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Entführung in Memmingerberg

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Entführung in Memmingerberg

25. Mai, 09:35 Uhr, Memmingerberg

 

Vorsichtig bog Wagen Nr. Sieben aus der Einfahrt der Polizeistation, als aus dem wageninternen Lautsprechern eine Stimme zu hören war.

"Schmidt an Wagen Sieben, bitte melden!", sagte die Stimme knapp, bevor sie wieder zum Schweigen kam. Der Polizist, welcher sich auf dem Beifahrersitz befand, nahm das Gespräch entgegen.

"Wagen Sieben hier, Weiß und Stein anwesend. Wir machen uns gerade auf dem Weg zum Zielgebäude", antwortete er, während sein Kollege an der roten Ampel anhielt. Kleine Kinder, zwei Mädchen und ein Junge, nahmen sich an den Händen und liefen unbeschwert über die Straße, kaum war das grüne Ampelmännchen für sie erschienen.

"In Ordnung, Wagen Sieben. Machen Sie sich ein Bild von der Situation und geben Sie umgehend Rückmeldung, die Verstärkung wird sofort bei Ihnen sein. Keine Einzelaktionen, ich wiederhole, keine Einzelaktionen! Das Leben der zwei Mädchen steht auf dem Spiel!", betonte die Kollegin und Einsatzleiterin Schmidt, bevor sie das Gespräch erneut abbrach. Die beiden Polizisten sahen sich an, die Ampel wechselte ihre Farbe erst auf Gelb, dann auf Grün.

"Habe verstanden, Einsatzleiterin", erwiderte der Jüngere und hängte das Sprechgerät ein. Ein langer Seufzer war von ihm zu hören.

"Alles in Ordnung, Markus?", wollte sein Kollege von ihm wissen und dieser schüttelte dezent mit dem Kopf.

"Nein Frank, um ehrlich zu sein, nicht wirklich", antwortete Markus, während sein Kollege sich auf den Verkehr vor ihnen konzentrierte.

"Hast du die kleinen Kinder gerade eben gesehen? Wie unbeschwert sie waren? Es ist eine Sauerei, dass wir in einer Welt leben, in der solch wehrlosen Wesen etwas schlimmes passieren kann", sagte er und schüttelte mit dem Kopf. Frank, der die Augen weiterhin auf der Straße behalten wollte, warf nur einen kurzen, besorgten Blick zu dem Jüngeren hinüber.

"In unserem Beruf bekommt man leider die hässliche Seite der Menschen zu sehen", sagte Frank, bevor er bei der nächsten Ampel zum Stehen kam.

"Und mir gefällt es auch nicht. Aber wenigstens haben wir jetzt eine richtige Spur, einen ordentlichen Hinweis, dem wir nun endlich nachgehen können."

Markus nickte schwach und blickte aus dem Fenster, starrte ins Nichts hinein. Lange, viel zu lange hatten sie nun diesen Fall verfolgt, waren jedem Hinweis aus der Bevölkerung nachgegangen und hatten jedes Alibi überprüft, doch die meiste Zeit waren ihre Ermittlungen im Sande verlaufen. Die Geduld der Öffentlichkeit war mehr als ausgereizt, bis die Forderungen immer lauter wurden und bis in die Chefetage hinaufgekrochen waren. Immer lauter, immer heftiger waren die Stimmen geworden und die Presse war auf ihrer Seite gestanden.

"Wir brauchen Resultate, es kann nicht sein, dass wir nicht in der Lage sind, zwei kleine Mädchen zu finden!", hatte es von oben geheißen und so wurden die Bemühungen immer weiter intensiviert. Kollegen wurden aus weniger wichtigen Fällen abgezogen, wusste man doch bereits aus der Erfahrung, dass der Erfolg einer Ermittlung nicht von der Anzahl der beteiligten Ermittler abhängig war.

Vielmehr war der positive oder negative Ausgang eines Falls von vielerlei Faktoren abhängig, wie die Menge an gesicherten Beweisen und Indizien, aufgenommenen Zeugenaussagen oder Hinweisen von Zivilisten, die auf Tatsachen beruhten. Dies war selten der Fall, wie die beiden bereits aus Erfahrung wussten. Es gehörte zu oft auch eine große Portion Glück dazu und die Hoffnung der gesamten Belegschaft beruhte nun darauf, dass es auch dieses Mal wieder der Fall sein würde. Besonders, da es um Kindesentführung mit unbekanntem Ausgang ging. Die Entführer hatten sofort ihre Forderungen an die Eltern gestellt, und doch bestand auch die Gefahr, dass die Kinder aus dem Land geschleust werden sollten, um sie im Ausland an Personen mit fragwürdigen Motiven zu veräußern. Zwar hatte die Polizei die Grenzen zu sämtlichen Nachbarländern stärker kontrollieren lassen, die Kinder waren jedoch nicht entdeckt worden. Dass sie sich nun im Nachbardorf, ganz in der Nähe befinden sollten, hatte in den Ermittlern Hoffnungen geweckt. Und diesem Hoffnungsschimmer zu folgen, war die Aufgaben der beiden Polizisten.

 

"Wie alt sind die beiden Kinder nochmal?", fragte Frank, um die unangenehme Stille zwischen ihnen zu brechen. Mittlerweile waren sie in Memmingerberg angekommen.

"Die Fiona ist fünf Jahre alt und die Lina zwei Jahre älter", antwortete Markus, dafür brauchte er nicht in die elektronische Fallakte auf seinem Tablet nachzusehen. Viel zu oft hatte er sich die Fakten durchgelesen und die Fotos angesehen, hatte sich die Gesichter der Kinder eingeprägt, um sie jederzeit erkennen zu können. All dies hatte sich in ihm eingeprägt und er war der Hoffnung, dass sie diesen Fall nun endlich zu einem Abschluss bringen würden.

"Deine Schwester hat doch auch ein Kind in dem Alter von der Lina, oder nicht?", wollte Frank nun von ihm wissen und Markus nickte zur Bestätigung.

"Ja, die kleine Marie ist auch zwei Jahre alt, nächstes Jahr soll sie dann in den Kindergarten kommen, Brigitte hat auch schon einen für sie ausgesucht und einen Platz für ihre Kleine sichern können", sagte Markus geistesabwesend, während sie durch das Dorf fuhren. Besorgt warf Frank einen Blick zu seinem Kollegen hinüber, seit dessen Schwester ein Kind bekommen hat, nahm sich Markus Fälle, in welchen kleine Kinder involviert waren, deutlich schwerer zu Herzen. Darüber würde er noch mit ihm reden müssen, denn auf Dauer wäre es seiner Meinung nach kein Zustand. Nachvollziehbar, aber hinderlich. Doch jetzt war nicht der richtige Zeitpunkt dafür, der mögliche Abschluss des Falls hatte Vorrang. Um die Gedanken seines Kollegen ebenfalls wieder auf den Fall zu ziehen, nahm er seinen Fuß langsam vom Gas.

"Kannst du mir bitte nochmal sagen, in welche Straße ich fahren muss? Ich bin hier drüben so gut wie nie im Einsatz, privat sowieso nicht unterwegs, daher kenne ich mich nicht aus", erklärte Frank und sah sich um, als würde die Antwort auf einer der umliegenden Häuserwänden stehen. Da sah er Markus' Finger, der auf die linke Straßenseite deutete.

"Wir müssen in die Hawanger Straße, dort ist die alte Scheune, in der sich wohl unsere Täter mitsamt Entführungsopfern befinden sollen", sagte er und Frank folgte der Richtung, in welche Markus gedeutet hatte. "Was genau hat die Zeugin eigentlich ausgesagt, ich war an dem Tag leider verhindert, wie du weißt."

Frank, kaum dass er den dritten Gang wieder eingelegt hatte, begann zu erklären.

"Nun, die junge Dame hat uns gesagt, dass sie öfters am Nachmittag weinende oder lachende Kinder gehört hatte, sie war sich da nicht so sicher. Aber wenn sie aus dem Fenster gesehen hat, dann hat sie keine Kinder auf der Straße gesehen. Sie wohnt wohl gegenüber von einem Neubaugebiet mit einer Spielstraße, dort soll es wohl auch öfters spielende Kinder geben. Die Geräusche konnte sie sich wohl nicht erklären, hat sich dann aber nicht viel dabei gedacht, der Blickwinkel aus dem Fenster ist nicht sonderlich groß. Sie ging wohl davon aus, dass sie die Kinder lediglich nicht gesehen hat, bis ihr anschließend auffiel, dass es wohl öfters Licht in einer nebenliegenden Scheune gab. Was ihr wohl merkwürdig vorkam, denn nach ihrer Aussage hatte sie noch nie gesehen, dass jemand diese Scheune betreten hatte."

"Ja, das ist allerdings seltsam", sagte Markus und dachte nach, bevor er seinem Kollegen weitere Richtungsanweisungen gab.

"Hier musst du rechts abbiegen."

Frank folgte der Anweisung, sie fuhren an einer Kirche vorbei. Nur ein Auto stand am Straßenrand, doch die beiden achteten nicht weiter darauf. Nach wenigen Sekunden, die sie die Straße entlangfuhren, gab Markus seinem Kollegen das Zeichen, den Wagen zum Stehen zu bringen.

"Siehst du das braune Holzgebäude da vorne? Das muss die Scheune sein", sagte er und Frank sah sich die Scheune genauer an. Sie wirkte massiv und stabil, dennoch konnte man einzelne Ritzen zwischen den Holzbrettern erkennen.

Die beiden sahen sich nickend an, dann verließen sie den Wagen und sperrten ihn ab.

 

Langsam näherten sie sich dem Gebäude, es machte den Eindruck, als wäre es schon lange nicht mehr benutzt worden. Aus der Entfernung konnten sie spielende Kinder hören, wie sie über irgendwelche Dinge lachten und Spaß hatten. Doch auch das Geräusch einer Bohrmaschine und eines Betonmischers konnten sie vernehmen.

"Es würde mich wirklich nicht wundern, wenn die Täter diese Gegend für ihr Versteck genommen hätten", flüsterte Frank seinem Kollegen zu. "Bei all dem Lärm und den spielenden Kindern fallen ein oder zwei zusätzliche Kindergeräusche nicht auf. Möglicherweise bringen sie die Kleinen die meiste Zeit zum Schweigen und lassen sie nur hin und wieder Geräusche machen, als ihre perfekte Tarnung. Unsere Zeugin hat uns auch erst informiert, als sie das Licht gesehen hat. Es ist auch weniger riskanter als in der Stadt, dort gibt es immer jemanden, der sich wegen Kinderlärm in der Nachbarschaft beschwert."

Doch Markus blieb ihm eine Antwort schuldig, mittlerweile hatten sie die Scheune erreicht. Vorsichtig schlichen sie um das hölzerne Gebäude herum, versuchten hier und dort einen Blick in das Innere zu erhaschen, doch so richtig ließ sich nichts erkennen. Erst jetzt sahen sie, dass das Schloss, welches die Scheunentür verschließen sollte, offen war. Markus und Frank tauschten Blicke aus, bevor sie sich die Scheune noch genauer ansahen. Versuchten, einen besseren Blick in das Innere werfen zu können. Schließlich wurde Frank fündig, ein Loch in der Größe einer Fünfzig-Cent-Münze, welches ihm einen Blick in die Scheune erlaubte. Und dieser Blick genügte, er konnte zwei gefesselte Kinder, die auf einer alten Matratze saßen, sehen und einem Mann, welcher mit dem Rücken zu ihm stand. Leise schlich Frank zur Tür zurück, winkte seinen Kollegen zu sich und sie blieben vor der Tür stehen. Frank deutete seinem Kollegen, leise zu sein; dann holte er sein Einsatzhandy heraus und begann der Einsatzleiterin zu schreiben.

'Haben die Kinder gefunden, sind vermutlich in Ordnung, ein Täter ist bei ihnen. Gehen davon aus, dass es mehrere sein könnten.'

Genauso schnell, wie er seine Nachricht abgeschickt hatte, kam auch die Antwort zurück.

'Gut. Bleiben Sie, wo Sie sind. Verstärkung ist unterwegs.'

 

Die Kollegen ließen nicht lange auf sich warten und da aus dem losen Verdacht ein bestätigter Beweis wurde, kamen nun mehreren von ihnen die kleine Straße entlanggerollt. Drei Einsatzwägen waren unterwegs, um Markus und Frank zu unterstützen, wie auch ein Hubschrauber, der die Situation von oben gut im Blick hatte. Frank und Markus hatten sich von der Scheune entfernt und bei ihrem Wagen auf die Kollegen gewartet, die Scheune selbst dabei jedoch nie aus den Augen verloren. Mit eiligen Schritten näherte sich Einsatzleiterin Schmidt den Beiden und blieb bei ihnen stehen. Die anderen Kollegen blieben auf Abstand, aber bereit zum sofortigen Einsatz.

"Sind sie dort drin?", fragte Schmidt und ließ dabei offen, ob sie die Kinder oder die Entführer damit meinte.

"Ja, sie sind alle dort drin. Ich konnte einen Mann erkennen, aber wir gehen davon aus, dass es zwei oder mehr sein könnten", beantwortete Frank ihre Frage. Mit den Augen suchte Schmidt die Scheune ab, dann nahm sie ihr Funkgerät und murmelte etwas hinein. Dann ging sie mehrere Schritte auf die Scheune zu und deutete der kleinen Polizistenschar, ihr leise zu folgen. Kaum hatten sie ihre Chefin eingeholt, gab sie ihnen zu verstehen, stehen zu bleiben. Anschließend nahm sie einem sehr jungen Polizisten das Megafon ab, welches er die ganze Zeit über getragen hatte und richtete es auf die Scheune.

"Hier spricht die Polizei, Sie sind umzingelt! Geben Sie friedlich auf, lassen Sie die Kinder laufen und legen Sie die Waffen weg! Lassen Sie uns das Ganze friedlich lösen", sprach sie hinein und es war deutlich in der Nachbarschaft zu hören, hier und da konnte Markus Gesichter hinter den umliegenden Fenstern sehen, die neugierig die Situation begafften.

"Haltet euch bereit, aber noch nicht die Waffen ziehen!", raunte sie in die Richtung ihrer Untergebenen, so mancher legte die Hand an der Stelle, an welcher sich ihre Pistole befand. Für ein paar wenige, langgezogene Momente gab es keinerlei Reaktionen aus der Scheune, nur vereinzelte Geräusche waren zu hören, die Entführer waren wohl im Begriff, ihre Lage zu besprechen und Dinge einzupacken. Schließlich öffnete sich die Tür, sie wurde einen halben Meter zur Seite geschoben und zwei kleine Kindergesichter blickten durch den Spalt hindurch. Sie wirkten müde, aber unversehrt. Dass sich die Entführer halbwegs gut um sie gekümmert haben mussten, war sofort erkennbar. Schmidt nahm es sich vor, diesen Aspekt in die Beurteilung der Täter mit einzubeziehen. Doch noch war die Sache nicht vorbei, noch mussten erst die Kinder noch gerettet werden und die Täter verhaftet.

"Das sieht doch schon mal gut aus", sagte Markus, doch Frank hatte seine Zweifel. Zwar freute er sich, dass die Kinder wohlauf waren, dennoch kam ihm das alles zu einfach vor. Dass die Täter sich freiwillig ergaben, das würde er erst glauben, wenn es wirklich passiert ist. Hatten sie sich mit dem Neubaugebiet mit seinen vielen kleinen lauten Baustellen doch das ideale Versteck gesucht. Wie konnten sie nun so plötzlich so leichtsinnig werden? Sind es Anfänger, die zum ersten Mal ein Verbrechen begehen? Konnten sie deshalb auf einmal so leicht entdeckt werden? All dies ging ihm durch den Kopf, als die Scheunentür weiter aufgeschoben wurde.

"So ist es gut, geben Sie sich geschlagen und es wird gut für Sie enden. Auch später in der Gerichtsverhandlung", sagte Schmidt laut und deutlich. Nun erschienen auch die Gesichter der Entführer, zwei Allerweltsgesichter, gezeichnet durch tiefe, dunkle Augenringe. Offenbar hatte die Gesamtsituation ihnen keinen langen Schlaf gegönnt. Oder sie sind am Ende selbst daran zerbrochen. Weitere Gedanken, die Frank durch den Kopf schossen.

"Nehmen Sie die Hände nach oben, mit den Flächen nach außen, damit wir sie sehen können!", forderte Schmidt von den Entführern und diese gingen dieser Forderung zaghaft nach. Noch immer bereit, die Pistolen aus den Halftern zu nehmen, begannen die Polizisten den Scheuneneingang zu umringen. Die Fluchtmöglichkeiten wurden damit stark reduziert, wie ein prüfender Blick von Frank feststellte. Einsatzleiterin Schmidt dagegen behielt den Eingang im Auge, beobachtete jede Bewegung der beiden Männer und der Entführer.

"Sind das nur Sie beide oder gibt es da drinnen noch einen dritten?", wollte Schmidt von ihnen wissen und sie schüttelten mit dem Kopf.

"Nein, nur ich und der Andi hier, wir sind die Einzigen hier", sagte er und sein Komplize mit dem Namen Andi nickte schnell. Schmidt wirkte zufrieden.

 

Die Männer ergaben sich, die Kinder liefen in die offenen Arme der Einsatzleiterin und mehrere Kollegen nahmen die Verhaftungen vor, lasen den Tätern ihre Rechte vor und gaben Ihnen die Wahl, einen Anwalt zu konsultieren oder einen Strafverteidiger zugewiesen zu bekommen. Handschellen wurden umgelegt und die Täter in einem der Wägen verfrachtet. Währenddessen kümmerte sich die Einsatzleiterin um die beiden weinenden, aber auch erleichterten Kindern, während sich ein Kollege darum bemühte, dass so schnell wie möglich ein Psychologe hinzugezogen werden würde. Zeitgleich würden die Eltern informiert werden, damit diese ins Präsidium fahren würden. So wäre der Standartablauf, wie es das Protokoll, die Erfahrung des einen oder anderen Kollegen oder auch sogar das Happy End eines Kriminalromans sagen würden. Genau auf diese Art, hatten alle Beteiligten gehofft, dass es ablaufen würde. Ohne Probleme, ohne Komplikationen. Doch bereits eine kleine Änderung, eine kleine Abweichung, ein kleiner Schlag eines Schmetterlingsflügels war in der Lage, alles zu verändern.

Und diese kleine Abweichung äußerte sich durch einen der jungen Kollegen, Simon Kurz. Er war schon immer als sehr engagiert, aber auch leicht nervös bekannt, der allerdings besonders durch seine analytischen Fähigkeiten seine Defizite wieder auszubessern wusste, zumal er von allen Anwärtern die besten sportlichen Leistungen erzielt hatte. Bereits zwei Jahre war er im Einsatz und jeder, inklusive ihm selbst, hatte ihn als bereit eingestuft, emotional wie auch von der Menge an Erfahrung im aktiven Einsatz. Doch stellte sich als Fehler heraus.

Während alle Einsatzkräfte die Entführer dabei beobachteten, wie diese langsam die Scheune verließen, schien er der Situation nicht zu trauen. Er hätte sie nicht richtig einschätzen können, hatte die Entführer für Lügner gehalten und noch einen dritten in der Scheune vermutet, einen dritten Entführer, bis an die Zähne bewaffnet, bereit, sämtliche Schusswaffen auf die Polizistenschar zu feuern. Doch er wollte den Entführern zuvorkommen, ihnen einen Schritt vorauseilen. Es ging ihm dabei nicht um Ruhm, wie er im Anschluss zu Protokoll gegeben hatte, viel mehr wollte er das Leben seiner Kollegen und auch sein eigenes schützen.

All das führte dazu, dass er an diesem Tag, in diesem Moment seinen Halfter öffnete und die Pistole langsam herauszog. Was den Entführern, welche bei ihrem langsamen Heraustreten kontinuierlich die Polizisten beobachteten, sofort auffiel.

"Er hat eine Waffe!", konnten sie Andi schreien hören und sein Kollege zog von hinten eine Pistole hervor, ein älteres Modell, welches er sich wohl illegal im Ausland besorgt haben musste. Diese richtete er auf die Menge. "Lügner, Lügner, Lügner, bleibt weg von uns!", schrie er und war nun alles andere als ruhig. Mittlerweile waren sämtliche Waffen gezogen worden, sowohl bei den Entführern, als auch bei den Polizisten.

Die Spannung in der Luft war zum Zerreißen, nur eine falsche Bewegung und die ganze Situation würde kippen, sich in eine Richtung entwickeln, die man von Anfang an hatte vermeiden wollen.

Unsicher, was er nun tun sollte, hob der junge Polizist seine Waffe und zielte auf einen der Entführer. Was diesem nicht entging, sofort zielte er mit seiner eigenen Waffe in Simon Kurzs Richtung. Ein Schuss ertönte, gefolgt von einem lauten Schmerzensschrei. Kurz ließ sich auf den Boden fallen und rollte, als könnte er so damit den Schmerz aus seinem Körper vertreiben. Dabei hielt er sich den rechten Oberarm.

Augenblicklich fiel die Situation in sich zusammen. Kollegen, die neben ihm gestanden waren, eilten ihm zu Hilfe und versuchten ihm zu helfen, sich eine Übersicht über seine Wunden zu verschaffen. Die restlichen Polizisten versuchten nun die Täter festzunehmen, doch diese schienen nicht begeistert zu sein.

„Lukas, was zum Teufel hast du getan? Du hast den Bullen angeschossen!“, stieß Andi panisch aus und sah sich hektisch um. Lukas dagegen biss sich auf die Unterlippe, bis ein kleiner Tropfen Blut davon herunterfloss. Er sah erst zu den Polizisten, die sich bereit machten und dann zu den Kindern vor ihnen, doch er wusste, dafür war es nun zu spät.

„Schnell, schnell!“, rief er, zog seinen Komplizen in die Scheune und verschloss sie so schnell wie möglich, kaum hatte Lukas die Polizisten laufen sehen. Doch diese erreichten die Entführer nicht, stattdessen trommelten sie gegen das Scheunentor und versuchten dieses zu öffnen, doch Fehlanzeige. Das Tor ging nicht mehr auf.

„Vermutlich haben sie das Tor von ihnen verriegelt. Aber das bringt ihnen nichts, dann öffnen wir die Tür eben gewaltsam!“, rief Einsatzleiterin Schmidt und sah nun ebenfalls nach dem verletzten Kollegen. Erst nach ein paar Sekunden ließ er unter seine linke Hand sehen, eine kleine Blutlache hatte sich bereits am Boden gebildet. Schnell bedeckte sie die Wunde wieder mit der Hand.

„In Ordnung, das sieht gar nicht schlimm aus, Sie werden es überleben. Meier, Sie holen den Erste-Hilfe-Kasten und versorgen Kollege Kurz. Und Sie, Huber, rufen auf der Stelle einen RTW hierher, ein Notarzt soll ich das trotzdem ansehen“, lauteten ihre Befehle und die Kollegen folgten. Dann wand sie sich wieder Kurz zu.

„Aber über Ihr Handeln reden wir noch, das wird noch Konsequenzen haben. Sie haben die gesamte Operation in Gefahr gebracht. Doch zuerst müssen Sie noch stabilisiert werden“, sagte sie streng, bevor sie Meier mit dem Erste-Hilfe-Kasten an den Kollegen heranließ. Dann blickte Schmidt wieder zur Scheunentor, zu ihrer Enttäuschung musste sie feststellen, dass dieses noch immer nicht geöffnet war.

„Meine Herren, das dauert mir viel zu lange. Und wo sind überhaupt die Kinder?“, fragte sie und atmete auf, als sie die Kleinen sicher in den Armen von Markus Stein und Frank Weiß finden konnte. Sie ging zu ihnen hinüber und nahm ihnen die weinenden Kinder ab.

„Ab jetzt kümmere ich mich um die Kleinen. Wo bleibt denn der Psychologe? Keine Angst, ab jetzt wird alles wieder gut, versprochen!“, richtete sie sich an die Kinder und trocknete ihre Tränen mit einem Taschentuch ab.

Markus und Frank beobachteten ihre Kollegen weiter, da bekam einer von ihnen eine Idee. Und ließ es den anderen wissen.

„Komm mal mit, ich muss mal was überprüfen“, sagte er und zog seinen Kollegen die Wiese herunter, am Holzgebäude vorbei. Erst, als sie am anderen Ende der Scheune standen, blieb Frank stehen.

„Ah, wie ich es vermutet hatte“, sagte er und deutete auf eine kleine Tür, gerade mal so hoch wie der kleine Kollege Kurz. Beeindruckt sah Markus ihn an.

„Woher wusstest du…?“, wollte er fragen, doch Frank schüttelte nur den Kopf.

„Sagen wir einfach, dass ich solche Gebäude von früher kenne, als ich als Kind noch auf dem Land gewohnt habe. Da passten die Bauern oft nicht mehr an ihren vielen Geräten vorbei und haben sich dann auf der Rückseite eine kleine Tür eingebaut, damit sie ihre Scheune auch wieder verlassen konnten“, erklärte er und Markus überlegte sich, ob die Täter diese Tür auch bereits kannten oder nicht.

Doch seinen Gedanken laut auszusprechen, dazu kam er nicht, denn kaum war Frank mit seiner Erklärung fertig geworden, öffnete sich die Tür leicht knarzend und ein Gesicht kam heraus. Zusammen mit einer Pistole. Noch immer waren die Polizisten zu hören, wie sie an der verschlossenen Scheunentür zu Gange waren.

 

„Uns… uns bekommt ihr nicht! Nicht lebend!“, stotterte der Entführer mit dem Namen Andi und sein Komplize Lukas richtete die Waffe abwechselnd auf die beiden Polizisten. Sie beide standen in der geöffneten Tür, man konnte erkennen, dass sie notdürftig ihre Sachen in einen Rucksack gestopft hatten, den Andi nun auf dem Rücken trug. Markus und Frank sahen sich an, dann holten sie ihre Waffen hervor und legten sie auf den Boden.

„Ganz ruhig, ganz ruhig, wir können euch nun nichts mehr tun“, sagte Markus mit einer sehr ruhigen Stimme.

„Wir sind nun keine Gefahr mehr für euch und Ihr könnt die Waffe nun auch runternehmen. Wir wollen nichts von euch, wir wollen nur reden, ganz normal reden wie Erwachsene“, sagte er und nur ganz langsam nahm Lukas die Waffe herunter. Erst jetzt konnten die Polizisten erkennen, dass die beiden gerade erst vor kurzem die Volljährigkeit erreicht hatten. Was Frank ein wenig stutzig machte.

„Ja, das ist gut so, das ist gut so“, versuchte Markus beruhigend auf die beiden Verbrecher einzureden, der erste Schuss war bereits gefallen und der zweite war dann erfahrungsgemäß niemals weit weg, doch genau diesen galt es nun zu verhindern. Die Kinder waren in Sicherheit, die Verbrecher hatten außer ihrer Waffe kein Druckmittel mehr.

„Gut, da wir uns jetzt alle ein wenig beruhigt haben“, sagte Markus und ging mit leicht hoch erhobenen Händen einen Schritt auf die Gangster zu.

„Dann können wir doch mal darüber reden, was das Ganze hier soll. Ihr seht noch so jung aus, warum also der kriminelle Weg?“, wollte er von den beiden wissen und diese sahen sich an. Unsicher, ob sie darüber sprechen sollten. Dann zuckte Andi mit den Schultern.

„Ist … ist der Polizist in Ordnung? Der, den ich getroffen habe?“, fragte Lukas leise und von seiner fast schon großkotzigen Selbstsicherheit war nun nichts mehr zu spüren. Frank nickte.

„Ja, Kollege Kurz geht es gut, er wird auch bereits erstversorgt“, antwortete er und die zwei Verbrecher atmeten auf. Dass es nicht in ihrem Sinne war, jemanden während ihrer Tat zu erschießen, war mehr als offensichtlich.

„Und warum entführt ihr kleine Kinder? Wofür braucht ihr das Geld?“, bohrte Frank anschließend nach, wofür er einen durchdringenden Blick seines Kollegen erntete.

Markus räusperte sich und ging einen weiteren Schritt auf sie zu. Die Arme hatte er bereits wieder gesenkt, er hatte nicht mehr den Eindruck, dass die Jungs für ihn weiter gefährlich werden könnte.

„Wie euch bereits mein Kollege gefragt hat: Warum hab ihr das getan? So etwas plant man doch nicht von heute auf morgen. Und dann auch noch die Waffe, wo habt ihr die her?“

Wieder wurden unter den Verbrechern unsichere Blicke ausgetauscht.

„Nun, ja, es ist so, wir …“, fing Lukas zu sprechen an, bevor er wieder verstummte.

„Wir haben Schulden bei so ein paar Finanzhaien, alles große Tiere“, beendete Andi den Satz seines Komplizen. Nun wurde Frank wieder hellhörig.

„Schulden bei großen Tieren? Habt ihr von denen auch die Waffe bekommen?“

Andi nickte: „Ja und die haben uns auch von dem Versteck hier erzählt.“

Er wartete ein paar Sekunden, bevor er mit seiner Erzählung fortfuhr.

„Wir wollten uns eigentlich nur ein schönes Leben machen, aber dann ist uns was Saublödes passiert. Wir sind mit dem Wagen meines Alten in so ‚nen Sportwagen gerasselt, war total blöd. Aber die haben uns angeboten, hey, wenn ihr uns das Geld besorgt, dann ist alles vergessen. Nur, wir verdienen als Azubis nicht so viel, die Chefs zahlen uns da nicht genug und wir wollten nicht für immer Schulden bei denen haben. Die sind mir unheimlich“, sagte Andi und Lukas nickte nur.

„Ihr seid Azubis? Was macht ihr denn?“, fragte Markus nach und die Jungs schienen ein wenig glücklich darüber zu sein, dass sich wohl jemand für sie zu interessieren schien.

„Ich mache eine Ausbildung zum Schreiner und Lukas wird Steinmetz. Wir beide sind im letzten Jahr, mussten es beide auch wiederholen“, sagte er und schien sich etwas zu schämen. Markus war nun mittlerweile nahe genug an die Beiden herangekommen, so dass er ihnen auf die Schulter klopfen konnte.

„Schreiner und Steinmetz, zwei handwerkliche Berufe, die werden heute händeringend gesucht. Glaubt mir, ihr werdet keine Probleme damit haben, einen Job zu finden. Da habt ihr solche Sachen wie eine Kindesentführung gar nicht nötig. Das versaut euch die Chancen dann eher“, sagte er und wieder sahen sich die Entführer besorgt an. Markus konnte sogar einzelne Tränen in den Augenwinkeln erkennen.

„Aber, wenn ihr mit uns kooperiert, dann werden wir da sicherlich was machen können. Auf eine legale Weise natürlich“, sagte er und Frank trat an ihn heran.

„Ja, ihr könnt uns zum Beispiel etwas über die Finanzhaie erzählen, die euch in dieses ganze Schlamassel gebracht haben.“

„Hast du einen Verdacht?“, wollte Markus von ihm wissen.

„Ja, den habe ich tatsächlich“, entgegnete Frank. „Doch darum kümmern wir uns ein anderes Mal, erstmal machen wir das hier fertig. Aber ich bin mir sicher, dass uns die Jungs wertvolle Informationen geben können, mit denen wir diese kriminelle Vereinigung in die Finger kriegen werden. Vermutlich wird der Richter das genauso sehen.“

Dann nahm er seine Handschellen und legte sie Lukas um die Handgelenke. Sein Kollege Markus tat es bei Andi gleich.

„Gut, dann bringen wir euch beiden ins Revier, alles andere klärt sich dann dort“, sagte Frank und die beiden führten die Entführer zu ihren Kollegen, die es zwischenzeitlich in die Scheune hineingeschafft hatten. Auch ein Rettungswagen war angekommen, Simon Kurz wurde gerade verladen und ein Sanitäter hatte den kleinen Kindern Teddybären geschenkt, die diese fest an sich drückten. Kaum sah Einsatzleiterin Schmidt die beiden Kollegen mit den gefesselten Verbrechern, blies sie den Einsatz ab. Sofort kamen andere Kollegen herangeeilt, um die beiden Entführer in die Polizeiwägen zu verfrachten.

„Saubere Arbeit, Kollegen, davon müssen Sie mir später einen genauen Bericht geben“, sagte sie und nickte die beiden an.

„Etwas unorthodox, ihre Methode, aber wohl sehr wirkungsvoll.“

„Danke schön“, bedankte sich Markus und Frank nickte. Da gab die Einsatzleiterin Schmidt die letzten Anweisungen, den einen Teil der Belegschaft zur Beweissicherung, den anderen Teil zum Abzug.

„In Ordnung, sie beide begleiten mich jetzt zum Präsidium, dann können wir Ihre Aussagen auch gleich mit ins Protokoll aufnehmen“, sagte sie und die beiden Herren ließen die Dame nicht warten. Höflich öffnete Markus ihr die Beifahrertür und kaum saßen sie zu dritt in dem grün-weißen Polizeiwagen, fuhren sie los, heraus aus Memmingerberg, hin zu einer Menge Papierarbeit, die dort bereits auf sie warten würde.


Nachwort zu diesem Kapitel:
Irgendwie schreibe ich voll gerne Krimis :-) Komplett anzeigen

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