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just let it snow (and breathe a little slower)

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just let it snow (and breathe a little slower)

 

 

Kaoru sah verwundert von seinem Laptop auf, als eine prall gefüllte Reisetasche mit einem dumpfen Geräusch direkt vor seinen Füßen landete. Er runzelte die Stirn.

 

„Fährst du weg?“ Er stellte seinen Laptop auf dem Couchtisch ab, sodass er sich Shinya zuwenden konnte, der seinen Blick mit einem abwartenden Lächeln erwiderte.

 

„Fast.“ Er zog Autoschlüssel aus seiner Hosentasche hervor. „Wir fahren.“

 

„Warum?“

 

Shinya zuckte mit den Schultern.

 

„Mir war danach.“ Und das war vermutlich alles an Begründung, was er würde erwarten können.

 

„Okay.“ Er sah Shinya dabei zu, wie dieser näher kam, um sich dann vollkommen selbstverständlich auf Kaorus Schoß niederzulassen. „Ich nehme an, du wirst mir nicht sagen, wohin?“

 

„Exakt.“ Shinya lehnte sich näher zu ihm, fing seine Lippen für einen kleinen Kuss ein. „Wir sollten heute noch losfahren, ich will nicht in den Feiertagsverkehr morgen geraten. Du solltest dir was Warmes anziehen.“ Ein weiterer Kuss landete auf seinen Lippen, ehe der andere begann sich wieder aufzurappeln. „Und der Laptop bleibt hier.“

 

Kaoru verkniff sich den Protest, der ihm bei diesem Kommentar reflexartig auf den Lippen lag, seufzte stattdessen leise. Wenn Shinya zu solchen Mitteln griff, konnte er davon ausgehen, dass er in den letzten Tagen und Wochen einmal mehr zu tief in seiner Arbeit verschwunden war. So schwer es ihm fiel, die Erfahrung hatte ihm in den letzten Jahren gezeigt, dass sein Freund ein mehr als gutes Gespür dafür hatte, wann seine kleinen Interventionen tatsächlich nötig waren. Er hoffte nur, dass er nicht wieder vollkommen unvorbereitet in einem hochklassigen Spa landen würde, in dem man ihn zu Behandlungen verurteilte, die kein Mann je ertragen müssen sollte.

 

Mit einem innerlichen Grinsen schloss Kaoru den Laptop und raffte sich von seinem Platz auf dem Sofa auf. Der Geräuschkulisse nach zu urteilen war Shinya dabei, die letzten Kleinigkeiten für ihren Ausflug zusammenzusuchen. Also sollte er vermutlich zumindest sich selbst reisefertig machen.

 
 

 ❅❅❅

 

Er war sich nicht sicher, wann sie ihr Ziel erreicht hatten, aber es musste mitten in der Nacht gewesen sein. Kaoru konnte nicht einmal genau sagen, wie lang sie unterwegs gewesen waren. Er war irgendwann einfach auf dem Beifahrersitz eingeschlafen und erst wieder aufgewacht, als Shinya ihn sanft an der Schulter gerüttelt hatte. Im Licht der Scheinwerfer hatte er die Front eines Holzhauses gesehen, war zu müde gewesen, um sich darüber großartige Gedanken zu machen. Eine Tatsache, die vermutlich mehr darüber aussagte, dass er sich in den letzten Wochen zu viel zugemutet hatte, als alles andere. 

Oder er wurde einfach alt.

 

Im Augenblick kämpfte er noch dagegen an, wach zu werden, auch wenn das Licht im Raum dafür sprach, dass der Tag schon lange angebrochen war. Kaoru atmete tief durch, konnte frisches Holz in der Luft riechen, und – er öffnete blinzelnd die Augen, gerade rechtzeitig, um Shinya mit zwei Tassen in der Hand auf sich zukommen zu sehen.

 

„Kaffee?“ In seiner vom Schlaf rauen Stimme schwang eine hoffnungsvolle Note mit, die Shinya mit einem belustigten Schnauben quittierte, während er eine der Tassen auf Kaorus Nachttisch abstellte.

 

„Als ob ich dir den verwehren würde.“

 

Kaoru drehte sich mit einem herzhaften Gähnen auf den Rücken und streckte sich kurz. Es war schon erstaunlich, wie viel weniger einem so wehtat, wenn man nicht den ganzen Tag wie ein Shrimp über dem Computer hängend verbrachte und dann auch noch ausreichend Schlaf bekam. Er fuhr sich mit einer Hand übers Gesicht, in der Hoffnung sein Hirn langsam in die Gänge zu bekommen und beobachtete Shinya dabei, wie er seine Tasse auf dem eigenen Nachttisch platzierte und sich dann anschickte, wieder zurück unter die flauschigen Decken zu kriechen.

 

„Verrätst du mir jetzt, wohin du mich entführt hast?“

 

„Für ein Entführungsopfer wirkst du ziemlich entspannt.“ Shinya rückte näher zu ihm, nur um gleich darauf sämtliche Arme und Beine so um Kaorus Körper zu wickeln, dass er nicht hätte aufstehen können, hätte er es versucht. Kaoru setzte eine schwer leidende Miene auf.

 

„Das ist Freiheitsberaubung“, brummte er, konnte ein kleines Grinsen aber nicht unterdrücken. Den Moment Shinya von seinen kleinen besitzergreifenden Tendenzen abzuhalten, hatte er definitiv gründlich verpasst. So etwa um zehn Jahre, grob geschätzt. Nicht, dass er es wagen würde, sich darüber ernsthaft zu beschweren. Also legte er einen Arm um die schmalen Schultern seines Partners, kraulte mit den Fingerspitzen sacht über seinen Nacken. „Also?“

 

„In den Bergen“, kam die Antwort von irgendwo unter seinem Kinn, so dicht an seinem Hals, dass er Shinyas warmen Atem auf der Haut spüren konnte. „Ich dachte, wir könnten vor dem neuen Jahr eine Auszeit gebrauchen.“

 

„Du meinst, du dachtest, ich arbeite zu viel.“

 

„Mh.“ Ein kleiner, nicht eben zarter Biss in seine Halsbeuge ließ Kaoru zusammenzucken. „Beides. Ich wollte dich auch einfach mal nicht teilen müssen.“

 

Er konnte nicht anders, als bei diesen Worten, die so typisch für Shinya waren, zu schmelzen wie Wachs in der Sonne. Der andere beschönigte die Dinge selten, egal, worum es ging, aber Kaoru hatte schon früh eine Schwäche für genau diese direkte Art entwickelt.

 

„Okay. Musst du nicht. Für wie lange sind wir verschollen?“

 

„Nur drei Tage. Ich wollte deinen inneren Workaholic nicht überstrapazieren.“

 

Statt eine Antwort zu geben, zog Kaoru Shinya noch etwas näher an sich und schloss die Augen wieder. 

 

Drei ganze Tage, in denen er sich nicht mit seinen sonstigen Verantwortungen beschäftigen musste. Drei Tage, nach denen ihre Plattenfirma vermutlich auf und nieder springen würde, weil er irgendeine obskure Deadline verpasst hatte – glücklicherweise war er nach all der Zeit sehr gut darin geworden, derlei Dinge zu ignorieren, wenn es sich anbot. Mit einem zufriedenen Seufzen vergrub er die Nase in Shinyas Haar, genoss den vertrauten Geruch von Kokos, der davon ausging.

 

Einige Minuten lang herrschte entspannte Stille, in der sie beide ihren Gedanken nachhingen und Shinyas Finger wie nach ihrem eigenen Willen unter seinem T-Shirt kleine Muster auf Kaorus Rippen zeichneten. Wenn es nach ihm gegangen wäre, hätte ihre gesamte Auszeit nur aus solchen Momenten bestehen können. Aber kaum hatte er diese Gedanken, presste Shinya einen Kuss auf seinen Hals und richtete sich so weit auf, dass sie einander ansehen konnten.

 

„Wir sollten irgendwann aufstehen.“

 

„Mh.“

 

„Brumm mich nicht so an.“ Die Lippen, die ihn eben noch geküsst hatten, verzogen sich zu einem nachsichtigen Lächeln. „Ich kann nichts dafür, dass dein Schlafrhythmus praktisch nicht existent ist.“

 

Ich kann nichts dafür, wenn so viel zu tun ist.“

 

„Pffff.“ Mit einem kleinen Grinsen drückte Shinya ihn nach hinten, sodass er über Kaoru lehnte. „Du schaffst es nur nicht, mal etwas an andere abzugeben.“

 

„Macht der Gewohnheit.“ Kaoru sah nach oben in Shinyas Gesicht, in dem sich Wärme und Schalk die Waage hielten. Er hob eine Hand, um sie an die Wange des anderen zu legen. „Außerdem hab ich ja dich, um mich an die wirklich wichtigen Dinge zu erinnern.“

 

Shinya zog die Nase kraus und drückte lachend einen Kuss in Kaorus Handfläche.

 

„Schleimer. Du willst doch nur, dass ich nachgebe, damit du im Bett bleiben kannst.“

 

„… Vielleicht.“

 

„Kommt nicht in die Tüte.“ Shinya setzte sich auf, beraubte ihn damit vollkommen absichtlich seiner Bettdecke, und griff nach der Kaffeetasse, die noch immer auf Kaorus Nachttisch stand. „Das trinken und dann ausgehfertig machen. Wir haben viel vor.“ Er drückte Kaoru die Tasse in die Hand, stand im selben Atemzug auf und verließ mit einem „du hast dreißig Minuten!“ das Zimmer zielstrebig in Richtung Bad.

 
 

❅❅❅

 

„Sag mal, Shinya?“

 

„Mh?“

 

Kaoru trat weiter in das Hauptzimmer ihres kleinen Häuschens, nachdem er sich zuvor zum Telefonieren auf die Veranda zurückgezogen hatte. Wie erwartet, sah Shinya nicht einmal von seinem Buch auf.

 

„Kann es zufällig sein, dass sich unser Urlaub mit dem Weihnachtstreffen meiner Familie überschneidet?“

 

Die einzige Reaktion auf die Frage waren Shinyas Augenbrauen, die auf dessen Stirn ein Stück nach oben wanderten.

 

„Möglich?“

 

Kaoru durchquerte langsam den Raum, blieb dann hinter dem Sofa stehen, auf dem Shinya es sich gemütlich gemacht hatte. Er stützte sich auf die Rückenlehne und beugte sich über den anderen.

 

„Möglich?“, wiederholte er, irgendwo zwischen ungläubig und amüsiert.

 

Mit einem Seufzen schloss Shinya sein Buch und legte es beiseite, ehe den Kopf so weit hob, dass sie sich in die Augen sehen konnten.

 

„Sehr gut möglich?“ Kaoru konnte nicht verhindern, dass ein kleines Lächeln an seinen Mundwinkeln zupfte.

 

„Und du hattest nicht das Gefühl, dass ich das vielleicht wissen sollte?“

 

„Nicht wirklich.“ Shinya streckte eine Hand nach ihm aus, tätschelte in einer besänftigenden Geste Kaorus Wange. „Du hättest nur ein schlechtes Gewissen gehabt.“

 

„Es hätte mir aber ein nicht sonderlich reizvolles Telefonat mit meiner Tante erspart, die mich gerade gefragt hat, wann ich sie und ihren Mann morgen abhole.“

 

„Und du hattest keine Ahnung, worum es ging?“

 

„Und ich hatte keine Ahnung, worum es ging.“

 

„Tragisch.“ Das bisher im Zaum gehaltene Grinsen auf Shinyas Gesicht erblühte zu seinem vollen schelmischen Charme. „Die Einladung hängt seit Oktober in der Küche. Das Datum steht groß auf der Vorderseite.“

 

„Du weißt genau, dass–“

 

„Eben.“ Shinya richtete sich auf, bis er auf der Couch kniete und sie auf Augenhöhe miteinander reden konnten. „Ich wusste, dass du nicht den Kopf dafür hast und dass dir das Ganze ohnehin ein Graus ist. Und persönlich kann ich auch auf die Nachfragen verzichten, ob du dir nicht doch noch eine Frau suchen willst, mit der du ein Dutzend Kinder machen kannst.“ Sobald Shinya den letzten Satz ausgesprochen hatte, verzogen sie beide ihre Gesichter in Erinnerung an das letzte Weihnachten. Shinya seufzte leise, ehe er weitersprach: „Und keine Angst, bei deinen Eltern hab ich uns entschuldigt, wir laden sie zur Entschädigung am Neujahrstag zum Essen sein. Deine Mutter fand meine Idee, ich zitiere, ‚wunderbar‘.“

 

„Wann hast du eigentlich angefangen, mein ganzes Leben zu managen?“

 

„Ungefähr zu dem Zeitpunkt, als du alles, was die Band betrifft, an dich gerissen hast.“

 

„Okay“, nun war es an Kaoru zu seufzen. „Ich schätze, den Seitenhieb hatte ich verdient.“

 

„Hast du.“ Shinya lehnte sich weiter zu ihm, drückte einen Kuss auf seine Nasenspitze, ehe er eine Hand in Kaorus übergroßem Strickpullover vergrub. Mit einem schalkhaften Funkeln in den Augen ließ er sich zurück auf das Sofa sinken, zog Kaoru unbarmherzig mit sich, bis dieser schließlich reichlich unelegant über die Sofalehne klettern musste, um ihm folgen zu können. 

 

Shinyas dunkle Augen folgten ihm bei jeder Bewegung, bis er schließlich über den Jüngeren gelehnt verharrte. Der unvermittelte Hunger in ihnen ließ Kaoru einen wohligen Schauer über den Rücken rieseln.

 

„Was heckst du gerade aus?“, wollte er leise wissen, nur um im nächsten Moment die Augen zu schließen, als sich kühle Fingerspitzen unter sein Oberteil stahlen. Er konnte Shinyas Fingernägel spüren, die kleine Muster auf seinen Rücken zeichneten.

 

„Ich überlege gerade, wie du dich für meine kleine Überraschung erkenntlich zeigen könntest.“

 

„Mh.“ Kaoru senkte seinen Kopf, platzierte eine Reihe flüchtiger Küsse Shinyas Hals entlang. „Hast du schon Ideen?“

 

„So einige. Und bei keiner davon bist du vollständig bekleidet.“

 

„Wer hätte das gedacht.“ Kaoru verbarg sein vorfreudiges Grinsen in Shinyas warmer Halsbeuge.

 

„Nennen wir es eine spontane Eingebung.“ Shinyas Stimme ließ Gänsehaut über seinen Körper rieseln, die im nächsten Moment von Händen verstärkt wurde, die ohne Weiteres begannen, ihn von seinem Pullover zu befreien.

 

Wie so oft versank Shinya in eine eigentümliche Stille, während er seine Hände über Kaorus Tattoos wandern ließ. Er bedeutete Kaoru mit Gesten sich aufzurichten und im nächsten Moment fand er sich bereits auf dem Rücken liegend vor, während Shinya in einem Tausch ihrer bisherigen Position über ihm lehnte. Feingliedrige Finger, in denen mehr Kraft lag, als man vermuten wollte, strichen Kaorus Arme entlang, nur um sich schließlich um seine Handgelenke zu schließen. Mit einem leisen Lächeln führe Shinya sie, bis sie über Kaorus Kopf auf der Armlehne zur Ruhe kamen. 

 

„Du solltest dich wirklich mehr entspannen“, meinte er schließlich und Kaoru konnte nicht anders als leise aufzulachen.

 

„Interessanter Vorschlag.“

 

„Oh, das war eher eine Aufforderung.“ Shinya richtete sich so weit auf, dass er rittlings über Kaorus Schoß knien konnte, sah einen Moment lang auf ihn hinunter, ehe er weitersprach. „Und ich weiß, dass du nicht gern Anweisungen bekommst, aber gleichzeitig bist du so, so gut darin, sie zu befolgen. Du brauchst lediglich den richtigen … Anreiz.“

 

Kaoru nickte, bevor er sich bewusst dafür entschieden hatte. Er hätte gern Widerspruch geleistet, aber sie wussten beide, dass es nichts als leere Worte gewesen wären. Sie kannten sich einfach zu lang und zu gut.

 

„Damit könntest du recht haben“, entgegnete er deswegen, selbst ein wenig überrascht davon, wie rau seine Stimme war.

 
 

❅❅❅

 

„Warum genau muss Winter so arschkalt sein?“ Kaoru sah der weißen Wolke hinterher, die sein Atem in der schneeklaren Luft bildete.

 

„Seit wann bist du so wehleidig?“ Shinya drehte sich zu ihm herum, ging ein paar Schritte rückwärts vor ihm weiter und Kaoru konnte nicht anders, als festzustellen, wie unfair es war, dass er perfekt in diese Kulisse passte. Während er selbst sich fühlte – und eingepackt in einen dicken Anorak auch aussah – wie ein schlecht gelauntes Michelin-Männchen, war Shinya in seinem hellen Mantel und den farblich aufeinander abgestimmten Handschuhen und Ohrenschützern ein Bild, das auch aus einer Werbeanzeige für Winterurlaub hätte stammen können.

 

„Ich bin nicht wehleidig“, protestierte er mit einiger Verspätung, streckte gleichzeitig eine Hand nach dem anderen aus. „Ich bin anscheinend nur so alt, dass ich vergessen habe, wie furchtbar kalt es im Dezember in den Bergen ist.“

 

„Miesepeter.“ Shinya trat einen Schritt näher. „Mein Miesepeter.“ Mit großen Augen sah er Kaoru an, beugte sich etwas zu ihm, als wollte er ihm ein wichtiges Geheimnis verraten. „Meinst du, du kannst brav sein und die Kälte noch ein wenig länger aushalten?“ Es brauchte nicht mehr als diese wenigen Worte, um wohlige Wärme in Kaorus Bauch entstehen zu lassen.

 

„Vielleicht?“

 

„Ich verspreche, dass es sich lohnen wird.“

 

„Na gut.“ Vollkommen unversehens hatte sich ein Lächeln auf Kaorus Gesicht geschlichen, das noch weiter wurde, als Shinya ihre Hände miteinander verschränkte. Ehe er noch etwas hätte sagen können, hob der andere seine freie Hand, um ein vermutlich halb verschwommenes Selfie von ihnen zu machen.

 

„Kyo glaubt mir sonst nie, dass ich dich tatsächlich zu einem Spaziergang in der Natur überreden konnte.“

 

„Mein Mitspracherecht hat sich in Grenzen gehalten.“ Er konnte Shinyas Augenrollen förmlich hören, während dieser das Bild kurzerhand gleich verschickte. Er hatte aufgegeben, die seltsame Art von Freundschaft der beiden zu verstehen zu wollen, die sich hauptsächlich auf einem kommentarlosen, nicht enden wollendem Strom hin und her geschickter Fotos zu begründen schien.

 

„Wenn du weiter moserst, überleg ich mir das mit der Überraschung noch mal.“

 

„Bin ganz still.“ Diesmal war es Kaoru, der den anderen an sich zog. Shinyas Lippen waren kühl, aber so weich wie eh und je, unter seinen eigenen und er konnte nicht anders als leise in den Kuss zu seufzen. Selbst wenn die einzige Überraschung an diesem Wochenende gewesen wäre, dass sie ungestört Zeit miteinander verbringen konnten, wäre er damit vollkommen einverstanden gewesen. Aber er wusste nur zu gut, wie viel Mühe Shinya in seine Pläne steckte, und das wollte er wertschätzen. Er hielt einen Moment inne, ehe er einen weiteren Kuss auf Shinyas Mund hauchte. „Danke, dass du mich aus meinem Alltagstrott entführt hast.“

 

„Für dich immer.“ In Shinyas Stimme schwangen Wärme und Amüsement zu gleichen Teilen mit, als er einen Schritt nach hinten machte, im Begriff ihren Weg fortsetzen. „Komm, ich will meine Füße noch spüren können, wenn wir ankommen.“

 

Tatsächlich legten sie den Rest des Weges großteils in einvernehmlichem Schweigen zurück, beide in ihre eigenen Gedanken und den Ausblick, den die bergige Umgebung bot, vertieft. Erst als am Ende des Pfades ein einzelnes Gebäude sichtbar wurde, hielt Kaoru mit einem misstrauischen Gesichtsausdruck inne.

 

„Bitte sag mir, dass das kein Spa ist.“

 

„Das ist kein Spa.“

 

„Wehe, du lügst mich an.“ Nun schüttelte Shinya leise in sich hineinlachend den Kopf, drückte Kaorus Hand etwas fester.

 

„Würde ich bei diesem Thema nie wagen.“ In seinen Augen blitzte der Schalk auf. „Aber keine Angst, ich bin mir ziemlich sicher, dass es dir gefallen wird.“ Der Rest des Satzes, das ‚sonst hätte ich den Aufwand nicht betrieben‘ schwebte in der klaren Bergluft zwischen ihnen. Kaoru beschloss, seinen ureigenen Drang nach Kontrolle erst einmal hintenan zu stellen – wenn er irgendeinem Menschen vertraute, dann schließlich Shinya.

 

„Ich bin gespannt“, murmelte er nur noch, hob ihre verbundenen Hände, um einen kurzen Kuss auf Shinyas behandschuhten Handrücken zu pressen. Während sie weitergingen, ließ er seine Blicke einmal mehr über die verschneite Bergwelt um sie herum schweifen, seufzte trotz der Kälte zufrieden. „Es ist wirklich schön hier.“

 

„Mh. Ich weiß.“

 

„Ich bin wirklich froh, hier zu sein.“

 

„Keine Ursache. Ist so ein Hobby von mir, weißt du.“

 

„Alternde Rockstars zu verschleppen?“

 

„Jupp. Also zumindest, wenn sie brummelig und tätowiert sind.“

 

„Na dann. Schätze, ich hab Glück gehabt, was?“

 

„Und wie.“ Shinya hielt inne und vollführte eine weit ausholende Geste, als wollte er Kaoru das Ziel ihres Spaziergangs präsentieren. „Da wären wir.“

 

„Shinya.“

 

„Ja?“

 

„Das ist ein Onsen.“

 

„Ich weiß.“ Das Lächeln auf Shinyas Gesichtszügen war geduldig. Ganz als wäre Kaoru derjenige, der gerade ein bisschen schwer von Begriff war.

 

„Wir hatten das gerade. Tattoos?“ Als Antwort bekam er ein schlichtes Schulterzucken, während der andere seine Hand aus Kaorus Griff löste und die Eingangstür des Onsens mit einer gewissen Entschlossenheit öffnete.

 

„Es gehört zum Resort. Und die nächsten“, mit der freien Hand zog er sein Handy aus der Jackentasche, um die Uhrzeit zu prüfen, „knappen drei Stunden gehört es allein uns.“

 

„Wa–?“

 

„Jetzt komm schon, schlag keine Wurzeln hier draußen.“

 

Kaoru beeilte sich Shinya nach drinnen zu folgen, nur um ihn in einer Umarmung einzufangen und mit einem Kuss gegen die nächste verfügbare Wand zu drängen.

 

„Du hast ein Onsen für uns gemietet?“

 

„Schlimm?“

 

„Du bist irre und ich liebe dich dafür.“

 

Shinya antwortete ihm nicht, aber der Ausdruck auf seinem Gesicht und die Wangen, die nicht nur von Kälte gerötet waren, sprachen ohnehin Bände. Sie verharrten einige Augenblicke so, ehe Shinya seine Arme um Kaorus Nacken legte, um ihn noch etwas näher zu sich zu ziehen, bis sie Stirn an Stirn standen.

 

„Was hältst du davon, wenn wir diese drei Stunden nutzen, um uns richtig schön … aufzuwärmen?“

 

Erneut konnte Kaoru nicht anders, als die Worte seines Geliebten von dessen Lippen zu küssen.

 

„Sehr, sehr viel.“

 
 

❅❅❅

 

„Willst du nicht wieder reinkommen?“

 

Kaoru sah aus der Starre auf, in die er irgendwann genauso versunken sein musste, wie im Anblick der verschneiten Berghänge, die sich vor der Veranda der Hütte ausbreiteten. Er schenkte Shinya ein kleines Lächeln und streckte unter seiner Decke hervor die Hand nach ihm aus.

 

„Komm doch mit her?“

 

Shinya, folgte seiner Bitte, auch wenn er dabei die Augen verdrehte, kletterte zu ihm auf die Bank und stahl sich in Kaorus wärmenden Kokon. 

 

„Du wirkst nachdenklich“, meinte er schließlich, bettete seinen Kopf auf Kaorus Schulter, als könnte er seinem Blick und seinen Gedanken so besser folgen. 

 

„Vielleicht.“ Kaoru legte einen Arm um seinen Partner, zog ihn noch etwas dichter an sich.

 

„Magst du darüber reden?“

 

„Mh.“ Er drehte seinen Kopf, presste einen kleinen Kuss auf Shinyas weiches Haar, atmete den Duft von Kokos-Shampoo ein. „Ich hab mich nur gefragt, warum wir uns solche Auszeiten nicht öfter gönnen. Oder, nein. Nicht die Auszeiten. Die Ruhe?“ Kaoru seufzte. „Irgendwie haben mir die letzten Tage bewusst gemacht, wie sehr mich die Großstadt manchmal ankotzt.“

 

„Das ist doch gut? Also die Erkenntnis, meine ich?“ Shinyas kalte Nasenspitze fuhr sachte an Kaorus Kiefer entlang, bevor ebenso kühle Lippen seine Wange küssten.

 

„Ich weiß nicht.“

 

„Ich schon.“ Er spürte, wie Shinyas Lippen sich zu einem Lächeln verzogen. „Die Frage ist, was du daraus machst.“

 

„Gute Frage.“ Kaoru sah den anderen aus den Augenwinkeln an. „Vielleicht muss ich mir nächste Weihnachten einfach ein Haus irgendwo auf dem Land von dir schenken lassen.“

 

„Vielleicht, ja.“ Shinyas Hand fand seine eigene, drückte sie unter der Decke leicht. „Oder versuchen es eine Nummer kleiner, und suchen uns etwas, das nicht mitten in Tokyo liegt.“

 

„Würde alles komplizierter machen.“

 

„Vielleicht“ Shinya verharrte einige Momente in Stille, betrachtete die winterliche Landschaft ebenso wie Kaoru es getan hatte, ehe er sich etwas aufrichtete. „Komm mit nach drinnen. Ich hab ein Feuer im Kamin gemacht.“

 

„Willst du mich ganz stereotyp auf dem Bärenfell davor vernaschen?“ Statt in Kaorus Lachen einzustimmen, erhob Shinya sich, sah mit leicht hochgezogenen Augenbrauen auf ihn herunter.

 

„Wer weiß? Es gibt nur einen Weg, um es herauszufinden.“

 

Mit diesen Worten verschwand er wieder im Inneren der Hütte, ließ Kaoru kopfschüttelnd, aber schmunzelnd zurück. Irgendwie wirkte die Welt in Shinyas Worten oft so viel einfacher, als wenn er selbst über sie nachdachte.

 

Kaoru seufzte einmal mehr, zog die Decke, unter der er nun ohne Shinyas Nähe auskommen musste, enger um sich. Nur ein paar Minuten noch, dann würde er der Kälte entfliehen und sich in der Wärme des anderen entspannen. Nur ein paar Minuten, in denen er seine Gedanken schweifen lassen und die Umgebung auf sich wirken lassen konnte. So sehr er alles wertschätze, was Shinya für sie organisiert hatte, nichts tat ihm gerade so gut, wie die eisige Stille der Berge, denen er und seine Gedanken so offensichtlich vollkommen egal waren. Es half ihm, die richtige Perspektive zu finden. Ein weiteres eindeutiges Zeichen dafür, dass er zu viel Zeit mit seiner Arbeit verbracht hatte.

 

Als er schließlich ein kaltes Schaudern nicht mehr unterdrücken konnte, richtete Kaoru sich in seine Decke gewickelt auf und ging mit vorsichtigen Schritten über die Veranda zur Tür ihres kleinen Blockhauses. Kaum, dass er sie geöffnet hatte, schlug ihm wohlige Wärme und der Geruch von Feuerholz entgegen. Er hatte sich gerade von seinem improvisierten Umhang befreit, als sein Blick am Kamin hängen blieb. Oder eigentlich eher an dem, was sich davor befand. 

 

Eigentlich war sein Kommentar nicht mehr als ein Scherz gewesen, aber tatsächlich hatte Shinya auf das Fell, das klassisch vor der Feuerstelle lag, noch einige Kissen und dann sich selbst drapiert. Er lag auf dem Bauch, in der einen Hand sein Buch, in der anderen ein Glas Wein und sah im weichen Licht des Feuers geradezu unwirklich aus. Kaoru hätte nicht sagen können, wie er das Gefühl beschreiben sollte, das sich bei dem Anblick in ihm ausbreitete, aber ‘nach Hause kommen’ erschien ihm wie eine passende Variante.

 

So leise er konnte, ging er auf Shinya zu, um sich neben ihm auf dem Boden niederzulassen. Er streckte eine Hand aus, strich damit federleicht über Shinyas Wange und von dort über Schulter und Rücken, die von einem weichen Strickpullover bedeckt waren.

 

„Ich weiß, dass du es weißt, aber du bist das Beste, was mir je passieren konnte.“

 

Er sah, wie sich Shinyas Lippen zu einem Lächeln verzogen und beobachtete, wie der andere sich etwas aufrichtete, um sein Buch beiseitezulegen. Dann endlich sah er Kaoru wieder an und die Wärme in seinem Blick machte ihn beinahe sprachlos.

 

„Besser hätte ich es nicht sagen können.“ Ohne ihren Blickkontakt zu unterbrechen, kam Shinya näher, bis er rittlings auf Kaorus Schoß saß und beide Arme über seine Schultern legen konnte. 

 

Wie aus Reflex verbarg Kaoru sein Gesicht in Shinyas Halsbeuge, atmete seinen vertrauten Geruch, vermischt mit dem des Kaminfeuers, tief ein und hatte endlich das Gefühl wieder bei sich selbst anzukommen.

 

„Vielleicht sollten wir das zu einer Tradition machen.“

 

„Seit wann hast du was für Traditionen übrig?“

 

Kaoru hob den Kopf, damit er Shinya wieder in die Augen sehen konnte.

 

„Seit ich festgestellt haben, dass wir einfach unsere eigenen erfinden können.“

 


Nachwort zu diesem Kapitel:
Auch wenn schon der zweite Feiertag ist, ich wünsche euch allen noch ein shcönes Restweihnachten und kommt gut ins neue Jahr <3

ps: Den Titel habe ich dreist aus "Like a Gift from God or Whatever" von Chris Farren geklaut, was arguably eins der coolsten Weihnachtslieder ist. Komplett anzeigen

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