Kapitel 8 - Jeder mag Eiscreme
Eistraum war die beste Eisdiele in Knightfall. Blaue Stühle, blaue Tische, Bilder von Pinguinen
an einer Wand und an der anderen Eisbären. Überall Eisschollen. Das Summen der
Gefrierschränke verschmolz mit den Hintergrundgeräuschen der Straße draußen und der
leisen Musik im Inneren.
Perfektes Ambiente für eine Eisdiele.
Spencer ließ Drew den Tisch aussuchen und folgte ihm dann.
Er wählte einen mittigen Platz. Weit weg vom Vordereingang und Hinterausgang. Kein klarer
Blick auf beides und eine große Pflanze versperrte den Blick auf die Toiletten. Dafür war ein
riesiger Pinguin neben ihnen an der Wand. Zur Verteidigung: Der Pinguin trug einen Schal und
eine Strickmütze.
Innerhalb von einer Minute war ein Kellner bei ihnen. Er stellte beiden eine Karte hin. „Lange
nicht gesehen, Spencer.“
„Gleichfalls Roy. Der Laden steht noch.“
„Wir machen auch immer noch die beste Eiscreme. In Knightfall“, fügte er hinzu. „Das
Übliche?“
„Jup.“ Beiden blickten zu Drew, der auf seinem Sitz unangenehm hin und her rutschte. „Ich
weiß nicht... Was ist gut?“ Drew schaute nicht den Kellner an. Er schaute Spencer an mit
zusammengezogenen Augenbrauen und großen Augen.
„Mit Schokolade kannst du eigentlich nichts falsch machen. Nuss ist auch ausgezeichnet.“
„Dann nehme ich das.“ Er schaute weiterhin seinen Cousin an.
Spencer hob einen Mundwinkel und blickte zu Roy hinauf. „Einen Schokonusseisbecher.“
Der Kellner tippte sich mit dem Stift an die Schläfe. „Kommt sofort, Chef.“ Und weg war er.
„Du kennst viele Leute“, flüsterte Drew.
Spencer bejahte diese Tatsache sehr gerne. „Ja, ich war hier viel mit Kate und Nats und später
auch mit Jon und Colt.“
„Wer sind Jon und Colt?“, fragte Drew und fügte hinzu: „und warum machen sie dich traurig?“
„Jon ist ein Adoptivsohn von Chris und der Bruder von Colt.“ Er überlegte seine nächsten
Worte. „Colt... starb vor nicht allzu langer Zeit.“ War alles was er herausbekam.
„Mom hat von Nats erzählt.“ Spencer bemerkte den Themenwechsel. „Sie kocht gern.“
„Sie ist eine Spitzenköchin“, schwärmte er und fühlte wie etwas in seine Brust stach. „Sie liebt
es außerdem zu Fotografieren.“
Drew spielte mit einer Serviette. „Woher kennst du Mom?“
„Wir waren... Nats hat sie mir vorgestellt. Sie hat mir Nachhilfe gegeben. Hör zu wir müssen
über deine Mom reden... Es gibt da... Ich...“
Er konnte es nicht.
Diese großen grünen Augen.
Ein ungetrübter Blick auf die Welt, wie ihn nur Kinder hatten. Oder Tote. Klar wie ein
Wolkenloser Himmel. Noch nie hatte jemand ihm das Herz gebrochen. Noch nie wurde sein
Vertrauen missbraucht.
Spencer konnte es nicht. „Warum hat Kate dich nicht persönlich vorbei gebracht?“
„Weil es ein Spiel ist“, erklärte Drew und warf die Arme in einer Kreisbewegung in die Luft. Er
grinste von einem Ohr zum anderen. „Sie gibt mir Aufgaben und jede Aufgabe führt zu der
nächsten. Das war die Schwerste bisher.“
Spencer vergaß alles. „Sie gibt dir Aufgaben?“
„Jap, während sie arbeitet.“ Der Junge schlug mit den Beinen gegen den Tischpfosten.
„Anfangs waren es Sachen wie ein Puzzle, ein Bild ausmalen, ein eigenes Bild malen. Dann
kamen schwerere Sachen: die Stadt erkunden und Orte finden wie Bäckereien oder Museen.
Es macht wahnsinnig viel Spaß!“
Spencer zog die Augenbrauen hoch und blinkte, bevor er grinste. „Was passiert nach den
Aufgaben?“
Drew überlegte kurz und inspizierte dabei die Decke. Eine Nachbildung des Polarlichts
verzierte sie. „Meine Mom wartet auf mich“, sagte er langsam, „oder kommt und wir reisen
weiter oder ich bekomme eine neue Aufgabe.“
Sie hatte mal davon gesprochen auf die Art und Weise ihre Kinder auf die Welt vorzubereiten,
aber dass sie es wirklich tat? „Reist ihr viel?“
„Ja. Warum hat sie mich hierher geschickt?“ Große grüne Augen starrten ihn an und schienen
direkt in seine Seele zu blicken. „Was stand in dem Brief? Steht da wann sie kommt?“
Das ist alles was du brauchst um ihn zu adoptieren.
Kate würde nicht kommen. „Drew...“
„Ja?“
„Sie hat dich hierher geschickt, weil...“ Er seufzte und rieb sich den Nacken. „Es ist so, Kate...
Deine Mom-“ Worte. Immer fehlten sie wenn er sie brauchte.
„Eure Eisbecher. Schoko-Nuss-Eisbecher für dich“, Roy stellte einen gewaltigen Eisbecher vor
Drew, „und ein Nuss-Karamell-Eisbecher mit Erdbeeren für dich.“ Er stellte auch Spencers
Eisbecher ab und ließ sie wieder allein.
„Was ist mit meiner Mom?“, fragte Drew.
Er konnte es nicht. Es war ja auch noch nicht sicher, ob Kate nicht doch noch kommen würde.
Zumindest um alles zu erklären…
„Probiere und dann erzähl ich es dir.“ Er schaute gespannt zu wie sein Cousin einen kleinen
Bissen nahm. „Das ist lecker“, er grinste und nahm noch mehr.
„Nur langsam“, mahnte Spencer. Er ließ ihn erstmal ein wenig in Ruhe essen, bevor es aus ihm
herausplatzte: „Sie hat dich hierher geschickt, damit du deinen Vater kennen lernst.“
Drews Augen wurden noch größer. „Du?“ So viel Hoffnung in diesem kleinen Wort. So viel
reine Hoffnung in zwei Buchstaben.
„Nein“, sagte Spencer vorsichtig. „Nein, Chris.“
Die Ergebnisse waren noch nicht da, aber Kate war keine Lügnerin.
„Chris?“
„Ja.“
„Dein Onkel.“
„Ja.“
Drew war nicht glücklich darüber. Er würde die Information erst einmal verarbeiten müssen.
Spencers Telefon vibrierte.
Unterdrückte Nummer.
„Entschuldige. Ich bin gleich wieder da. Iss´ nicht mein Eis“, scherzte er. Sein Cousin lächelte
nicht.
Er ging ein paar Meter. „Hallo?“
„Hallo?“, wiederholte die Stimme am anderen Ende wie ein Echo. Die Stimme von Sandpapier.
„Wer ist da?“
„Wer ist da?“ Eine weiche sanfte Stimme. Ganz anders als die zuvor.
Er seufzte.
Ein zweites Seufzen am anderen Ende der Leitung.
„Hal, Ich habe keine Zeit und keinen Nerv für deine Spielchen“, betonte Spencer und rieb sich
über die Augenbraue.
„Sei nicht unhöflich“, amüsierte sich die andere Person prächtig. „Ich habe Informationen für
dich, Iki. Lust auf ein Spielchen?“
Als hätte er eine Wahl. „Alles klar.“ Es gab ein splitterndes Geräusch. „Was war das?“
„Glas“, erklärte Hal, als gäbe es nicht verschiedenste Sorten von Glas. Bei Wesen wie Hal sollte
man auf jedes Detail achten und alles in Frage stellen. „Triff mich um Mitternacht unter der
Abbildung der Welt und vergiss nicht dich umzudrehen.“
KLICK.
Die Leitung war tot.