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Die Rumtreiber und der Fluch des Siegelrings

Slow Burn Remus/Sirius | abgeschlossen
von

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Ruhelose Ferien (10/10)

„Remus!“, rief seine Mutter aus dem kleinen, wilden Vorgarten vor dem Haus, den sie im Sommer als Draußen-Wohnzimmer nutzten. „Du hast Post!“

Zuerst bewegte Remus sich nicht. Es war später Vormittag und wie eigentlich den ganzen Sommer über schon lag Remus in seinem Bett. Nicht, weil er plötzlich zum Langschläfer geworden war, sondern weil es der einzige Ort drinnen war, der ihm erlaubte, für sich zu sein. Solange er im Bett lag, respektierten seine Eltern, dass die Wohnküche sein Raum war. Und er wollte nicht, dass sie emsig hereinrauschten und beim Geschirrspülen mitbekamen, dass er schon wieder geheult hatte.

Er war so schwach.

Remus regte sich träge, dann fasste er sich mit der Hand aufs Gesicht. Die Haut war heiß und seine Augen brannten. Es fühlte sich an, als hätte er Fieber. Wenn er es genau betrachtete, war er von sich selbst überrascht. Er hatte nicht gewusst, dass Menschen in so wenigen Wochen so viele erbärmliche Tränen vergießen konnten. Er knüllte das platte, nasse Kopfkissen zusammen, rieb sich damit übers Gesicht und stopfte es dann in die Ecke zwischen Matratze und Wand. Er hatte inzwischen nicht einmal mehr das Gefühl, traurig zu sein; er war einfach nur noch müde und leer.

„Komme gleich“, antwortete er wie ferngesteuert.

Es dauerte noch fast eine halbe Stunde, bis Remus ausreichend Energie zusammengekratzt hatte, um vom Bett zu rutschen und sich etwas überzuziehen. Am tropfenden Wasserhahn wusch er sich das Gesicht ab und trank einen Schluck aus einem benutzten Glas von gestern. Seine Zunge war immer noch pelzig und schwer. Doch auch wenn er sich nicht gut fühlte, hatte er nun zumindest den Eindruck, vorzeigbarer auszusehen.

„Was denn?“, fragte Remus und setzte sich vor dem kleinen Haus in einen der klapprigen Gartenstühle unter dem Vorzelt. Er fühlte sich nicht kräftig genug, um zu stehen. Seine Mutter trug einen großen Sonnenhut, eine beschichtete Schürze und schnibbelte mit einer Gartenschere an der trockenen Hecke herum.

„Dir auch einen guten Morgen“, maßregelte sie ihn, ohne richtig hinzusehen, denn eine der Schlingpflanzen seines Vaters wehrte sich dagegen, beschnitten zu werden. „Da sind zwei Briefe für dich auf dem Tisch.“

Remus streckte die Hand aus und griff den oberen Umschlag vom staubig-schmierigen Plastiktisch. Der Brief war aus edlem Pergament und trug das Wappen von Hogwarts. Remus riss das Wachssiegel auf, ohne das leistete Interesse zu spüren.

ERGEBNIS DER ZAUBERGRAD-PRÜFUNGEN

Bestanden mit den Noten:

Ohnegleichen (O)

Erwartungen übertroffen (E)

Annehmbar (A)
 

Nicht bestanden mit den Noten:

Mies (M)

Schrecklich (S)

Troll (T)

REMUS JOHN LUPIN hat folgende Noten erlangt:

Astronomie: nicht teilgenommen

Pflege magischer Geschöpfe: O

Zauberkunst: O

Verteidigung gegen die dunklen Künste: O

Muggelkunde: O

Kräuterkunde: O

Geschichte der Zauberei: E

Zaubertränke: A

Verwandlung: O

 

Remus nahm die Noten flüchtig zur Kenntnis, einschließlich dessen, dass er Zaubertränke bestanden hatte, und legte den Brief dann wieder teilnahmslos auf den Tisch.

„Was ist es?“, fragte seine Mutter von hinter der Hecke. „Ich hab‘ das Schul-Siegel gesehen.“

„Mein Zeugnis“, gab Remus träge zurück. Er legte den Kopf in den Nacken und unterdrückte ein Gähnen.

„Und, wie ist es ausgefallen?“

„Gut.“

„Kann ich es mir ansehen?“, fragte sie und kam hinter dem Gebüsch hervor. Eine Schlingpflanze ringelte sich noch über ihre Schulter, aber sie schlug kräftig mit der Schere darauf, wie Remus‘ Vater es ihr gezeigt hatte.

„Klar...“

Sie kam herüber, zog ihre Gartenhandschuhe aus und überflog die Noten. Zweimal sah Remus, wie ihre Augen zu der Stelle hüpften, an der die krude Benotung erklärt wurde.

„Aber… Remus, das sieht doch super aus“, sagte sie verblüfft. Offenbar irritierte sie seine fehlende Euphorie.

„Ja, schon in Ordnung“, zuckte er die Schultern. Trotz Vorzelt stach ihm die Sonne in die Augen.

„Das müssen wir nachher direkt Dad zeigen.“ Seine Mutter machte ein aufforderndes Gesicht und Remus lächelte ebenfalls, weil es nun einmal von ihm erwartet wurde.

„Und der andere?“

„Ach ja.“

Remus streckte die Hand nach der Pergamentrolle aus, die nicht in einen Briefumschlag gestopft worden war. Es war keine Anschrift daran befestigt, aber jetzt erinnerte Remus sich dunkel, dass gestern Morgen oder so eine Eule an sein Fenster gepickt hatte. Er hatte sie ignoriert.

Remus rollte den Brief auf und erstarrte, als er die Handschrift erkannte. Oben rechts war klein das Datum von vorgestern hingekritzelt, so wie er es auch immer selbst tat.

 

10. August 1976

 

Lieber Moony,

Glaub mir, ich habe eine gute Ausrede für alles (sie ist noch besser als normalerweise). Kannst du am 13. August nach London kommen? Bitte.

 

Dann folgte eine Adresse, die nicht Grimmauldplatz Nr. 12 war. Aber es war eindeutig Sirius‘ Brief. Und er hatte unterschrieben mit „dein Sirius“. Remus konnte sich nicht losreißen von dem Anblick seines Namens.

„Was ist passiert?“, fragte seine Mutter. Sie musterte ihn nervös.

„N-nichts“, sagte Remus, ohne sie anzusehen, und stopfte die Pergamentrolle in seine Hosentasche. „Ich geh eine Runde spazieren.“

„Willst du nicht noch frühstücken?“ Sie sah besorgt aus. „Du hast doch noch gar nichts gegessen.“

„Hab‘ keinen Hunger“, gab er zurück, was eine Ausrede war, die sie wegen seines Zustandes in der Regel akzeptierte. Remus stand aus dem weichen Plastikstuhl auf, dann schlurfte er barfuß über die kleine, wilde Rasenfläche und verschwand in der verlassenen Camping-Siedlung.

 

Remus wusste gar nicht, wohin er gehen wollte, doch es war das erste Mal seit Wochen, dass er den Drang hatte, sich zu bewegen, überhaupt irgendetwas zu tun.

Remus zog mit der immer schwerer werdenden Pergamentrolle in der Tasche über die leeren, staubigen Wege und sank schließlich ratlos auf ein Mäuerchen am Lupinenring. Die Camping-Anlage war schon vor Jahren geschlossen worden. Remus‘ Mutter hatte einmal gesagt, ein Investor hätte sie als Geldanlage gekauft, aber dann nie etwas damit angefangen. Ihnen war es Recht: Hier gab es praktisch keine anderen Menschen und so hatten sie jeden Sommer, wenn Remus da war, ihre Ruhe. Die restliche Zeit waren seine Eltern in der Lage, ihr mobiles Haus hin- und her- zu transportieren, wo immer es für sie gerade günstig war.

Reglos saß er da, doch innerlich stritten sich Remus‘ Gefühle. Er hatte den Drang, das Pergament einfach in Flammen aufgehen zu lassen, und gleichzeitig wünschte er sich nichts mehr, als dass es nach Sirius roch. Remus hörte das protestierende Pochen seines Herzens in den Ohren.

Nach zehn Minuten allein auf dem verlassenen Weg überkam ihn ein neues Gefühl: Wut. Zum ersten Mal seit über einem Monat hörte er ein Wort von Sirius und der machte einen Witz. Einen Witz! Erkannte er den Ernst der Lage nicht? Erkannte er nicht, wie unfassbar Remus litt? Sirius hatte alle Versprechen gebrochen, die er Remus je gegeben hatte, und er hatte ihn verlassen. Sirius hatte das Schlimmste getan, was er hätte tun können.

Remus zitterte vor Wut, doch sie machte ihm auch Angst, darum versuchte er, sie niederzuringen. Wenn sie ihn von Sirius abgrenzte, bedeutete das, dass auch James und Peter sich würden entscheiden müssen. Nicht ohne Grund hatte Remus weder dem einen noch dem anderen etwas davon gesagt, wie Sirius ihn den Sommer über behandelt hatte. Er wollte es weder rechtfertigen, noch hatte er überhaupt die Kraft dazu gehabt. Doch wenn Remus‘ Wut jetzt einen Schlussstrich zog, blieb ihm nichts anderes übrig, als James und Peter einzuweihen.

Remus holte das Pergament hervor und noch bevor er es entfaltet hatte, richtete er sich plötzlich auf und sah sich um.

Ein komisches Prickeln im Nacken gab ihm das Gefühl, er würde beobachtet. Doch die Wege und die Camping-Hütten waren immer noch menschenleer.

Remus beugte sich wieder über Sirius‘ Brief, doch fast sofort stand er erneut auf, die Hand um das Schreiben zusammengeklammert. Er ahnte es eher, als dass er es hörte: Jemand oder etwas stand hinter ihm, im schmalen Durchgang zwischen dem Zaun und einem Carport. Er wirbelte herum und entdeckte den streunenden Hund, den er zu Anfang der Ferien mit Resten vom Abendessen gefüttert hatte, weil er einfach nicht anders gekonnt hatte. Er war schwarz und zottelig, aber kaum halb so groß wie Sirius‘ Animagus-Form. Der Hund neigte den Kopf und blinzelte. Wie von selbst streckte Remus die Hand aus und der Hund kam angetrabt, neigte sich vor und stupste seine Finger mit der Schnauze an. Remus kraulte ihn, wenig später kehrte er zurück nach Hause.

„Mum“, sagte er mit fester Stimme. „Ich muss morgen nach London. Geht das?“

„Morgen?“, fragte sie überrascht und sah vom Plastiktisch vor ihrer Hütte auf. Sie schälte gerade Karotten für das Mittagessen. „Wieso denn das?“

„Ein Freund braucht mich.“

„Das ist ganz schön plötzlich. Ich weiß nicht, ob Dad morgen Zeit hat, dich hinzubringen…“ Die Familie hatte kein Auto, da die Versicherung zu kostspielig war, und war darum die meiste Zeit abhängig von der Magie von Remus‘ Vater.

„Bitte.“ Remus schluckte, dann fiel sein Blick auf den Brief auf Hogwarts. „Als… Belohnung für mein Zeugnis?“

„Ich schaue, was ich machen kann“, sagte sie und ihr Blick wurde weich.

„Danke.“ Remus ging hinein in die Wohnküche, holte sich ein Messer aus der Schublade und setzte sich neben seine Mutter, um ihr beim Kleinschneiden der Wurzeln zu helfen.

„Dieser Freund ist dir wohl wichtig?“, fragte sie, ohne von den Karottenschalen aufzusehen.

„Ja. Sirius.“

„Ach ja, ihr geht in die gleiche Klasse?“

„Sozusagen. Er in meinem Jahrgang und im gleichen Haus. Gryffindor.“

„Und das Haus ist die Familie in Hogwarts, richtig? Dann musst du wohl gehen. Du kannst auch den Zug nehmen.“

Sie lächelte ihn an und er nickte dankbar.

 

Als Remus am nächsten Mittag bei der besagten Adresse ankam, wusste er nicht, worauf er achten sollte. Es war ein unauffälliges Londoner Gebäude mit mehreren Wohnungen, zu deren Haustür eine kleine Treppe führte. Nichts deutete auf Magie hin und auch als Remus sich zum Klingelschild beugte, konnte er keinen ihm bekannten Namen entdecken. Für einen Moment hatte er Angst, dass er auf den Arm genommen worden war. Er war genervt. Die Anreise war schon kompliziert genug gewesen (eine U-Bahn-Linie war gesperrt gewesen) und teuer obendrein.

Natürlich hatte Remus, entgegen seiner Wut und pflichtbewusst, wie er war, Sirius am Abend eine Eule zurückgesandt und ihm geschrieben, er würde kommen. Doch die Post war aktuell nicht sonderlich zuverlässig. In der Zeitung hieß es immer wieder, Vögel würden womöglich durch Todesser (oder das Ministerium, je nach dem, welche Zeitung man las) abgefangen. Remus wusste zwar nicht, wieso sich Todesser und Auroren für ihn interessieren sollten, doch bei Sirius war das womöglich etwas anders.

„Hi.“

Remus schreckte zusammen. Sirius stand hinter ihm auf der untersten Stufe vor dem Haus. Er trug eine dunkle Jeans und seine Lederjacke, für die es eigentlich zu warm war. Die langen, schwarzen Haare hatte er zu einem lockeren Zopf zusammengebunden.

„Hi!“, rief Remus strahlend und versuchte, sich gegen die unerwartete Freude in ihm zu wehren.

Sirius nahm die drei Stufen und fiel Remus, ohne zu fragen, um den Hals. Auf einmal war alles wieder da. Der Duft von Sirius‘ Haaren, des Gefühl von seinem Körper an Remus‘, die Nähe, die er im Inneren spürte. Doch Remus umarmte ihn nicht zurück.

„Du bist sauer“, sagte Sirius, als er sich von ihm löste.

Remus antwortete nicht, sondern wich seinem Blick aus.

„Komm rein. Dann können wir reden.“ Sirius öffnete die Haustür mit einem gewöhnlichen Muggelschlüssel. Sie liefen durch ein unauffälliges Treppenhaus hinauf bis unter das Dach. Als Sirius die Wohnungstür öffnete, wusste Remus noch immer nicht, worauf das hier hinauslief.

„Tja, ähm“, sagte Sirius, als er ihn in den Flur ließ, „willkommen in meiner neuen Wohnung.“

Remus glotzte ihn an.

„Deine Wohnung?“, fragte er mit einer Stimme, eine einen Ton zu hoch war.

„Jep.“ Sirius nickte ernst.

„Du hast deine eigene Wohnung?“, fragte Remus noch mal und sah sich um. Drei Türen gingen vom Flur ab. Es waren allesamt anonyme, weiße Muggeltüren.

„Genau. Komm rein, dann erzähl ich dir alles.“

Sirius führte ihn, ohne die Schuhe auszuziehen, in ein kleines Wohnzimmer, das beherrscht wurde von zwei massiven Dachschrägen. Vor den Dachfenstern hingen je ein roter und ein goldener Vorhang, die das Zimmer in warmes Licht tauchten. In der Mitte des Raums, wo man aufrecht stehen konnte, stand ein kleiner Tisch mit drei Stühlen, und in der Ecke unter der Dachschräge lud ein knuddeliges Sofa mit einem niedrigen Tischchen zum Hinfläzen ein. Über der Sofalehne hing Sirius‘ Gryffindor-Schal. Selbst Topfpflanzen und ein Bücherregal gab es, das neben einer weiteren Tür stand.

Alles in allem war die Wohnung komplett eingerichtet. Nicht einmal Lampenschirme fehlten unter der Decke. Remus blinzelte verwirrt und weil er nicht wusste, was er tun sollte, ging er auf das Bücherregal zu. Er entdeckte all ihre Schulbücher, aber auch noch ein paar andere Werke und einen Stapel Motorrad-Zeitschriften.

„Es ist nicht viel…“ Sirius zuckte mit den Schultern.

„Bist du verrückt?“ Remus schüttelte mit gerunzelter Stirn den Kopf. Allein das Wohnzimmer war vermutlich so groß wie die ganze Hütte seiner Eltern, auch wenn Sirius Recht hatte: Groß war es wirklich nicht.

„Kann ich dir was zu trinken anbieten?“, fragte Sirius und fiel in einen Gastgeber-Tonfall.

„Äh… gerne.“

Sirius strahlte und lief zurück in den Flur. Remus folgte ihm mit gewisser Neugier in eine winzige Küche mit Spüle, einem kleinen Herd und einem Tischchen mit zwei Klappstühlen. Sirius holte Kürbissaft aus einem kleinen Kühlschrank und zwei Gläser aus einem spärlich bestückten Hängeschrank und goss Remus ein Glas ein. Remus fiel auf, dass neben den beiden Kochplatten eine komplett leere und eine offene Flasche Feuerwhiskey standen. Er sagte nichts, nahm nur sein Glas und trank einen Schluck, ohne ihn zu schmecken.

Sie setzten sich auf die Küchenstühle. Draußen hörte Remus den Autoverkehr. Sirius in einer so nicht-magischen Umgebung zu sehen, machte ihm einen Knoten in den Kopf.

„W-was machst du hier?“, fragte Remus endlich, denn Sirius rückte nicht mit der Sprache heraus.

„Das hier“, sagte Sirius mit einem Seufzen, das nicht ganz zu dem Stolz in seinen Augen passen wollte, „ist das Ergebnis davon, dass ich von Zuhause abgehauen bist.“

Remus starrte ihn an. „Du bist abgehauen? Von deinen Eltern?“

„Jep.“

„Das“, sagte Remus verdutzt, „das ist…“ Er schüttelte den Kopf, dann überkam ihn endlich das passende Gefühl: „Das ist großartig!“ Er schlug vor Freude mit der Hand auf den Tisch und sein Glas schwappte über.

Sirius strahlte. Offenbar war er sich nicht sicher gewesen, was für eine Reaktion er hatte erwarten sollte.

„Wie hast du das gemacht?“, fragte Remus begierig und wischte den Saftfleck unauffällig mit seinem Ärmel weg.

„Mein Onkel Alphard hat mir schon vor Jahren ein bisschen Gold hinterlassen.“

Remus hob die Augenbrauen. Sirius räusperte sich beschämt:

„Also. Von vorne. Ich bin nach dem Schuljahr nach Hause gekommen und innerhalb von drei Tagen hab‘ ich gesagt, ich gehe, mir reicht‘s. Hab es einfach nicht mehr ausgehalten. Ich weiß, du hast meine Eltern nie kennengelernt und du kannst es dir nicht vorstellen –“

„Doch. Inzwischen kann ich das“, sagte Remus leise.

„– jedenfalls… Sie sind sie völlig ausgetickt, als Regulus ohne Zauberstab und ohne den Ring nach Hause gekommen ist. Erst haben sie sich zwei Tage lang an ihm abreagiert. Und als das erstmal genug war, wollten sie mit mir weitermachen. Erinnerst du den an den Brief von meiner Mutter? Eigentlich hätte ich ja das Haus gar nicht betreten sollen, also war ich schon auf alles gefasst, als wir ankamen. Aber offenbar war es ihnen lieber, mich zwei Tage in meinem Zimmer einzusperren, als vor dem Haus Aufmerksamkeit auf sich zu ziehen, weil sie mich an den Haaren über den Grimmauldplatz schleifen. Naja. Jedenfalls wollten sie dann auf mich losgehen, aber ich hatte mich von innen in meinem Zimmer verbarrikadiert. Und als sie die Tür aufgebrochen haben, hab‘ ich vor ihren Augen den Siegelring der Blacks in die Luft gesprengt. Bis zu dem Zeitpunkt dachten alle, ich hätte ihn schon gar nicht mehr gehabt, aber doch. Ich wollte ihnen ein Abschiedsgeschenk dalassen, sozusagen. Also, Bombarda. Sie sind völlig aufgeschmissen gewesen, da bin ich an ihnen vorbei und abgehauen. Ich hatte schon alle meine Sachen gepackt.“

„Aber… so kurz nach der Schule, das ist ja Wochen her... Wo bist du hin?“

„Zu James“, sagte Sirius.

Es fühlte sich an, als fiele ein Eisklumpen in Remus‘ Magen.

„Achso. Natürlich“, sagte er tonlos.

„Nein, du verstehst das nicht. Ich –“, sagte Sirius, als er Remus‘ Gesicht las.

„Was verstehe ich nicht? Du warst die ganze Zeit bei James? Bis du das hier zusammengebaut hast, wie auch immer?“ Er gestikulierte in den Raum.

„Ja, aber –“

„Und du bist nicht einmal auf die Idee gekommen, mir Bescheid zu sagen?“ Geschweige denn auf die Idee gekommen, zu mir zu kommen? Remus wollte eine dramatische Geste machen. Wollte aufspringen und toben und heulen. Aber er fühlte sich nur leer. Wieso stand er immer nur in zweiter Reihe?

„Ich hab‘ daran gedacht. Ich habe die ganze Zeit daran gedacht, aber –“

„– aber was? Du hattest keine Zeit, um zwanzig Sekunden lang eine Nachricht zu schreiben?“ Remus stieß abfällig die Luft aus.

„Nein! Ich hatte einfach Angst, dass sie die Eule abfangen und dann über die Potters herfallen, wenn sie rausfinden, wo ich bin!“

„Und James, James hätte nicht irgendwas sagen können?“ Remus schüttelte völlig fassungslos den Kopf. „Ich hab‘ gedacht, die hätten dich gefoltert, weißt du. Ich hab gedacht, sie hätten dich umgebracht. Ich hab‘ gedacht, du hasst mich und willst einfach nichts mehr mit mir zu tun haben! Ich dachte, du hast m-mich verlassen.“ Remus‘ Stimme war mitten im Satz eingebrochen und jetzt brannten seine Augen. Verdammt noch mal!

„Nein. Moony, nein. Niemals.“ Sirius schaute ihn erschüttert an. „Es tut mir leid, dass du das gedacht hast.“

„Dass ich das gedacht habe? Dass du das getan hast, hoffe ich!“ Remus bebte vor Wut. Der Saft in seinem Glas schwappte hin und her in seiner zitternden Hand. Sirius‘ graue Augen starrten ihn an.

„Du hättest mir antworten können. Wenigstens einmal.“ Remus Stimme war leise geworden und kaum mehr als ein Piepsen, als die vermaledeiten Tränen anfingen, überzusprudeln.

Mit ähnlich zittrigen Fingern nahm Sirius Remus‘ Hand. Sie fühlte sich kalt und schwitzig an, obwohl es draußen sehr warm war.

„Kreacher hat meine Briefe abgefangen“, sagte Sirius tonlos. „Hauselfen-Magie ist anders als von Zauberern. Auch wenn ich nicht mehr bei meinen Eltern wohne, scheint er immer noch zu finden, dass ich zur Familie gehöre und hat irgendwie die Eulen angezogen, nach Hause, sozusagen... Hat sich den Spaß daraus gemacht, meine Briefe zu sammeln und wie immer auf mein Bett am Grimmauldplatz zu legen. Ich hab‘ sie gerade erst alle bekommen. Es tut mir so leid.“

„Wie hast du sie da rausgekriegt?“, fragte Remus und wischte sich mit der freien Hand über das Gesicht.

„Mein Onkel Alphard war zu Besuch und ist zufällig auf die Briefe gestoßen, als er sich in mein Zimmer geschlichen hat. Er wollte wohl eigentlich sehen, was meine Sprengfalle angerichtet hat, aber das war schon alles wieder in Ordnung gebracht… Da haben sie dann auch erfahren, dass ich das Geld von ihm habe. Haben ihn natürlich sofort rausgeworfen. Er hat mir die Briefe gestern gebracht. Es tut mir so leid, Moony.“

„Warum hast du nicht einfach schon früher was gesagt? Du wohnst doch hier nicht erst seit gestern!“ Remus‘ Wut nahm plötzlich Überhand. Splitternd zerplatzte das Glas in seiner Hand und der orangefarbene Saft bespritzte Sirius‘ neue Küchenfliesen. Blut sickerte aus kleinen Schnitten in Remus‘ Unterarm. Sirius zuckte nicht einmal.

Remus stand auf und wandte sich ab, schaute stattdessen aus dem Fenster, das noch mit feinem Baustaub belegt war. Er verfluchte diese Wohnung und diese ganze Stadt. Und Sirius. Und die Blacks. Und sich selbst dafür, dass er geglaubt hatte, für Sirius eine Priorität zu sein. Es ist doch nie was Ernstes.

„Ich wollte, dass alles fertig ist, wenn du herkommst…“, sagte Sirius hinter ihm und er schien im gleichen Moment zu merken, was das für eine erbärmliche Antwort war. „Es tut mir so leid“, murmelte er schon wieder.

Remus kniff die Lippen zusammen und wünschte sich, er könnte schreien.

„Und was jetzt?“, fragte er patzig und fuhr herum. „Jetzt wohnst du hier bis Schulbeginn oder was?“

„Äh“, sagte Sirius, irritiert von dem plötzlichen Themenwechsel, „ja. Genau.“

„Das ist doch absurd. Du bist sechzehn. Du darfst noch nicht mal zaubern!“

„Deswegen ist das auch alles hier wie in einer Muggelwohnung. Guck mal, ich habe sogar einen Kühlschrank!“ Sein Kieksen erstarb, als Remus nicht lächelte.

„Du weißt echt nicht, was du mir angetan hast“, sagte Remus steif. „Ich hab‘ gedacht, wenn wir am 1. September im Hogwarts-Express sitzen, schaust du durch mich durch als wäre ich Luft. Oder noch Schlimmeres.“

„Das würde ich niemals tun“, sagte Sirius bestürzt.

„HAST DU ABER!“, schrie Remus plötzlich. Er ging die Hände ringend in die winzige Küche hinein. „Genau so hast du dich benommen! Und ich schwöre dir, wenn du das noch einmal machst, auch nur im Ansatz, ich rede nie wieder auch nur ein einziges Wort mit dir.“

Sirius schluckte, dann bildete sich aber ein hoffnungsvoller Funke auf seinem Gesicht: „Das heißt, wenn ich es nicht noch mal mache…?“

„Du bist so ein unfassbarer Troll“, stöhnte Remus und war wütend auf sich selbst, dass Sirius‘ Dreistigkeit ihn zum Schmunzeln brachte.

„Du kannst mich ruhig weiter anschreien. Aber willst du dabei den Rest der Wohnung sehen?“, fragte Sirius und zuckte ein wenig hilflos die Schultern. Offensichtlich hatte er seine Chance gewittert.

„Meinetwegen“, knurrte Remus, nahm sein Glas und stürzte es herunter. Jetzt erst merkte er, wie trocken sein Mund eigentlich war.

Sirius führte ihn zurück in den Flur und zeigte ihm ein kleines Badezimmer, das im aktuellen Stil gefliest war. Es war ziemlich nichtssagend, aber Remus dämmerte es so langsam, was diese Wohnung für Sirius bedeuten musste, als er sah, dass sein scharlachrotes Handtuch mit einem Gryffindor-Löwen bestickt war. Zuletzt schauten sie ins Schlafzimmer. Ein kleines Doppelbett, ein Nachttisch, eine Kommode und ein großes Poster von einem Motorrad – das machte Sirius‘ neue Freiheit aus.

„Hübsch“, kommentierte Remus spöttisch mit einem Nicken zum Motorrad.

„Eines Tages, ich prophezei‘ es dir.“ Sirius hob gewichtig den Finger.

Sie gingen zurück in den Flur und gerade, als Remus weiter zum Wohnzimmer durchgehen wollte, hörte er sich selbst sagen: „Ich will einen Feuerwhiskey.“

„Oh“, gab Sirius überrascht zurück, „okay.“

Er nahm ein neues Glas für Remus aus dem Schrank (Sirius tat so, als sähe er die Splitter auf Küchentisch und -boden nicht) und brachte sie und die Flasche mit ins Wohnzimmer, wo Remus sich auf das niedrige Sofa gesetzt hatte. Er blätterte in einer Motorrad-Zeitschrift.

„Ich werde nie verstehen, was du an den Dingern findest. Die Muggel bringen sich damit auf der Straße nur um.“

„Ein Grund mehr, sie zu fliegen“, antwortete Sirius und stellte Remus seinen Whiskey hin. Sie ließen die dickwandigen Wassergläser aneinandertocken, dann warf Remus den Kopf in den Nacken und stürzte das ganze Glas herunter. Sirius guckte verdutzt. „Meine Güte, Moony.“

„Nichts da, meine Güte. Gibt mir einen Zweiten.“

Sirius tat, wie ihm geheißen, und erst, als Remus auch den auf einen Schlag ausgetrunken hatte, seufzte er.

„Ich weiß nicht, was ich mit dir machen soll. Ich bin so unfassbar wütend auf dich. Mein ganzer Magen brennt.“

„Ich weiß nicht, ob das an der Wut liegt…“, antwortete Sirius und schielte auf den Feuerwhiskey. „Aber wenn doch, wäre es doch nicht das erste Mal…“ Ein Anflug von Hoffnung spiegelte sich auf seinem Gesicht.

„Doch. Das ist anders. Ich dachte… ich dachte wirklich…“

„Wie soll ich es wieder gutmachen?“, fragte Sirius und rückte ein bisschen näher an Remus heran. Er nahm seine Hand und drückte sie.

„Ich weiß nicht, ob du das überhaupt das kannst.“ Remus schluckte, er drückte die Hand nicht zurück. „Wirklich nicht. Du kannst dir nicht vorstellen, was für eine Panik ich hatte. Das hat meine Gefühle echt… abgetötet.“

„Sag sowas nicht“, flüsterte Sirius und mit einem Mal stand in seiner Stimme Angst.

„Es ist aber die Wahrheit.“ Remus sah Sirius weiterhin nicht an, sondern starrte nur auf sein leeres Glas. Gleichzeitig zog er aber auch seine Hand nicht weg. „Ich weiß nicht, ob ich dir das verzeihen kann, Sirius. Zwei Monate!

„Ich weiß.“

Es bildete sich eine Stille. Endlich rang Remus sich durch und schaute Sirius an.

„Lass es mich bitte versuchen“, bat Sirius sofort. Seine Stimme war belegt.

„Tu ich. Will ich. Ich weiß nur nicht, ob es geht. Ich muss mich auch schützen.“

„Das versteh ich. Lass es mich nur versuchen.“ Sirius seufzte und nahm seine Hand weg, um sie mit der anderen zu kneten. „Irgendwie…“, er schüttelte den Kopf und rote Flecken traten auf seine Wagen, „hatte ich die ganze Zeit gehofft, dass du mit mir hierherkommen würdest.“

„Um hier zu wohnen?“, fragte Remus mit einer Spur Entsetzen.

„Ähm… nein, als Besuch, sozusagen.“ Sirius fuhr sich nervös durch die Haare.

„So wie jetzt?“

„Nun… ja. Genau. Auch.“

„Was noch?“

„Du könntest natürlich auch einfach hierbleiben, bis wieder Schule ist. Das sind noch über drei Wochen. Wenn du das willst.“

„Meine ganzen Sachen sind noch zuhause.“

„Könnten wir ja holen… ich meine… ja, nur wenn du willst.“

„Ich…“ Remus zögerte, obwohl er schon längst spürte, dass er wollte. Er hatte nur Angst, dass zu all den Narben auf seinem Körper noch mehr Narben auf seinem Herzen dazukamen, wenn er Sirius vertraute. Schließlich sagte er: „Okay. Versuchen wir’s. Aber keine falschen Versprechen mehr.“

„Niemals.“

„Keine Kontaktabbrüche mehr.“

„Nur über meine Leiche…“

„…und falls du doch irgendwann mal in Askaban landest“, sagte Remus und schaute auf einmal spöttisch.

Sirius verschluckte sich an seinem Feuerwhiskey. „Ja. Na gut, dann könnte das auch passieren, ja.“ Er hustete mehr, als dass er lachte.

Doch Remus lachte auch. Dann lehnte er sich gegen Sirius und sog den Duft seiner Haare ein.

„Hab‘ dich vermisst, Moony.“

„Ich dich auch. Pass auf, dass ich das nie wieder tun muss.“

„Nie wieder. Versprochen. Diesmal wirklich.“

 


Nachwort zu diesem Kapitel:
Hiermit kommen wir zum endgültigen Ende der Fanfic. Vielen Dank für euer Interesse und eure Interaktionen! Ich freue mich über jede Einzelne. Ich hoffe, ihr habt den Ausflug zurück nach Hogwarts ebenso genossen wie ich.
Magische Grüße, behrami Komplett anzeigen

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Kommentare zu diesem Kapitel (1)

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Von:  Centranthusalba
2023-11-22T12:30:02+00:00 22.11.2023 13:30
Hallo behrami,
Ich wollte die Geschichte noch etwas sacken lassen, bevor ich dir hier ein finales Kommentar hinterlasse.
Danke, zunächst, für eine schöne, feine Hogwarts-Entführung. Das Setting inmitten des Schulalltags ist dir super gelungen. Ich hab tatsächlich wieder Lust bekommen, meine vergilbten HPs aus dem Regal zu holen.
Die „Beziehung“ der beiden war schön realistisch und behutsam. Ich finde es auch schön, dass selbst hier im letzten Kapitel kein „Ich liebe dich“ fällt. Dazu sind die zwei immer noch zu sehr am Anfang.
Und dann gabs ja schon irgendwie ein happy end 😅
Dein Sinn für Details hat mir auch sehr gefallen. Hier zum Beispiel bei Remus Zeugnis, dass seine Note in Geschichte nicht so dolle ausgefallen ist. Kein Wunder bei dem, was vor der Prüfung los war…
Das macht es alles so schön rund. 😊
Ich danke dir jedenfalls für eine unterhaltsame Zeit mit Remus und Sirius.
Antwort von:  behrami
22.11.2023 15:13
Hi Centranthusalba,
vielen Dank für deine Begleitung durch die Geschichte und deine Anmerkungen! Das hat mir wirklich jedes Mal wieder den Tag versüßt und mir echt auch gezeigt, dass ich mit meiner Sehnsucht nach Hogwarts nicht ganz alleine bin. Danke für deine lieben Worte und dein Mitfiebern. Wenn du zurück in die Bücher tauchen solltest, grüß mir Remus. <3


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