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Eren

Geheimnisse der Turanos
von

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Schneewanderung

Bis zum Mittag wandern die Vier durch die eisigen Wälder und erklimmen schneebedeckte Berge, ohne einem anderen Lebewesen zu begegnen. Sehr zu Erens Bedauern. Anstatt wie die anderen vor ihm sucht er nicht nur nach Hinweisen auf Dagono, er ist auf seiner eigenen Jagd nach allem was er bekämpfen kann. Nun ja, im Notfall kann er auch einfach den Wald abfackeln. Normalerweise sollte das auch ausreichen. Aber das würde er nur äußerst ungern tun. Und nicht nur, weil er die Strafe seines Bruders fürchtet, der ihn wegen seinem unkontrollierten Ausbruch ganz sicher in den Keller stecken würde.

 

Igor hat als Teamleiter die Führung übernommen. Allerdings ist der untersetzte Mann zu faul zum Gehen. Er teleportiert sich ein paar Meter, wartet dann auf den Rest der Gruppe und teleportiert dann wieder. Dabei leert er den Chipsbeutel aus. Ganz ehrlich, wie der es geschafft hat Teamleiter und Materialbeschaffungsexperte zu werden, ist Eren ein Rätsel. Das Mädchen vertraut Igors Orientierungssinn nicht, weshalb sie ausgerüstet mit Karte und Kompass ständig die Richtung prüft. Viktor hat die Diskussion mit Carmen schlussendlich verloren, was bedeutet er stapft jetzt missmutig mit Mütze, Handschuhen und zugezogenem Reißverschluss durch den kniehohen Schnee.

 

„Findet ihr nicht auch, dass es hier merkwürdig still ist?“, fragt Carmen als die Sonne ihren Zenit überschritten hat.

 

„Die Tiere und Monster verschwinden doch immer, wenn wir hier sind“, meint Igor gleichgültig von seinem Felsen herab, um den herum die anderen Drei klettern dürfen.

 

„Wollt ihr wissen, was ich glaube?“ Klar muss Viktor seinen Senf dazugeben. „Dass sie meine starke Präsenz spüren und sich wie Feiglinge verkriechen. Tja. Ich kann das gut verstehen. Ich bin eben furchteinflößend.“ Prahlend reckt er sein Kinn in die Höhe und schwellt die Brust.

 

Eren kann bei so viel Selbstverliebtheit nur die Augen rollen.

 

Ach, komm schon! Das einzige, was an dem Kerl furchteinflößend ist, ist sein Gestank.

 

Dieser Kommentar entlockt dem Jungen ein Schmunzeln.

 

Und vielleicht die Größe seinen Minihirns in Bienengröße.

 

Perfekterweise rutscht genau in dem Augenblick Viktor mit dem Fuß vom Felsen ab. Mit einem hohen Schrei schafft er es sich an den dürren Zweigen eines spärlichen Strauches festzuklammern, bevor er den Weg hinabrutscht, den er gerade erklommen hat.

 

Da haben wir den Beweis.

 

„Alles okay, Viktor?“, erkundigt sich Carmen, die sich ein Kichern nicht verkneifen kann.

 

„Zum Rutschen haben wir jetzt keine Zeit“, bemerkt Eren zu dem Älteren hoch grinsend.

 

Mit vor Peinlichkeit geröteten Wangen funkelt er Eren an. „Hier ist es sauglatt! Wart erstmal ab, wie du hier hoch kommen willst.“

 

„Ist doch einfach.“ Eren zuckt gelassen mit den Schultern. Darüber macht er sich keine großen Sorgen. Anders als Viktor kann der Jüngere anhand der Fußstapfen von Viktor und Carmen sehen, wo man ausrutscht und wo nicht.

 

„Los, gehen wir weiter“, unterbricht Igor das anfängliche Diskutieren, teleportiert sich zwanzig Meter und winkt sein Team heran.

 

Immer noch schmunzelnd setzt Eren die Klettertour fort.

 

~~~

 

Ein paar Stunden später balanciert die Gruppe einen schmalen Grat entlang, gerade breit genug für einen Fuß. Rechts davon erhebt sich eine beinahe senkrechte Felswand in die Höhe, links fällt eine fast genauso senkrechte Klippe in die Tiefe. Der Wald weit, weit unten ist nur als weiße und grüne Fläche zu erkennen. Carmen hat darauf bestanden sich mit einem Seil aneinander zu binden, um nicht sofort in den Tod zu stürzen, sollte einer ausrutschen. Nur Igor wartet bereits auf der anderen Seite. Selbstverständlich wieder mit dem Chipsbeutel in der Hand.

 

„Das wäre so viel einfacher, wenn ich fliegen dürfte“, grummelt Viktor noch immer eingeschnappt, weil ihm hier so viel untersagt wird. Was seinen imaginären Stolz verletzt.

 

„Dann würden deine Flügel brechen“, erinnert ihn das Mädchen bestimmt schon zum hundertsten Mal.

 

„Ja, ja“, brummt der Bienenmutant. Auch bestimmt zum hundertsten Mal. „Igor könnte uns auch einfach rüber teleportieren. Wenn er nicht so egoistisch wäre!“

 

Da Viktor nicht für seine Zimmerlautstärke bekannt ist, hat sein Mentor das natürlich laut und deutlich verstanden. „Du weißt doch, dass ich nicht so oft hin und her springen kann. Willst du, dass ich völlig außer Puste bin, wenn doch einmal ein Monster auftaucht?“

 

Hahaha! Der ist doch schon am Ende, wenn er vom Stuhl aufsteht!

 

Stumm gibt Eren der Stimme Recht. Da sich im selben Moment ein Stein unter Viktors Fuß löst und versucht mit den Armen rudernd das Gleichgewicht zu behalten bis Eren ihn mit einem kurzen Ruck am Seil gegen die Felswand klatscht, denkt dieser das Grinsen gelte ihm. Mit gerötetem Kopf und blutender Nase schnellt sein Blick zu Eren herum.

 

„Du solltest besser aufpassen wo du hintrittst“, rät der Junge teils ernst gemeint, teils neckend. „Sonst rutscht du noch ab.“

 

„Pass du lieber auf, dass meine Faust nicht ausrutscht!“, droht der Bienenmutant laut, um seine Scham zu überspielen.

 

Das Mädchen verpasst ihm einen Schlag gegen den Oberarm. „Halt die Klappe, Viktor. Sonst löst du noch eine Lawine aus.“ Vielsagend deutet sie mit einem Nicken nach oben. Schnee rieselt bereits herab. „Dann stürzen wir alle ab.“

 

„Weißt du auch warum?“, möchte Viktor freundlich lächelnd wissen. Dann schreit er: „Weil du uns zusammengebunden hast!“

 

„Leute, die Lawine“, erinnert sie Igor an die Gefahr. Wird jedoch komplett überhört.

 

„Heul nicht so rum und geh weiter“, drängt Eren. So allmählich wird ihm mulmig zumute, wenn er nach oben sieht und immer mehr Schneeflocken herunter segeln. Er selbst könnte sich leicht retten. Aber mit Carmen und Viktor zusammengebunden … Er weiß nicht ob er das schaffen würde.

 

Der gerötete Kopf schnell zurück zum Kind. „Von dir lasse ich mir gar nichts befehlen! Egal, ob dein Vater der Chef ist oder der Hausmeister.“

 

Wie kann er es wagen?! Töten wir ihn!

 

Mit leicht lila gefärbter Iris funkelt er den Älteren mahnend an. „Mein Vater hat mit dem hier gar nichts zu tun. Sei nicht so ein Weichei. Im Notfall kannst du ja deine Flügel benutzen. Oder dich von mir retten lassen.“

 

„Du hörst wohl gar nicht zu, was?“, bemerkt der 27-Jährige mit genervtem Gesichtsausdruck, kurz bevor er wieder explodiert. „Die würden reißen! Lieber stürz ich in den Tod, als mich von dir retten zu lassen!“

 

„Jungs! Pscht!“, zischt Carmen durch zusammengebissene Zähne.

 

Wenn Viktor schreit, bekommt er oft eine sehr feuchte Aussprache und da das Seil nicht sonderlich lang ist, stehen sie praktisch direkt nebeneinander, sodass Eren die volle Ladung abbekommt.

 

Er hat uns angespuckt! Lass mich frei! Den stoß ich die Klippe runter!

 

*Das mach ich lieber selbst.* In seinen Adern pulsiert es und noch ein paar der Haarsträhnen, die unter der Mütze hervorstehen, färben sich schwarz. Auch wenn er diesen Idioten jetzt liebend gern fallen sehen würde, reißt er sich zusammen. „Wenn du lieber sterben willst als nicht mehr fliegen zu können oder von mir gerettet zu werden … dein Problem. Mich juckt´s nicht. Und jetzt geh endlich weiter, sonst schubs ich dich runter!“

 

„Das würdest du nicht wagen“, knurrt Viktor mit der Nasenspitze dicht vor Erens Gesicht.

 

„Wollen wir wetten?“ Eren sieht dem um fast zwei Köpfe größeren Mann direkt in die Augen – so gut es eben geht – ohne auch nur eine Sekunde daran zu denken nachzugeben.

 

Los! Schubs ihn runter! Er hat´s verdient!

 

Doch er tut es nicht, fixiert nur weiterhin die grünen Augen und blendet Carmen und Igor aus, die im Hintergrund versuchen sie zum Weitergehen zu bewegen. Wieder erweist sich das bedrohliche Lila seiner Iris als äußerst wirksam.

 

Viktor dreht schnaubend den Kopf nach vorne. „Für solchen Babykram bin ich eindeutig zu erwachsen.“

 

*Dabei hast du doch angefangen.*

 

Feigling. Komm, jetzt! Er ist abgelenkt! Stoßen wir ihn runter!

 

*Ich werde keinen wehrlosen Mann die Klippe runter schubsen. Nicht einmal so einen Dödel wie Viktor. Nicht ohne ausdrücklichem Befehl.*

 

Langweiler.

 

Als sie endlich heil auf der anderen Seite ankommen, befreit sich Eren sofort von den anderen, um Abstand zwischen sich und Viktor zu bekommen. Der Typ stärkt mit jedem Atemzug die schwarze Seite in ihm. So langsam fängt der Junge an zu glauben, dass sein Vater genau aus diesem Grund das Team so zusammengestellt hat. Um ihn, Eren, auf eine harte Probe zu stellen und zu testen, wie gut er die Kräfte kontrollieren kann. Würde sein Vater das tatsächlich tun? Ohne nachzudenken kann er sofort mit einem sicheren Ja antworten.

 

„Endlich ist das Seil ab“, verkündet Viktor erleichtert, während er sich streckt. „Das engt meine Muskeln zu sehr ein. Hoffentlich war das die einzige Schlucht.“ Fragend sieht er zu Carmen, die bereits den weiteren Weg auf der Karte studiert.

 

„Hm?“ Blinzelnd blickt sie auf. Sie hat nicht zugehört, weshalb Viktor seine Frage wiederholen muss. Carmen zerstört seine Hoffnung mit einem Kopfschütteln. „Nein. Die Dagono leben eben in zerklüfteten Gebirgsgegenden. Es werden noch viele Schluchten kommen.“

 

Allein die Vorstellung, noch mehrmals mit einem Strick an Viktor gebunden zu sein, bewirkt, dass dem Kind schlecht wird. Er legt die Hände hinter den Kopf und sieht zu dem Mädchen, das versucht Viktor zu erklären, wo sie auf der Karte gerade sind. „Carmen, könntest du nächstes Mal nicht einfach eine Brücke bauen?“

 

„Und wo soll ich eine Brücke herbekommen? Falls du´s nicht bemerkt hast, der Baumarkt hat gerade geschlossen“, meint Carmen sarkastisch. Sie ist wohl genervt von Viktor. Na so ein Wunder.

 

„Bist du nicht eine Erdzauberin, oder so?“, hilft ihr Eren auf die Idee auf die er hinaus will.

 

Das Mädchen hebt irritiert die Augenbrauen. „Ja? Und was hat das damit zu … Ohhh … Verstehe.“

 

Eren kann beinahe die Glühbirne über ihrem Kopf sehen, wie sie mit einem Pling anfängt zu leuchten. Die 19-Jährige kichert verlegen. „Ja, das wäre auch eine Möglichkeit.“

 

„Um was geht’s hier? Was wäre auch eine Möglichkeit?“ Viktor kapiert nicht wovon die beiden sprechen. Verwirrt sieht er von einem zum anderen und verlangt stumm nach einer Antwort.

 

Der ratlose Gesichtsausdruck bringt Eren und Carmen zum lachen, weswegen Viktor noch irritierter dreinblickt. Und auch ein bisschen sauer. Er mag es nicht außen vor gelassen zu werden.

 

~~~

 

So wie sie es ausgemacht haben, erschafft Carmen bei jeder weiteren Schlucht eine Brücke über die die Gruppe bequem gehen kann, ohne zu viel Nähe zu anderen Kameraden zu riskieren. Je höher sie das Gebirge erklimmen, desto tiefer wird der Schnee und die Nadelbäume lichter und lichter. Mit jedem Schritt wird es kälter, der Atem bildet Wölkchen vor ihren Gesichtern.

 

Igors Hand zittert auf dem Weg vom Chipsbeutel zum Mund und zurück. Wie viel hat der nur dabei? So groß ist der Beutel doch gar nicht. Dennoch scheint er nie leer zu werden.

 

Die 19-Jährige klappert mit den Zähnen, hat die Arme fest um den Oberkörper geschlungen und die Schultern hochgezogen. Sie hat zwar die Karte noch in der Hand, aber ihre Finger sind zu steif, um sie zu lesen. Deshalb bleibt ihnen nichts anderes übrig als dem Teamleiter zu folgen, der sie nicht nur einmal im Kreis führt.

 

Sogar Viktor ist verstummt vor Kälte. Er hat sich so dick eingepackt, wie es ihm möglich ist. Nicht nur die Wollmütze zerdrückt ihm jetzt die Stachelfrisur, auch die Kapuze des Mantels und der Schal, den er sich ein paar Mal um den Kopf gewickelt hat. Nur noch seine Augen sind zu sehen.

 

Der einzige, der mit dem Minusgraden klar kommt, ist Eren. Durch die Überlebenstrainings in verschneiten Gebieten stört ihn die Kälte wenig und über die Ruhe ist er ganz froh. Das Kind geht als letztes, folgt den Fußspuren der anderen und sieht sich gleichzeitig noch immer nach einem Monster um. So langsam ist er sich nicht mehr so sicher, ob er die dunkle Seite zurückhalten kann. Er hat sogar angefangen nach den Auren von Lebewesen zu suchen.

 

Das ist eine Fähigkeit der hellen Seite. Bedauerlicherweise. Dabei wechselt seine Augenfarbe zu einem warmen Grünton und sein Sichtfeld verändert sich. Er sieht jetzt jeden Felsen, jeden Baum und jedes Lebewesen, egal ob menschlich oder nicht, nur noch als schwarzweiße Silhouette, als wäre er in einem alten Film gefangen. Im Inneren der Silhouetten leuchtet ein farbiger Ball, wenn es sich um etwas Lebendiges handelt. Je nachdem welche Lebensform es ist, unterscheiden sie sich in Größe, Farbe und Umriss der Aurakugel. So kann Eren schon aus weiten Entfernungen feststellen welche Lebewesen sich in seiner Umgebung aufhalten.

 

Doch die drei Teammitglieder sind die einzigen Lebensformen, die er finden kann.

 

Gib´s auf, Kleiner. Schon bald bist du zu schwach, um mich zurückzuhalten.



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