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Frozen in Time

von

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Altaïr sah sich benommen um. Um ihn herum war es dunkel und zeitgleich hell. Ein bizarres Paradoxon. Seltsame Zeichen, die golden glühten, durchbrachen die Schwärze, nur um sie gleich wieder in die Arme zu schließen. Er hatte so etwas schon einmal gesehen. Das Artefakt von Al Mualim wies eine ähnliche Form- und Farbgebung auf was die Zeichen anging. Es war metallisch und doch weich in der Hand. Der Edensplitter, wie sein Meister ihn genannt hatte, hatte zu ihm gesprochen. Das oder er unterlag einfach wahnwitzigen Halluzinationen. Das Flüstern war verlockend gewesen. Es lud ein nur für einen kurzen Moment zu verweilen und Wissen zu erlangen. Hatte er der Stimme nachgegeben?
 

Altaïr richtete sich vorsichtig auf. Selbst der Boden unter seinen Füßen war von einer undurchdringlichen Schwärze beseelt. Er stampfte mit dem rechten Stiefel auf und es passierte… nichts. War das eine Erinnerung? War er tot? Hatte ihn der Edenapfel verschluckt? Ein weiteres Trugbild Al Mualims?

Der junge Meisterassassine setzte einen Schritt vor den anderen. Als das gelang begann er schneller zu gehen, dann zu laufen. Je schneller er rannte, desto greller leuchteten die Zeichen auf, die ihn umgaben. Die undurchdringliche Schwärze verschluckte jeden seiner Laute. Altaïr versuchte es mit einem lauten „Hallo“, doch obwohl seine Lippen sich bewegten, verließ kein Laut seinen Mund. Er hielt an und sah sich wieder um. Hier schien es wirklich nichts zu geben außer dieser Zeichen und der Dunkelheit.
 

„Al Mualim, zeigt Euch!“, forderte Altaïr ihn auf. „Zeigt Euch und stellt Euch mir wie ein Mann.“
 

Stille.
 

Sein Meister hätte es genossen ihn zu verspotten. Al Mualim war machtbesessen gewesen. Dieser Apfel hatte ihm alles bedeutet. Ein Stück Paradies. Frustriert setzte sich Altair hin und dachte nach. War er am Ende doch in das Artefakt gesaugt worden? Alles nur eine Illusion? Er schloss die Augen und ließ den Kampf gegen das Oberhaupt der Assassinen Revue passieren.

Er erinnerte sich noch an die Worte, die Geschichten. Der Krieg um Troja sei von diesem Ding ausgelöst worden, das Rote Meer nie geteilt und auch Wasser nie in Wein verwandelt worden. Altaïr kannte die Geschichten und Erzählungen aus den Überlieferungen, war seine Mutter doch eine Christin gewesen. Er wusste ob der fantastischen Taten und Legenden. Al Mualim hatte viel Wert darauf gelegt, dass sie eine umfassende Ausbildung genossen. Wenn es stimmte was der alte Mann gesagt hatte, dann würden die Kreuzritter, wie auch die Sarazenen, einem Phantom nachjagen. Akkon, Jerusalem, Damaskus, Masyaf – alles nur fragile Gebilde, geformt nach den Gedanken einzelner Wahnsinniger, die sich im Traum und der Hoffnung verloren, dass es doch noch so etwas wie ein Nachleben gab, ein Paradies. Doch musste das Eine auch das Andere ausschließen? Hatte sein Meister diesen Gegenstand nicht ein Stück Eden genannt? Das Paradies, aus dem die Menschen geworfen worden waren, ob ihrer Verfehlungen und Sünden? Wer außer Gott sollte außerdem in der Lage gewesen sein einen so mächtigen Gegenstand zu erschaffen?
 

„Eine interessante Frage“, riss Altaïr eine Stimme aus den Gedanken.
 

„Wer seid Ihr? Zeigt Euch!“, forderte er sie auf.
 

„Und gebieterisch noch dazu. Ich mochte euch Menschen schon immer.“
 

Quasi aus dem Nichts schälte sich eine Gestalt. Es war ein alter Mann mit einem ähnlich prächtigen Bart wie Al Mualim. Altairs Hand zuckte, und wollte schon die versteckte Fingerklinge ausfahren lassen um sich auf ihn zu stürzen, als weitere Details hinzukamen. Er trug eine helle Lederkappe die wie ein Adlerkopf geformt war, dazu einen imposanten Mantel mitsamt Umhang und eine teuer wirkende Gürtelschnalle. Sein Gesicht zierte ein warmes Lächeln.
 

„Wer seid Ihr?“, fragte Altaïr erneut und eindringlicher.
 

„Ich hatte im Laufe der Zeit viele Namen. Zeus, Tinia, Jupiter… Wahrscheinlich werde ich auch noch viele Namen tragen. Ich denke Jupiter ist das, was am besten passen könnte.“ Der fremde Mann hielt dazu jene Hand, die nicht unter dem Umhang verborgen war, ausgestreckt vor sich.
 

Altaïr wich zurück. Das musste eine Illusion sein. Ein Trugbild. Dieser fremde Mann behauptete gerade der Gott der Griechen zu sein, der Etrusker, der Römer. War er dann Gott? Diese Wesenheit der Kreuzritter und Sarazenen nacheiferten?
 

„Nein, das bin ich nicht. Oder doch?“ Jupiter zuckte mit den Schultern. „Wir sind vieles. Ihr habt eine zu beschränkte Vorstellungskraft. Was ihr euch nicht erklären könnt muss göttlich sein, Magie oder eine andere mächtige Kraft.“
 

Das war alles sehr verwirrend. Wahrscheinlich nur ein weiterer Trick Al Mualims. Sollte er den Mann angreifen? Ein kurzer Stich mit seiner Klinge und er würde sein Leben aushauchen.
 

„Das wird nicht funktionieren, Altaïr. Dafür besteht auch kein Grund.“
 

Altaïrs Augen weiteten sich vor Schreck. Woher wusste der Fremde seinen Namen? Das musste eine Illusion sein!
 

„Weil du ein Mensch bist. Es ist einfach eure Gedanken zu lesen, eure Gefühle zu erforschen. Euch fehlt der siebte Sinn und doch hast du dir ein Fragment davon bewahrt. Ich bin kein Hirngespinst, kein Trugbild, ich bin nicht einmal real und stehe doch vor dir. Dir zu erklären wie das möglich ist, würde unseren Zeitrahmen sprengen und das obwohl wir unendlich Zeit haben.“
 

Altaïr beobachtete Jupiter wie dieser langsam um ihn herumging und dabei musterte.
 

„Wie meint Ihr das?“, wollte der Meisterassassine wissen.
 

„Du bist gerade körperlich, wie auch spirituell, sehr weit weg. Die Zeit in der für dich realen Welt steht still. Dein Geist ist in das Artefakt in deinen Händen eingetaucht. Für die Menschen draußen starrst du gerade den Apfel an. Stell dir vor du wärst eingefroren.“ Jupiter überlegte erneut und nickte dann. „Ja, das trifft es gut. Eingefroren in der Zeit.“
 

Altaïr verstand gar nichts von dem was der alte Mann da sagte. Er klang nicht ganz bei Sinnen, wie im Wahn. Was hatte das zu bedeuten? Wie sollte er denn an zwei Orten gleichzeitig existieren? Das war unmöglich.
 

„Es ist genauso unmöglich wie die Teilung des Roten Meeres durch einen Propheten oder das Verwandeln von Wasser in Wein und doch glaubt ihr Menschen daran. Warum also sollte dieser Umstand, an zwei Orten parallel zu existieren, nicht genauso real sein?“
 

Nachdem Jupiter ihn umrundet hatte stellte er sich wieder vor ihn und lächelte.
 

„Obwohl du genau weißt, dass es wahnsinnig klingt, so erkennst du auch die Wahrheit in meinen Worten. Ich habe gut getan dich auszuwählen.“
 

Altaïr wurde hellhörig. Ausgewählt zu werden? Wofür? Erneut spannte sich jeder Muskel in seinem Körper an, um sich zu verteidigen. Er würde nach Al Mualim niemandem mehr dienen.
 

„Ich brauche keine Diener. Du bist nur hier, weil ich dich warnen will.“
 

Eine Warnung? Altaïr zog die rechte Braue in die Höhe.
 

„Ja, eine Warnung. Der Apfel wird viele Neider anlocken. Verrat wird dein Leben bestimmen. Du wirst verlieren was du so sehr liebst.“
 

„Ich liebe niemanden“, warf ihm Altaïr entgegen.
 

„Aber du wirst“, fuhr Jupiter unbeirrt fort. „Du wirst dich aufmachen in ferne Länder und das Schicksal dieser Welt beeinflussen. Deine Klinge wird das Leben von Tyrannen beenden und Frieden bringen. Es wird deine Linie sein, Altaïr, die deine Rasse vor dem Aussterben bewahrt.“
 

„Ihr wisst wie wirr das klingt?“, spottete der Assassine.
 

„Es klingt genauso wirr wie die Worte der Männer die du niedergestreckt hast und doch sprachen sie die Wahrheit. Du siehst die Welt anders als die meisten Menschen. Ich kann und darf dir nicht mehr sagen. Gib gut auf dich acht, junger Freund. Vielleicht sehen wir uns eines Tages wieder.“ Jupiters Gestalt wurde durchsichtig und verblasste. „Und studiere den Apfel. Er wird dir viele Geheimnisse offenbaren und ein langes Leben erlauben.“
 

Um Altaïr herum wurde es dunkel. Die Schwärze drohte ihn zu verschlingen. Er rannte wieder los, in die Finsternis hinein, der er so sehr zu entkommen versuchte. Seine Glieder wurden steif, sein Körper taub und eine unsichtbare Macht zwang ihn dazu die Augen zu schließen. Auf Dunkel folgte hell, eine so starke Lichtquelle, dass er glaubte durch die geschlossenen Lider hindurch blind zu werden. Dann plötzlich war alles vorbei und er schlug die Augen auf.
 

„Altaïr? Alles in Ordnung mit Euch?“
 

Malik stand neben ihm und hatte ihm die Hand auf die Schulter gelegt. Er selbst hatte den Apfel in der rechten Hand.
 

„Wie lange war ich weg?“, fragte Altaïr monoton.
 

„Weg? Ihr habt den Apfel angefasst und dann einen glasigen Blick bekommen. Ich würde schätzen es war nicht einmal eine Sekunde und doch habt Ihr ausgesehen als würdet Ihr nie wieder zurückkehren.“ Malik klang besorgt. „Ist Al Mualim noch hier?“
 

„Nein“, schüttelte Altaïr den Kopf und rieb sich mit Daumen, Zeige- und Mittelfinger der freien Hand die Schläfen. „Nein, Al Mualim ist für immer fort. Ich muss nachdenken. Könnt Ihr für eine Weile die Geschäfte übernehmen?“
 

„Natürlich“, nickte Malik.
 

„Gut.“ Damit wandte sich Altaïr ab und machte sich auf den Weg in die Räumlichkeiten seines Meisters. Er würde diesen Gegenstand wohl doch nicht wegsperren oder zerstören. Ihn beschlich dabei ein ungutes Gefühl. Al Mualim hatte ihn nach seinem Tod genau vor so etwas gewarnt. Mit angehaltenem Atem stieß er die Tür zum Zimmer seines toten Meisters auf und sah sich um. Diese Aufzeichnungen alle zu sichten würde dauern. Seufzend ließ er sich auf den Stuhl am Tisch nieder und zog die ersten Pergamentrollen heran, den Apfel neben sich. Es würde sehr lange dauern.



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Kommentare zu diesem Kapitel (1)

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Von:  Blue_StormShad0w
2020-12-13T12:04:02+00:00 13.12.2020 13:04
Guten Tag.
Wow, eine sehr interessante und überzeugende Kurzgeschichte! Flüssig zu lesen und man konnte es sich gut im Kopf abspielen. 😉 Auch die Handlung fügt sich perfekt zu der Geschichte von Altaïr ein.
Eine gelungene Geschichte.
Gut, einen schönen Tag dir noch, schöne Festtage und bleib gesund. Ciao! 👋
Antwort von:  SuperCraig
13.12.2020 21:16
Hallo!
Danke für deinen Kommi!! :) Freut mich ungemein, wenn jemand auch so OS liest, die nichts mit Romantik oder Pairings zu tun haben.
Ja, Altaïr ist mein Liebling und Jupiter mein Lieblingsgott bzw Lieblingsisu. Hat echt Spaß gemacht zu schreiben, was man wohl auch bemerkt hat beim lesen. :D
Dir ebenfalls!


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