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Meister-Rune

Magister Magicae 13
von

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Erkennen

Olha griff sich stöhnend an den Kopf und hatte ein paar Probleme damit, wieder ganz zu sich zu kommen. "Grundgütiger", ächzte sie.

"Alles okay, nichts passiert", meinte Waleri, während er ihr wieder aufs Sofa half.

"War ich etwa bewusstlos?"

"Ja."

"Was in aller Welt ...!?"

"Nur ein dummer Streich von einem Wichtel", log der Hühne sie aalglatt an. Er konnte ja schlecht von einem Eindringling mit geladener Pistole erzählen, und davon, dass ihn gerade seine Vergangenheit wieder einzuholen drohte. "Er hat dich und die Kinder schlafen gelegt. Ich hab den Witzbold wieder rausgeschmissen. Und morgen geh ich mal nachsehen, wo der herkam. Nicht, dass wir hier irgendwo ein ganzes Nest von diesen Viechern haben."

Damit gab Olha sich vorläufig zufrieden.

Waleri ging das Fenster schließen. Dabei schweifte sein Blick über die Landschaft draußen. Über die Berge in der Ferne, und den See davor, und die dichten, grünen Wälder links und rechts. Sein Haus wurde also überwacht. Schöner Mist. Aber wer, wenn nicht die Polizei, sollte denn bitte noch ein Interesse an ihm haben?
 

Waleri zuckte erschrocken zusammen, als er keine zwei Wochen später in die Küche kam und einen unerwarteten Gast am Tisch sitzen sah. Er hatte geglaubt, allein im Haus zu sein. Olha und die Kinder tobten draußen am Seeufer herum. Er hatte nicht mit Besuch gerechnet. Schon gar nicht mit diesem hier. Victor hatte sich ungeniert ein Glas Cola eingegossen und vertrieb sich die Zeit damit, in der Tageszeitung zu blättern. Waleri wusste im ersten Moment gar nicht, ob er sich über diese Dreistigkeit ärgern sollte, oder ob er sich angesichts dieses unerwarteten Besuchs freuen oder ängstigen sollte. Wenn Victor ungebeten irgendwo auftauchte, war das meistens nicht gut. Waleri schluckte den Schreck herunter und trat endlich ganz in die Küche ein. "Meine Fresse, Mann, hättest du nicht sagen können, dass du kommst?", brummte er.

"Ich bin ja nicht blöd. Ich werde dich doch nicht vorwarnen, damit du Hilfe organisieren oder eine Falle vorbereiten kannst."

Kopfschüttelnd spazierte der Muskelprotz zum Kühlschrank hinüber. "Wann wirst du endlich einsehen, dass ich nie dein Feind war? Ich verspüre keine Lust, dir irgendwas anzutun. Ich bin nicht Vladislav."

"Ich kann nicht vorsichtig genug sein, das weißt du."

"Du sagtest, wenn du dich mit mir treffen wölltest, dann garantiert nicht hier!?"

"Ach naja ..." Victor schob die Tageszeitung von sich weg. "Deine Observateure bist du ja inzwischen losgeworden. Dein Haus ist wieder sicher. Komische Freaks, diese Para-Militärs, die arglose Nachbarhäuser stalken, nur um ihre Spionage-Fertigkeiten zu trainieren. Ich hab sie mir angesehen."

Waleri nahm die Colaflasche aus dem Kühlschrank, und ein Glas vom Abtropfgestell, und goss sich ebenfalls etwas zu trinken ein. Er erzählte nicht, dass die Typen aus dem Trainings-Camp versucht hatten, ihn zu rekrutieren, als er sie zur Rede gestellt hatte. Es hätte ihn sogar gereizt, wenn er noch in der körperlichen Kondition dafür gewesen wäre. Aber Waleri fühlte sich langsam zu alt für solchen Scheiß. "Also, was hat dich herverschlagen?", wechselte er mit betont freundlicher Stimmlage das Thema.

"Du wolltest reden."

"Stimmt wohl." Waleri stellte die Flasche beiseite, lehnte sich mit dem Hintern gegen das Spülbecken und nippte an seinem Glas. Irgendwas hielt ihn davon ab, sich zu Victor an den Tisch zu setzen. Vielleicht hatte er Angst, Victor direkt wieder zu verscheuchen, wenn er sich ihm näherte, so wie man ein verängstigtes Tier auf der Straße verscheuchte, dem man zu schnell zu nahe kam.

"Also? Ich höre."

"Ich weiß nicht so richtig", begann Waleri unschlüssig. "Eigentlich dachte ich, du hättest noch irgendwelche Rechnungen mit mir offen. Immerhin hast du mir gedroht, mich bei der nächsten Begegnung umzulegen. Aber letztes Mal, als wir uns tatsächlich wieder begegnet sind, hast du mir ja suggeriert, dass da nichts mehr wäre. Damit hat sich mein Gesprächsbedarf eigentlich schon wieder erübrigt."

"Ich hab mich noch nicht entschieden."

"Wofür?"

"Ob ich dich umlegen soll oder nicht", kommentierte Victor trocken.

Der Muskelprotz seufzte unwillig. Er war diese dummen Drohungen leid. Zumal er Victor gut genug kannte, um zu wissen, dass seine Drohungen fast IMMER leer waren. Wenn Victor wirklich jemanden über den Haufen schießen wollte, dann tat er es einfach, ohne vorher viel rumzuquatschen. "Komm schon, Mann. Ich habe inzwischen eine Frau und zwei Kinder. Vladislav ist tot. Ich habe mich von der ganzen Motus-Sache distanziert. Du weißt genau, dass ich schon lange nicht mehr so bin. Und du weißt, dass ich selber nur ein Gefangener war."

Der ehemalige Vize musterte ihn aufmerksam und fast etwas besorgt. "Du siehst echt scheiße aus, weißt du das?", wechselte er seinerseits spontan das Thema, als wolle er zu 'der ganzen Motus-Sache' nichts mehr sagen.

Waleri nickte. "Seit Vladislav tot ist, geht meine Gesundheit rapide in den Keller. Ich hab das Gefühl, mir geht's jeden Tag schlechter."

"Ich spüre immer noch Bann-Magie, die an dir haftet, und die trotz Vladislavs Tod nie verflogen ist. Vielleicht zehrt die an dir, mangels anderer Energiequellen." Der Hänfling erhob sich geruhsam von seinem Sitzplatz und kam näher, was Waleri sichtlich irritierte. Einen Moment lang schien es, als wäre Waleri jetzt derjenige, der Angst vor Victor haben musste, statt umgekehrt. "Mach dir nicht die Mühe, deinen Zeitpuffer einzusetzen. Inzwischen habe ich Vorkehrungen getroffen, damit der auf mich nicht mehr wirkt."

Waleri rollte angesichts dieser Unterstellung genervt mit den Augen, sagte aber nichts. Wenn Victor schon freiwillig auf Schlagreichweite herankam, war der Zeitpuffer sicher das letzte, worum er sich Sorgen machen sollte. Den brauchte Waleri auf so kurze Distanz beileibe nicht. Und ohnehin hielt Waleri das für einen Bluff. Es gab keine bekannte Magie, die einen Zeitpuffer wirksam übergangen hätte. Aber sollte der Winzling doch behaupten was er wollte. Langsam wurde es nur lästig, dass der mit seiner großen Klappe nie um eine blöde Bemerkung verlegen war. Waleri hatte das Gefühl, wirklich JEDE Aussage von Victor mit einem Augenrollen quittieren zu müssen.

Victor hob die Hand unvermittelt Richtung Waleris Schulter und ließ sie von dort aus langsam und suchend über den ganzen Oberkörper schweben, ohne ihn zu berühren. Er ließ stets ein paar Zentimeter Luft dazwischen. Ab und zu schüttelte er unterschwellig den Kopf, dann suchte er weiter. Was auch immer er zu erspüren versuchte, fündig wurde er nicht. Waleri ließ ihn machen, nippte zwischendurch an seinem Getränk und wartete kommentarlos ab. Irgendwann trat Victor ratlos einen Schritt zurück, legte sich den Zeigefinger über die Lippen und musterte sein Gegenüber nochmal von oben bis unten mit seinem Blick. Seine Augen waren grübelnd verengt. "Was IST das bloß?", überlegte er laut. Sein Ego war sichtlich unzufrieden damit, dass ihm ernsthaft etwas begegnete, was er noch nicht einordnen konnte. "Dreh dich mal um."

Waleri kam der Aufforderung gleichgültig nach. Er spürte, wie Victors Hand vom Genick aus die Wirbelsäule abwärts abwanderte, diesmal mit Körperkontakt, und an einer Stelle plötzlich stoppte, als wäre sie in dieser Position eingerastet. Dann zog Victor ihm das T-Shirt hoch, konnte ein erschrockenes "Scheiße!" nicht unterdrücken und ließ den T-Shirt-Saum reflexartig wieder los, als hätte er sich daran die Finger verbrannt. Der Stoff fiel auf Waleris Haut zurück. Der Hühne drehte sich fragend wieder halb zu ihm um. "Was ist los?"

Victor war förmlich einen halben Schritt zurückgesprungen, als wolle er sich in Sicherheit bringen. Er wirkte etwas verstört und brauchte erstmal ein paar Atemzüge, bis er passende Worte fand. "Verdammte Axt ...", keuchte er irgendwann, um sich wieder einzukriegen. "Ich wusste nicht, dass Vladislav sogar zu dir so grausam war. Zu seinem eigenen Genius. ... Er hat dir die Meister-Rune auf den Rücken gebannt."

Waleris Augenbrauen zuckten in einer runden Mischung aus Verstehen und Verwunderung. Er hatte von dieser Art Magie gehört. Sie erzwang totale Unterwerfung mit der Brechstangen-Methode. Sie setzte nicht den freien Willen außer Kraft, wie andere Gehorsams-Bannzauber, sondern bestrafte lediglich den Ungehorsam. Nicht permanent, aber immer dann wenn es gewünscht war. Sie konnte wie ein Lichtschalter aktiviert oder abgestellt werden. Aber sie war so brachial, dass sie nicht einmal bei den Sklaven auf dem Sklavenmarkt verwendet wurde, weil sie massive, bleibende Schäden anrichten konnte, wenn man nicht vorsichtig war. Vladislav hatte nie Gebrauch davon gemacht. Aber allein, sich diese Option gegenüber seinem eigenen Schutzgeist offen zu halten, war schon krass.

"Das erklärt deinen Gesundheitszustand", fuhr Victor düster fort. "Du musst dir die Meister-Rune wie Blutspenden vorstellen. Die Rune ist die Kanüle, mit der du angezapft wirst, so dass dir permanent Kraft und Lebensenergie entzogen wird. Vladislav hatte die Gewalt darüber, ob er dir Lebenskraft entzieht, und wie viel. Damit kann man jemanden umbringen, wenn man will. Seit Vladislav tot ist, strömt die Lebensenergie ungehindert aus dir heraus und versickert im Nichts. Du verlierst non stop Kraft." Victor legte sich erneut nachdenklich den Zeigefinger über die Lippen. "Ihr Elasmotherium seid pure Kraftpakete. Ich schätze, nur deshalb bist du überhaupt noch am Leben. Jeder andere wäre daran schon längst verreckt. Dir gebe ich auch maximal noch ein Jahr, wenn diese Rune nicht entfernt wird, zumal der Verfall immer schneller voranschreitet, je schwächer du sowieso schon bist."

Bei dieser Nachricht musste auch Waleri selbst erstmal schwer durchatmen und setzte überfordert sein Glas auf dem Spülenrand ab, als wäre es plötzlich zu schwer um es in der Luft zu halten. "Ich hätte mir ja viele Ursachen vorstellen können. Aber das ist noch übler als ich dachte."

Victor schwieg lange und haderte sichtlich mit sich. Dann kam er mit einem leichten Kopfschütteln zu einem negativen Entschluss. "Im Moment kann ich dir nicht helfen. Ich kenne die Meister-Rune nur aus der Theorie. Ich habe noch nie eine in der Realität gesehen. Ich weiß zu wenig darüber. Wenn ich versuche, die zu lösen, bringe ich dich dabei vielleicht um."

"Ich finde es ja schon erstaunlich, dass du überhaupt darüber nachdenkst, mir zu helfen, bei der Meinung die du offenbar über mich hast."

Ein trauriges Lächeln war die Antwort. "Bete, dass die Rune nicht nur vom Meister selbst wieder aufgehoben werden kann. Gib mir ein paar Tage, um mich zu belesen." Er deutete fast drohend mit dem Zeigefinger auf Waleris Nasenspitze. "Und stell in der Zwischenzeit nichts Blödes an", legte er dabei vielsagend nach.

Waleri wusste sofort, welchen Blödsinn er konkret meinte. Sowas Blödes wie Fallen zu bauen, oder jemanden auf Victors Spur zu bringen. Nun, Waleri würde sich hüten, solange sein Leben von diesem zu klein geratenen Gestaltwandler abhing - und wahrscheinlich auch danach.



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