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Eren

Geheimnisse der Turanos
von

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Auf zur Eiersuche

Ein paar gefühlte Ewigkeiten und unendlich viele Diskussionen später hat es Eren endlich geschafft aus dem Traum zu entfliehen und in einen gewöhnlichen überzuwechseln. Nur leider konnte er nur noch wenige Stunden schlafen bis ihn auch schon ein nerviges, ätzendes Piepding - auch Wecker genannt - aus dem Schlaf riss.

 

Um acht Uhr morgens steht der Junge abreisebereit im Wohnzimmer. Gekleidet ist er in warmen Sachen: eine weite braune Hose, die in schwarzen Stiefeln mit Pelzrand steckt, und eine dicke graue Jacke aus mehreren groben Stoff- und Lederlagen, ebenfalls mit Pelzrand. Ihm ist jetzt schon viel zu heiß in all den Lagen, aber dort wo er hingeht liegt meterhoher Schnee, da wird er es gebrauchen können. Auch wenn er durch die Kälteimmunisierung ganz gut ohne diesen extra Schichten auskommen könnte. Auf dem Rücken hat er einen Beutel mit dem notwendigsten Reisegepäck: Proviant, Ausrüstung und eine dicke Decke. Außerdem hat er einen Gürtel über der Jacke, in dem ein Dolch mit gewellter Klinge in der Scheide steckt. Überflüssig mit Fähigkeiten wie die seinen, aber sein Vater besteht darauf.

 

Ajax ist noch gestern spät nachts aufgebrochen. Natürlich nicht ohne seinem kleinen Bruder noch einmal überdeutlich einzubläuen, dass er sich wie ein Turano zu benehmen hat und die Mission erfolgreich abschließen muss und was ihn erwartet wenn nicht. Er hat ihn deshalb extra geweckt. Das war noch vor dem Spiegeltraum. Der junge Mann kann es eben nicht lassen, Eren vorzuschreiben wie er zu sein hat. Vielleicht ist das auch einfach seine Aufgabe als großer Bruder. Immerhin ist es die erste Mission auf die die Beiden nicht gemeinsam gehen. Eren gibt es nur ungern zu, aber ein kleines Bisschen Nervosität macht sich doch in seinem Magen breit. Bisher konnte er sich immer darauf verlassen, dass Ajax ihn aus der Klemme holen würde, wenn es mal brenzlig wird. Klar, ist sich der Junge bewusst, dass er in einer Vierergruppe unterwegs ist, aber bei Ajax weiß er zumindest, wie stark die Unterstützung ist. Den Fähigkeiten von Igor und Viktor traut er kein Stück.

 

Noch dazu beunruhigt ihn wie weit sich die Male wegen des Traums ausgebreitet haben. Besonders die am rechten Arm. Besorgt mustert er die schwarzen Ränder. Sein halber Daumen ist schon schwarz. Wenn er nicht aufpasst, dann verliert er noch die Kontrolle. Naja, zumindest zerstört er dann nur die andere Welt. Dennoch würde Ajax ihn dafür bestrafen, denn er hätte die Kontrolle verloren und das geht ganz und gar nicht. Abgesehen davon gibt es in Flaurana bestimmt mehr als genug Gelegenheiten, um die Male wieder zu schrumpfen, bevor es richtig gefährlich wird. Zum Glück wimmelt es da von Monstern.

 

Vielleicht sogar ein paar würdige Gegner und nicht solche Schwächlinge, die schon nach einem Angriff tot sind.

 

Wir müssen sie doch nicht gleich töten. Würde einen Felsen zu zertrümmern nicht auch ausreichen?

 

„Guten Morgen, Eren. Bereit für die Mission?", erkundigt sich Benedikt Turano gleich als er das Wohnzimmer betritt und Eren somit von den Stimmen ablenkt.

 

Schnell zieht der Zwölfjährige die Handschuhe an, um die Ausbreitung der Male zu verbergen. „Guten Morgen, Vater. Ja, glaub schon."

 

Forschend fixiert der Mann die blauen Augen. „Glaubst du oder weißt du?"

 

„Ich weiß es", korrigiert Eren schnell. Sein Vater hasst Unsicherheit. Er würde ihn zwar nicht bestrafen, aber er würde es sich auf alle Fälle merken und an Ajax weitergeben, sobald dieser von seiner Mission zurück ist. Und der ist keinesfalls so vorsichtig und zimperlich, wie er beim Training gestern wieder einmal bewiesen hat.

 

„Sehr schön", meint Turano zufrieden, dabei bewegt er auffällig die Hände, um auf das Handy darin zu deuten. „Dr. Ryu hat mir mitgeteilt, dass die anderen schon im Missionsraum warten. Beeil dich. Du weißt ja, ein Turano ist immer pünktlich."

 

„Ja, Vater", antwortet Eren monoton. Er kann die Ratschläge schon in und auswendig, dennoch muss er sie immer wieder hören.

 

„Na komm, mein Junge", drängt der Mann, betätigt gleichzeitig einen versteckten Knopf im Rahmen des großen Gemäldes, woraufhin dieses in der Wand verschwindet und den Durchgang zum Raum dahinter freigibt. „Lassen wir sie nicht länger warten."

 

Turano geht voran durch den Bilderrahmen und die Wendeltreppe zum Tunnel hinab. Eren folgt seinem Vater mit einem stummen Seufzer. Er hat keine große Lust auf diese Anfängermission mit Igor und Viktor. So gar nicht. Aber was bleibt ihm anderes übrig? Er darf seinem Vater nicht widersprechen.

 

Die Fahrt mit dem Einschienenwagen nutzt Turano dafür, um seinem Sohn eine Menge hilfreicher, nutzloser Tipps zugeben. Eren lässt dies schweigsam über sich ergehen, geht in Gedanken dabei lieber noch einmal sein Gepäck durch. Leider muss er zugeben, dass er oft etwas vergesslich ist. Es wäre nicht das erste Mal, dass er das wichtigste Ding liegen lässt. Deshalb hat Ajax angefangen eine Liste zu schreiben und die Angestellten damit zu beauftragen sein Gepäck vorzubereiten. Und das nur, weil er einmal einen komplett leeren Rucksack mitgenommen und den Inhalt auf dem Bett liegengelassen hat. Einmal. Da war er gerade mal Sieben.

 

Im Bunker angekommen führt Turano Eren durch die wie ein Rad aufgebaute Ebene, wobei der runde Aufenthalts- und Speisesaal die Mitte und die einzelnen Gänge mit den Einzelzellen die Speichen bilden. Nicht zum ersten Mal fragt sich der Junge, weshalb hier so viele Menschen mit Tätowierungen am Arm in identischen, langweiligen Klamotten herumlaufen. Als er sie so durch die Glasscheiben des Speisesaals beobachtet, fällt ihm auf, dass sie alle irgendwie ... eingeschüchtert wirken. Nein. Weshalb sollten sie eingeschüchtert sein? Das bildet er sich sicherlich nur ein. Womöglich sind sie nur müde vom Training oder einer Mission. Er selbst fühlt sich danach auch immer als würde er neben sich stehen. Allerdings erscheint ihm die Anzahl an Wachen viel zu übertrieben.

 

Eren hat das Gefühl, dass ihm jede Menge verheimlicht wird. Immer wenn er versucht etwas herauszufinden, wechseln seine Gesprächspartner stets das Thema. Natürlich steigt seine Neugier dadurch nur noch mehr, aber das bringt ihm die Antworten auch nicht. Dennoch gibt er die Hoffnung nicht auf. Ajax weiß schließlich auch über alles Bescheid, dann kann es doch nur eine Frage der Zeit sein, bis auch er selbst eingeweiht wird. Zumindest will er das glauben.

 

Im Aufzug zur Etage -02 steckt Turano das Smartphone in die Anzugtasche und dreht sich zu dem Jungen um. Ein ernster Ausdruck liegt auf seinem Gesicht und dem frisch gestutzten Bart. Automatisch sieht Eren zu seinem Vater hoch, in Erwartung einer weiteren Benimmpredigt.

 

„Also Eren, denk immer an das was Ajax und ich dir beigebracht haben", betont sein Vater zum bestimmt millionsten Mal und legt dem Zwölfjährigen die Hände auf die Schultern.

 

„Ja, Vater." *So wie immer*, fügt er in Gedanken hinzu. Als hätte er seine Familie schon jemals enttäuscht. Bisher hat Eren nicht einmal versagt. Okay, vielleicht einmal. Oder zweimal. Aber das war damals nicht seine Schuld. Woher hätte er wissen sollen, dass ausgerechnet zu der Zeit seine Feuerkräfte erwachen und das ganze Gebäude niederbrennt, samt seinem Zielobjekt, das er eigentlich nur etwas einschüchtern sollte? Genau, nicht seine Schuld. Und die anderen Male ... Darüber will er nicht nachdenken.

 

Turano zieht die Hände zurück, legt sie hinter den Rücken und richtet sich gerade auf. „Ich erwarte deine Rückkehr. Natürlich nach erfolgreichem Auftrag."

 

Das drückende Gefühl in Erens Magengrube und das helle Pling bedeuten, dass der Fahrstuhl die Zieletage erreicht hat. Die Türen öffnen sich und der Junge verlässt die kleine Kabine, dreht sich jedoch noch einmal zu Turano um, der noch etwas hinzuzufügen hat. „Mach mich stolz, mein Sohn."

 

Mehr liebevolle Abschiedsworte kann Eren nicht erwarten. „Du kennst mich doch, Vater. Ich werde dich nicht enttäuschen."

 

„Das hoffe ich." Mit einem letzten warnenden Augen zusammenkneifen betätigt der Mann den Knopf für die oberste Etage.

 

Schon schließen sich die Türen und der Junge steht allein im Korridor, der genauso weiß ist wie alles im Bunker. Anders als im -03-Stockwerk sind hier die Gänge gerade und in ordentliche quadratische Räume aufgeteilt, wobei die große Sporthalle die halbe Etage einnimmt. Die Wände der Halle haben auch diese einseitig verspiegelten Scheiben wie der Speisesaal, durch die Eren auf dem Weg zum Treffpunkt ein paar Leute beim Training beobachten kann. Jeden von ihnen könnte er mit Leichtigkeit besiegen. Die stolpern mehr über ihre eigenen Füße. Ein überhebliches Schmunzeln schleicht sich auf sein Gesicht. Wie gern würde er jetzt da rein gehen und den Anfängern zeigen wie es richtig geht. Aber das würde seiner Familie nicht gefallen, also kann er es gleich wieder vergessen.

 

Ein Turano ist kein Angeber. Ein Turano gibt niemals seine Fähigkeiten preis. Die gegnerische Unwissenheit ist die beste Waffe.

Zufällig fällt sein Blick auf die große Uhr an der hinteren Wand. Er ist spät dran. Genervt seufzend lässt er die Schultern hängen. Das Kind hat nach wie vor keine Lust auf diese Mission. Na egal. Wenn er sich schon nicht davor drücken kann, dann kann er zumindest diese dämlichen Eierschalen so schnell wie möglich besorgen und es hinter sich bringen.

 

Vor der Tür mit der Aufschrift „Missionsraum 1" hält Eren an. Dahinter kann er bereits ein Stimmengewirr aus seinen zukünftigen Teammitgliedern hören. Viktors lautes Stimmorgan ist dabei mehr als deutlich herauszufiltern. Also gut. Auf in die Folterkammer.

 

Erens erster Gedanke als er den Raum betritt ist: Die Mission wird eine Katastrophe. Etwas perplex bleibt er bei der Tür stehen.

 

Gegenüber der Zimmertür befindet sich eine kompliziert aussehende Maschine, die beinahe die gesamte Wand beansprucht. Der Großteil der Apparatur bildet ein großer Ring mit metallenem Rahmen und etlichen Schläuchen, Kabeln und Blinklichtern. Große Glasbehälter mit grauen, blubbernden Substanzen versorgen die Maschine mit dem nötigen Treibstoff. Ein Schaltpult daneben ermöglicht die Kontrolle über die Maschine, dem Teleporter in die andere Welt. Ansonsten sind nur noch ein paar Stühle und ein Tisch in der Ecke zu finden.

 

Auf einem der Stühle sitzt der Teamleiter, Igor. Der Mitte fünfzigjährige, füllige Mann ist genau wie Eren in mehrere Lagen Winterkleidung gehüllt, wobei bei ihm ungefähr fünfmal soviel Stoff und Leder benötigt wurde. An einem Gurt, der sich über der breiten Brust kreuzt, sind kleine Spezialtaschen angenäht worden, in denen stecken kurze, aber spitze Pfeile. Neben dem Stuhl liegt ein prall gefüllter Rucksack bereit, ein Zelt und eine Armbrust sind außen daran befestigt und eine braune Wollmütze liegt darauf. Die dicke Mütze kann Igor gut gebrauchen, mit seinem kahlrasierten Schädel würde er sich leicht eine Gehirnhautentzündung holen. Die Haare, die auf seinem Kopf fehlen, gleicht er durch den dichten, dunkelgrauen Vollbart wieder aus, der auch im geflochtenen Zustand seinen speckigen Bauch berührt. Wie immer hält der faule, verfressene Mann eine XXL-Chipstüte in der Hand, deren Inhalt er sich genüsslich in den Mund stopft. Dass dabei die Hälfte in seinem Bart landet scheint ihn nicht die Bohne zu interessieren. Mit den dunkelbraunen Augen, die unter buschigen Augenbrauen halb verschwinden, beobachtet er einen jungen Mann und eine junge Frau, die in einen Streit über die Nützlichkeit von Wasserschläuchen in verschneiten Gebieten vertieft sind.

 

Der Mann ist ungefähr Mitte Zwanzig und sowohl groß als auch durchtrainiert. Anders als bei seinem Lehrmeister Igor ist an ihm kein Gramm Fett, allerdings ist von seinen Muskeln, die er sonst so stolz präsentiert, unter den dicken Klamotten nichts zu sehen. Er hat die Jacke noch offen, ein Schal hängt locker über seinen Schultern, Handschuhe und Mütze hat er bei seinem Rucksack am Tisch abgelegt. Viktors Frisur ist genauso schräg wie sein Charakter. Die kurzen Haare sind feuerrot gefärbt und mit Tonnen an Haarspray zu einem Kranz aus Stacheln frisiert, der ihn seiner Meinung nach gefährlich aussehen lässt, aber eigentlich nur lächerlich wirkt. Er ist aggressiv, voreilig, hat keinerlei Geduld und regelt im großen und ganzen alles lieber mit seinen giftigen Fäusten.

 

Carmen, das vierte Mitglied der Truppe, ist erst Neunzehn, dennoch weicht sie keinen Millimeter vor Viktor zurück, der so aussieht, als würde er gleich explodieren. Sie ist schlank, trägt ebenfalls die winterliche Missionskleidung und auch den selben Rucksack, den sie in der geballten Faust hält und dabei so wirkt, als würde sie ihn am liebsten dem Mann ihr gegenüber über den Schädel ziehen. Ein zwei Meter langer Holzstab ist an ihrem Rücken befestigt: ein Bo. Ihr gerade geschnittener Pony hängt beinahe in die blauen Augen, die blonden Haare hat sie zu einen Zopf geflochten, der ihr bis zur Hüfte reicht. Mit Carmen selbst hat Eren noch nie an einer Mission teilgenommen, er kennt sie nur von den Trainingskämpfen her, die aufgrund ihrer Fähigkeit meist in Flaurana stattgefunden haben. Nun ja, meistens wenn mit Kräften trainiert wird, wird dies in der anderen Welt abgehalten. Der Grund ist einfach: wenn dort etwas beim Training zerstört wird, rücken nicht gleich haufenweise Polizisten, Feuerwehrleute, Reporter und Co. an.

 

Die letzte Person in diesem Raum ist die Ärztin, Dr.Ryu, die neben der Maschine steht. Ihr Blick wechselt zwischen dem Schaltpult und dem Tablet in ihren Händen hin und her. Sie trifft wohl die letzten Vorkehrungen und stellt den Teleporter ein. Wie immer verbirgt ein knielanger Laborkittel ihre Kleidung darunter, ihre roten Haare, in denen seit ein paar Jahren schwarze Strähnchen stecken, sind streng zurückgebunden und ihre schwarze Brille will nicht so recht dort bleiben wo sie hingehört.

Als sie die Tür ins Schloss fallen hört, hebt sie den Kopf und sieht Eren an. Ein freundliches Lächeln erscheint auf ihrem Gesicht, während sie die Brille höher schiebt. „Hallo, Eren. Gut, dann sind wir ja vollzählig."

 

Die Frau klappt die Schutzhülle des Tablets zu und klatscht in die Hände, um die Aufmerksamkeit der Anderen zu gewinnen. Dies muss sie einige Male wiederholen bis Viktor und Carmen aufhören sich anzukeifen und sich nur noch mit blitzenden Augen und verschränkten Armen anfunkeln. Hoffentlich geht das nicht die gesamte Mission über so. Igor bewegt sich weder einen Millimeter von der Stelle, noch legt er seine Chips beiseite. Innerlich den Kopf schüttelnd lehnt sich Eren an die Wand, verschränkt die Arme und richtet die Augen auf die Frau.

 

„Noch einmal guten Morgen zusammen", beginnt Dr. Ryu als endlich Ruhe im Raum herrscht. „Vermutlich wisst ihr es schon, aber ich wiederhole es dennoch einmal. Eure Aufgabe ist es, Dagonoeierschalen zu besorgen. An sich ja keine schwere Aufgabe, dennoch bitte ich euch, vorsichtig zu sein. Zu dieser Jahreszeit haben die Dagono Junge und die Mütter verteidigen sie äußerst aggressiv."

 

„Kein Problem. Wenn mich eines dieser gefiederten Ochsenköpfe auch nur schief anglotzt, mach ich ihm ratzfatz den Gar aus!", prahlt Viktor mit geballten Händen.

 

„Die würden dich doch fressen bevor du überhaupt merkst, dass sie da sind", behauptet Eren mit ernstem Gesicht.

 

Prompt richten sich alle Augen auf den jüngsten Turano. Dr. Ryu sprachlos, Carmen amüsiert, Igor unterbricht eine Sekunde seine Mahlarbeiten und Viktor ... Viktors Gesicht nimmt eine ähnliche Farbe wie die seiner Haare an, eine Ader an der Stirn verdeutlicht seine explosive Stimmung.

 

„Ähm ... Ich glaube ich muss mich verhört haben." Mit einem trockenen Lachen dreht er sich zu Eren um. „Hat der Zuspätkommer irgendwas gesagt?"

 

„Oh, tut mir leid, war das zu kompliziert für dein kleines Bienenhirn?", gibt der Junge verschmitzt grinsend zurück. Ein Zeichen dafür, dass der Schatten in ihm stärker wird, ist die zunehmend kampflustige Art.

 

„Du ..." Knurrend presst Viktor die Zähne aufeinander und macht einen drohenden Schritt vor.

 

Eren bereitet sich innerlich schon mal vor einem Wutanfall auszuweichen. Klar ist es irgendwie gemein den Älteren zu ärgern, aber wenn schon mal weder Ajax noch sein Vater in der Nähe sind, um ihn zu Maßregeln, kann er genauso gut ein bisschen Spaß haben. Oder zumindest versuchen so etwas ähnliches wie Spaß zuhaben. Viktor lässt sich so schön provozieren.

 

„Viktor!", mahnt die Ärztin streng.

 

Aufbrausend wendet der Angesprochene seinen Kopf zur Frau um. „Wieso ich?! Der hat doch angefangen!"

 

„Viktor, vergiss nicht mit wem du sprichst", erinnert sie ihn mit einem warnenden Augen zusammenkneifen und kleinem Nicken Richtung Eren.

 

„Warum?! Nur weil er der Sohn von Herrn Turano ist?! Das gibt ihm noch immer nicht das Recht ...!" Viktor wird mit jedem Wort zorniger und röter im Gesicht. An seinen Fäusten sind bereits kleine Stacheln zu sehen. Er sieht so aus, als würde er sich jede Sekunde auf den Zwölfjährigen stürzen wollen.

 

Doch bevor es soweit kommt, mischt sich Igor ein. „Beruhige dich, Viktor. Oder willst du für die Mission über auf die Strafbank?"

 

„Aber ...", beginnt der Hitzkopf noch einmal, besinnt sich jedoch eines besseren und gibt sich damit zufrieden die Zähne aufeinander zu pressen und Eren vernichtende Blicke zuzuwerfen. Einige Sekunden später verschwinden auch die Stacheln wieder nachdem er dem Kind bockig den Rücken zugekehrt hat.

 

Enttäuscht entspannt auch Eren seine Muskeln. Irgendwie hat er sich auf die Prügelei gefreut. Nach der niederschmetternden Niederlage beim Training mit Ajax gestern Abend, wäre ihm die Möglichkeit etwas Dampf abzulassen sehr willkommen gewesen. Der Sieg wär natürlich inklusive. Gegen jemanden wie Viktor braucht er noch nicht einmal seine Kräfte, um zu gewinnen. Tja, dann muss er eben warten bis sie in Flaurana sind. Dort wird's bestimmt das ein oder andere Monster geben, dass er töten kann.

 

Jetzt merkt er selbst wie angriffslustig und aggressiv er ist. Wow, die dunkle Seite ist stärker als er dachte.

 

„Also", beginnt Dr. Ryu erneut. „Eure Mission, Dagonoeierschalen besorgen und zwar so viele wie ihr bis morgen Abend findet."

 

„Ich werde so viele Schalen sammeln, dass wir fünfJahre lang keine mehr suchen müssen!", behauptet Viktor sehr von seinen Fähigkeiten überzeugt. Etwas zu sehr von seinen Fähigkeiten überzeugt.

 

Eren setzt bereits zu einem Kommentar an, aber die Frau im Laborkittel, der das natürlich nicht entgangen ist und eine erneute Streiterei verhindern will, kommt ihm zuvor: „Tut mir nur einen Gefallen. Tötet so wenige Dagono wie möglich, sonst haben wir bald keine Vögel mehr, denen wir die Eier stehlen können."

 

„Und wenn sie mich angreifen?", hakt Viktor schmunzelnd nach.

 

Dann lass dich fressen.

 

*Klappe!*, bringt Eren die Stimme zum schweigen. Die raue, dunkle wird langsam ziemlich laut und hat viel zu viele Auswirkungen auf seinen Charakter. Es wird Zeit, dass der Junge seine Kräfte benutzt. Insgeheim jedoch stimmt er der satanischen Seite in sich zu. Dann hätte er nämlich Ruhe vor dem Typen, der ihm ständig auf den Geist geht.

 

„Bitte", wiederholt die Frau eindringlich ohne auf Viktors Frage einzugehen. „Gut. Dann haben wir alle Vorbereitungen getroffen. Hoffentlich habt ihr nichts vergessen."

 

Dr. Ryu wendet sich dem Schaltpult zu, überfliegt noch einmal die Eingaben und betätigt anschließend einen großen roten Knopf an der Seite. Sofort brummt, summt und klickt es in der großen Maschine. Luftblasen steigen in den Treibstoffbehälter auf und Lämpchen fangen an zu blinken. Dann ertönt ein Knall als der Teleporter Zeit und Raum durchtrennt. Gleichzeitig entsteht ein blau-grün-weißer Wirbel im Inneren des Ringes, der ununterbrochen die Farben in sich einsaugt.

 

„Igor, du zuerst", entscheidet die Ärztin.

 

Zunächst noch unschlüssig entschließt sich der Mann dann doch noch dazu aufzubrechen. Igor verschwindet für nicht einmal eine Sekunde, nur die Chipskrümel am Boden bleiben zurück, um vor dem Portal wieder aufzutauchen. Damit erschreckt er die Frau so, dass sie beinahe das Tablet fallen lässt. Prompt verpasst Dr. Ryu mit diesem dem untersetzten Mann einen Schlag gegen die Brust. „Igor! Wie oft hab ich dir schon gesagt, du sollst deine Kräfte nicht aus Faulheit einsetzen?!"

 

„Keine Ahnung. Ich hab nicht mitgezählt", meint er desinteressiert und stopft sich den nächsten Kartoffelchip in den Mund.

 

„Und die bleibt hier." In einer flinken Bewegung entreißt sie ihm die Chipstüte. Der Teamleiter öffnet schon den Mund, doch die Frau unterbricht ihn noch vor dem ersten Ton. Mit dem Finger zeigt sie auf das Portal. „Los jetzt."

 

„Ich wollte die Tüte eh hierlassen", behauptet der Mann, hebt demonstrativ sein Kinn und macht einen Schritt auf das Portal zu. „Wir sehen uns in der anderen Welt." Noch ein Schritt und der Teleporter saugt den Teamleiter ein.

 

Viktor schnappt sich seinen Rucksack und stellt sich als nächstes vor die Maschine. Auch bei ihm hat Dr. Ryu etwas auszusetzen. „Mach die Jacke zu, sonst wirst du noch krank."

 

Viktor schneidet eine überhebliche Grimasse und zieht eine Augenbraue gen Stirn. „Machst du dir etwa Sorgen um mich?"

 

„Nein", kommt die schnelle, entschiedene Antwort. „Ich hab nur keine Lust dich danach wieder gesund zu pflegen. Und vergiss nicht: nicht fliegen. Bienenflügel sind nicht für diese Temperaturen gemacht."

 

„Ja, ja", meint Viktor nur, zuckt lässig mit den Schultern und geht grinsend durch das Portal.

 

Sobald die rote Stachelfrisur verschwunden ist, stöhnt Dr. Ryu entnervt auf und atmet anschließend tief durch. „Die Beiden gehen mir so dermaßen auf die Nerven, sag ich euch." Ruhiger und mit einem Lächeln auf den Lippen fährt sie an das Mädchen gewandt fort: „So, Carmen, du bist dran. Lass dich von den Typen nicht zu sehr ärgern."

 

„Mach ich nicht, keine Sorge, Dr. Ryu. Wenn die mir blöd kommen, werde ich ihnen zeigen, was ein Mädchen drauf hat", versichert die 19-Jährige zwinkernd. Im nächsten Moment ist auch sie verschwunden.

 

Jetzt ist nur noch Eren im Zimmer. Der Junge zieht die Tragegurte des Rucksacks fester und tritt an die Maschine heran. „Dann werde ich auch mal verschwinden."

 

„Warte, Eren", hält die Frau ihn auf und hält ihn kurz an der Schulter fest. Ihr Gesicht wirkt irgendwie besorgt. „Wie sehen deine Male aus? Hörst du wieder die Stimmen?"

 

Eren hat befürchtet, dass diese Frage noch kommen wird. Sie erkundigt sich immer nach seiner Gesundheit und dem Armschmuck. Und dass er heute ein wenig aggressiver ist, ist ihr natürlich auch nicht entgangen. Sie ist auch die einzige, die von den Stimmen weiß. Eigentlich hatte er nie vor irgendjemandem davon zu erzählen, aber er war einmal zu unvorsichtig.

Es ist schon einige Jahre her, damals war Eren gerade einmal Fünf. Dr. Ryu hat eine ihrer Routineuntersuchungen an ihm durchgeführt. Als sie den Raum verließ, um das abgenommene Blut im benachbarten Labor zu untersuchen, haben sich seine inneren Stimmen zu Wort gemeldet. Zu der Zeit haben sich die Male zwar nicht so weit ausgebreitet wie heute, aber da er noch jünger war, konnte er sie noch nicht so gut unterdrücken. Irgendwann haben sie angefangen sich zu streiten, so laut, dass Eren seine eigenen Gedanken nicht mehr hören konnte. Gleichzeitig sind seine Kopfschmerzen stetig gewachsen bis sogar sein Sichtfeld zu verschwimmen begann. Schon seit mehreren Tagen hatte er immer wieder diese Schmerzschübe. Bisher konnte er sie gut verbergen, aber an diesem Tag war es schlimmer. Als der Fünfjährige es schließlich nicht mehr ertragen konnte, hat er geschrien, dadurch einige Zentrifugenröhrchen und Glaszylinder gesprengt und immer wieder „Haltet die Klappe!" geschrien. Erst als es in seinem Kopf ruhiger wurde, er die Augen wieder öffnete, bemerkte er das angestellte Chaos und Dr. Ryu, die mit offenem Mund und entgeistertem Ausdruck das Kind anstarrte. Gezwungenermaßen musste er ihr alles erzählen, von den Stimmen und auch von den Träumen. Sie hat ihm geschworen, es niemandem zu verraten. Besonders nicht seinem Vater, denn der würde nur neue Tests fordern und weitere Abhärtungsmaßnahmen einführen. Seit damals unterstützt die Frau den Jungen wo sie nur kann, versucht die Beschwerden irgendwie zu lindern und herauszufinden was es damit auf sich hat. Bis heute leider ohne Erfolg.

 

Zumindest hat Eren mittlerweile gelernt damit zu leben und die zwei anderen Seiten in sich zu kontrollieren. Meistens jedenfalls, solange die Male ihm die Kontrolle nicht entreißen.

 

„Ich hab alles im Griff", versichert Eren, ohne die eigentliche Frage zu beantworten. Dabei schiebt er unbewusst seine Hände in die Jackentaschen.

 

„Eren, du kannst mir nichts vormachen." Fast schon etwas enttäuscht hält sie ihm eine Hand hin. „Zeig sie mir."

 

„Mir geht's gut. Ehrlich", beharrt Eren. Wenn sie wüsste wie weit das Schwarz schon vorgedrungen ist, würde sie sich nur Sorgen machen und darauf bestehen, dass er hier bleibt, um in kontrollierter, bewachter Umgebung die dunklen Fähigkeiten zunutzen. Aber dann wäre er wieder eingesperrt und von seinem Vater pausenlos bewacht.

 

„Na, schön", gibt Dr. Ryu nach. Doch nur zum Schein. Völlig unerwartet wirft sie Eren ihr Tablet entgegen. „Fang!"

 

Aus Reflex zieht der Junge die Hände aus den Taschen und fängt es auf. Bevor er eine Chance hat zu reagieren, hat sich die Ärztin bereits seine rechte Hand geschnappt und den Handschuh ausgezogen. Mit gerunzelter Stirn mustert sie die schwarze Farbe.

 

„Wie weit geht es den Arm rauf?", verlangt sie bestimmt zu erfahren.

 

„Dr. Ryu, das ist ..."

 

„Wie weit?", wiederholt sie mit festem Blick, der keine Widerworte duldet.

 

Eren seufzt innerlich. Er weiß genau, dass es keinen Sinn hat zu diskutieren. „Fast bis zum Ellbogen."

 

„Du weißt, dass das schon sehr kritisch ist, oder? Ich muss dich wohl kaum daran erinnern, was passiert, wenn nichts unternommen wird", erinnert sie besorgt und streng zugleich.

 

„Ja, ja. Als könnte ich das vergessen." Eren gibt der Frau das Tablet zurück, zieht den Handschuh wieder an und setzt ein zuversichtliches Gesicht auf. „Ich werde mich darum kümmern, bevor es soweit kommt. Versprochen."

 

„Schieb es nicht so lange auf, ja? Riskier nicht die Kontrolle zu verlieren", betont die Frau nachdrücklich.

 

„Ja, klar", wiederholt der Junge leicht genervt. „Ich bin kein kleines Kind mehr."

 

Ein warmes Lächeln erscheint auf ihrem Gesicht, doch in den Augen glitzert etwas Trauriges. „Das weiß ich doch."

 

Eren entgeht der ehrlich besorgte Unterton natürlich nicht. Dr. Ryu ist die einzige, die ihn annähernd wie ein echtes Familienmitglied behandelt, auch wenn sie nicht blutsverwandt sind. Besonders seit der Beichte behandelt sie ihn viel familiärer als alle anderen. Doch nur in Abwesenheit aller anderen.

 

Um die unangenehme Situation zu überspielen, räuspert er sich kurz. „Ich sollte langsam los. Die Anderen fragen sich sicher schon, wo ich bleibe."

 

„Ja, stimmt." Dr. Ryu geht einen Schritt beiseite, um den Weg freizumachen. „Versuch bitte Igor und Viktor nicht umzubringen."

 

„Kann ich nicht versprechen", antwortet Eren ehrlich mit einem fiesen Lächeln auf den Lippen. Bevor die Ärztin irgendwas erwidern könnte, springt er einen Satz vor, mitten hinein in den leuchtenden Wirbel.

 

Die Mundwinkel der Frau fallen besorgt nach unten. Das Tablet drückt sie gegen ihre Brust. „Pass auf dich auf."

 

Eine Minute wartet sie noch bis sie die Teleportmaschine herunterfährt und sich auf die Suche nach jemandem begibt, der Igors Chipsunordnung beseitigt.



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