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Des Nachts sind die Labore still

Wie Josh zu Mael fand
von

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Date

Kapitel 7: Date
 

Für ein Essen unter zukünftigen Kollegen war ich viel zu aufgeregt und aufgebrezelt. Dabei sagte ich mir ständig, dass es kein Date war. Und daran war nur Elias schuld.
 

Als ich von meinem Gespräch mit McFloyd zurückkam, begrüßte mich Elias im Labor. Ich erzählte ihm von dem Gespräch und das ich dem Team mit Joshua zugesagt hatte.
 

„Klasse! Ich wusste du würdest es machen. Obwohl ich gestehe, dass ich mir erst nicht sicher war.“
 

„Warum das nicht? Der Chef sagte du hättest mich über den Klee gelobt.“
 

Elias lachte. „Nun übertreibe nicht. Aber ja, ich hatte deine Arbeit gelobt. Teamarbeiten bieten einige Vorteile, da man sich schwierige Projekte besser einteilen kann. Aber wenn die Teammitglieder nicht gut harmonieren, wird es schwierig. Dazu bist du noch ein Welpe. Normalerweise vergibt man hier Teamarbeiten erst im zweiten Jahr. Neulinge, wie du, kommen gar nicht an so gute Angebote.“
 

Ich hatte aufgehorcht beim Wort Welpe. Hatte Elias das letztens nicht erst benutzt? Draußen vor der Tür im Gespräch mit Joshua? Ich dachte wirklich es handelte es sich um Hunde! Nicht um eine alternative Bezeichnung für Neuling oder Frischling. Zum dritten Mal an diesem Morgen raste mein Puls, aber ich wollte keine voreiligen Schlüsse ziehen.
 

„Du bist zu gut zu mir. Hab vielen Dank“, sagte ich und verneigte mich, auf meinem Stuhl sitzend, vor ihm.
 

„Ha! Nicht der Rede wert. Und sonst? Ist noch was passiert?“
 

„Was meinst du?“
 

Elias grinste auf wissende, unheimliche Weise. „Ich habe gehört du bist Joshua auf dem Flur begegnet.“ Öhm, ja, schoss es mir durch den Kopf. „Gut! Der Buschfunk ging anders. Er besagt, dass du, der Neuling, sich vor dem Grafen demütig auf den Boden geworfen hast, weil du ihm letzten Freitag so blamiert haben sollst und nun seine Rache fürchtest.“
 

Ich verzog verstimmt mein Gesicht, rechnete es Elias aber an, dass er aus diesem Kontext den eigentlichen Sachverhalt hatte erschließen können.
 

„Ich bin ihm tatsächlich im Flur begegnet und habe mich für mein Verhalten am Freitag entschuldigt. Danach hat er mich gefragt, ob ich mit ihm Essen gehe.“
 

Elias rutschte aufgeregt auf seinem Stuhl nach vorne. „Uhhh, ein Date?“
 

Ich sah ihn mit hochgezogenen Brauen an. „Warum ein Date? Es ist ein Essen, weil wir neue Kollegen werden. Das hat er selbst gesagt.“
 

„So? Nun, dann eben erstmal so. Dabei klang er so zuversichtlich letztens.“ Elias Laune sank von hoch interessiert auf solala. Den letzten Satz murmelte er in seinen Bart. Ich hörte ihn trotzdem.
 

Etwa seit diesem Zeitpunkt wurde mir immer mal wieder flau im Magen. Hatte Joshua mich nach einem Date Fragen wollen? Unwahrscheinlich! Sicherlich Joshua stand mitunter auf Männer, aber ich hatte Elias deutlich gemacht, dass ich es nicht tat. Wiederum erinnerte ich mich an das belauschte Gespräch. Wenn nicht die Rede von Hundejungen war, sondern von einem unerfahrenen Menschen, den Joshua sich angeln wollte, wurde das Date doch wahrscheinlich. Allerdings war es gemein von den beiden mich als Unerfahren abzustempeln. Sie wussten doch nichts von mir! Wiederum war das genau der Knackpunkt. Vielleicht wollte Joshua sein Glück einfach versuchen, obwohl ich gesagt hatte, dass ich auf Frauen stand und galt gerade deswegen als Welpe unter Schwulen (auch wenn Elias nicht Schwul war).
 

Nein, es war ein Essen! Mein letztes Date war Jahre her und alles andere sogar noch länger. Würde ich hier auf ein Date warten, wäre ich verloren! Joshua war die Art Date mit der du durch die Straßen gehen konntest und alle drehten sich nach ihm um. Er sah viel zu gut aus, um auf Dates zugehen! Und wenn er lächelte, schmolzen alle dahin. Frauen wie Männer. Sogar ich. Nein, es war ein Essen! Mit Joshua auf ein Date zu gehen … ich konnte es mir nicht vorstellen, spürte aber, dass ich mich trotz aller Aufregung ziemlich drüber freute. Direkt neben ihm zu gehen, fühlte sich sicher toll an.
 

Mir kam unser Gespräch auf dem Flur wieder in den Sinn. Wie er sich zunächst gefreut und wie er nach meiner Frage reagiert hatte. Was, wenn er nur so erschüttert gewesen war, weil ich seine Einladung nur als Essen unter Kollegen verstand und nicht als Date? Dass er deswegen so betrübt geworden war. Die Vorstellung gefiel mir. Trotzdem schüttelte ich leicht meinen Kopf. Es war ein Essen. Alles andere war nur meine Wunschvorstellung, weil ich ihn ein kleines bisschen attraktiv fand.
 

Ich hatte noch nie so ein gutaussehendes Date. Laut den Gegebenheiten des Universums würde ich auch nie ein solches bekommen. Die Menschen, die ich attraktiv fand, standen nicht auf Leute wie mich. Und die Leute die auf mich standen, sagten mir nicht zu. Dabei war es immer ein anderer Grund. Oftmals roch mein Gegenüber zu stark oder nicht gut genug. Oder unsere Gesprächsthemen klafften Welten auseinander. Die Hobbys passten nie zusammen. Und alle, wirklich alle, bisherigen Datepartner und One-Night-Stands sagten das gleiche über mich.
 

Ich sehe hübsch aus. Mein Lächeln wäre schön. Man kuschelte gut mit mir.
 

Es gab noch mehr, aber das waren so die Top drei. Ich konnte mir nicht vorstellen, wie Joshua so jemanden gebrauchen würde. Er war derjenige, dem ich nachsah, weil sein Hintern knackig war. Ich war derjenige, an dem er vorbeilief, weil sein Handy interessanter war.
 

Die Dinge, die meine Ex-Anbändelungen sagten, waren nicht negativ. Aber sie waren nicht das was ich hören wollte. Jeder hatte doch so ein paar Dinge, die er an sich selbst besonders hochschätzte. Dazu kam, dass ich jedes Mal etwas anderes fand, was mich an dessen Charakter oder Aussehen störte. Aber das waren auch nur Ausflüchte. Meine Freunde betonten meine aussiebende Art oft genug und ich selbst war mir dessen nur allzu bewusst. Natürlich wusste ich es! Schließlich kannte ich den Grund für diese Ausflüchte.
 

Die meisten meiner Dates gingen nicht von mir aus. Ich war mitgegangen, weil es sich gerade angeboten hatte. Ich fand mein Gegenüber weder sympathisch noch hübsch oder interessant. Kurz: Ihr Anblick weckte keine Gefühle. Zuerst hatte ich es auch nicht verstanden, aber dann dämmerte mir, wo das Problem lag. Ich verglich sie unlängst mit meinem Crush. Meiner ersten großen Liebe. Sie war groß gewesen. In Gefühlen von mir ausgehend, in Verwirrung und Ablehnung gleitend, hin zu dem Korb, den ich erhalten hatte. Bei einem Korb denkt man, dass man leichter über all das Liebesgedöns hinwegkam. Pustekuchen! Damals sah ich meinen Crush fast täglich und die Nähe war kaum auszuhalten. Um nicht mehr daran zu denken, lenkte ich meine Gefühle in Abneigung und Hass. Ich suchte mir irgendwelche lapidaren Dinge heraus, die ich der Person in Gedanken vorhalten konnte. Es half für einige Zeit. Aber mit den Jahren wurde es anstrengender. Just als ich dachte, endlich wieder normale Dates zu haben, fiel mir auf, dass ich jeden neuen potenziellen Lover mit dem Crush verglich. Das machte mich wieder fertig. Es verging eine Zeit in der ich mich deshalb ziemlich abschottete. Schließlich war ich eines Nachts etwas trinken und traf eine adrette Dame, mit der ich einige schöne Gespräche führte. Nach genügend Alkohol schüttete ich ihr mein Herz aus. Mich daran zu erinnern, war immer noch peinlich. Die Dame indes hatte einige gute Ratschläge für mich.
 

Ratschlag Nummer eins: Verlieb dich richtig. Eine neue Liebe lässt dich alle vorherigen vergessen. Nur war das, meiner Meinung nach, nicht so einfach.
 

Ratschlag Nummer zwei: Lebe. Mach alles wonach dir der Sinn steht! Egal, ob es sich um Alkohol, Sex, Reisen, das Lernen einer neuen Sprache oder Töpfern handelte. Ich sollte mich beschäftigen und das tat ich auch.
 

Ratschlag Nummer drei: Hab Sex. Nun, diesen Rat gab sie mir nur, weil sie mittlerweile ziemlich angefeuert gewesen war. Wir scherzten noch eine ganze Weile darüber, ehe wir uns für etwas Zweisamkeit zurückzogen.
 

Ihr Rat war nicht falsch. Der Beischlaf mit ihr war schön gewesen und lenkte ab. Aber mir persönlich entsprach es nicht. Einmal oder so ging ja noch. Auf das Jahr gerechnet. Aber mehrmals? Lieber würde ich Rat Nummer Eins befolgen und mit jemanden ins Bett gehen, den ich liebte. Aber das stand wirklich noch in weiter, weiter Ferne.
 

Ich war gedanklich etwas abgedriftet, als sich jemand neben mich stellte.
 

„Guten Abend.“
 

Überrascht sah ich auf. Im ersten Moment war ich sprachlos, dann lächelte ich und stand auf. „Abend, Joshua.“ Alle eben durchdachten Gedanken wirbelten nun wild in meinem Kopf, ehe keiner mehr greifbar war. Nur ein leichtes Kribbeln verweilte in meinen Fingern.
 

„Entschuldige, bin ich zu spät?“, fragte Joshua und sah auf sein Handy. Ich schüttelte nur den Kopf.
 

„Nein, ich war einfach zu früh. Bin zu früh losgegangen“, weil ich viel zu nervös gewesen war.
 

„Na dann, können wir?“ Ich nickte und trat an seine Seite. Mein Herz machte einen kleinen Satz. Wir gingen gemütlich und nach wenigen Schritten sah ich flüchtig zu ihm rüber. Er war genauso adrett, wie ich es mir vorgestellt hatte. Aber in echt wirkte er viel hübscher. Aus Scham hätte ich weggesehen, doch bemerkte ich, dass auch er zu mir schielte. Amüsiert beugte ich mich vor und grinste ihn an.
 

„Was denn?“ Joshua reagierte nicht hektisch, aber so wie er zur Seite sah und seinen Mund etwas verzog, merkte ich, dass ich ihn erwischt hatte.
 

„Du siehst heute den ganzen Tag schon anders aus“, gestand Joshua.
 

„Anders gut oder anders schlecht?“, stichelte ich weiter. Joshua sah mich wieder an. Sein Blick so klar und direkt.
 

„Anders gut.“
 

Ich schluckte schnell und sah weg. Das waren erst fünf Minuten! Nicht rot werden, noch nicht! Ich biss mir innen leicht auf die Lippe, ehe ich antwortete. „Danke dir. Ich hatte wirklich schiss vor dem Gespräch mit McFloyd. Ich dachte, so würde ich eher überleben.“
 

„Dabei ist er nicht so schlimm wie er manchmal aussieht.“
 

„Ja, hab ich gemerkt! Wenn ich dir Freitag nur zugehört hätte, wäre mein Wochenende ruhiger verlaufen.“ Ich spielte mich etwas als Leidtragender auf, jedoch „mh“te Joshua nur amüsiert. „Wusstest du da schon, dass ich in dein Team kommen soll?“
 

„Nein. Das habe ich heute auch erst erfahren.“
 

Mein Herz machte einen Satz vor Freude und ein Teil von mir dachte sich, dass Joshua mich dann vielleicht doch nicht als „Kollegen“ zum Essen hatte einladen wollen. Dieser Bruchteil von Freude wurde von seinem mürrischen Gesicht schnell zurückgedrängt.
 

„Ich mag keine Teambildung. Leider hatte ich dahingehend nur unfähige Kollegen.“ Mein Lächeln verwandelte sich in etwas Verlegenes, ehe ich auf meine Schuhe sah. „Aber ich denke, mit dir könnte es besser werden“, fügte Joshua nach einer Weile hinzu.
 

„Ich werde mein Bestes versuchen“, gab ich mit motivierter Stimme zurück. Ganz freuen konnte ich mich aber doch nicht. Joshua hatte kein Team gewollt, also … drängte mich der Chef ihm auf. Weil er zu wenig soziale Kompetenzen besaß? So lange die Ergebnisse stimmten, war das doch egal. „Wo gehen wir eigentlich hin?“
 

„Dahinten gibt es ein tolles Steakrestaurant. Die Preise gehen auch“, antwortete Joshua.
 

„Ah, das. Da bin ich bisher immer nur dran vorbeigelaufen“, gestand ich. „Man kann sogar draußen sitzen. Hmm, wollen wir?“, fragte ich ihn und sah wieder zu Joshua. Er blinzelte und nickte schlicht. „Gut.“ Ich griff nach seinem Handgelenk und zog ihn mit mir. Dates hin oder her. Egal! In solchen Momenten, wenn er verdutzt blinzelte und nicht so allmächtig und cool war, fühlte ich mich ihm ebenwürdig. In solchen Momenten kam immer dieses verspielte Kleinkind in mir durch. Die Art, die impulsiv losstürmte und den mitriss, den er am ehesten zu greifen bekam. Und was auch immer es werden sollte, Rat Nummer zwei sagte klar, habt Spaß.
 

Wir saßen am Tisch und studierten die Karte. Ich hatte einen tollen Blick auf die Fußgängerzone, ohne dass ich zu nah an den Passanten dran war. Die Atmosphäre war luftig und etwas mediterran. Meinen Blick schweifen lassend, spürte ich, dass ich beobachtet wurde. Schließlich fragte Joshua: „Sag mal, wo wir nun Teamkollegen sind, darf ich dich bei deinem Namen nennen?“
 

Etwas verwirrt sah ich ihn an. „Sicher.“ Hatte er das nicht schon gemacht? Meine Fragen wie und warum Joshua fragte, ebbten ab, als ich sah wie er sich darüber freute. Ein angenehmer Schauer kroch mir den Rücken runter. Ich ließ die Passanten sein und stützte mein Kinn auf meinem Handballen ab. Interessiert musterte ich ihn. Joshua studierte seine Karte ziemlich genau. Sehr genau. „Darf ich dich dann auch Josh nennen?“
 

Ohne aufzusehen kommentierte er: „Nur meine Familie und enge Freunde dürfen mich so nennen.“ Mir sank etwas der Mut… „Aber ich würde mich freuen, wenn du mich so nennst.“
 

Joshua lunschte über den Rand der Karte und ich grinste breit. Joshua reden zu lassen, bescherte mir mehr positive Gefühle, als ich mir schlecht reden konnte. Dennoch sammelte sich in meinem Bauch konsequent so ein mulmiges Gefühl. Noch wusste ich nicht weswegen, aber meist hatte mein Bauch recht. Irgendwas kam noch …
 

Davon und von der Tatsache, dass Joshua meiner Meinung nach vielleicht etwas wortkarg, aber nicht unbedingt eigenbrötlerisch, war, mal abgesehen, fragte ich mich, wie ich seine sozialen Kompetenzen mal überprüfen könnte. Der Chef steckte mich doch nicht zum Spaß mit Joshua in ein Team. Er dachte sich etwas dabei und ich wollte unbedingt wissen was! Joshuas Kompetenzen konnten es jedenfalls nicht sein. Wenn Joshua mit mir ganz normal reden konnte, warum dann nicht auch mit anderen? Während meine Gedanken zum Chef und unser Gespräch wanderten, um vielleicht einen Anhaltspunkt zu finden, schoss mir Elias gedanklich dazwischen. Zu meinem Glück kam der Kellner und nahm unsere Bestellungen auf. Dadurch konnte ich mich noch eine Sekunde länger sammeln und nicht gleich verlegen unterm Tisch rutschen.
 

Als der Keller gegangen war, lehnte ich mich wieder vor und stützte meinen Kopf erneut ab. Eine dumme Angewohnheit. Ich habe mir angewöhnt gestisch immer dann auf Aktivität und Attacke zu setzten, wenn ich mich eigentlich vor Schüchternheit oder Verlegenheit hinter etwas verstecken wollte. Es hatte selten den Effekt, den ich damit erzielen wollte, aber gut.
 

„Sag mal, Elias hatte mich gefragt, ob das hier ein Date ist“, sagte ich lässig. „Ich sagte ihm, dass wir nur als Kollegen essen gehen. Aber … ist das hier ein Date?“ Mir schlug das Herz bis zum Hals. Joshua indes wirkte ruhig und gab sich keine Blöße. Dabei hatte ich extra langsam geredet, um mögliche Reaktionen von ihm ablesen zu können. Sein Mundwinkel hatte beim Wort Kollegen gezuckt, aber das war ja zu erwarten gewesen, wenn Joshua sonst auch keine Kollegen und Teamarbeiten mochte. Joshua erwiderte meinen Blick, ehe er die Augen kurz schloss und sich in seinem Stuhl etwas zurücklehnte.
 

„Ja, ich hatte dich danach fragen wollen.“
 

Meine Augen weiteten sich ein Stück. Die Freude, welche ich darüber empfand, wurde von dem Automatismus ein Date haben zu können geblockt. Selbst ein Date mit Joshua. Meine übliche Abwehr fuhr hoch und mein inneres Selbst stand nur daneben und riss sich vor Frust an den Haaren.
 

Ich lächelte freundlich und lehnte mich dann ebenfalls im Stuhl zurück. Unbewusst spielte ich auf Abwehr und Distanz. „Warum? Ich habe Elias doch gesagt, dass ich auf Frauen stehe.“ Ich klang viel zu amüsiert.
 

„Ich fand dich interessant. Und ein Date ist nur zum abtasten da. Aber da wir nun Kollegen sind, ist es nicht mehr angebracht.“ Joshuas Blick streifte mich nur. Sein Blick war ernst wie immer und mein Lächeln verschwand allmählich auch. Die Stimmung wurde dicker, je länger wir schwiegen.
 

Auch wenn Joshua scheinbar strickt gegen Romanzen am Arbeitsplatz war, hieß das nicht, dass das hier für die Katz‘ war. Doch obwohl meine Abwehr aktiv war, schlug mein Herz viel zu schnell und ich war viel zu enttäuscht von seinem Wortlaut. Er „fand“ mich interessant, war wie ein Schlag ins Gesicht. Zudem ärgerte es mich, Joshua so verschlossen vor mir sitzen zu sehen, wobei er eben noch so freiheraus gelächelt hatte. Mir war klar, würde ich jetzt schweigen, liefe das hier ab, wie immer. Aber … ich wollte nicht, dass das hier wie immer ablief.
 

„Ein Date ist nur zum abtasten da, hm?“ Mein Mundwinkel zuckte flüchtig nach oben. „Dann waren meine bisherigen Datepartner nicht so taktvoll wie du. Trotzdem … Wenn du mit einer Heterofrau auf ein Date gehst, ist das eine Sache. Aber ein Heteromann? Hat das jemals geklappt?“
 

„Es kommt immer auf einen Versuch an. Die meisten, die sich als Hetero deklarieren, sind Alternativen gegenüber am aufgeschlossensten.“
 

Ich schmunzelte. „Und du denkst, ich bin aufgeschlossen?“
 

Joshua sah mich unerwartet ernst an und hob eine der eleganten Augenbrauen. „Willst du anderes behaupten?“
 

Etwas sprachlos dasitzend, sah ich zum Kellner, der unsere Getränke brachte. Ich nickte ihm zu und sah zur Straße. Was soll das heißen, ich behaupte anderes?! Natürlich behauptete ich anderes, immerhin …
 

Joshua lehnte sich vor und verschränkte die Arme auf dem Tisch. „Heutzutage ist jeder neugierig. Kennst du die Statistiken dazu? Seit Schwulen und Lesben für ihre Rechte kämpfen, steigt die Zahl von sich outenden Personen stetig. Letztes Jahr sollen es um die 20% der zwischen Achtzehn und Dreißig Jährigen gewesen sein. 64% bezeichnen sich als Bi. 11% enthalten sich. Wobei zu vermuten ist, dass sich unter diesen 84% einige Falschaussagen befinden. Sei es wegen der Religion, Enthaltungen oder transgender. Die reale Anzahl der strickten Heteros liegt bei 5%. Nicht gerade viel. Und du willst mir sagen, dass du so ein seltenes Juwel bist?“
 

Joshua bedrückt zu erleben, war bedrückend. Aufgemuntert und triezend war er jedoch schlecht für mein Herz. Ich fand es schön, dass er mit Statistiken um sich warf. Diese kannte ich übrigens selber. Trotzdem musste er mich dabei nicht so amüsiert-fixiert ansehen…
 

„Ich bin kein Juwel. Ich bin normales Mittelmaß. Klassisch und langweilig.“
 

Joshua sah zur Seite und beobachtete die Passanten. Schließlich deutete er auf einen Mann mittleren Alters in einem grauen Anzug mit Aktentasche. „Für mich ist er normales Mittelmaß. Und der da wäre Mittelmaß und langweilig.“ Joshua zeigte auf einen Jugendlichen in schwarzen Jogger und einem Hoody, die Kapuze über den Kopf gezogen und eine dieser schlabbrigen Männertäschchen um die Schulter geschwungen.
 

„Ohne Täschchen und mit Kopfhörern und einem Buch könnte ich das sein.“
 

„Bei dir würde das ein ganz anderes Bild ergeben.“ Ich schnaufte des Komplimentes wegen und schwieg. Joshua sah sich weiter um. Diesmal deutete er auf eine Frau mit süßem, knielangem Rock und einer Bluse, alles in sanften Pastellfarben. Ihre Haare waren offen und wehten beim Gehen. Ihr Gesicht war süß und streng zugleich.
 

„Was hältst du von ihr?“
 

„Hmm, Mittelmaß.“
 

„Und die Dame mit dem unheimlich wichtigen Kostüm da drüben?“
 

„Zu steif. Ihr Gesicht sie aus wie eine getrocknete Pflaume.“
 

„Stimmt“, sagte Joshua und ich hörte das Grinsen in seiner Stimme.
 

Davon beflügelt fragte ich: „Gibt es unter all den Passanten jemanden den du als adrett oder cool bezeichnen würdest?“
 

Joshua sah sich eine Weile um. Er zeigte auf gerade Mal zwei Leute. Eine Frau mit langen, leicht gewellten, brünetten Haaren. Sie trug Jeans und ihr Makeup war dezent. Und einen Mann mit grauen Augen und kantigem Gesicht. Seine Haltung war entspannt und die Hose betonte seinen Hintern. Seine Hände hielten ein Notebook, doch waren die Finger zu lang.
 

„Nur zwei von so vielen?“, fragte ich nach.
 

„Na ja. Die Person auf die diese Beschreibung am besten zutreffen würde, sitzt vor mir und ist leider nicht unter den Passanten zu finden.“ Ich schloss kurz die Augen und versuchte nicht rot zu werden. Darum tat ich so, als hätte ich nichts gehört.
 

„Wie ärgerlich. Wenn ich fragen darf, was genau hat dich an den beiden fasziniert? Die Frau hatte zwar schöne Haare, aber ihr Modegeschmack war solala. Der Mann hatte viel zu drahtige Finger und seine Augen sind grau wie deine. Das passt doch nicht zusammen.“
 

Joshua wandte sich mir wieder vollends zu. Sein Lächeln feist und mit einem Hauch verspielter Boshaftigkeit. Ich schluckte unmerklich und nahm einen großen Schluck von meiner Cola. Als ich wieder aufsah, musterte mich Joshua immer noch, aber normaler. Innerlich atmete ich erleichtert aus.
 

„Interessant was du dir von den beiden gemerkt hast. Und du stehst wirklich nur auf Frauen?“, fragte Joshua nach.
 

„Hatte ich bereits erwähnt.“
 

„Hm, glaube ich nicht. Jedenfalls nicht nur.“ Ich sagte nichts und trank noch einen Schluck. „Die Frau hatte deutlich mehr zu bieten als nur ihre langen Haare. Die Brüste, Lippen und Taille hast du gar nicht beachtet. Dafür hast du aber den Mann ziemlich genau betrachtet. Du wusstest sogar seine Augenfarbe. Bei solchen Aussagen könnte man glatt denken, du stehst zumindest zum Teil auf Männer.“ Ich prustete in meine Cola. Zu laut stellte ich sie auf den Tisch und beugte mich zur Seite, um das Verschluckte abzuhusten.
 

War er denn… war er denn bescheuert?! Sowas konnte er doch nicht ohne Vorwarnung bringen! Während ich nach Luft hustete, spürte ich eine Hand auf meinem Schulterblatt. Joshua redete mit dem Kellner und spendete mir Komfort. Ich hustete noch etwas nach, aber nur, weil mein Herz spontan einige Hüpfer tätigen musste.
 

„Alles in Ordnung?“, fragte Joshua als ich wieder aufrecht saß. Ich wischte mir mit der Serviette den Mund ab und lehnte mich im Stuhl zurück.
 

„Ja, danke.“ Sekunden später wurde unser Essen gebracht und wir aßen schweigend.
 

Als die akute Gefahr, am Steak zu ersticken, nicht mehr bestand, ließen wir auch die Albernheiten beiseite und besprachen unsere zukünftige Teamarbeit. Dies hier war ja kein Date, sondern ein Essen unter Kollegen. Kollegen konnten auch rumblödeln und ich war froh darüber, Joshua als Freund und Kollege näher gekommen zu sein. Das unangenehme Stechen hier und da, das Rutschen des mulmigen Gefühls in meinen Bauch wie ein unruhiges Kind vor seinen Süßigkeiten, schob ich konsequent beiseite.
 

Wenn unser Rumblödeln qualitativ gewesen war, so war diese erste Teambesprechung quantitativ. Ich erfuhr so viel mehr über Joshua und er von mir, dass man es in Zockerkreisen als Cheating bezeichnen könnte.
 

Zunächst erzählte mir Joshua alles, was ich noch unbedingt wissen musste. Dabei zeigte sich, dass ich noch sehr wenig wusste und mich in den Pausen und Ruhephasen des Experimentes unbedingt belesen musste. Joshua zog einen Stift von wer weiß woher und schrieb mir einige Buchtitel und Autoren auf die unbenutzte Serviette. Ich faltete sie und steckte sie sorgsam in meine Hosentasche. Beim Planen der Arbeitszeiten wurde es schwieriger. Da Joshua der Teamleiter war, ließ ich ihm den Vorrang. Ich erklärte, dass ich alleine lebte, schnell beim Labor war und sonst auch keine Verpflichtungen hatte.
 

„Du bist in keinem Verein oder so was?“, fragte er nach. Ich verneinte nur und meinte, dass ich zwar ab und an mal Zocken würde, aber sonst kaum draußen war. Außer zum Freunde treffen, betonte ich, ließ aber weg, dass das seit Monaten nicht mehr der Fall war. Wenn ich mich so reden hörte, war mein Leben wirklich schrecklich langweilig geworden. Alles was ich lernte, waren Sprachen oder ich las Statistiken. Damit konnte ich mich einen ganzen Tag beschäftigen ohne mich zu langweilen. Nur der Hunger trieb mich hoch oder die Toilette. Ich konnte zwar ganz gut kochen, aber die Faulheit siegte oft genug, sodass sich schon einige Pizzaschachteln in meinem Flur stapelten. Anfangs war ich sogar joggen gegangen. Nun war es eher ein kurzer Spaziergang.
 

Joshua erfuhr natürlich nur die Dinge, die nicht allzu peinlich waren und mich nicht als einsamen Junggesellen dastehen ließen. Ich brachte alles mit überzeugender Motivation heraus, also ging ich davon aus, dass er mir glaubte.
 

Joshua lehnte sich mit einem Lächeln zurück und gab mehr von sich preis. Er war ebenfalls Alleinstehend. Allerdings wohnte er in der Innenstadt. Mit dem Auto war es gut zu schaffen, doch je nach Verkehrslage brauchte er eben länger. Das war ein Grund warum er lieber nachts arbeitete. Die Straßen waren dann immer in die entgegensetzte Richtung verstopft. Er hatte keine Haustiere, keine Vereine oder Kurse. Ich hätte am liebsten nachgefragt, wie es mit Freunden aussah, denn scheinbar hatte er sich mit Elias ziemlich lange nicht mehr privat getroffen. Es konnte doch schlecht sein, dass wir beide so spärlich aufgestellt waren…?
 

Das Joshua keine Haustiere hatte, ließ mich aufhorchen. Ich war mir jetzt sicher, dass weder Elias noch Joshua damals über einen Hund gesprochen hatten, als sie von Welpen redeten. Elias hatte sich am Vormittag bereits verraten und Joshua eben gerade. Das bedeutete, dass die Beiden über jemanden gesprochen hatten, den sich Joshua aneignen wollte. Den Wortlauten nach konnte es sich nur um einen neuen Partner handeln und dummerweise dachte ich dabei zuerst an mich. Warum sonst hätte Elias gesagt, dass Joshua so zuversichtlich geklungen hatte? Und hatte eben dieser nicht vor einer halben Stunde gestanden, dass er mich zu einem Date hatte einladen wollen? Mein Herz machte einen neuen Sprung und meine Gedanken wurden so wirr und ungreifbar, dass ich es aufgab tiefer darüber nachzudenken. Denn Fakt war ebenso: Wir waren Kollegen und Joshua trennte Privat und Arbeit akribisch, wie es schien. Und ich selbst hatte ihm vorhin mehrfach einen Korb gegeben.
 

Nachdem wir unsere Arbeitszeiten geklärt und bezahlt hatten, schlenderten wir noch etwas durch die Straßen. Wir richteten uns nach Joshuas Arbeitszeiten. Von Samstag bis Montag wären wir tagsüber im Labor von Dienstag bis Donnerstag nachts und Freitag war frei. Mir gefiel der Plan ziemlich gut und es machte mich nervös daran zu denken, wirklich mit dem Grafen der Nacht zusammenzuarbeiten. Vielleicht, dachte ich bei mir, könnte ich dann noch mehr Gerüchte lüften und bei der Entstehung neuer dabei sein.
 

Wie auch immer. Mir war flau im Magen und ich kannte den Grund… es war das übliche „Weinen über vergossene Milch“, wie Binks sagen würde. Ich trauerte den Körben hinterher, die ich Joshua gegeben hatte. Er interessierte mich schon. Wie bisher noch keines meiner Dates oder Nicht-Dates. Aber wenn ich nur daran dachte, vielleicht doch auf ihn zuzugehen, hielt ich automatisch an. Es war zum verrückt werden! Eigentlich würden sich Typen wie er nicht für Typen wie mich interessieren. Davon ging ich immer aus und sprach darum die coolen Typen nie an. Aber Joshua hatte es bereits selbst gestanden, mir Komplimente gemacht, wenn nicht sogar geflirtet! Oder redete ich es mir wiedermal nur schön? Ich seufzte schwer und wurde durch einen unsanften Ruck an meiner Schulter aus meinen Gedanken gerissen.
 

Verwirrt blinzelte ich. Wo kamen all die Menschen her? Wir waren nur geradeaus gegangen und nun war alles voller Menschen? Suchend drehte ich mich um mich selbst, fand aber keinen Joshua. Hatte er mich stehen lassen? Oder sich verabschiedet? Verdammt! Ich war viel zu sehr in Gedanken gewesen. Ungewollt wurde ich nervös. Es lag nicht an den Menschen, die störten mich nicht. Aber das Gefühl alleine zurück gelassen worden zu sein, war schockierend und beängstigend. Sicherlich würde ich mich gleich wieder fangen, durch die Menschen kämpfen und mit erhobenem Haupt und geknickten Herzen heim gehen. Es war nichts Besonderes, aber auch nichts, was ich unbedingt erleben wollte.
 

„Mael.“
 

Nochmal sah ich mich um. Mein Puls war zu schnell und das Adrenalin ließ meine Arme und Beine kribbeln.
 

„Mael!“ Ich wurde an der Schulter herumgedreht und starrte in wütende, besorgte und erleichterte graue Augen. Ein Gefühlscocktail der besonderen Art, der bemerkenswert klar zu erkennen war. Schöner wurde es, als die Erleichterung überwog und auch meine anfängliche Panik verschwand. „Ich sagte doch, da kommt eine Horde Touristen. Hast du mir nicht zugehört?“
 

Ich blinzelte und riss mich von den grauen Augen los. Um uns herum lichteten sich die Reihen der Menschen. Die Traube von Touristen, die wer weiß woher gekommen war, verteilte sich auf die Geschäfte, die hinter uns lagen. Ich schmunzelte etwas verlegen. „Nein, sorry, hab ich nicht.“
 

Joshua schnaufte. Er fuhr sich durchs Haar und zog damit einige Blick der Umstehenden auf sich. Meinen auch. „Man… Dabei habe ich dich noch gerufen.“
 

Ich legte meinen Kopf schief. „Ich habe niemanden rufen gehört“, gestand ich. Eine Sekunde zu spät dämmerte es mir und ein heißkalter Schauer durchfuhr mich. Ich glaubte sogar meine Nackenhaare stellten sich auf. Trocken schluckte ich. „Wie … hast du mich gerufen?“
 

„Mael.“ Ich bekam Gänsehaut! Es war dreimal schlimmer als letzte Woche, als er beim Telefonat einfach so Max gesagt hatte. Joshua beobachtete meine Reaktion und verteidigte sich sogleich. „Ich hatte dich doch gefragt, ob ich dich beim Namen nennen darf.“
 

Es machte klick und ich schlug mir gedanklich auf die Stirn. DAS hatte er gemeint?! „Ich dachte du sprichst von meinem Erstnamen. Den kennst du doch schon, darum hatte ich mich gewundert, warum du überhaupt fragst. Keiner nennt mich beim Zweitnamen! Nicht mal meine Eltern. Wie hast du den überhaupt rausbekommen?“
 

Joshua verkrampfte sich, aber das beachtete ich nicht. Ich wartete auf eine Antwort und die kam etwas stockend. „Als McFloyd mir deine Akte zeigte, stand da dein voller Name und auch in deinem Bericht in der Kopfzeile war der zu lesen.“ Diesmal schlug ich mir wirklich auf die Stirn. Natürlich. Die Kopfzeile. Wie dumm konnte ich eigentlich sein?
 

„Magst du den Namen nicht?“, fragte Joshua nach. Ich seufzte schwer.
 

„Das ist es nicht. Ich bin es nur nicht gewohnt. Ich wurde zuletzt so genannt als ich vier oder fünf Jahre alt war.“ Als ich noch der Stolz meiner Eltern gewesen war und nicht meinen eigenen Charakter und Idealismus entwickelt hatte. Dieser Name erinnerte mich einfach zu sehr an die Zeit, als meine Eltern mich noch mochten…
 

Joshuas Blick verweilte auf mir. Er schwieg sich einige Sekunden aus, ehe er seine Stimme mit sanfter Bestimmtheit erhob. „Max Mael Finnigan. Klingt gut. Beide Namen haben etwas an sich, dass dich gut charakterisiert. Darf … ich dich denn trotzdem Mael nennen?“
 

Ich spürte Joshuas bohrenden, fragenden Blick, doch konnte ich nicht Aufsehen. Sowie er mich Mael nannte, bekam ich einen Herzkasper und ich fühlte mein Gesicht glühen. Mit zusammengepressten Lippen und roten Wangen, blickte ich zur Seite. Am liebsten hätte ich Joshua an den Kopf geworfen, dass er mich doch nennen sollte, wie er wollte. Oder wenigstens ein „Mach doch was du willst“, entgegen gekrächzt. Leider war mein Hals vollkommen kratzig und zugeschnürt.
 

„Mhmh“, brummte ich bestätigend.



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