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Sun crystal

von

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Wie Sonnenkristalle im Herzen

„Es war eine dieser klaren Nächte, in der die Winde des Ätheriums sanft und friedvoll wehten, als sich die Piraten mit ihrer Beute vom Schatzplanet siegessicher wähnten und nichtsahnend von der tödlichen Falle, die Flint vor Räubern seines Schatzes installiert hatte, völlig vom Gold berauscht waren, als ich, Jim Hawkins, zukünftiger Admiral der Flotte Ihrer Majestät, Bester seines Jahrgangs an der intergalaktischen Akademie ...“

Jim kam gerade richtig in Schwung. So hatten die Geschichten früher in seinen Büchern auch immer geklungen. Die halbe Cafeteria hing ihm an Lippen, als ...

„Jetzt komm mal runter, du Affe. Mein Vater ist der aktuelle Admiral der Flotte Ihrer Majestät und ich bin der Beste dieses Jahrgangs, nicht du, du Nichtsnutz, der uns schon wieder seine Lügengeschichten vom Schatzplaneten auf die Nase binden will. Meinst du nicht, es ist langsam genug, dieselbe Geschichte hundertmal zum Besten zu geben?!“

Jim musste sich nicht einmal umdrehen. Er kannte diese nervtötende Stimme nur zu gut, die immer jede Frage in jedem Unterricht perfekt beantworten musste und ihn überall hin verfolgte.

Blake.

Natürlich, wer sonst? Der perfekte Kadett mit dem Löwengesicht, der witzigerweise auf den Namen Leo Blake hörte. Seit dem ersten Tag, an dem er die Akademie betreten hatte, hatte er Blake nicht leiden können und vice versa. Egal in welcher Disziplin lieferten sie sich Kopf-an-Kopf-Rennen, wer der bessere von ihnen war und meistens schlug Blake ihn knapp. Wie sehr er ihn dafür bloß hasste.

Er wusste, er sollte sich nicht auf ein weiteres Wortgefecht mit diesem Vatersöhnchen einlassen, der ihn nur von oben herab daran erinnern würde, dass er einen Vater hatte, der erfolgreich war und der nicht wie Jims Vater die Fliege gemacht hatte.

„Das sind keine Lügengeschichten. Frag Direktorin Smollett oder Dr. Doppler. Sie waren beide dabei, als wir haarscharf der Zerstörung des Schatzplaneten durch meine Hilfe entkommen sind.“

„Aha“, machte Blake nur und verzog keine Miene. „Und der Hilfe von einem Piraten oder nicht? Den du danach hast entkommen lassen, stimmt doch? Und du willst Admiral werden? Das ich nicht lache. Du hast hier an der Akademie überhaupt nichts zu suchen mit deinem Strafregister und deinen fragwürdigen Bekanntschaften. Also halt die Klappe, du Idiot und lass uns ehrbaren Kadetten in Ruhe essen, ja?“

Jim ballte die Fäuste. Dieses Vatersöhnchen, dieser Schnösel.

'Tief durchatmen', versuchte er sich zu sagen. 'Du willst dich doch bessern. Lass dich nicht auf das Niveau hinab. Du bist besser als er …'

Doch in diesem Augenblick entschied Morph sich dazu, aus seiner Jacke zu entfleuchen und Partei für Jim zu ergreifen.

„Vatersöhnchen, Vatersöhnchen“, quietschte er vor sich, während er sich in eine Mini-Ausgabe von Jim verwandelte. „Ist nichts ohne seinen Papi.“

Blake sprang wie von der Tarantel gestochen auf. „Was war das?! Sag das noch mal!“

Es kam Unruhe in die Gruppe. Die Stimmung in der Cafeteria schlug augenblicklich von gelangweilter Heiterkeit zu spannungsgeladener Neugierde um.

Jim wollte sich auf keinen Kampf mit Blake einlassen. Er wusste, wie das für ihn aussehen würde, aber ihm wurde der Fluchtweg abgeschnitten, da sich immer mehr Leute um sie versammelten, um zu sehen, was nun passieren würde. Die ersten Rufe nach einem Kampf wurden laut und Jim begann nervös zu schwitzen. Er sollte die Sache mit Morph erklären, sich für Morph entschuldigen, irgendetwas Sinnvolles und Konfliktvermeidens sagen.

Stattdessen ließ er sich von der Stimmung aufpeitschen und gab den Leuten, was sie sehen wollten.
 


 

★★★
 

„Wirklich schon wieder, Mr. Hawkins?“ Direktorin Smollett klang mehr enttäuscht als wütend, was Jim viel mehr zusetzte. Sie hatte sich schließlich für ihn eingesetzt, damit er einen Platz an der Akademie trotz seiner vorigen Strafen bekam. Sie hatte sich sogar darauf eingelassen, ihre Freiheit als Kapitän aufzugeben und zu ihrem vorigen Arbeitgeber, der Marine, zurückzukehren.

Amelia hatte abgestritten, dass das eine Bedingung für seine Aufnahme an der intergalaktischen Akademie gewesen war und dass sie einfach nur einen stabilen Job hatte haben wollen, nachdem sie festgestellt hatte, dass sie schwanger war, aber Jim wusste, dass Dr. Doppler seiner Frau nie im Weg gestanden hätte, wenn sie ihre Freiheit im Weltall weiter verfolgt hätte. Selbst jetzt war er der Vater, der zuhause blieb und sich um die Kinder kümmerte, während er mit dem Kopf in irgendwelchen astronomischen Büchern steckte.

Jim musste bei dem inneren Bild vor seinen Augen grinsen, was leider gar nicht gut bei Direktorin Smollett ankam.

„Das ist nicht witzig, Mr. Hawkins. Noch ein weiterer Vorfall und ich sehe mich gezwungen, Sie zu suspendieren, wenn nicht gar vollständig von der Akademie auszuschließen.“

„Aber ...“

„Kein Aber, Mr. Hawkins. Die Sache ist ernst. Ich bekomme Druck von oben. Sie wissen, wer der Vater von Mr. Blake ist, nicht wahr?“

Jim grummelte zustimmend.

„Dann wissen Sie, dass ich nicht ewig schützend meine Hand über Sie halten kann?!“

Plötzlich platzte Dr. Doppler ins Büro.

„Amelia Schatz, ich habe es geschafft. Die Centurion ist endlich startbereit. Oh Jim, du bist ja auch hier. Wie schön. Du musst unbedingt an der Jungfernfahrt teilnehmen. Du wirst begeistert sein. Neuste Solartechnik mit den allerbesten arkturianischen Sonnenkristallen ….“

Dr. Doppler stoppte mitten in seinen Ausführungen, als er den Blick seiner Frau sah und dann verwirrt von Jim zu Direktorin Smollett hinsah, um die Situation im Büro neu abzuschätzen.

„Jim, was hast du wieder angestellt?“, schlussfolgerte er korrekt.

„Er hat sich eine Prügelei mit einem Klassenkameraden geliefert.“

„Oh nein.“ Doppler schlug sich die Hände vor den Mund. „Was soll ich nur Sarah sagen?“

„Sagen Sie meiner Mutter bitte nichts“, flehte Jim. Seine Mutter war so glücklich, dass er die Aufnahme in die Akademie geschafft hatte und endlich ein ehrbares Leben führte, wo sie sich weniger Sorge machen musste, dass die Polizeiroboter ihn wieder einmal nach Hause brachten, weil er zum wiederholten Mal Unfug angestellt hatte.

Dopplers Gesichtsausdruck wurde sofort wieder weicher. „Natürlich nicht. Ich will nicht, dass sie sich unnötig Sorgen machen muss. Es war bestimmt nur eine kleinere Rauferei unter Freunden, richtig?“

Amelia räusperte sich. „Er hat den Sohn von Admiral Blake k. o. geschlagen.“

Augenblicklich entgleiste Dopplers Gesichtsausdruck wieder.

„Jim“, brachte er nur schockiert hervor.

Für eine Sekunde fragte Jim sich, was Silver wohl dazu gesagt hätte. Wie immer, wenn er an Silver dachte, zog sich seine Brust schmerzhaft zusammen und er hatte das Gefühl, völlig alleine im ganzen Universum zu sein. Wieder war er alleine gelassen worden. Wenn er nur aufs Silvers Angebot eingegangen wäre, mit ihm durch das Weltall zu fliegen, frei wie na ja eben ein Pirat zu sein.

Er seufzte. Er wollte jetzt nicht an Silver denken.

„Wir müssen über Ihre Strafe nachdenken. Ich denke ein paar Tage Suspendierung und Küchendienst sollten Ihnen den Kopf waschen. Toben Sie sich dort aus.“

„Wie lange ..?“, wollte Jim fragen. Er wusste, dass die Jungfernfahrt der Centurion, des neusten Kriegsschiffes der Marine bald bevorstand und von allem, was ihm Dr. Doppler, der das Schiff entworfen hatte, und B.E.N., der als Pilot das neue Schiff navigieren sollte, erzählte hatten, war es traumhaft.

Direktorin Smollett konnte wohl die Sterne in seinen Augen schimmern sehen und unterband seine Träume, bevor er sich vollständig darin verlieren konnte, wie früher in seinen Geschichten über Piraten und Weltraumschlachten.

„Die Jungfernfahrt fällt für Sie definitiv flach.“

„Aber ...“

„Kein Aber, Mister Hawkins. Und jetzt dalli, dalli mit ihnen raus aus meinem Büro und ab in die Küche.“

Grummelnd verzog sich Jim aus dem Büro und sah aus dem Augenwinkel, wie Dr. Doppler ihm einen mitleidigen Blick zuwarf. Warum konnte er sich nicht einmal beherrschen?
 

★★★
 

In der Küche angelangt hatte Jim sofort Heimweh. Wie oft hatte er seine Mutter in der Küche beim Kochen zugesehen und sich gefragt, wie sie ohne mit der Wimper zu zucken, Gerichte zubereiten konnte, die er eklig und widerlich fand, aber von anderen Gästen des Gasthauses als Delikatessen betrachtet wurden.

Und vor das Bild mit seiner Mutter in der Küche schob sich ein anderes.

Silver, wie er die aberwitzigsten Gerichte mit seinem Arsenal an Küchengeräten in seinem Arm zubereitete. Silver, der zum Essen die abenteuerlichsten Geschichten erzählten. Silver, der ihn stundenlang Geschirr und Töpfe schrubben ließ und ihn mit seiner Jacke zudeckte, als er über der Arbeit eingeschlafen.

Jim schluckte hart. Er meldete sich rasch beim Chef der Cafeteria, der nicht im Entferntesten Ähnlichkeit mit seiner Mutter oder Silver hatte. Das war auch nicht weiter schwer, denn er sah mehr aus wie ein Pferd als wie ein Mensch oder ein Cyborg.

„Du kannst mit dem Kartoffelschälen dahinten anfangen. Hoffentlich stellst du dich besser an als der andere Kadett.“

Der andere Kadett? Hatte noch jemand eine Strafe bekommen? Er konnte sich nicht daran erinnern, dass es heute noch einen anderen Vorfall gegeben hätte. Nur seine Rauferei mit Blake hatte die Runden gemacht.

Jim spähte neugierig in die hinterste Ecke der Küche, wo er sah, wie sich jemand mit dem Kartoffelschäler redlich abmühte und eher mehr Kartoffel als Schale abschnitt.

Jim musste fast lachen, weil es ihn so an ihn selbst erinnerte, als er das erste Mal unter Silver gearbeitet hatte. Wahrscheinlich ging es dem armen Knaben nicht besser als ihm damals.

„Du musst die Kartoffel so halten und dann so mit dem Schäler dran lang fahren. Dann erwischst du ...“

Der letzte Rest des Satzes blieb ihm im Hals stecken, als er realisierte, dass er gerade mit Blake sprach. Was zum Teufel trieb der hier?

„Was guckst du so?“, gab Blake missmutig zurück.

„Was machst du hier?“, fragte Jim verdattert. In seinem Hirn wollten sich die Teile noch nicht zusammenfügen, obwohl sie so offensichtlich in sein Gesicht sprangen.

„Dasselbe wie du“, murrte Blake.

„Du musst Küchendienst machen, genau wie ich …?“

„Bist du etwa blind? Meinst du, ich mache das freiwillig?!“

Jim fing an zu lachen. „So, wie die du die Kartoffel massakrierst, ist das dein erstes Mal in der Küche, also nein, ich denke nicht, dass du das freiwillig machst.“

Und mit einem letzten Lacher, da er das peinlich berührte Gesicht von Blake wahrnahm und da er an seine eigenen bescheidenen Anfänge zurückdachte, entschied er den Schnösel nicht weiter aufzuziehen. „Gib her, ich zeig dir, wie es richtig geht. Schau einmal genau hin und versuche es dann nachzumachen.“

Er nahm Blake den Kartoffelschäler aus der Hand, der erstaunlicherweise keine Widerworte von sich gab und zeigte ihm den Vorgang noch einmal, bevor er ihm den Schäler zurückgab und sich selbst einen nahm.

Blake hatte immer noch ein missmutiges Gesicht, das von leichter Röte gezeichnet war, doch er blieb still und sagte in der nächsten halben Stunde nichts mehr.

Jim fand es fast niedlich, wie Blake sich voll konzentriert jeder einzelnen Kartoffel widmete und versuchte mit jedem Mal perfekter zu schälen. Er war immer noch langsam, aber er lernte schnell. Jim konnte nicht umhin, er war beeindruckt und ertappte sich selbst, wie er ihn immer wieder heimlich anstarrte.

Was für ein Perfektionist. Selbst beim Kartoffelschälen.
 

★★★
 

So vergingen vier Tage, wo Jim und Blake Seite an Seite in der Küche arbeiteten und sich größtenteils ignorierten. Keiner hatte sich beim anderen entschuldigt, aber sie waren einander auch noch nicht wieder an die Kehle gegangen.

In der ganzen Akademie hatte sich mit Lauffeuer die Nachricht verbreitet, dass am morgigen Tag endlich die Jungfernfahrt der Centurion anstehen würde und alle waren aufgeregt. Jim beneidete seine Kameraden, von denen zwar nicht alle, aber einige an der Fahrt teilnehmen durften. Natürlich war es keine besondere Fahrt, keine Mission oder Ähnliches, sondern im Endeffekt nur ein Schaulauf der Schönheit und der Macht, die dieses Schiff der Akademie verleihen sollte. Trotzdem wäre Jim so gerne dabei gewesen.

Er durfte nicht mal in die Schiffswerft, wo das Schiff auf den Moment seiner Enthüllung wartete. Jim hatte versucht, B.E.N. zu bestechen, der Roboter war zwar immer noch ein wenig verwirrt und schusselig, obwohl er seine Festplatte wieder hatte, aber er war nicht auf Jims Finte hereingefallen.

Jim seufzte, während er Töpfe schrubbte.

„Was ist los?“, fragte Blake unvermittelt, den er schon völlig vergessen hatte, so ruhig und konzentriert, wie er vor sich arbeitete.

„Willst du nicht auch auf die Fahrt mit der Centurion mit?“, fragte Jim ihn und biss sich fast augenblicklich auf die Zunge. Was für eine dumme Frage. Wer sagte, dass Blake exakt das gleiche Strafmaß erhalten hatte wie er?

Bestimmt konnte das Vatersöhnchen trotz seiner Strafe sowieso mit. Wenn sein Vater morgen zur Jungfernfahrt eintreffen wurde, würde er ihn bestimmt mitnehmen. Da konnte Direktorin Smollett nichts gegen sagen. Er war generell immer noch überrascht, dass sie Blake genauso wie ihn zum Küchendienst verdonnert hatte. Er war sich sicher gewesen, dass Blake einen auf „Mein Vater wird davon hören“ machen würde und sich so vor der Strafe drücken würde. Zudem hatte Jim provoziert von der Menge als Erstes zugeschlagen. Natürlich war es fair, da der Streit ja nicht von alleine losgebrochen war, aber normalerweise war die Welt nicht besonders fair zu armen Losern wie ihm.

„Klar würde ich gerne das neuste Schiff der Flotte hautnah erleben. Mit den Solarlaserkanonen und dem verstärkten Mast ...“

„ … und es soll von Null auf Hundert in einer Nanosekunde beschleunigen können ...“

„ … ich würde zu gerne das neue Heckruder bewundern. Es soll auf die feinste Berührung reagieren und sofort den Kurs anpassen …“

„ … sie soll ungewöhnlich schlank und grazil sein ...“

„ … ein majestätisches Schiff Ihrer Majestät würdig ...“

„Ach, wie gerne würde ich morgen dabei sein“, seufzten Jim und Blake zeitgleich auf und sahen sich verdutzt an, bevor sie beiden verlegen schnell wieder den Blick senkten. Sie waren sich noch nie in irgendetwas einig gewesen. Jim sah noch einmal verstohlen zu Blake hinüber und sah auf seinem Gesicht das gleiche Leuchten, die gleiche funkelnden Augen, die Sterne zum Greifen nah, er fühlte eine Kameradschaft, die er so noch nie gespürt hatte, und mit einem Mal tat es ihm furchtbar leid, dass er ihn geschlagen hatte. Aber er war noch nicht bereit, dass offen zuzugeben. Es fiel ihm schwer, seine Mauer zu senken und verletzlich zu sein. Also tat er das Nächstbeste.

Er forderte Blake zu einer Wette heraus.
 

★★★
 

„Wetten du traust dich nicht, dich heute Nacht an Bord der Centurion zu stehlen?“

„Bist du wahnsinnig, Hawkins?! Was ist, wenn wir erwischt werden?!“

„Keinen Sinn für Abenteuer? Also bist du doch nur ein kleines Vatersöhnchen?“, neckte Jim ihn.

„Ich bin eben kein Verbrecher und Pirat wie du“, gab Blake zurück, aber Jim sah, dass er ihn gepackt hatte und er schon auf halbem Weg war einzuwilligen. Da wollte jemand das neue Kriegsschiff genauso dringend sehen wie er selbst.

Blake ballte die Hand zur Faust. „Einen kurzen Blick drauf werfen sollte völlig ausreichen.“

„Also einbrechen in die Werft will das Vatersöhnchen dann aber doch. Was macht das denn aus ihm, wenn nicht auch ein Verbrecher?“

„Das wäre kein Einbrechen. Ich weiß nämlich zufällig, wo der Schlüssel zur Werft aufbewahrt wird. Also würde ich den nur ausborgen und nachdem ich ein Blick aufs Schiff geworfen habe, wieder zurückbringen.“

„So denkt der kluge Einbrecher“, lachte Jim und gab dem plötzlichen Impuls nach, Blake durch die kurze braune Mähne zu wuscheln. Als er sah, wie Blake rot wurde, ließ er schnell die Hand sinken und spürte plötzlich wieder das kurze Ziehen in der Brust, dass er sonst nur hatte, wenn er an Silver dachte. 'Seltsam', dachte er sich.

„Also haben wir einen Deal. Du besorgst den Schlüssel und wir werfen heute Nacht einen Blick auf die Centurion?“

Jim musste Blake ja nicht sagen, dass er immer noch vorhatte, das Schiff in Aktion zu erleben. Wenn er so einfach an den Schlüssel kam und sich gar nicht die Mühe machen musste, das Schloss zu knacken, würde noch viel weniger wahrscheinlich auffallen, dass er als blinder Passagier auf dem Schiff war und was sollte sie erst machen, wenn das Schiff unterwegs war? Sie waren ja schließlich keine Piraten, die ihn über die Planke gehen lassen würde.

„Okay, aber wenn wir erwischt werden, sag ich, dass es deine dumme Idee war.“

„Als, ob sich irgendjemand vorstellen könnte, dass der ehrbare Leo Blake, Sohn des Admirals der Flotte Ihrer Majestät, jemals solche kriminelle Energie an den Tag legen würde?“

Jim lachte und war überrascht, als er sah, wie Blake schmunzelte und fühlte sich seltsam verbunden mit dem anderen Kadetten. Wer hätte wirklich gedacht, dass er mitziehen würde?

Der Abend kam schneller als gedacht und schon bald wurden sie vom Küchendienst entlassen. Jim wollte Blake neugierig durch die Flure folgen, um zu erfahren, wo sich der Schlüssel verbarg, den Blake ausborgen wollte, doch Blake stoppte ihn.

„Wir treffen uns um Mitternacht an der Werft. Bis dann, Hawkins.“

„Lass dich nicht erwischen, Blake.“

Und so trennten sich ihre Wege vorerst.
 

★★★
 

Mitternacht konnte gar nicht schnell genug kommen. Jim warf sich bis dahin in seinem Bett von einer Seite auf die andere und konnte ein Grinsen auf seinem Gesicht nicht unterbinden.

Bald sah er die Centurion, schon bald, bald, bald …

Und er musste immer noch überrascht zurück an den Nachmittag denken. Blake war doch vielleicht kein so schlechter Kerl, wenn man vom Vatersöhnchen- und Schnösel-Sein mal absah. Es verwunderte ihn, dass er sich fast darauf freute, Blake ebenfalls bald wiederzusehen und sich wieder dieses dumme Ziehen in seiner Brust einstellte.

Was wohl Silver davon halten würde, dass er gemeinsame Sache mit dem Sohn des Admirals machte? Er würde bestimmt amüsiert auflachen und ihm auf die Schulter klopfen und ihm einschärfen, sich der Bekanntschaft im richtigen Moment zu bedienen, um seine Ziele zu erreichen.

Morph hüpfte aufgeregt übers Bett und hielt Jim erst recht davon ab, aus Versehen einzuschlafen und dann näherte sich der Zeiger endlich langsam der Zwölf und Jim hielt es vor Aufregung nicht mehr aus. Er sprang förmlich in seine Schuhe und war innerhalb von Sekunden aus seinem Zimmer heraus in Richtung Werft verschwunden.

„Pscht“, machte er, um Morph von lauten Geräuschen abzuhalten und ausnahmsweise machte der kleine Gestaltwandler keinen Mucks.

Hoffentlich war nichts schiefgelaufen, als Blake den Schlüssel ausgeborgt hatte. Hoffentlich hatte Blake sich keinen Spaß mit ihm erlaubt und sein Plan nicht augenblicklich den Lehrern gemeldet. Jim biss sich nervös auf die Lippen. Er hatte noch gar nicht bedacht, dass er auf Blake hereingefallen sein könnte. Es schüttelte ihn bei dem Gedanken, wie Blake sich mit den anderen Kadetten über ihn lustig machen würde. Er hatte bis jetzt keine Freunde an der Akademie gefunden, aber heute hatte er für einen winzigen Moment das Gefühl gehabt, eine verwandte Seele entdeckt zu haben. Für einen Augenblick hatte er sich vorgestellt, wie es wäre, mit Blake zusammen abzuhängen, statt gegeneinander zu arbeiten. Sein Herz zog sich wieder zusammen.

Jim bog um die Ecke – inzwischen fest davon überzeugt, wieder einmal enttäuscht zu werden – und knallte fast in Blake.

„Ah“, quietschte Jim auf und Morph nahm das Geräusch sofort auf und wiederholte es begeistert.

„Pscht!“ Blake drückte ihm die Hand auf den Mund und sah Morph böse an, der sich sofort wieder in Jims Jacke verzog. „Willst du, dass wir erwischt werden?“, flüsterte Blake genervt. „Komm schnell in die Werft, bevor jemand kommt, um zu schauen, was das für ein Geräusch war.“

Jim folgte Blake behände und beide schlüpften schnell durch das Tor, kaum dass Blake den Schlüssel im Schloss umgedreht hatte.

Und dann waren sie in Dunkelheit umhüllt. Mist an eine Lampe hatte Jim natürlich in seiner ganzen Aufregung nicht gedacht. Wie sollte sie das Schiff denn sonst unbemerkt betrachten? Wohl kaum, indem sie das Licht in der ganzen Werft anschalteten.

Plötzlich geblendet stellte Jim fest, dass Blake einen kühlen Kopf bewahrt hatte und selbstverständlich eine Lampe dabei hatte. Jim wollte ihm einen dummen Spruch an den Kopf werfen, doch dann sah er die Centurion.

Mit dem wenigen Licht, das sie hatten, konnten sie nur die Ausmaße des Schiffs anhand seiner Kontur erahnen, aber es war so viel gewaltiger, als Jim es sich jemals vorgestellt hatte.

Schlank im Bau, aber mit einem Mast, der bis zu den Sternen zu reichen schien. Jim fragte sich, wie die Centurion wohl mit gehissten Sonnensegeln aussah, wenn die Sonne es im hellen Glanz erstrahlen lassen würde. Es musste umwerfend aussehen.

Jim vergaß alle Vorsicht und machte sich daran, das Schiff zu erklimmen. Er musste seine Hand über die fein gearbeitete Holzkunst streichen lassen, die dieses Schiff darstellte. Dort oben an Bord waren seine Träume real und die Sterne zum Greifen nah.

„Hey, was machst du?“, Blake versuchte ihn halbherzig davon abzuhalten, an Bord zu klettern, hatte aber selber nur Augen für die Centurion.

„Komm, wir sind doch schon hier“, forderte Jim ihn. „Nur kurz. Oder traust du dich jetzt doch nicht mehr?“

Als hätte Blake nur darauf gewartet, aufgefordert zu werden, weil er sich selbst nicht durchringen konnte, seinem Begehren nachzugeben, folgte er Jim schnell.

Sie waren an Bord von dem neusten, größten und technisch ausgereiftesten Kriegsschiff in der Geschichte der Akademie und für eine Sekunde träumten beide jungen Männern von all den Abenteuern, den Schlachten und Siegen, die sie hier an Bord erleben würden, wenn sie erst die Akademie abgeschlossen hatten.

Dann begann ein Abenteuer, von dem sie nicht geträumt hatten.
 

★★★
 

Mit einem Knall wurde plötzlich das Tor der Werft in die Luft gejagt. Erschrocken zuckten Jim und Blake zusammen. Stimmen wurden laut, bevor eine dunkle Stimme Ruhe forderte. Dann wurde es ganz still wie im Auge eines Sturmes, kurz bevor die Welt aus den Fugen gerät.

Jim war schon einmal in so einer Situation gewesen und wusste, was als Nächstes kommen würde. Schnell sah er sich nach einem Versteck um. Die Tür zu den Schiffskabinen war verschlossen und er hatte keine Zeit das Schloss zu knacken. Er wusste, er hatte nur Sekunden, bis die Einbrecher das Schiff erreichen würde. Blake stand immer noch erstarrt am selben Fleck. Alle Selbstsicherheit, die sonst sein Gesicht zierte, war wie weggeblasen. Jim packte ihn und zog ihn zum einzigen schnell zugänglichen Versteck, hinter einem Haufen Fässern, die wahrscheinlich erst morgen im Schiffsbauch verstaut werden sollten.

Und dann waren die Stimmen plötzlich wieder da und zwar so nah, dass es nur bedeuten konnte, dass die Einbrecher direkt unter ihnen waren.

„Macht das Schiff startklar zum Auslaufen. Der Kapitän will in zehn Minuten hier raus sein und auf dem Weg zum Gefängnisasteroiden sein. Also sputet euch, ihr Landratten!“

Gefängnisasteroid? Es gab hier in der Gegend nur einen Asteroiden, der als Gefängnis genutzt wurde: Botany Bay. Der Ort, an dem die schlimmsten Verbrecher der Galaxie ihre Strafe absaßen.

Das klang gar nicht gut. Das klang nicht mehr nach harmlosen Einbrechern, nicht, dass Jim eine Sekunde geglaubt hatte, dass es sich hierbei um harmlose Einbrecher handelte, denn wer sollte schon so lebensmüde sein und in der intergalaktischen Akademie einbrechen mit all der Marine, die vor Ort stationiert war. Was war eigentlich mit der Marine? Warum erklang kein Alarm? Der Krach der Explosion musste doch meilenweit zu hören gewesen zu sein. Jim schluckte. Das klang alles andere als gut. Das klang verdammt noch mal nach Piraten der schlimmsten Sorte.

Die Stimmen kamen näher. Die Piraten hatten also begonnen, das Schiff zu erklimmen und von überall war jetzt geschäftiges Treiben zu hören. Jim versuchte zwischen den Fässern durch zu spähen und sah an Deck lauter gruselige, finstere Gestalten.

Er bedeutete Blake, sich tiefer in den Schatten zu drücken, damit niemand sie direkt sah, wenn man in ihre Richtung blickte, denn ihr Versteck war leider alles andere als geeignet. Sie hätten sich lieber in den Fässern verstecken sollen als dahinter, doch jetzt konnten sie nichts mehr daran ändern. Jim dachte an einen anderen Augenblick, der ein Fass und finstere Piraten beinhaltet hatte. Warum geriet er bloß immer in solche verzwickten Lagen? Und wie kam er aus dieser wieder heraus?
 


 

★★★
 

Als die Sonnensegel gesetzt wurden und das Schiff sich in die Lüfte hob, konnte Jim seine Neugierde nicht länger bezwingen. Er musste sehen, wie das Schiff ins Weltall startete. Schließlich hatte er nur für diesen Augenblick seinen dummen Plan geschmiedet. Und wirklich, als die Sonnensegel das Licht reflektierten, sah das Schiff selbst aus wie eine gleißende Sonnenkugel. Jeder einzelne Sonnenkristall brach das Licht hundertfach und Jim hatte nie ein eleganteres und schöneres Schiff gesehen. Für einen Augenblick war er wie geblendet und hatte Tränen in den Augen. Das war sein Fehler, denn er wurde unaufmerksam und schubste einen Eimer um.

„Wen haben wir denn hier?“, brüllte plötzlich einer der Piraten und sah in ihre Richtung.

Verdammt, man hatte sie entdeckt. Jim schwankte zwischen sich tiefer in den Schatten ducken und hoffen, dass der Pirat etwas anderes gesehen hatte, und aus dem Versteck zu springen und zu kämpfen. Er warf einen Seitenblick auf Blake, der völlig verängstigt aussah, klar, war für ihn ja die erste Begegnung mit furchterregenden Piraten, die einen töten konnten, also beschloss Jim, dass es einfacher war, aus dem Versteck zu springen. Vielleicht hatte Blake eine Chance zu flüchten, wenn Jim von ihm ablenkte. Jim bedeutete Blake sich noch weiter nach hinten zurückzuziehen und sprang hinter den Fässern hervor.

„Wen meinst du, du dreckiger Schuft?!“

„Dich und deinen Kumpanen. Der braucht sich gar nicht so zu zieren. Komm raus, kleines Mäuschen“, Blake steckte unsicher den Kopf heraus, „oder sollte ich kleines Löwchen sagen?“

Der Pirat lachte und der Rest der Crew lachte mit, denn Blake bot gerade kein besonders stattliches Bild und machte weder seinem Aussehen noch seinem Namen Ehre.

„Wen haben wir denn hier?“, schallte eine tiefe Stimme von der anderen Seite des Schiffs. Irgendetwas in der Stimme ließ Jim alle Haare zu Berg stehen. Das hier war definitiv kein Piratenkapitän vom Kaliber von John Silver, sondern mehr einer wie Nathaniel Flint, der nicht nur für seinen riesigen Schatz bekannt gewesen war, sondern auch für die brutalen Überfälle, die ihm erst seinen Schatz verschafft hatten.

„Eisenbart“, murmelte Blake entsetzt, als sich der Kapitän langsam näherte.

Kein Wunder, dass ihm die Haare zu Berg standen. Seit Flints Tod hatten mehrere Piraten versucht, sein Nachfolger zu werden, doch keiner von ihnen war so brutal und blutrünstig wie Eisenbart. Seine Crew bestand aus den schlimmsten Verbrechern der Geschichte. Eisenbart war wie Silver ein Cyborg, doch in ihm steckte kaum noch etwas Humanoides. Man munkelt mit jedem Teil, das er in seinem Körper durch Maschinenteile ersetzt hatte, hatte er mehr an seiner Menschlichkeit aufgegeben, bis er nur noch ein eisiger Mann aus Eisen war, ohne Herz und Mitgefühl. Bereit, jeden abzuschlachten, der sich ihm in den Weg stellte.

Und genau diesem Mann standen Jim und Blake jetzt von Angesicht zu Angesicht gegenüber.

„Blinde Passagiere, Kapitän. Von den Uniformen her Kadetten der intergalaktischen Akademie.“

„So, so“, gab Eisenbart von sich und es klang irgendwie gar nicht menschlich, sondern wie das Surren einer Maschine. „Blinde Passagiere.“

Jim war sich nicht sicher, was er zu seiner Verteidigung darlegen sollte, denn wie überzeugte man jemanden davon, dass man nicht den Tod verdiente. Doch er brauchte sich keine Erklärungen überlegen oder mit Fluchtplänen um die Ecke zu kommen, denn Eisenbart würdigte sie kaum eines Blickes, bevor er ihr Todesurteil bekannt gab.

„Lasst sie über die Planken gehen. Wir brauchen keinen Ballast.“

Eisenbart wand sich ab und die Crew grölte begeistert. Nur wenige Sekunden später befand sich Jim zusammen mit Blake auf der Planke und musste vor Ironie der Situation fast ins Lachen ausbrechen. Hatte er heute Nachmittag nicht noch gedacht, dass die Akademie ihn niemals über die Planken gehen lassen würde, dafür, dass er sich auf die Centurion eingeschlichen hatte? Die Akademie würde so etwas vielleicht nicht tun, aber Piraten waren sich für ein solches Verhalten nicht zu fein. Stattdessen piesackte sie die zwei Kadetten mit ihren Schwertern und zwangen sie Schritt für Schritt sich dem Nichts des Weltalls zu nähern, bis sie nicht weiter konnten und der nächste Schritt sie stürzen lassen würde. Blake griff nach Jims Hand und Jim erwiderte den Händedruck. Sie sahen sich in die Augen, ihres unvermeidlichen Schicksals gewiss. Immerhin war Jim am Ende zusammen mit einer verwandten Seele, zumindest war er einmal nicht alleine.

Dann traten sie ins Nichts.
 

★★★
 

Jim wusste, dass der Sturz nicht lange anhalten würde, trotzdem fühlte sich der Moment des Falls endlos an, bevor die fehlende Schwerkraft sie einfach vom Schiff fort schweben ließ, dass mit jeder Sekunde sich weiter von ihnen entfernte. Sie waren verloren im Weltall. Wenn nicht ein anderes Schiff in der Nähe auf sie aufmerksam werden würde, würden sie vor sich hintreiben vom Wind des Ätherium mal in die Richtung, mal in die andere Richtung, bis sie verhungert oder verdurstet waren.

Jim wollte sich bei Blake entschuldigen. Es war wirklich seine dumme Idee gewesen, sich das Schiff anzusehen, seine dumme Idee, sich auf das Schiff zu stehlen und seine dumme Neugierde, die ihr dummes Versteck weggegeben hatte.

Die Worte wollten nicht über seinen Mund kommen, aber er sah in Blakes Augen, das er ihn auch so verstand. Ein kurzer Händedruck versicherte ihm, dass Blake ihm keine Schuld an der Misere gab. Jim bedauerte es, dass es so enden würde. Er hätte gern noch mehr über Blake erfahren, um zu sehen, ob sie nur ihre Begeisterung für den Schiffsbau teilten oder ob es noch andere Gemeinsamkeiten gab. Die letzten Stunden hatte ihn gelehrt, dass Blake vielleicht gar kein so übler Kerl war und jetzt würde er nicht erfahren, ob sie Freunde hätten werden können.

Und nicht nur das: Er würde seine Mutter nie wiedersehen, es würde ihr das Herz brechen, von seinem Tod zu erfahren, dass würde zu viel für sie sein und es brach ihm das Herz zu wissen, dass sie in sich zusammenbrechen würde, wenn sie ganz alleine in der Galaxie blieb. Er hatte es schon gesehen, als sein Vater sie verlassen hatte, aber da hatte sie sich seinetwillen zusammengerissen und war für ihn stark geblieben. Hoffentlich kümmerten sich Direktorin Smollett und Dr. Doppler gut um sie. Die beiden würde er mit ihrem Gezanke auch vermissen. Und B.E.N. und seine Anhänglichkeit ebenso. Jim wurde bewusst, wie viele Menschen es doch in seinem Leben gab.

Vor seinen Augen blitzte das Bild von Silver in der Kombüse auf. Wie gerne hätte er den alten Haudegen noch einmal gesehen?

„Hey Jimbo, hast du was im Weltall verloren?“

Jetzt bildete er sich sogar die Stimme des Piraten ein. Schwebten sie schon solange im All, dass er bereits den Verstand verlor?

„Jimbo, hey Junge, greif meine Hand.“

Und plötzlich sah er die Cyborghand, die ihm schon einmal das Leben gerettet hatte, vor sich auftauchen und griff ohne lange zu zögern zu. Im nächsten Augenblick zog es ihn hoch und da er immer noch Blake festhielt, wurde dieser mit ihm zusammen hochgezogen und auf einmal fanden sie sich wieder an Bord eines Schiffes, das an Schönheit, Größe und Eleganz beim besten Willen nicht mit der Centurion mithalten konnte, aber das immer noch tausendmal besser war, als ziellos im All zu schweben.

Und mitten an Deck stand schnaufend John Silver. Erst als Morph völlig aus dem Häuschen geriet und wie wild um Silver herumsprang, wurde Jim bewusst, dass das keine Halluzination war.

„Jimbo, du kannst ruhig ein wenig weniger Nachtisch essen. Ich alter Mann kann doch nicht mehr zwei junge, kräftige Männer an Bord ziehen.“

„Silver!“, rief Jim begeistert aus und fiel ihm um den Hals. „Oh mein Gott, wie wunderbar dich wiederzusehen.“

„Das will ich doch hoffen, mein Junge, das will ich doch wohl stark hoffen.“
 

★★★
 

„Der John Silver?!“, echote Blake überrascht.

Jim löste sich von Silver, der den für ihn unbekannten jungen Mann mit seinem Cyborgauge unter die Lupe nahm. „Du hast also von mir gehört?“

„Jim spricht von nichts anderem als sein Abenteuer auf dem Schatzplaneten. Und vom heldenhaften Piraten, der ihm das Leben gerettet hat.“ Blakes Stimme klang säuerlich und erinnerte Jim daran, dass Blake alles andere als ein Fan von Piraten war.

„Heldenhaft, ach, Jim ist der wahre Held. Ohne ihn wären wir dem Schatzplaneten nicht rechtzeitig entronnen. Dieses kleine Genie hat ganz schön was im Köpfchen, das sag ich dir.“

Blake sah aus, als würde er dem widersprechen wollen, doch dann nickte er nur. „Jim macht es mir schwer, an der Akademie der Beste zu sein. Dank ihm habe ich Konkurrenz auf Augenhöhe.“

Jim wurde mit einem Schlag rot. Das waren ja ganz neue Töne von Blake und seit wann war er Jim und nicht mehr Hawkins? Das fiel ihm erst jetzt auf, aber es gefiel ihm zu hören, wie Blake sein Namen aussprach. Es verursachte ein angenehmes Prickeln auf der Haut.

„Und wer ist dein Freund, Jimbo. Ich habe das Gefühl, ich bin ihm schon einmal begegnet.“

Blakes Gesicht versteifte sich augenblicklich. „Sie sind meinem Vater begegnet?“

„Junge, woher soll ich denn dein Vater kennen, wenn du mir nicht mal deinen Namen sagst?“

„Leo Blake. Mein Vater ist Admiral Blake.“

„Welch hoher Besuch auf diesem Schiff!“, rief Silver aus, während er Blake ein weiteres Mal mit seinem Auge taxierte. „Was verschafft mir nur die Ehre? Und wollt ihr mir nicht erzählen, warum ihr diese grandiose Idee hattet, einen Tauchgang in den Sternen zu unternehmen?“

Die Situation zwischen Silver und Blake war nun noch angespannter als bereits von Beginn an. Jim musste nun zwischen den beiden vermitteln, das wurde ihm bewusst. Silver würde dem Sohn des Admirals nicht über den Weg trauen, während Blake aus Prinzip keine gemeinsame Sache mit einem Piraten machen würde, doch in Jim formte sich bereits ein Plan, wie er die Centurion aus Eisenbarts Fängen zurückbekommen würde und dafür brauchte er die Hilfe von beiden.

Schnell erzählte er in Kurzfassung, was zu ihrem ungewollten Ausflug im All geführt hatte, bevor er auf seinen eigentlichen Plan zu sprechen kam.

„Wir müssen die Centurion schnellstmöglich einholen, um Eisenbart aufzuhalten. Wenn er erfolgreich ist, wird das der größte Gefängnisausbruch der Geschichte der Galaxie und eine Katastrophe für die Gesellschaft des ganzen bekannten Universums. Wenn diese Schwerverbrecher sich Eisenbart anschließen und dazu mit der Centurion auf Beutezug gehen, werden viele Menschen ihr Leben verlieren. Das müssen wir verhindern.“

„Wie willst du die Centurion einholen? Sie wurde gebaut, um das schnellste und bestausgerüstete Schiff der Galaxie zu sein.“

Jim lächelte. „Einfach. Wir müssen ein schnelleres Schiff haben. Und zwar dieses.“

„Jimbo, wo willst du denn so ein Schiff hernehmen? Meine alte Lady kann kaum mit diesen ganzen neuen, modernen Schiffen mithalten.“

Jim grinste. „Dann müssen wir eben dafür sorgen, dass dein Schiff mit dem modernsten Schiff der Galaxie mithalten kann.“

Silver und Blake schüttelten beide ungläubig den Kopf. In ihren Augen war klar: Jim war völlig wahnsinnig geworden.

„Jimbo, ich glaube, dein Tauchgang in den Sternen hat dir den Kopf durcheinandergewürfelt.“

„Ich hab die Pläne für den Bau von Dr. Doppler gezeigt bekommen, er hat sich in einen endlosen Vortrag über alle Einzelheiten der neuen Solartechnik verloren und B.E.N. hat mir alles über das neue Navigationssystem der Centurion erzählt. Ich bin sicher, ich kann den Antrieb dieses Schiffes genauso aufrüsten und unser Vorteil ist, dass dieses Schiff viel kleiner und wendiger ist, als die große Centurion, die schwer bewaffnet ist. Dann haben wir eine Chance, sie einzuholen.“

„Du bist völlig verrückt“, murmelte Blake entgeistert und zeitgleich zutiefst beeindruckt, während Silver ihm die Haare durcheinander wuschelte. „Dann auf Jimbo, lass uns meine alte Lady flott machen.“

Jim erklärte den beiden die Einzelheiten und zu dritt machten sie sich daran Hand in Hand mit den besten Schrottteilen eine hochmoderne Technik aus dem Kopf nachzubauen.

Was konnte dabei schon schief gehen?
 

★★★
 

Jim war glücklich. Anders konnte er dieses Gefühl nicht beschreiben, als er gemeinsam mit Silver und Blake an der Kopie der Solartechnik der Centurion arbeiteten.

Er war wieder vereint mit Silver, der ihn wieder neckend aufzog und ihm zeitgleich an der Hand nahm, um ihm Tricks zu zeigen, während Morph seine Späßchen zwischen ihnen trieb.

Und auf der anderen Seite war Blake, der sich langsam öffnete und in die Späße irgendwann mit einstieg. Gemeinsam gingen ihnen die Arbeit wie von der Hand und Jim bewunderte Blakes Geschick und theoretisches Wissen, das er bis jetzt immer nur als Besserwisserei empfunden hatte. Immer wieder ertappte er sich dabei, wie er seine Arbeit ruhen ließ, um Blake bei seiner zuzusehen und wie er andersherum Blake dabei erwischte, ihn verstohlen von Kopf bis Fuß mit einem unergründlichen Blick zu mustern, der ihm Schmetterlinge bereitete und seine Brust brennen ließ, als wäre sein Herz ein Sonnenkristall und kein pumpendes Organ.

Es war perfekt und er wünschte sich, es würde ewig so weitergehen. Zu viert am Basteln und Lachen. Doch natürlich war dieses Paradies nicht für immer.

„Wie kannst du diesem Piraten eigentlich vertrauen?“, fragte Blake Jim frei heraus, als Silver sie einen Moment aus den Augen ließ. „Woher willst du wissen, dass er sich nicht aus dem Staub macht, nachdem wir sein Schiff aufgerüstet haben?! Er wird uns nicht helfen. Das weißt du ganz genau.“

Jim suchte nach den Worten, die Blake verständlich machen konnte, warum er Silver sein Leben anvertrauen würde. Konnte er denn selber nicht sehen, was Silver für ein Typ war?

Natürlich wusste Jim, dass Silver seine eigenen Hintergedanken hatte, um ihnen zu helfen und er hatte den gierigen Blick von seinem Mentor gesehen, als sie darüber sprachen, die Centurion zurück zu stehlen. Dennoch Silver war unter seiner harten Schale ein verdammt netter Kerl. Aber wie konnte er das Blake verständlich machen?

Stattdessen fragte Jim: „Warum hasst du die Piraten so sehr?“

„Das musst du fragen. Er ist ein Pirat. Wie kannst du sie nicht hassen? Sie überfallen Menschen für ihre eigene Bereicherung, haben Spaß am Töten und Verwüsten und kommen damit oftmals ungestraft davon.“

Jim blieb stumm. Er hatte selbst erlebt, welche Verwüstung Silvers Piratenbande im Gasthaus seiner Mutter angerichtet hatten und es auf Grund niedergebrannt hatten, einfach nur, weil sie den Verdacht hatten, dass die Schatzkarte dort versteckt war. Piraten hatten auf ihn geschossen und seine Freunde verletzt. Mr. Scropp hatte einfach so Mr. Arrow getötet und ihm die Schuld daran zu geschoben. Er verstand Blakes Perspektive definitiv. Nicht alle Piraten waren wie Silver und nicht einmal Silver war ohne Makel. Er hatte sich nur einmal für das Richtige entschieden und seinen Traum vom Schatz des Flints aufgegeben, um Jim zu retten und irgendwie wog das schwerer für ihn als alles andere, was Silver getan hatte, auch wenn er es nicht vergessen hatte.

„Lass mich raten, er ist einfach anders und das macht es okay, richtig?“, ergänzte Blake säuerlich. „Er verspricht dir Abenteuer und das lässt dich über alles hinwegsehen, was er anderen Menschen angetan hat. Was alle Piraten tun.“

Jim wusste nicht, was er entgegnen sollte. Er wollte nicht, dass Blake schlecht von ihm dachte, aber er wollte auch nicht Silver ans Messer liefern, denn er glaubte, dass der Pirat ihnen helfen würde.

„Ich … hm … wir wollen einen Piraten schlagen, also brauchen wir einen Piraten, der genauso denkt, nicht?“

„Wenn du meinst,“ entgegnete Blake schulterzuckend und wand sich von ihm ab. „Ich hole noch mal von Deck Metall.“

Die Tür fiel zu und Jim blieb alleine mit seinen Gedanken.
 

★★★
 

Frustriert hämmerte Jim auf das Metallteil, das er gerade in Form bringen wollte. Warum konnte er nicht einmal sagen, was er dachte und es vernünftig in Worte kleiden? Warum wollte Blake ihn nicht verstehen?

„Na na, wenn du weiter so fest zuschlägst, wird das nichts mit der Form. Lass mich mal.“

Silver war wieder in den Raum getreten. Erwartungsvoll blickte Jim auf, doch von Blake war keine Spur zu sehen.

„Dein Freund ist gerade wutschnaubend an mir vorbeigerauscht. Doch etwa keinen Streit?“

Jim zuckte mit den Schultern und konnte es nicht wirklich erklären. „Ich dachte wirklich, wir wären Freunde, aber irgendwie sind wir wohl doch zu verschieden.“

Ihm wurde bewusst, wie traurig ihn das machte. Ohne es zu merken, hatte er Stück für Stück seine Mauer abgetragen und war verwundbar geworden. Und jetzt tat dieser Streit ihm mehr weh, als er gedacht hätte. Fühlte Blake denn nicht genauso wie er?

„Jimbo, weißt du, ich hatte auch einmal einen Freund, nein, eigentlich war er mehr als nur ein Freund, wenn du verstehst, was ich sagen will.“ Silver zwinkerte ihm zu und Jim wurde rot, als er verstand, dass er darauf anspielte, dass er und Blake vielleicht auch mehr als nur Freunde sein könnten. „Dieser Freund war ein Träumer. Ständig hat er sich in irgendwelche Abenteuergeschichten vertieft und ist mit seiner Fantasie durchgebrannt. Er konnte wunderbare Geschichten erzählen und dich alles glauben lassen. Er war wirklich einzigartig. Aber er war nicht immer der Gelassenste, musste immer raus und seinen Impulsen nachgeben. Immer auf der Jagd nach einem Abenteuer, immer bereit in die Bresche zu springen. Ein wenig so wie du Jimbo.“

Silver lächelte auf einmal traurig und zeigte Jim seine verwundbare Seite, die er zuvor noch nie auf diese Art gesehen hatte. Er sprach von seinem Freund in der Vergangenheitsform, das konnte nur bedeuten, dass er nicht mehr war.

„Er hat mich immer mit sich gezogen. Ich konnte mich auf ihn verlassen und gemeinsam träumten wir von Abenteuer und Reichtum und so kam es, wie es kommen musste, wir heuerten auf unserem ersten Piratenschiff an. Begierig darauf das Leben und die Freiheit in ganzen Zügen zu genießen. Aber dann jagte ich dem falschen Traum nach und ließ meinen Freund im Stich. Ich war sicher, er würde es verstehen, jagte er doch selbst Abenteuern und Träumen nach. Aber mein Traum kam uns teuer zu stehen. Der Schatz, den ich erbeutete, gehörte einem der furchterregendsten Piraten der Geschichte. Ich verging mich an einem der Schiffe von Nathaniel Flint und zog seinen Zorn auf mich.“

Silver hielt inne und atmete tief durch. Jim wurde bewusst, dass Silver versuchte, die Tränen zu verdrängen, die verdächtig hinter seinem normalen Auge glitzerten. Er durchlebte den Moment wohl gerade von Neuem, wurde erneut von den Emotionen des Augenblicks gefangen genommen und er erwehrte sich mit aller Macht dagegen von der Flut überströmt zu werden. Jim sagte nichts und wartete, bis sich Silver wieder gefangen hatte.

„Es passierte mitten in der Nacht. Wir hatten uns gerade über meinen Solo-Raubzug gestritten. Er wollte, dass ich den Schatz loswerde, aber ich wollte nicht. Ich war stolz darauf, ganz alleine dem gefürchteten Flint ein Schnippchen geschlagen zu haben und wollte nicht mein Triumph über Bord kippen. Aber selbst, wenn ich das getan hätte, es war zu spät.

Plötzlich tauchte das Schiff von Flint neben unserer kleinen Karavelle auf und Piraten waren überall. Jetzt weiß ich, wie Flint es gemacht hat, aber damals fühlte es sich an, als würde man von einer Welle überrollt werden. Flint trieb uns zusammen und fragte, wer den Schatz gestohlen hatte.

Und er war natürlich so dumm und hat sich an meiner statt gemeldet. Dieser Idiot, wirklich dumm von ihm. Ich wollte ihn stoppen, wollte die Wahrheit sagen, doch Flint war es einerlei. Es wurde auf uns beide geschossen, doch mein Freund schützte mich mit seinem Körper, sodass ich nur auf der einen Seite getroffen wurde. Bis Hilfe kam, war mein Freund längst in meinen Armen gestorben und meine Wunden voller Eiter.

Und naja...“, Silver hob seinen metallischen Arm und drehte ihm im Licht, „... den Rest kannst du dir denken. Ich schwor Rache für meinen Freund, aber kaum war ich wieder fit genug, um mir eine Crew zu suchen, war Flint von der Bildfläche verschwunden und nur die Geschichten und Gerüchte über den Schatzplanet blieben zurück.

Und je länger ich diesem Traum nachjagte, desto weniger erinnerte ich mich daran, warum ich überhaupt Pirat geworden war und verkam immer mehr zu einem dieser fürchterlichen Räubern aus den Geschichten statt der Freibeuter, der ich einmal sein wollte. Bis du in mein Leben getreten bist Jimbo und mich wieder daran erinnert hast, was Träume sind.“

Jim war völlig gerührt und ergriffen von Silvers Geschichte. Er hätte nie vermutet, dass das hinter der harten Fassade und hinter den Cyborg-Teile von Silver stecken konnte. Und er hätte nie geahnt, dass er der Wendepunkt in dieser Geschichte sein würde.

„Jimbo, weißt du, du solltest dich mir anschließen. Gemeinsam können wir die Centurion kapern und unseren Träumen zusammen nachjagen. Denk nur, wie großartig wir gemeinsam auf dem Schatzplanet zusammen waren. Was sagst du? Willigst du dieses Mal ein? Wir zwei ...“ Morph unterbrach entrüstet Silver. „Wir drei natürlich wären ein Spitzenteam. Was sagst du?“

Jim war versucht „Ja“ zu sagen. Er hatte es so lange bereut nach dem letzten Mal, wo er abgelehnt hatte, dass er diese Frage herbeigesehnt hatte.

„Silver, natürlich ...“, doch weiter kam er nicht, als Jim nur den entsetzten Blick von Blake in der Tür sah und immer alle Worte im Hals stecken blieben.
 

★★★
 

Blake war schneller verschwunden, als jemand hätte Centurion sagen können.

„Es tut mir leid, Silver. Ich kann nicht mit dir mitkommen ...“, brachte er entschuldigend vor, bevor er sich an die Verfolgung von Blake machte.

„Blake, das hast du falsch verstanden“, versuchte Jim ihn davon zu überzeugen, sich noch einmal anzuhören, was wirklich vorgefallen war. Wäre Blake nur eine Sekunde länger geblieben oder hätte das ganze Gespräch davor angehört.

„Bleib doch mal kurz stehen, wo willst du denn hin?“

„Weg“, brüllte Blake. „Einfach nur weg von euch Piratenpack.“

„Das ist doch nicht dein Ernst. Ich dachte, wir wären Freunde ...“

„Freunde?! Das ich nicht lachen. Mit dir will ich gar nicht befreundet sein.“

Das traf Jim hart. Er dachte, dass sie sich langsam sicher angefreundet hatten, dass sich vielleicht sogar mehr entwickeln könnte und jetzt dieser Rückschlag. Warum konnte er Blake nicht davon überzeugen, dass das alles anders war, als er dachte?

„Blake, hör doch mal zu. Blake, nur eine Minute, bitte. Leo, bitte, es tut mir leid.“

Blake blieb zumindest endlich stehen, aber er drehte sich immer noch nicht zu Jim um.

„Leo, ich bin kein Pirat. Ich wollte überhaupt nicht Ja sagen. Wärst du nur eine Minute später gekommen, hättest du meine volle Antwort gehört. Bitte, du musst mir glauben. Ich will dich nicht verlieren. Ich ...“

„Jungs, begrabt euren Streit schnell. Vor uns ist die Centurion und sie hat fast die Botany Bay erreicht.“

Blake und Jim liefen zeitgleich zur Backbordseite des Schiffes und sahen eine vertraute Silhouette am Horizont. Sie hatte fast den Asteroiden erreicht, aber waren noch außerhalb der Alarmanlagen.

„Sieht so aus, als würden sie ihre Kanonen auf das Sicherheitssystem über dem Asteroiden richten“, rief Blake und deutete auf den Satelliten über dem Orbit des Asteroiden. Wenn sie den zerstörten, würde die Atmosphäre keine undurchlässige Mauer mehr bilden und die Gefangenen konnten sich an Bord der Centurion flüchten.

„Das müssen wir verhindern. Können wir sie irgendwie daran hindern, dass sie den Satelliten unter Beschuss nehmen. Irgendwelche Ideen? Silver, hast du irgendeine Waffe an Bord, die wir einsetzten können?“

„Das kommt früh, Junge, hast du dir keinen Plan zurechtgelegt, wie wir die Centurion zurückerobern?“

Hatte Jim sich ehrlich gesagt wirklich noch keine Gedanken drüber gemacht. In den letzten Stunden war so viel emotional passiert und er war sich nicht einmal sicher gewesen, dass sie es rechtzeitig schaffen würden, sodass er soweit nicht vorausgedacht hatte.

„Ich hab eine Idee“, warf Blake ein. „Ehrlich gesagt hab ich da an etwas gebastelt. Ich weiß nicht, ob es funktioniert ...“

„Egal. Wir probieren es aus“, versicherte ihm Jim sofort. „Was ist es?“

„Du kennst doch die Projektionen aus Büchern.“ Jim nickte. Er hatte diese Bücher mit Projektionen als Kind geliebt, wo er selbst voll und ganz in die Geschichten eintauchen konnte. „Was ist, wenn wir diese Projektionen vergrößern und ihnen eine Armada von Schiffen zeigen würden?“

„Genial, mein Junge. Du hast auch was im Köpfchen. Du wirst mal ein ganz Großer. Und während sie abgelenkt sind von den Projektionen, können wir uns aufs Schiff stehlen und Eisenbart unschädlich machen. Ich hab noch ein paar Betäubungsbomben an Bord. Mit denen können wir die Crew ausschalten und sie fesseln, bevor sie wieder aufwachen.“

Blake wurde ganz rot vom Kompliment, das Silver ihm gab und Jim hatte wieder die leise Hoffnung, das noch nicht ganz Hopfen und Malz verloren war.

Der Plan war gefunden und in Gang gesetzt. Blakes Maschine wirkte Wunder und übernahm die Projektionen aus einem der Bilderbücher aus Silvers Bestand und vergrößerte sie.

„Okay“, sagte Silver, nachdem sie einen Testlauf in seiner Kajüte gestartet hatten. „Dann lasst uns dieses Piratenpack hereinlegen und euer Schiff zurückholen.“
 

★★★
 

Blake richtete seinen Projektor auf den Sternenhimmel auf der anderen Seite von Centurion und Jim beteten, dass es klappte und nicht sofort durchschaut wurde. Und dann wurde der Himmel vor Schiffen geflutet, die sich aus der Ferne zu nähern schienen. Jim konnte durchs Fernglas sehen, wie sich auf der Centurion Panik breitmachte. Die Kanonen, die auf den Satelliten gezielt hatten, wurden aus der Position gezehrt und auf die neuen Ziele ausgerichtet.

Bei dem Chaos würde ihr kleines Schiff kaum auffallen. Silver lenkte sein Schiff von unten heran, an die Centurion immer darauf bedacht, außerhalb des Sichtfeldes zu bleiben, bis sie sich langsam nach oben herantastete. Jim als geübter Schiffsjunge schnappte sich die erste Leine, die in seine Reichweite kam und begann vorsichtig daran hochzuklettern. Blake folgte ihm kurz darunter. Sie beide waren mit Betäubungsbomben bepackt und sie mussten vorsichtig sein, keine fallen zu lassen. Dann waren sie auf Höhe der Kanonen, doch das ganze Treiben spielte sich auf der anderen Seite ab, sodass die Piraten die Bomben gar nicht kommen sahen.

Jim hielt die Luft und robbte sich weiter voran, während er und Blake abwechselnd Bomben in die einzelnen Stockwerke des Schiffsbauchs warfen, bis sie ihren Weg nach oben aufs Deck erreicht hatte, wo sie ihre letzten Bomben unter die Menge der Piraten warfen, die nicht unter Deck waren.

Erst jetzt folgten Silver ihnen, der es nicht geschafft hätte, das Seil hochzuklettern. Stattdessen kam er nun mit seinem Schiff auf die Höhe des Decks und sprang, nachdem er sein Schiff befestigt hatte, an Bord.

„Schnell lasst uns die Piraten einschnüren, bevor sie wieder aufwachen.“

Geschwind machten sie sich an die Arbeit, als ….
 

„Was glaubt ihr, was ihr da auf meinem Schiff tut?!“

Die mechanische Stimme Eisenbarts drang aus dem Nebel, der immer noch von den Bomben auf dem Schiff lag und es schwer machte, weiter als einen Meter weit zu sehen. Warum war Eisenbart nicht ohnmächtig geworden?

Als der gefürchtete Pirat aus dem Nebel trat, wurde klar, dass ihm die Betäubungsbomben nichts anhaben konnten.

„Ganz aus Metall zu sein, scheint seine Vorteile zu haben“, bemerkte Silver, als er sah, wie Eisenbart das betäubende Gas einfach wieder ausstieß. „Damit kann ich nicht mithalten.“

„Wenn das nicht Long John Silver ist. Hab gehört, du bist längst im Ruhestand. Sieht wohl so aus, als hättest du dich der anderen Seite angeschlossen und machst jetzt gemeinsame Sachen mit der Marine.“

„Das ich nicht lache. Ich und die Marine? Die Jungs hier tun das nur, weil ich ihnen den Arsch gerettet habe, nachdem du sie ins All gestoßen hast. Du denkst doch nicht, dass ich dir oder der Marine so ein Schmuckstück an Schiff überlassen würde.“

Jim sah, wie Blake wütend die Faust ballte und machte ihm lautlos verständlich, dass er Silver vertrauen sollte. Blake nickte zu Jims Erleichterung.

„Das klingt schon mehr nach dir. Andere die Drecksarbeit für dich erledigen zu lassen. Aber leider kann ich dir das Schiff nicht überlassen, denn das passt nicht in meine Pläne. Du hast also die Wahl, du schließt dich mir an oder du stirbst. Obwohl, wenn ich ehrlich bin, hab ich keine Verwendung für dich und du hast gerade mit deinen Lakaien meine Mannschaft außer Gefecht gesetzt. Keine gute Voraussetzung für eine Vertrauensbeziehung. Also stirb!“

Und mit einem Schlag sprang Eisenbart auf Silver zu und verwandelte seine Arme in Schwerter. Silver versuchte es ihm gleich zu tun, doch er hatte nur einen Arm, den er als Klinge nutzen konnte und Eisenbart war schnell.

Jim konnte das nicht länger mit ansehen, schnappte sich eins der Schwerter von einem der Piraten und stürzte sich ebenfalls in Getümmel. So kämpften Silver und Jim Seite an Seite gegen den Piraten aus Eisen und konnte ihn langsam zu Boden zwingen. Natürlich waren er und Silver ein eingespieltes Team. Mit niemandem hatte er so viel das Parieren geübt wie mit Silver. Zwischen all den Aufgaben an Deck der R.L.S. Legacy, hatte Silver immer Zeit gefunden, mit ihm zu trainieren und ihm seine Tricks beizubringen. Sie währten sich siegessicher, als ...
 

„Jim, Vorsicht“, hörte er Blake schreien und im nächsten Augenblick wurde er zur Seite gestoßen. Blake war über ihm und hielt sich die Seite. Scheinbar hatte Eisenbart in einem letzten Versuch sich angeschlichen und sein Schwert auf ihn niederfahren lassen. Hätte Blake sich nicht dazwischen geworfen, wäre Jim jetzt wahrscheinlich nicht mehr am Leben.

Wutentbrannt hatte sich Silver auf Eisenbart gestürzt und mit Schwung über die Reling befördert. Jetzt war es an Eisenbart ins schwerelose All zu stürzen und vom Wind davon getrieben zu werden. Bald war er nur noch ein entfernter Punkt am Horizont, den ein starker Wind wehte durch die Galaxie. Sie hatten ihre erste Schlacht auf der Centurion überstanden.

„Alles in Ordnung? Bist du verletzt?“, fragte Jim Blake entsetzt, immer noch schockiert von den Ereignissen der letzten Sekunden.

„Nur eine Schnittwunde, nicht weiter tragisch“, versuchte Blake die Sache runterzuspielen.

„Nicht weiter tragisch. Lass mich mal sehen.“ Jim zog Blake das Hemd über den Kopf und besah sich die Wunde. Sie schien wirklich nur oberflächlich zu sein, stellte er erleichtert fest. Trotzdem ließ er keine Widerworte zu, bis er die Wunde versorgt hatte. Dann erst sah er Blake an, der sehr still geblieben war und leicht peinlich berührt war.

„Du hast mir das Leben gerettet, danke. Ich schulde dir was.“

Blake wehrte ab. „Nein, sieh es als Entschuldigung an und außerdem schulde ich dir was. Ich weiß, dass du mich beschützen wolltest, als du aus dem Versteck gesprungen bist.“

Jetzt war es an Jim abzuwehren. „Das hätte doch jeder gemacht. Mir tut es leid, dass ich dich erst in dieses Schlamassel gebracht habe. Ich schulde dir so viel dafür.“

„Nein, nein, das war das beste Abenteuer meines Lebens. Ich schulde dir genauso viel.“

„Jetzt stellt euch nicht so an, akzeptiert die Entschuldigung des anderen und diskutiert nicht, wer wem wie viel schuldet. Seid dankbar, dass ihr einander habt und schlagt ein. Mein Gott, müsst ihr das so kompliziert machen.“ Silver verdrehte die Augen und die beiden lachten, bevor sie sich umarmten. Silver hatte Recht. Jim war unendlich dankbar, dass es Blake gab.

Sie hatten es geschafft. Sie hatten Eisenbart besiegt und die Centurion erfolgreich zurückerobert. Jetzt würde alles wieder gut werden.
 

★★★
 

Sie feierten ihren Sieg einen kleinen Augenblick, nachdem sie die restlichen Piraten gefesselt und unter Deck gebracht hatten, doch dann war der Moment für den Abschied wieder einmal gekommen.

Jim sah es in Silvers Augen und er wusste, dass er ihn wieder nicht aufhalten würde. Morph gab ein herzzerreißendes Geräusch von sich, da auch er ahnte, dass das Wiedersehen mit seinem alten Gefährten am Ende angelangt war. Blake hatte sich lautlos entfernt und schien ihnen den Raum für einen privaten Moment zu dritt zu geben. Das überraschte Jim, denn Blake hatte nur widerspenstig mit Silver zusammengearbeitet. Er hatte damit gerechnet, dass er darauf bestehen würde, Silver den Autoritäten zu übergeben.

„Jimbo, wahrscheinlich sollte ich dich das gar nicht mehr fragen, da ich deine Antwort schon kenne, aber noch ein letztes Mal der alten Zeiten willen: Willst du dich nicht doch mir anschließen? Du hättest so viel mehr Freiheiten als in der Marine. Du wärst ein erstklassiger Pirat mit deinem klugen Köpfchen.“

Jim wünschte sich, er könnte einfach Ja sagen, alles hinschmeißen und mit Silver segeln. Der Jim von vor einer Woche hätte vielleicht nicht länger gezögert, aber der Jim von heute hatte in den letzten Tagen ein Abenteuer erlebt und sich daran erinnert, dass er nicht so alleine im Universum war, wie er immer gedacht hatte. Mit Blake würde sogar die Akademie von jetzt erträglich werden.

Also schüttelte Jim nur den Kopf mit einem traurigen Lächeln. Auf ihn wartete eine andere Art von Freiheit. Die verantwortungsvolle Art von Freiheit mit Regeln und Pflichten.

„Wusste ich es doch. Dann komm her, Junge, lass dich noch einmal in den Arm nehmen. Wer weiß, ob wir uns noch ein weiteres Mal über den Weg laufen werden.“

Jim musste die Tränen runterschlucken, als Silver ihn an seine Brust zog und ihn in die Arme schloss. Er würde den alten Haudegen wirklich vermissen. Er konnte es nicht glauben, dass sich schon zum zweiten Mal ihre Wege trennten. Morph schluchzte herzzerreißend. Auch für ihn war diese erneute Trennung furchtbar. Gerade erst hatten sie sich wiedergefunden. Doch dieses Mal war Jim zuversichtlicher. Wenn sie sich mitten im All über den Weg gelaufen waren, würde sie sich noch einmal wiedersehen. Da war er sich sicher.

Dann war die Umarmung vorbei und der Abschied an seinem Ende angelangt.

Silver wollte gerade auf sein Schiff überwechseln, als er innehielt und sich noch einmal zu Jim umdrehte.

„Jimbo, einen Tipp will ich dir noch auf den Weg mitgeben, bevor du so einen dummen Fehler wie ich machst und alles für den falschen Traum aus dem Fenster schmeißt.“

Jim sah ihn fragend an. Er verstand nicht ganz, worauf Silver abzielte.

„Mach die Augen auf. Du hast schon jemand an deiner Seite, der dich nie im Stich lassen wird. Du musst diese Person nur noch festhalten.“

„Wen …?“

Silver machte eine leichte Kopfbewegung in Richtung Schiffsbug, wo nur Blake stand und in den Horizont sah. Als ob er seinen Blick bemerkt hatte, drehte er sich um und sah ihm direkt in die Augen, bevor er ihm kurz zuwinkte und sich dann wieder abwandte. Jims Herz machte wieder diesen Satz und seine Brust fühlte sich brennend heiß an, als würde eine Sonne in ihm lodern.

Er wurde rot und wehrte mit den Händen ab.

„Das hast du missverstanden. Blake kann mich überhaupt nicht leiden. Er ...“

„Hat dir nur einfach so das Leben gerettet und seine Prinzipien über Bord geworfen, niemals mit einem Piraten gemeinsame Sache zu machen, ey?!“

Jim sah die Ereignisse der letzten Stunden und Tage an sich vorbeirauschen. War Blake noch derselbe, der ihn vor einer Woche in der Cafeteria von oben herab behandelt hatte? Sah er in ihm immer noch den Schnösel und das Vatersöhnchen? Die Antwort war eindeutig Nein. Aber was war Blake dann für ihn und sah Blake ihn auch anders?

„Siehst du mein Junge, du weißt, was ich meine. Du solltest es wagen, meinst du nicht? Mir zuliebe, versprochen Jimbo?“

Jim blieb ihm eine Antwort schuldig, aber Silver wartete sie auch gar nicht ab, sondern sprang zurück auf sein Schiff, das er von der Centurion löste und sich abstieß.

„Mach's gut, mein Junge. Pass auf dich auf. Und pass gut auf Morph auf! Und Morph, du mir auf Jim, ja?!“

Und dann war Silver am Horizont verschwunden. Jim sah ihm sehnsuchtsvoll nach, bevor er sich abwandte und zu Blake hinüberging.
 

★★★
 

„Du hast ihn also wieder gehen lassen?“, fragte Blake ihn, ohne ihn direkt anzusehen, sodass Jim nicht sagen konnte, ob er ihm wieder Vorwürfe machen oder ihn wieder als Pirat beschimpfen würde.

„Ja, er hat uns geholfen Eisenbart aufzuhalten“, gab Jim zurück. Er würde Silver immer wieder beschützen, auch wenn er wusste, dass er als Kadett der intergalaktischen Akademie anders handeln sollte, aber Silver war für ihn soviel mehr als nur ein Pirat. Er war sein Freund, sein Lehrer und – wahrscheinlich neben Dr. Doppler – der einzige Vater, den er jemals gekannt hatte und dafür war ihm unendlich dankbar.

„Das macht dich traurig oder?“ Blake sah ihn und legte ihm mitfühlend eine Hand auf die Schulter. „Tut mir wirklich leid, dass du ihn wieder gehen lassen musst. Ich kann verstehen, wie sehr du ihn vermissen wirst und wie sehr du eigentlich mit ihm fahren wolltest.“

Jim spürte, wie sein Herz wieder zu rasen begann. Er fühlte definitiv nicht mehr so wie vor einer Woche für Blake. Warum war ihm nie aufgefallen, wie einfühlsam Blake war?

„Aber ich bin erleichtert, dass du geblieben bist, wenn ich ehrlich bin. Ohne dich wäre es langweilig an der Akademie. Wer kann mir sonst das Wasser reichen?“

Blake sah ihm tief in die Augen und Jim schlackerten die Knie vor Schmetterlingen. Sein Gesicht wurde ganz heiß. Sollte er es einfach wagen, wie ihm Silver geraten hatte?

„Das empfinde ich genauso. Du bist … wie ein arkturianischer Sonnenkristall …“

Jim sah, wie Blake lachte und wurde noch roter im Gesicht und stammelte verlegen weiter vor sich hin. „Was ich sagen will … also äh … ohne dich funktioniert der Antrieb nicht, egal wie toll mein Solarsurfer ist … ohne dich fehlt etwas … also eben der Sonnenkristall … also du bist wichtig für mich ...“

„Halt die Klappe, du Idiot“, murmelte Blake und zog ihn an sich und ehe sich Jim versah, spürte er Blakes Lippen auf seinen und die Sonne in seinem Herzen verwandelte sich in eine Supernova, die alle seine Sinne betäubte und ihn in ein schwarzes Loch sog, aber es war überhaupt nicht dunkel und verängstigend, sondern wunderschön und atemberaubend. Da war nur noch Platz für ein einziges Gefühl in ihm. Ob das schon Liebe, von der die Dichter immer so zärtlich sprachen, wusste Jim noch nicht, aber er wusste, es fühlte sich richtig und gut an und dass er diesen Augenblick mit niemand anderen als Blake teilen wollte.

Der Kuss endete viel zu schnell und auch der nächste und der darauffolgende. Irgendwann zwischen zwei Küssen sagte Blake mit einem breiten Grinsen im Gesicht: „Das heißt jetzt übrigens nicht, dass ich dich in den Prüfungen gewinnen lasse. Nur damit das klar ist: Ich bin und bleibe der beste Schüler unserer Jahrgangsstufe.“

Jim boxte ihn leicht in der Seite und lachte. „Das werden wir ja noch sehen.“

Und so segelten sie in ihre hoffentlich strahlende Zukunft mit zwei kleinen Sonnen in ihren Herzen, die in diesem Augenblick so hell und schön strahlten, dass man geblendet wurde, wenn man zu lange hinsah, denn ihre Liebe hatte gerade erst begonnen.
 

Here comes the Sun and I say

It's all right
 



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