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Champ Stories

Band 1: Endynalos
von
Koautor:  Flordelis

Vorwort zu diesem Kapitel:
Erst mal genug mit Plot, zurück zu Flausch und Romance-Kitsch! >:D
♥♥♥ Komplett anzeigen

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Das ist doch bestimmt deine Lieblings-Kappe!

Seit Raelene zusammen mit Delion die Einrichtung besichtigt hatte, war Galar von einem anhaltenden Nieselregen heimgesucht worden. Graue Wolken klebten nahezu am Himmel, schienen sich kaum zu rühren. Als wäre ein kleiner Teil von Endynalos' Verzweiflung entwichen und auf das Wetter übergegangen. Eigentlich war sie noch nie der Typ gewesen, der sich die gute Laune von so etwas ruinieren ließ, doch diesmal schlug es deutlich auf ihre Stimmung.

Einen Lichtblick gab es aber bereits wieder am zweiten Tag. Trotz des leichten Regens stürmte Raelene regelrecht aus ihrem Haus in Furlongham, rief ihrer Mutter noch einen fröhlichen Abschiedsgruß zu und rannte dann die Straße entlang. Der Grund für ihre Eile war eine Nachricht von Delion, die sie erst vor ein paar Sekunden erhalten hatte. Er schrieb, dass er zu Hause wäre und auf sie wartete. Weiter hatte sie die Nachricht gar nicht gelesen, sondern war sofort aufgebrochen.

Vorgestern hatten sie sich zuletzt gesehen. Eigentlich kein langer Zeitraum, Raelene kam das dennoch wie eine Ewigkeit vor. Deshalb konnte sie es kaum erwarten Delion zu umarmen. Sie hatte sich so viele Gedanken über Endynalos gemacht, dass nicht nur ihre Mutter, sondern auch ihre Pokémon alle besorgt gewesen waren. Diese willkommene Abwechslung konnte sie wirklich gebrauchen.

„Ziel!“, rief Raelene aufgeregt, als sie vor der Haustür abbremste und ihren Sprint beendete. „Das ist locker ein neuer Rekord~.“

Sogleich betätigte sie die Klingel und wartete freudestrahlend darauf, dass ihr jemand die Tür öffnete. Am besten sogar Delion selbst. Zu ihrer Freude war es tatsächlich er, der sie schließlich kurz darauf, mit einem Lächeln und leuchtenden Augen, begrüßte.

„Das war ja echt schnell~.“

Sein Anblick war genau das, was Raelene gebraucht hatte. Allein seine Stimme zu hören reinigte ihren Kopf geradezu von den dunklen Schatten, welche durch die Grübelei entstanden waren. Sie fühlte sich auf Anhieb lebendiger.

„Ich hab dich ja auch total vermisst!“

Raelene sprang in seine Arme – da er gut trainiert war, brachte ihn das kein bisschen aus dem Gleichgewicht – und drückte sich ganz fest an ihn.

„Soooo~“, betonte sie sehnsuchtsvoll, „sehr habe ich dich vermisst!“

Lachend schlang Delion die Arme um sie, ohne sich daran zu stören, dass sie ein bisschen nass war, und hielt sie fest. „Awww, ich habe dich auch vermisst~.“

Nachdem sie sich eine Weile innig umarmt hatten, löste er sich schließlich irgendwann von Raelene und griff nach ihrer Hand. „Okay, dann komm mal rein. Du wolltest ja noch mein Zimmer sehen.“

„Oh ja, unbedingt~“, stimmte sie begeistert zu.

„Oder willst du dich vorher lieber etwas abtrocknen?“

„Nein, nein. Geht schon~. Nieselt ja nur.“

Raelene lehnte sich vorher noch rasch ins Wohnzimmer, um seiner Familie zumindest kurz winkend einen knappen Gruß zuzurufen – dabei bemerkte sie die wohlwollenden Blicke von Delions Mutter und seinen Großeltern, was sie plötzlich recht verlegen machte. Da sie mit Hop eng befreundet und daher ein durchaus bekannter Gast in diesem Haus war, musste sie sich, zum Glück, nicht schämen, weil sie eventuell nicht höflich genug und kein bisschen zurückhaltend war. Ihre Mutter sähe das wahrscheinlich anders.

„Dann los! Ich brenne darauf, endlich dein Zimmer ganz legal erkunden zu dürfen.“

„Sehr gut.“ Er strebte bereits die Treppe nach oben, als ihm im Nachhinein noch eine entscheidende Kleinigkeit an dem Satz auffiel. „Hey, hast du mein Zimmer etwa mal erkundet, als ich nicht da war?“

Offenbar fragte Delion vielmehr aus Neugier, statt deswegen wirklich empört oder gar böse auf Raelene zu sein. Aufmerksam sah er sie an, was sie doch ziemlich aus dem Konzept brachte.

Ertappt fuhr Raelene sich mit der freien Hand durch die Haare und rang ein wenig nach Worten „Ähm … also … nicht direkt. Ich hab nur vielleicht mal irgendwann einen flüchtigen Blick ins Zimmer geworfen, weil mich das Interesse gepackt hatte.“

Es heimlich zu durchwühlen wäre ihr ein Schritt zu viel, dafür war sie dann doch zu gut erzogen. Aber es war wirklich hart gewesen, dieser Versuchung, sein Zimmer zu betreten und sich alles ganz genau anzuschauen, jedes Mal zu widerstehen. Immerhin war es die ganze Zeit offen zugänglich. Für Leute wie sie, die von Natur aus neugierig waren, eine Folter.

Nein, Endynalos ist derjenige, der es wirklich schwer hat.

Ihre Stimmung drohte schlagartig zu kippen, doch Delion lachte abermals herzlich, womit er sie gerade noch rechtzeitig vor einem Absturz bewahrte.

„Ach, wenn es nur das ist.“ Zwinkernd versicherte er ihr, dass es nicht so wild für ihn war. „Mir wurde gesagt, manche Fans seien da wesentlich verrückter drauf.“

Unbeirrt setzte Delion seinen Weg fort und zog sie vorsichtig mit sich. Bei seinem Zimmer angekommen, öffnete er einfach die Tür, ohne zu zögern. Wahrscheinlich sorgte auch seine Mutter dafür, dass der Raum immerzu sauber und aufgeräumt blieb, weshalb er sich keine Sorgen machen musste und es Gästen problemlos präsentieren konnte. Allerdings sprangen Raelene als erstes einige Kartons ins Auge, die nicht weggeräumt worden waren, und daher gegen ihre Vermutung sprachen. Was da wohl drin war?

Möglicherweise einige seiner Kappen. Wie schon damals hingen davon immer noch welche an der Wand und seine Trainingsgeräte kannte sie auch schon, von einigen heimlichen Blicken her. Das einzige, was Raelene sichtlich überraschte, war das einzelne Poster an der Wand, das sie in ihrer Champ-Pose zeigte. Sah sie das richtig? In Delions Zimmer ... hing wirklich ein Bild von ihr?

„Du hast auch ein Poster von mir?“, hakte sie verdutzt nach, obwohl sie es mit eigenen Augen sah.

Bevor Delion darauf etwas erwidern konnte, wandelte sich ihre leichte Verwirrung darüber aber schon zu Freude. Wie sehr es sie beruhigte, dass sie sich auch in dem Punkt ähnlich waren – Raelene war nur etwas fanatischer als er und hatte es reichlich übertrieben mit den Postern und Fanartikeln.

„Hm, jetzt fühl ich mich geschmeichelt~.“ Locker klopfte sie ihm gegen die Schulter. „Hätte ich das vor unserem Liebesgeständnis entdeckt, wäre ich davon überzeugt gewesen, du benutzt es, um Dartpfeile auf mich zu werfen.“

Delion betrachtete das Poster und neigte den Kopf. „Aber es ist doch viel zu schön, um darauf Dartpfeile zu werfen.“

Diesmal sprach Delion weiter, ehe sie reagieren konnte, und legte eine Hand in den Nacken. „Ich kann aber verstehen, dass du das dachtest.“

Raelene verzichtete an dieser Stelle lieber darauf, all die Gründe aufzuzählen, wegen denen es nachvollziehbar gewesen wäre, wenn er es das mit den Dartpfeilen wirklich getan hätte. Zumal sie ihm selbst eingefallen zu sein schienen, daher wollte Raelene das Thema nicht wieder unnötig hervorholen. Diese Zeiten waren vorbei.

Als Delion plötzlich grinste und sich mit verschränkten Armen näher zu ihr lehnte, befürchtete Raelene erst, er wolle ihr gestehen, dass er statt Dartpfeilen mit Kettensägen geworfen hätte und deshalb die alten Poster nur alle entsorgt werden mussten. Natürlich lag sie wieder komplett daneben.

„Was hättest du aber gedacht, wenn du auch noch einen Fotoband von dir in meinem Bücherregal entdeckt hättest?“

Mit diesen Worten nickte er in Richtung des Regals. Irgendwo zwischen den Büchern und Zeitschriften über Pokémon, sollte also ein Fotoband von ihr stehen?

„Jetzt wirklich?“

Raelene ging zu dem Bücherregal und entdeckte tatsächlich dieses besagte Buch. Sofort erhitzte sich ihr Gesicht wieder. Sie hatten sich also beide die ganze Zeit aus der Ferne verzweifelt angeschmachtet. Wie albern sie sich nun vorkam, dass sie Angst gehabt hatte, Delion könnte sie für einen wahnsinnigen Fan halten, der nur seinem Idol möglichst nahe sein wollte.

Lächelnd sah Raelene ihn an. „Also das hätte ich mir nicht erklären können. Aber völlig ausgeschlossen, dass das bedeuten könnte, du wärst auch in mich verliebt.“

„Das mit der Verdrängung hast du echt gut drauf, das muss ich dir lassen“, meinte Delion schmunzelnd. „Zum Glück wissen wir beide schon Bescheid.“

Und das nur dank eines einzigen Besuches im Pokémon-Hort. Dafür mussten sie sich beide unbedingt noch gebührend bei Gloria bedanken. Inzwischen war Raelene sich ziemlich sicher, dass sie die beiden absichtlich allein gelassen hatte, damit sie miteinander sprachen. Die Strategie war jedenfalls aufgegangen, deswegen verdiente sie ein Dankeschön. Eines, das nicht nur schriftlich als Textnachricht erfolgte.

„Ja, ich bin echt froh, dass es nun raus ist~“, sagte Raelene glücklich.

Sie ging ein wenig durch das Zimmer und sah sich alles ganz genau an. Es war überwältigend, endlich in diesem Raum sein zu dürfen, noch dazu als seine feste Freundin. Wie erwartet war es blitzblank und roch noch dazu richtig angenehm. An einem Regal, wo Delion einen Teil seiner gewaltigen Sammlung aus Kappen ausstellte, hielt sie schließlich an und betrachtete sie fasziniert.

„Weißt du eigentlich, wie viele Kappen genau du inzwischen besitzt?“

„Ich habe sie schon lange nicht mehr gezählt“, erwiderte Delion. „Außerdem hab ich auch noch welche in meiner Wohnung in Score City und ein paar im Kampfturm ... es ist also nicht einfach.“

Also eine ganze Menge. Offensichtlich liebte er Kappen sehr und konnte vermutlich kaum an einem neuen Modell vorbeilaufen, ohne es direkt zu kaufen. Andere hätten ihn wahrscheinlich dafür kritisiert, dass er in dem Punkt nie erwachsen wurde, doch Raelene mochte diese Eigenart von ihm. Hoffentlich hörte er nie damit auf, besonders leidenschaftlich bei den Dingen zu sein, die er mochte.

„Und ... hast du eine Kappe, die dir nicht ganz sooo wichtig ist?“, erkundigte Raelene sich, gespielt unschuldig. „Eine, die du, ich weiß auch nicht, vielleicht nicht unbedingt behalten willst? Von der du dir vorstellen könntest Abschied zu nehmen oder so?“

Während sie das alles fragte, trat sie näher an eine der Trainingshanteln heran und kniete sich davor hin. Delion sagte nichts dazu, sondern schien einen Moment zu überlegen, was sie damit sagen wollte. Eventuell sollte Raelene ihn direkt fragen, statt derart zurückhaltend zu sein. Aber diese Kappen könnten ihm so heilig sein, dass er es vielleicht zu unverschämt von ihr fand, wenn sie gerne eine davon haben wollte …

„Hier~.“ Plötzlich legte Delion ihr etwas auf ihren Kopf. „Ich nehme an, du wolltest sie adoptieren, nicht wahr?“

Moment, hatte er …

War das etwa …

Raelene hob die Hände und tastete über ihren Kopf, um zu überprüfen, ob sie sich das gerade nicht nur einbildete. Als sie ihm dann den Blick zuwandte und feststellte, dass er seine Champ-Kappe nun nicht mehr trug, war sie überwältigt. Ein Gefühl von Leichtigkeit umhüllte sie.

„B-bist du sicher?“, fragte sie aufgeregt. „Das ist doch bestimmt deine Lieblings-Kappe!“

Er hatte sie immer getragen, sie war ein Teil von ihm. Durfte Raelene dieses Geschenk einfach annehmen?

Schmunzelnd nickte er ihr zu. „Und jetzt wird sie von meinem Lieblings-Menschen getragen. Das passt doch. Außerdem ist es eine wahre Champ-Kappe. Und ich wollte dir nicht nur irgendeine Kappe schenken.“

Vorsichtig stellte Raelene sich wieder aufrecht hin und strich behutsam über den Schirm der Kappe. Sie fühlte sich so gut an. Delion hatte ihr einfach so die Erinnerungen an seine Zeit als Champ geschenkt. Ihre Augen funkelten vor Glück und Dankbarkeit.

Instinktiv trat sie noch dichter an ihn heran, legte eine Hand in seinen Nacken und zog ihn sanft für einen Kuss zu sich. Nur so könnte sie ausdrücken, wie sehr sie dieses Geschenk liebte. Und er wehrte sich nicht dagegen, im Gegenteil. Ein Kuss schien genau das zu sein, was er sich gerade von ihr gewünscht hatte. Euphorie strömte durch Raelenes Körper.

Schließlich löste er sich wieder von ihr und strich ihr durch das lange Haar. „Jetzt bist du noch ein besserer Ditto-Champ~. Deine Fans werden es auch lieben – und jeder weiß ab jetzt sofort, dass wir ein Paar sind.“

„Aha! Du wolltest mich also eigentlich nur markieren~.“

Raelene lachte und trat einige Schritte zurück, um mehr Platz zu haben. Dann strich sie ihre Haare nach hinten und nahm schwungvoll die Siegespose ein, die sie sich von Delion abgeschaut hatte.

„It's champ time!“, rief sie, voller Inbrunst.

Delion applaudierte amüsiert, als sie diese Pose einnahm, die sie meisterhaft beherrschte. In diesem Moment wäre Raelene spontan bereit für einen Kampf! Stattdessen drehte sie sich aber nur gut gelaunt im Kreis und griff dabei nach ihrer Kappe.

„Ich liebe sie~. Ich werde sie immer tragen, versprochen!“

Diese Worten stimmten Delion zufrieden. „Gut, das will ich auch hoffen. Ich werde jeden Auftritt verfolgen.“

„Dann werde ich mir umso mehr Mühe geben.“

Raelene könnte ihre Freude bestimmt den ganzen Tag über nicht mehr bremsen. Sie hätte sich mit irgendeiner Kappe durchaus zufrieden gegeben, solange sie von Delion gekommen wäre. Seine Champ-Kappe war wie ein Goldschatz.

Summend nickte sie Richtung Hanteln. „Hast du die wirklich benutzt?“

Er sah auf die Sportgeräte hinunter. „Ja, natürlich~. Früher. In Score City hab ich inzwischen schwerere. Dieser Körper kommt nicht nur durch das Werfen von Pokébällen zustande.“

Verstehend betrachtete Raelene Delion genauer. Wirklich ziemlich gut durchtrainiert war er auf jeden Fall. Das war sicher praktisch, wenn man mit seinen Pokémon zusammen Übungen machte.

Als ihr bewusst wurde, dass sie etwas zu intensiv zu starren anfing, wandte sie sich räuspernd ab und versuchte ihre Verlegenheit zu überspielen.

„Vielleicht sollte ich auch mal damit anfangen Gewichte zu stemmen“, sagte sie motiviert. „Ein paar Muskeln können sicher nicht schaden.“

Damals hatte Hop öfter darüber geklagt, dass Delion ihm damit ständig in den Ohren lag und ihn ebenfalls hartnäckig zum Training zu motivieren versuchte, doch sein jüngerer Bruder war daran schon immer eher uninteressiert gewesen. Vor einiger Zeit hatte Delion Hop wohl mal erneut all die Vorteile eines sportlichen Körpers aufgezählt, weil er der Meinung war, auch als Sanias Assistent benötige er Kraft. Allerdings erfolglos, wie Raelene wusste.

„Das kann echt nie schaden!“, betonte Delion sofort begeistert. „Wenn du willst, können wir auch mal zusammen trainieren. Natürlich in deinem Tempo, du solltest es am Anfang nicht übertreiben. Dafür wären die Hanteln hier sogar ganz gut geeignet.“

„Wirklich? Mal sehen~.“

Sie kniete sich nochmal hin und griff nach einer kleineren Hantel. Die waren nicht so schwer, wie sie aussahen. Raelene konnte sie ein paar Mal heben und senken.

„Ich wollte sowieso mal mit dir zusammen trainieren, also, mit unseren Pokémon. Aber uns selbst auch zu trainieren ist gar keine schlechte Idee. Du bist bestimmt ein toller Coach~.“

Sonst wären auch seine Pokémon bestimmt nicht so stark.

„Nun, ich gebe mir jedenfalls Mühe~.“ Zufrieden klatschte er in die Hände. „Prima, dann werden wir auf jeden Fall noch klären müssen, wo wir das in unseren Zeitplänen unterkriegen. Aber du weißt ja, außerhalb der Liga-Saison hab ich meist mehr Zeit.“

Während der Arena-Challenge war Raelene ohnehin selbst mit anderen Dingen beschäftigt, so kurz vor dem Champ-Cup. Vor allem mit dem Training ihrer Pokémon. Anscheinend schien Delion sich nach einem menschlichen Partner für seine sportlichen Aktivitäten gesehnt zu haben, wenn er bereits so entschlossen wirkte. Da käme sie so leicht wohl nicht mehr raus, aber das war in Ordnung für sie. Um dieser Champ-Kappe würdig zu sein, musste sie unbedingt mehr an Kraft zulegen.

„Das kriegen wir schon hin. Notfalls quartiere ich mich bei dir ein~.“

Beinahe hätte Raelene die Hantel fallen lassen, als ihr bewusst wurde, was sie gesagt hatte. Darum legte sie die lieber wieder vorsichtig ab. Sich direkt in Delions Wohnung breitzumachen käme sicher nicht gut an ... auch wenn sie sich darüber freuen würde, jeden Morgen mit ihm aufzuwachen. War das zu schnell?

„Auf jeden Fall passt das Zimmer zu dir“, warf sie rasch ein. „Was klar ist, da es ja dein Zimmer ist.“

„Ja, ich finde auch, dass das Zimmer gut zeigt, wer ich eigentlich bin. Ein kappen-vernarrter Pokémon-Fan, der manchmal gern trainiert.“

„Mir gefällt es~. Wenn ich Sehnsucht habe, dich aber gerade mal nicht persönlich sehen kann, komme ich ab jetzt einfach hierher.“

Es wäre zwar trotzdem noch seltsam, ohne Delion hier zu sein, aber wenigstens musste sie nun kein schlechtes Gewissen dabei haben. Auch seine Mutter hätte bestimmt nichts dagegen, nachdem sie nun auch wusste, dass sie ein Paar waren. Hoffte Raelene jedenfalls.

Sie sah Delion strahlend an. „Okay! Du hattest die ganze Arbeit von uns, seit vorgestern, also darfst du dir jetzt aussuchen, was wir machen. Wir können natürlich auch einfach mit deiner Familie quatschen, wenn du willst.“

„Ach, ich komme noch dazu, mit der Familie zu reden. Und wahrscheinlich hätten sie gerade nur ein paar peinliche Fragen an dich. Lass uns lieber noch mal in den Schlummerwald gehen, dann können wir etwas Zeit allein verbringen.“

Peinliche Fragen ... so weit hatte Raelene gar nicht gedacht. In dem Punkt war sich wohl jede Familie ähnlich. Zum Glück dachte Delion mit.

„Das klingt gut“, beteuerte Raelene daher. „Zeit allein mit dir ist genau das, was ich auch will.“

Diesmal nahm sie wieder seine Hand und genoss die Wärme, die von ihm ausging. Davon könnte sie niemals genug bekommen.

„Nun musst du mir nur noch irgendwann auch deine Wohnung in Score City zeigen~.“

„Oh ja, das mache ich gern. Da hängen aber mehr Poster von dir“, warnte er sie lachend. „Also wundere dich da nicht.“

Er zwinkerte ihr zu, während er sie bereits mit sich zog, damit sie das Haus verlassen könnten. „Ich dachte mir, in meiner eigenen Wohnung kann ich auch ein paar Poster mehr von dir aufhängen, besonders seit wir zusammen sind.“

In Raelenes Brust flatterten wieder unzählige Smettbos herum. Also hatte er genauso viel Sehnsucht nach ihr wie sie nach ihm. Mit der freien Hand griff sie nach ihrer Kappe und lächelte. Vielleicht wäre es doch nicht zu schnell, sich bei ihm einzuquartieren? Zumindest für ein paar Nächte, für den Anfang.

„Sag Bescheid, wenn du das Original bei dir haben willst. Ich wäre jedenfalls gerne in deiner Nähe.“

Wenn sie sich gegenseitig sonst nur die ganze Zeit vermissten, wäre es doch albern, sich jedes Mal wieder zu trennen.

„Pass auf, wenn du weiter so redest, entführe ich dich heute noch, dann bleibst du wirklich für eine Weile bei mir. Erst recht nach dem nächsten Champ-Cup~.“

Der Gedanke, am Ende eines Cups mit zu ihm nach Hause zu gehen, hatte schon etwas. Oder bereits währenddessen schon bei ihm zu wohnen, statt im Hotel zu übernachten – die Liga wählte sowieso jedes Mal viel zu prunkvolle, teure Zimmer für Raelenes Geschmack aus. Da war die Vorstellung davon, nach den öffentlichen Feierlichkeiten im Anschluss ganz alleine mit Delion in seiner Wohnung zu sein um Welten besser.

„Von dir lasse ich mich gerne entführen~“, versicherte Raelene munter. „Ich habe sonst eh nur die ganze Zeit schlimme Sehnsucht nach dir.“

Seit sie ein Paar waren, genügten ihr da die Poster nicht mehr wirklich. Außerdem könnten sie so auch problemlos dieses Training ausprobieren. Blieb nur die Frage, ob auch für die Pokémon genug Platz wäre. Immerhin wusste sie nicht wie groß seine Wohnung war.

Delion gefiel ihre Einstellung scheinbar, denn er hörte nicht mehr auf glücklich zu lächeln, während er seiner Familie sagte, dass er mit Raelene eine Weile unterwegs wäre. Er wartete die Antwort nicht einmal ab, sondern zog Raelene direkt durch die Tür mit sich nach draußen – vielleicht um nicht dem vielsagenden Gekicher und den Kommentaren seiner Familie ausgesetzt zu sein.

Erst dort hielt er noch einmal inne. „Wollen wir durch den Wald laufen oder willst du auf Glurak zur Lichtung fliegen?“

„Beides, wenn ich ehrlich bin.“ Nachdenklich runzelte sie die Stirn und warf einen Blick in den Himmel – es regnete nicht mehr. „Falls ich heute nicht mehr dazu komme, mit dir auf Glurak zu fliegen, dann machen wir das jetzt. Ansonsten würde ich gemütlich mit dir laufen wollen.“

Der Schlummerwald war der perfekte Ort für einen längeren Spaziergang. Auch die Pokémon dort waren ungewöhnlich friedlich, was an der Atmosphäre liegen musste. Daran hatte sich nämlich nicht viel geändert, obwohl Zacian und Zamazenta inzwischen nicht mehr dort schliefen.

Er drückte ihre Hand. „Da ich ja schon beschlossen habe, dich zu entführen, laufen wir dann wohl~.“

Damit ging er dann auch schon los in Richtung des Waldes. Raelene hätte nie gedacht, dass sie sich mal darüber freuen würde, von einem Mann entführt zu werden. Die Smettbos legten einen Freudentanz hin.

„Also laufe ich jetzt mit meinem Entführer alleine in einen Wald?“ Sie lachte leise. „Ich suche wohl geradezu das Risiko~.“

Ihre Mutter wäre wahrscheinlich noch mehr aus dem Häuschen als Raelene selbst. Hoffentlich könnte sie dann überhaupt später in Ruhe ein paar Sachen einpacken, ohne direkt dazu überredet zu werden, gleich für immer bei dem Mann ihrer Träume zu bleiben – da war ihre Mutter frei von jeglichem Schamgefühl.

Delion schmunzelte. „Tja, man bringt Leuten immer nur bei, nicht mit Fremden mitzugehen. Aber niemand warnt einen davor, dass man auch vom Liga-Präsidenten entführt werden kann~.“

„Zum Glück ist der aktuelle Liga-Präsident so liebenswert, dass man glatt gerne entführt wird~.“

Nicht mal Raelene als Champ hätte das bis vor kurzem gedacht.

Während sie geradewegs in die verträumte Atmosphäre des Waldes eintauchten, kam es ihr wieder einmal wie ein seltsamer Tagtraum, eine reine Wunschfantasie vor. Umso mehr beruhigte es sie, dass Delion noch einmal sanft ihre Hand drückte, als müsste er auch sichergehen, dass sie wirklich mit ihm unterwegs und nicht nur eine Einbildung war. Dabei strich Raelene auch erneut über den Schirm der Kappe, um sich zu vergewissern, dass sie noch da war.

„Lief eigentlich alles gut? Wegen den Finanzen, meine ich.“

Natürlich ruinierte Raelene die schöne Stimmung nur ungern, doch sie wollte wissen, was Delion bislang erreichen konnte. Bestimmt mehr als Raelene selbst, die sich zwar den Kopf zerbrochen hatte, aber sonst keinerlei Erfolg vorweisen konnte.

„Oh ja, es lief überraschend gut“, berichtete Delion, wobei er lebhaft gestikulierte. „Ich musste nur zwischen ein paar Abteilungen vermitteln. Wir kriegen jetzt also auch neues Merchandise, freu dich~. Aber auf jeden Fall ist die Finanzierung der Einrichtung gesichert. Ich habe Professor Magnolica auch schon Bescheid gesagt, damit sie alles Weitere in die Wege leiten kann.“

„Das klingt sehr gut“, sagte Raelene beruhigt. „Gute Arbeit, Präsident~.“

Etwas anderes hätte sie von Delion aber auch nicht erwartet. Er hing sich immer voll rein, sobald es um Pokémon ging. Schade, dass Raelene nicht wirklich etwas Hilfreiches beitragen konnte ... egal, Endynalos dürfte es etwas besser gehen, sobald Magnolica einige unliebsame Unterstützer verabschieden konnte. Nur darauf kam es an.

„Hey, ich könnte ja ein paar Schaukämpfe mehr machen! Das bringt sicher auch noch etwas Geld ein.“

„Das ist eine gute Idee~. Sag mir dann nur Bescheid, welcher Gegner dir vorschwebt – sonst wird es wieder Roy werden.“

Nun, Roy war beliebt, aber die Zuschauer sahen es sicher auch mal gern, wenn der Champ gegen jemand anderen antrat. Außerdem konnte es nicht schaden, wenn auch ein paar andere Arenaleiter oder sonstige Trainer ein wenig Aufmerksamkeit fanden. Roy war allein schon durch seine Selfies eine riesige Berühmtheit und hatte das daher eher weniger nötig.

„Nio und Mary“, entschied Raelene spontan. „Die beiden sind so schüchtern. Sie brauchen dringend mehr Bühnenzeit~.“

Besonders weil sie großartige Trainer waren. Sie kämpfte zwar gerne gegen Roy, aber auf Dauer war das doch ganz schön eintönig. Obendrauf wusste Raelene, dass gerade Spikeford die Aufmerksamkeit immer gut gebrauchen konnte. Wie es dort wohl inzwischen aussah? Mary hatte sicher schon viel verändern können.

„Geht klar, ich frage die beiden, ob sie Lust haben.“

Normalerweise dürfte nichts dagegen einzuwenden sein. Selbst Nio wusste, dass mit dem Dasein als Arenaleiter Aufmerksamkeit einherging.

„Super! Ich freu mich schon darauf~.“

Mary bekam Raelene noch weniger zu Gesicht als Iva, Gloria, Victor und Hop. Das war der einzige Nachteil daran, wenn jeder seinem Weg folgte. Wenigstens hatten sie alle ihre persönliche Bestimmung gefunden ... wobei sie da bei Mary nicht absolut sicher war. Vielleicht sollte sie mal in Ruhe mit ihr reden, nach dem Schaukampf.

„Kaum zu glauben, dass ich mich nie getraut habe, solche Wünsche an dich zu richten“, erinnerte sie sich. „Ich hatte immer Angst, dich nur zu nerven.“

„Dabei hast du mich seit deiner Rebellenphase nicht mehr genervt. Aber jetzt kannst du mich immer ansprechen, wenn du irgendwelche Wünsche hast. Ich erwarte also ein wenig kreativen Input von dir~.“

„Okay, das kriege ich hin. Aber beschwer dich hinterher ja nicht, wenn es dir doch zu viel wird~“, drohte sie amüsiert, wobei sie ihn mit dem Ellbogen sanft in die Seite stieß. „Da fällt mir ein, eigentlich hab ich dir schon ziemlich früh meine Liebe gestanden. Wäre damals aber sicher nicht so gut ausgegangen wie heute.“

Nicht in einer Phase, in der Delion genervt von ihr gewesen war. Und das auch noch zu recht. Zum Glück hatten Iva und Gloria sie damals davon abgehalten, noch mehr Unsinn anzustellen.

Neugierig sah er sie an. „Wirklich? Wann ist das denn passiert?“

„Ich weiß, das war nicht gerade eine Glanzleistung von mir ... aber weißt du noch, als ich dir, kurz bevor ich 14 wurde, betrunken dieses Kauderwelsch geschrieben habe?“ Raelene räusperte sich beschämt. „Da stand eigentlich drin, dass ich erkannt habe, wie verschossen ich in dich bin. Aber, zum Glück, konntest du es nicht entziffern.“

Nicht nur, dass er zu dieser Zeit furchtbar genervt von ihr gewesen war, Raelene wäre auch noch viel zu jung gewesen. Also wäre das eine Katastrophe geworden.

Delion schien sich daran besser zu erinnern als erwartet, denn er griff sich mit der freien Hand seufzend an die Stirn. „Oh ja, das weiß ich noch. Und ich war voll sauer auf dich, weil du mir das mitten in der Nacht geschrieben hattest. Ich dachte echt, das wäre gewesen, weil du mich noch mehr nerven wolltest.“

„Tut mir echt leid“, murmelte Raelene reumütig. „Deshalb habe ich mich auch dafür entschuldigt und mich anschließend gebessert.“

Iva und Gloria hatten ihr auch gut zugeredet. Ohne die beiden wäre ihre Rebellenphase vielleicht sogar noch länger ausgefallen. Auch Mary hatte über sie gewacht und ihr jedes Mal aus der Patsche geholfen, wenn sie in Spikeford, als sie dort mit Team Yell abhing, mal über die Stränge geschlagen hatte. Raelene war froh, dass sie so gute Freunde hatte.

„Aber darum kommt mir das wohl immer noch wie ein Traum vor, dass wir jetzt wirklich zusammen sind. Danke, dass du damals nicht das Handtuch geworfen hast.“

„Keine Ursache~. Danke, dass du damals dann noch die Kurve gekriegt hast.“

Rückblickend betrachtet war es erstaunlich, dass sich an der Liebe ihrer Fans damals trotz dieses einjährigen, massiven Imagewechsels nichts verändert hatte. Alle schienen verstanden zu haben, wie kompliziert das Leben eines Teenagers sein konnte, erst recht wenn man noch dazu der Champ einer ganzen Region war. Sogar die Liga war bis zum Schluss ziemlich geduldig mit ihr geblieben.

Raelene lehnte sich an seiner Schulter an. „Alles nochmal gut ausgegangen, was?“

Die Lichtung dürfte nicht mehr weit entfernt sein. Sie waren unterwegs von einigen Raffels und Meikros beobachtet worden, aber ansonsten gingen die Pokémon lieber ihrem Alltag nach. Hier kamen so selten Trainer vorbei, daher fühlten sie sich sicher. Auch Raelene genoss einfach die Ruhe und Delions Nähe, die sich so richtig anfühlte.

Schließlich erreichten sie die Lichtung, die, wie auch schon beim letzten Mal, vollkommen ruhig dalag. Außer ihnen gab es sonst niemanden hier. Perfekt.

„Das ist wirklich ein ganz besonderer Ort“, sagte Delion, während er die Atmosphäre auf sich wirken ließ.

Raelene nickte lächelnd. „Hier kommt man so schön zur Ruhe.“

Dadurch bekam man das Gefühl, es wäre alles absolut in Ordnung. Kein Wunder, dass Hop sich damals hierher zurückgezogen hatte, um darüber nachzudenken, was er mit seinem Leben anstellen wollte. Außerdem war es nun auch der Ort, an dem sie sich ihre Liebe gestanden hatten.

„Ich bin wirklich wahnsinnig in dich verliebt~.“

Delion zog Raelene noch näher zu sich, damit er seinen Arm um ihre Schultern legen konnte. „Ich bin auch wahnsinnig in dich verliebt~.“

Wie gut es tat, das einfach aussprechen zu können, ohne Angst oder Sorge. Schmunzelnd tippte Delion mit der anderen Hand den Schirm ihrer Kappe nach vorne, um ihre Augen zu bedecken. Raelene gab einen überraschten Laut von sich, als sie plötzlich nichts mehr sehen konnte.

„Hey~.“ Sie schob die Kappe wieder nach oben und hob den Blick, um ihn anzuschauen. „Bist du etwa immer noch schüchtern?“

Eigentlich durfte sie so etwas gar nicht sagen. Ihr eigenes Herz schlug auch weiterhin wie wild, wenn sie bei Delion war.

„Na ja, es ist das erste Mal, dass ich verliebt bin, also ... Ja~. Du bist eben wirklich die erste, die solche Gefühle in mir wecken konnte.“

Als Raelene spürte, wie ihr Gesicht rot wurde, zog sie die Kappe wieder schnell nach unten, um das zu verstecken – ganz schön praktisch. Seine Worte berührten ihr Herz. Schon oft hatte sie sich gefragt, ob Delion wohl schon mal verliebt gewesen war. Er war älter als Raelene und hatte daher sicher mehr erlebt. Aber zu hören, dass sie die erste Person war, für die er solche Gefühle spürte, war ... umwerfend.

„Für mich bist du auch der erste“, flüsterte sie schüchtern. „Und der einzige, den ich je so lieben werde.“

Sanft strich Delion ihr durch das lange Haar und ließ es auf seiner Hand liegen, bis es von allein herabfiel. „Das freut mich zu hören. Denn mir wird es mit dir auch so gehen.“

Raelene drehte sich noch etwas mehr zu ihm, damit sie die Arme um ihn schlingen und ihr Gesicht in seiner Brust vergraben konnte – so weit es die Kappe zuließ.

„Ich glaube, ich bin auch noch etwas schüchtern“, nuschelte sie. „Aber ich bin echt glücklich dabei.“

Wenn Delion sie später nicht schon entführen wollen würde, hätte sie spätestens jetzt darum gebeten. Der Gedanke, sich wieder von ihm zu trennen, war kaum auszuhalten.

„Ich bin auch glücklich~. Noch glücklicher als damals, als ich noch Champ war.“

Es fiel Raelene schwer, das zu glauben, aber wenn er es sagte, musste es die Wahrheit sein. Zwar wusste sie nicht, mit welchen Begründungen Delion zu diesem Schluss gekommen war, doch das war auch nicht weiter wichtig. Solange ihre Beziehung ihn ebenso glücklich machte wie sie, hatten beide das, was sie wollten. Und es gab noch vieles, das sie gemeinsam erleben konnten. Deshalb war alles gut.



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