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Festival of Blood

von

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5

Ihre nackten Füße versanken in dem kalten feuchten Moos, eine dichte Nebelwand nahm ihr die Sicht und Orientierung. Samanthas Hand ertastete einen Baum, welcher dicht mit Efeu bewachsen war, sie blickte an ihm hoch, um mit Hilfe der Sonne erahnen zu können, wie spät es war und wo sie sich befand. Doch der Himmel war eine einzige schwarze Fläche, kein einziger Sonnenstrahl war zu sehen. Sie ging ein Stückchen weiter, lauschte bei jedem noch so kleinen Geräusch auf, welche ihr plötzlich so ungewöhnlich laut vorkamen. Sie hörte eine protestierende Maus zu ihren Füßen fiepsen, Samantha blickte sie an, so als könnte sie sie tatsächlich verstehen.

„Es tut mir leid, wenn ich dir die Vorfahrt genommen habe…“, raunte die junge Frau und hob ihren nackten Fuß an, damit die Maus passieren konnte.

Doch anstatt im nächsten Erdloch zu verschwinden flitzte sie den Baumstamm direkt neben Samantha empor, hielt sich mit einer Pfote am Efeu fest und fiepste aufgeregt. Als wäre es das normalste auf der Welt streckte Samantha ihre Hand nach der Maus aus, welche wie selbstverständlich auf die Frau sprang, ihren Arm empor rannte und auf ihrer Schulter sitzen blieb. Sie fiepste völlig hysterisch und fuchtelte mit ihren winzigen Pfoten herum, die junge Frau horchte ihr aufmerksam zu, nickte zustimmend.

„Verstehe. Zeigst du mir den Weg?“

Augenblicklich schnellte eine Pfote nach vorne und die Maus wies ihr die Richtung, welche sie ohne zu zögern einschlug. Während Samantha sich über den moosbewachsenen Waldboden tastete sank die Maus auf ihrer Schulter erschöpft in sich zusammen, begann sich zu putzen und korrigierte sie mit lautstarken fiepsen, falls ihre Begleitung vom Weg abkam.

Samantha kämpfte sich durch ein dichtes Gestrüpp, wurde von zurück schnellenden Ästen gepeitscht, stolperte beinahe über eine Wurzel, welche sich hinterhältig über den Boden schlängelte, doch als sie dies alles bezwungen hatte wurde sie mit einem der schönsten Anblicke überhaupt belohnt. Sobald sie den Wald verlassen hatte erblickte die junge Frau den dunkelblauen Himmel, welcher mit unendlich vielen weiß leuchtenden Sternen übersät war, der gewaltige Vollmond spiegelte sich anmutig in dem See, welcher ruhig vor ihr lag. Es raubte ihr buchstäblich den Atem, so schön war dieser Anblick, Samantha konnte sich ein gerührtes Lächeln nicht verkneifen und ging langsam durch das hohe Gras auf den See zu. Die Wasseroberfläche war so hypnotisierend friedvoll, dass sich die junge Frau ans Ufer stellte um sie einfach nur zu betrachten. Sie fühlte sich sorgenfrei, so völlig im Reinen mit sich selber, dass sie hätte weinen können. Die Maus, welche immer noch auf ihrer Schulter saß legte behutsam eine Pfote auf Samanthas Wange, woraufhin ihr aufgeheitert ein Schluchzen entglitt und sie sich schnell die Tränen wegwischte. Ihr leicht verschwommener Blick wanderte ruhig über das Seeufer und blieb an etwas hängen, was auf halber Strecke gemütlich auf sie zugelaufen kam. Auf allen Vieren marschierte das Tier direkt auf die junge Frau zu, seine leuchtend gelben Augen auf sie gerichtet hielt es nur wenige Meter vor ihr an und legte sich entspannt auf den mit Gras bewachsenen Boden.

„Bist du auch endlich angekommen?“, lächelte Samantha das Tier an, „du hast dir aber schön Zeit gelassen.“

Das Tier ließ seinen Kopf zwischen seine nach vorne ausgestreckten Pfoten sinken und versuchte reumütig zu gucken, woraufhin Samantha herzlich auflachte. Sie blickte zu der Maus auf ihrer Schulter und nickte ihr zufrieden zu.

„Vielen Dank, dass du mich hier her geführt hast. Du kannst jetzt nach Hause gehen…“

Ohne weiteres Fiepsen sprang die Maus in einem hohen Bogen von Samanthas Schulter und als sie am Boden aufkam platzte sie mit einem dumpfen „Puff“ zu einer lilafarbenen Nebelwolke, aus welcher sogleich zwei rot glühende Augen starrten.
 

~*~
 

Mit einem hellen Schrei schreckte Samantha schweißgebadet hoch, fiel von der Couch zu Boden und krabbelte gehetzt über die Holzdielen bis zur nächsten Wand, wo sie mit weit aufgerissenen Augen zu den beiden Männern aufsah, welche sie besorgt betrachteten.

„Wo bin ich?!“, keuchte sie aufgelöst und blickte sich hastig um.

„Du bist in Sicherheit“, versuchte Earl sie zu beruhigen, „du bist bei uns zu Hause.“

Ihre Augen wanderten von ihm zu Tommy, welcher schräg hinter seinem Onkel an der Wand angelehnt stand, seine muskulösen Arme vor der Brust verschränkt.

„DU LEBST!“, rief Samantha aufgelöst und starrte dann Earl böse an, „UND DU HAST IHN ERSCHOSSEN!“

„Das erspart uns einiges an Zeit, dass du dich noch daran erinnern kannst“, nickte Earl zustimmend, erhob sich ächzend aus dem Sessel, um ein Glas Wasser aus der Küche zu holen.

Samantha stemmte ebenfalls ihre wackeligen Knie gegen den Holzboden, blieb jedoch noch an der halt gebenden Wand angelehnt stehen und starrte Tommy ungläubig an. Sein Hemd war völlig unversehrt, er musste sich ein neues angezogen haben, während sie ohnmächtig gewesen war. Wie lange war sie wohl weg gewesen?

„Hast du irgendwelche Beschwerden? Kopfschmerzen, Übelkeit, Schwindel?“, erkundigte sich Earl, welcher aus der Küche mit einem Glas Wasser zurückkam und ihr dieses reichte.

„Ich glaube, ich bin verwirrt…“, stammelte sie und trank gierig von dem Glas.

„Das ist völlig normal bei dem, was du gesehen hast.“

„Wie lange war ich bewusstlos?“

„Nicht lange. Vielleicht eine Stunde?“

Samantha seufzte schwerfällig und hielt sich die Stirn. Nein, Fieber hatte sie keines.

„Möchtest du dich nicht wieder setzen?“, fragte der alte Mann, welcher selber erneut in seinem Sessel Platz genommen hatte.

„Wieso hast du auf deinen Neffen geschossen?“, wich Samantha aus und funkelte den Mann wütend an, „warst du bereits so betrunken?“

„Nein. Ich hatte Angst um dich gehabt.“

„ANGST? UM MICH?“

Earl nickte nur, ließ sie dabei keine einzige Sekunde aus den Augen.

„Ich hatte dich darum gebeten, nicht ins Obergeschoss zu gehen. Du hättest dir dadurch selber einen Gefallen getan, wenn du auf mich gehört hättest.“

„Was versteckt ihr da oben? Welches Tier haltet ihr beide kranke Psychopathen gefangen?“

„Wenn dich mein Zimmer schon so beunruhigt, dann solltest du erst einmal in den Keller sehen“, brummte Tommy und stieß sich von seiner Wand ab, fing sich jedoch sofort von seinem Onkel den Ellbogen in die Rippen ein.

„Oh mein Gott…“, schluchzte die junge Frau, „ich komme hier nie mehr lebend raus!“

„Du kannst kommen und gehen, wie du möchtest“, versicherte Earl ihr und machte eine herzliche Geste mit seinen Händen, „du bist jederzeit Willkommen!“

„Sie wird sich nie wieder blicken lassen, wenn wir ihr alles erzählt haben“, brummte Tommy erneut und funkelte Samantha mit seinen bernsteinfarbenen Augen forschend an.

„Aber es muss sein…“, seufzte Earl niedergeschlagen, „nachdem was sie gesehen hat.“

„Sie ist doch selber daran Schuld!“, beschwerte sich Tommy und fuchtelte aufgebracht mit seinen Händen vor Earls Gesicht herum, „waren das eben denn nicht deine eigenen Worte?“

„Ruhig jetzt!“, befahl der alte Mann streng und zu Samanthas Überraschung gehorchte der junge Mann sofort.

„Was ist in dem Keller…?“, raunte Samantha so leise, dass man es beinahe nicht hätte hören können.

Sie presste ihren Körper gegen die Wand, um so viel Abstand wie nur möglich zu den beiden Männern halten zu können.

„Ich verspreche dir, dass wir ihn dir zeigen werden, nachdem wir dir unser Geheimnis erzählt haben.“

„Wenn du dann noch nicht schreiend davon gerannt bist“, fügte Tommy hinzu.

Die junge Frau schluckte schwer und alle ihre Sinne schrien sie an, dass sie doch endlich die Flucht ergreifen sollte, aber ihre verdammte Neugierde...war einfach viel zu groß…

Nur sehr langsam ging sie wieder zu der Couch zurück, auf welcher immer noch die zerwühlte Decke lag, nahm am äußersten Rand Platz und hielt ihr leeres Glas empor.

Wortlos nahm es Tommy ihr aus der Hand, als sich ihre Finger berührten war es für Samantha, als hätte sie einen leichten Stromschlag bekommen. Während sie ihre Fingerkuppen betrachtete räusperte sich der alte Mann zu ihrer rechten.

„Bevor wir anfangen muss ich dich allerdings etwas fragen.“

Samantha blickte von ihren Fingern zu ihm auf und hob erwartungsvoll beide Augenbrauen.

„Glaubst du an...Fabelwesen?“

Earl hatte ihr die Frage mit so viel Überzeugung gestellt, dass sie kurz laut hysterisch auflachen musste.

„Ich habe dir ja gesagt, dass sie eine Ungläubige ist“, entgegnete Tommy nüchtern, als er aus der Küche zurückkam, das volle Glas Limonade vor Samantha abstellte und wieder seinen Platz an der Wand einnahm.

„Früher als Kind“, kicherte die junge Frau immer noch und winkte ab, „da habe ich an alles geglaubt, das volle Programm! Feen, Einhörner, Meerjungfrauen, Drachen…“

„Werwölfe?“, erkundigte sich Earl und lehnte sich nach vorne.

„...Vampire, Kobolde…“, nickte sie zustimmend und zählte fröhlich weiter auf.

„Ich glaube, sie hat dem Wink mit deinem Zaunpfahl nicht verstanden“, brummte Tommy und verschränkte erneut die Arme vor der Brust.

„Samantha“, unterbrach sein Onkel die junge Frau und lehnte sich, soweit es sein voluminöser Oberkörper zuließ weiter nach vorne.

„Hm?“

„Glaubst du an Werwölfe?“

„Ich habe mir mal zwei oder drei Filme angesehen, grottenschlechte Story alle miteinander, wenn du mich fragst. Und die Effekte! Um Himmelswillen! Von wegen Horrorfilm, ich habe mich totgelacht!“

Earl warf Tommy hinter sich einen fragwürdigen Blick zu, dieser schlug sich mit der flachen Hand gegen die Stirn und brummte etwas von „hoffnungslos verloren…“

„Tut mir leid, Jungs“, kicherte sie immer noch und wischte sich eine Lachträne aus dem Augenwinkel, „aber nein. Ich bin mittlerweile aus dem Alter draußen, um an so was zu glauben.“

„Das Tier mit den roten Augen. Wie erklärst du dir das?“, sagte Earl so plötzlich und unerwartet, dass sogar Tommy erschrocken hochzuckte.

„IHR BEIDE!“, rief Samantha entschlossen und zeigte mit ihrem Finger abwechselnd auf die Männer, „ihr beide habt mir gesagt, dass das nur ein großer wilder Hund sei! Und im Dorf sagen sie, dass es ein Keiler ist! Ihr haltet mich alle miteinander für verrückt und jetzt wollt ihr mir plötzlich klarmachen, dass es tatsächlich Werwölfe gibt?“

„Die Kratzer in der Wand in meinem Zimmer. Wie erklärst du dir diese?“

„Oh bitte...du hattest eine schwere Kindheit und warst wahrscheinlich auch noch ein überaus anstrengender und rebellierender Teenager!“

„Ich glaube, sie will es nicht verstehen…“, murmelte der Mann im Sessel und rieb sich sein bärtiges Kinn.

„Verdammt ich zeig ihr jetzt einfach den Keller!“, knurrte Earls Neffe wütend und stieß sich erneut von der Wand ab, wurde jedoch von seinem Onkel am Arm festgehalten.

„Du tust gar nichts. Sie will es nicht wahrhaben.“

„Aber…“

Sein Onkel schüttelte nur den Kopf, während Samantha ihre Limonade leerte und aufstand.

„Wenn ihr beiden mir sonst keine Märchen mehr auftischen wollt? Ich würde mich vor dem Abend heute gerne noch einmal in die Badewanne legen und mit Wilma bin ich vorher auch noch verabredet.“

„Die Wicca?“, erkundigte sich Earl grunzend und blickte zu ihr auf, „lebt sie immer noch im Wald hinter Wolfsburrow?“

„Allerdings. Wenn die Herren mich jetzt also entschuldigen würden?“

Earl nickte ihr wortlos zu, während Tommy unsicher zwischen ihm und Samantha hin und her blickte. Sie verabschiedete sich winkend und erst als sie aus der Haustüre getreten war riss sich Tommy aus dem festen Griff seines Onkels los und folgte ihr aufgebracht.

„Samantha! Warte!“, rief er ihr hinterher.

„Ich habe keine Lust mehr, euren Keller zu besichtigen“, sagte sie entschlossen und ging ihren Weg weiter, ohne ihn anzusehen.

„Aber du musst uns glauben!“

„Ich habe langsam genug von euren durch Schafdung und Alkohol eingebildete Geschichten, Tommy! Ihr wollt mir anscheinend nicht die Wahrheit sagen, aber weißt du was? Das ist völlig ok! Ich habe damit abgeschlossen, werde mir jetzt noch ein paar schöne Tage in Wolfsburrow machen und dann hole ich mein Auto und fahre nach Hause.“

„Dann werde ich deinen Leihwagen eben nicht reparieren“, sagte er entschieden und blieb abrupt stehen.

Sie tat es ihm gleich, wandte sich zu Tommy um und grinste ihn verrückt funkelnd an: „Fein! Dann nehme ich einfach deinen! Ich habe gesehen, dass er so gut wie vollgetankt ist. Ach und das hier…“

Die junge Frau hob ihren Knöchel an und fummelte an dem Lederarmband herum, bevor sie es ihm siegessicher zeigte und dann vor ihm auf den Boden schmiss.

„...das kannst du auch zurück haben! Ich habe keine Lust mehr von dir getrackt zu werden.“

Sein Blick, welcher eben noch aufbrausend und wütend gewesen war zeigte jetzt Züge tiefer Traurigkeit. Langsam hob er das Lederarmband vom Boden auf und betrachtete es wortlos.

„Ich muss dir ja nicht sagen, wohin ich als nächstes gehe, du wirst mich ja eh überall finden…“, mit diesen Worten drehte Samantha sich erneut um und fuhr ihren Weg fort.
 

~*~
 

Wilmas rötlichen Haare glänzten im Sonnenlicht, während sie fleißig damit beschäftigt war ihr kleines Hexenhäuschen mit Eisenhut in Form von Kränzen und Girlanden zu dekorieren. Sie wandte sich honigsüß grinsend zu Samantha um, als diese noch außer Hörweite gewesen war und kam ihr ein Stück entgegen.

„Ich freue mich so sehr, dass du doch noch gekommen bist“, strahlte die Wicca und fasste Samantha an beiden Händen.

„Aber ich habe dir doch gesagt, dass ich dich besuchen komme.“

„Hast du deine Mutter erreichen können?“

„Nur sehr kurz…“, schmollte Samantha, „der Empfang hier ist echt miserabel!“

„Tatsächlich? Du hast mit ihr reden können?“

„Ja. Aber die Verbindung ist nach wenigen Sekunden immer wieder abgebrochen.“

„Das tut mir sehr leid, meine Liebe.“

„Ich habe ihre Stimme hören können, das hat gut getan“, lächelnd winkte Samantha ab, „damit werde ich die restlichen Tage hier überstehen.“

„Wie...restlichen Tage?“

„Ich habe Tommy vorhin gedroht, falls mein Auto bis nach dem Mondscheinfest nicht repariert ist, dass ich seines nehmen werde. Ich habe zu Hause Verpflichtungen, einen Job Freunde und Familie…“

„Aber du kannst nicht gehen!“, unterbrach Wilma sie plötzlich verzweifelt.

Samantha legte ihren Kopf gutmütig grinsend zur Seite und versuchte ihren Schmollmund nicht all zu sehr zu zeigen. Sie fand es tatsächlich herzerwärmend, wie sich alle dagegen sträubten, dass sie wieder nach Hause fahren wollte, aber hier in Wolfsburrow konnte sie keiner richtigen Arbeit nachgehen, mit der sie sich ein Leben aufbauen könnte. Sicherlich würden Martha und Steve sie erst einmal bei sich wohnen lassen, genug Platz hatten die beiden ja, aber dennoch, Samantha sah sich hier nicht dauerhaft lebend.

„Ich würde so oft ich nur könnte zu Besuch kommen“, versprach sie der rothaarigen Frau, welche den Tränen nahe war und umarmte sie herzlich.

„Du würdest nie wieder kommen...du würdest uns alle vergessen“, murmelte Wilma niedergeschlagen.

„Ich verspreche es dir hoch und heilig!“

Sie streichelte Wilmas Wange zärtlich mit ihren Fingern und drückte sie noch einmal, bevor sie deren geschmückte Hütte begutachtete.

„Das sieht wunderschön aus.“

„Danke.“

„Soll ich dir noch ein wenig helfen, bevor wir gehen?“

„Von mir aus können wir gleich los.“

„Na dann.“

Wilma setzte endlich wieder eines ihrer Grinsen auf, Samantha hatte sie mit so trauriger Miene durchaus für gruselig empfunden. Die beiden Frauen liefen eine Weile schweigend nebeneinander her, über die Brücke von Wolfsburrow in Richtung Weggabelung.

„Was genau wolltest du mir eigentlich zeigen? Ich bin neugierig geworden.“

„Das soll eine Überraschung werden“, entgegnete die Wicca und legte sich demonstrativ den Zeigefinger gegen die Lippen.

„Wieder eines deiner außergewöhnlichen Tierchen?“

„Vielleicht?“, grinste die rothaarige jetzt wieder honigsüß, „wir müssen da lang!“

Sie zeigte in die Richtung des Waldes, worin Hunters Hütte stand. Samantha dachte daran, wie gruselig dieser Wald gestern bei Nacht gewesen war und fragte sich, ob er bei Tageslicht genauso sein würde.

„Ich bin ja bei dir“, strahlte Wilma und nahm Samantha an der Hand, „ich werde dich beschützen!“

Bei diesen Worten zog sich ihr Magen krampfhaft zusammen, sie dachte an gestern Nacht, als Tommy sie zurück nach Wolfsburrow gebracht hatte und wie er ihr versprochen hatte, sie beschützen zu können. Jetzt auf einmal hatte sie ein durchaus schlechtes Gewissen ihm gegenüber, so als würde sie ihn gerade betrügen, nachdem sie ihm wahrscheinlich sein Herz gebrochen hatte. Sie seufzte tief und fasste sich den Entschluss, heute Abend Tommy persönlich für das Mondscheinfest abzuholen und sich bei ihm zu entschuldigen. Ja! Genau das würde sie machen! Sie hatte einfach übertrieben.

„Gleich sind wir da“, verkündete Wilma und deutete auf die Hütte im Wald.

Sie gingen tatsächlich direkt auf Hunters Hütte zu und Samantha überlegte, was Wilma ihr da zeigen wollte. Jetzt bei Tageslicht entdeckte sie, dass eine Feuerstelle gleich vor dem Haus war und eine selbstgebaute Vorrichtung um abgezogene Tierfelle zu trocknen. Klar, dachte sich Samantha, er war ja ein Jäger. Ein kleines Beet lag zu ihrer linken Seite, doch die Pflanzen, was Hunter da auch immer mal angepflanzt hatte waren seit langem vertrocknet, und jetzt, wo sie direkt vor der Hütte stand fiel ihr auf, dass auch diese an sich von Außen ziemlich alt und herunter gekommen aussah. Die hölzernen Fensterläden hingen nur noch mit letzter Kraft an der Fassade, das Dach hatte bereits die ein oder andere Schindel verloren. Wilma ging selbstbewusst die Stufen hinauf und öffnete die Tür, welche sich unter lautem Knarzen bemerkbar machte.

„Willst du nicht erst vorher anklopfen?“, wollte Samantha wissen.

„Er weiß, dass wir kommen.“

„Ach?“

Wilma verschwand bereits in der Hütte, wobei sich ihre Begleitung noch kurz verunsichert umsah. Selbst am Tag war es hier gruseliger, als sie angenommen hatte. Schnell folgte sie der Wicca und trat ebenfalls in die Hütte ein.

Wieder begrüßte sie wie gestern Abend ein modriger Geruch, doch diesmal war es kalt und dunkel, nur ein bisschen Sonnenlicht drang durch die geschlossenen Fensterläden. Wenn sie gestern nicht erst selber mitbekommen hätte, dass hier noch jemand wohnte, dann hätte Samantha gedacht, dass diese Hütte seit Jahrzehnten verlassen stand. Der Wind pfiff nur so durch die Ritzen und das ganze Gebäude krachte und knarzte.

„Wilma?“, rief Samantha verunsichert und sah sich nach der rothaarigen Frau um.

„Ich bin hier.“

Die Wicca trat in den Durchgang, welcher in die kleine Küche führte und blickte ihre Begleitung fragten an.

„Was...genau...wolltest du mir hier...zeigen?“

„Ach das? Das hat sich erst einmal erledigt. Dafür hätten wir heute Morgen gleich kommen müssen.“

„Und warum sind wir dann trotzdem gekommen?“

„Hunter hat mich gebeten, einige seiner Kräuter aufzufüllen, ich sollte mir die Gläser selber holen.“

„Und dafür brauchst du mich?“, wollte die junge Frau ungläubig wissen.

„Ich verbringe halt gerne Zeit mit dir“, strahlte die Wicca und zwinkerte ihr zu.

Samantha grunzte, als Wilma wieder in der Küche verschwunden war und gläserne Geräusche an ihr Ohr drangen. Sie begutachtete die präparierten Jagdtrophäen, welche an der Wand hingen und fand sie genauso gruselig, wie gestern Abend. Kopfschüttelnd wandte Samantha sich von den ausgestopften Tierköpfen ab und wollte Wilma in die Küche folgen, als sie plötzlich an irgendetwas mit ihrem Fuß hängen blieb und es sie unter einem erschreckten Aufschrei der Länge nach hinschmiss. Sie landete mit einem dumpfen Geräusch auf ihren Bauch und wirbelte den Staub um sich herum auf. Als sie aufsah guckte Wilma überrascht zu ihr runter und erkundigte sich, ob sie sich verletzt hatte.

„Nichts passiert“, grinste Samantha schadenfroh und stemmte sich vom Boden ab, „ich bin es ja mittlerweile gewohnt hinzufallen…“

„Du hast aber auch ein Talent.“

Während Wilma ihre Runde durch Hunters Haus fortfuhr betrachtete Samantha nachdenklich den Teppich unter ihren Füßen, welcher eben noch als Stolperfalle gedient hatte. Er war ein wenig verrutscht worden und hatte dadurch eine Falte geschmissen.

Aber irgendetwas stimmte hier ganz und gar nicht…

Samantha hatte Hunter zwar als ein bisschen kauzig, aber dennoch immer sehr ordentlichen Mann kennengelernt. Auch wenn sie sich in dem sogenannten Wohnzimmer umsah bemerkte die junge Frau, das alles ordnungsgemäß an seinem Platz stand. Etwas staubig vielleicht, dennoch beinahe schon mit der Wasserwaage ausgemessen. Wie konnte es also jetzt sein, dass gerade der Teppich eine Falte schmiss? Hunter war auch nicht mehr der jüngste, gerade er müsste doch auf so was akribisch Acht geben. Samantha gab der Teppichfalte einen Tritt und hielt überrascht inne. Irgendetwas hatte bei ihrem Tritt ein metallisches Geräusch von sich gegeben. Teppiche gaben im Normalfall aber keine Geräusche von sich.

„Was ist?“, erkundigte sich die Wicca, als sie ihre Begleitung grübelnd auf den Boden starren sah.

„Der Teppich…“, murmelte Samantha.

Wilma trat neben sie und rümpfte grinsend die Nase: „Nicht unbedingt mein Geschmack aber hey! Was ist mit ihm?“

Anstatt zu antworten ging Samantha auf die Knie und hob die Falte hoch. Zum Vorschein kam zur Überraschung beider Frauen tatsächlich etwas.

„Ist das wirklich eine Falltür?“

„Oh...ist das gruselig“, murmelte Wilma und schüttelte sich kurz, „da gibt es sicherlich Spinnen!“

Samantha kräuselte ihre Augenbrauen zusammen und blickte zu ihr auf. Die Wicca schien sich ernsthaft zu ekeln.

„Du stehst auf dreiäugige Salamander und übergroße Schmetterlinge, aber Spinnen hasst du? Echt jetzt?“

„Nicht hassen“, druckste Wilma und hüpfte unruhig von einem Fuß auf den anderen, „ich mag sie einfach nur nicht!“

Samantha kicherte schelmisch und zog an dem eisernen Ring, wodurch sich die Luke einige Zentimeter öffnete. Sofort drang ihnen ein süßlich verwesender Geruch entgegen. Die junge Frau griff in die Hosentasche, holte ihr Handy hervor und schaltete dessen Taschenlampe ein, um eine bessere Sicht haben zu können.

„Du willst da jetzt aber nicht wirklich runter steigen, oder?“

„Um Himmelswillen! Wir begehen damit Hausfriedensbruch und ich habe kein Interesse daran, mich auch noch mit Hunter anzulegen!“

Außerdem konnte Samantha zu ihrer Erleichterung nur eine Treppe sehen, welche zu einer alten wackligen Holztür führte und nicht wie erwartet einen mittelalterlichen Folterkeller. Und dennoch schloss sie die Luke mit einer gewissen Unzufriedenheit, legte den Teppich diesmal ordentlich hin und verließ mit Wilma die Hütte.

Draußen war die Sonne bereits erneut dabei unterzugehen, so dass sich ihre Umgebung in ein warmes rot orangenes Licht tauchte. Alles lag viel zu ruhig da, kein Vogel zwitscherte mehr, sie konnten nur die kleinen leuchtenden Lichterpunkte und feiernden Geräusche des Mondscheinfestes in der Ferne ausmachen. Verdammt!, dachte sich Samantha und hätte sich ohrfeigen können, dass sie tatsächlich so lange gebraucht hatte. Sie wollte doch noch zu Tommy gehen, um sich zu entschuldigen! Jetzt plagte sie ein schlechtes Gewissen und sie hatte Bedenken, dass er heute gar nicht mehr kommen würde...

„Na komm“, forderte Samantha Wilma auf, welche anscheinend fröstelte und schaltete erneut ihre Taschenlampe vom Handy ein, „die anderen warten sicher schon auf uns…“
 

~*~
 

Samantha hatte schnell noch ein Bad genommen und stand jetzt vor ihrem Badezimmerspiegel, um sich ein wenig zurecht zu machen, während von draußen lautes ausgelassenes Gelächter an ihr Ohr drang. Es war mittlerweile dunkler Abend geworden und die Lichter von Laternen und offenen Feuern warfen lustige Schatten in ihr Zimmer, als sie sich ihre Schuhe anzog und ein letztes Mal einen prüfenden Blick in den Spiegel warf. Sie trug ihre guten dunkelblauen Jeans, ein hellgraues T-Shirt und darüber ein grün kariertes Holzfällerhemd, wo sie die Ärmel bis zum Ellbogen hochgerollt hatte. Als Schuhe trug sie ihre Riemchensandalen und hoffte, dass sie heute nicht damit umknicken würde. Sie bündelte ihre offenen Haare und legte sie sich über eine Schulter und ging aus ihrem Zimmer.

Es roch köstlich nach gegrillten Essen, die Papierlaternen leuchteten in einem herrlich angenehmen Licht, genau so wie es Martha voraus gesagt hatte. Kinder spielten ausgelassen auf dem großen Platz miteinander, während es sich die Erwachsenen auf Holzbänken gemütlich gemacht hatten. Samantha war ein wenig enttäuscht gewesen, dass niemand von ihnen eine Art Tracht angezogen hatte, immerhin war dies hier ihr heiliges Mondscheinfest. Die Bewohner von Wolfsburrow trugen ihre ganz normale Kleidung, Frauen hatten sich nur etwas auffälliger zurecht gemacht und die Männer, trugen ihren Bart ordentlich gekämmt.

Martha und ihr Mann Steve hatten alle Hände voll damit zu tun ihre Gäste aus dem Wirtshaus heraus zu bedienen, sie trugen in regelmäßigen Abständen großzügig mit dampfenden Essen beladene Holzbretter und Krüge mit gekühltem Bier und Saft nach draußen, wo sich jeder dran bedienen durfte. Samantha gefiel dieses Konzept und sie schmunzelte breit, sie würde Wolfsburrow sehr vermissen. Diese offene Freundlichkeit der Bewohner war ihr gestern noch sehr unglaubwürdig rüber gekommen, doch jetzt, wo sie sich mit beinahe jedem hier in einem kurzen Pläuschchen verlieren konnte würde es schmerzen wieder aufzubrechen. Immerhin hatte sie in Gainsville einen Job und andere diverse Verpflichtungen.

„Samantha!“, rief ihr eines der größeren Kinder zu und winkte.

Die junge Frau wandte sich von ihrem aktuellen Gesprächspartner ab und winkte lächelnd zurück. Die Kinder hielten Funken sprühende Wunderkerzen so hoch sie nur konnten, jauchzten und quietschten lebhaft herum. Als Samantha den Kindern breit grinsend beim Spielen zusah überlegte sie, sich ebenfalls eine Wunderkerzen zu kaufen und sie mit den kleinen Dorfbewohnern zusammen zu bestaunen. Sie hatte sich schon lange nicht mehr so sorglos und heiter gefühlt, und gerade, als sie sich erkundigen wollte, wo es die stabförmigen Feuerwerkskörper denn zu erwerben gab viel ihr Blick durch das angeregte Gewusel hindurch direkt auf Tommy.

Die Zeit um die beiden herum schien augenblicklich still zu stehen, ihr Herz machte dermaßen heftige Freudensprünge, so als wollte es aus ihrer Brust und in seine Arme springen, während ihr Magen auf der anderen Seite sich so stark zusammen zog, dass sie Angst hatte das köstliche Essen gleich wieder zu erbrechen. Ihr blieb die Luft für einen Moment lang weg, und als sie sich daran erinnert hatte wieder zu atmen, schmeckte alles so viel intensiver.

Seine Augen glühten im Licht der Papierlaternen und brannten sich direkt in ihre, sein schmaler Mund verzog wie immer keine Miene und er schien sich tatsächlich rasiert zu haben, denn der dunkle Bartschatten in seinem Gesicht war völlig verschwunden. Seine Haare standen nicht mehr so chaotisch in alle Richtungen, er trug dunkelblaue lässig sitzende Jeans, Boots und ein rostbraunes Henley Shirt, seine beiden Daumen hatte er in die Gürtellaschen seiner Hose eingeharkt und sein Gewicht auf sein rechtes Bein verlagert.

Verdammt sah er gut aus!

Samantha hätte sich für diesen Gedanken ohrfeigen können, so wie sie ihn heute Morgen noch behandelt hatte! Ihre aktuellen Gefühle glichen einer wilden Achterbahnfahrt, wobei sich ihr schlechtes Gewissen direkt in den ersten Wagen gesetzt hatte und nun mit ausgestreckten Armen wild umherschrie. Völlig unerwartet zwinkerte er ihr zu und bei diesem Anblick begann ihr Herz nur noch schneller zu schlagen, so dass es mittlerweile schmerzte. Sie bemerkte, wie sich ihre Pupillen allmählich weiteten und völlig unterbewusst biss sich die junge Frau auf die Unterlippe.

Tommy legte interessiert den Kopf schief und da war es wieder! Ihr hassgeliebtes schelmisches Schmunzeln machte sich auf seinen Lippen breit. Was sollte sie nur tun? Samanthas Gefühle spielten nun völlig verrückt, ihr wurde heiß und kalt zugleich und ihre Atmung setzte erneut aus. Was zum Teufel war nur los mit ihr? Wie in Trance standen die beiden nun da, blickten sich gegenseitig tief in die Augen und ignorierten alles was um sich herum geschah. Sie verloren jegliches Zeitgefühl, im Augenblick existierten nur er und sie. In dem Moment, als Tommy sich gleichmäßig mit der Zungenspitze über die Lippen leckte entfuhr Samantha ein schwerer Seufzer und sie entriss sich seiner Magie, indem sie sich vom ihm abwandte.

„Ich brauche dringend etwas zu trinken“, murmelte sie zu sich selber und eilte davon, „am Besten Hochprozentiges!“

Samantha quetschte sich an den Menschenmassen in dem Wirtshaus vorbei und erkämpfte sich einen Weg direkt an die Bar. Steve und einer seiner Angestellten waren damit beschäftigt, ihre Kunden mit alkoholischen Getränken zu versorgen, trotz des Ansturms, welchen sie um diese Uhrzeit hatten bemerkte er Samantha sofort und winkte ihr freudig zu.

„Was kann ich dir Gutes tun, meine Liebe?“, rief Steve ihr entgegen und machte eine einladende Handbewegung auf die bunten Flaschen hinter sich.

Samantha beugte sich nach vorne, um nicht so sehr schreien zu müssen, doch da schnellte direkt neben ihr eine Hand flach auf den Tresen nieder und jemand schob sich zwischen sie und ihrem Vordermann. Doch anstatt in Steves Richtung zu sehen um seine Bestellung aufgeben zu können blickte er Samantha an, lehnte sich lässig gegen das Holz und rieb sich grübelnd mit der freien Hand über sein frisch rasiertes Kinn. Der jungen Frau verschlug es sogleich sie ihn erneut erkannte den Atem, sie vergaß zu schlucken und starrte ihr Gegenüber fassungslos an. Dieser zeigte Steve, ohne seine Augen auch nur eine Sekunde von ihr abzulassen zwei Finger und sagte „Whiskey“ so sexy und gleichgültig zur selben Zeit, dass Samantha sich am Tresen festhalten musste, so weich wurden ihre Knie augenblicklich. Tommy lehnte sich ihr etwas entgegen, zog grinsend eine Augenbraue hoch, hob ihr Kinn mit einem Finger an und raunte mit seiner rauen Stimme: „Hab dich gefunden.“

Anstatt zu antworten starrte die junge Frau ihn nur weiter mit offen stehendem Mund an, sie zuckte nicht einmal, als Tommy mit seinen Fingern direkt vor ihrem Gesicht schnippte.

„Geht...es...dir gut?“, erkundigte er sich nur dezent besorgt, er grinste sie wissend an.

„Ich denke schon.“

„Denkst du, oder weißt du?“

„Wegen heute Morgen“, platze es aus ihr heraus, doch Tommy brachte sie mit einem gleichgültigen Abwinken zum Schweigen.

Steve stellte ihnen die zwei Gläser mit der honigfarbenen Flüssigkeit hin, Tommy schob eines zu Samantha rüber und nahm sein eigenes in die Hand.

„Auf das Mondscheinfest“, meinte er mit fester Stimme, prostete ihr zu und nippte an seinem Schluck Whiskey, während Samantha so perplex und immer noch mit der Gesamtsituation überfordert war, dass sie ihr Glas mit einem Zug leerte.

„Was zum…?!“, erhob er empört seine Stimme und machte eine Geste, als wolle er sich gleich die Haare raufen, „genieße deinen Whiskey gefälligst!“

Anstatt die unangenehm scharf bissig schmeckende Flüssigkeit zu schlucken ließ Samantha sie wieder ins Glas zurückfließen, stellte es zurück auf den Tresen und schüttelte sich angewidert. Dann erst hatte sie den Sinn von Tommys Worten verstanden und realisiert, dass das der erste Drink gewesen war, welchen er ihr spendiert hatte schämte sich zutiefst. Sie schlug ihre flachen Hände vor ihr Gesicht und öffnete ihren Mund zu einem stummen Frustschrei. Schlimmer konnte der Tag nun wirklich nicht mehr werden, oder? Wo war ihr Erdloch, in welchem sie augenblicklich versinken konnte?

Plötzlich spürte sie, wie jemand ihre Hand ergriff und sanft nach unten zog und Tommy sah ihr tief in die Augen. Eine Hitzewelle durchflutete ihren Körper und sie spürte wie ihre Wangen zu glühen begannen.

„Bist du okay?“, erkundigte er sich, hielt immer noch ihre Hand in seiner.

„Ich glaube schon…“, murmelte sie verlegen.

Tommy grinste breit: „Glaubst du oder weißt du es?“

Auf Samanthas Mund machte sich ebenfalls ein Grinsen breit und sie sah verlegen zur Seite, striff sich mit der freien Hand eine Haarsträhne hinters Ohr.

„Du magst anscheinend keinen Whiskey.“

„Nicht wirklich.“

„Das hättest du mir sagen müssen.“

„Tut mir leid.“

Jetzt lachte Tommy amüsiert auf, warf den Kopf gen Nacken und nippte erneut an seinem Glas. Samantha blickte zwischen sich und ihm auf ihre immer noch verbundenen Hände. Wieso ließ er sie nicht los? In diesem Moment wollte sie auf keinen Fall, dass er das tat. Im nächsten Augenblick spürte sie, wie sich eine Welle von Mut in ihr ansammelte und so straffte sie ihre Schultern und blickte wieder zu Tommy auf.

„Du hättest mich ja fragen können, was ich trinken möchte“, entgegnete sie selbstsicher und sah ihr Gegenüber gespielt herausfordernd an.

„Das hätte ich tatsächlich machen können. Aber deine große Klappe heute morgen hat mich glauben lassen, das du der Whiskey Typ bist.“

„Was hat das denn mit meiner großen Klappe zu tun?“, wollte sie nun nicht mehr so mutig wissen.

„Dein Auftreten heute morgen war so selbstsicher, dass ich der festen Überzeugung gewesen war, dass du Whiskey magst. Das hat mir sehr imponiert.“

Tatsächlich? Samantha sah verblüfft in sein Gesicht, doch er meinte seine Aussage definitiv ernst. Dann erinnerte sie sich daran, wie traurig und verletzt er geguckt hatte, als sie ihm sein Lederarmband vor die Füße geschmissen hatte. Jetzt verließ sie auch der Recht von Mut, welchen sie eben noch angesammelt hatte und wollte sich nur noch selber ohrfeigen. Sie ließ ihren Kopf auf ihre Hand sinken und schloss entnervt ihre Augen, um die Frusttränen besser schlucken zu können. Dann merkte sie, wie Tommy die Finger ihrer beiden Hände ineinander schob und sie sah ungläubig zu ihm auf.

„Ich verzeihe dir“, raunte er so leise und heißer, dass sie es eigentlich nicht mehr hätte hören können, doch im Augenblick war alles so intensiv gewesen und sie bemerkte, wie er etwas unter seiner flachen Hand auf dem Tresen zu ihr rüber schob.

Natürlich erkannte sie die kleinen schwarzen Perlen sofort und sie musste lachen, während Tommy seine Hand immer noch auf seinem Lederarmband ruhen ließ.

„Du gibst es mir also wieder zurück?“

„Es hat schon immer dir gehört“, entgegnete er überzeugt, hob ihre andere Hand an, welche mit seinen Fingern ineinander verschoben war und legte sie sanft auf das Holz der Theke.

„Also…“, startete er einen neuen Versuch, während er ihr das Lederarmband diesmal um das Handgelenk band, „was möchtest du denn trinken?“

„Ich denke ein Bier wäre für den Anfang nicht schlecht.“

Augenblick verzog Tommy seinen Mund wieder zu ihrem hassgeliebten schelmischen Grinsen und sie fuchtelte mit ihrer freien Hand zwischen ihnen herum.

„Ich WEIß, dass ich ein Bier WILL!“

Immer noch breit grinsend wandte er sein Gesicht kurz ab, gab Steve seine neue Bestellung auf und tippte mit seinen Fingern auf dem Holz der Theke. Samantha warf einen Blick auf ihr Handgelenk, an welchem jetzt sein Lederarmband baumelte. Irgendwie hatte sie es ab dem Moment vermisst, als sie es ihm vor die Füße geschmissen hatte. Ihre andere Hand war immer noch von Tommys eigener umfasst und sie fragte sich, ob er vor hatte den ganzen Abend mit ihr Händchen zu halten.

Steve stellte zwei Krüge Bier vor ihnen ab und Tommy prostete ihr zu.

„Auf das Mondscheinfest.“

„Auf das Mondscheinfest“, wiederholte sie und trank einen kräftigen Schluck.
 

~*~
 

Mittlerweile war es spät am Abend, nachdem sie noch zwei weitere Biere getrunken hatten waren Tommy und Samantha nach draußen gegangen und zusammen über das Fest gelaufen. Sie hatten sich die einzelnen Köstlichkeiten schmecken lassen und die selbstgebastelten Blumensträuße und Kränze begutachtet, wobei Tommy von denen mit Wolfswurz gebührend Abstand hielt. Als die meisten Bewohner sich zum Schlafen gehen verabschiedeten nahmen die beiden auf einem Baumstamm an einem der Lagerfeuer Platz und blickten lange wortlos in die lodernden Flammen.

„Was genau ist das zwischen dir und Wilma?“

Tommy starrte weiterhin ausdruckslos in das tanzende Feuer, während seine Kiefer aufeinander mahlten. Samantha beobachtete ihn ruhig, war sich nicht sicher, ob sie überhaupt eine Antwort bekommen würde.

„Ich mag sie einfach nicht“, kam dann doch aus seinem Mund und er knetete seine Hände, „und sie mich nicht.“

„Aber das ist doch in Ordnung. Man muss nicht immer jeden mögen.“

„Erinnerst du dich noch daran, als ich dich gestern bei ihrer Hütte gefunden habe?“

„Du wolltest aus irgendeinem Grund, dass ich mit dir mitkomme.“

Tommy nickte, starrte weiterhin in die Flammen, Samantha tat es ihm gleich. Eine Weile saßen sie erneut stillschweigend nebeneinander, bis er sie dann doch mit seinen bernsteinfarbenen Augen ansah, welche durch das Licht des Feuers umso mehr glühten.

„Ich möchte, dass du dich von ihr fernhältst!“

„Bitte was?“, fuhr sie erschrocken auf und erwiderte seinen Blick, „nur weil du sie nicht leiden kannst?“

„Sie…“, begann er, biss sich dann jedoch auf die Unterlippe.

Er kämpfte mit sich selber, das konnte sie deutlich sehen. Was zum Teufel war nur zwischen den beiden passiert, dass er Wilma so sehr verabscheute, dass sogar Samantha sich von ihr fernhalten sollte?

„Sie hat meinen verletzten Fuß geheilt“, meinte sie ruhig, „ich habe mittlerweile ja mitbekommen, dass ihr beide schlechte Erfahrungen miteinander gemacht habt, doch ich kann mich keineswegs beschweren. Über keinen von euch beiden!“

„Ach ja?“, fragte Tommy monoton und sah erneut von den Flammen zu ihr auf.

„Ja. Ich mag euch beide. Klar, Wilma ist aufgedreht und manchmal ziemlich aufdringlich...aber dafür bist du immer mürrisch und mir ein einziges Rätsel.“

„Ich habe dir versucht zu erklären, was ich bin. Erinnerst du dich?“

Sie erwiderte jetzt seinen prüfenden Blick und bemerkte, dass vieles davon abhing, wie sie jetzt darauf reagieren würde. Deshalb grinste die junge Frau friedvoll, rutschte das letzte Stück zu Tommy rüber und lehnte ihren Kopf an seine Schulter an. Sie schloss ihre Augen und seufzte entspannt.

„Ja“, murmelte sie, „du bist ein Werwolf. Morgen Abend kannst du ja ein schönes Lied für mich heulen, hm?“

Er erwiderte nichts mehr. Irgendwann, Samantha war beinahe eingeschlafen, da spürte sie, wie er sein Gesicht in ihr Haar vergrub, tief einatmete und einen leichten Kuss auf ihren Scheitel drückte.



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