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Observed

Someone‘s watching you
von

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Oneshot

Nur noch 5 Minuten bis zum Feierabend. Eigentlich arbeitete Uruha gerne, doch heute fühlte er sich so dermaßen ausgelaugt, dass er am liebsten nur noch nach Hause flitzen und sich schlafen legen wollte. Vielleicht sollte er es sich aneignen, etwas früher zu Bett zu gehen. Unauffällig ließ er den Kopf hin und her rollen, um genüsslich zu seufzen, als es laut knackte. Er streckte die Schultern, ließ auch dort die Knochen knacken und nickte höflich, als seine Arbeitgeberin ihm Informationen für den morgigen Arbeitstag gab und ihn schon einmal entließ. Es waren zwar nur fünf Minuten, aber trotzdem wäre Uruha ihr am liebsten vor Erleichterung um den Hals gefallen. Jede Minute eher war ein Segen für ihn. Er unterdrückte das breite Grinsen, wollte er ja immerhin nicht unhöflich erscheinen, und sauste in den hinteren Arbeitsbereich, um sich seine Sachen zu schnappen und den Laden so schnell wie möglich zu verlassen. Doch nicht, ohne sich vorher noch zu verabschieden. Beim Gehen warf er sich seinen schweren Mantel über und verkniff es sich, mit den Zähnen zu klappern, als ihm draußen die kalte Luft wie eine geballte Faust ins Gesicht schlug. Fest biss er die Zähne zusammen und wunderte sich darüber, dass es so plötzlich so kalt geworden war. Nicht dass er etwas dagegen hatte. Er liebte den Herbst, aber für seinen Geschmack war das Wetter viel zu abrupt umgeschwungen. Unauffällig für andere zuckte er mit den Schultern und lief eiligen Schrittes die überfüllten Straßen entlang Richtung U-Bahn, da er jeden Tag mit dieser fuhr. Ein Auto hielt Uruha nicht für nötig, zumal der Verkehr in Tokio schlimm genug ohne einen weiteren Autofahrer war.
 

Er wusste nicht wieso er es tat, als er im Gehen knapp über die Schulter lugte. Seit einigen Wochen fühlte er sich irgendwie beobachtet, doch hatte er niemandem etwas davon erzählt. Weder wollte er, dass sich seine Familie und Freunde Sorgen machten, noch wollte er als plemplem abgestempelt werden. Menschen, die sich Dinge einbildeten, waren in dieser Gesellschaft leider nicht gern gesehen. Deswegen hielt er lieber den Mund und versuchte das unangenehme Gefühl zu verdrängen. Das war sicher nur, weil er so erschöpft war. Und jetzt konzentrierte er sich nur noch auf die Straße und darauf, dass er niemanden anrempelte, während er die Treppen hinabging, um sich ein neues Ticket zu kaufen. Als er in der überfüllten U-Bahn stand, atmete er erleichtert aus. Trotz der Umstände war er gerade vollauf zufrieden mit sich und der Welt. In ungefähr 15 Minuten würde er in seiner gemütlichen Wohnung sein, sich schnell duschen und danach etwas zu essen machen, ehe er sich entspannt vor den Fernseher setzen und sein Mahl verzehren würde. Die Augen hielt er geschlossen und merkte vor lauter Müdigkeit nicht einmal, dass er sich dabei gegen einen Passagier lehnte. Wenn man mal die Situation betrachtete, war es unmöglich, die Leute ringsum zu meiden, da man nicht einmal genug Platz zum Atmen hatte. Also machte er sich auch nichts daraus, die Person in seinem Rücken anscheinend auch nicht, und hielt die Augen weiterhin geschlossen, während er überlegte, was er kochen sollte. Vielleicht würde er aber auch seinen besten Freund anrufen und ihn um Rat fragen. Kai war immerhin ein prima Koch. Wenn er doch nur sein Handy aus seiner Tasche bekommen würde. Er versuchte an das kleine Technikwunder in seiner Hosentasche heranzukommen, konnte seinen Arm jedoch nicht weit genug hinabstrecken. Zudem war sein Mantel verdammt noch mal im Weg! Wieso nur waren diese U-Bahnen immer so brechend voll?
 

“Hier!”, ertönte es nahe an seinem Ohr, was ihn schrecklich zusammenzucken ließ. Dass man in einer U-Bahn so gut wie keine Privatsphäre hatte, konnte er akzeptieren, nicht aber die Tatsache, dass sich ein Wildfremder an seiner Hosentasche vergriff, um sein Handy herauszuklauben und es ihm in die Hand zu drücken. Das hätte er auch gut selbst hinbekommen. Mit vor Schock und Unglaubwürdigkeit geweiteten Augen nahm Uruha sein eigenes Handy entgegen und nickte nur. Irgendwoher kannte er dieses Gesicht.. “Ich dachte mir, ich helfe mal. Immerhin sah es nicht so aus, als wären Sie in der Lage gewesen, das Handy da rauszubekommen.” Der Fremde nickte in Richtung Uruhas Hosentasche und grinste kokett, was den Brünetten beinahe vor Wut platzen ließ. “Bleib jetzt bloß ruhig, Uruha”, dachte er bei sich und biss die Zähne fest zusammen, dass die Kieferknochen sichtbar hervortraten. Immerhin wollte er zur Rush Hour keine Szene veranstalten. Den Fremden kümmerte Uruhas deutliche Wut aber anscheinend nicht, denn er lächelte nur noch knapp und drehte den Kopf dann in eine andere Richtung. Welcher normale Mensch trug eigenlich in einer überfüllten U-Bahn mitten am Abend eine riesengroße Sonnenbrille, ging ihm durch den Kopf, ehe er diesen auch schon unmerklich schüttelte und seinem besten Freund dann eine schnelle Nachricht schrieb. Gleich wäre alles vorbei. Die aufdringliche Kapuzengestalt in seinem Rücken versuchte er so gut wie möglich zu ignorieren.
 

Er atmete erleichtert aus, als er endlich aus der einengenden Bahn getreten war. Sich noch einmal knapp umschauend machte er sich auf den Weg nach Hause. “Ich lasse Kai einfach für mich kochen. Der macht das doch gerne”, grinste Uruha überlegend in sich hinein und hauchte bibbernd in seine Hände, um diese warm zu halten. Seine Tasche fester um seine Schulter zurrend, beschleunigte er seine Schritte, als er das große Gebäudekomplex von hier schon sehen konnte. Als es kurz in seiner Hosentasche vibrierte, griff er hinein und holte das Handy heraus, um den Text seines Freundes zu lesen. “Nice!”, sagte er nur grinsend aus und fischte schon einmal nach seinem Schlüsselbund. Drei Treppenstufen auf einmal erklimmend, raste Uruha hoch in den vierten Stock und schloss schnell seine Wohnungstür auf, dabei nicht bemerkend, dass er nur eine Umdrehung des Schlüssels gebraucht hatte, um diese zu öffnen. Ihm entging vor lauter Eile völlig, dass er die Tür heute Morgen beim Verlassen der Wohnung zweimal abgeschlossen hatte. Achtlos ließ er seine Tasche zu Boden gleiten, stieg vor dem Genkan aus seinen Schuhen, um diese fein säuberlich in den Schuhschrank zu stellen, und entledigte sich seines Mantels, um auch sofort in sein kleines aber gemütliches Schlafzimmer zu eilen, damit er sich frische Klamotten raussuchen konnte. Er verlor nicht viel Zeit, als er sich beim ins Bad Sprinten aus seinen Anziehsachen schälte, so dass er einen Pfad aus Klamotten im Flur hinterließ. Das machte ihm nichts, er würde sie später wegräumen. Jetzt brauchte er erst einmal eine Dusche. Genüsslich seufzte der große Mann auf, als das warme Wasser endlich über seinen Körper floss und in ihm ein wunderbares Gefühl von Leichtigkeit auslöste. Genießend strich er mit seinen nun aufgewärmten Händen über seinen Körper und hielt sich etwas länger als nötig in der Dusche auf.
 

Als er endlich soweit war, stieg er aus der Dusche und griff routiniert nach seinem Handtuch, um sein langes Haar darin einzuwickeln. Und als er, eingemümmelt in seinen flauschigen Bademantel, einen Blick in den Spiegel werfen wollte, zuckte er merklich zusammen und spürte, wie sich eine Gänsehaut über seinen klammen Körper zog. Es kribbelte sogar in seinen Fingerspitzen und Zehen vor aufkommender Angst. Er schluckte und konnte die Schlagader an seinem Hals deutlich pochen spüren. Doch so schnell dieses unangenehme Gefühl von Angst in seinem Magen aufgetreten war, verschwand es auch schon wieder, und sein erschrockener Gesichtsausdruck wich. Uruha grinste nur kopfschüttelnd und wischte über die beschlagene Scheibe, auf der klar und deutlich “Du bist wunderschön!” zu lesen gewesen war. Sicher hatten seine Kumpels ihm bei ihrem letzten Besuch einen Streich spielen wollen. “Netter Versuch, Reita..”, murmelte Uruha nur lächelnd, ehe er sich zu trocknen anfing. Der Brünette verließ das Bad und stutzte, als er meinte, Schritte zu vernehmen. Er sollte wirklich früher ins Bett gehen, sonst würde er vor lauter Halluzinationen noch den Verstand verlieren, dachte er sich. Eine Augenbraue hebend ging er Richtung Schlafzimmer und bildete sich ein, dass die Schritte stoppten, sobald er sich in Bewegung setzte. “Was zum..”, hauchte er und merkte, wie er erneute Gänsehaut bekam. Langsam wurden ihm seine eigenen Wahnvorstellungen lästig. Es wäre fürs Erste sicher gut, die Horrorfilme für einige Zeit wegzulassen und eher ins Bett zu gehen. Anscheinend bekam er nicht genug Schlaf. Anders konnte er sich seinen Zustand nicht erklären.
 

Geräuschvoll schluckend stieß Uruha die Schlafzimmertür auf und trat gespielt lässig in den Raum, wofür er sich im nächsten Moment albern vorkam, und knipste sogleich das Licht an, da es draußen schon dunkel wurde und die Jalousien heruntergelassen waren. Innerlich schrillten plötzlich seine Alarmglocken auf. Er hatte die Jalousien doch gar nicht heruntergelassen! Oder doch? Ungläubig ging er auf das Fenster zu und entließ einen erstickten Schrei, als ihm rote Buchstaben, wahrscheinlich mit Lippenstift geschrieben, entgegen sprangen, nachdem er die Jalousien hastig wieder hochgezogen hatte. Wer zum Himmel beschmierte seine Fensterscheiben mit irgendwelchen Kosmetika?! Völlig durch den Wind schritt Uruha zurück, das geschmierte “Ich meine es ernst!” nicht weiter beachtend und nun sichtlich in Panik. Ihm entging dabei völlig, dass die Nachricht von innen geschrieben war und noch frisch wirkte. Er riss sich das Handtuch vom Kopf, dabei einen Schmerzenslaut entlassend, da er dabei an seinem eigenen Haar gezogen hatte, und beeilte sich mit dem Anziehen. Als er merkte, dass seine Unterwäsche plötzlich fehlte, was ihn stutzig machte, drehte er sich zu seinem bespiegelten Eckschrank herum, da er sich neue herausnehmen wollte, nur um ungläubig die Augen aufzureißen und zurückzustolpern. “Hast du etwa Angst?” stand dort geschrieben. Woher kamen plötzlich diese Nachrichten und wieso waren sie ihm vorher nicht aufgefallen!? Uruha schüttelte unbewusst den Kopf, während er sich schluckend von seinem Schrank entfernte und laut aufschrie, als er über sein eigenes Bett stolperte. “Verdammte Scheiii-” Es klingelte laut an der Tür, ehe er überhaupt in der Lage war, zu Ende zu fluchen. Hastig rannte der Brünette in den Flur zurück und riss schon beinahe die Tür auf, nur um erleichtert festzustellen, dass sein bester Freund davor stand.
 

Kai grinste ihm breit entgegen, beide Hände mit riesigen Bentos bewaffnet, ehe ihm alles aus dem Gesicht fiel, als er Uruha so aufgehetzt sah. “Uruha, was ist denn los?”, fragte der Kleinere von beiden besorgt und trat auch schon ein. In dem Moment, als Kai die Sicht frei machte, sah Uruha einen pinkfarbenen Haarschopf das Treppenhaus hinunterhuschen. Sich nichts dabei denkend, warf er die Tür kraftvoll zu und war nur froh, dass er endlich jemanden bei sich hatte, der ihn beruhigen und ihm versichern konnte, dass alles in Ordnung war. Natürlich erwähnte er nichts von alledem, was er eben erlebt hatte. Er stempelte all dies als einen bösen Streich seiner Kumpels ab und sorgte dafür, dass Kai nichts von diesen Schmierereien sah, da er nicht wollte, dass sich sein Freund unnötig um ihn sorgte. Wahrscheinlich würde Kai vermuten, dass Uruha all das selbst geschrieben hatte, um Aufmerksamkeit zu erlangen, dachte er sich. Fakt war jedoch, dass Kai so etwas niemals von ihm denken würde. Während der Jüngere in der Küche herumhantierte, wischte Uruha sowohl seine Fensterscheibe als auch seine Spiegel sauber und atmete erleichtert auf, als Kai nach ihm rief. Er würde morgen bei Reita durchklingeln und sich über diese dämlichen Scherze beschweren, das stand fest.
 

Der Brünette entschuldigte sich nach einiger Zeit bei seinem besten Freund, da er wirklich müde war und schlafen wollte. Und Kai sah dies als selbstverständlich an, weshalb er sich auch schon bald verabschiedete und seinem Freund eine gute Nacht wünschte. “Schlaf gut, Uruha”, lächelte Kai, der in der Tür stand und sich den Mantel zuknöpfte, und zeigte dabei seine tiefen Grübchen, die Uruha immer wieder aufs Neue faszinierten. “Danke, du auch. Und sei vorsichtig, ja? Hey Kai, wenn du willst, geb’ ich dir Geld für ein Taxi. Ich meine, du bist all den Weg hierher gekommen wegen mir..”, meinte Uruha, da er sich irgendwie unwohl fühlte bei dem Gedanken, seinen Freund in dieser Dunkelheit alleine nach Hause gehen zu lassen. Doch der Jüngere winkte nur lachend ab und rollte mit den Augen, als würde er sich über Uruha lustig machen wollen. “Und wenn schon! Das Stückchen schaff ich auch so. Bis dann!”, verabschiedete sich der Kleinere und machte sich auch schon auf den Weg. Uruha blieb so lange an seiner offenen Wohnungstür stehen, bis er hören konnte, wie Kai, der eilig das Treppenhaus hinunter ging, die Haustür unten ins Schloss fallen ließ. Er wartete noch kurz, um in die Stille hineinzuhorchen. Das Licht im Treppenhaus war schon längst mit einem leisen Klicken ausgegangen. Er wusste nicht einmal, wieso er es tat, als er einen Schritt vor die Türschwelle tat, um besser hören zu können. Als ihm aber nichts Ungewöhnliches auffiel, trat er zurück in seine Wohnung und schloss die Tür zweimal ab. Irgendwie kam er sich dabei aber schon blöd vor.
 

Schnell eilte Uruha ins spärlich belichtete Wohnzimmer herüber, um dort das Fenster aufzureißen. Das tat er meistens, wenn er seinen Besuch verabschiedete. Er wollte nur auf Nummer sicher gehen. Also sah er Kai jetzt hinterher, bis dieser um die Ecke bog und somit aus seinem Sichtfeld verschwand. Leise ausatmend verschränkte er die Arme auf dem Fenstersims und ließ den kalten Windhauch in sein Wohnzimmer ziehen. Ihn schüttelte es bei dem Gedanken, dass es schon bald zu schneien anfangen würde. Er würde dann früher losgehen müssen, um nicht zu spät bei der Arbeit zu erscheinen. Apropos Arbeit! Hatte er nicht früher ins Bett gehen wollen? Gerade, als er die Idee in die Tat umsetzen wollte, stockte er. Der Parkplatz vor dem Gebäude war voller Autos, wie immer. Doch irgendetwas zog Uruhas Aufmerksamkeit auf sich. Seine Augen verengten sich, um besser erkennen zu können. Dort bewegte sich doch etwas.. Er merkte es nicht einmal, als er sich mit beinahe zugekniffenen Augen weiter aus dem Fenster lehnte und den kalten Wind ignorierte, der sein Gesicht umspielte und dafür sorgte, dass er kurz aufzuckte. Uruha wollte es gerade aufgeben, da durch das wenige Licht, was die Straßenlaternen warfen, so gut wie nichts zu erkennen war, als plötzlich eine Person in eben dieses trat und zu ihm aufzustieren schien. Augenblicklich gefror ihm das Blut in den Adern und er presste die Lippen fest aufeinander. Sicher fantasierte er nur. Immerhin hatte er schon seit Wochen diese Wahnvorstellungen. Es stand bestimmt nicht mal jemand dort unten, er bildete sich das einfach ein. Ja, genau!
 

Übereilt schloss er das Fenster und zog seine Vorhänge so kraftvoll zu, dass er diese beinahe heruntergerissen hätte. Seinen eigenen Puls beruhigend schaltete er den Fernseher und auch das Licht im Wohnzimmer aus, um in der Dunkelheit, sich an den Wänden abstützend, in sein Schlafzimmer zu schleichen. Wieso schlich er überhaupt? Es war ja nicht so, als ob ihn jemand verfolgen würde und auf jedes winzige Geräusch von ihm hoffte, oder? Trotzdem war Uruha darauf bedacht, keine unnötigen Geräusche zu erzeugen. Im Schlafzimmer angekommen, ließ er die Tür leise ins Schloss fallen und ging auf Zehenspitzen auf sein Fenster zu, um hinauszusehen. Aus seinem Schlafzimmer aus sah er in einem ganz anderen Winkel zum Parkplatz hinunter, doch jetzt konnte er genauestens eine Person dort unten ausmachen. Ein Mann, da war er sich sicher. Und als ihm klar wurde, dass dieser noch immer zum vierten Stock aufsah, wurden seine irrsinnigen Gedanken plötzlich bestätigt. All das, dieses Gefühl, verfolgt oder beobachtet zu werden, hatte er sich sicher nicht eingebildet, da war er sich nun sicher. Doch was sollte er jetzt tun? Gerade als er mit dem Gedanken spielte, die Polizei zu alarmieren und gleich darauf seine Familie anzurufen, setzte sich der Mann, der bis eben völlig leblos neben der Straßenlaterne gestanden und aufgesehen hatte, plötzlich in Bewegung und verschwand einfach um die Ecke. “Merkwürdig”, hauchte er gegen die Scheibe, ehe er auch hier die Jalousien schützend herunterließ und sich ohne weiteres ins Bett legte. Was er jetzt unbedingt brauchte, war Ruhe und erholsamer, ausgedehnter Schlaf. Dass sein Handy unaufhaltsam in der am Boden liegenden Jeanstasche vibrierte, die er auf dem Heimweg angehabt hatte, bekam er gar nicht mehr mit. Ganz langsam döste er ein und verpasste somit die Sprachnachricht Kais. Der Jüngere hatte seine Hausschlüssel bei Uruha vergessen und war gerade mit der U-Bahn auf dem Weg zurück zu dem Brünetten. Dieser schlief schon beinahe fest, als ihn ein lautes Knacken aus der Haut fahren ließ. Er hatte sich blitzschnell im Bett aufgesetzt und instinktiv unter die Matratze gegriffen. Mit zittriger Hand hielt er das Taschenmesser fest umklammert, welches sein Kumpel Reita ihm mal aus einer Laune heraus geschenkt hatte. Uruha war sich nicht sicher, ob es nur Einbildung war, aber er hatte das Gefühl, dass er nicht alleine in seiner Wohnung war. Und als sich die Tür zum Schlafzimmer leise knarrend öffnete, was ihn leichenblass werden ließ, fühlte er sich in seinen Wahnvorstellungen endgültig bestätigt.
 

Er hatte sich vorher zurück ins Bett geschmissen, um den Anschein zu erwecken, dass er schlief. Und anscheinend wirkte es, denn der Eindringling versuchte peinlichst genau darauf zu achten, keine unnötigen Töne zu erzeugen. Als die Matratze plötzlich nachgab, hatte Uruha das Gefühl, dass sein Herz zu schlagen aufgehört hatte. Diese gesamte Situation wollte und konnte er einfach nicht wahrhaben. Eine fremde Person saß auf seinem Bett und wagte es tatsächlich, ihm durchs Haar zu streicheln. “Du bist so wunderschön..”, hauchte der Mann. Ihm gefror das Blut. Uruha war sich nun vollkommen sicher, dass diese Person, sie war definitiv männlich, für all diese üblen Scherze zuständig war und nicht einer seiner Kumpels, wie er anfangs gedacht hatte. Mit kaltem Angstschweiß auf der Stirn und dem Taschenmesser fest in der Hand, die er unter dem Kissen versteckte, schluckte er trocken und zuckte mit den Brauen, als der Mann sich leicht vorbeugte, um ihm einen Kuss auf die Wange zu hauchen. “Und jetzt mach die Augen auf. Ich weiß, dass du nicht schläfst.” Uruha konnte beinahe das Grinsen aus dessen Stimme hören. Wie auf Kommando riss er die Augen auf, seinen verrückt spielenden Puls ignorierend, und zog die bewaffnete Hand unter dem Kissen hervor, um unüberlegt auszuholen und nach dem Einbrecher zu schlagen, welcher überrascht nach hinten kippte. Das war das Zeichen für Uruha, auf der Stelle zu verschwinden. Mit hastigen Angstlauten, die ihm entwichen, rannte er aus seinem Schlafzimmer und direkt auf die Wohnungstür zu, nur um entsetzt festzustellen, dass diese abgeschlossen und die Schlüssel nirgends zu finden waren. Er hatte sie doch gleich hier an den Haken gehängt, er war sich sicher! Er rüttelte noch kurz verzweifelt an der verriegelten Tür, ehe er ins Wohnzimmer lief und die Tür hinter sich abschloss.
 

“Telefon, Telefon!”, sprach er hastig zu sich selbst und sah sich überall um, doch nirgendwo war das Teil zu finden. Hatte er das Telefon denn nicht in die Ladestation gestellt, so wie er es immer tat?! Beinahe wahnsinnig werdend griff er sich mit einer Hand in die Haare und raufte sich diese verzweifelt, in der anderen Hand noch immer das Messer fest umklammert. Er schrie auf und hüpfte auf seiner Stelle vor lauter Panik, als sich ein schwerer Körper von der anderen Seite gegen die Wohnzimmertür schmiss und er hören konnte, wie der Zarge ein lautes Knacken entkam. “Was zum Teufel willst du von mir?! Wer bist du?”, schrie er überfordert und brach in Tränen aus, als er noch immer kein Telefon ausfindig machen konnte. “Mein Handy!”, ging es ihm durch den Kopf, doch dieses lag irgendwo in seinem Schlafzimmer herum. In völliger Verzweiflung sah er keinen anderen Ausweg, als das Fenster zu öffnen und nach der Feuerleiter Ausschau zu halten. “Kouyou, mach die Tür auf. Du willst doch nicht, dass ich dir wehtue, oder?”, konnte er hören, was ihm vor Angst den letzten rationalen Gedanken raubte. Aus welcher Anstallt war dieser Irre geflohen? Woher kannte er seinen Namen? Was zum Teufel ging hier vor sich? Oh, er hoffte, dass das einfach nur ein schlechter Traum war! Tief einatmend und das Zittern in seinem ganzen Körper ignorierend, das teils wegen der Angst und teils wegen der Kälte in ihm ausgelöst wurde, wog er in Gedanken ab, wie weit er wohl springen konnte, als ihm auch schon einfiel, dass ihm diese Aktion nichts bringen würde. Er würde nicht so weit springen können, dazu war die Feuerleiter zu weit weg. Uruha merkte, wie alle Kraft aus seinem Körper schwand, doch raufte er sich zusammen und schrie so laut um Hilfe, dass es unmöglich war, überhört zu werden.
 

“Uruha?!”, murmelte Kai, der dem Gebäude immer näher kam. Konnte es sein, dass er gerade wirklich seinen besten Freund hatte schreien hören? Gepackt von dem Gedanken, dass irgendetwas nicht stimmte, rannte Kai die letzten Meter los, nur noch wenige große Schritte von der Haustür entfernt. “Uruha!”, rief Kai hoch und lief auf die Haustür zu. Tatsächlich. Sein bester Freund hing halb aus dem Fenster und machte Anstalten, herauszuspringen. “Oh Gott, Kai! KAI, BEEIL DICH!”, schrie Uruha, erleichtert darüber, dass sein Freund auf dem Weg zu ihm war. Wieso Kai überhaupt um diese Uhrzeit hier auftauchte, darüber machte er sich keine Gedanken. Er drehte sich herum, und ihm fiel plötzlich die Stille auf, die sich wie schwerer Nebel über seine Wohnung gelegt hatte. Was war hier nur los? Kai war währenddessen im Begriff, die Haustür aufzustoßen, als jemand heraus kam, ihn grob anrempelte und sich knapp bei ihm entschuldigte. Den Schwarzhaarigen kümmerte dies aber nicht, er musste so schnell wie möglich zu Uruha. Im vierten Stock angekommen stellte er fest, dass die Tür zu Uruhas Wohnung offen stand. “Verdammt!”, flüsterte er beklemmt, ehe er die leicht angewinkelte Tür aufstieß und laut nach seinem Freund rief. “Ich bin im Wohnzimmer!”, heulte angesprochener und wagte sich aus seiner Ecke, als Kai ihn darum bat, die Wohnzimmertür aufzuschließen, damit er zu ihm konnte. Sobald Uruha das Gesicht des Jüngeren erblickte, warf er sich diesem weinend um den Hals und bekam keinen einzigen anständigen Satz heraus. “Shh, oh Gott. Was ist hier passiert?!”, murmelte Kai und strich dabei beruhigend über Uruhas Rücken, der sich so fest an Kai drückte, dass dieser glaubte, seine eigenen Rippen knacken zu hören. “Wir müssen die Polizei rufen, Kai. Da war jemand in meiner Wohnung und er hat mich einfach angefasst und, und-” “Beruhig dich, Uruha. Alles wird gut, ich bin ja da”, flüsterte Kai eingehend auf den Größeren ein, der schon bald nur noch leise hickste, da er vor Panik Schluckauf bekommen hatte.
 

Kai hatte es für angebracht gehalten, Uruha mit zu sich zu nehmen. Er hatte vorher Reita angerufen, der über die Störung zuerst nicht sehr erfreut gewesen war, war es immerhin mitten in der Nacht an einem Wochentag, sich dann aber sofort dafür bereiterklärt hatte, die beiden Männer zu Kai nach Hause zu fahren. “Wir müssen die Polizei rufen..”, sprach Uruha immer noch leise vor sich hin und Kai nahm sich vor, dies zu tun sobald sie da waren. “Soll ich bei euch bleiben?”, fragte Reita besorgt, während er den Wagen vor Kais Wohnhaus parkte. “Und was ist mit Misaki?”, wollte dieser wissen. Er dachte sich, dass Uruha sicher nichts dagegen hätte, wenn Reita bei ihnen blieb. “Sie schläft schon längst, und ich glaube kaum, dass sie zwischendrin aufwacht. Saki ist Langschläferin.”, versuchte Reita zu witzeln, doch das Grinsen erstarb, als er Uruhas emotionsloses, fahl wirkendes Gesicht sah. “Ich bleibe bei euch!”, sagte er nur bestimmend und stieg aus, übernahm das Häufchen Elend, was sich Uruha nannte, und ging mit diesem hinter Kai her, der unbewusst durch die Gegend stierte, als befürchte er, dass sie beobachtet wurden. Sobald die drei in der Wohnung waren, schloss Kai ab und ließ den Schlüssel stecken. “Ich hoffe, du hast nichts gegen mein Sofa, Rei”, lächelte Kai entschuldigend und ging schon einmal ins Schlafzimmer, um Schlafzeug für den Älteren zu besorgen. Reita indessen legte einen Arm um Uruhas Schulter und fragte leise, ob er ihm nun erzählen könne, was passiert war.
 

Uruha wollte, doch er konnte nicht. Der Brünette bekam die Lippen einfach nicht auseinander. Er starrte Reita nur aus leeren Augen an, innerlich überglücklich, dass seine Freunde ihn dort herausgeholt hatten. Wer war dieser Mann gewesen? War es derselbe Mann, der unten gestanden und zu ihm aufgesehen hatte? Und woher kannte er seinen richtigen Namen? Einzig Uruhas Nachname war an seiner Klingel angebracht, nicht mehr, nicht weniger. Und diese Stimme.. Er war sich mehr als sicher, dass er diese Stimme schon einmal gehört hatte, nur konnte er sich nicht erklären, wo das gewesen sein sollte. Doch nach genauerem Überlegen überkam ihn ein Würgereiz, als er sich erinnerte. Der Mann in der U-Bahn, der so unverschämt gewesen war, in seine Hosentasche zu greifen. Das musste er sein! Uruha beugte sich langsam vor und legte das Gesicht in die Hände. Wie konnte ihm so etwas nur passieren? “Kai, bring mir das Telefon. Wir sollten die Polizei anrufen!”, sprach Reita fest, der es nicht mit ansehen konnte, wie einer seiner besten Freunde litt. Was immer auch vorgefallen war, Reita würde nicht ruhen, bis er jedes einzelne Detail erfuhr. Uruha konnte sich nicht erklären, wieso er es tat, als er die beiden daran hinderte, die Polizei zu verständigen. “A-aber Uruha, du.. ”, fing Kai an, wurde jedoch von dem Größeren unterbrochen. “Mir geht es gut. Lasst uns einfach nur schlafen, okay?”, blockte er bissig ab. Sein Verhalten war so widersprüchlich, das wusste er selbst. Aber er konnte sich einfach nicht weiterhelfen. Was würde es schon bringen, wenn sie jetzt noch die Polizei rufen würden? Genau, nichts. Der Typ war doch sicher längst über alle Berge.
 


 

So schlecht hatte Uruha noch nie geschlafen. Er fühlte sich nicht imstande, heute arbeiten zu gehen. Er würde im Büro seiner Chefin durchklingeln und sich krankmelden. Der Brünette drehte sich herum, blickte somit Kai entgegen und lächelte erleichtert. Er war einfach nur froh, dass er jemanden bei sich hatte, der ihn nicht allein ließ und führ ihn da war. Gähnend streckte er sich unter der Decke, als ihn plötzlich ein Vibrieren herumfahren ließ. Fragend drehte er sich im Bett herum und sofort packte ihn erneut diese kalte Angst. Mit einem Mal wurde ihm schwindelig, als er sein Handy auf Kais Nachtkonsole erblickte. Er hatte nicht.. Er hatte sein Handy in seinem Schlafzimmer vergessen, oder etwa nicht? Hatten Kai oder Reita es etwa mitgenommen, bevor sie ihn aus seiner Wohnung bugsiert hatten? Mit zittriger Hand langte er nach dem großen Gerät und entsperrte es zögernd, nur um seinen Angstlaut zu ersticken und das Handy wieder fallen zu lassen. Als Hintergrundbild war er selbst zu sehen gewesen. Er, schlafend in Kais Bett. Uruha glaubte kaum, dass ihm weder Reita, noch Kai solch einen Streich spielen würde. Der Typ war hier gewesen, in Kais Wohnung! Wie vom Blitz getroffen eilte Uruha aus dem Schlafzimmer, um nach Reita zu sehen. Und vor lauter Erleichterung ließ er sich zu Boden sacken, als er diesen auf dem Sofa liegen und friedlich schlafen sah. “Oh Gott..”, sprach er stotternd, während er sich wieder aufrichtete, doch ehe er wieder ins Schlafzimmer konnte, blieb sein Blick am Spiegel im Flur hängen, der gegenüber von der Schlafzimmertür hing. “Du gehörst mir allein!” Wimmernd rutschte Uruha an der Wand entlang. Er musste hier raus, so schnell wie möglich!
 


 

“Sie sagen, deine Wohnung sei verwüstet. Von oben bis unten auseinandergenommen..” Angeschlagen saßen die drei Freunde am Tisch in der Küche, während einige Beamte in Kais Wohnung auf und ab gingen und über Funk Anweisungen gaben. Uruha hatte sich so klein wie möglich gemacht und zuckte bei jeder Berührung zusammen. Er fühlte sich schrecklich, dass er der Grund für all diesen Tumult war. So etwas hatte er nie gewollt. Der Wahnsinnige hatte seine Wohnung in der Nacht laut Aussage der Polizei bis ins kleinste Detail durchwühlt. “Kopf hoch, die werden diesen Psycho schnappen. Immerhin hast du es geschafft, ihn zu verletzen!” “Stimmt! Siehst du, das Messer war doch zu etwas gut!”, versuchte Reita, die angespannte Stimmung zu lockern, doch ging dieser Versuch völlig nach hinten los. Uruha wurde gesagt, dass die Tür zum Wohnzimmer blutverschmiert gewesen war, und da er sich nicht erinnern konnte, irgendeine Verletzung davongetragen zu haben, konnte es nur von dem Eindringling kommen. Er hoffte inständig, dass sie ihn kriegen würden.
 

Doch auch Wochen später hörte er keinerlei Neuigkeiten, was ihn aber immer weniger zu kümmern schien. Um ehrlich zu sein, kam ihm dieses Geschehnis in jener Nacht einfach nur unwirklich vor, als hätte er es nur geträumt. Er arbeitete wieder regelmäßig, und auch war er wieder regelmäßig unterwegs. Mal mit seinen Freunden, manchmal auch allein. Und der einzige Grund, weshalb er sich traute die Wohnung zu verlassen, war dieses Gefühl der Sicherheit, welches er mit sich trug. Schon lange fühlte er sich nicht mehr so unterdrückt, beobachtet und verfolgt. Und er wusste auch wieso. “Bist du dir sicher, dass du schon nach Hause willst, Kou? Wir könnten doch noch etwas trinken gehen..” Beschämt scharrte das hübsche Mädchen mit dem Fuß im Schnee, weil sie sich nicht traute, dem brünetten Schönling ins Gesicht zu sehen. Uruha gefiel das. Er lächelte leicht und verneinte dankend, da er nach Hause wollte, um sich auszuruhen. “Aber wenn du willst..”, er beugte sich hinunter, da er sehr viel größer als das Mädchen vor ihm war, “können wir es uns morgen bei dir gemütlich machen, hm?” Er grinste keck, als er die Röte bemerkte, die sich auf ihre Wangen legte. Selbst im schwachen Licht der Laterne konnte er ihren Gesichtsausdruck erkennen. “Okay..”, hauchte sie nur atemlos und kniff erwartungsvoll die Augen zu, als sich Uruhas Gesicht dem ihren näherte und er ihr einen zarten Kuss auf die kalten Lippen hauchte. “Bis morgen, Mayu”, verabschiedete er sich von ihr und hielt ihr dann die Tür zum Taxi auf. Er wollte nicht, dass sie zu später Stunde noch durch die Straßen lief, und das allein.
 

Uruha sah dem Taxi noch hinterher und winkte, als er sah, wie sich das hübsche Mädchen auf dem Rücksitz zu ihm herumdrehte. Mit einem Kribbeln in der Magengegend machte er sich auf den Weg nach Hause. Die Bahn würde er heute nicht nehmen, da er die weihnachtliche Stimmung auf den Straßen genießen wollte. Gedanklich schweifte er ab, stellte sich schon vor, was er morgen alles mit Mayumi unternehmen würde. Sollte er sie bekochen? Sicher würde sie sich darüber freuen. Und außerdem hatte er mal irgendwo gelesen, dass solche Dinge einer Beziehung in die Sprünge halfen. Grinsend schlenderte er den Weg entlang und fing leicht an, zu frieren. “Gleich da!”, dachte er sich, doch mit einem mal fühlte er sich unwohl. Wieso dieses klamme Gefühl plötzlich in ihm aufstieg, wusste er selbst nicht. Bestimmend setzte Uruha seinen Weg fort, doch mit jedem Schritt wurde er immer unruhiger. Hastig drehte er sich herum, da er das Gefühl hatte, verfolgt zu werden. “Gott, geht das schon wieder los..”, scherzte er leise mit sich selbst, doch instinktiv hatte er sein Handy in der Manteltasche fest umklammert und zog es kurzerhand heraus, um Kai eine Sprachnachricht zu schicken. Er würde den Jüngeren einfach bitten, bei ihm zu übernachten und mit ihm für den morgigen Tag etwas für Mayumi zu planen. Somit würde Kai die Situation auch nicht verdächtig vorkommen. Super Idee! Kai brauchte nicht lange zum Antworten.
 

Nun wieder etwas wohler um die Magengegend beschleunigte Uruha seine Schritte und brauchte auch nicht mehr lange. Wie gewohnt drehte er den Schlüssel zweimal im Schloss herum und konnte es sich nicht verkneifen, erleichtert aufzuseufzen. Auch wenn er sich dabei beinahe schon albern vorkam. Sobald er die Wohnung betreten und sich seiner Schuhe und seines Mantels entledigt hatte, machte er sich auf den Weg in die Küche, um einen Tee aufzusetzen. Doch weit kam er leider nicht, da er ein leises Lachen vernehmen konnte, was aus seinem Wohnzimmer kam. Stocksteif stand er da, die Augen so weit aufgerissen, dass sie schon schmerzten. Doch noch schmerzhafter war das Stechen in der Brust und die Gewissheit, dass dieser Mann zurück war und er dieses Mal sicher nicht so viel Glück haben würde. “Kouyou, Kouyou. Du enttäuschst mich immer wieder. Wer war dieses Mädchen, hm?”, erklang es beinahe melodisch, und als plötzlich im Wohnzimmer die Lichter angingen und er einen Schatten an der Wand entlang huschen sah, überlegte er nicht lange und lief in die Küche, um hektisch eines der Schubladen zu öffnen. Er würde die Sache selber in die Hand nehmen. Auf die Polizei war doch offensichtlich kein Verlass! Doch der Einbrecher hatte natürlich gehandelt und hatte jegliche Messer und spitze Gegenstände entfernt, die Uruha besaß. “Denkst du wirklich, ich bin so dumm?”, ertönte es plötzlich hinter ihm, und Uruha schrie wie am Spieß, bis der andere sich einen Ruck gab und Uruha fest von hinten packte, um ihm eine Hand auf den Mund zu legen. “Shh, bleib ruhig. Ich will dir nicht wehtun. Na ja, vielleicht nur ein wenig, aber auch nur, weil du es drauf anlegst.”, redete der Mann leise in sein Ohr, bevor er provokativ hinein blies und somit dafür sorgte, dass Uruha vor lauter Angst und Ekel Tränen in die Augen stiegen.
 

“Du könntest es dir so leicht machen, mein Schatz. Bleib einfach bei mir, und dir geschieht nichts. Entscheide dich gegen mich, und ich bring’ dich um. Na, wie findest du das? Das ist doch wohl ein faires Angebot, oder?”, fragte der Mann weiter und Uruha stammelte unverständliche Worte in die Hand des Fremden, während er den Kopf hin und her schüttelte. Und im nächsten Moment keifte der Mann vor Schmerz, während Uruha, der ihm den Ellenbogen in den Magen gerammt hatte, mit angehaltenem Atem aus der Küche stolperte. Er drehte sich instinktiv zur Wohnungstür, doch wie beim letzten Vorfall war diese auch jetzt abgeschlossen und weit und breit war kein Schlüsselbund zu sehen. Hinter sich hörte er eben diesen plötzlich provokativ aufklirren. Es klang für ihn wie das Ende der Welt. “Oh bitte, Telefon, ich brauche ein Telefon! Kai, bitte beeil dich!” Er hastete ins Wohnzimmer und wollte die Tür hinter sich abschließen, als er entsetzt bemerkte, dass auch hier etwas fehlte. Der verdammte Schlüssel! Von der Küche her kam ein unausstehliches Lachen, was ihm jeglichen logischen Gedanken aus dem Gehirn pustete. Geschlagen ließ er sich aufs Sofa fallen, doch bemerkte er im Augenwinkel sofort etwas blitzen. Eines seiner Küchenmesser! Hatte es ihm der Fremde wirklich so leicht machen wollen? Hastig griff er nach dem Objekt und versteckte es unter seinem rechten Bein, während er angespannt darauf wartete, dass der Verrückte ins Zimmer kam. Sobald dieser erschien, nahm sich Uruha kurz Zeit, um sich jedes einzelne Merkmal des Mannes einzuprägen. Die ungewöhnliche Haarfarbe.. Er konnte sich daran erinnern. Zuletzt hatte er diesen pinken Schopf in seinem eigenen Treppenhaus gesehen. Während er den Mann eingehend betrachtete, zogen Bilder an seinem inneren Auge vorbei, was ihn selbst ungläubig den Kopf schütteln ließ. Er hatte diesen Mann schon so oft gesehen, es aber nie wirklich registriert.
 

“Scheint so, als würdest du dich an mich erinnern, hm? Ja, auf dem Weg zur Arbeit hast du mich angerempelt und dich so süß entschuldigt, dass ich dich am liebsten sofort in die hinterste Ecke einer x-beliebigen Gasse gezogen hätte, Kouyou. Du weißt gar nicht, wie verrückt du mich machst.” Während der Mann immer näher kam, verkrampfte sich Uruhas kompletter Körper, dass er der Gefahr unterlief, den anderen viel zu nahe an sich heranzulassen. “Der Abend bei deinem Kumpel Reita.. Hm, auch da sind wir zusammengestoßen. Du warst so betrunken gewesen, dass Kai sich für dich hatte entschuldigen müssen. Und ich muss sagen, das hatte mich doch ein wenig gekränkt. Hatte ich mir doch eine süße Entschuldigung von dir gewünscht.” Mit einer hervorgeschobener Unterlippe untermalte der Fremde seine Worte, was Uruha schlecht werden ließ. Wo blieb Kai, verdammt? “Kannst du dich daran erinnern, wie du mich im Supermarkt hier um die Ecke um Hilfe gebeten hast, als du einkaufen warst? Gott, du warst so süß. Hast doch tatsächlich gedacht, dass ich wirklich dort arbeite. Ich hätte dich schon dort verschleppen sollen!” Uruha wurde bei diesen Worten so unsagbar schlecht, dass er sich über sich selbst wunderte, da er sich nicht augenblicks zu übergeben begann. Der Fremde  blieb einige Schritte vor ihm stehen und setzte sich anschließend in einer fließenden Bewegung auf den niedrigen Couchtisch, um ihn eingehend, beinahe hungrig zu mustern. Als wäre das etwas, was er jeden Tag machte, so unbekümmert gab er sich. Uruha kam sich vor wie im falschen Film. Irgendwie musste er dafür sorgen, dass dieser Psychopath etwas näher kam. Doch wie? Zuerst einmal musste er jedoch veruschen, all seine Kraft zusammenzutreiben. Er wunderte sich über sich selbst, dass er in dieser schrecklichen Situation überhaupt noch in der Lage war, einen rationalen Gedanken zu fassen.
 

Er versuchte sich etwas aufzurichten, um für diese absurde Situation Kraft zu schöpfen, doch wurde er sofort in seinem Tun durch ein drohendes, "Ah, ah! Schön sitzenbleiben. Wir reden doch gerade so schön miteinander.", unterbrochen. Augenblicklich sackte Uruha wieder in sich zusammen und starrte den Fremden aus fassungslosen Augen an. Was sollte er nur tun? "Möchtest du denn nicht wissen, wie es hierzu kommt?", fragte der pinkhaarige Mann und verzog die Mundwinkel zu einem widerwärtigen Grinsen, die Augen so dunkel, Pupillen so erweitert, dass er einem todbringenden Hai ähnlich sah. Uruha nickte einfach nur, sehnte sich nur noch dem Ende diesen Moments herbei. Der Fremde seufzte theatralisch, ehe er mit unerträglicher Singsangstimme zu erzählen begann, was bei seiner tiefen Stimme einfach nur befremdlich klang. "Ich lief nichts ahnend durch die Straßen, völlig in Gedanken und allein gelassen von jedem, der mir mal etwas bedeutet hatte. Nein, keine Sorge, das soll jetzt keine Mitleidsgeschichte werden! Das wäre ja mega klischeehaft und kitschig, nicht wahr? Nein. Eigentlich wollte ich mir nur das hochprozentigste holen, was der nächste Laden zu bieten hatte, aber als ich dich an der Kasse stehen sah, hatte ich meine Meinung geändert. Wer braucht schon was Hartes zum Saufen, wenn er dich haben kann?" Uruhas fahles Gesicht sprach anscheinend Bände. "Hey, sei nicht so hart zu dir selbst, hm? Ich weiß, dass dir nicht mal ansatzweise bewusst ist, wie sexy du eigentlich bist. Wie sehr du die Menschen um dich herum förmlich in deinen Bann ziehst mit deinen unscheinbaren Gesten, deiner freundlichen und teils doch anzüglichen Art. Ich weiß, wovon ich spreche. Ich beobachte dich immerhin seit zwei Jahren, Kouyou." Der letzte Satz schallte unerträglich laut in seinen Ohren wider. Dem Angesprochenen fiel alles aus dem Gesicht, und wenn er nicht schon blass war, dann glich er jetzt erst recht einem Blatt Papier. "D-du.. was?! Wieso tust du das? Was stimmt nicht mit dir?!" "Mit mir?" Der Fremde wurde plötzlich aufbrausend, gestikulierte wild mit beiden Händen in der Luft herum und gröhlte beinahe, "Was stimmt nicht mit DIR? Mir scheint es doch, als hättest du all das gewollt. Welcher Mensch merkt nicht, wenn er offensichtlich tagein, tagaus beobachtet wird, huh?" Bei diesen Worten verzog Uruha schmerzhaft das Gesicht und merkte, wie sein Herz in seinen Ohren zu pochen begann vor Angst, da der Fremde wie verrückt zu lachen angefangen hatte. Sollte er hier ungeschadet rauskommen, würde er sich bei jeder existierenden Gottheit auf diesem Planeten bedanken.
 

"Also", redete der Verrückte weiter, "Was hältst du davon, wenn wir diesen kleinen Zwischenfall von vor ein paar Wochen vergessen und neu anfangen, hm? Mir wäre es auch lieber gewesen, wenn alles etwas friedlicher verlaufen wäre, aber du hast mir irgendwie keine andere Wahl gelassen, Kouyou. Wie dem auch sei. Ich bin Yuu. Du kannst mich aber auch gern Aoi nennen!" Tatsächlich streckte der Fremde eine Hand in Uruhas Richtung aus, der nur perplex auf diese starren konnte. Kurz ratterte es in seinem überforderten Hirn. "Willst du mich eigentlich völlig verarschen?!", platzte es dann unüberlegt aus ihm, was er doch direkt bereuen sollte. Die Temperatur im Raum fiel schlagartig auf eisige Minusgrade. "Ich glaube, du solltest dir im Klaren sein, wer hier am längeren Hebel sitzt, mein Süßer. Ich warte seit zwei verdammten Jahren auf diesen Moment, und ich muss sagen, ich bin mit meiner Geduld so langsam am Ende. Entweder du kooperierst, oder ich ficke dich hier auf der Stelle bewusstlos und warte, bis du zu dir kommst, nur um dich noch mal zu ficken. Hast du mich verstanden? Ich habe die ganze verdammte Nacht Zeit und nichts anderes vor. In meinem Terminkalender steht einzig dein Name drin." Uruha wurde schlagartig schwindelig. Er ertrug das nicht mehr. All das Gesagte, all diese Widerlichkeiten, die psychopathische Art von diesem Fremden vor sich, der sich dazu erdreistete, ihn zu beschuldigen, all das wurde ihm einfach zu viel. Er setzte zu einer Bewegung nach vorne an, doch er war nicht schnell genug.
 

Mit einem hastigen Sprung hatte sich der Mann vor Uruha geworfen und hielt dessen Gesicht im festen Klammergriff. Und als wüsste er, was ihn erwartete, griff er wissend nach der scharfen Klinge, die auf seinen Torso zueilte, und hielt diese mit einem schmerzverzerrten Blick fest, während das Blut, das aus seiner Handfläche zu treten begann, unaufhaltsam auf Uruhas Schoß tropfte. “Lass mich gehen, du kranker Perverser!”, brüllte Uruha mit Tränen in den Augen. Er hatte solch eine große Angst, aber aufgeben würde er jetzt sicher nicht. Er hatte den anderen schon so weit verletzt, dass dieser blasser im Gesicht wurde. “Wie kannst du es wagen, in meine Wohnung zu dringen, mich zu verfolgen und zu bedrohen, huh?!”, rief er aufgebracht und wand das Messer schwerfällig hin und her, was dafür sorgte, dass sich die Klinge tiefer ins Fleisch des anderen schnitt. Doch als sich ein Hebel in Uruhas Kopf umlegte und er gerade ausholen wollte, um den Angreifer von sich zu treten, schrie er schmerzerfüllt auf und stierte sogleich ungläubig und mit weiten Augen an seinem eigenen Körper hinab. Noch immer saß er in seiner Position, doch war er nicht mehr in der Lage, das Messer zu halten. Stattdessen stierte er auf ein weiteres Messer hinunter, das nun tief in seiner Seite steckte. Kai.. Kai hatte ihm dieses Messer geschenkt, weil er der Meinung gewesen war, dass dieses Messer so gut wie alles durchschneiden konnte. “Ich habe dir gesagt, entscheide dich für mich, Kouyou!”, flüsterte der Mann nahe seinem Ohr, und als er sich zurücklehnte, konnte Uruha die Tränen in den Augen des anderen ausmachen. Verrückte Welt.. Erst stach der Typ auf ihn ein und dann heulte er herum? Uruha konnte seine Gesichtszüge nicht mehr kontrollieren, als er leicht grinsend die Augen schloss.
 

“Du bist echt.. der widerwärtigste, dämlichste und traurigste Bastard, der mir je untergekommen ist..”, nuschelte Uruha schläfrig und merkte gar nicht mehr, wie das Leben immer schneller aus seinem Körper sickerte. Er wollte schlafen. Ja, das war eine gute Idee. Einfach alles vergessen und schlafen. “Ich werde das Messer rausziehen. Das wird dafür sorgen, dass du schneller stirbst, hörst du mich? Hörst du mich?”, wollte der Mann grob wissen. Seine eigene Wunde blutete noch immer stark, doch das interessierte ihn jetzt nicht. Er war gerade dabei, seinen Lebensinhalt zu verlieren. Aber wenn er seinen Kouyou schon nicht kriegen sollte, dann durfte ihn keiner haben! Entschlossen langte er nach dem hölzernen Griff und beachtete Uruhas erneuten Schmerzenschrei nicht, als er ihm die scharfe Klinge mit einem geübten Ruck aus der Seite zog. “Ich liebe dich, Takashima Kouyou. Und du gehörst nur mir, hörst du das? Sowohl in diesem Leben, als auch im Nächsten.” Doch Uruha hörte nichts mehr. Er flüsterte nur noch leise vor sich hin, öffnete noch einmal kurz die Augen, was ihn all seine letzte Kraft kostete, und entschied sich dafür, sie sofort wieder zu schließen, damit er dieses Gesicht, welches sein Leben innerhalb kürzester Zeit zerstört hatte, nicht ansehen musste. “Ich liebe dich..”, hörte er noch einmal, bis das Rauschen in seinen Gehörgängen immer lauter wurde und er zu atmen aufhörte.
 


 

Aoi saß noch immer auf dem Sofa. Er hatte seinen eigenen Ärmel zerrissen, um den Stoff um seine Wunde zu binden und somit die Blutung wenigstens ein wenig zu stoppen. Er hatte die Beine überschlagen, sich eine Zigarette angezündet und ignorierte seit Minuten das Klingeln und Hämmern an Uruhas Wohnungstür. Neben ihm befand sich diese Schönheit, blass wie das Sofa, auf dem sie beide saßen. Der Kopf war leblos zur Seite gesackt und die Wunde hatte das weiße Sofa an mehreren Stellen rot gefärbt. Aoi lächelte bei dem Gedanken, dass es ihr beider Blut war, welches sich vermischt und den Stoff so wunderschön verfärbt hatte. Er nahm die Zigarette zwischen die Finger und beugte sich zur Seite, um den blassen Lippen, nach denen er sich so lange verzehrt hatte, einen Kuss aufzuhauchen. Endlich gehörten sie ihm allein. Nachdem er sich dazu überwunden hatte, seinen Kouyou kurz alleine zu lassen, erhob er sich und schritt langsam durch das Wohnzimmer, dabei genauestens Uruhas besten Freund betrachtend, dessen Foto in einem hübschen Rahmen steckte und auf einem der vielen Regale stand. Aoi grinste nur und ein wahnsinniger Ausdruck nahm sein Gesicht ein, als er kurz innehielt, um mit seinen blutverschmierten Händen den Rahmen zu streicheln. Er drückte seine Zigarette am Rahmen aus, schritt dann gemächlich durch den Flur, dabei beide Arme seitlich von sich streckend, um mit den blutigen Fingern an die hellen Wände zu langen und diese zu besudeln, und hielt vor der Wohnungstür an. Er strich sich vereinzelte Haarsträhnen aus dem Gesicht, ehe er die Tür langsam aufmachte und dabei den verwirrten Gesichtsausdruck des anderen genoss. “Guten Abend, Kai. Komm doch herein.”, wisperte Aoi grinsend. Und als Kais verwirrter Ausdruck einem entsetzten wich, lachte Aoi leise auf, ehe er nach dem Störenfried griff, um diesen in der Wohnung zum endgültigen Schweigen zu bringen.



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