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Pictures of you

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Kapitel 2
 

Es war kalt. Murrend zog ich die Decke höher bis unter die Nasenspitze, die sich bereits verdächtig nach einem Eiszapfen anfühlte.

„Mann Toshiya, musst du immer mit offenem Fenster schlafen?“, murmelte ich gegen den weichen Baumwollstoff. Er roch nach Waschpulver. Einen Moment lang passierte nichts, dann seufzte es verhalten neben mir.

„Ich mag es halt nicht, wenn es im Zimmer so stickig ist.“

Gleich darauf spürte ich, wie meine Decke ein Stück weit angehoben wurde. Die kühle Luft, die sich darunter stahl, ließ mich frösteln.

„Ey…“

Meine Beschwerde wurde von rauen Fingern unterbrochen, die mich sanft auf den Rücken dirigierten, ehe sich ein warmer Körper an mich schmiegte und mir eine weitere Gänsehaut verpasste – diesmal allerdings aus anderen Gründen. Und trotz meiner Müdigkeit hatte mein verräterisches Herz nichts Besseres zu tun, als bereits wieder zur Höchstform aufzulaufen. Schnell wickelte ich die Bettdecke fest um uns, um der Kälte nicht noch mehr Angriffsmöglichkeiten zu bieten, dann zog ich Toshiya enger an mich.

„Außerdem mag ich es, wenn wir uns gegenseitig wärmen.“

Dieser Unterton. Wärmen, alles klar. Sacht strichen seine Lippen über meine Schulter, während er einen Arm um mich legte und seine Hand leicht über meine Seite wandern ließ.

„Übrigens: Guten Morgen erstmal, liebster Die.“

Das Schmunzeln war deutlich aus seiner Stimme herauszuhören, das ich automatisch erwiderte.

„Guten Morgen, liebster Toshiya.“

Immer noch leicht schläfrig öffnete ich endlich meine schweren Augenlider einen Spalt breit, während Toshiyas warmer Atem meinen Hals streifte und ein altbekanntes Kribbeln durch mich hindurch schickte. Wenn ich nur jeden Morgen so geweckt werden würde.

Eine Weile blieben wir so liegen, genossen die Nähe und Wärme des anderen, während ich gleichzeitig befürchtete, dass Toshiya mein viel zu laut schlagendes Herz hören könnte. Es wäre nicht zu ändern, aber dennoch…
 

Sanft, aber stetig fuhren meine Finger über seinen Rücken, folgten den festen Muskelsträngen unter der Haut und riefen damit unwillkürlich das Foto von gestern zurück auf den Plan. Um mich abzulenken und mich nicht zu sehr in dieses aufreibende Gefühl, das damit einherging, zu verlieren, ließ ich den Blick von der wenig spannenden Zimmerdecke zum Fenster wandern.

„Es schneit ...“

Und wie.

Vor dem Fenster fielen große, dicke Flocken hinab, der graue Himmel tauchte alles in milchiges Licht. Auch wenn Dezember war, hieß das noch lange nicht, dass es deshalb in unseren Breitengraden weiß wurde. So kam das Schneegestöber am Morgen einer kleinen Überraschung gleich. Und es schien nicht den Anschein zu erwecken, dass es gleich wieder aufhören würde.

Für einen kurzen Moment wirkte es so, als habe sich Toshiya selbst ein Bild davon machen wollen, so schwerfällig wie er den Kopf hob, nur um gleich darauf erneut gegen mich zu sinken.

„Ein Grund mehr, im warmen Bett zu bleiben“, seufzte er schwer.

Ich lachte.

Früher war Toshiya immer derjenige gewesen, der sich am meisten über das nasse Weiß gefreut hatte, schließlich kam er aus einer Region, in der das weitaus öfter vorkam als hier in Osaka. Nur anscheinend siegte heute die Trägheit.

„Was denn?“

„Nichts, nichts“, wiegelte ich ab. „Vielleicht hatte ich kurzzeitig die Vorstellung gehabt, dass du sofort aufspringen würdest, um dich selbst davon zu überzeugen.“

Toshiyas Schnauben an meiner Schulter jagte mir abermals einen wohligen Schauder über den Rücken.

„Nicht nach dieser Nacht. Außerdem –“ Mühsam richtete er sich ein Stück weit auf, um mich ansehen zu können. Er sah ähnlich müde aus, wie ich mich fühlte. Die kurzen, dunklen Haare standen ihm wirr vom Kopf ab, kleine Fältchen saßen in seinen Augenwinkeln, die sich vertieften, als sich ein schiefes Grinsen auf seine Lippen schlich. „– muss ich dich erst daran erinnern, dass ihr früher wie die Verrückten durch den Schnee gesprungen seid, als ihr mich damals bei meinen Eltern besucht habt? Ich glaube, aus dem Alter sind wir dann doch ein paar Jährchen raus.“

„Wie schade eigentlich.“

Das Grinsen wandelte sich zu einem nachsichtigen Schmunzeln, während Toshiya begann, leicht durch meine Haare zu fahren, wohl um etwas gegen die morgendliche Unordnung auf meinem Kopf zu tun. Mich seiner Aufmerksamkeit so ausgesetzt zu sehen, ließ meinen Puls abermals neue Höhen erreichen. Ich konnte nicht anders, als ihn dabei anzustarren und in dem Wunsch zu versinken, es möge einfach so bleiben, wie es war.

„Wie hat dir eigentlich mein Foto gestern gefallen, das ich hochgeladen habe? Kyo hat es dir sicher gezeigt, oder nicht?“

So beiläufig die Frage klang, meinte ich doch einen gewissen Unterton herauszuhören, den ich allerdings nicht recht einordnen konnte. Oder ich interpretierte mal wieder zu viel hinein. Nur, dass er mich interessiert musterte, während er unbeirrt damit fortfuhr, durch meine Haare zu streichen, war definitiv keine Einbildung.

Inzwischen hatte ich so eine schwache Vermutung, dass Toshiya den Zeitpunkt des Uploads vielleicht nicht ohne Grund gewählt hatte – jedenfalls nach dem Blick zu urteilen, mit dem er mich in der Nacht an der Tür empfangen hatte. Oder es war einfach nur die Hoffnung meines übermotivierten Herzmuskels. Aber schließlich hatte Toshiya gewusst, dass ich mit Kyo unterwegs gewesen war und dass dieser durchaus auch manchmal zwischendurch seine Social-Media-Kanäle prüfte.

Während ich noch nach einer passenden Antwort suchte, gingen meine Hände erneut auf Toshiyas Rücken auf Wanderschaft. Ich konnte nicht anders. Es fühlte sich einfach zu toll an.

„Hm, ganz gut.“

„Wie, ganz gut?“

Skeptisch zog Toshiya eine Augenbraue hoch, seine Unterlippe machte dabei Anstalten, sich beleidigt nach vorne zu schieben.

„Allerdings gefällt mir das Original besser. Denn das kann ich sogar anfassen.“

Oh Mann, hatte ich das wirklich gesagt? Anscheinend war es aber genau die richtige Antwort gewesen, denn Toshiyas Unterlippe wanderte wieder zurück in die grinsende Ausgangsposition.

„Na, das höre ich doch gerne.“

Mit angehaltener Luft beobachtete ich, wie er sich mir ein Stück weit näherte und unmittelbar vor dem Gesicht stoppte. Ich spürte seinen warmen Atem auf meinen Lippen und war nahe dran, der Versuchung, den restlichen Abstand zwischen uns zu überbrücken, nachzugeben. Wir küssten uns nur sehr selten und wenn definitiv nicht am Morgen danach. Zu viel Intimität, wie wir vor einigen Jahren festgestellt hatten und von der ich mir inzwischen so viel mehr wünschte. Toshiyas Blick zuckte ebenfalls zwischen meinen Augen und meinen Lippen hin und her, als würde er –

Das Kribbeln in meinem Inneren wurde übermächtig und schien in meinem Magen zu einem wahren Knäuel zu werden.

„Toshiya.“ Nicht mehr als ein Raunen.

„Hm?“

„Ich – Vielleicht könnten wir –“

Ich brach ab. Meine Gedanken wollten sich nicht in Worte fassen lassen. Resigniert seufzend schloss ich die Augen und ließ den Kopf, den ich unbewusst gehoben hatte, um Toshiya entgegenzukommen, auf das Kissen fallen und brachte so wieder Abstand zwischen uns.
 

Hatte ich ihm gerade wirklich sagen wollen, was er nach all den Jahren in mir auslöste? Dass ich ihn viel öfter bei mir haben wollte und mich die Vorstellung wahnsinnig machte, ihn mit anderen teilen zu müssen? Besonders, wenn er solche Fotos hochlud.

Nein.

Ich konnte ihn nicht so überfallen.

Er hatte sich nicht bewegt, als ich wieder zu ihm aufblickte. Nur das Schmunzeln war verschwunden und hatte etwas anderem Platz gemacht, von dem ich nicht wusste, was ich davon halten sollte und das mich schwer schlucken ließ. Ich hatte gerade nicht genug Kraft darüber nachzudenken, ob es nicht dieselbe Traurigkeit in seinem Blick war, die mich in regelmäßigen Abständen ergriff. Stattdessen legte ich eine Hand in seinen Nacken, strich versöhnlich mit dem Daumen darüber.

„Was hast du heute noch vor?“
 

Ich konnte es ihm nicht sagen.



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