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Roter Regen

von

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Kapitel 5: Gewitter


 

Es regnete immer noch, als Chris und Jill wenig später selbst dem Fluss neben dem Forest Park hinaufliefen. Die Steine am Ufer waren rutschig, so dass Jill fast ins Wasser gefallen wäre; lediglich ein beherzter Griff von Chris hatte sie vor dem Sturz bewahrt. Seitdem liefen sie durch den Schlamm direkt daneben, der ihre Schritte dafür schwerer werden ließ. Sie hatten gerade einmal die Hälfte der Strecke hinter sich gebracht, als sie schon triefend nass waren. Das half allerdings, dass sie merkte, dass Murphy recht hatte: Wut schwelte in ihrem Inneren, etwas, das sie sonst nicht in dieser Art und Weise kannte, schon gar nicht im Regen. Sie wusste nicht, ob es Chris genauso erging, er marschierte mit entschlossenem Gesichtsausdruck neben ihr her, den Blick fest auf den Wasserfall gerichtet.

Die Wut unterdrückte auch das Bedürfnis, darüber zu reden, was geschehen wäre, wenn Murphy sie nicht unterbrochen hätte. In dieser Stimmung wäre das Gespräch mit Sicherheit nicht gut gelaufen. Außerdem war das Rauschen des Regens derart laut, dass er ohnehin jeden Gesprächsversuch zunichte gemacht hätte.

Von der Aussichtsplattform hatten sie bereits gesehen, dass es keinerlei verdächtige Einrichtungen rund um den Wasserfall gab. Deswegen verschwendeten sie keine Zeit, als sie endlich dort angekommen waren, um etwas zu suchen, was gar nicht existierte. Ihr direkter Weg führte sie hinter den Wasserfall – und dort fanden sie wirklich eine in den Felsen eingelassene Stahltür. Sie war nicht abgeschlossen, fast als würden sie erwartet. Es bestand nach wie vor die Möglichkeit, dass Harry oder Murphy auch etwas damit zu tun hatten. Jill hoffte allerdings, dass sie sich irrte, denn sonst müsste sie sich Gedanken um ihre Menschenkenntnis machen.

Mit gezogenen Waffen traten sie in einen leeren Höhlengang. Ohne die Tür wäre Jill nicht davon ausgegangen, dass sich hier etwas verbarg, aber so war es durchaus verdächtig. Schließlich hielten sie vor einer weiteren Stahltür inne. Sie stellten sich zu beiden Seiten auf und tauschten noch einen Blick miteinander.

»Bist du bereit?«, fragte Chris mit gedämpfter Stimme.

Theoretisch war sie das, aber davor musste sie doch noch etwas loswerden: »Schade, dass es dann schon vorbei sein wird. Ich könnte mich echt daran gewöhnen, Redfield zu heißen.«

Sie hatte erwartet, dass er darüber tadelnd die Stirn runzeln würde, doch stattdessen hob er einen Mundwinkel zu einem schrägen Lächeln. »Das könnten wir ja arrangieren.«

»Ist das ein Heiratsantrag?«, fragte sie schmunzelnd.

Sein Gesichtsausdruck änderte sich kein bisschen, er neigte nur ein wenig den Kopf. »Wenn du es so interpretieren willst.«

Eigentlich war es lächerlich, sie war sich fast sicher, dass es ein Witz war. Bislang waren sie nicht einmal miteinander ausgegangen oder hatten je darüber geredet, dass sie ein Paar sein könnten. Gleichzeitig konnte sie sich aber auch vorstellen, ihn zu heiraten und dass sie ein großartiges Ehepaar abgeben würden. Sie waren schon so lange Partner und vertrauten einander blind, viel unterschied sie da gar nicht mehr von einem richtigen Ehepaar. Und nach dem heutigen Nachmittag und der Spannung zwischen ihnen, war sie sogar gewillt, ihnen eine Chance zu geben.

Doch er wartete keine weitere Antwort von ihr ab, sondern öffnete die nächste Tür. Dahinter erstreckte sich ein Labor vor ihnen. Auf einem Tisch lagen unzählige rote Kerne, auf einem anderen standen Flaschen mit rotem Pulver und dann war da noch ein Schrank, in dem verschiedene Seren untergebracht waren. Während ihr Blick darüber wanderte, entdeckte sie auf manchen Etiketten das Logo von Umbrella, auf anderen das von Tricell.

Ihr Inneres wurde schwer. Von diesen beiden Unternehmen hatte sie nie wieder etwas hören oder sehen wollen. Wie konnten immer noch Materialien von ihnen existieren?

Chris schnaubte leise, als er am selben Schrank stehenblieb. Er bedeutete ihr, dass sie weitergehen müssten, was sie dankbar annahm.

Der nächste Raum war allerdings noch schlimmer. Ein Dutzend Tanks waren hier verteilt, darin befand sich eine rötliche Flüssigkeit – und Menschen. Jeder einzelne Tank beherbergte eine Person in unterschiedlichen Stadien der Mutation, angefangen mit einer Frau, die aussah, als würde sie einfach nur schlafen – wenn man von dem Baumsetzling absah, der aus ihrem Unterleib wuchs –, über einen Mann, dessen Oberkörper derart definiert war, dass sein Kopf zu klein für ihn wirkte, bis hin zu einem Klumpen Fleisch, bei dem Jill nicht einmal mehr sicher sagen konnte, ob es wirklich einmal ein Mensch gewesen war. Er pulsierte noch, also war er am Leben, doch was es war, das wusste sie nicht.

Chris runzelte die Stirn, sein Gesichtsausdruck wurde immer ernster, je mehr er betrachtete. »Was ist das für eine kranke Scheiße?«

Plötzlich wurde eine weitere Tür geöffnet. Jill und Chris wirbelten herum und zielten auf den Neuankömmling. Es überraschte sie nicht einmal, dass es wirklich Kaysen war, der dort stand. Er trug einen Laborkittel, was ihn weniger wie einen harmlosen Händler und mehr wie einen Wissenschaftler erscheinen ließ. Selbst sein Lächeln wirkte nun finsterer und undurchdringlich.

»Ah, die BSAA-Agenten«, sagte er freundlich. »Ich hätte wissen müssen, dass Sie kommen, schließlich ist mir auch aufgefallen, dass ein paar meiner fehlgeschlagenen Experimente verschwunden sind.«

Unwillkürlich fragte Jill sich, ob diese Fehlschläge noch menschlich genug gewesen waren, um einen Fluchtversuch zu starten, den sie nicht überlebt hatten oder ob sie nur auf der Suche nach Nahrung zu Tode gekommen waren.

»Sie wissen, wer wir sind?«, fragte Chris. »Dann erspart es uns die Vorstellungsrunde. Sie sind hiermit verhaftet!«

Kaysen kümmerte sich nicht um den letzten Satz, er fuhr unbekümmert fort: »Natürlich wusste ich sofort, wer Sie sind. Ich mache das hier schon lange genug, um Agenten wie Sie zu erkennen.«

Er nickte in Richtung des Tanks, in dem der Fleischklumpen ruhte. »Manche Ihrer Kollegen können das sicher bestätigen.«

Hatte die BSAA schon einmal jemanden geschickt? Nein, das hätte sie gewusst. Es mussten andere Ermittler sein, die hergekommen waren, um herauszufinden, was er hier trieb. Oder sie waren woanders hingeschickt worden und er hatte sie hergebracht. Aber was auch immer letztendlich passiert war, sie durften ihn nicht damit davonkommen lassen.

»Legen Sie die Hände hinter den Kopf!«, wies Jill ihn an.

Kaysen lachte amüsiert. »Oh, das wird bestimmt helfen. Aber bitte, ich spiele mit.«

Er tat, was sie ihm aufgetragen hatte. Chris ging langsam auf ihn zu, um ihn festzunehmen. Gerade als er die Hand nach Kaysen ausstreckte, funkelte etwas in den Augen des Mannes. Sie reagierte noch bevor sie wirklich begriffen hatte, was los war, und schoss. Getroffen taumelte Kaysen rückwärts, er lachte und wedelte mit dem Messer, das plötzlich in seiner Hand war. Chris wich ein wenig zurück und zielte nun auch wieder mit der Pistole auf ihren Feind, der offensichtlich gefährlicher war als gedacht.

»Gar nicht schlecht!«, dröhnte er. »Die letzte Person hat mich nicht so gut erwischt!«

Jill sog scharf die Luft ein. Ihre Kugel hatte ihn direkt in der Brust getroffen, wo das Herz sitzen müsste – doch statt Blut schälten sich nur rote Ranken aus der Wunde und breiteten sich rasend schnell über Kaysens gesamten Körper aus, bis er aussah wie ein überwucherter Strauch. Nein, eher wie ein ungeeigneter Uroboros-Kandidat, der von dem Virus verschlungen worden war und nun nur noch aus den schwarzen Schlangen bestand, in diesem Fall waren sie allerdings rot. Kaysens Lachen riss dabei kein einziges Mal ab, seine Stimme veränderte sich nicht einmal.

Chris wich zurück, bis er neben Jill stand. Aus dem Augenwinkel sah sie sein blasses Gesicht, was ihr sagte, dass er denselben Vergleich gezogen hatte wie sie. Sie schossen beide gleichzeitig. Die Kugeln rissen Löcher in die Rankenschicht, Stücke davon platzten ab, doch sie wurden rasch von neuen Ranken ersetzt.

»Ich werde dich als Nährboden für einen neuen Baum verwenden!«, kreischte Kaysen fröhlich und rannte auf Jill zu.

Sie wich zur Seite aus, während Chris weiter auf ihn schoss. Kaysen lachte nur, als kitzelten die Kugeln ihn. Er griff nach Jill, die sich schließlich an die Wand manövriert hatte – doch da zerplatzte der Arm in unzählige welke Astteile, die zu Boden fielen und dort in Sekundenbruchteilen verdorrten.

Chris stand inzwischen mit der Magnum im Anschlag und feuerte noch zweimal, worauf weitere große Teile aus Kaysens Körper platzten. Die Ranken wuchsen dennoch sofort nach, schneller als Chris schießen konnte. Das kümmerte ihn aber nicht, er nickte stattdessen in eine bestimmte Richtung. »Jill, los!«

Sie duckte sich unter einem weiteren Arm hindurch und rannte auf das zu, wohin Chris gezeigt hatte. In ihrem Rücken spürte sie immer wieder, wie Kaysen erneut versuchte, nach ihr zu greifen, doch die Magnum-Schüsse schienen sie stets aufs Neue zu retten. Aus dem Augenwinkel bemerkte sie plötzlich, wie hinter Chris Ranken aus einem Luftschacht wuchsen. Zwei gezielte Schüsse von ihr ließen die Ranken zurückschrecken und machte Chris auch auf die Gefahr aufmerksam. Er antwortete darauf, indem er kurzentschlossen eine Granate in Richtung des Schachts warf. Die Druckwelle ließ Jill für einen Moment in die Knie gehen, damit ging ein weiterer Griff von Kaysen ins Leere. Er lachte dennoch glucksend, was eine Gänsehaut bei ihr auslöste.

Endlich erreichte sie ihr Ziel: eine Flasche Flüssigstickstoff. Ihr blieb nur noch zu hoffen, dass sie wirklich voll war.

Sie drehte sich um. Kaysen stand direkt vor ihr, die Ranken bewegten sich wie die Uroboros-Schlangen, erzeugten dabei aber ein knarrendes Geräusch. Chris zielte mit der Magnum, jetzt lag es nur noch an ihr.

»Du wirst bestimmt einen guten Nährboden abgeben«, sagte Kaysen. »Der Baum, der aus dir wächst, wird ein besonders großer werden.«

Jill schnaubte. »Das einzige, was in mir wächst, ist mein Abscheu gegen Leute wie dich!«

Er lachte wieder und sprintete erneut auf sie zu. Sie hechtete zur Seite. Ein weiterer Schuss ertönte, die Kugel traf den Stickstoff-Behälter. Kaysen gab einen überraschten Laut von sich, als er von der austretenden Chemikalie getroffen wurde. Die Ranken froren innerhalb kürzester Zeit ein und ließen ihm nicht einmal mehr die Gelegenheit zur Flucht.

»Warum?«, hauchte er, als sein Körper endlich erstarrte.

Jill und Chris zielten weiter auf ihn, warteten, dass noch etwas geschah, vor allem, wenn sie es nicht erwarteten. In der Vergangenheit war es schon zu oft geschehen, dass sie sich sicher gewähnt hatten, nur um dann doch noch überfallen zu werden.

Doch Kaysen bewegte sich weiter nicht. Sie tauschten einen Blick miteinander, Jill nickte. Chris näherte sich der eingefrorenen Gestalt und trat leicht dagegen. Ein Teil der Ranken fiel einfach von ihm ab und zerplatzte auf dem Boden. Kaysen rührte sich immer noch nicht. Davon ermutigt senkte Chris die Waffe und versetzte der Figur einen Fausthieb. Das genügte vollkommen, um auch den Rest dieser grotesken Gestalt in unzählige Teile zerspringen zu lassen. Einige von ihnen landeten direkt vor ihr, worauf Jill sich beeilte, sie zu zertreten, nur sicherheitshalber.

»War es das?«, fragte Chris.

Sie wollte das nicht bejahen, bevor sie nicht den Rest der Einrichtung durchsucht hatten. Das war glücklicherweise schnell geschehen, denn ansonsten gab es nur noch einen Raum, in dem der Müll entsorgt wurde – er war leer –, und der Kommandoraum, wo zahlreiche Server und Monitore aufgebaut waren. Auch hier war sonst niemand zu sehen.

»Hat er die Anlage ganz allein betrieben?«, fragte Chris zweifelnd.

Jill musste unwillkürlich wieder an diesen Hund denken. Irgendetwas an ihm war seltsam und das griff auch auf Kaysen über. Sie glaubte auch nach wie vor, seine Anwesenheit überall zu spüren.

»Verzichten wir mal auf eine Selbstzerstörung«, meinte Chris schmunzelnd. »Ich gebe der BSAA die Koordinaten durch.«

Während er das tat, öffnete Jill auch eine direkte Verbindung zu den Servern der BSAA und gab dort Bescheid, dass sie sich alle hiesigen Daten ziehen sollten – nur für den Fall der Fälle.

Als sie beide fertig waren, sahen sie sich wieder an.

»Eine Sache noch«, sagte Chris.

Jill nickte. Ihr war derselbe Gedanke gekommen, da musste er ihn gar nicht erst aussprechen. Nach ein wenig Suchen fanden sie die Steuerung für die Tanks und deaktivierten sie. Ohne die Nährflüssigkeit würden die Testsubjekte mit Sicherheit sterben, aber für sie beide war klar, dass das eher einem Akt der Gnade gleichkam.

Erst nachdem das geschehen war, verließen sie die Einrichtung wieder. Dabei achteten sie weiter darauf, von niemandem überrascht zu werden. Offenbar fühlte auch Chris die fremde Anwesenheit, die erst von ihnen abfiel, als sie wieder ins Freie traten. Sonnenstrahlen, die sich im Wasserfall brachen, begrüßten und belohnten sie beide.

Chris brachte ein Siegel an der Tür an, das die anderen BSAA-Mitglieder erst nach Rücksprache mit ihm wieder brechen würden. So gingen sie sicher, dass keine Unbefugten eindrängen.

Nachdem er das getan hatte, stellte er sich neben Jill, die den Fluss hinabstarrte. Sie sah kurz zu ihm. »Die Luft riecht wirklich frisch. Irgendwie gereinigt.«

Er verlagerte das Gewicht von dem einen auf den anderen Fuß. Sie war sich ziemlich sicher, dass sie wusste, was er von ihr wollte und ihr war nicht danach, ihn schmoren zu lassen: »Die Antwort auf die Frage ist übrigens Ja

Sein Gesicht hellte sich auf, aber noch hielt er sich in seiner Freude zurück. »Bist du sicher? Ich bin ein ziemliches Wrack, wie du selbst gemerkt hast.«

»Und ich hab dich mal fast umgebracht«, erwiderte sie. »Das passt also.«

»Da warst du nicht du selbst.«

Sie legte ihre Hände auf seine Wangen, was ihn davon abhielt, noch mehr zu sagen. »Akzeptier einfach, dass mich nichts an dir abschrecken kann. Wenn du darüber hinwegsehen kannst, dass wir gegeneinander gekämpft haben, dann stört es mich auch nicht, dass du gerade Probleme hast.«

Er erwiderte nichts, wirkte aber immer noch besorgt, deswegen fuhr sie fort: »Ich habe gesagt, dass ich immer bei dir sein werde, und dabei bleibt es auch. Denn ich will das so. Weil ich dich liebe, Chris Redfield.«

Bevor er auch nur auf die Idee käme, Einspruch einzulegen, zog sie ihn ein wenig zu sich und küsste ihn. Es war, als fiele eine große Last von ihm. Er legte seine Arme um sie und erwiderte den Kuss mit einer feurigen Inbrunst, die ihr verriet, wie lange er darauf gewartet hatte.

Ob der Antrag nun ernst gemeint gewesen war oder nicht, ihn anzunehmen war auf jeden Fall eine gute Entscheidung, die sie nicht bereuen würde.
 



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