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Finsterste Nacht

von

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Kapitel 3: Du kommst hier nicht heraus


 

Obwohl ich Glurak zu überzeugen versuchte, dass ich nicht nur allein den Berg hinunterklettern (eine unmögliche Angelegenheit, aber besser als fliegen, wie mein Kopf mir zu erzählen versuchte), sondern auch meinen Weg nach Brassbury finden könnte, landete er kurz nach dem Essen vor dem Labor. Davon ging ich jedenfalls aus, denn ich klammerte mich an seinen Hals und hielt meine Augen geschlossen, auch noch, als er sich nicht mehr bewegte. Mein Magen spielte noch immer verrückt und gaukelte mir vor, in der Luft zu sein. Erst auf ein leises Geräusch von Glurak hin, öffnete ich zaghaft ein Auge, dann das andere. Nachdem ich festgestellt hatte, dass ich sicher war, kletterte ich vorsichtig von seinem Rücken herab. Meine Beine zitterten, deswegen hielt ich mich an ihm fest, selbst als ich endlich auf dem Boden stand.

Zu meiner Erleichterung war das Pokémon-Labor nicht beschädigt worden. Allgemein wirkte Brassbury vollkommen sicher und intakt, einzig die Tatsache, dass es verlassen war, zeugte von der Katastrophe, die unsere Region verwüstete. Sania hätte mir bestimmt erklären können, wie es kam, dass hier keine wilden Pokémon tobten, aber ich dachte lieber nicht darüber nach. Ich wollte stattdessen schnell das Buch besorgen und zu Delion zurückkehren – obwohl das bedeutete, ich müsste noch einmal fliegen. Vielleicht sollte ich mir doch etwas mehr Zeit lassen.

»Also«, sagte ich zu Glurak, »ich suche da drinnen nach dem Buch. Du wartest hier. Aber gib mir ein Zeichen, falls du etwas Gefährliches siehst.«

Was er als gefährlich betrachtete, überließ ich ihm.

Er nickte mir ernst zu.

Ich öffnete die Tür und trat ins verlassene Labor. Das letzte Mal war ich mit Sania hier gewesen, gemeinsam mit Voldi, alles war mit Licht geflutet; nun war es dunkel, dreckig und ein stechender Geruch von Fäule hing in der Luft. In einem verglasten Bereich waren Pflanzen gewachsen, nun war das Glas zersplittert, alles dahinter vertrocknet und tot. Die einst so sorgsam aufgereihten Bücher in den Regalen lagen teilweise im Raum verstreut, aufgeschlagen, ohne jede Rücksicht auf den Einband, aus manchen waren Seiten herausgerissen worden. Hoffentlich war dabei nicht das Buch, das ich suchte, zerstört worden.

»Die Theorie der … Inbesitznahme diverser Organismen«, murmelte ich. »Wer soll sich so etwas denn merken?«

Und was bedeutete das überhaupt? Vielleicht könnte ich das herausfinden, sobald ich es erst einmal gefunden hatte. Deswegen machte ich mich direkt daran, die Regale durchzugehen und jeden einzelnen Titel zu lesen. Im Halbdunkel des Innenraums war das nicht einfach, aber mit meinem Rotomhandy konnte ich mir genug Licht machen, um etwas besser sehen zu können.

Das Dynamax-Phänomen, Galars Verbindung zu Wunschsternen und Der Zusammenhang zwischen Dynamax-Energie und der Stromgewinnung, das waren Bücher, die ich im früheren Labor von Professor Magnolica erwartet hatte und auch fand. Aber darüber hinaus entdeckte ich noch Reguläre und irreguläre Evolutionen, Grundlagen Technischer Platten und Eine erste Untersuchung regionaler Pokémon-Formen (letzteres bestand hauptsächlich aus bebilderten Auflistungen, mit deren Hilfe die Unterschiede zwischen den Formen erklärt wurden).

Je weiter ich vorankam, desto komplizierter wurden die Titel, so dass ich hoffte, bald fertig zu sein. Nachdem ich die Bücher auf dem Boden überflogen hatte – glücklicherweise ohne das gesuchte unter den zerstörten zu finden –, nahm ich die Treppe auf die obere Galerie. Von hier oben entdeckte ich zwischen den Deckenbalken ein Nest. Mein Licht spiegelte sich in den roten Augen eines Meikro, das mich argwöhnisch beobachtete. Ich wusste nicht, wie es hier hereingekommen war, aber es war schön, zumindest etwas Leben zu sehen.

Um es nicht zu sehr zu verstören, wandte ich mich von ihm ab und widmete mich wieder den Büchern. Hier oben waren die Regale noch vollständig, anderen war es wohl zu mühsam gewesen, hier oben auch Chaos anzurichten. Das erleichterte mir meine Arbeit, aber die komplexen Titel ließen bald alles in meinem Kopf umherschwirren. Immer wieder musste ich innehalten, blinzeln, durchatmen und mich daran erinnern, dass ich diese langweilige Aufgabe aus einem bestimmten Grund heraus tat. Auch wenn ich nicht wusste, warum Delion dieses Buch brauchte. Aber vielleicht erklärte er es mir, sobald ich es ihm gebracht hatte – schließlich hätte ich es mir dann verdient.

Ich fing gerade mit dem dritten Regal an, als hinter mir etwas flatterte. Ich drehte mich um und konnte gerade noch sehen, wie das Meikro aufgeregt in eine Ecke flog und dort durch ein kaum sichtbares Loch schlüpfte. Dann erklang von draußen ein lautes Knurren, das von Glurak stammen musste. Doch bevor ich darauf reagieren konnte, öffnete etwas oder jemand die Eingangstür.

Ich löschte das Licht meines Rotomhandys und ging in die Knie. Das Geländer der Galerie würde mich nicht verstecken können, aber es war dunkel genug, dass man mich vielleicht übersah.

Drei Männer traten ein und schlossen die Tür wieder. Sie blickten sich aufmerksam um.

»Und was wollen wir jetzt hier?«, fragte einer von ihnen mit kratziger Stimme. »Das is' 'n dämliches Labor, hier gibt’s bestimmt keine Vorräte.«

Ich schluckte. Prima, ausgerechnet jetzt mussten hier drei Plünderer auftauchen. Vermutlich hatte Glurak sie zu spät bemerkt oder sie erst nicht als Gefahr eingeschätzt. Irgendetwas musste ihn dann aber vom Gegenteil überzeugt haben – nur eben zu spät für mich.

Einer der Männer hob beruhigend die Hand. »Reg dich nicht so auf, Frank.« Seine Stimme war nicht kratzig, nur eigenartig still und kühl. »Hier ist ganz sicher was, sonst hätte das Glurak nicht so vor dem Gebäude herumgelungert.«

Ich horchte auf, gleichzeitig beschleunigte sich mein Herzschlag. Hatten sie ihm etwas getan? Nein, das war unsinnig. Glurak konnte gut auf sich aufpassen, der ließ sich nicht von irgendwelchen Banditen schnappen. Und ich sollte das auch nicht tun.

Der Mann, der Frank genannt worden war, kratzte sich am Hinterkopf. »Vielleicht macht es nur gern Feuer. Hier gibt’s genug Papier dafür.«

Einer der anderen kicherte, während der mit der kühlen Stimme seufzend mit dem Kopf schüttelte. »Das ist ein Glurak, die gibt es hier normalerweise nicht. Also hat irgendwer es als Wächter abgestellt. Und was haben Leute normalerweise?«

»Was zum Essen!«, stellte Frank erstaunt fest. »Mann, Ike, du bist echt 'n Genie!«

Unwillkürlich sah ich über meine Schulter. Ich hatte tatsächlich ein wenig was zu essen dabei, aber sonderlich viel war es nicht mehr, seit ich für Delion gekocht hatte; vielleicht noch eine Mahlzeit, die für uns beide reichen würde. Auf jeden Fall war es nicht genug für drei erwachsene Männer und ich wollte mir ihren Zorn nicht zuziehen. Aber wie sollte ich ihnen ungesehen entkommen?

Ike entschied schließlich, Anweisungen zu geben: »Tom, du suchst da beim Waschbecken; Frank, du siehst mal im hinteren Bereich nach. Ich geh nach oben.«

Ich wich zurück, um nicht doch noch gesehen zu werden. Die Schritte der drei Männer verrieten mir, dass sie tatsächlich dem Plan folgten – und ich mich beeilen musste.

Die Treppe nach unten fiel aus. Von der Galerie runterzuklettern würde mich aber auch verraten. Mir blieb nur eine Wahl, um zumindest eine kleine Chance zu haben.

Möglichst leise schlich ich zu der Stelle, die einst auch hier oben verglast gewesen war. Auf meinem ersten Weg hatte ich nicht darauf geachtet, aber nun stellte ich zu meiner Erleichterung fest, dass auch hier alles zersplittert war. Ich sah über die Schulter. Frank war im hinteren Bereich des Labors angekommen, wo früher die Computer gestanden hatten, Ike war am Fuß der Treppe. Ich setzte mich an den Rand und ließ mich vorsichtig hinunter, um keinen Lärm zu veranstalten. Scherben knirschten unter meinen Schuhen, ich hielt die Luft an – aber nichts geschah.

Einer der drei fluchte leise und trat etwas beiseite, Frank ging die Treppe hinauf.

Ich atmete lautlos aus. Inzwischen hörte ich meinen Herzschlag in meinen Ohren, meine Muskeln ächzten innerlich unter der Anspannung. Im Moment wäre ich lieber in einem Kampf gegen ein dynamaximiertes Pokémon gewesen, statt zwischen verfaulten Überresten einst liebevoll gepflegter Pflanzen zu sitzen, in der Hoffnung, nicht von Banditen erwischt zu werden.

Ich streckte den Kopf hervor, um herauszufinden, ob ich zum Ausgang gelangen könnte. Tom war nicht zu sehen, aber neben der Tür existierte schließlich eine Einbuchtung in einen kleinen Küchenbereich, der aus diesem Winkel für mich nicht sichtbar war. Mein Blick wanderte zu Frank, der zwischen den nutzlosen Computern und unter Tischen suchte. Über mir hörte ich Ikes langsame Schritte, die bedächtig der Galerie folgten; wenn er nicht ganz blind war, dürfte er inzwischen bemerkt haben, dass ich nicht dort oben war – und das bestätigte er mir auch sofort mit einem unheimlichen Singsang: »Komm raus, komm raus, wo immer du bist~.«

Ich zog mich sofort wieder tiefer in das tote Gestrüpp zurück und griff gleichzeitig nach Liberlos Pokéball. Doch ich hielt inne, bevor ich ihn wirklich umfasste. Natürlich würde Liberlo mich verteidigen, aber gleichzeitig würde er auch das ganze Gebäude niederbrennen und diese Banditen schwer verletzen oder sogar töten, das konnte ich nicht zulassen. Deswegen wanderte meine Hand weiter zu Dedennes Pokéball. Seine Elektroschocks waren schmerzhaft, aber nicht tödlich.

Ich hatte nur eine Chance, aber wann sollte ich sie nutzen, um sie nicht zu verschwenden?

Die Anspannung ging sogar auf meine Knochen über, mein ganzer Körper wollte nur noch hier raus.

Plötzlich war da eine Bewegung hinter mir, dann eine Stimme: »Gefunden~!«

Mit einem Schrei stürzte ich aus meinem Versteck, gleichzeitig warf ich aus Reflex den Pokéball. Dedenne sah sich einen Moment verwirrt um, reagierte aber schnell, als ich an ihm vorbeirannte. Elektrizität ließ die Atmosphäre erzittern, Frank stieß einen heiseren Schrei aus.

Ich sah hinter mich, während ich Dedenne in den Ball zurückholte. Frank und Ike kamen mir nur langsam hinterher, ich glaubte mich schon fast sicher – als ich plötzlich von jemandem gepackt und herumgedreht wurde.

»Was haben wir denn hier?«, fragte eine ölige Stimme, die vorhin nichts gesagt hatte – Tom.

Schmerzhaft verdrehte er meine Arme auf meinen Rücken und hielt mich an den Handgelenken fest, so dass ich nicht einmal mehr einen Pokéball werfen konnte. Ich tat ihm allerdings nicht den Gefallen, auch nur ein leises Ächzen oder Keuchen auszustoßen, sondern biss die Zähne zusammen.

Ein strenger Geruch von altem Schweiß und undefinierbarem Dreck, der zwischen ihrer zerlumpten Kleidung feststecken musste, kam mir mit den anderen beiden entgegen; ich verzog unwillig mein Gesicht, zeigte ansonsten aber nicht, dass mir die Situation zusetzte, obwohl ich mich eigentlich am liebsten zusammengerollt hätte.

Ike betrachtete mich eine Weile im Halbdunkeln, dann schmunzelte er. »Der Fang ist sogar noch besser als wir gedacht hätten – wir haben hier ein kleines Dusselgurr.«

Frank neigte missmutig den Kopf. »Ein echtes wäre mir lieber, das könnte man essen.«

»Idiot«, murmelte Tom.

Derweil zwirbelte Ike eine meiner Haarsträhnen zwischen seinen Fingern. »Wenn uns mit dir langweilig wird, finden wir schon jemanden, der dich gegen Essen eintauscht.«

Ich bezweifelte, dass sie mit mir nur Karten spielen wollten, das ließ meine Panik direkt um das Hundertfache anschnellen. Innerlich versuchte ich Möglichkeiten durchzugehen, mich aus dem festen Griff von Tom zu befreien und den aufmerksamen Blicken von Ike und Frank zu entgehen, aber jede scheiterte daran, dass mir die Kraft fehlte, überhaupt eine Hand freizubekommen.

Ike schien dennoch zu wissen, was ich dachte: »Du kannst den Gedanken gleich aufgeben, kleines Dusselgurr, du kommst hier nicht heraus. Spätestens vor der Tür hätte Bill dich erwischt.«

Toll, da lauerte also noch einer von denen. Es sah ganz danach aus, dass es wirklich keinen Ausweg für mich gab.

»Also sag schon«, forderte Ike, »war das dein Glurak, das vorhin vor dem Labor saß?«

»Was habt ihr mit ihm gemacht?!«

Er schmunzelte ein wenig. »Na, sieh mal einer an, du kannst ja wirklich reden. Aber keine Sorge, wir haben gar nichts getan. Es hat von alleine die Flatter gemacht.«

»Wie ein aufgescheuchtes Meikro«, stimmte Frank zu.

Glurak hatte sie also nicht abwehren können oder wollen. Vielleicht ging es gegen seine Erziehung, Menschen zu verletzen, das konnte ich verstehen. Solange es ihm aber gut ging, musste ich mir wenigstens keine Sorgen um ihn machen.

»Sollen wir sie gleich durchsuchen?«, fragte Tom leblos.

»Nein, warten wir, bis wir in unserem Versteck sind. Hier drin ist es eh zu dunkel, also-«

Er brach abrupt ab, als ein dumpfes Keuchen von draußen erklang, gefolgt von einem Geräusch als wäre etwas Schweres zu Boden gefallen. Im nächsten Moment zerbarst die Tür mit einem lauten Krachen, etwas stieß gegen Tom, der mich sofort losließ. Ich nutzte die Gelegenheit, dass auch die anderen beiden abgelenkt waren und stürmte geduckt wieder tiefer ins Gebäude. Erst als ich sicher war, dass sie mich nicht mehr schnappen würden, fuhr ich herum – und hielt inne.

Ein wütendes Zwollock stand dort, wo vorhin noch Tom gestanden hatte, und schnaubte. Tom selbst wand sich mit schmerzverzerrtem Gesicht auf dem Boden. Die anderen beiden sahen perplex auf ihn hinab. Ich dagegen musterte sofort wieder das Zwollock und bemerkte schnell das Halsband, das es trug. Damit konnte es nur einer Person gehören.

Hop tauchte plötzlich hinter dem Zwollock auf und winkte mich mit einer ausschweifenden Armbewegung zu sich. »Los, komm!«

Ich zögerte nicht länger, tauchte unter Ikes ausgestreckten, nach mir greifenden Händen hindurch, vorbei an Frank und Tom und auch Zwollock, das für mich extra einen Schritt zur Seite trat und mir dann folgte.

Als ich im Freien tief Luft holte, wurde mir erst so richtig bewusst, wie übel der Gestank im Inneren des Gebäudes gewesen war. Ein scheinbar bewusstloser Mann lag neben dem Labor, ausgehend von der zerlumpten Kleidung ging ich davon aus, dass er dieser Bill war, den Ike erwähnt hatte. Außerdem entdeckte ich auch Sania, die mir einfach nur zunickte, ehe sie etwas in Richtung des Eingangs warf. Dieses Etwas verursachte eine dunkle Gaswolke, die mir die Sicht nahm und mich husten ließ.

Jemand griff nach meinem Handgelenk und zog mich mit sich, fort von dem Labor, in dem ich beinahe entführt worden wäre – und auch weg von der Erfüllung meines Auftrags, um Delion zu helfen. Aber in diesem Moment war ich einfach nur froh, von hier fortzukommen, egal wohin.

Mein Blick wanderte in den Himmel, wo ich nach Glurak suchte. Ich hoffte, er würde mich wiederfinden, um mich zurückzubringen, sobald wir erst einmal in Sicherheit waren. Aber eigentlich hegte ich daran keinen Zweifel – immerhin war er der Partner des Champs. Glurak würde mich überall finden und erst mit dieser Erkenntnis fühlte ich mich endgültig sicher. Selbst dann noch, als Ike mir etwas hinterherrief: »Flieg davon, kleines Dusselgurr! Irgendwann werden wir dich schon wiederfinden und dann wird dir niemand zur Hilfe kommen!«
 



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