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Die Reise

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Die Reise

Die Reise

 

 

Ein kalter Wind fegt über die verschneite Landschaft. Der Schnee knirschte unter seinen Schuhen. Der alte Mann war in mehreren dicken Fellen gekleidet und schritt zielstrebig voran. Er hatte bereits eine lange Reise hinter sich, doch endlich näherte er sich seinem Ziel. Langsam kämpfte sich den letzten Hügel hinauf, es war nicht mehr weit. Oben angekommen erblickte er unter sich ein weites offenes Tal; der See in der Mitte war vollständig zugefroren. Am Rand des Sees war ein gewaltiger Tempel, dessen Eingang von riesigen Statuen bewacht war. Schwer atmend, aber mit frischem Elan begann er den Abstieg, endlich, er kann sie retten. Vor dem Tempel angekommen hielt er kurz inne, um seinen Mut zu fassen. Andächtig betrachtete er die Statuen, die Krieger alter Tage darstellten. Entschlossen trat er vor und klopfte mit den schweren Eisenringen an die mächtige Tür. Lange rührte sich nichts, als plötzlich ein lauter Gong ertönte, der durch das gesamte Tal schallte. Mit lautem Poltern schwang das Tor langsam auf. Er konnte mehrere dick gekleidete Priesterinnen erkennen, die in einer Reihe hinter einer alten Frau mit goldbesticktem Gewand standen. Er trat durch das Tor, das hinter ihm wieder geschlossen wurde und kniete nieder.

 

Mit leiser, rauer Stimme bat er die Priesterinnen um ihre Hilfe. „Hochpriesterin, ich brauche die Gnade der Göttin! Meine Tochter ist sterbenskrank; sie ist doch gerade erst 20 geworden! Die Heiler und Kräuterkundler konnten ihr nicht helfen, ihr seid meine letzte Hoffnung!“ Beeindruckt von der Liebe zu seinem Kind streckte die Hochpriesterin ihre faltige Hand dem alten Mann entgegen. „Steh auf!“, sagte sie. Zitternd ergriff er ihre Hand und gemeinsam gingen sie in das tiefste Innerste des Tempels, ins Heiligtum.

Der Mann staunte über die verzierten Wände und bemalten Decken, die jeden Raum und Flur schmückten. Kunstvoll bestickte Decken und Teppiche hielten einigermaßen Wärme im Inneren. Schließlich kamen sie in einem Raum, der mit Betten, Tischen und Stühlen eingerichtet war und die Priesterin wies ihm sich zu setzten.

 

Die Frauen saßen im Kreis um ihn und die Hochpriesterin, während sie beide auf Kissen platz nahmen. Die Hochpriesterin bereitete eine Vielzahl von Artefakten und eine kleine Statue der Göttin in einem kreisförmigen Muster zwischen den beiden aus. Die Priesterinnen stimmten Gesang an und ohne, dass er die Quelle entdecken konnte, breitete sich nach Kräutern riechender Rauch aus. Es wurde neblig in dem Raum und die Hochpriesterin fing an über den Gesang hinweg in einer, dem Mann nicht bekannten Sprache, zu beten.

 

Die Luft um ihn wurde immer schwerer und wie in Trance verschwamm sein Sichtfeld, bis ein lauter Knall ertönte. Vor ihm in dem Kreis der heiligen Artefakte begann es zu zischen und schwarzer Dampf stieg auf, der Mann konnte nicht erkennen was vor sich ging. Glühende Augen entstiegen dem Rauch und eine dunkle, weibliche Stimme sprach zu ihm: „Sprich Mann, wie ist dein Name?“ Mit gesenktem Blick antwortete er: „Hali, Mächtige und ich ersuche eure Hilfe.“ Die Stimme machte ein zufriedenes Geräusch und fragte: „Hali, was ist dein Anliegen?“

„Meine Tochter Rena ist schwerkrank, Mächtige, ich bete zu euch für ihre Genesung.“

„Rena, die Tochter von Hali… Ja, ich sehe die Dunkelheit, die ihren Geist gefangen hält. Ihr Körper ist schwach, aber noch ist ihre Flamme nicht erloschen. Ich kann euch helfen, doch sie zu retten wird nicht einfach werden. Ich benötige ein Opfer, kein Leben, um ihrem Körper neue Kraft zu verleihen.“

„Ich würde alles tun.“, der Mann klang verzweifelt. Er spürte, wie ihn die Göttin wohlwollend betrachtete, als sie sprach: „Hinter dem Tempel liegt ein heiliger Berg. Auf dessen Spitze steht ein uralter Baum, beschaffe mir Rinde von diesem und bringe sie zurück zum Tempel. Doch sei gewarnt, der Aufstieg ist gefährlich und wilde Tiere leben dort. Beschädige den Baum nicht und komme mit der Rinde wieder, dann werden die Priesterinnen dir den nächsten Schritt mitteilen.“

„Ich danke euch für diese Chance, Mächtige.“ Die Augen verschwanden im Nebel und langsam verstummte der Gesang. Nach einigen Momenten der Ruhe sprach die Hochpriesterin mit Hali: „Die Göttin hat sich deiner angenommen und so wollen auch wir dich unterstützen. Wir werden dir eine Karte und Proviant geben. Du weißt, was du tun musst.“

Nach wenigen Worten des Abschieds machte er sich auf den beschwerlichen Weg zur Spitze des heiligen Bergs. Der Weg war steil und gefährlich, es hatte mittlerweile wieder zu schneien angefangen. Das Schneetreiben und der einsetzende Sonnenuntergang verschlechterten sein Sichtfeld zunehmend. Ihm war kalt, aber sein Wille brannte wie Feuer und so stampfte er weiter.

 

Er kam nur langsam voran, da er vorsichtig sein musste und nur eine einfache Laterne ihm Licht spendete. Seine Chancen waren gering, aber er wusste, dass die Göttin ihm beistand und so kletterte er weiter. Im Dunkeln hinter sich knurrte es plötzlich und im Schein seiner Laterne sah er nur die Augen mehrerer Tiere. Er hielt seine Laterne vor sich, um die Tiere besser sehen zu können und sie mit den Flammen zurückzudrängen. Er glaubte Wölfe zu erkennen, die sich langsam um ihn bewegten. Der Mann war kein Kämpfer und so überlegte mit welchen Tricks er aus dieser Situation herauskam. Er überlegte, ob ihm das getrocknete Fleisch seines Proviants als Ablenkung reichen konnte, um zu fliehen. Aus Mangel an alternativen Lösungen griff er in die Tiefen seiner Tasche und holte ein wenig seines Dörrfleisches heraus. Vorsichtig schwenkte er es vor den Nasen der Wölfe und stellte zufrieden fest, dass sich ihre Aufmerksamkeit auf seine Hand verlagerte. Als er sich sicher war, dass die Wölfe ihre Aufmerksamkeit auf das Fleisch gerichtet hatten, warf er es in die Dunkelheit.

 

Kaum wendeten sich die Wölfe von ihm ab, ging er rückwärts weiter, nicht zu schnell, um nicht in den Fokus zu geraten. Seine Schritte waren bedacht und er setzte seine Reise den Berg herauf fort.

Schon bald konnte er nichts mehr von ihnen hören und sicherheitshalber wusch er seine Hand im Schnee ab. Es war wichtig den Geruch loszuwerden, um nicht erneut ins Visier genommen zu werden. Es schien zu funktionieren, denn er wurde auch Minuten, vielleicht sogar Stunden später nicht mehr verfolgt. Zeit war schwierig abzuschätzen, während er im Dunkeln durch den Schnee marschierte, das einzige woran er seinen Fortschritt erkannte, war, dass der Berg immer steiler wurde.

 

Langsam nahm er um sich wahr, dass die Bäume immer weiter auseinander standen, der Wald lichter wurde. Er erreichte eine Felswand, die der einzige Weg nah oben zu sein schien. Hier, geschützt vom Wind, beschloss er Rast zu machen, da es im Dunkeln zu gefährlich wäre zu klettern. Er hockte sich mit der Wand im Rücken hin und aß einen Teil seiner Rationen. Er dachte an seine Tochter und daran, dass er vorsichtig sein musste, trotz seiner Eile. Er war sich bewusst, dass einem Fehler keine Hilfe kommen würde. Er musste am Leben bleiben, damit seine Rena überhaupt eine Chance hatte. Mit diesem Gedanken döste er ein paar Stunden, um sich auszuruhen.

Im ersten Licht des Tages sah er sich den Felsvorsprung genauer an. Er erkannte einige Stellen, an denen man viel Halt hatte. Es war machbar, also begann er den Aufstieg nach einem kargen Frühstück. Er konzentrierte sich, immer einen festen Stand zu bewahren. Geschwächt von einer harten Nacht, fiel der Aufstieg nahezu unmöglich. Doch sein eiserner Wille ließ ihn nicht aufgeben und so kämpfte er sich immer höher. Er merkte, dass die Bäume um ihn herum immer lichter und die Luft dünner wurden. Das Atmen fiel ihm immer schwerer. Die kalte Luft brannte in seiner Lunge und er hatte fast das Gefühl zu ersticken. Es war schmerzhaft, doch er stapfte weiter.

 

Plötzlich vernahm er Geräusche von weiter oben. Wie das Klingeln eines Windspiels umgab ihn Musik und der Wind umschloss ihn. Er konnte den Baum aus der Ferne erahnen. Dieser erschien ihm zwar nur schemenhaft, aber seine Ausmaße waren gewaltig. Seine Umgebung war eine andere, da es nun warm war und er auf sattem, grünem Gras stand. Der Baum schien Wärme auszustrahlen. Der ganze Schnee im Umkreis von 100 Metern um den Baum schien geschmolzen.

 

Die restliche Strecke viel ihm nun viel leichter und zwischen den Wurzeln des Baumes lag versteckt so etwas wie ein kleiner Schrein. Der Mann kletterte über die Wurzeln zu dem Schrein hin, über ihm erklang das Rascheln der glasigen Blätter, wie das Klingeln kleiner Glöckchen. Er trat vor den Schrein und öffnete eine kleine Kerbe. Ein kleines Schälchen lag darin und instinktiv griff er nach seiner Tasche und holte den letzten Rest seines Proviants heraus, um ihn hineinzulegen. Er legte die Schale auf den kleinen Altar und kniete nieder. Ein großes Stück Rinde erschien wie aus dem Nichts vor ihm. Er bedankte sich, ob bei dem Baum oder der Göttin wusste er nicht, und griff ehrfürchtig nach der Rinde. Die Rinde war weiß und sehr warm; der Mann drehte sie in seinen Händen, um sie genauer zu betrachten.

 

Es zeichnete sich ein Muster einer Lotusblüte im Holz ab. Seine Finger strichen sanft über die Einkerbungen, als es plötzlich aufleuchtete. Auf einmal war er von Licht umhüllt, er wusste nicht was mit ihm geschah. Er wurde von einem grauen, magischen Fasan ergriffen und vor dem Tempel abgesetzt. Das Schutztier der Göttin neigte nur leicht den Kopf, bevor er wieder davonflog Richtung des heiligen Berges. Angesichts dieses Geschenkes fing er an zu beten. Die Priesterinnen verneigten sich und stimmten seinem Gebet mit ein.

„Lasst uns gemeinsam ins Heiligtum gehen und dort das Ritual beginnen.“, sagte die Hochpriesterin und führte ihn wieder hinein. Der Mann folgte ihr, er war von seiner Reise und dem Besteigen des Berges sehr geschwächt. Der alte Mann klappte zusammen. Erschrocken brachten die Priesterinnen ihn ans Feuer, wo sie ein Lager zum Ausruhen für ihn errichteten.

Es war dunkel. Das Feuer erlosch. Aus der Schwärze ertönte eine bekannte Stimme: „Ich sehe, dass die Rinde hier ist. Ich werde nun zur Tat schreiten!“

Die leichtende Rinde schwebte in der Luft und die Priesterinnen knieten sich auf den Boden, um einen Gesang anzustimmen. Aus der Feuerstelle stieg wieder schwarzer Rauch, der das Zimmer einhüllte. Eine unheimliche Stille breitete sich aus im Zimmer aus. Die Rinde löste sich in Lichtpartikel auf und schwebte durch den Raum. Die Partikel wirbelten durch die Luft und sammelten sich an der Decke. Sie komprimierten sich zu einem großen Ball zusammen und verschwanden dann mit einem Surren in der Decke. Die Stimme seiner Tochter erschien in seinem Kopf.

Er sah vor seinem inneren Auge Visionen von der Entstehung der Welt.

„Der Baum war beim Anbeginn der Zeit dabei“, sprach die Göttin. „Er half mir die Welt nach meinen Vorstellungen zu formen. Der Mann sah, wie der Baum auf dem Dach der Welt thronte, seine Äste ragten hinauf in die Stratosphäre und er vernahm ein leises Klingeln. Engelsgleiche Geschalten flogen um die Äste des Baumes und spielten auf ihren Leiern, dem Ursprung des Klingelns. Sein Blick fokussierte sich auf eines der Blätter des Baumes, welches etwas milchig war.

Er sah sich dieses Blatt näher und ihm war, als würde er das Gesicht seiner Tochter in der Spiegelung des Blattes sehen. Sie strahlte vor Freude und lächelte ihn an. Wieder erschien die Lichtkugel und verschmolz mit dem Blatt.

Der Mann fühlte, wie er immer schneller vom Baum weggerissen wurde, dann war alles vorbei. Die Priesterinnen verneigten sich vor Hali und beteuerten ihm, seine Tochter sei nun geheilt. Mit feuchten Augen bedankte er sich bei den weisen Frauen und versprach zu Ehren der Göttin zu Hause mit seiner Tochter Rena zu beten. Der Mann trat vor den Tempel in den Schnee, er war erleichtert, aber hatte einen weiten Weg vor sich.

 

The End!



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