gleichberechtigung zu spüren bekommt, dann revidiert ihr plötzlich alles wieder. Feminismus ist weder ein Wunschkonzert, noch eine Entschuldigung für eure Diskriminierung gegen Männer, kapiert?“

Malachiel hatte endgültig genug von diesem Affenzirkus und wollte dieser arroganten Ziege eine Lektion erteilen, die sie ihr Leben lang nicht vergessen würde. Bislang hatte er sich noch ziemlich zurückgehalten und Gewalt vermieden, weil er es hasste, Schwächere anzugreifen. Aber diese beiden Kindsköpfe ließen ihm kaum eine andere Möglichkeit. Wenn er nicht bald mal ernst machte, würden sie ihm ständig auf der Nase herumtanzen. Manchmal musste man eben etwas grob werden, um sich einigermaßen Respekt und Gehör zu verschaffen. „Mal ganz ehrlich: du beschimpfst mich hier als frauenhassenden, homophoben Cis-Mann und denkst, dass du als Verfechterin der sozialen Gerechtigkeit über alle Zweifel und Fehler erhaben bist. Aber soll ich dir mal was verraten? Ich gebe einen Scheiß auf solchen Kinderkram wie Rasse, Hautfarbe und was weiß ich noch alles. Für mich seid ihr alle gleichermaßen nervtötende und anstrengende Heulsusen, für die immer die anderen die Bösen sind aber niemals sie selbst!“

Dies wollte sich Deeda natürlich nicht gefallen lassen und als sie sich wieder halbwegs von dem Schlag ins Gesicht erholt hatte, umklammerte sie wieder ihren Schläger und stürzte sich wieder mit einem wütenden Kampfschrei auf Malachiel, um ihm den Schädel einzuschlagen. Doch dieser hatte nun endgültig genug von dem ganzen Kindergartenspielchen, duckte sich zur Seite als die Nagelkeule niedersauste und schlug mit der Handkante auf Deedas Finger. Als sie kurzzeitig die Kontrolle in ihren Händen verlor, entriss er ihr die Waffe und beschwor einen heiligen Segen, der die konzentrierte Bosheit in dieser Dämonenwaffe läuterte. Und diese Kraft reichte aus, um den Schläger in reinigenden Flammen aufgehen und zu Staub zerfallen zu lassen. „Nein!!!“ rief die stolze Pop-Ikone entsetzt als sie sah, wie ihre Waffe vor ihren Augen buchstäblich aufgelöst wurde und nicht einmal ein Häufchen Asche übrig blieb.

Da himmlische und höllische Waffen übernatürlich waren, galt es normalerweise als extrem schwierig, sie zu vernichten. Immerhin waren sie mächtig genug, um Engel und Dämonen ernsthaft zu verletzen und im schlimmsten Fall sogar zu töten. Noch nie in ihrem relativ jungen Leben hatte Deeda Darvon so etwas erlebt. Sie hatte nicht einmal gewusst, ob es überhaupt möglich war, solche Waffen derart restlos zu vernichten. Und doch war es gerade geschehen. Das Schlimmste war vor allem, dass es nicht einmal danach aussah, als hätte sich Malachiel großartig anstrengen müssen. In diesem Moment dämmerte es ihr so langsam, dass sie und Dex sich gewaltig verschätzt hatten und ihr Gegner weitaus mächtiger war als sie sich vorstellen konnten. Was wenn sie am Ende tatsächlich keine Chance hatten und rein gar nichts auszurichten vermochten?
 

Nach einem kurzen Augenblick der Angst und des Zweifels schluckte sie hastig ihre aufkeimende Panik wieder herunter. Nein, so schnell ließ sie sich nicht unterkriegen. Sie war immerhin noch die zukünftige Erzdämonin des Hochmuts. Sie war zusammen mit ihrem Bruder die gnadenloseste, mächtigste und brutalste Dämonin von Psychodelia und sie würde diesem arroganten Fatzke beweisen, dass sie sich nicht so leicht einschüchtern ließ. Sie hatte die junge Generation dieser Welt auf ihre Seite gebracht und eine Bewegung ins Leben gerufen, die niemand aufhalten konnte. Da war es doch klar, dass sie auch in diesem Fall als Gewinnerin hervorgehen würde.

„Tu hier mal nicht so als hättest du die Weisheit mit Löffeln gefressen, du ignorantes Arschloch“, wetterte sie zurück und holte nun ein Springmesser hervor, welches sie eigentlich nicht gerne nutzte. Aber da ihre Lieblingswaffe sich soeben restlos aufgelöst hatte, musste sie eben auf Alternativen zurückgreifen. „Wenn du wirklich so tolerant wärst wie du behauptest, wärst du kein Pfarrer und schon gar kein verschissener Katholik! Und dann wäre dir die Diskriminierung und Ausgrenzung von Randgruppen auch nicht egal! Also spar dir deine Lügen!“

Damit holte sie zum Angriff aus und stach immer wieder mit der langen und dünnen Klinge nach ihm, um Malachiel wenigstens genug zu verletzen, dass sie ein klein wenig Genugtuung daraus ziehen konnte. Doch egal wie oft und wie schnell sie auch zuschlug, er wich jedem einzelnen Schlag aus als kannte er bereits jeden ihrer Schritte oder als könnte er Gedanken lesen. Wie zum Teufel machte er das bloß? Ein kräftiger Stoß gegen ihren Fußknöchel, auf den sie ihr Gewicht verlagert hatte, brachte Deeda aus der Balance und sie stolperte nach vorne. In diesem Augenblick verpasste der Halb-Engel ihr eine kräftige Kopfnuss und raubte ihr mit diesem heftigen Schlag gegen die Stirn fast das Bewusstsein. Nicht nur, dass er verdammt flink und stark war, er hatte auch einen unfassbaren Dickschädel. „Um ehrlich zu sein hab ich diesen Job nur angenommen, weil ich ernsthaft gedacht hatte, ich könnte mir ein bequemes Leben machen“, gestand er ohne Umschweife und verschränkte die Arme hinter seinem Rücken. „Zugegeben… ich nehme es mit der Arbeit auch nicht so genau. Ich zieh mir meist nur irgendwelche halbgaren Anekdoten aus dem Arsch und hoffe bloß, dass die Leute nicht merken, dass ich nur Blödsinn erzähle. Und von Ignoranz brauchst du mir gar nichts zu erzählen. Du versuchst doch die ganze Zeit, die Leute in irgendwelche Schubladen zu stecken. Als ob es mich großartig juckt, ob du eine Frau oder was weiß ich noch was bist. Alles was ich bloß sehe, ist einen ziemlich verkorksten Charakter, sonst nichts.“

„Also gibst du zu, dass du meine Identität als lesbische Transfrau gar nicht anerkennst!“

Jetzt hatte sie ihn erwischt. Endlich hatte sie ihn an der Angel und seine ganze Falschheit aufgedeckt. Triumphierend grinste sie und fühlte sich nun deutlich überlegener. Wenn sie ihm schon körperlich nicht das Wasser reichen konnte, dann konnte sie zumindest auf moralischer Ebene die Oberhand behalten. Wäre doch gelacht, wenn ein dahergelaufener Halb-Halb-Freak die zukünftige Herrin des Stolzes und Hochmuts einfach so mit ihren eigenen Waffen schlagen konnte. Wenn es um Wortgefechte ging, war sie immer noch die unangefochtene Meisterin.

Mit diesem neuen Motivationsschub stürzte sie sich wieder auf ihn und versuchte, ihm die Klinge direkt in die Halsschlagader zu rammen. Doch anstatt einfach nur auszuweichen, wandte Malachiel einen kleinen Trick an. Wieder bekam er sie am Handgelenk zu fassen, drehte ihr erst das Messer aus der Hand und wandte dann genug Kraft auf, um ihr den Arm auf den Rücken zu drehen und ihr Gesicht gegen die Hauswand zu drücken. Deeda versuchte sich zu befreien, doch dieses Mal hielt Malachiel sie eisern fest und umklammerte ihren Arm wie einen Schraubstock. So langsam wurde ihm dieses Ausweichspiel doch ein bisschen langweilig und er beschloss, die Spielstunde ein wenig abzukürzen. Immerhin hatte er genug andere lästige Pflichten, die auf ihn warteten.

„Wie gesagt, mir ist es egal als was du dich identifizierst weil ich nur nach dem miesen Charakter der Leute urteile“, erklärte er mit spürbar kälterem Ton. „Du führst dich hier als ignorant auf, weil du so sehr in deinem Schubladendenken gefangen bist, dass dir diese einfache Lösung gar nicht in den Sinn gekommen ist. Also denk hier bloß nicht, dass du irgendetwas Besonderes bist, nur weil du meinst, du würdest mit deiner Identität und deinem Lebensstil aus der Reihe tanzen. Letzten Endes bist du genauso klein und unbedeutend wie der ganze Rest von uns. Du diskriminierst mich hier als Cis-Mann und vergisst dabei eine Kleinigkeit: ich bin genauso wie jeder Dämon und Engel in erster Linie nichtbinär und kann jederzeit mein äußeres Geschlecht wechseln, wenn ich Lust dazu habe. Also ist deine Anschuldigung vollkommen haltlos.“

Deeda gefror das Blut in den Adern. Sie ahnte, dass gleich etwas Schlimmes auf sie zukommen würde, wenn es ihr nicht gelang, sich schnell zu befreien. Mit aller Macht versuchte sie sich aus dem eisernen Griff des Halb-Engels loszureißen, doch dieser hielt sie mit einer enormen Kraft fest, die man ihm so nicht zugetraut hätte. Sie versuchte zu schreien, fluchte lauthals und begann blindlings nach ihm zu treten, aber nichts wollte funktionieren. Und als sie realisierte, dass sie vollkommen machtlos war und nicht nur körperlich, sondern auch auf allen anderen Ebenen nicht gegen ihren Gegner ankam, übermannte sie Angst und nackte Panik. „Verdammt noch mal, lass mich los! Lass mich gefälligst los!“ rief sie, doch ihr Protest stieß auf taube Ohren. Malachiel machte endgültig Ernst und es war zu spät um es aufzuhalten.

Mit noch größerem Entsetzen musste sie erkennen, dass sie nichts mehr hatte, was sie ihm noch an Worten entgegensetzen konnte, um ihre eigene Position zu stärken. Stattdessen war sie selbst als diskriminierende und sexistische Heuchlerin entlarvt worden und all ihre Worte hatten an Macht verloren. Sie war ihm nun vollkommen hilflos ausgeliefert. „Ein bisschen mehr Selbstreflexion würde dir mal ganz gut tun“, meinte Malachiel daraufhin. „Vielleicht wirst du dadurch endlich ein bisschen erwachsener.“

Damit materialisierte er einen kleinen Kosmetikspiegel, machte ein kurzes Kreuzzeichen und sprach dann den heiligen Bannfluch, woraufhin Deedas Körper in den Spiegel hineingesaugt und eingeschlossen wurde. Mit einem mürrischen Seufzer steckte Malachiel den kleinen Spiegel wieder ein und war einfach nur froh, dass er zumindest ein Problem bewältigt bekommen hatte. Fehlte nur noch die andere Pappnase.
 

Als Dex langsam wieder zu sich kam, konnte er nur noch hilflos mit ansehen wie seine Schwester in den kleinen Kosmetikspiegel gesperrt wurde. Es geschah so schnell und plötzlich, dass er einen Moment brauchte um überhaupt zu begreifen, was da eigentlich passiert war. Und als ihm klar wurde, dass Deeda weg war und dieser Pfarrer dafür verantwortlich war, übermannten ihn der blinde Zorn und die Mordlust. Er würde diesen Kerl für dieses Vergehen bluten lassen und jeden anderen, der mit ihm in Verbindung stand. „Du verdammter Wichser, ich bring dich um!“

Damit sprang er auf und holte zum Schlag aus. Einfach abstechen kam für ihn nicht mehr infrage. Nein, er würde den Pfaffen zu Brei schlagen und ihn für die Schmach büßen lassen, die er ihnen beiden zugefügt hatte.

Malachiel, der an dieser Stelle keine Geduld mehr hatte um seine Angreifer mit Samthandschuhen anzufassen, fing den Schlag ab, verdrehte Dex‘ Arm und schlug ihn kurzerhand mit seiner eigenen Faust mitten ins Gesicht. „Krieg dich mal wieder ein. Ich hab sie nur eingesperrt und nicht umgebracht. Bin ja kein Unmensch“, erwiderte dieser nur halbherzig und verpasste ihm einen Tritt in die Magengrube, die den Rapper von den Füßen riss. Hart prallte er auf dem Pflaster auf und stöhnte vor Schmerz auf. Doch selbst die Tatsache, dass seine Schwester noch lebte, vermochte den vor Wut rasenden Dämon nicht mehr zu besänftigen. Er wollte Köpfe rollen sehen und in diesem Moment war es ihm herzlich egal, wer seinem Zorn zum Opfer fallen würde. In dieser Situation hätte er jeden getötet, der das Pech hatte, ihm über den Weg zu laufen. Dieser Tatsache war sich Malachiel durchaus bewusst, denn er hatte schon mal Bekanntschaft mit dem derzeitigen Titelhalter als Erzdämon des Zorns gemacht: Satan persönlich. Auch wenn er diesen während der Beinahe-Apokalypse besiegt hatte, wusste er eines: Zorn war unberechenbar, irrational und brandgefährlich. Selbst wenn seine Chancen auf einen Sieg ziemlich gut standen, war dennoch Vorsicht geboten und er musste aufpassen, dass niemand sonst ins Kreuzfeuer geriet. Zwar hatte er Metatron und Nazir sicher eingeschlossen und kein Dämon würde sein Siegel so leicht lösen können, aber es brauchte nur ein ahnungsloser Passant vorbeikommen. Andererseits bezweifelte er, dass bei diesem dichten Kiffernebel noch irgendjemand in diesem Dorf bei Bewusstsein war.

Trotzdem war es klüger, mit Vorsicht und Bedacht vorzugehen. Jede Todsünde hatte eine Schwäche und war auf eine relativ simple Art zu besiegen wenn man wusste, wie es gemacht wurde. Dazu musste man nur die jeweilige Sünde verstehen und ihren Ursprung erkennen. Hochmut entstammte mangelnder Selbstreflexion, Ignoranz und manchmal auch fehlendem Selbstbewusstsein. Wenn Hochmut und Neid zusammenhingen, war der Stolz nur eine Kompensation für ein schwaches Ego. Doch wenn sich zu Stolz stattdessen Zorn dazugesellte, war es meistens pure Selbstüberschätzung und eine ziemlich narzisstische Persönlichkeitsstörung. Wenn man die Wurzel aufspüren konnte, hatte man zugleich auch den Schwachpunkt des jeweiligen Dämons offengelegt.

Zorn war relativ simpel und hatte für gewöhnlich zwei mögliche Quellen: Geltungsdrang oder Angst. Im Moment war Dex offensichtlich von Rache für seine Schwester besessen, aber Malachiel bezweifelte, dass dies der eigentliche Antrieb war.

„Na du nimmst das aber ziemlich persönlich, dass ich deine Begleiterin weggesperrt habe“, bemerkte er mit gespielter Überraschung und blockte die Schläge ab, die auf ihn einprasselten. Sein Kontrahent hatte deutlich an Schlagkraft dazugewonnen, was aber auch nicht verwunderlich war. Dämonen, die einer bestimmten Todsünde zugeordnet hatten, waren immer dann am stärksten, wenn sie in ihrem Element waren. Aber auch das war kein Grund zur Panik. Malachiel hatte aus Erfahrung gelernt, dass man seinen Gegner am besten besiegen konnte, wenn man die Ruhe bewahrte und einen klaren Kopf behielt. Außerdem war er eh meist zu faul dazu, um durchzudrehen und in Panik zu geraten. Er wusste, dass dieser Bengel nicht den Hauch einer Chance hatte und eigentlich hätte er ihm schon längst den Garaus machen können. Aber es war erstens nicht seine Art, jemanden zu töten und zweitens war es unter seinem Niveau, seine volle Kraft gegen jemanden zu nutzen, der sowieso keine Chance hatte. Also zog er alles lieber ein bisschen in die Länge und versuchte stattdessen, einfach etwas mehr mit dem Kopf zu denken.

Dex schien gar nicht zu merken, dass sein Gegner nur mit ihm spielte und sich nicht die Mühe machte, ernsthaft zu kämpfen. Es interessierte ihn auch schlichtweg gar nicht und er wollte einfach nur Blut sehen. „Natürlich nehme ich’s persönlich. Sie war immerhin meine Schwester, verdammt!“

„Ach so ist das“, meinte Malachiel unbeeindruckt, packte den Rapper an den Kragen und schleuderte ihn durch die Luft, bis dieser gegen den Zaun prallte. „Na dann passt ihr beiden ja echt gut zusammen. Ihr seid beide nicht gerade die Hellsten und seid gleichermaßen vollkommen blind.“

„Was laberst du da für einen Müll, Alter?“ rief Dex wütend und rappelte sich wieder auf. Da Malachiel ihn in diesen dichten Nebelschwaden nur schwer erkennen konnte, kam er mit langsamen Schritten auf ihn zu und steckte die Hände in den Jackentaschen. Inzwischen war es finstere Nacht geworden und ihm wurde ein bisschen kalt.

„Ganz einfach“, rief der Halb-Engel seinem Kontrahenten zu. „Während deine Schwester nicht wahrhaben wollte, wie ignorant und engstirnig sie selbst war, bist du vollkommen unfähig zu erkennen, warum du überhaupt so zornig bist. Du spielst dich hier als rassistisches Arschloch auf, der gegen sämtliche Randgruppen der Gesellschaft hetzt und überall Hass schürt. Aber weißt du auch, warum die Leute so empfänglich für Zorn sind? Ganz einfach: weil sie Angst haben. Ganz genauso wie du.“

„Ich hab vor nix und niemandem Angst!“ protestierte Dex energisch, riss eine Latte vom Zaun ab und schlug damit nach seinem Gegner. Malachiel wehrte den Angriff mit einem Faustschlag ab und zerschlug die Holzlatte in zwei Teile. Kurz darauf bereute er die Aktion aber sofort, denn ihm fiel ein, dass Nazir erst vor kurzem den Zaun frisch lackiert hatte und garantiert ausrasten würde, wenn der jetzt plötzlich demoliert wurde. Dann durfte er sich wieder einen Vortrag von seinem Haushälter anhören und das konnte ziemlich unangenehm werden. Na hoffentlich ließ sich die Zaunlatte mit einem kleinen Wunder wieder flicken.

Die kurze Ablenkung verschaffte seinem Gegner den entscheidenden Vorteil und Dex schaffte es tatsächlich, einen Faustschlag in den Brustkorb zu landen. Dieser Angriff brachte Malachiel ins Straucheln und reflexartig stieß er ein leises Stöhnen aus, als die Luft aus seinen Lungen gepresst wurde. „Okay, der hat gesessen“, keuchte er und versuchte wieder zu Atem zu kommen. Doch der Rapper wollte ihm keine Pause gönnen und griff erneut an. Er hoffte, noch einen Glückstreffer landen zu können, aber Malachiel kam ihm zuvor und verpasste ihm einen Kinnhaken, der den jungen Dämon erneut von den Füßen riss.

Mit einem leisen Grummeln rieb sich Malachiel seine Brust und holte tief Luft. Auch wenn der Schlag nicht wirklich ausgereicht hatte, um ihm die Rippen zu brechen, hatte es trotzdem wehgetan. Naja, diesem kleinen Triumpf wollte er seinem Gegner lassen. Es brachte ja ohnehin nichts, nachtragend zu sein. Stattdessen beschloss er, genau an der Stelle weiterzumachen wo er aufgehört hatte.

„Klar hast du Angst“, erwiderte er und schaute auf seinen benommenen Kontrahenten herab. „Du versuchst derart verzweifelt, so viel Hass und Feindseligkeit in der Bevölkerung zu schüren, weil das die einzige Art und Weise ist, wie du Bekanntheit erlangst. Die Menschen sind derart sensationsgeil, dass du dich immer wieder selbst übertrumpfen musst, damit sie überhaupt Notiz von dir nehmen. Ohne deine ständigen Kontroversen und Hasstiraden würde sich kein Schwein um dich scheren. Menschen sind Rassisten, weil sie Existenzängste haben. Sie fühlen sich in ihrem eigenen Lebensraum bedroht und reagieren deshalb mit Hass. Leute sind homophob und transfeindlich, weil es ihren beschränkten Horizont erschüttert und ihr Spießerbild von Normalität durcheinanderbringt. Du flüchtest dich in den Zorn, weil es das Einzige ist, was dich ausmacht. Du bist abhängig davon, genauso wie du von deiner Schwester abhängig bist.“

„Fuck mich nicht an mit deinen Psychospielchen!“ erwiderte Dex wütend und ballte die Fäuste. „Ich brauche nichts und niemanden und ich werde dir zeigen, dass ich dich ganz alleine schlagen kann!“

„Versuch’s ruhig“, meinte Malachiel gleichgültig und zuckte mit den Achseln. „Tief drin weißt du selbst, dass du ohne deine Schwester nicht lange durchhalten kannst. Ihr existiert in einer Art Co-Abhängigkeit, in der ihr zwei am stärksten seid, solange ihr euch gegenseitig anstacheln könnt. Deine Schwester kann nur dann ihre selbstgerechte und sinnfreie Predigt halten, wenn sie einen vollkommen irrationalen Gegenpart hat, der auf alles anspringt. Auf sich allein gestellt kann Stolz eine Weile überleben, aber Zorn… tja…“

Mühelos wehrte der Halb-Engel einen weiteren Angriff ab, packte den Rapper am Kragen und riss ihn mit erschreckender Leichtigkeit von den Füßen. Der Jungdämon versuchte, sich loszureißen doch wie zuvor schon seine Schwester Deeda war auch er nicht in der Lage, Malachiels gewaltiger Kraft etwas entgegenzusetzen. Und mit Entsetzen musste nun auch er feststellen, dass dieser Kerl bislang nur mit ihm gespielt und nicht einmal ernst gemacht hatte. Aber jetzt war die Spielzeit vorbei und ihm würde das gleiche Schicksal blühen wie Deeda und all den anderen Dämonen vor ihm, die erfolglos versucht hatten, den Mediator von Himmel und Hölle zu töten. Mit größerem Entsetzen musste er aber noch eine viel schlimmere Erkenntnis machen: er hatte Angst. Er fühlte sich machtlos und egal wie sehr er sich auch wehrte und sträubte, nichts schien irgendetwas zu bewirken.

„Zorn kann nur fortbestehen, wenn es eine entsprechende Nahrungsquelle hat“, fuhr Malachiel weiter fort. „Hass überlebt nur, wenn man stetig Öl in die Flamme gießt. Und du hast Angst davor, deine Macht zu verlieren weil Menschen im Gegensatz zu dir die Fähigkeit haben, ihre Ängste zu überwinden. Du spielst dich hier als Möchtegern-Rapper und Gangster auf, dabei bist du nichts als ein paranoider Scheinriese, der wie ein tollwütiger Chihuahua herumkläfft. Es wird Zeit, dass du dich mal deinen eigenen Ängsten stellst und mit dir ins Reine kommst.“
 

Damit materialisierte er eine kleine Plastikspinne in seiner freien Hand, umklammerte sie als er das Kreuzzeichen machte und murmelte leise den heiligen Bannspruch. Dex, der mit Entsetzen erkannte, was da gerade passierte, versuchte sich panisch loszureißen, strampelte mit den Füßen und schrie immer wieder „Nein, hör auf! Lass mich runter, Mann!“ Doch es war vergebens. Als Malachiel den Bannspruch beendet hatte, wurde Dex von einer gewaltigen Kraft gepackt und ins Innere der kleinen Plastikspinne hineingezerrt.

Mit einem etwas nachdenklichen Blick betrachtete Malachiel das kleine Gruselspielzeug und begann sich zu wundern, wie viele versiegelte Dämonen er inzwischen im Pfarrhaus gebunkert hatte. Na hoffentlich war seine unfreiwillige Sammelgewohnheit nicht der eigentliche Grund dafür, dass die Hölle derart unterbesetzt war. Ansonsten könnte das noch wirklich zum Problem werden. Nun gut, er könnte rein theoretisch ein paar seiner Gefangenen freilassen. Manche von ihnen hatte er schon seit mehr als 300 Jahren eingesperrt und irgendwann würde sein Heim noch wie eine Messiewohnung aussehen, wenn er nicht endlich mal damit aufhörte, diese ganzen Eindringlinge einzusperren. Andererseits hatte er auch keine Lust darauf, unnötig Blut zu vergießen. Letzten Endes taten Dämonen halt nur das, was ihre Natur ihnen vorschrieb und sie waren alle nur kleine Zahnräder in einem größeren Getriebe. Ohne sie würde die Welt aus dem Gleichgewicht geraten und sie waren somit ein notwendiges Übel, darüber war er sich durchaus bewusst. Ansonsten hätte es keinen Sinn gemacht, dass Gott ihn in dieser Form erschaffen hatte. Naja, er konnte sich ja zu einem anderen Zeitpunkt darüber Gedanken machen, was er mit seinen Gefangenen anstellen würde. Erst einmal musste er den Dämon finden, der für diese ganze Nebelaktion verantwortlich war. Und hoffentlich war dieser nicht auch noch zum Kämpfen aufgelegt. Von diesen jämmerlichen Pausenhofschlägereien hatte er für die nächsten 50 Jahre die Schnauze voll.
 

Trotz des dichten Nebels brauchte er überraschenderweise nicht lange zu suchen. Der dritte Dämon im Bunde, ein knallbunt gekleidetes Mädchen das aussah, als käme sie von einer wilden Rave-Party, lag laut schnarchend auf dem Dach eines Autos, das auf dem Parkplatz vor der Kirche geparkt hatte. Sie war so weggetreten, dass sie nicht einmal mehr ansprechbar war. Offenbar hatte ihr eigener Nebel sie völlig zugedröhnt. Für einen Moment überlegte Malachiel, ob er sie nicht einfach laufen lassen sollte. Immerhin hatte sie nicht direkt versucht gehabt, ihn umzubringen. Andererseits hatte sie mit ihrem Nebel das ganze Dorf schlafen geschickt und es war vielleicht keine sonderlich gute Idee, sie weiterhin frei herumlaufen zu lassen. Also beschloss er, sie vorerst ebenfalls wegzusperren, damit sie nicht noch mehr Unheil anrichtete. Und so materialisierte er einen Rauchmelder, dem die Batterie fehlte und sperrte sie darin ein.

Mit diesen Gegenständen in der Jackentasche kehrte er wieder ins Pfarrhaus zurück und auf dem Weg dorthin begann sich der Nebel wieder langsam zu lichten. Es würde aber vermutlich noch etwas dauern, bis seine Wirkung endgültig verflogen war. Mit einem lauten Gähnen rieb er sich müde die Augen, hing seine Jacke an den nächsten Kleiderhaken an der Garderobe und brachte den Kosmetikspiegel, die Plastikspinne und den Rauchmelder vorerst in sein Schlafzimmer und schloss sie in die Schublade seines Schreibtischs. Nun war der Tag endgültig gelaufen und er konnte wirklich ein kleines Nickerchen vertragen. Nach so viel Arbeit hatte er sich das auch wirklich verdient. Aber vorher musste er noch nach Metatron und Nazir sehen. Also ging er zum Wohnzimmer, löste den Segensspruch von der Tür und öffnete sie. Er war nicht allzu überrascht als er nun auch seinen Haushälter tief schlafend auf dem Sofa liegend vorfand. Es war ja nur eine Frage der Zeit gewesen, bis ihm der Kifferdunst wieder zu Kopf steigen würde. Normalerweise würde er sich darüber ärgern, dass die beiden seelenruhig schliefen während er die ganze Arbeit machen musste. Aber ausnahmsweise war das dieses Mal nicht der Fall. Er fand es irgendwie süß, die beiden so tief schlafen zu sehen. „Oh Mann… ihr macht es einem Faulenzer aber auch wirklich nicht leicht…“, seufzte er und beschloss, den beiden ihre Ruhe zu lassen. Sie hatten sich die Erholung wirklich verdient bei all der harten Arbeit, die sie tagein tagaus leisteten. Also deckte er seinen Schüler mit einer vernünftigen Decke zu und trug den schnarchenden Metatron, der immer noch das Regelwerk vollsabberte, in sein Schlafzimmer und legte ihn aufs Bett. Es geziemte sich für den König der Engel, wenigstens in einem vernünftigen Bett zu schlafen statt auf einem Sessel.

Da Sofa und Bett belegt waren, entschied er sich, noch einen Kaffee zu kochen und ein bisschen in seiner Bibel zu stöbern. Wenn alle anderen tief und fest schliefen, kam er sowieso nicht in die richtige Stimmung für ein Nickerchen. Da konnte er genauso gut wach bleiben und aufpassen, dass nicht noch jemand versuchte, heute Nacht hier aufzukreuzen.



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Kommentare zu diesem Kapitel (1)

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Von:  Charly89
2020-10-19T07:04:51+00:00 19.10.2020 09:04
Nun ja, es lief wie erwartet XD
Malachiels Sammlung wird sich demnächst wohl noch mehr vergrößern ^-^
Antwort von:  Sky-
21.10.2020 08:59
Tja, manche sammeln Pokémon, Malachiel sammelt Dämonen. XD


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