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Wir sind keine Engel

Oder doch?
von

Vorwort zu diesem Kapitel:
Titel: Wir sind keine Engel
Teil: Prolog / ?
Autor: Katrin Seidel aka Lethtendris ehemals aka Berri
Disclaimer: Weiß Kreuz gehört leider nicht mir sondern Project Weiß, Takehito Koyasu und Kyoko Tsuchiya ... und Geld verdien ich hiermit auch keins.

Anmerkung vom 25.04.2014:
Da ich es nach 10 Jahren endlich wieder schaffe zu schreiben, wurde dieser Teil im April 2014 nochmals korrekturgelesen und ausgebessert. Fehler werden trotzdem noch vorhanden sein, ich bitte dies zu entschuldigen. Komplett anzeigen
Vorwort zu diesem Kapitel:
Danksagung: Ich möchte ganz herzlich CaptainKaos danken, da ich ohne sie das Gespräch zwischen Yohji und Maria nicht hinbekommen hätte. Wir haben es im ICQ sozusagen nachgespielt, so war es für mich viel einfacher, endlich weiter zu kommen. Das ihr jetzt dieses Kapitel endlich lesen könnt, vedankt ihr damit ihr ^^ Komplett anzeigen
Vorwort zu diesem Kapitel:
An dieser Stelle möchte ich euch recht herzlich danken, dass ihr so fleißig meine Story lest und mir immer so liebe Kommentare hinterlasst. Ihr gebt mit neuen Antrieb und Motivation weiterzuschreiben und nicht aufzugeben. Auch denjenigen, die meine FF lesen aber keinen Kommentar hinterlassen möchte ich auf diesem Wege danken, ich sehe ja an meinen Zugriffszahlen, dass es euch gibt.

Als Dankeschön für über 3.000 Zugriff und über 100 Kommentare habe ich für euch ein Fanart zur FF gezeichnet, das ich all meinen Lesern widmen möchte.
http://animexx.4players.de/fanarts/fanart.php4?id=333896
Ich hoffe ihr bleibt mir treu ^^ und viel Spaß mit diesem Kapitel :) Komplett anzeigen

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Der Anfang vom Ende?

Wir sind keine Engel
 

Prolog: Der Anfang vom Ende?
 

„Schnell raus hier!", ertönte Omis gellender Schrei den anderen drei Weiß-Mitgliedern durch den Korridor entgegen.

„Hier fliegt gleich alles in die Luft!"

Die vier jungen Männer nahmen die Beine in die Hand und rannten um ihr Leben.

Immer wieder sah Omi hektisch hinter sich, doch er konnte keine Verfolger ausmachen. Dies verwunderte ihn zwar, aber er dachte nicht weiter darüber nach. Er war froh, dass Schwarz ihnen nicht auf den Fersen war.

Endlich gelangten sie an eine Tür, über der ein grünes Leuchtschild "EXIT" verkündete. Ken stürmte als erster nach vorne und stieß die Tür mir seinem Körpergewicht auf. Die anderen folgten ihm nur einen Wimpernschlag später ins Freie.
 

„Da laufen sie, die Weiß-Kätzchen …", murmelte Farfarello leise und wollte ihnen schon folgen.

Schuldig hielt ihn jedoch an der Schulter zurück.

„Lass sie nur davon laufen ... du weißt, was Brad gesagt hat. Wir haben noch etwas zu tun ... und außerdem ... warum sich mehr Mühe machen als nötig?", fragte der langhaarige junge Mann grinsend.

Die beiden machten kehrt und begaben sich wieder zu Brad und Nagi.

Bei ihnen angekommen sahen sie den dunkelhaarigen Mann, wie er hinter ihrem viel jüngeren Teamkollegen stand und diesen ungeduldig über den Rand seiner Brille hinweg musterte.

„Geht das auch ein bisschen schneller?", fragte er gereizt.

Nagi seufzte entnervt. „Ich mach schon so schnell ich kann. Es dauert eben schon seine Zeit eine CD zu brennen ... gleich hab ich’s."

Dabei starrte er weiterhin wie gebannt auf den Bildschirm vor sich und musterte den dunkelblauen Balken der den Fortschritt der Datenübertragung anzeigte. Noch 4 Prozent ... noch 3 Prozent ... Es war aber auch ein Elend, dass diese penibel vorsichtigen Leute ihre wichtigen Daten auf einem separaten PC speicherten, der noch nicht einmal in einem Netzwerk hing oder mit dem Internet verbunden war.

Auf einmal erstarrte Brad und seine Augen weiteten sich erschrocken.

„Schuldig? Komm her, wir müssen hier raus. SOFORT!"

Der angesprochene Mann gesellte sich darauf hin zu den anderen.

„Wieso? Nagi ist doch noch nicht fertig", stellte er fest und schaute ebenfalls auf den Bildschirm.

Dann meldete sich auch Nagi zu Wort. „Noch 2 Prozent ... noch 1 Prozent ... so lange wirst du ja noch warten können Brad."

Dieser fasste dann Schuldig an der Schulter und zog Farfarello am Handgelenk zu sich.

„So viel Zeit haben wir nicht mehr ..."

Und Schuldig verstand, was ihr Leader meinte und berührte seinerseits Nagi und Farfarello.
 

Sie liefen weiter von dem Gebäude weg und warfen noch einmal einen Blick hinter sich.

Im nächsten Augenblick erfasste sie auch schon die Druckwelle der Explosion und schleuderte sie noch einige Meter weiter. Ihre Kleidung wurde durch den Asphalt unter ihren Körpern zerrissen und sie zogen sich noch weitere Blessuren zu. Trümmer des Gebäudes, in dem sie sich noch wenige Minuten zuvor aufgehalten hatte, regneten nun vom Himmel herab und verwandelten die nähere Umgebung in einen unansehnlichen Schuttplatz.

Ken rappelte sich als erster wieder auf und stand auf den Beinen.

„Glaubt ihr ... sie sind noch raus gekommen?", fragte er vorsichtig.

Für diese Frage hatte Aya nicht mehr als einen vernichtenden Blick für den Ex-Torwart übrig. „Ist doch egal. Wenn sie mit hochgegangen sind, um so besser für uns."

Omi ließ seinen Blick über die Trümmer schweifen und seufzte leise. „Sie wussten, dass wir das Gebäude sprengen würden, wenn bei uns etwas schief läuft. Wenn auch eher unbeabsichtigt. Ich denke schon das sie noch rechtzeitig raus sind.“

Scheinbar teilnahmslos stand Yohji neben seinen Freunden und angelte in seiner Hosentasche nach der zerdrückten Packung Zigaretten. Er fischte einen Glimmstängel heraus und stecke ihn sich in den Mundwinkel, um ihn gleich darauf an zu zünden. „Das wissen wir spätestens bei unserer nächsten Mission“, war das einzige, was er im Moment dazu zu sagen hatte.

Kopfüber in die Hölle ...

Wir sind keine Engel
 

Kapitel 1: Kopfüber in die Hölle ...
 

Schuldig öffnete die Augen. Zunächst konnte er wegen dem hellen Licht jedoch nicht erkennen wo er war. Scheinbar war er ohnmächtig geworden. Er blinzelte einige Male um seinen Blick zu klären und setzte sich auf. Neben sich sah er seine Kameraden, denen es scheinbar genauso ging wie ihm selbst.

„Schuldig wo hast du uns hingebracht?“, erkundigte sich Brad.

Der gerade angesprochene Mann blickte sich nochmals um. Viel anfangen konnte er mit dem was er sah jedoch nicht.

Der Raum in dem sie sich befanden war weitläufig und die Wände waren mit einer Holzvertäfelung aus dunkelbrauner Eiche versehen. Unter ihren Füßen befand sich anthrazitfarbener Teppichboden, der in einigem Abstand um sie herum eine Musterung in bordeauxrot aufwies. Die Decke ... nun, soweit Schuldig das beurteilen konnte, gab es keine, zumindest erweckte es den Eindruck. Vermutlich war der Raum einfach nur sehr hoch, man konnte gewissermaßen kein genaues Ende ausmachen. Eine wirklich gute optische Täuschung, ging es dem rothaarigen Mann durch den Kopf. Auf der einen Seite des Raumes stand ein großer Mahagonischreibtisch, auf dem nichts weiter lag, als ein paar Akten. Dahinter stand ein schwarzer, lederner Chefsessel. Alles in allem wirkte es wie das protzige Büro einer erfolgreichen Anwaltskanzlei. Es fehlte lediglich an einigen Aktenschränken, welche die Wände säumten.

„Eigentlich hätten wir zu Hause landen sollen“, begann Schuldig seine Erklärung. „Aber wie es aussieht hat die Explosion meine Konzentration wohl doch zu sehr gestört und wir sind deswegen woanders gelandet. Sei wenigstens froh, dass ich uns heil herausgebracht hab. Sieht aus wie das Büro von irgend einem hohen Tier. Braucht zufällig jemand einen Anwalt?“, fragte er ironisch und grinste dabei entsprechend sarkastisch, wie er es meistens tat.

Der Jüngste von ihnen seufzte nur und verdrehte leicht die Augen. „Wie wäre es, wenn du uns dann einfach jetzt nach Hause bringt?“

„Ganz meine Meinung Nagi“, stimmte Brad zu. „Hast du die CD?“

„Ja, ich hab sie hier“, antwortete dieser mit einem Kopfnicken und tastete dabei seine Taschen ab. Dann runzelte er die Stirn. „Ich hatte sie doch eingesteckt. Wo ist sie denn hin? Liegt sie hier irgendwo?“ Mit diesen Worten sah er sich um und suchte die Umgebung mit den Augen ab. Seine Augen bekamen einen immer fassungsloseren Ausdruck. Schließlich musste er doch feststellen, dass die CD nirgendwo aufzufinden war. „Oh nein ... ich hab sie verloren.“

Der bisher scheinbar etwas unbeteiligte Farfarello zuckte kurz mit einer Augenbraue. Dann sagte er in sonorem Tonfall: „Wir sind mal wieder fast drauf gegangen, ich durfte nicht mit den Kätzchen spielen und du verlierst die CD und versaust den Job? Das straft Gott nicht besonders.“ Ein gefährliches aufblitzen in seinem Auge verriet, was er davon hielt.

Brad hob beschwichtigend die Hände. Was er jetzt am wenigstens gebrauchen konnte, war ein in Rage geratender Berserker. Sie konnten alle erst einmal ein wenig Ruhe vertragen. „Ich schlage vor, Mastermind bringt uns jetzt erst einmal nach Hause, wir ruhen uns ein oder zwei Stunden aus und dann gehen wir die verdammte CD in den Trümmern suchen.“

Bei diesen Worten trat der Deutsche näher an die anderen heran und berührte sie. „Verehrte Ladies and Gentlemen, bitte nehmen Sie eine sitzende Position ein und legen Sie ihre Sicherheitsgurte an, der Schuldig-Express startet in wenigen Sekunden. Nächster Halt: Wohnzimmer.“

Er konzentrierte sich auf ihr zu Hause und wollte sich samt seinen Kollegen zu ihrem ursprünglichen Ziel teleportieren. Doch nichts geschah. „Das verstehe ich nicht“, sagte der Telepath, „so ausgelaugt kann ich gar nicht von der Aktion vorhin sein. Ich fühle mich topfit.“

Die vier jungen Männer lösten sich wieder von einander.

Farfarello wandte sich aufgebracht ab. „Wenn es so nicht geht, dann gehen wir eben zu Fuß.“ Verärgert über die Unfähigkeit des Rothaarigen stapfte er einige Schritt davon. Doch kam er nicht weit. Als er an der bordeauxroten Musterung ankam, stieß etwas ihn wieder zurück.

Die anderen drei beobachteten wir der Mann mit der Augenklappe ein, zwei Schritte nach hinten taumelte und dann auf dem Hosenboden landete.

Brad runzelte die Stirn. Er fragte sich warum er keine Visionen hatte, seit sie sich in diesem Raum befanden. Etwas schien ihn zu blockieren, so wie wohl auch etwas Schuldigs Kräfte blockierte.
 

„Wie ich sehe wollt ihr bereits gehen“, vernahmen sie eine sanfte, wohlklingende Frauenstimme. „Allerdings muss ich euch enttäuschen. Der einzige Weg hier hinaus ist unser Urteil.“

Verwundert richteten Schwarz ihre Blicke auf den Platz hinter dem Schreibtisch, der nur wenige Augenblicke zuvor noch leer gewesen war. Jetzt saß dort eine junge Frau, deren Alter schlecht einzuschätzen war. Vielleicht Mitte bis Ende zwanzig? Ihr dunkelblondes, streng zurück gebundenes Haar und die schwarze Robe, die sie trug, gaben ihr das Aussehen einer Richterin. So gesehen lag Schuldig mit seiner Vermutung über die Anwaltskanzlei scheinbar doch nicht so falsch.

Brad runzelte fragend die Stirn. „Wer sind Sie? Und was soll das hier?“ Diese Frau war ihm doch ziemlich suspekt.

Die soeben Angesprochene heftete ihren Blick auf den Amerikaner. „Vorgeladene Gäste sprechen nur, wenn sie dazu aufgefordert werden, aber ich will mal nicht so sein und werde es euch sagen. Ihr seid bei der Explosion ums Leben gekommen, falls ihr das immer noch nicht bemerkt haben solltet. Und jetzt steht ihr hier vor dem jüngsten Gericht“, erklärte sie mit einem Lächeln auf den Lippen.

Vorgeladen? Ums Leben gekommen? Sie sollten alle vier tot sein? Jüngstes Gericht? Von was zur Hölle redete diese Frau da eigentlich, fragte sich Schuldig.

„Genau davon“, antwortete sie auf seinen unausgesprochenen Gedanken. Und ehe der Deutsche oder einer seiner Begleiter weiter nachfragen konnte, fuhr sie auch schon fort.

„Ihr steht hier vor dem jüngsten Gericht, wo entschieden wird was weiter mit den Toten geschieht. Also wie lange die Verstorbenen im Fegefeuer für ihre Sünden büßen müssen, wann ihre Seelen in die göttlichen Gefilde einkehren dürfen oder ob sie den direkten Weg in die Hölle beschreiten. Für gewöhnlich dauert diese Prozedur nicht sehr lange.“ Sie zog die Akten näher zu sich heran und klappte sie auf. „Mal sehen, was auf euch so wartet.“

„Sie brauchen bei mir gar nicht nachsehen“, sagte Farfarello bestimmt. „Ich nehme den direkten Weg nach unten in die Hölle, ich will nämlich überhaupt nicht in irgendwelche göttlichen Gefilde ...“

„Wirklich nicht?“, fragte das jüngste Gericht und zog eine Augenbraue nach oben. „Sehr interessant, genau darüber habe ich hier auch einen Vermerk. Du hast die Aufmerksamkeit von Gott durchaus auf dich gezogen und ihr Interesse geweckt, indem du sie strafen wolltest. Eine durchaus ungewöhnliche Tatsache in Anbetracht dessen, dass sie eine vielbeschäftigte Frau ist.“

Die vier jungen Männer lauschten aufmerksam. Farfarello sprach dann aus, was sie alle dachten.

„Moment mal ... Sie? Eine vielbeschäftigte Frau?“ Er konnte das einfach nicht glauben. Sollte tatsächlich alles falsch gewesen sein, was er in seiner Kindheit gelernt hatte? Andererseits überraschte es ihn nicht, schließlich war Gott schlecht und musste für seine, oder eben auch ihre, Taten bestraft werden. Da alles über Gottes Großmütigkeit und Güte gelogen war, war es auch nicht wirklich weiter verwunderlich, dass sogar die Tatsache über sein Geschlecht gelogen war.

„Wirklich überaus schade, dass du dann eure Aussicht darauf, euch eine zweite Chance zu verdienen für dich und deine Freunde in den Wind schlägst Jay,“ unterbrach die Frau hinter dem Schreibtisch seine Gedanken.

Brad runzelte fragend die Stirn. „Moment mal ... eine zweite Chance? Was bitte soll das heißen?“

„Nun, ihr seid durch einen unglücklichen Zufall vor eurer Zeit verstorben und das wird meist als mildernder Umstand in eure Beurteilung mit einbezogen. Allerdings kann ich das leider nur für euch als Gruppe geltend machen, schließlich hab ich auch meine Vorschriften zu beachten. Und da Jay sich bereits dafür ausgesprochen hat, ohne weitere Berücksichtigung seines ganzen Lebens in der Hölle zu schmoren, wartet auf euch genau das selbe oder bestenfalls erst einmal das Fegefeuer.“

Bevor einer der vier jungen Männer auch nur ansetzen konnte zu widersprechen oder Farfarello ins Gewissen zu reden, um seine Entscheidung ihnen zuliebe doch noch einmal zu überdenken, war der Raum um sie herum verschwunden und sie waren voneinander getrennt.
 

Jedes einzelne Mitglied von Schwarz fand sich allein wieder. Um sie herum herrschte Dunkelheit, nur erhellt von vereinzelten düsteren Lichter, deren Quelle nicht einmal ausgemacht werden konnte. Eine beklemmende finstere Stimmung beherrschte die Atmosphäre und ergriff schnell von ihnen Besitz.
 

Nagi sah sich unsicher um. Die Hölle hatte er sich anders vorgestellt. Seine Umgebung schien sich zu verändern und in der Dunkelheit festigten sich Konturen, die bei näherem Hinsehen allerdings wieder verwischten. Es erweckte den Eindruck, als befände der Assassin sich in einer dunklen Gasse, gesäumt von Mülltonnen, in denen Ratten sich ihr Abendessen zusammen suchten. Das ist beinahe wie in einem Traum, ging es dem Jungen durch den Kopf, es fühlte sich seltsam vertraut an. Jetzt erkannte er auch, weshalb ... In dieser Gasse hatte er sich wiedergefunden, nachdem seine Eltern ihn verstoßen hatten. Nicht einmal die anderen Straßenkinder wollten etwas von ihm wissen, weil sie Angst hatten, stattdessen warfen sie mit Steinen und beschimpften ihn. Die Erinnerung an diese Zeit stieß ihm schlagartig säuerlich wieder auf.

Im nächsten Moment traf ein kleiner, aber harter Gegenstand Nagi in den Rücken. Bereits vermutend was es gewesen sein könnte, drehte er sich um, um sich zu vergewissern. Langsam ließ er den Blick über den Boden schweifen und entdeckte den Stein, der ihn getroffen hatte. Als er seinen Blick wieder hob sah er einige schemenhafte Gestalten ... sie lachten ... lachten über ihn. Und im nächsten Moment kam ein weiterer Stein geflogen, gefolgt von noch einem und noch einem. Es prasselten unaufhörlich Steine auf Nagi ein, der sich nun in seine Kindheit zurück versetzt sah und als kleiner Junge seinen Peinigern hilflos ausgeliefert war. Angsterfüllt weiteten sich seine Augen und er machte auf dem Absatz kehrt, um davon zu laufen. So schnell ihn seine kurzen Kinderbeine trugen, rannte er die Gasse entlang, doch scheinbar ohne sich wirklich von der Stelle zu bewegen. Seine Umgebung änderte sich nicht und die Gasse mündete nur wieder in einer die genau so aussah. Die schemenhaften Gestalten folgten Nagi, warfen immer wieder mit Steinen nach ihm, beschimpften ihn, verletzten ihn körperlich wie seelisch. Gerade als der braunhaarige Junge über seine Schulter hinweg hinter sich schaute, prallte er gegen etwas, taumelte zurück und landete auf seinem Hosenboden im Dreck, der sich überall in der finsteren Straße sammelte.

Als er aufsah blickte er direkt in die hämisch grinsende Fratze einer weiteren Gestalt, die zwar grobschlächtig und männlich wirkte, die er aber nicht weiter klar erkennen konnte. Allerdings reichte schon dieser Gesichtsausdruck aus, um ihn wissen zu lassen, was ihm nun blühte.

Mit vor Entsetzen geweiteten Augen verfolgte Nagi, wie die Gestalt oder der Mann oder was auch immer es war, nach ihm griff, ihn am Hemd packte und ihn daran hoch zog. Der so nun strammgezogene Stoff schnitt dem Jungen schmerzlich ins Fleisch und er versuchte sich aus dem harten Griff zu winden, was ihm aufgrund seiner geringen Körpergröße und Kraft jedoch nicht gelang. Da er seine telekinetischen Fähigkeiten noch nicht unter Kontrolle hatte, war es ihm nicht einmal möglich, sich damit zur Wehr zu setzen. Seine Kräfte wollten ihm einfach nicht gehorchen.

Gewaltsam wurde er mit dem Gesicht an eine Häuserwand gedrückt. In seinem Nacken spürte er den heißen Atem und roch den Alkohol, der darin mitschwang sowie den unangenehmen Körpergeruch der anderen Person.

Um dieses zierlichen Körpers Herr zu werden benötigte Nagis Peiniger nur eine Hand, mit der anderen zerriss er dessen Hosen. Er spürte wir eine große Hand ihm grob in den Schritt fasst und prüfend über seine Genitalien rieb. Die Hand wanderte dann weiter zu seinen Pobacken und wurde zwischen diese gezwängt.

„Wollen doch mal sehen, wie eng du bist“, ertönte die dunkle, raue Stimme hinter ihm.

Daraufhin zog der Mann seine Hand zurück und hinter sich hörte der junge Japaner das Geräusch eines sich öffnenden Reißverschlusses. Im nächsten Augenblick rammte der hinter ihm Stehende sein Glied mit einem Stoß tief in die kleine Öffnung zwischen Nagis Beinen. Er schrie vor Schmerzen auf und verzog das Gesicht. Tränen rannen ihm über die Wangen und er wimmerte leise. Trotz allen bitten und betteln ließ sein Peiniger nicht von ihm ab, sondern verstärkte seine gierigen Stöße, mit denen er sein hartes Fleisch immer wieder unerbittlich in die kindliche Enge trieb, sogar noch. Je mehr Nagi weinte, desto mehr Spaß schien es dem anderen zu machen, denn sein Atem ging hörbar schneller und der Umgang mit seinem hilflosen Opfer wurde immer brutaler.

Solche Schmerzen hatte der Junge in seinem ganzen Leben noch nicht gefühlt und er wünschte sich nichts sehnlicher, als das der Mann ihn in Ruhe ließ und was er ihm antat am eigenen Leibe spürte. Aber ersteres würde wohl noch eine Weile dauern und das Zweite wohl niemals eintreten. So blieb ihm keine andere Wahl, als die Quälerei weiter über sich ergehen zu lassen und darauf zu hoffen, dass es bald vorbei war.

Nach einer Weile, die Nagi wie eine Ewigkeit vorkam, gab sein Peiniger ein lautes Stöhnen und ein zufriedenes Grunzen von sich. Daraufhin zog er sich aus der geschundenen Öffnung zurück und schloss seine Hose wieder. Er trat zurück und stieß den Jungen achtlos von sich weg.

„Das war gut. Vielleicht komm ich noch mal auf dich zurück“, sagte der Fremde lachend und verschwand.

Nagi taumelte und fiel kraftlos in ein paar Müllsäcke, die sich an der Häuserwand sammelten. Benutzt und dann weggeworfen wie ein Stück Abfall. Da befand er sich ja genau im richtigen Ambiente wieder, dachte er verbittert.

Aus seinem Anus floss ein klebrig warmes Gemisch aus Sperma und Blut die Innenseite seiner dünnen Oberschenkel entlang. Zwar war der Junge jetzt allein, aber der Schmerz blieb. Er zitterte und weinte, doch niemand scherte sich darum. Seine Tränen wollten nicht versiegen, so oft er sie auch wegwischte. Er schlang die Arme um seinen dürren Leib, doch das Zittern ließ nicht nach und ebenso wenig verschwand die Kälte, die sich in seinem Inneren ausbreitete.
 

Als Schuldig bemerkte, dass er allein war, ließ er seinen Blick durch das Dämmerlicht schweifen. Er verschränkte die Arme vor der Brust und setzte sein übliches süffisantes und überhebliches Lächeln auf.

„Und das ist jetzt also die Hölle, ja? Sehe ich das richtig?“, warf der Deutsche spöttelnd in den Raum, vollkommen gleichgültig, ob es nun jemand hörte oder nicht.

„Das ist ja erbärmlich. Wo ist dann das ganze Feuer, der Schwefelgestank und die kleinen roten Teufelchen die einen mit ihrem Dreizack pieksen?“

Eine Antwort erhielt er nicht. Allerdings bemerkte auch er nach einigen Augenblicken, wie sich seine Umgebung veränderte.

Der Mann mit den flammend orange Haaren blickte nunmehr auf eine Tür. Eine recht große Tür wie es den Anschein hatte, immerhin befand sich die Türklinke kaum in Augenhöhe. Es dauerte einige Sekunden, bis Schuldig realisierte, dass er wieder im Körper eines vielleicht 5, 6 oder bestenfalls 7jährigen Kindes steckte. Doch was sollte das bloß? Seine Kindheit hatte er tief in seiner Erinnerung vergraben und dachte eigentlich, sie hinter sich gelassen zu haben. Aber so wie es im Moment aussah, war dies doch nicht der Fall.

Ein Geräusch riss den Deutschen aus seinen Gedanken und er horchte auf. Zunächst das Öffnen einer Tür, das geräuschvolle Klicken eines Lichtschalters, dann ein Poltern und die Tür wurde wieder zugeschlagen. Dann hörte er eine raue Männerstimme etwas rufen. Die Worte konnte der Junge nicht verstehen, aber er wusste, was sie bedeuteten. Sein Vater war wieder erst spät in der Nacht nach Hause gekommen, vollkommen betrunken. Eine weitere Tür wurde geöffnet und eine Frauenstimme gesellte sich zu der Geräuschkulisse, die sich immer weiter näherte und schließlich vor der Zimmertür des Jungen verharrte. Wieder einmal versuchte seine Mutter ihren kleinen Sohn zu schützen, was ihr selbst nur wieder Schläge einbrachte. Schuldig hörte ihre Schreie, gefolgt von einem dumpfen Poltern und dann herrschte Stille.

Unsicher ging der Deutsche zur Tür, drückte die Klinke herunter und öffnete sie somit. Durch einen Spalt schaute er nach draußen auf den beleuchteten Flur.

„Mama?“, fragte er unsicher und erschrak über seine leise, dünne Stimme.

Als Antwort wurde lediglich die Tür vollends aufgestoßen und sein Vater blickte auf ihn herab.

„Mama geht es gut“, sagte er und ergänzte mit einem Grinsen, „und wenn das so bleiben soll, dann tust du besser, was ich will.“

Er packte Schuldig am Handgelenk und zerrte ihn zu seinem Bett. Der Junge wehrte sich nach Leibeskräften, konnte allerdings gegen einen Erwachsenen nichts ausrichten.

„Nein ... nein, lass mich los. Ich will zu Mama!“

Schließlich schaffte er es sich los zu reißen, taumelte jedoch zurück und fiel auf den Boden. Sein Vater schaute verächtlich von oben auf ihn herab. Dann löste er seinen Gürtel und sagte: „Na warte, dich werde ich gehorchen lehren. Langsam hab ich genug von dir aufmüpfigem Balg und deiner nutzlosen Mutter.“

Er holte mit dem Gürtel aus und schlug damit auf den kleinen Jungenkörper vor seinen Füßen ein. „Da schufte ich Tag ein Tag aus, um euch faulem Gesindel ein gutes Leben zu ermöglichen ... und was ist der Dank?! Nicht einmal die mir gebührende Aufmerksamkeit will man mir schenken. Ich will was mir zusteht und das nehme ich mir. Ohne mich seid ihr nichts Wert, ihr seid so schwach und erbärmlich.“

Schuldig schrie bei jedem Schlag auf und spürte wie heiße Tränen seine Wangen hinunter rannen. Jeder Hieb, aber auch die Worte, die er zu hören bekam, lösten eine Welle neuer Schmerzen in ihm aus. Doch da sein Erzeuger ihm noch mehr Hiebe androhte, wenn er nicht bald Ruhe gab, versuchte er sich zu beherrschen und sein Schluchzen zu unterdrücken.

Dann wurde er grob an den Haaren empor gerissen und auf das Bett gestoßen. Die Hose des Pyjamas wurde ihm ausgezogen und achtlos neben dem Bett fallen gelassen. Der Junge wand sich unter dem harten Griff des Mannes, der sich sein Vater nannte. Er wollte zwar nicht ,dass nun wieder geschah, was so oft passierte, wenn er betrunken war, aber ebenso wenig wollte er, dass dieser Mann seiner Mutter wieder etwas antat. Im nächsten Moment spürte er allerdings schon, wie seine Beine auseinander gedrückt wurden und etwas Großes, Hartes schmerzhaft in ihn eindrang. Als Schuldig daraufhin wieder aufschrie und anfing zu wimmern, spürte er wie sich ein breiter Ledergürtel um seinen Hals legte und immer enger gezogen wurde.

„Ich hab dir gesagt, du sollst still sein“, herrschte der andere Mann ihn erbost an.

Er versuchte sich zusammen zu reißen, damit sein Vater endlich aufhörte. Doch anstatt in Frieden gelassen zu werden, schnürte der Riemen ihm weiter die Luft ab und das Atmen fiel ihm immer schwerer, bis er glaubte, das Bewusstsein zu verlieren. Nur am Rande bekam er daher mit, wie sein Peiniger von ihm abließ und seine Mutter ihn anschrie und anflehte, er solle doch endlich damit aufhören.

Schuldig keuchte und rang nach Luft. Langsam klärte sich seine Wahrnehmung wieder und als er sich aufsetzte, sah er seine Eltern entsetzt an. Der Mann mittleren Alters saß auf seiner Mutter und würgte sie mit bloßen Händen. Sie hatte bereits einiges abbekommen, am Kopf hatte sie eine Wunde aus der Blut in ihr Haar und in den dicken Teppich sickerte. Ihr Gesicht war angeschwollen und bereits blau angelaufen.

Der junge Deutsche sprang vom Bett und hastete zu den beiden Erwachsenen. Er riss seinen Vater am Arm und versuchte verzweifelt ihn von seiner Mutter weg zu zerren, mit dem Erfolg, dass sein Vater nur mit dem Arm ausholte an dem er zerrte und ihm einen Schlag versetzte, der ihn zurück zum Bett beförderte. Der Junge schrie auf, als er das Holz der Bettkante im Rücken spürte und schaute gleich darauf wieder angsterfüllt in die Richtung des anderen Mannes. Dieser erhob sich nun von der Frau unter ihm. Sie bewegte sich nicht mehr und ihre Augen starrten kalt ins Leere.

„Mama!“, rief Schuldig, aber er wusste, dass er keine Antwort erhalten würde. Seine Mutter war tot.

Er starrte seinen Vater hasserfüllt an. In diesem Moment wünschte er sich nichts sehnlicher, als das dieser Mann starb, für das bezahlte, was er ihm und seiner Mutter all die Jahre angetan hatte. Mit seinem Leben den Tod des Menschen bezahlte, dessen Leben er gerade beendet hatte, des einzigen Menschen, den Schuldig jemals geliebt hatte.

Und dann geschah etwas, mit dem der Junge nicht gerechnet hatte. Sein Vater verdrehte nur ganz leicht die Augen, dann kippte er auf einmal zur Seite, blieb liegen und regte sich nicht mehr. Vorsichtig stand der orangehaarige auf und näherte sich dem dort liegenden Mann, um festzustellen, dass er tatsächlich tot war.

Fassungslos starrte Schuldig auf die beiden Leichen. Er hatte die ganze Zeit diese Kraft in sich gehabt. Er hätte sie schon viel früher benutzen können, um sich und seine Mutter von ihrem Schänder zu befreien. Doch er hatte es nicht getan und jetzt war sie tot. Seinetwegen. Weil er es nicht getan hatte. Er war schuld daran, dass seine Mutter tot war, weil er einfach nur zugesehen hatte, ohne ihr zu helfen. Das würde er sich sein Leben lang nicht verzeihen. In diesem Raum waren nicht nur seine Eltern gestorben.
 

Brad ging es nicht anders als seinen Teamkollegen. Er fand sich allein wieder und seine Umgebung fing an sich zu verändern. Mit seiner typischen Skepsis versuchte er jedes einzelne Detail wahrzunehmen. Doch viel bekam er nicht zu sehen, denn vor seinem geistigen Auge formte sich eine Vision.

Ein dunkelblauer Familienwagen wurde von einem schwarzen Geländewagen von der Fahrbahn gedrängt. Er brach in einer Kurve durch die Leitplanke und stürzte die Böschung hinab. Brad erkannte den dunkelblauen 5-Türer, es war das Auto seiner Eltern.

„Brad, Daddy und ich fahren jetzt einkaufen. Heather von nebenan wird so lange auf dich aufpassen, bis wir wieder da sind“, riss die vertraute Stimme seiner Mutter ihn wieder in die vermeintliche, verdrehte Realität zurück.

Sein Vater stand bereits an der Haustür und öffnete diese, um ein Mädchen ins Haus zu lassen. Dann sah er auf die Uhr. „Schatz, wenn wir noch vor Ladenschluss in irgendein Geschäft wollen, dann sollten wir endlich los fahren.“

Der Amerikaner erkannte die Szene, genau so hatte sie sich kurz vor seinem zehnten Geburtstag abgespielt. Seine Eltern wollten in die Stadt fahren, um noch ein Geschenk für ihn zu kaufen ...

Im nächsten Moment bemerkte er, dass er genau wie damals an seinen Vater geklammert dastand und die beiden Erwachsenen am wegfahren hindern wollte. Allerdings hörten sie nicht auf ihn, sondern taten seine Vorahnung wie so oft als dumme Phantasterei und Hirngespinste ab. Bevor die Tür ins Schloss fiel, hörte der Junge noch wie seine Mutter etwas davon sagte zu einem Kinderpsychologen zu gehen.

Die Zeit schien an diesem Ort entweder vollkommen verrückt zu spielen oder überhaupt nicht existent zu sein. Denn kaum einen Augenblick später fand sich Brad in seinem Bett wieder und hörte im Wohnzimmer den Fernseher laufen, vor dem Heather saß und sich scheinbar eine Comedy-Show ansah, denn ihr Lachen konnte er ebenfalls deutlich hören. Der Junge versuchte zu schlafen, musste aber immer wieder an seine Vision denken, auch wenn er versuchte es ebenso herunter zu spielen wie seine Mutter. Dann hörte er auf einmal nichts mehr, im Haus war es völlig still, sogar das laute Summen des Kühlschranks war verstummt. Wahrscheinlich ein Stromausfall.

Wieder schlich sich eine Vision in Crawfords Gedanken. Einige Männer betraten das Haus und kamen, um ihn zu holen.

Er beschloss aufzustehen und Heather davon zu erzählen. Vielleicht wäre es besser ihren Eltern Bescheid zu sagen, einfach zu erzählen, dass er Angst im Dunkeln und vor Einbrechern hätte. So weit kam er allerdings nicht mehr. Als der Junge die Zimmertür öffnen wollte, wurde dies bereits von der anderen Seite getan und ein großer Mann baute sich vor ihm auf. Ehe er in irgendeiner Weise reagieren konnte, packte der Mann ihn und zog ihn mit nach draußen, nachdem er trocken meinte: „Deine Eltern wollen, dass wir uns ab jetzt um dich kümmern, Brad.“

Vor dem Haus wartete ein Geländewagen, er hatte Kratzer an der Seite und war zweifellos der Wagen, mit dem seine Eltern von der Straße abgedrängt worden waren. Als Brad in den Wagen gesetzt wurde liefen Tränen seine Wangen hinunter, wohl wissend was nun folgte. Seine Eltern würde er nicht wieder sehen und das nur, weil er sie nicht aufgehalten hatte, obwohl er gekonnt hätte. Er hätte sich einfach nur mehr Mühe geben müssen, dann wären sie zu Hause geblieben und ein anderes Mal einkaufen gefahren. Sie hätte er lieber an seinem Geburtstag bei sich gehabt als irgend ein dummes Geschenk. Je weiter sie sich von dem Haus entfernten, um so leerer fühlte der Junge sich.

Die harte und demütigende Ausbildung in Rosenkreuz zog im Schnelldurchlauf an Brad vorüber. So viele schmerzhafte Erinnerungen, so viele entwürdigende Situationen, knallharter Drill und teilweise menschenunwürdige Behandlung. Aber es hatte ihn stark gemacht, daran gab es definitiv keinen Zweifel.

Ein Mädchen lenkte ihn ab, ein Teenager mit paranormalen Kräften so wie er. In der spärlich gesäten Freizeit lernten sie sich näher kennen, verbrachten jede Minute miteinander, tauschten nach und nach immer mehr und immer intimere Zärtlichkeiten aus. Sie erweckte fast vergessene und von Rosenkreuz fast abgetötete Gefühle in dem jungen Mann wieder, was den Ausbildern natürlich nicht verborgen blieb. Zusammen wollten sie aus dem Camp verschwinden und Brad war sich in diesem Moment sicher, dass es kein erhabeneres Ziel geben konnte, als mit der Frau, die man liebte, glücklich zu werden. Er hätte sich ebenso sicher über die Tatsache sein sollen, dass mindestens einer von ihnen nicht mehr lange genug leben würde, um diese innige Verbindung auch nur einen Augenblick lang zu bedauern.

In der Nacht tauchte ein Ausbilder neben seinem Bett auf und knallte mit einem Schlagstock gegen das Bettgestell.

„Nummer 28 aufstehen, anziehen und mitkommen“, lautete sein Befehl, der keine Widerrede zuließ und so tat Brad, wie ihm geheißen.

Zusammen gingen sie den Flur entlang.

„Du hast jetzt eine Prüfung“, meinte der andere Mann ungerührt und führte ihn zu einem Raum. „Ein Kampf bis zum Tod, nur der Stärkste überlebt“, lautete die nächste Anweisung und die Tür wurde geöffnet.

Brad wurde in den in vollkommene Dunkelheit gehüllten Raum geschoben und hörte wie das Schloss hinter ihm wieder einrastete. Er spürte die Anwesenheit einer weiteren Person und sogleich entbrannte ein erbitterter Kampf auf Leben und Tod. Seine Fähigkeit abschnittsweise die Zukunft voraus zu sehen, verschaffte ihm zwar einen Vorteil, doch war sie zur direkten Vernichtung seines Feindes denkbar ungeeignet und da er unbewaffnet war, blieben ihm nur seine eigenen Hände. Ein leichtes Spiel hatte er mit seinem Gegner nicht, doch nach einem harten Kampf, hatte Brad schließlich die Oberhand und tötete sein Gegenüber ohne mit der Wimper zu zucken, so wie er es gelernt hatte.

Als die Ausbilder das Licht in dem kleinen Raum einschalteten, ließ der Amerikaner den Blick über die Leiche zu seinen Füßen schweifen und er erstarrte. Dass sein Gegner eine Frau war, hatte er sofort gemerkt, aber das war eindeutig zu viel für ihn. Er sackte zusammen und sank auf die Knie. Mit glasigem Blick starrte er weiter auf das Gesicht der Toten, auf das Gesicht des Mädchens mit dem er glücklich werden wollte. Erneut zerbrach etwas in ihm und er fühlte sich leer und kalt.
 

Auch Farfarello war der Veränderung seiner Umgebung unterlegen. Er erkannte sein Elternhaus in Irland in dem kleinen Ort, der seine Heimatstadt gewesen war. Aus dem Fenster des Pfarrhauses konnte er es ganz deutlich sehen. Aber was machte er hier? Eigentlich hatte er sich doch aus freien Stücken dazu bereit erklärt in die Hölle zu gehen, um nichts mehr mit Gott zu tun haben zu müssen. Seine Vergangenheit und die ehemals durch Lügen geprägte scheinbar glückliche Kindheit hatte er nicht erwartet.

Sein Blick fiel auf ein Buch und ein paar Papiere auf dem Schreibtisch. Richtig ... der Reverend hatte seine Notizen für die nächste Predigt, die er zu Hause noch für den Gottesdienst vorbereiten wollte, liegen gelassen. Jay sollte sie für ihn holen und ihm dann vorbei bringen.

Obwohl es ihm merkwürdig vorkam, konnte sich der Ire nicht dagegen wehren, das zu tun, was er damals auch getan hatte. Er drehte sich zum Schrank und suchte nach den Notizen, durchstöberte einige Papiere und stieß auf etwas, das seine Aufmerksamkeit erregte. Hier wurden auch einige Familienbücher aufbewahrt und da der Junge seine Neugierde nicht zügeln konnte, nahm er die Aufzeichnungen über seine Familie zur Hand. Interessiert blätterte er durch die Seiten und machte eine schockierende Entdeckung.

Vollkommen fassungslos stand er da und regte sich kein Stück. Er starrte auf die schwarzen Buchstaben auf dem bereits angegilbten Papier, las die Worte immer wieder und wollte es doch nicht glauben. Seine Händen fingen an zu zittern, das Buch entglitt ihm und fiel zu Boden.

Jay machte auf dem Absatz kehrte und rannte aus dem Pfarrhaus. Heiße Tränen rannen seine Wangen hinunter. Das konnte einfach nicht möglich sein. Die Familie, bei der er lebte und die er so sehr liebte, sollte nicht seine richtige sein? Er sollte ein uneheliches Kind sein? Und dann auch noch von einer Nonne? Von seiner Lehrerin, Schwester Ruth? So etwas konnte einfach nicht wahr sein. Doch wenn es auf solchen wichtigen Dokumenten stand, war es das vermutlich doch. Einen Grund, weshalb jemand so etwas fälschen sollte, gab es doch nicht. Seine kleine heile Welt brach zusammen und lag in Trümmern. Er wurde sein Leben lang belogen, von allen belogen, die er liebte und von denen er glaubte, ihnen trauen zu können. Und Gott hatte es einfach zugelassen, Gott, der doch so gütig und unfehlbar war. Gott musste ihn hassen ...

Mit Tränen in den bereits geröteten Augen lief der Junge nach Hause. In der Küche war Licht und die Frau, die er bis vor einigen Minuten noch für seine Mutter gehalten hatte, bereitete das Abendessen zu. Wie von Sinnen gesellte er sich zu ihr, nahm ein Messer aus dem Block und ging damit auf sie los.

Ohne wirklich wahrzunehmen, was er tat, schlachtete Farfarello seine angebliche Familie ab, einen nach dem anderen. Seine vermeintliche kleine Schwester hüllte er in den Engel-Wandbehang, den sie von Schwester Ruth geschenkt bekommen hatte, wie in ein Leichentuch.

Er blickte auf die drei Leichen zu seinen Füßen und beobachtete, wie sich die Blutlache, die in den dicken Teppich sickerte, weiter ausbreitete. Als hinter ihm jemand die Tür öffnete und entsetzt aufschrie, wirbelte er herum und stach mit dem Messer auf die Person ein. Diese allerdings konnte das schlimmste mit ihren Händen abwehren, brach jedoch trotzdem zusammen:

„Jay ...“, hörte der Junge eine ihm wohl vertraute Stimme und blinzelte verstört die Person an, der sie gehörte, Schwester Ruth, seine Mutter.

Augenblicklich ließ er das Messer los und starrte auf seine blutverschmierten Hände. Wieder liefen ihm Tränen, die er nicht zurück halten konnte, über das Gesicht. Heftige Schluchzer ließen seinen kleinen Körper erbeben, während er sich immer wieder fragte, warum Gott so etwas zuließ. Dann brach auch er einfach zusammen.

In einem Krankenhaus wachte der junge Ire wieder auf und blickte sich orientierungslos um. Er konnte sich nicht genau erinnern, was passiert war. Warum war er hier?

Schwester Ruth und ein Polizist waren bei ihm. Dicke Verbände wickelten sich um die Hände der Nonne. Auf seine Frage hin, was denn passiert sei, erklärte man ihm, dass Einbrecher bei ihm zu Hause eingedrungen waren, seine Familie getötet hatten, jedoch nichts stehlen konnten, da sie von Ruth und ihm überrascht wurden.

Farfarello fühlte sich als hilfloses Opfer und Gott hatte das alles einfach zugelassen. Sie waren doch gute Christen, warum beschützte er sie dann nicht? Er konnte es einfach nicht begreifen und begann Gott die Schuld an allem zu geben.

... und zurück

Wir sind keine Engel
 

Kapitel 2: ... und zurück
 

Die Hölle war kein Ort, der sich genau definieren ließ und definitiv anders, als man es sich vorstellte. Das war eine Erfahrung, die jedes der vier Mitglieder der Gruppe Schwarz gerade machte, als sie ihre ganz persönliche Hölle durchlebten, immer und immer wieder.

Keiner von ihnen hätte gedacht, dass es so hart und intensiv sein würde. Schon nach wenigen Augenblicken waren sie gebrochen und die einzigen Begleiter durch diese Seelenqualen ihre Schreie. Nagi, Brad und Schuldig wurden nur noch von dem Wunsch beseelt, dass es endlich aufhörte. Wo hatte Farfarello sie nur wieder reingeritten?
 

Ihre Umgebung verfinsterte sich und es wurde so dunkel, dass sie nicht einmal mehr die Hand vor Augen sahen. Bereits befürchtend, was als nächstes kommen könnte, blieb ihnen nichts weiter übrig als auszuharren. Sollte nun ein weiteres niederschmetterndes Erlebnis erneut durchlebt werden, so wurde dies mit einem plötzlich erscheinen gleißend hellen Licht eingeleitet.
 

Als ihr Blick sich wieder aufklarte, fanden sich die vier jungen Männer gemeinsam in einer Umgebung wieder, die sie abermals nicht erwartet hatten. Trotzdem waren sie froh darüber, sich wieder in dem kahlen Raum mit dem großen Schreibtisch zu befinden.

Die Frau mit dem streng zurück gebundenen Haar, die von ihnen als das jüngste Gericht selbst deklariert wurde, war ebenfalls anwesend. Sie saß ein Stück nach vorn gebeugt auf dem Sessel und hatte die Hände auf dem Schreibtisch gefaltet.

„Nun meine Herren? Wie sieht es aus? Immer noch nicht daran interessiert was in diesen Akten steht? Oder an der Sache mit der zweiten Chance?“, fragte sie mit einem leicht ironischen Lächeln.

Schuldig bemerkte das Nagi am ganzen Leib zitterte und dass er sich kaum selbst zusammenreißen konnte. Kurzerhand legte er einen Arm um die Schultern seines jüngeren Teamkollegen und drückte ihn leicht an sich, um ihm und sich selbst Halt zu geben. Der Telepath mochte nicht darüber nachdenken, was die anderen in den letzten Augenblicken durchgemacht hatten. An seinem eigenen Erlebnis hatte er schließlich selbst immer noch schwer zu schlucken.

Nagi war froh über die Geste des Deutschen, allein sein war das Letzte, was er jetzt wollte. Er lehnte den Kopf an seine Brust und hatte Mühe nicht in Tränen auszubrechen. Er spürte, wie Schuldig leichten Druck auf seine Schulter ausübte und anfing langsam über diese sowie über den Oberarm zu streichen. Der junge Japaner zweifelte nicht daran, dass er das nicht nur aus purer Uneigennützigkeit und Hilfsbereitschaft tat. Wahrscheinlich brauchte er gerade ebenso dringend Halt, wie er selbst.

Sogar Brad rang sichtlich um Fassung. Er wagte es im ersten Moment nicht einmal die anderen auch nur anzusehen, weil er befürchtete sich nicht unter Kontrolle haben zu können. Und vor seinen Teamkollegen Schwäche zu zeigen würde er sich niemals erlauben, schließlich war er ihr Anführer und musste stark bleiben und einen kühlen Kopf bewahren.

Was Farfarello anbelangte, so fanden die Drei, dass sogar er scheinbar von dem Erlebnis geprägt war. Er kauerte ein Stück von ihnen weg auf dem Boden, hatte die Beine angezogen und die Arme darum geschlungen. Er schaukelte apathisch leicht vor und zurück und murmelte immer wieder leise die gleichen Worte vor sich hin. „Gott ist schuld.“

Sie waren wohl alle im Moment mehr als bereit sich alles anzuhören, was diese Frau zu sagen hatte.

Brad hatte sich als erster wieder vollkommen gesammelt und fühlte sich bereit dazu eine Unterhaltung zu führen und wenn nötig darüber zu verhandeln, dass sie nicht wieder in die Hölle mussten. „Selbstverständlich sind wir daran interessiert. Aber wir müssen uns darüber einig sein, wenn ich das noch richtig in Erinnerung habe.“

Das jüngste Gericht nickte zustimmend. „Das ist korrekt. Benötigt ihr vielleicht etwas Zeit, um darüber zu diskutieren?“

Der Amerikaner bejahte und wandte sich an die anderen. Schuldig und Nagi konnte er auch ohne ihr Nicken ansehen, dass sie mit ihm einer Meinung waren. Farfarello machte ihm jedoch Sorgen, er wirkte überhaupt nicht ansprechbar. Trotzdem versuchte Brad mit ihm zu reden und hockte sich neben ihn.

„Farfarello?“ Er wartete einen kurzen Augenblick und fuhr dann fort. „Farfarello, hörst du mir zu?“

Der Angesprochene hielt daraufhin mit den Schaukelbewegungen inne und drehte den Kopf. Allerdings sagte er kein Wort. Nichts deutete darauf hin, dass er Brad wirklich zuhörte oder auch nur verstand, was dieser sagte.

„Farfarello, du solltest deine Entscheidung, direkt in die Hölle zu wollen, noch einmal überdenken. Du siehst nicht so aus, als wenn du das wirklich wolltest“, versuchte Crawford wieder zu ihm durchzudringen, scheinbar mit Erfolg.

„Doch, genau das will ich. Ich will nicht in den Himmel oder sonst wohin. Das straft Gott nicht. Ich hasse Gott. Ich will nicht in seine ... in ihre Nähe. Warum sollte ich denn auch? Gott hat es doch zugelassen. Gott ist es schuld“, flüsterte er monoton.

Nagi und Schuldig gesellten sich dazu und hockten sich ebenfalls auf den Boden. Der Deutsche schüttelte den Kopf. „Nein, nein. Das siehst du völlig falsch, Farf. Warum sollte es Gott strafen, wenn du in der Hölle schmorst? Faktisch würdest du ja da hin gehören, für alles was du bisher in deinem Leben getan hast, ebenso wie wir.“ Er hielt kurz inne und schluckte.

Der Jüngste in der kleinen Runde ergriff das Wort und sprach aus, was der andere zuvor nicht über die Lippen gebracht hatte. „Wir haben grade alle eine Kostprobe von dem erhalten, was uns in der Hölle erwarten würde. Und ich glaube nicht, dass du wirklich Lust darauf hast, Farfarello. Zumindest ich habe die nicht. Und sieh mal, du wärst ganz allein und niemanden würde es kümmern, was du tust und was mit dir passiert. Die Hölle ist der Ort, der von Gott am weitesten entfernt ist. Dort würde sie nicht mehr zu dir hinschauen.“

„Und denk doch mal weiter“, fuhr Brad fort. „In der Hölle kannst du Gott nicht strafen, weil es sie dann erst einmal nicht mehr interessiert, was du oder irgendjemand sonst macht. Um diese Seele muss sie sich dann nicht mehr kümmern.“

„Wenn du nicht in die Hölle kommen würdest, sondern dir erst mal das mit der zweiten Chance hier anhörst, gäbe es vielleicht die Möglichkeit, doch noch irgendwie in den Himmel oder so was in der Art zu kommen“, unterbrach Schuldig den Amerikaner einfach und setzte sein übliches, süffisantes Lächeln auf. „Stell dir mal vor, du wärst Gott ganz nah. Du willst Gott doch für alles strafen. Welche bessere Möglichkeit gäbe es denn da wohl genau das zu machen, wenn nicht genau die, quasi ihr neuer Nachbar zu sein? Farfarello, das ist die beste Chance, die du bisher hattest. Was würde Gott denn mehr strafen, als so gesehen genau vor ihren Augen alles das wieder zu tun, was du bisher schon unternommen hast? So kann es ihr doch überhaupt nicht mehr entgehen und muss ihr auffallen. Hinzu kommt ja noch, dass es ja schon eine Schande ist, wenn so schlechte Menschen wie wir überhaupt einen Fuß in diese göttlichen Gefilde setzen.“

Schweigend lauschte der Ire allem, was ihm erzählt wurde. Irgendwie schien es Sinn zu machen. Er dachte einige Minuten darüber nach und wog das Für und Wider sorgfältig ab. Dann nickte er und meinte leise: „Dann hören wir uns an, was es mit dieser Chance auf sich hat.“
 

Die vier jungen Männer traten gemeinsam vor den großen Mahagonischreibtisch und hefteten ihre Blicke auf die Frau, die dahinter saß. Sie hatte ihre Position während der Unterhaltung der anderen Anwesenden nicht verändert und die Hände lagen immer noch gefaltet vor ihr auf der Tischplatte. Aber auch sie heftete nun ihren Blick auf die vor ihr stehenden Personen und musterte einen nach dem anderen eingehend. Scheinbar wartete sie auf etwas.

„Wir sind uns einig“, begann Brad dann seine Erklärung. „Niemand von uns möchte jetzt eine vorschnelle Entscheidung treffen. Darum wüssten wir gern, wie über uns geurteilt wird.“

Das jüngste Gericht nickte und schlug die Akten auf. „Ich denke, ihr wisst alle was ihr in eurem Leben getan oder nicht getan habt. Eure Situationen sind sehr ähnlich und eure Entwicklung beruht wohl bei allen auf traumatischen Erlebnissen in der Kindheit. Ihr habt keine Achtung vor den Menschen, hegt sogar Hass und Rachegefühle gegen die Menschheit und die ganze Welt, die so grausam zu euch war. Ich erspare mir hier weiter ins Detail zu gehen, aber dass genau das nicht der richtige Weg ist, sollte euch klar sein. In Anbetracht dieser Tatsachen würde eure Strafe zur Verbüßung eurer Sünden das Fegefeuer sein, bis ihr entweder einsichtig werdet oder euch als eben dieses schlimme Übel bestätigt, wie es den Anschein hat. Bei ersterem würde euch dann vielleicht der Zugang zum Himmel gewährt, bei letzterem der Abstieg in die Hölle. Allerdings seid ihr alle vier vor eurer Zeit gemeinsam gestorben und hättet eigentlich noch einige Jahre auf der Erde zum Leben gehabt. Das eure Lebenskerzen längst nicht verloschen waren, kommt euch als mildernder Umstand zugute und ihr bekommt die Gelegenheit euch dem Fegefeuer fürs Erste zu entziehen und euch anders zu beweisen.“

’Kein Fegefeuer’ klang doch schon mal nicht schlecht, dachte Schuldig, da würde sie wahrscheinlich etwas Ähnliches erwarten, wie sie nur einige Minuten zuvor erlebt hatten. Waren das denn überhaupt Minuten gewesen? Er hatte jegliches Zeitgefühl verloren, es hätten genauso gut Stunden oder Tage gewesen sein können. Bevor er sich jedoch Gedanken darüber machen konnte, wie denn dieses ’anders beweisen’ aussehen könnte, begann das jüngste Gericht auch schon mit der Erklärung.

„Ihr werdet eine Aufgabe übernehmen, in der ihr euch um andere Menschen kümmert und nicht nur um euch selbst. So werdet ihr geprüft, ob eure Herzen wirklich so schwarz sind oder ob sie es Wert sind, gerettet zu werden. Ihr werdet jeder einem Menschen als Schutzengel zugeteilt. Wir achten natürlich darauf euch nicht auseinander zu reißen und euch so nah beieinander wie möglich zu stationieren. Wer genau eure Schützlinge sind steht nicht genau fest, aber ihr werdet es sehen, wenn ihr dort seid.“
 

Schwarz standen wir angewurzelt da und waren sprachlos, ihnen klappte sprichwörtlich die Kinnlade herunter, bei dieser Offenbarung. Sie fühlten sich total überrumpelt und starrten die Frau hinter dem Schreibtisch einfach bloß an. Schutzengel? Ausgerechnet sie? Auftragskiller? Todesengel wäre wohl eher der passende Beruf für ein Leben nach dem Tod für sie gewesen, wo sie doch so etwas schon zu Lebzeiten waren. Mal ganz abgesehen von der Tatsache, dass sie versucht hatten, das okkultistische Wiederbelebungsritual eines Dämons durch Eszett für ihre ganz persönlichen Rachefeldzüge gegen die Menschheit zu benutzen. Sich um andere Leute als sich selbst zu kümmern passte so überhaupt kein bisschen zu ihnen.

Schuldig hatte sich als erster wieder im Griff und platzte sofort mit seinen Fragen heraus. „Warum denn ausgerechnet Schutzengel? Ich glaube dafür sind wir denkbar ungeeignet. Zumindest ich bin dafür nicht geschaffen, glaube ich. Gibt es nicht irgendwie etwas anderes, was wir machen können?“

Das jüngste Gericht blieb vollkommen unbeeindruckt. „Das ist eure einzige Chance, die euch eingeräumt wird. Nebenbei bemerkt, eine erhebliche Abkürzung gegenüber dem Fegefeuer. Die Aufgabe als Schutzengel wird euch viel Verantwortung und Selbstlosigkeit abverlangen. Tugenden, denen ihr zu Lebzeiten leider keine Aufmerksamkeit geschenkt habt. Es gibt für euch nur diese eine Möglichkeit. Nehmt ihr an oder lehnt ihr ab?“

Bevor Schuldig nochmals ansetzen konnte zu protestieren und zu versuchen doch etwas anderes für sie heraus zu schlagen, presste Brad ihm eine Hand auf den Mund. Dem Anführer von Schwarz war klar, dass sie keine andere oder bessere Aussicht nicht in die Hölle zu müssen hatten, als diese. Und bevor sein etwas hitzköpfiger Begleiter etwas Unüberlegtes und Dummes sagen konnte, brachte er ihn lieber zum Schweigen.

„Wir nehmen an. Wir können es zumindest versuchen und wenn sich dann herausstellen sollte, das wir absolut untauglich sind, kann man immer noch über eine andere Alternative reden“, sagte er schnell, bevor Schuldig sich von ihm lösen könnte.

Die Frau hinter dem Schreibtisch nickte. „Gut, dann stelle ich euch jetzt Michael vor. Er wird euch dann eine kleine Einweisung geben und zurück zur Erde schicken.“
 

Im nächsten Augenblick wurde der Raum für einen kurzen Moment in gleißendes, warmes Licht getaucht. Zurück ließ es allerdings eine hochgewachsene, erhabene Gestalt, umgeben von einem goldenen Glanz, der ihr etwas Reines verlieh. Das von schulterlangen Locken umrahmte, androgyne Gesicht war zwar sanft, jedoch auch gleichzeitig markant geschnitten. Die Kleidung bestand aus einer einfachen Lederrüstung mit einigen goldenen Verzierungen, an der Seite hing an einem Gürtel ein Flammenschwert. Zwei imposante Flügel überragten die Gestalt und verlieh ihr somit ein ehrfurchteinflößendes Auftreten.

„Ich bin der Erzengel Michael“, stellte er sich vor, nachdem seine Erscheinung einige Sekunden lang auf die vier Schwarz-Mitglieder gewirkt hatte. „Ich bin schon seit Anbeginn der Zeit der Engel des Schutzes und werde euch in eure neue Aufgabe einweisen.“

„Wenn ich kurz unterbrechen dürfte“, warf das jüngste Gericht ein, „ich habe hier noch einiges zu tun. Es wäre nett, wenn ihr euch einen anderen Ort dafür suchen könntet, Michael.“

„Aber selbstverständlich“, antwortete der Erzengel lächelnd. „Ich hatte auch nicht vor, das hier zu machen. Wenn du uns dann entschuldigst.“

Mit diesen Worten tauchte er sich und seine neuen Anwärter abermals in ein sanftes Licht. Als es wieder verschwand, konnten Schwarz ihre Umgebung näher in Augenschein nehmen. Auch wenn es auf den ersten Blick nichts gab, was eine nähere Betrachtung verdient hätte. Um sie herum gab es nur Wolken.

„Gut, ich denke ihr wollt das hier genau so schnell hinter euch bringen wie ich“, begann Michael seine Einführung. „Eigentlich mache ich solche, na ja nennen wir es mal Workshops, immer mit vielen Anwärtern, anstatt nur mit Vieren. Aber ihr seid zu spät, ihr musstet ja unbedingt vorher noch ein bisschen in der Hölle rumspielen. Der erste Schwung für heute ist schon längst fertig und ich hab noch genug andere Sachen zu tun. Stellt euch darum bitte nicht blöder an, als ihr seid.“ Dabei glitt sein Blick zu Schuldig. „Auch wenn das gewisse Personen für ihr Leben gern tun. Versuchs erst gar nicht, wir sind knapp mit der Zeit.“

Schuldig holte tief Luft, er war empört. Was dachte dieses Federviech sich eigentlich? Er stellte sich überhaupt nicht dumm. Aber andererseits ... sich dumm zu stellen war doch immer noch besser, als es tatsächlich zu sein. Trotzdem passte es ihm nicht, er fühlte sich wie in der Grundschule und als ob der Lehrer ihn von der ganzen Klasse lächerlich machte, weil er eine ganz einfache Antwort nicht gewusste hat.

Dann platzte es einfach aus ihm heraus. „Ich stell mich überhaupt nicht blöde an! Das ist üble Verleumdung! Können wir das hier bitte schnell hinter uns bringen? Ich hab keine Lust dazu, mir länger so was anhören zu müssen.“

Er verschränkte die Arme vor der Brust und beschloss erst einmal beleidigt zu sein.

Nagi verdrehte leicht genervt die Augen. Sein Teamkollege konnte sich manchmal so kindisch anstellen. Aber es war ja nicht das erste Mal, dass ihm das auffiel. Und da bezeichneten sie ihn, das absolute Hackergenie und den maßgeblichen Planer ihrer Aktionen, als Kind und das nur wegen seines geringen Alters. Die Welt war schon ziemlich ungerecht, man sollte die Leute nicht nur nach solchen oberflächlichen Kriterien beurteilen.

„Wäre das alles was du zu sagen hast? Wenn ja, dann kann ich ja endlich mal mit meiner Arbeit anfangen und ihr dann mit eurer“, meinte der Erzengel trocken. Schuldigs Gehabe schien ihm nicht im Geringsten zu imponieren. „Hat noch jemand das dringende Bedürfnis sich mitzuteilen? Wenn ja, dann ist das hier jetzt die letzte Gelegenheit.“

Seine vier Schüler verneinten und so konnte endlich mit der kleinen Lehrstunde begonnen werden.
 

„Wie ja jeder weiß, ist es die Aufgabe eines Schutzengels einen bestimmten Menschen zu beschützen und vor Unheil zu bewahren. Das gestaltet sich manchmal allerdings schwieriger, als so mancher vielleicht annehmen mag. Zum Beispiel deswegen, weil Schutzengel einigen Regelungen unterworfen sind, die auf keinen Fall missachtet werden dürfen. Denkt immer daran, ihr seid zuerst Mal nur in einer Probephase. Wenn ihr euch grundlegend daneben benehmen solltet, werdet ihr sofort wieder vor das jüngste Gericht zitiert und das war es mit eurer Chance der Hölle zu entgehen. Klar soweit?“, fragte Michael in die Runde.

Einträchtiges Kopfnicken zeigte, dass sie zumindest diesen Teil schon mal verstanden hatten. Sogar Zwischengerede und dumme Kommentare von diversen Personen blieben vorerst aus. Was nicht hieß, dass besagte Person sich nicht so ihre Gedanken machte. Regeln ... immer nur Regeln.... für Schuldig waren Regeln da, um gebrochen zu werden und zu sehen wie weit man damit durchkam. In dieser Angelegenheit dürfte ihm Brad dafür allerdings gehörig auf die Füße treten.

„Gut“, fuhr er fort. „Für gewöhnlich sind Schutzengel für den Menschen unsichtbar und unhörbar, es sei denn, er zeigt sich ihnen von sich aus. Allerdings gibt es einige außergewöhnliche Menschen, die Engel und solche die es werden wollen, trotzdem sehen können. So etwas kann dann zu unangenehmen Irritationen führen, weshalb man solchen Menschen am besten aus dem Weg geht und wenn man ihnen doch begegnen sollte, am besten das Weite sucht. Letzteres allerdings nur, wenn man dadurch nicht seinen Schützling unbeaufsichtigt lässt oder sogar in Gefahr bringt. Generell sollten eure Schützlinge euch am besten gar nicht zu Gesicht bekommen. In Ausnahmefällen ist es gestattet, als andere Person aufzutreten, wenn der entsprechende Schutz ansonsten nicht gewährleistet werden könnte. Diese Fähigkeit beherrscht ihr anfänglich sowieso noch nicht, darum ist es müßig darauf näher einzugehen.“

„Ich habe da mal eine Frage“, unterbrach Schuldig den Vortrag. „Was haben wir denn als Schutzengel so für Kräfte? Kriegen wir unsere alten Kräfte, die wir als Menschen hatten, wieder zurück? Also ich meine Telepathie und so.“

„Dazu wollte ich gleich kommen. Sei nicht immer so ungeduldig“, maßregelte der Erzengel ihn.

„Also das wäre jetzt aber auch meine Frage gewesen“, warf Brad ein, um seinen Teamkollegen ein wenig in Schutz zu nehmen. Das tat er zwar sonst nie, aber im Augenblick und für die nächste Zeit mussten sie wohl noch enger zusammen halten als sonst.

„Wie auch immer, dazu kommen wir ja jetzt noch“, fuhr Michael fort. „Eure Kräfte beschränken sich fürs Erste auf einige Grundlegende Dinge, wie zum Beispiel diese Unsichtbarkeit. Ihr könnt ganz normal mit allen möglichen Dingen umgehen, alles anfassen und benutzen, wobei ihr euch dabei natürlich nicht erwischen lassen dürft. Ihr könnt Essen und Atmen, aber das müsst ihr nicht, schließlich seid ihr tot. Wenn es euch trotzdem Spaß macht, dann tut es halt, Probleme mit eurer Figur bekommt ihr dadurch ja nun nicht. Menschen gehen durch euch hindurch. Ihr könnt euch nicht verletzen. Waffen würden ebenfalls durch euch hindurch gehen, da mit ihnen beabsichtigt wird, andere zu verletzen und wenn das nicht eurem Schützling gilt, dann habt ihr euch aus so einer Angelegenheit heraus zuhalten. Ihr dürft und könnt nur euren zugeteilten Schützling beschützen und bei ihm eingreifen. Ansonsten habt ihr für diese Aufgabe nur die Kräfte zur Verfügung, die auch ganz normale Menschen haben.“

Die Vier warfen sich gegenseitig einige fragende Blicke zu. Nur Kräfte die ganz normale Menschen auch haben? Worin bestand da dann bitte der Vorteil, ein Schutzengel zu sein?

Schuldig meldete sich dann abermals zu Wort. „Also heißt das, im Prinzip können wir nichts, absolut rein gar nichts, sogar noch viel weniger, als zu der Zeit wo wir noch lebten. Hab ich das richtig verstanden? Wie soll man denn so bitte seine Aufgabe als Schutzengel richtig machen?“

„Ja, das hast du richtig verstanden.“ Der Erzengel nickte zustimmend. „Es ist korrekt. Ihr habt zunächst nichts anderes, außer eurem eigenen Können und eurem Verstand. Aber das hat seinen Grund. Wir werden euch beobachten, jeden eurer Schritte, alles was ihr anstellt und was ihr gut macht. Wir werden das genauso bewerten, wie euer Leben. Wenn ihr euch eurer Aufgabe zu unserer Zufriedenheit annehmt, dann bekommt ihr eure übernatürlichen Kräfte zurück, sowie weitere Kräfte die euch von Nutzen sein werden.“

Schuldig seufzte theatralisch gequält. Wie sollte er es nur ohne seine Fähigkeit aushalten? Er stöberte doch so gerne in anderer Leute Gedanken herum. Andererseits hatte das durchaus den Vorteil, dass er so mal wieder seine eigenen Gedanken mit Leichtigkeit von denen der anderen auseinanderhalten konnte, was ihm sonst meistens recht schwer fiel.

„Also heißt es: Ohne Fleiß kein Preis. Bezahlung nach Leistung“, stellte Brad trocken fest.

„Genau so ist.“

„Und wenn unsere Aufgabe hinlänglich erfüllt ist, werden wir Gott wieder nah sein?“, fragte Farfarello leise. Er hatte sich die ganze Zeit über still verhalten und den anderen zugehört. Der Weg war für ihn nebensächlich, einzig das Ziel war entscheidend: Gott so nah wie möglich zu sein, um sie wirkungsvoll strafen zu können.

„Ja, das ist ebenfalls korrekt“, stimmte Michael abermals zu. „Das hat das jüngste Gericht euch ja bereits erklärt, soweit ich weiß. Wir werden später über euch beratschlagen und wenn eure Sünden abgegolten sind, dann entrinnt ihr der Hölle und dem Fegefeuer.“

„Wenn das so ist, sollten wir keine Zeit vertrödeln und mit unserer Arbeit anfangen, wir haben einen Auftrag“, sagte Farfarello sachlich. Dieser Engel redete für seinen Geschmack viel zu viel. Je länger sie hier herumstanden und redeten, umso länger würde es dauern, Gott wieder strafen zu können.

Nagi hielt sich einfach aus dem ganzen Gespräch heraus und machte den Eindruck, ein wenig geistesabwesend zu sein. Er machte sich Gedanken darüber, für wen sie Schutzengel spielen sollten. Aber bei den vielen Menschen konnte das jeder sein, jemand den sie kannten oder jemand völlig fremdes. Letzteres wäre ihm vielleicht sogar noch etwas lieber gewesen.

„Also gut, da ihr es so eilig habt, schicke ich euch jetzt zur Erde, damit ...“

Weiter kam der Erzengel nicht, denn Schuldig unterbrach ihn schon wieder. „He! Moment mal! Nicht so voreilig. Wir sind doch jetzt Engel. Wo sind unsere Flügel? Ich will Flügel haben. Die brauchen Engel schließlich auch zum Fliegen und so ein Zeug.“

Michael zog eine Augenbraue hoch. „Fliegen? Ihr könnt bis zu einem gewissen Grad schweben, fliegen noch nicht. Und was die Flügel angeht: Ihr kriegt keine, die müsst ihr euch verdienen.“
 

Bevor Schuldig auch nur die geringste Gelegenheit bekam, zu widersprechen, brachte Michael sie auf die Erde zurück.

Die vier fanden sich in einem schlicht eingerichteten Wohnzimmer wieder.

„Hey! Was denkt der sich eigentlich? Ich war noch lange nicht fertig!“, protestierte der Deutsche lautstark, hören konnten Sterbliche ihn ja angeblich nicht, also war es egal.

Brad war es allerdings nicht so egal und er warf seinem Kollegen einen bösen Blick zu. „Der denkt sich, dass er ein alter, mächtiger Erzengel ist und dich mit einem Fingerschnippen vollkommen vernichten könnte, wenn er wollte. Also versuch mal dich ein kleines bisschen zurück zu halten, ansonsten mach ich das.“

Farfarello kicherte leise. Sie verhielten sich doch immer noch genau so, wie zu Lebzeiten. Hatten sie es denn immer noch nicht verstanden? Sie waren jetzt höhere Wesen ...

Der Jüngste von ihnen rollte nur wieder einmal auf seine altbekannte Art und Weise leicht genervt mit den Augen. „Lasst uns lieber herausfinden, für wen wir jetzt rund um die Uhr Babysitten müssen. Wir sollten unseren Job so schnell und so gut wie Möglich erledigen, wenn ihr mich fragt. Das effektivste Input-Output-Verhältnis, so wie immer eben.“

„Chibi, du redest schon wie Brad.“

„Immerhin zeigt das, dass er lernfähig ist. Ganz im Gegensatz zu einigen anderen Personen in diesem Raum“, warf Brad gewohnt trocken ein und rückte seine Brille zurecht.

„Genau. Und nenn' mich nicht andauernd Chibi!“

„Vielleicht solltet ihr mit der Streiterei aufhören, das bringt doch sowieso nichts“, bemerkte Farfarello gleichgültig. „Wir sollten mal sehen, wo und bei wem wir hier gelandet sind.“

Dass der Ire Recht hatte, mussten sie wohl alle, sogar Schuldig, eingestehen. Schweigend machten sie sich daran, zunächst ihre Umgebung eingehend zu begutachten. Ein Wohnzimmerschrank mit einer kleinen Vitrine an der einen Wand, in der Mitte ein kleiner Couchtisch mit einer bequem aussehenden Polstergarnitur darum, an der gegenüberliegenden Wand ein Fernsehtisch mit entsprechenden Geräten, daneben ein kleiner Schrank mit verschiedenen Videos und DVDs, an einer weiteren Wand ein großes Fenster und gegenüber dem Fenster die Zimmertür. Soweit überhaupt nichts Außergewöhnliches an diesem Wohnzimmer. Und wie es aussah, waren sie sogar wieder in Japan gelandet. Auf dem Wohnzimmertisch lag eine aufgeschlagene Fernsehzeitung und sie verriet sogar, welcher Tag gerade war.

Schuldig seufzte, als er das Datum sah. „Na wirklich Klasse, schon Freitag. Das heißt ich habe gestern meine Lieblingssendung verpasst.“

„Was hast du denn jetzt schon wieder für Probleme?“, fragte Brad, der erst jetzt die Zeitung sah. Er nahm sie näher in Augenschein und stutzte. „Was? Mitte Oktober? Das kann doch nicht sein. Das hieße doch ...“

„... das seit unserer letzten Mission mit unserem kleinen Unfall, fast zwei Monate vergangen sind“, ergänzte der junge Telekinet, der sich mittlerweile dazu gesellt hatte.

„Das ist doch unmöglich. Wir waren doch gar nicht so lange ... äh tot“, warf der Deutsche kopfschüttelnd ein.

Farfarello teilte seine Meinung dazu ebenfalls mit. „Scheinbar vergeht im Jenseits die Zeit ganz anders, als auf der Erde, im Reich der Lebenden. So etwas wie Zeitgefühl scheinen wir auch nicht mehr zu haben. Außerdem ist es doch vollkommen egal, oder? Wir haben was zu erledigen.“

Beinahe erschreckend, dass er immer Recht haben muss, dachte Schuldig und wandte sich ab. Irgendwie kam ihm das alles sehr bekannt vor, nur konnte er es nicht richtig einordnen. Darum beschloss er, sich noch etwas um zu sehen, vielleicht fiel es ihm dann wieder ein.

Einige Sonnenstrahlen fielen durch das Wohnzimmerfenster, bahnten sich ihren Weg durch die weißen Gardinen und reflektierten ihr helles Licht auf einem Gegenstand auf dem Fernseher. Nagi bemerkte den flüchtigen Lichtreflex nur aus dem Augenwinkel, trotzdem erregte das jedoch seine Aufmerksamkeit, so dass er sich umdrehte und zum Fernseher ging. Darauf entdeckte er ein kleines Foto mit einem silbernen, schmucklosen Rahmen. Der Junge trat näher und brachte sein Gesicht nah davor, um es eingehend zu betrachten. Einerseits war er über den Anblick überrascht, der sich ihm darbot, andererseits allerdings auch nicht. Es erschien ihm im Moment irgendwie logisch und nachvollziehbar, es ergab Sinn. Das nannte man wohl ausgleichende Gerechtigkeit.

„Jungs? Ich glaube ich weiß, wer unsere Schützlinge sind.“

Der Alltag im Haus

Wir sind keine Engel
 

Kapitel 3: Der Alltag im Haus
 

„Yohji!“, hallte ein lauter Schrei über den Flur.

Kurz darauf wurde die Zimmertür des Playboys von einem sehr aufgebrachten, braunhaarigen jungen Mann schwungvoll aufgestoßen. „Yohji verdammt, warum liegst du immer noch im Bett?! Ich hab dich mindestens schon einhundert Mal gerufen!“

Ken ging zum Fenster, schob die Vorhänge beiseite und gewährte so dem Sonnenlicht Einlass in Yohjis Zimmer. Dessen Reaktion bestand allerdings nur aus einem mürrischen Brummen, dicht gefolgt von dem Verstecken seines Kopfes unter dem Kissen.

„Oh Mann Yohji! Wie kann man nur so viel schlafen?! Steh endlich auf.“

Erbarmungslos riss der ehemalige Torwart dem anderen Mann die Decke weg, woraufhin sich dieser zusammenrollte. Ken ließ seinen Blick über den entblößten Körper schweifen. Als er merkte, dass sein Blick an einer bestimmten Stelle der wohlgeformten Figur hängen blieb, wandte er hastig den Blick ab und spürte, wie die Schamesröte in sein Gesicht schoss. Warum musste dieser Mann aber auch unbedingt nackt schlafen?

„Jetzt steh schon auf. Du hast Schicht im Laden und ich sehe überhaupt nicht ein, warum ich die Schicht schon wieder allein übernehmen soll“, ließ Ken den Wortschwall weiter auf ihn niederprasseln.

Yohji lugte schließlich doch unter seinem Kopfkissen hervor und sah sein Gegenüber verschlafen an. „Ken ... ich hab Kopfschmerzen. Geht das auch leiser?“, murmelte er schläfrig.

Kopfschmerzen waren noch die reinste Untertreibung. Ihm hämmerte der Schädel so sehr, dass er sich wünschte Ken wäre so wütend auf ihn, dass er ihm mit seinen Bugnuks den Schädel spaltete. Dann wäre er wenigstens die Schmerzen nach einem einzigen letzten Schmerz los. Dabei konnte er sich nicht einmal mehr daran erinnern, weshalb eigentlich tausende von kleinen unterschiedlichen Hämmern, wie zum Beispiel Schlosserhämmer, Gummihämmer, Vorschlaghämmer und Presslufthämmer, ein Konzert in seinem Kopf veranstalteten. So etwas nannte man dann wohl einen Filmriss...

Der braunhaarige Mann seufzte. „Wenn du aufstehst, bin ich auch leiser. Bei dir muss man schreien, sonst wirst du ja nicht wach. Also raus aus den Federn, die Arbeit macht sich nicht von allein.“

Scheinbar hatte Yohji keine andere Wahl als aufzustehen, eher würde Ken ihn vermutlich sowieso nicht in Ruhe lassen. Träge setzte er sich also auf und gähnte zunächst einmal ausgiebig. Er kratzte sich kurz am Kopf, was sein vom Schlaf zerzaustes Haar nur noch ein wenig mehr verwuschelte. Um es zumindest für den Augenblick zu bändigen, strich er sich die langen Strähnen hinter die Ohren. Dann wanderte sein Blick wieder zu dem ehemaligen Torwart, der immer noch bei ihm im Zimmer stand und ihn anstarrte. Als dieser die Augen des anderen auf sich ruhen spürte, fühlte er, wie ihm das Blut in den Kopf schoss und seine Wangen rot färbte. Unbewusst hatte er sein nacktes Gegenüber weiterhin genau inspiziert.

„Was starrst du mich so an? Noch nie einen nackten Mann gesehen? Hast du nicht irgendwie noch was unten im Laden zu tun?“, riss die Stimme des Playboys ihn aus seiner Starre.

„Doch, natürlich hab ich das“, stammelte Ken und verließ beinahe fluchtartig das Zimmer.
 

Yohji sah seinem jüngeren Kollegen etwas irritiert hinterher. Irgendwie benahm dieser sich in letzter Zeit merkwürdig, er würde wohl mal dringend mit ihm reden müssen. Dann schüttelte er den Kopf. Das hatte noch etwas Zeit, zuerst einmal brauchte er dringend eine Dusche, um richtig wach zu werden. Er stand von seinem Bett auf und ging zum Kleiderschrank. Als er die Türen öffnete, wurde er beinahe unter der ihm entgegen fallenden Wäsche begraben. Vielleicht sollte er Ayas Rat doch befolgen und endlich mal ausmisten und aufräumen. Ein weiterer Kleiderschrank war natürlich auch eine verlockende Alternative, über die es sich nachzudenken lohnte. Schaden konnte es bestimmt nicht, sich nach einem passenden Möbelstück für sein kleines Reich um zu sehen. Bei der Gelegenheit konnte er ja eigentlich auch gleich noch einige andere Neuanschaffungen machen. Eine Entscheidung war schnell getroffen, der Gedanke an Shopping überwog den ans Ausmisten bei weitem, er konnte sich sowieso nur schwer von irgendetwas trennen.

Schließlich zog Yohji einige Kleidungsstücke aus dem durcheinander und stopfte den Rest wieder so gut es ging zurück in den Kleiderschrank. Diesen schloss er dann schnell, damit nicht schon wieder etwas herausfallen konnte. Mit frischen Boxershorts, Socken, Jeans und Pullover bewaffnet ging er zur Zimmertür und wollte diese gerade öffnen, als ihm auffiel das er immer noch nackt war und so vielleicht besser nicht durchs Haus laufen sollte. Also zog er die Shorts kurzerhand an und verließ dann das Zimmer.

Mit ein paar Schritten durchquerte der junge Mann den Flur und brachte die Distanz zwischen seinem Zimmer und dem Bad hinter sich. Die Tür stand offen und gewährte bereits vom Flur aus einen Blick auf die noch feuchten Fliesen und den stellenweise durchnässten Duschvorleger. Offensichtlich hatte heute Morgen bereits jemand das Badezimmer überschwemmt. Und sehr offensichtlich konnte das nur eine Person gewesen sein, Ken. Allein der Umstand, dass auf dem Boden noch Shirt und Shorts eines Basketballteams, das Yohji nicht mal kannte, herum lag anstatt in den Wäschekorb geworfen worden zu sein, bestätigte seine Vermutung. Und da behaupteten immer alle, er wäre die größte Schlampe in ihrer Wohngemeinschaft und sollte mehr aufräumen. Das ärgerte den Playboy jetzt wirklich, immerhin brachte nicht einmal er es fertig, das Badezimmer in einem solchen Grad der Verwüstung zu hinterlassen. Oder? Yohji dachte darüber nach, ob er vielleicht doch schlimmer war, während er Kens Sachen wegräumte, um endlich duschen zu können. Ihm fiel nur eine Gelegenheit ein, bei der er ein schlimmeres Desaster angerichtet hatte. Schuld daran war aber nur der Alkohol, rechtfertigte er sich vor sich selbst, nur um sich im nächsten Moment zu fragen, warum er überhaupt über so etwas nachdachte? Es brachte doch sowieso nichts.

Yohji schloss die Badezimmertür hinter sich ab, legte seine Kleidung bei Seite, und begnügte sich damit, Ken gleich noch ein bisschen mit dieser Angelegenheit aufzuziehen. Er zog seine Boxershorts aus und stieg in die Duschkabine. Nachdem er den Vorhang zugezogen hatte, drehte er den Warmwasserhahn auf und stellte sich unter den Wasserstrahl.
 

Währenddessen war Ken wieder im Blumenladen. Glücklicherweise war vormittags nicht so viel Kundschaft im Laden. Der große Ansturm von Schulmädchen erfolgte ja erst um die Mittagszeit herum. Also war es prinzipiell nicht so schlimm, wenn Yohji verschlief. Trotzdem fand Ken, dass er etwas mehr Pflichtbewusstsein an den Tag legen und sich ein Beispiel an Omi nehmen konnte, schließlich konnte nicht jeder machen was er wollte.

Der ehemalige Torwart begann damit, einige Blumen zu gießen und überlegte, was er noch alles erledigen musste und was er bisher geschafft hatte. Dann hielt er inne. Hatte er das Bad, nachdem er seine morgendliche Dusche nach dem Lauftraining genommen hatte, wieder einigermaßen in seinen ursprünglichen Zustand versetzt? Wahrscheinlich schon, irgendwann bevor er verzweifelt versucht hatte Yohji aus dem Bett zu kriegen. Nächstes Mal sollte er es vielleicht einfach mit einem Eimer kaltem Wasser versuchen.

Er stellte die entleerte Gieskanne wieder beiseite, holte den Kehrbesen aus der Ecke und begann damit, den Laden durch zu fegen. Nebenbei schielte er mit einem Auge auf die Uhr. Yohji konnte sich wirklich mal etwas beeilen, er hatte ihn schon vor einer halben Stunde geweckt. Die Faulheit dieses hoffnungslosen Playboys war wirklich unglaublich und wurde wohl nur noch durch seine große Klappe übertroffen. Aber was machte er sich überhaupt Gedanken darüber, ändern würde er sich wahrscheinlich sowieso nie. Vollkommen vergebene Liebesmühe.

Die kleine Klingel, die über der Eingangstür angebracht war und das Eintreten eines neuen Kunden ankündigte, riss den jungen Mann aus den Gedanken. Er sah auf und schenkte der jungen Frau ein strahlendes Lächeln.

„Guten Morgen, wie kann ich Ihnen behilflich sein?“, fragte er zuvorkommend und stellte sofort den Besen wieder zurück an seinen Platz, um sich der Kundin zu widmen.

„Guten Morgen“, erwiderte sie ebenfalls lächelnd. „Ich hätte gerne einen hübschen Blumenstrauß mit Sonnenblumen, ich brauch ihn als Geburtstagsgeschenk für meine Mutter.“

Ken nickte verstehend und zeigte ihr einen Blumenstrauß in der Auslage, der mit Sonnenblumen, blauen Chrysanthemen, etwas Schleierkraut und grünen Blättern drapiert war. „Gefällt Ihnen der hier? Oder soll ich Ihnen lieber einen neuen binden?“

Die Frau begutachtete den Blumenstrauß eingehend und nickte dann. „Er gefällt mir. Aber wie lange liegt der denn schon hier? Ich hätte gerne frische Blumen, meine Mutter soll ja auch noch ein paar Tage etwas davon haben.“

„Der Strauß ist ganz frisch, ich habe ihn heute Morgen erst gebunden. Wir bekommen einen Teil unserer Blumen jeden morgen frisch vom Großhändler und einige anderen ziehen wir selbst in unserem Gewächshaus“, erklärte der junge Mann freundlich. „Aber wenn Sie möchten, kann ich Ihnen selbstverständlich gerne einen neuen binden. Das ist gar kein Problem.“

„Gut, dann hätte ich lieber einen neuen Strauß, wenn es Ihnen nichts ausmacht. Er soll dann auch etwas größer sein, vielleicht 2 Sonnenblumen mehr.“

Ken legte den fertigen Blumenstrauß wieder weg, fischte aus einem Behälter ein paar frische Sonnenblumen und zeigte sie der Kundin. „Sind die in Ordnung? Möchten Sie hier auch blaue Chrysanthemen dazu? Oder lieber andere Blumen?“

Die Frau überlegte kurz, während ihr Blick zwischen den Sonnenblumen in Kens Händen und dem fertigen Strauß hin und her wanderten. „Ja die gefallen mir. Und ich hätte den Strauß dann gerne so, wie den anderen, nur größer.“

„Kommt sofort“, sagte der Braunhaarige und suchte sich noch die übrigen Blumen und Blätter zusammen, die er für den Strauß benötigte. Als er alles gefunden hatte, nahm er seinen Platz hinter der Theke ein und fing an, die Blumen liebevoll zusammen zu stecken. Das Ergebnis seiner Arbeit zeigte er dann der Kundin und auf ihr zufriedenes Nicken hing, wickelte er den Strauß in Folie und klebte ein gekräuseltes Geschenkband mit einem Sticker des Blumenladenlogos darauf.

„Das macht dann 3.000 Yen, bitte“, erklärte er, woraufhin die Frau das Geld aus ihrer Geldbörse fischte und ihm entgegen hielt.

Ken überreichte ihr den Blumenstrauß, nahm das Geld entgegen und legte es in die Kasse. „Einen schönen Tag noch. Beehren Sie uns bald wieder.“

„Auf Wiedersehen“, erwiderte die Kundin und verließ das Geschäft.
 

„Und? Hast du wenigstens ihre Telefonnummer?“, erklang eine leicht ironische Stimme, aus der man das Grinsen geradezu heraushören konnte.

Der ehemalige Torwart schrak leicht zusammen und drehte sich zur Tür, in der Yohji lehnte und sich gerade die Sonnenbrille richtig auf die Nase schob. Auf diesen für ihn typischen Spruch, ging er schon gar nicht mehr ein. „Yohji! Was hast du schon wieder so lange gemacht? Du trödelst viel zu viel herum. Wirklich nicht zu glauben, was du für ein arbeitsscheuer Faulpelz bist.“

Der Ältere der beiden zog eine Augenbraue nach oben. „Ich hab nicht getrödelt. Wenn du nicht so eine Schlampe wärst, dann wäre ich viel früher hier gewesen. Aber leider musste ich erst die Überschwemmung im Badezimmer beseitigen, ebenso wie ich deine ganzen Klamotten zusammen suchen musste. Also reg dich bloß ab.“

Damit war für ihn die Sache erledigt. Er steckte sich eine Zigarette in den Mundwinkel, zündete sie an und nahm genussvoll den ersten Zug.

Ken hingegen lief tomatenrot an und wandte sich etwas verärgert von dem anderen Mann ab. Er war nicht über die große Klappe des anderen verärgert, ausnahmsweise hatte er schließlich mal Recht. Er hatte vergessen, das Badezimmer wieder in einen einigermaßen benutzbaren Zustand zu versetzen.

„Tut mit leid, Yohji“, murmelte er und sah nach, ob es schon Bestellungen für die Auslieferung gab.

Yohji winkte ab und wischte die Angelegenheit damit bei Seite. „Räum halt nächstes Mal deine Sachen wenigstens so weg, dass man nicht darüber stolpert.“

Da im Augenblick keine Kundschaft im Laden war, widmeten sich die beiden anderen Aufgaben. Ken verschwand nach einer Weile ins Gewächshaus, um ein paar frische Blumen zu schneiden.

Als das Telefon klingelte sah der unverbesserliche Playboy von dem Gesteck auf, das er gerade anfertigte und ließ von seiner Arbeit ab. Nach dem zweiten Klingeln hielt er auch schon den Hörer in der Hand und begrüßte die Person am anderen Ende gutgelaunt. „Koneko sumu le, einen wunderschönen guten Tag. Yohji Kudou am Apparat, was kann ich für Sie tun?“

Der junge Mann griff nach einem Zettel und einem Stift und notierte eifrig die Bestellung, endlich hatte er mal ein klein wenig Abwechslung, wenn auch nur für wenige Minuten. Er kritzelte noch schnell die Adresse dazu, wohin der Strauß ausgeliefert werden sollte und verabschiedete sich dann höflich. „Vielen Dank für Ihre Bestellung, wir liefern sie heute Nachmittag aus. Einen schönen Tag und ein schönes Wochenende wünsche ich noch.“ Dann hing er den Hörer wieder auf die Gabel.

Er kehrte zurück an die Theke und vollendete das Gesteck, dann machte er sich daran, den vor einigen Minuten bestellten Strauß zu binden.

„Wer macht heute eigentlich Auslieferung?“, fragte Yohji, als sein jüngerer Kollege mit einem Kübel Blumen in den Armen wieder den Verkaufsraum betrat.

„Ich weiß nicht genau. Aya glaube ich“, antwortete er und stellte den Kübel zu einigen anderen. „Guck doch auf den Plan, dann weißt du es.“

„Aya ... wo steckt der eigentlich?“

Ken verdrehte die Augen. „Der ist dran mit einkaufen und genau das macht er halt, damit du weiterhin deinen Kaffee trinken kannst. Du kannst dir auch gar nichts merken. Vielleicht solltest du weniger Alkohol trinken, ich hab das Gefühl der weicht langsam deine Birne auf.“

Das war zu viel, dieser Kerl schaffte es doch tatsächlich immer, ihm schon früh morgens die Laune zu verderben und heute hatte er sich sogar noch selbst übertroffen. „Wenn du schlechte Laune hast, dann lass das nicht schon am frühen Morgen an mir aus. Kein Grund direkt beleidigend zu werden“, sagte Yohji etwas gekränkt. Aber was sollte er auch anderes erwarten, Ken würde sich niemals ändern, genauso wenig wie er selbst. Sie würden sich ewig weiter streiten und gegenseitig aufziehen.

Ein wenig schuldbewusst sah der ehemalige Torwart auf den Boden. „Du hast ja Recht, tut mir leid.“

Der Ältere seufzte. „Ich meine, wenn du wirklich ein Problem hast, dann solltest du mit uns drüber sprechen und es nicht immer damit rauslassen, dass du mich angiftest. Man kann sich auch ganz normal mit mir unterhalten.“ Er schwieg für einen kurzen Augenblick und fuhr dann fort. „Hat das vielleicht was mit heute morgen, als du mich geweckt hast zu tun? Du hast da irgendwie ... abwesend gewirkt.“

Ken schoss schlagartig wieder das Blut in den Kopf und färbte sein Gesicht so rot wie eine Tomate. „Ich ... nein ... das hat überhaupt nichts damit zu tun.“ Sein halbherziger Versuch, zu einer Erklärung anzusetzen, scheiterte kläglich.

„Ken, du weißt ich hab immer ein offenes Ohr, wenn jemand ein Problem hat und ich kann es auch für mich behalten. Erste Regel: Verschwiegenheit“, sagte Yohji mit einem schelmischen Lächeln im Gesicht. „Das war so und das wird immer so bleiben. Einige Prinzipien hab ich trotzdem noch. Auch wenn man mich für einen hoffnungslosen Playboy und vor allem für einen Kindskopf, der nicht ein einziges mal in seinem Leben ernst sein kann, hält.“ Er zuckte gelassen mit den Schultern. „Aber dumm bin ich nicht und blind genauso wenig. Also was ist los, Ken? Du benimmst dich irgendwie eigenartig. Du träumst vor dich hin, bist manchmal noch geistesabwesender, als noch vor ein paar Monaten, du ... siehst die anderen und mich manchmal seltsam an, irgendwie ... sehnsüchtig. Und glaub mir, davon versteh ich was.“

Das Gesicht des anderen verfärbte sich noch dunkler rot, sofern das überhaupt noch möglich war. „Also, es hat nichts mit euch zu tun, nicht direkt. Ich bin nur ... ich hab nur ...“ Er fing an zusammenhangloses Zeug vor sich hinzustammeln. Es war ihm sichtlich unangenehm, dass ausgerechnet Yohji ihn darauf ansprach. Aber andererseits konnte vielleicht gerade er ihn in seiner jetzigen Situation am besten verstehen, immerhin hatte er viel Erfahrung und hatte noch so lange an Asuka gehangen.

Der Ältere der beiden seufzte leise. „Ich weiß, dass du wohl am ehesten mit Omi reden würdest. Aber der ist halt grade nicht hier und ich finde, du solltest doch endlich mal loswerden, was dir auf der Seele liegt. Das kann sich ja kein Mensch mehr mit ansehen. Außerdem ist im Moment sowieso nichts los und wir sind unter uns. Reden hilft manchmal, das kann sehr befreiend sein.“

Ein schabendes Geräusch ertönte, als Ken einen Stuhl von dem Tisch, der im Laden stand, wegzog und sich darauf niederließ. „Wenn ich es dir erzähle ... versprichst du mir dann, wirklich niemandem etwas davon zu sagen?“ Er sah den Mann hinter der Theke eindringlich an. Die Schamesröte war nun wieder weitestgehend aus seinem Gesicht gewichen, um Unsicherheit Platz zu machen.

„Ich verspreche es“, Yohji kam hinter der Theke hervor und setzte sich zu seinem Freund. „Und wenn ich etwas verspreche, dann halte ich es auch. Aber so schlimm kann es ja wohl nicht sein.“

Sein Gegenüber nickte und atmete einmal tief durch, bevor er mit seiner Erzählung ansetzte. „Also, ob es schlimm ist, liegt denke ich immer jeweils im Auge des Betrachters. Es gibt bestimmt Leute, die so was missbilligen und vielleicht sogar abstoßend finden ... und ehrlich gesagt halte ich dich für jemanden dieser Art Leute, Yohji.“

Ken schwieg einen Augenblick, um zunächst die Reaktion des anderen abzuwarten. Die beschränkte sich jedoch bloß auf Platzieren des Ellenbogens auf der Tischplatte und ein Aufstützen des Kopfes auf seine Hand. Da er scheinbar doch Kritik ertragen konnte, wenn es um etwas Ernstes ging, ohne gleich einen Aufstand wie ein Kleinkind zu veranstalten, fuhr Ken fort. „Ich bin halt mit meinen Gedanken in letzter Zeit manchmal woanders, weil ich sehr oft an jemanden denken muss. Aber wie gesagt, keine Angst, das hat nicht direkt was mit euch zu tun, auch wenn ich euch manchmal blöde anstarre.“

Yohji nickte zustimmend. Kaum zu glauben, dass ihm das sogar mal selbst aufgefallen war. „Ja, das tust du allerdings. Und da macht man sich eben so seine Gedanken, was mit unserem Ken-Ken los sein könnte. Aber erzähl weiter, ich will wissen warum ich jetzt so jemand bin, der Sachen abstoßend findet.“ Vor allem interessierte ihn aber, um was für Sachen es sich handelte.

„Wie gesagt, denke ich halt sehr oft an jemanden ... an jemanden, den ich schon einige Zeit weder gesehen, noch etwas von ihm gehört habe. Und darum mach ich mir eben Sorgen, was mit ihm ist. Und ja, du hast richtig gehört: ihm. Wir reden hier von einem Mann. Ein Mann, in den ich mich verliebt habe und das schon vor einigen Monaten“, erklärte Ken und schaute dabei verlegen auf die Tischplatte.

Der Mann mit dem honigfarbenen, zusammengebundenen Haar lauschte Aufmerksam den Ausführungen des anderen. Dann zog er eine Augenbraue nach oben und sah ihn fragend an. „Und wann kommt die Stelle mit den abstoßenden Sachen? Ich dachte schon es wäre was Schlimmes.“ Er lächelte aufmunternd. „Du bist verliebt, das ist doch was Schönes. Und das es ein Kerl ist, ist doch ziemlich nebensächlich, finde ich. Hauptsache ist doch, dass man mit demjenigen glücklich wird.“ Nachdem er den letzten Satz gesagt hatte, hielt er einen Augenblick inne und fuhr etwas erschrocken fort. „Oh mein Gott, das ist es. Ihr könnt nicht glücklich werden. Er hat rausbekommen, was du wirklich machst und meldet sich deswegen nicht mehr bei dir. Du willst Weiß verlassen, oder?“

Ken weitete ungläubig die Augen und schüttelte heftig den Kopf. „Nein, nein. Das ganz bestimmt nicht. Darum geht es nicht, Yohji. Es hat glaub ich weniger mit Weiß und mit dem was ich mache zu tun. Ich glaube, ihm ist etwas Schlimmes zugestoßen. Er meldet sich nicht und ich kann ihn nicht erreichen, egal was ich probiere.“

„Hm ... hast du vielleicht mal probiert ein paar Freunde von ihm zu finden und zu fragen? Oder mal bei ihm auf der Arbeit nachgeforscht? Sollen wir dir da vielleicht ein bisschen unter die Arme greifen?“ Yohjis Lippen formten sich zu einem hämischen Grinsen. „Du weißt doch, wenn es um die Liebe geht, bin ich der Letzte, der irgendjemandem Steine in den Weg legt oder Hilfe verweigert.“

„Das ist lieb von dir“, der Braunhaarige lächelte leicht. Auf die ersten Fragen des anderen ging er überhaupt nicht ein, er wusste nicht, was er darauf hätte antworten sollen. „Ich hatte schon Angst du würdest irgendwie ... na ja, komisch reagieren oder so was oder vielleicht nichts mehr mit mir zu tun haben wollen. Jetzt weißt du ja, was los ist und sag es bitte nicht den anderen, denk dran, du hast es versprochen.“

Der andere Mann schüttelte energisch den Kopf, so dass ihm einige gewellte Strähnen schwungvoll ins Gesicht flogen. „Nein, ich habe doch gesagt, dass ich es für mich behalte und daran halt ich mich auch. Was wäre ich für ein Freund, wenn ich das nicht täte? Und das mit dem komisch reagieren wegen dieser ach so schlimmen Sache ... Also manchmal wunder ich mich doch darüber, was ihr immer so von mir denkt. Was hätte ich denn deiner Meinung nach sagen oder machen sollen? Hätte ich wild gestikulierend aufspringen und lautstark verlangen sollen, das man dich exorziert und dir den Teufel austreibt, weil homoerotische Beziehungen Blasphemie sind?“ Er lachte leise und schien sich über diese Vorstellung köstlich zu amüsieren. „Tut mir leid, dass ich dich da enttäuschen muss, Ken, aber da bist du bei mir an der falschen Adresse. Ich finde, das ist mittlerweile genau so normal, wie pseudo-normale Männlein-Weiblein-Beziehungen. Nur weil ich allseits als Playboy bekannt bin, heißt das nicht, dass ich nicht schon einiges ausprobiert hab. Und das ist etwas, was du jetzt für dich behältst, sonst werde ich doch als Womanizer nicht mehr ernst genommen und müsste dir leider den Hals umdrehen“, schloss er grinsend und schob seinen Stuhl zurück, um aufzustehen.

Yohji erhob sich und schob den Stuhl wieder an seinen Platz zurück. Er lächelte seinen verdutzten Freund noch einmal an. „Aber zumindest weiß ich jetzt, warum du mich heute morgen so genau inspiziert hast. Sehe ich deinem Geliebten etwa ähnlich?“

Kens Gesichtsausdruck wechselte von verblüfft über Yohjis Redeschwall zu belustigt. „Nein, nicht im geringsten. Aber es ist nicht abzustreiten, dass ihr beide gut gebaut seid“, fügte er leise schüchtern hinzu.

„Werde deinem Liebsten aber bloß nicht untreu, obwohl ich weiß, dass so etwas schwer fällt, wenn man jemanden wie mich immerzu um sich herumschwirren hat“, sagte der andere lachend und nahm wieder den Platz hinter der Theke in Anspruch, um den Blumenstrauß für die zuvor aufgenommene Bestellung fertig zu binden.

Kopfschüttelnd stand nun auch der ehemalige Torwart auf. „Du bist wirklich unverbesserlich ... und unglaublich von dir eingenommen.“

„Na immerhin verkrieche ich mich nicht in einem Schneckenhaus, so wie du. Also sieh zu, dass du die Sache mit deinem Schneckchen schnell wieder auf die Reihe kriegst, damit solches zurückziehen zu zweit wieder Sinn macht.“ Ein zweideutiges Grinsen umspielte seine Lippen, während Ken wieder das Blut ins Gesicht schoss und dieses vor Scham rot färbte. „Wenn er sich nicht meldet, versuch du ihn zu finden. Wenn es sein muss, rede mit seiner Mutter oder seinem Ex, da kann man schon mal was erfahren. Das Angebot, dir dabei zu helfen, steht übrigens immer noch.“

„Danke Yohji, ich werde darauf zurückkommen. Aber ich hoffe mal, dass sich das erübrigt.“ Und das hoffte er wirklich, die ganze Wahrheit konnte er ihm schließlich doch nicht sagen.
 

Aya fuhr gegen Mittag mit seinem Wagen wieder bei dem Blumenladen Koneko sumu le vor, die Einfahrt hinauf und parkte seinen weißen Porsche dort. Nachdem er den Motor ausgestellt hatte, stieg er aus und schloss zunächst den Hintereingang zum Koneko und ihrer Wohnung auf. Dann widmete er sich dem Kofferraum und öffnete diesen. Bepackt mit unzähligen Einkaufstaschen betrat er die Wohnung und stieß die Tür hinter sich mit dem Fuß ins Schloss. Die Schuhe streifte er ebenfalls mit den Füßen ab, schlüpfte in seine Pantoffeln und hatte Mühe bei der ganzen Aktion das Gleichgewicht zu halten, so vollbeladen wie er war. In der Küche angelangt, stelle er die Taschen auf dem Küchentisch und dem Boden ab, wo gerade Platz war. Dann machte Aya sich daran die Taschen auszupacken und zuerst die verderblichen Lebensmittel in den Kühlschrank einzuräumen, den Rest verstaute er im Vorratsschrank. Duschgel, Shampoo und Toilettenpapier brachte er danach direkt ins Badezimmer, wobei er bemerken musste, dass schon wieder jemand vergessen hatte, nach dem Duschen wenigstens kurz zu lüften. Das konnte ja mal wieder nur entweder Ken oder Yohji gewesen sein, ging es ihm durch den Kopf, als er das Fenster öffnete, um frische Luft in den Raum zu lassen. Wie oft sollte er ihnen eigentlich noch predigen, dass bestimmte Dinge selbstverständlich waren und einfach gemacht werden mussten? Wahrscheinlich mindestens eine Million Mal und es würde doch nichts helfen.

Leise seufzend wandte der Rotschopf sich vom Badezimmer ab und ging in sein Zimmer. Er ließ die Tür leise hinter sich ins Schloss fallen, lehnte mit dem Rücken dagegen und schloss für einen Moment die Augen. Er wollte noch einen Augenblick die Ruhe genießen, bevor er wieder nach unten in die Küche ging, um das Mittagessen vorzubereiten. Denn wenn dann die anderen beiden, die jetzt noch im Blumenladen arbeiteten, dazu kamen, dann war es gewiss wieder um die Ruhe geschehen. Irgendjemand wollte dann bestimmt wieder etwas von ihm, Aya dies, Aya das.

... Aya.

Der junge Mann merkte, wie seine Gedanken wieder einmal abschweiften und eine Richtung annahmen, in die er sie nicht gerne einschlagen ließ.

... Aya ...

Er bat seine Freunde ihn immer noch so zu nennen. Denn Ran war längst tot. Der Junge, der er vor seinem Eintritt bei Weiß, der er vor dem Tod seiner Eltern und dem ‚Unfall’ von Aya-Chan gewesen war, war er schon lange nicht mehr. Er hatte es nicht mehr gewagt, seiner geliebten Schwester, für die er die ganze Zeit über gekämpft hatte, unter die Augen zu treten, konnte es einfach nicht. Er hatte sich zu sehr verändert, zu viel Blut klebte an seinen Händen, zu viele Sünden lasteten schwer auf seinen Schulten. Vor einem knappen halben Jahr, nach der Zerschlagung von Eszett durch Weiß, durch ihre Hand, hatte er Sakura um einen letzten Gefallen gebeten. Sie sollte Aya-Chan sagen, dass ihr Bruder bei dem Versuch sie zu retten gestorben war, ihr aber seine ganzen Ersparnisse hinterließ, damit sie ihren Traum verwirklichen konnte. Danach hatte er es vermieden, die junge Sportlerin wiederzusehen, ebenso wie seine Schwester.

Der Rotschopf erinnerte sich daran, wie er am Flughafen stand und dem Flieger nach Österreich noch lange hinterher sah, obwohl dieser bereits nach einigen Minuten außer Sichtweite gelangt war. Wie gerne hätte er seine Schwester einfach in die Arme geschlossen und mit ihr ein normales Leben geführt. Aber die Erkenntnis, dass dies nicht möglich war, hatte ihn schließlich doch eingeholt und überwältigt, trotz seiner Versuche sie die ganze Zeit zu verdrängen. Auch wenn es ihn selbst immer noch schmerzte, für Aya-Chan war es seiner Meinung nach das Beste. So konnte Ran zumindest in ihrer Erinnerung als der Junge weiter existieren, der er vor einigen Jahren gewesen war. Die Realität wollte er seiner Schwester ersparen und dies schien ihm der beste Weg. Es war sein Kreuz, so wie alle von ihnen ihr Kreuz zu tragen hatten, darum waren sie Weiß.
 

Aya schüttelte den Kopf und versuchte seine trübsinnigen Gedanken wieder beiseite zu schieben. Es brachte doch nichts immer wieder darüber nach zu denken. Er hatte das Richtige getan, ganz bestimmt. Zwar hatte er so letztendlich doch noch seine ganze Familie verloren, aber er hatte in Weiß zumindest so etwas Ähnliches wie eine neue gefunden.

Das erinnerte ihn nach einem flüchtigen Blick auf die Uhr daran, dass es in weniger als einer halben Stunde ein paar hungrige Mäuler zu stopfen gab. Zeit um sich auszuruhen hatte er also doch keine mehr. Er war viel länger unterwegs zum Einkaufen gewesen, als er gedacht hatte. Irgendwie schienen aber auch immer genau dann alle Leute einkaufen zu wollen, wenn er an der Reihe war.

Aya verließ wieder sein Zimmer und ging die Treppe hinunter in die Küche. Dort bemerkte er erst jetzt, dass jemand sein Frühstücksgeschirr nicht abgespült hatte. Als er die Einkäufe verstaut hatte, war es ihm zunächst gar nicht aufgefallen. Funktionierte in diesem Haushalt denn rein gar nichts, wenn er nicht zu Hause war?

Er beschloss etwas zu kochen, was schnell ging und nicht so viel Arbeit machte. Nachdem er einen Topf mit Wasser aufgesetzt hatte, legte er sich alle Zutaten, die er für eine Nudelsuppe brauchte, schon einmal bereit. Seufzend machte er sich daran das schmutzige Geschirr abzuspülen, während das Wasser langsam anfing zu kochen.
 

Aya nahm gerade den Topf mit der fertigen Nudelsuppe vom Herd, als Ken und Yohji die Küche betraten.

„Endlich Mittagspause", stöhnte der Playboy gequält. „Wurde auch mal Zeit."

„Stell dich nicht immer so an, so viel war heute Vormittag auch nicht zu tun", rügte ihn der Mann, der mit ihm die Küche betrat.

Der Rotschopf, der gerade den Topf auf einen Untersetzer auf dem Küchentisch abstellte, störte sich nicht an ihren Streitereien. Er war es ja mittlerweile gewöhnt. „Wie wäre es, wenn ihr euch nützlich macht und den Tisch deckt? Wenn ihr schon nichts anderes macht und ich euch noch überall hinterher räumen darf?"

„Aye, Aye, mon capitaine", antwortete Yohji mit aufgesetztem, französischem Akzent, stand straff vor seinem Leader und salutierte. Begleitet von Kens unterdrücktem Prusten und einigen skeptischen Blicken Ayas, holte er das Geschirr aus dem Schrank und deckte den Tisch für sie drei.

„Was meinst du denn mit hinterher räumen?“, fragte Ken neugierig. Er war sich keiner Schuld bewusst.

Leise seufzend setzte Aya sich an seinen Platz und schüttelte leicht den Kopf. „Nur das ihr beide absolut unfähig seid, auch nur die minimalsten und selbstverständlichsten Dinge zu tun. Wie zum Beispiel das Badezimmer aufräumen und zu lüften oder das Frühstücksgeschirr zu spülen.“

„Ich hab nicht gefrühstückt“, warf Yohji sofort abwehrend ein und setzte sich ebenfalls an den Tisch. „Das mach ich nie, wenn man mich so früh aus dem Bett wirft. Ich konnte ja heute Morgen nicht mal einen Kaffee trinken, weil wir keinen mehr da hatten. Hast du eigentlich neuen mitgebracht?“

Ken lächelte jetzt doch etwas schuldbewusst und setzte sich als letzter. „Das mit dem Geschirr war dann, glaub ich, wohl doch ich. Aber das Badezimmer hat Yohji als letzter benutzt.“

„Denkt einfach das nächste Mal daran, es zu machen. Ich hab keine Lust, ewig euren Dreck wegzumachen, ihr seid alt genug das selber zu tun. Kaffee haben wir übrigens auch wieder. Und jetzt guten Appetit.“

Nachdem sie sich alle eine Portion der Suppe genommen hatten, wünschten sie sich gegenseitig einen guten Appetit und begannen zu essen.
 

Während die Weiß-Mitglieder noch beim Mittagessen saßen, betrat Omi die Küche und zog die Blicke dreier fragender Augenpaare auf sich.

„Warum bist du schon so früh zu Hause? Hast du nicht eigentlich länger Schule?", fragte Aya und musterte den Jungen. Er sah irgendwie bleicher aus als sonst, scheinbar ging es ihm nicht sehr gut.

„Der Lehrer hat mich nach Hause geschickt. Mir war ein bisschen schlecht und ich habe Kopfschmerzen. Außerdem hab ich im Sportunterricht nicht beim Badminton mitspielen können, weil mir irgendwie der Arm wehtat. Ich glaube, ich habe ihn mir verrenkt oder so etwas, jetzt geht’s aber wieder. Er hat mich zuerst ins Krankenzimmer geschickt, aber dann sollte ich doch nach Hause", erklärte ihr Jüngster und kratzte sich ein wenig verlegen am rechten Arm.

Yohji sah ihn besorgt an. „Hoffentlich wirst du nicht krank, du siehst etwas blass aus. Deinen Arm solltest du eventuell ein paar Tage schonen. Vielleicht solltest du morgen zu Hause bleiben, ich ruf in der Schule an." Er warf einen schnellen Blick zu ihrem Leader, um festzustellen, ob seine Entscheidung in Ordnung war.

Dieser nickte, womit erst einmal beschlossen war, dass Omi nicht in die Schule musste. "Nimm dir einen Teller und iss etwas Suppe mit."

„Nein, ich werde schon nicht krank, ich bin vielleicht nur etwas übermüdet, weil ich gestern noch so lange recherchiert habe", antwortete er und nahm sich dann wie geheißen ebenfalls einen Teller und setzte sich zu seinen Freunden an den Tisch, um zu essen. „Das mit dem Arm ist auch schnell wieder okay. Das habe ich manchmal, wenn ich ihn zu überstrapaziere. Und Badminton ist halt ein Sport, der sehr auf die Arme geht.“

Jetzt mischte auch Ken sich ein. Wenn es seinem besten Freund nicht gut ging, machte er sich schließlich ebenfalls Sorgen und musste natürlich auch etwas dazu sagen. „Du solltest vielleicht wirklich mehr schlafen. Bleib morgen zu Hause wie Yohji gesagt hat, für die Hausaufgaben kannst du ja einen Klassenkameraden anrufen und sie dir vorbeibringen lassen. Ich glaube nicht, dass die anderen beiden etwas dagegen haben, wenn du heute Nachmittag nicht im Laden mithilfst."

Da die damit gemeinten ihre Zustimmung gaben, nickte auch Omi wortlos und löffelte weiter seine Suppe. Am besten legte er sich gleich direkt ins Bett, um den Schlafmangel zumindest ein bisschen auszugleichen. Allerdings nicht ohne vorher das ganze Haus nach Kopfschmerztabletten und der Salbe für Sportverletzungen, Prellungen und Zerrungen aller Art abzusuchen.

„Vielleicht solltest du auch in der Schule beim Sportunterricht nicht mitmachen, solange ihr Badminton spielt, wenn du deine Arme dabei so sehr strapazierst, dass du Schmerzen hast. Falls du dich dabei verletzen solltest, würdest du auch bei Missionen ausfallen“, ergänzte Aya, ohne von seinem Teller aufzusehen. „Ich werde mit Manx darüber sprechen, damit sie dir ein ärztliches Attest besorgt.“

Der blonde Junge sah erstaunt zu seinem Tischnachbarn auf. „Also so schlimm, dass ich in der Schule kein Sport mehr machen kann, ist es ja nun auch nicht. Ich war heute nur nicht ganz bei der Sache, weil ich müde war und hab mich darum falsch bewegt. Ansonsten ist es doch eigentlich eine ganz gute Ergänzung, um im Training zu bleiben. Ich muss schon nicht vom Sport freigestellt werden, Aya.“

Ohne ein Wort zu sagen, sah der Rothaarige auf und direkt in zwei große, blaue Augen. Einige Augenblicke starrten sich die beiden Augenpaare lediglich an. „Du wirst vorerst in der Schule keinen Sport machen, Omi. Wenn du dir wirklich etwas ernsthaft verrenkst oder zerrst, bist du uns keine große Hilfe, wenn du weder deine Dartpfeile oder deine Armbrust festhalten, noch die Arbeit am Computer weiter machen kannst.“ Sein Blick duldete keine Widerrede, wenn es um die Vorbereitung von Missionen und die Sicherheit des Teams ging, gab es für ihn keine Kompromisse.
 

Schwarz scharrten sich um das Foto und betrachteten es eingehend. Die vier jungen Männer die darauf zu sehen waren, kannten sie nur all zu gut: Weiß.

Brad atmete tief ein, nur um sich kurz darauf zu fragen, warum er das tat. Er war tot, er brauchte nicht zu atmen. „Weiß also. Und für jeden ist ein Schützling vorgesehen. Wie finden wir heraus wer für wen bestimmt ist?“

Ratloses Schulterzucken war die Antwort.

„Wirklich bestimmt ist es ja nicht“, meinte Schuldig dann. „Wenn es das wäre, dann hätte man uns das auch schon direkt gesagt und nicht so eine Wischiwaschibehauptung wie ’Ihr werdet es sehen’ im Raum stehen gelassen.“

„Wie wäre es, wenn wir einfach Streichhölzer ziehen?“, schlug Nagi vor. „Das ist die einfachste und schnellste Lösung. Außerdem hat dabei niemand von uns einen Vorteil, unsere Fähigkeiten haben wir schließlich nicht mehr.“

Farfarello sagte gar nichts dazu, also wurde der Vorschlag des jungen Japaners angenommen.

Schuldig sah sich um. „Okay. Und wo kriegen wir jetzt Streichhölzer her?“

Bevor jemand antworten konnte, machte er sich auch schon daran, alles abzusuchen und fand nach einer Weile sogar eine Schachtel.

„Wie teilen wir das auf? Ich würde sagen wir brechen drei Streichhölzer unterschiedlich ab. Eins lassen wir ganz, das ist Abyssinian. Bei einem brechen wir den Kopf ab, das ist Balinese. Das dritte wird auch geköpft, aber kürzer gemacht, das ist dann Bombay. Und das letzte behält den Kopf, wird aber am anderen Ende abgebrochen und steht für Siberian. Vorschlag angenommen?“, fragte der Deutsche und erntete zur Antwort stummes Kopfnicken.

Also wurden die Streichhölzer wie Beschrieben geköpft und gekürzt. Brad hielt sie dann in seiner Hand, so dass von jedem nur das hintere Stück herausschaut und auf gleicher Höhe mit den anderen lag.

Nagi zog als erster seinen Kandidaten, da es seine Idee gewesen war, ließen die anderem ihm großzügig den Vortritt. Als die anderen drei Männer ebenfalls ihre Wahl getroffen hatten, verglichen Sie die Streichhölzer, um festzustellen, wer jetzt welches Weiß-Mitglied als Schützling hatte.

„He klasse, ich habe Kudou abbekommen“, stelle der Mann mit dem langen Haar erfreut fest. „Partys, Nachtleben, lange weggehen, noch viel länger schlafen ... besser konnte ich’s glaube ich nicht treffen.“

Nagi schaute dafür etwas missmutig auf sein völlig intaktes Streichholz und seufzte leise. „Na ganz toll. Ich hoffe er hat immer noch keine Hobbys und sitzt am liebsten zu Hause und liest, wenn es keine Mission gibt.“

Brad hatte das kleinste Holzstück, das Omi symbolisierte gezogen, sagte dazu jedoch nichts. Allerdings dachte er sich seinen Teil und war zumindest froh darüber seine Zeit mit dem Weiß-Mitglied zu vergeuden, dass seiner Meinung nach den meisten Grips hatte.

Demzufolge war Farfarellos Schützling Ken und er schien keine Meinung dazu zu haben, zumindest keine die den anderen offensichtlich gewesen wäre, denn er schwieg ebenfalls und verzog keine Miene.

Er drehte sich einfach um und ging aus dem Wohnzimmer. „Dann gehen mal wir an die Arbeit.“

„Das müssen wir dann wohl“, seufzte Schuldig. „Ist aber bisher ziemlich ruhig hier, vielleicht sind sie gar nicht zu Hause.“

„Hast du schon mal auf die Uhr gesehen?“, fragte Nagi ein wenig stichelnd. „Wahrscheinlich sind sie in ihrem Blumenladen, vermute ich mal. Schließlich versuchen sie ja noch so etwas wie Tarnung aufrecht zu erhalten.“

Brad nickte. „Durchsuchen wir einfach mal das Haus.“ Mit diesen Worten wandte auch er sich ab und verließ, gefolgt von seinen beiden anderen Kollegen, das Wohnzimmer.

Get this Party started

Wir sind keine Engel
 

Kapitel 4: Get this Party started
 

Schwarz verließen nacheinander das Wohnzimmer und begaben sich auf die Suche nach ihren Schützlingen. Farfarello, der vorausgegangen war, fand nach kurzer Zeit die Gesuchten. Er blieb im Türrahmen stehen und betrachtete argwöhnisch die vier am Tisch sitzenden Gestalten. Dann trat er einen Schritt auf den Flur zurück und rief die anderen zu sich. „Ich habe sie gefunden."

Als die anderen zu ihm aufgeschlossen hatten, betraten sie die Küche.

Schuldig seufzte. „Also jetzt müssen wir wohl die ganze Zeit an ihnen kleben." Es passte ihm zwar nicht, aber mittlerweile hatte er akzeptiert, dass es ihre einzige Möglichkeit war. Immerhin hatte er nicht das schlimmste Los gezogen. Ken, zum Beispiel, wäre ihm um einiges unsympathischer gewesen, er hasste Fußball. Und Aya wäre ihm definitiv zu langweilig gewesen, der hatte doch nichts anderes im Kopf als seine Schwester und seine Arbeit. Omi wäre vielleicht auch noch akzeptabel, auch wenn man sich neben so viel geballter Intelligenz wohl über kurz oder lang leicht minderbemittelt vorkam. Das war ja schon bei Nagi so, wenn er zu viel Zeit mit ihm verbrachte. Nicht, dass er das jemals zugeben würde, immerhin war er das Mastermind mit einem zum Durchschnitt gesehenen nicht unbeachtlichen Intelligenzquotienten.

Nagi ging zu Aya hinüber, stelle sich neben seinen Stuhl und betrachtete ihn kurz. "Irgendwie weiß ich immer noch nicht genau, was wir hier eigentlich tun sollen. Ich meine, bisher konnten sie ja eigentlich auch ganz gut auf sich alleine aufpassen."

„Vielleicht hatten sie vorher andere Schutzengel und die machen jetzt etwas anderes oder sind bei Gott", mutmaßte Farfarello und zuckte mit den Schultern.

„Oder es wird für sie gefährlicher, so dass sie auf sich allein gestellt nicht mehr überleben würden", meinte Brad und zuckte ebenfalls die Achseln. „Im Prinzip ist es doch auch eigentlich egal. Wir sind hier und haben einen Job zu erledigen. Wie auch immer der im Detail aussehen mag. Passt halt penibel auf sie auf."

Omi stand von seinem Platz auf und begann damit, das Geschirr zusammen zu räumen.

„Lass mal bleiben", sagte Yohji lächelnd und nahm ihm das Geschirr aus der Hand. „Ich mach das schon, du marschierst auf dein Zimmer und schläfst dich erst mal aus."

„Danke, Yohji-kun, aber Tisch abräumen hätte ich auch noch geschafft." Trotzdem wandte sich das jüngste Weiß-Mitglied ab und verließ die Küche. Dabei lief er genau durch Brad hindurch, der immer noch in der Tür stand. Sein Schutzengel zuckte unwillkürlich zusammen und blickte etwas missmutig drein.

„Ein seltsames Gefühl", bemerkte er und drehte sich um, um Omi zu folgen.

Auch der blonde Junge stutzte kurz bei der Berührung. „Ist hier irgendwo ein Fenster auf? Es zieht irgendwie ein bisschen."

Aya nickte bestätigend. „Oben im Badezimmer zum Lüften. Mach es zu, wenn es dir zu kalt ist."

„Okay, werde ich tun. Ich bin dann in meinem Zimmer." Mit diesen Worten verschwand er schließlich in den Flur. Dort schnappte er sich seine Schultasche und lief die Treppe nach oben in den ersten Stock zu seinem Zimmer.
 

Omi öffnete die Tür und betrat sein Reich. Er stellte seine Schultasche neben seinem Schreibtisch ab und wandte sich dann wieder ab, um ins Bad zu gehen. Dort schloss er zunächst das Fenster und öffnete dann den Medizinschrank, um darin herumzuwühlen. Vielleicht sollten sie ihn doch mal aufräumen und alphabetisch ordnen, wie Aya es vorgeschlagen hatte. Nach einiger Zeit fand er zumindest einen Teil von dem, wonach er suchte. Er fischte die weiß-grüne Schachtel aus dem Schränkchen und nahm sich zwei Kopfschmerztabletten heraus, die er sofort mit einem Schluck Wasser aus dem Wasserhahn hinunterspülte. Danach setzte er seine Suche fort und durchwühlte auch sämtliche andere Schränke in ihrem Badezimmer.

Brad sah dem Jungen währenddessen interessiert zu. „Also ein wenig mehr Ordnung könnten sie bei ihren Medikamenten und dem Verbandszeug schon halten. Ich glaube, ich will nicht wissen, wie das hier nach einer Mission zugeht, bei der sie mehr als nur blaue Flecken davon getragen haben.“ Er schüttelte verständnislos den Kopf. So etwas hatte es bei Schwarz nicht gegeben, auch wenn einige Mitglieder zugegebenermaßen in ihrer Lebensführung ein wenig chaotisch veranlagt waren. Auf einige Dinge hatte der Amerikaner trotzdem penibel geachtet.

Als auch die weitere Suche nach einer viertel Stunde erfolglos blieb, seufzte Omi gequält und räumte alle herausgekramten Gegenstände wieder in die Schränke zurück. Er verließ das Badezimmer wieder und überlegte, wo er noch nach der Salbe für Prellungen und Sportverletzungen suchen konnte. Dann fiel es ihm wie Schuppen von den Augen: Natürlich bei Ken! Wer sonst zog sich in seiner Freizeit so viele Blessuren zu wie ihr eifriger Sportler?

Der blonde Junge steuerte das Zimmer seines Freundes an und stieß die nur angelehnte Tür auf. Er betrat den Raum und musste aufpassen, nicht auf irgendetwas zu treten. Ken hatte scheinbar all seine Habseligkeiten auf dem Fußboden verteilt. Zeitschriften, Sportgeräte, CDs, Kleidungsstücke ... einfach alles lag in dem Zimmer verstreut. Da fragte man sich, was dieser Mann in seinen Schränken hatte. Und vor allem: Wo sollte man in diesem Durcheinander nur eine winzige Tube Salbe finden? Da konnte man froh sein, dass er seine Unordnung nicht auch noch auf das ganze Haus verteilte. Aber darauf achtete Aya glücklicherweise.

Trotz der geringen Erfolgsaussichten machte Omi sich daran, das Zimmer zu durchsuchen. Schnell beschlich ihn das Gefühl, dass sie bereits Missionen mit null Aussichten auf Erfolg besser gemeistert hatten.

Auch dieses Suchspielchen sah Crawford sich eine Weile an. Für ihn war es kaum zu fassen, dass er sich dieses Elend jetzt auf unbestimmte Zeit noch antun musste. Soviel Unfähigkeit auf einem Haufen und dann auch noch direkt an einem Tag hielt doch niemand aus, nicht einmal oder besser gesagt, gerade er. Unfähige Leute waren etwas, was er auf den Tod nicht ausstehen konnte. Das Beste war wohl, Bombay beim Suchen zu helfen, um schnellstmöglich ihr Pensum an guten Taten zu erfüllen und das möglichst unauffällig.

Brad ließ seinen Blick weiter durch das Zimmer schweifen und meinte langsam ein Muster in der Art und Weise zu entdecken, wie dieser Mensch scheinbar seine Prioritäten setzte. Sein Fußball hing beispielsweise gut erreichbar in einem Netz von der Decke und er entdeckte noch einige andere Auffälligkeiten. Zunächst überlegte der bebrillte Mann wo ein Sportler, auch wenn er scheinbar der unordentlichste Mensch der Welt war, etwas ablegen würde, was er wohl regelmäßig brauchte. Natürlich würde er es griffbereit halten, wie zum Beispiel auf oder in seinem Nachttisch. Er suchte besagte Stelle ab, konnte die Salbe allerdings nicht finden, weder auf dem Nachttisch, noch daneben oder unter dem Bett. Die Schublade konnte er wohl kaum öffnen, ohne dass Omi direkt misstrauisch wurde. Andererseits war der Junge gerade damit beschäftigt Schicht für Schicht das gestapelte Gerümpel vom Schreibtisch abzutragen, dort die Schubladen zu durchsuchen und das danebenstehende Regal zu inspizieren. Vielleicht würde es ihm doch nicht auffallen, Crawford musste ja nur leise sein und darin sollte er Übung haben.

Der Schwarz-Leader widmete seine Aufmerksamkeit wieder dem Nachttisch und zog die Schublade geräuschlos ein Stück auf. Er spähte hinein und entdeckte neben einigen interessanten Kleinigkeiten auch die Salbe, die Omi suchte. Jetzt musste er seinen Schützling nur noch auf seine Entdeckung aufmerksam machen. Die anderen Inhalte der Schublade sollte der Siebzehnjährige allerdings wohl nicht sehen. Kurzerhand nahm Brad die Tube heraus und ließ sie neben den Nachttisch fallen.

Durch das leise, dumpfe Geräusch wurde der blonde Junge von seiner Regaldurchsuchung abgelenkt. Er ließ von seiner Tätigkeit ab und blickte sich in dem Zimmer um. Wahrscheinlich war nur etwas irgendwo heruntergefallen, was hier ja nicht weiter verwunderlich war. Sein Blick heftete sich schließlich auf Kens Nachttisch und er kämpfte sich seinen Weg dorthin durch den verstreuten Plunder. Schließlich erspähte er auch die Tube und er schüttelte vorwurfsvoll den Kopf.

„Ken-kun, kannst du denn niemals Sachen wieder an ihren Platz zurücklegen?“

Omi nahm die Salbe und verließ das unordentliche Zimmer, um gleich darauf wieder sein eigenes zu betreten. Hier zog er sich seinen Pullover aus und fing an seinen Arm mit der milchigen Paste einzuschmieren. Er ließ die Salbe kurz antrocknen und nutzte die Zeit, um noch kurz nach E-Mails zu schauen.

Eigentlich war der junge Weiß bisher ein recht akzeptabler Zeitgenosse, fand Brad und hoffte, dass dies auch so blieb. Er war im Gegensatz zu seinem Kollegen, bei dem er nun doch recht froh war, ihn nicht als Schützling abbekommen zu haben, zumindest einigermaßen ordentlich. Mal von den CDs, Disketten, Computerzeitschriften und Ersatzteilen, die rund um seinen PC drapiert waren, abgesehen. Aber ungefähr so sah es schließlich auch in Nagis Zimmer aus, das hatten Computercracks wohl so an sich.

Als Omi der Meinung war, das die Salbe genügend getrocknet war, zog er nun auch seine Hose aus und hängte sie zu seinem Pullover über die Stuhllehne. Dann zog er die Vorhänge zu und tat, was die anderen ihm empfohlen hatten. Er kroch in sein Bett, kuschelte sich in die Decke und war bald darauf eingeschlafen.

Jetzt gab es für seinen Schutzengel nicht mehr wirklich etwas zu tun. Er nutzte die Zeit, um das Zimmer des Jungen genau zu inspizieren.
 

Ken und Yohji öffneten nach ihrer Mittagspause wieder den Blumenladen und traten dem alltäglichen Ansturm von Schulmädchen entgegen. Wie üblich waren die wenigsten Mädchen in den Laden gekommen, um etwas zu kaufen. Ihr Hauptinteresse galt stattdessen dem Anhimmeln ihrer Idole, auch wenn sie enttäuscht darüber waren, an diesem Tag nur zwei von ihnen anzutreffen.

Auch die Mädchen aus Omis Schulklasse waren anwesend und umringten die beiden jungen Männer, um sie mit Fragen über ihren Klassenkameraden zu bombardieren.

„Was ist mit Omi? Ist er ernsthaft krank?“, fragte die Erste neugierig.

„Der Lehrer hat ihn früher nach Hause geschickt, weil es ihm nicht gut ging“, ergänzte die Nächste.

„Hoffentlich ist es nichts schlimmes“, setzte eine Dritte hinzu.

„Er wird doch bald wieder gesund, oder?“, fragten einige andere besorgt.

Aus dem bald anschwellenden Geschnatter konnte man kaum noch vollständige Sätze heraushören.

Schuldig amüsierte sich über diese Vorstellung prächtig. Außerdem war es die geradezu perfekte Situation, um einigen der etwas reiferen jungen Damen in den Ausschnitt oder unter den Rock zu gucken. Dieser kleine Zeitvertreib verlor jedoch schnell wieder seinen Reiz für ihn, es war in der spärlichen Auswahl kaum etwas dabei, was für ihn von Interesse gewesen wäre. Stattdessen beobachtete er das Szenario noch eine Weile und versuchte dann, Farfarello in ein Gespräch zu verwickeln. „Was meinst du, Farf? Geht das hier jeden Tag so ab? Oder ist das nur ein Ausnahmezustand, weil das süße, kleine Unschuldslamm krank ist?“

Der Mann mit der Augenklappe zuckte nur mit den Schultern. „Also wenn das hier jeden Tag so chaotisch zugeht, wundere ich mich darüber, dass noch keiner von ihnen absolut übergeschnappt ist.“

Kurzes, andächtiges Schweigen folgte als Antwort des Deutschen, während er den anderen mit einer skeptisch nach oben gezogenen Augenbraue musterte. Dann fand er seine Sprache wieder und meinte etwas trocken mit seinem üblichen, sarkastischen Grinsen: „Na du musst es ja wissen.“

Alle Bemühungen Kens, die Mädchen zu beruhigen scheiterten zunächst kläglich, bis auch er die Fassung verlor. „Yohji! Jetzt tu doch auch endlich mal etwas.“

Der Angesprochene seufzte leise. Eine so aufgebrachte Schar pubertierender Mädchen war nur schwer wieder unter Kontrolle zu kriegen. Er klatschte versuchsweise ein, zwei Mal in die Hände, um sich Gehör zu verschaffen. „Wenn ihr nacheinander redet, versteht man euch besser. Und Omi geht es den Umständen entsprechend gut. Wir vermuten, dass er eine leichte Grippe hat. Am Montag ist er wohl wieder in der Schule.“

Die Schulmädchen lauschten dem Älteren andächtig und setzten besorgen Minen auf.

„Eine Grippe.“

„Vielleicht sollte er doch besser zum Arzt gehen.“

Ken erhob beruhigend die Hände. „Warten wir es erst mal ab. Omi ist nicht der Typ, der direkt für jedes kleine Wehwehchen zum Arzt rennt. Wenn es ihm Montag nicht besser geht, werde ich ihn aber persönlich dorthin schleifen, versprochen.“

„Bis dahin könnt ihr ihm ja eine gute Besserung wünschen“, meinte Yohji und setzte mit einem gewinnenden Lächeln hinzu: „Zum Beispiel mit ein paar hübschen Blumen und Genesungskarten.“

Einige der Mädchen schienen diesen Vorschlag sogar ernst zu nehmen und fingen an, einige Blumen auszusuchen.

„Ach, ist Omi nicht wunderbar?“

„Hart im nehmen. Eben ein richtiger Mann.“

„Ganz anders, als die anderen unreifen Jungs in unserer Klasse.“

So langsam konnte selbst Yohji dieses schmachtende Getue kaum noch ertragen, schließlich galt es nicht einmal ihm. Er stand kurz davor die Mädchen, die nichts kaufen wollten, zum Gehen aufzufordern.

Diese Arbeit wurde ihm allerdings bereits von jemand anderem abgenommen. „Wer nichts kaufen will, raus! Lasst die zahlenden Kunden vor“, ertönte eine wohlbekannte, kühle Stimme in einem nicht unbedingt wohlwollenden Tonfall.

Aya hatte gerade den Laden betreten, stand nun mit vor der Brust verschränken Armen mitten im Getümmel und starrte unfreundlich die Leute an.

Zwar gab es wieder einige leise getuschelten Beschwerden über Ayas abweisende und unhöfliche Art, aber die Reihen der Kunden lichteten sich. So hatten Ken und Yohji Gelegenheit, sich um die zahlungswilligen Kunden und vor allem um die Schulmädchen zu kümmern, die Omi mit ein paar Blumen eine baldige Genesung wünschen wollten.

Der Rotschopf nahm sich die Liste für die anliegenden Auslieferungen und überprüfte, ob die anderen Beiden bereits alles vorbereitet hatten. Glücklicherweise war das der Fall und er konnte sofort wieder weg von dem Getümmel. Er mochte Menschenaufläufe immer noch nicht wirklich.

„Ich bin in ein bis zwei Stunden wohl wieder zurück, denke ich. Je nachdem wie der Verkehr ist. Macht nicht zu viel Blödsinn.“ Mit diesen Worten war Aya auch schon, mit einer großen Kiste voller Blumen beladen, aus dem Laden verschwunden.

Auch Nagi hatte die Szene neugierig verfolgt und war froh darüber, dass er seine Zeit jetzt nicht in dem kleinen Verkaufsraum verbringen musste.
 

„Ich bringe Omi die Blumen nach oben", sagte Yohji und sammelte die kleinen Sträuße ein, die sich hinter der Theke angehäuft hatten.

„Du kannst ihm auch direkt Bescheid sagen, dass es in einer halben Stunde Abendessen gibt", meinte Ken über die Schulter hinweg, während er die Rollläden hinunter ließ und den Laden schloss.

„Okay, mach ich", antwortete der andere knapp und ging zunächst ins Wohnzimmer, um einige Vasen aus dem Schrank hervorzuholen und die Blumen darin zu drapieren. Dann ging er voll beladen die Treppe nach oben und tastete sich langsam vor, da er die Stufen nicht sehen konnte.

Schuldig wich nicht von seiner Seite, gab acht das sein Schützling keinen Unfall baute und kam sich vor wie ein Babysitter. „Und so was ausgerechnet mir. Vielleicht hätte ich einige Dinge in meinem Leben doch anders machen sollen. Zum Beispiel Nagi weniger ärgern oder so. Aber das hier ist doch wirklich eine Zumutung. Ich kann mir niemanden vorstellen, der diesen Job gerne macht.“ Er schimpfte und fluchte weiter vor sich hin, hören konnte ihn außer den anderen Schwarz-Mitgliedern ja sowieso niemand. Und bei ihnen war es dem Deutschen egal, ob er sie nervte.

Im ersten Stock angekommen klopfte der Mann mit dem gewellten Haar an Omis Zimmertür. „Omi? Kann ich reinkommen?"

Da er zunächst keine Antwort erhielt, klopfte er erneut. Als das erhoffte ‘Herein‘ wiederum ausblieb, öffnete er leise die Tür und steckte den Kopf ins Zimmer. Der abgedunkelte Raum wurde nur durch das Licht, dass nun durch die Tür fiel erhellt. Yohji ließ kurz seinen Blick durch den Raum schweifen und erblickte den Jüngeren in seinem Bett liegend. Ein liebevolles Lächeln stahl sich auf das Gesicht des hochgewachsenen Mannes, als er den Schlafenden betrachtete.

„Wenn ihr ihn wach macht, muss ich euch leider grausam dafür bestrafen“, erklärte Brad und musterte die beiden Neuankömmlinge. Dann fragte er humorlos: „Kannst du deine Ausbrüche eigentlich auch mal für dich behalten oder zumindest leise herum meckern? Du bist immer noch genauso schlimm wie vor deinem Tod.“

Schuldig schüttelte den Kopf. „Wie willst du das denn machen? Erstens geht das nicht und zweitens darfst du es auch gar nicht. Deine einzige Lebensaufgabe besteht nur noch darin, Babysitter zu spielen. Und zwar nur bei deinem Baby, falls du dich erinnerst, was das Federvieh erzählt hat.“ Dann grinste er überlegen und fügte sarkastisch hinzu: „Außerdem ist mein Gemecker ganz uneigennützig, ich will doch nur das du dich heimisch fühlst, Bradley.“

Für diese Bemerkung und vor allem für das andichten einiger zusätzlicher Buchstaben an seinen Namen, fing sich der Deutsche einen bitterbösen Blick des Brillenträgers ein.

Da Yohji von alle dem verschont blieb, betrat er leise das Zimmer und stellte die Blumenvasen behutsam auf den Schreibtisch, sorgsam darauf bedacht, Omi nicht aufzuwecken. Dann schlich er sich wieder hinaus und zog die Tür lautlos hinter sich ins Schloss.
 

„Ich glaube nicht, dass Omi heute mitisst", erklärte Yohji, als er die Küche betrat und direkt die Kaffeemaschine ansteuerte.

Ken schaute von den Karotten, die er gerade schälte auf und sah seinen Freund fragend an. „Wieso denn nicht? Hat er keinen Hunger?"

Der Mann mit dem honiggoldenen Haar schüttelte leicht den Kopf. „Nein, er schläft. Und extra zum Essen sollten wir ihn nicht aufwecken. Ist besser, wenn er sich mal richtig ausschläft."

Der Fußballer nickte zustimmend und widmete sich dann wieder seinem Gemüse, während Yohji Kaffeepulver und Wasser in die Kaffeemaschine einfüllte und diese anstellte. Dann setzte er sich an den Küchentisch, zog den Aschenbecher zu sich hin und fischte eine zerdrückte Schachtel Zigaretten aus der Hosentasche. Als Ken das leise Klacken und Zischen des Feuerzeugs vernahm, fing Yohji sich einen missbilligenden Blick von diesem ein.

„Guck nicht so. Wo soll ich denn sonst rauchen? Im Wohnzimmer darf ich ja nicht mehr", rechtfertigte Yohji sich und inhalierte den blauen Dunst seines Glimmstängels.

Schuldig betrachtete das sich ihm darbietende Bild sehnsüchtig. „Ich will auch eine rauchen. Tot sein ist echt ätzend. Nicht mal die kleinsten Freuden sind einem dann noch vergönnt."

„Ist doch eine gute Gelegenheit für dich, endlich damit aufzuhören", meinte Farfarello unbeteiligt und hob seinen Blick nicht von Kens Händen. Mit einem Gemüsemesser und einem Sparschäler konnte man sich schließlich ebenso schneiden, wie mit jedem anderen Messer. Er war sehr darauf bedacht, dass die Klingen nicht den kleinsten Schnitt verursachten. „Aber ist schon irgendwie merkwürdig ..."

Der Deutsche wusste nichts mit der letzten Bemerkung anzufangen. „Wie meinst du das jetzt schon wieder? Kannst du dich eigentlich auch mal so ausdrücken, dass man dich versteht?"

„Ich meine unser Verhalten."

„Unser Verhalten?" Manchmal waren die Gedankengänge des Iren wirklich kaum nachzuvollziehen.

Farfarello schüttelte leicht verständnislos den Kopf. „Auch wenn dieser Michael ein Erzengel ist und ich ihn schon allein deswegen nicht mag ... Recht geben muss ich ihm trotzdem. Stell dich nicht immer dümmer, als du bist."

„Drück dich klarer aus, dann versteh ich auch, was du meinst", meinte Schuldig schnippisch. Langsam verlor er wieder seine gute Laune und wurde wirklich wütend auf den anderen Schwarz.

„Also gut, dann noch mal für Leute, die schwer von Begriff sind. Ich finde unser Verhalten merkwürdig. Wir sind jetzt gerade mal einen Tag ihre Schutzengel und schon machen wir alles anders. Ich hätte nie gedacht, dass ich mal aufpassen würde, damit jemand sich nicht in den Finger schneidet. Einerseits würde ich gerne sehen wie die Klinge sich in das rosige Fleisch senkt und das Blut hervorquillt. Aber andererseits gäbe das bestimmt kein gutes Karma und wir brauchen noch länger, um in den Himmel zu kommen und Gott so richtig strafen zu können."

Gutes Karma? So langsam zweifelte Schuldig an seinem eigenen geistigen Zustand, er hätte sich niemals auf dieses Gespräch einlassen sollen. Warum musste er aber auch immer seine große Klappe aufreißen und noch mal nachhaken? „Für dich ist das wirklich ein merkwürdiges Verhalten. Ich halte mich eigentlich noch für ziemlich normal.“

„Du warst noch nie normal, Schuldig. Aber irgendwann wirst auch du feststellen, das du dich merkwürdig verhältst. Merkwürdiger als sonst.“

Der Deutsche verdrehte die Augen. „Okay, du hast Recht und ich meine Ruhe." Andererseits hatte der Ire aber auch wieder einmal, erschreckender Weise, Recht.

Der einäugige Mann zuckte nur mit den Schultern und beobachtete seinen Schützling weiter, der nun dazu übergegangen war, Hühnerfleisch in kleine Stücke zu schneiden und es in eine Pfanne gab.

Leise Musik erklang aus dem Radio, als Yohji es einschaltete und einen Sender anwählte. Er lehnte sich entspannt zurück und rauchte genüsslich seine Zigarette zu Ende.

„Wie wäre es, wenn du dich nützlich machst und den Tisch deckst?“, fragte Ken nach einiger Zeit und stellte den Herd aus. „Das Essen ist fertig. Außerdem könntest du Aya Bescheid sagen.“

Der Playboy seufzte leise. „Okay, du Sklaventreiber. Du bist schon fast genauso schlimm wie unser furchtloser Anführer.“

Er nörgelte zwar, tat aber trotzdem, was der andere von ihm verlangte. Nachdem er den Tisch gedeckt hatte, verschwand Yohji aus der Küche und rief nach Aya. Da dieser allerdings nicht antwortete, stapfte er die Treppe in den ersten Stock empor und klopfte an die Tür des Rotschopfes.

„Aya?“ Ohne auf eine Antwort zu warten, öffnete er die Tür und steckte den Kopf in das Zimmer. „Kommst du essen?“

Der Weiß-Leader lag auf seinem Bett und löste seine Augen von seinem Buch, um dem anderen einen missbilligenden Blick zuzuwerfen. „Kannst du nicht warten, bis man dich herein bittet?“ Er legte ein Lesezeichen zwischen die Seiten und klappte das Buch zu. „Ich komm ja schon.“
 

Nachdem die drei Weiß-Mitglieder zu Abend gegessen und den Abwasch erledigt hatten, setzten sie sich noch eine Weile im Wohnzimmer zusammen, um fernzusehen.

„Irgendwie nicht wirklich aufregend, was die Kätzchen so treiben“, stellte Schuldig fest und gähnte ausgiebig.

„Sie versuchen eben nur, ein normales Leben zu führen, wenn sie keine Mission zu erledigen haben“, meinte Nagi und schaute mit einem Auge ebenfalls den Film an, der über den Bildschirm flimmerte.

„Wofür brauchen die denn beim Fernsehen einen Schutzengel? Und auch sonst ist bisher alles ziemlich öde, wenn du mich fragst.“

„Dich hat aber keiner gefragt“, warf Farfarello ein und funkelte den Mann mit dem flammend orange Haar aus seinem gesundem Auge leicht belustigt an.

„Und dich hat niemand um deine Meinung gebeten“, keifte der Deutsche streitlustig.

Nagi legte den Kopf schief und belächelte den Ältesten leicht. „Sag mal ... kann es sein das dich der Alkohol-, Nikotin- und Sexentzug aggressiv macht?“

Gerade als Schuldig zu einer patzigen Antwort ansetzen wollte, stand Yohji auf, streckte sich und verkündete, dass er heute Abend weggehen würde.

„Sieht so aus, als bekämst du jetzt wenigstens etwas Abwechslung“, neckte der Ire ihn und sah dem Gespann kurz nach. Dann konzentrierte er sich wieder auf Ken.
 

Yohji betrat sein Zimmer und steuerte direkt den Kleiderschrank an. Als er die Türen öffnete, fielen ihm direkt wieder einige Kleidungsstücke entgegen, deren Flugbahn Schuldig geschickt ablenkte, damit sie seinen kleinen Partylöwen nicht unter sich begruben.

„Balinese, ich wusste gar nicht, dass du so schlampig bist“, meinte der Deutsche kopfschüttelnd und nahm das ein oder andere Kleidungsstück genauer unter die Lupe. „Aber ein paar coole Klamotten hast du, guter Geschmack, das muss ich dir Wohl oder Übel lassen.“

Interessiert beobachtete er den anderen dabei, wie er einige Hosen, Hemden und Shirts aus dem Schrank zog und überall in seinem Zimmer verteilte. Scheinbar konnte er sich nicht entscheiden, was er anziehen sollte. Da musste man ihm vielleicht etwas unter die Arme greifen, immerhin brachte es etwas Abwechslung. Schuldig durchstöberte sämtliche Kleidungsstücke und fand schließlich etwas, dass ihm zusagte und wovon er glaubte, dass sein Schützling darin gut aussehen würde. Er ließ das knappe, bauchfreie Top aus schwarzem Satin ohne Ärmel wie zufällig auf den Boden vor den Schrank fallen und lenkte Yohjis Aufmerksamkeit darauf.

Dieser reagierte auch, hob das Kleidungsstück auf und begutachtete es. Kurzerhand zog er seinen dünnen Pullover aus und streifte sich das Top über. Sein Schutzengel musterte ihn dabei interessiert und ließ seinen Blick über den wohlgeformten Oberkörper gleiten. Ihm gefiel eindeutig, was er da zu sehen bekam. Zwar war der Killer für seine Größe sehr dünn und man konnte es schon beinahe als zu dünn bezeichnen, aber eben nur fast. Es stand ihm.

„Und jetzt bitte noch runter mit der Hose“, sagte Schuldig und sein übliches, süffisantes Lächeln breitete sich auf seinem Gesicht aus. „Mal sehen, was du hübsches in Sachen Beinkleidern zu bieten hast.“

Nach einem prüfenden Blick auf die beträchtliche Hosensammlung, die der Schrank vorzuweisen hatte, entschied er sich für eine sehr eng aussehende, pechschwarze Jeans. „Mal sehen, ob das Teil hält, was es verspricht.“

Auch dieses Kleidungsstück ließ er aus dem Schrank fallen, während Yohji sich in dem großen Spiegel auf der Innenseite der Schranktür betrachtete. Der Honigblonde wunderte sich nicht einmal darüber, dass ihm immer mehr Bekleidungsteile aus dem Chaos, das sein Schrank beherbergte, entgegen kamen. Stattdessen hob er die Hose einfach auf und seufzte leise.

„Vielleicht sollte ich doch mal aufräumen. Oder zumindest meinen Schrank neu sortieren“, murmelte er leise vor sich hin. „Und einen Neuen kaufe ich mir trotzdem.“ Einige Dinge konnte er einfach nicht wegschmeißen oder in eine Altkleidersammlung geben.

Yohji betrachtete die Jeans, die er aufgehoben hatte und beschloss, sie einmal anzuprobieren. Behände knöpfte er seine Hose auf, zog sie aus und warf sie einfach zu den anderen Klamotten auf den Boden.

„Braves Kätzchen“, schnurrte Schuldig und ergötzte sich weiter an dem Anblick. „Eigentlich gar nicht so schlecht. Gut, dass ich dich doch nie umgebracht habe und einen so großen Spieltrieb hab, der befriedigt werden will.“

Er beobachtete den anderen weiter und nickte nach einer Weile anerkennend. „Ja, so kann man dich unter Leute lassen.“ Die Jeans schmiegte sich hauteng an den wohlproportionierten Unterleib und war zu Schudigs Freude sogar eine Hüfthose, bei der man über dem Hosenbund noch deutlich Yohjis Beckenknochen hervortreten sehen konnte. „Wehe, du ziehst dich jetzt noch mal um!“

Aber das hatte das älteste Weiß-Mitglied gar nicht vor. Zwar wühlte er noch etwas in seinem Schrank herum, aber nur um nach einer Weile zwei dünne Lederbände zum Vorschein zu holen. Eines davon band er sich um den rechten Oberarm, das andere um den Hals. Danach zog er eine sehr dünne, silberne Bauchkette aus einer kleinen Schatulle und spielte kurz mit dem Gedanken, diese auch noch anzulegen. Dies tat er dann auch und betrachtete sein Erscheinungsbild im Spiegel.

„Kudou ... Hab ich da etwa was verpasst? Du siehst nicht so aus, als wärst du heute darauf aus, Frauen aufzureißen“, stellte der Deutsche fest, sein Gegenüber von allen Seiten betrachtend. „Okay, ich bin daran vielleicht nicht ganz unschuldig.“ Er konnte sich ein sarkastisches Grinsen nicht verkneifen. „Aber das bin ich ja nie.“

Yohji war anscheinend mit sich zufrieden, denn er behielt alles an und begann die herumliegenden Kleidungsstücke wieder notdürftig in den Schrank zu stopfen. Dann griff er nach seinem Mantel, streifte ihn über, setzte sich eine zum Outfit passende Sonnenbrille auf die Nase und steckte zum Schluss noch seine Geldbörse ein. Die Autoschlüssel ließ er liegen, verließ sein Zimmer und ging wieder nach Unten. Vor der Haustür zog er sich seine Stiefeletten an und rief den anderen zu: „Ich bin dann weg, ihr braucht nicht warten!“

„Das hatten wir auch nicht vor!“, schrie Ken zurück, um den Fernseher zu übertönen.

Allerdings hörte Yohji das schon nicht mehr, da er bereits vor die Tür getreten war und diese laut hinter sich ins Schloss gezogen hatte.

Jetzt konnte der Abend anfangen.
 

Der Morgen graute bereits als Yohji verzweifelt versuchte mit dem Haustürschlüssel das Schloss zu treffen. Er hatte sich wieder einmal ziemlich in einem Nachtclub ausgetobt und sinnlos betrunken. Schuldig war doch froh ihn als Schützling abbekommen zu haben. Erstens kam so er wenigstens auch hin und wieder etwas raus und musste nicht die ganze Zeit in der Wohnung hocken und zweitens war die Show, die er diese Nacht geliefert bekommen hatte durchaus amüsant gewesen. Wahrscheinlich wäre er vor lauter Langeweile noch einmal gestorben, wenn das überhaupt möglich war, hätte er Aya, Ken oder Omi abbekommen. Er konnte sich nicht wirklich vorstellen, was die Drei schon Interessantes machen könnten, schließlich war der Eine ein Bücherwurm, der andere ein Fußballfreak und der Dritte ein Computercrack.

Nach mehreren Anläufen schaffte Yohji es doch endlich, die Haustür aufzuschließen. Er betrat die Wohnung und schloss die Tür wieder leise hinter sich. Das Licht brauchte er nicht anschalten, denn mittlerweile kannte er sich blind in ihrem Zuhause aus. Den Mantel hängte er an die Garderobe und stellte die Stiefeletten neben den Schuhschrank. Auf leisen Sohlen schlich er, ein wenig schwankend und sich am Geländer festhaltend, die Treppe hinauf. Er taumelte zu seinem Zimmer und verhielt sich so leise wie möglich, denn er wollte nach Möglichkeit keinen Ärger mit den anderen haben, weil er sie mitten in der Nacht aufweckte. Das hatte er bereits vor ein paar Jahren hinter sich gebracht und daraus gelernt. Eigentlich wollte er nur noch ins Bett und seinen Rausch ausschlafen.

So weit kam er allerdings nicht mehr, denn eine andere Türe öffnete sich und der Schein, der durch diese fiel, erhellte den Flur sowie die Gestalt, die gerade in ihr Zimmer wollte.

„Ach, du bist das, Yohji-kun“, flüsterte der blonde Junge, der nun, nur mit T-Shirt und Shorts bekleidet, aus seinem Zimmer trat. „Ich hab mich schon gewundert.“

Dieser nickte zur Antwort. „Ja, ich ... und ich ...“ Er stockte und seine Augen vergrößerten sich ein wenig. „Und ich muss ganz dringend mal ins Bad.“ Mit diesen Worten drehte er sich bereits um und taumelte über den Flur Richtung Badezimmer.

Omi sah ihm zunächst etwas verwirrt hinterher, folgte ihm dann jedoch und schaute zu, wie der andere sich gerade vor die Toilette hockte und den Klodeckel hochklappte. Der Jüngere betrat denn ebenfalls das Bad und schloss die Tür hinter sich, um die anderen nicht wach zu machen. Dann kniete er sich neben Yohji und hielt ihn fest, da dieser immer noch verdächtig schwankte.

Gerade rechtzeitig, dachte Omi, als sein betrunkener Freund auch schon zu würgen anfing und die unverdaute, hochprozentige Flüssigkeit ausspie. Er strich die Haare des anderen etwas zurück und hielt sie mit einer Hand fest, damit diese ihm nicht im Gesicht hingen. Dann sah er etwas angeekelt beiseite. Zwar hatte er schon viel gesehen und konnte einiges vertragen, aber es gab trotzdem noch Dinge, die dem jungen Killer ein beklemmendes Gefühl in der Magengegend verursachten. Das hier war eines davon und er wartete einfach, bis Yohji fertig war.

„Danke, dass du meinen Kopf über die Kloschüssel hältst“, sagte dieser nach einiger Zeit leise und brachte ein schwaches, dankbares Lächeln zustande. „Außer dir würde das wohl niemand tun“, ergänzte er etwas gepresst, woraufhin ein weiteres Würgen folgte.

„Ach, schon okay. Besser ich helfe dir, als dass du nachher den ganzen Flur oder das Bad vollkotzt. Das würde Aya bestimmt nicht lustig finden“, sagte Omi sanft und stützte weiterhin Yohji ab, damit dieser nicht umkippte.

„Nein, bestimmt nicht“, murmelte der Ältere und wischte sich den Mund mit dem Stück Toilettenpapier ab, das der andere ihm hinhielt. „Warum bist du eigentlich wach?“

Der Jüngere zuckte mit den Schultern. „Na ja, ich hab den ganzen Tag geschlafen und bekomme deswegen jetzt kaum ein Auge zu. Und als ich dich gehört hab, dachte ich mir, dass es vielleicht besser ist, mal nach dir zu sehen.“

„Weise Entscheidung“, brachte Yohji gerade noch mühsam heraus, bevor ihn der erneute Drang zu würgen erfasste und er seinen Magen weiter entleerte. „Gott, ich hätte den Swimmingpool vielleicht nicht trinken sollen, aber vielleicht ist auch irgendein anderer Cocktail schuld. Zuviel durcheinander ist nicht gut. So etwas sollte ich mittlerweile wohl gelernt haben.“

„Ein Swimmingpool? Was ist das denn?“

„Das ist so ein blaues Zeug, eben ein Cocktail mit Rum und Wodka. Eigentlich nicht so mein Ding. Und vielleicht war noch irgendwas anderes drin, was nicht darein gehörte.“ Yohji wischte sich erneut den Mund ab und betat zum wiederholten Male die Toilettenspülung. Mittlerweile sollte sein Magen wohl keinen Inhalt mehr besitzen. Er atmete tief durch, schloss seine Augen und blieb ruhig sitzen.

Brad schielte zu Schuldig hinüber. „Eigentlich nicht so sein Ding? Hast du ihm das Zeug etwa untergejubelt?“

Der Deutsche setzte eine Unschuldsmiene auf und sah seinen Kollegen gekränkt an. „Ich? Wie kommst du darauf? Nie im Leben würde ich so was tun, das kann ich im Moment gar nicht. Schon vergessen? Ist doch nicht meine Schuld, wenn er meint zuerst mal mindestens eine halbe Flasche Whiskey saufen zu müssen. Außerdem hat er sich später mit vielen bunten Cocktails die Kante gegeben. Das kommt halt davon, wenn man jeden Drink annimmt den man von irgendwem ausgegeben bekommt oder selber versucht irgendjemanden aufzureißen.“ Die pikanten Details, die zwischen den Drinks passierten, verschwieg er. Alles musste Brad ja nun auch nicht wissen, er sollte sich lieber um seinen eigenen Schützling kümmern.

„Was ist denn hier los?“, ertönte Nagis etwas gelangweilt klingende Stimme von der Badezimmertür her. Er hatte sich gerade dazugesellt.

„Siehst du doch“, antwortete Schuldig. „Balinese kotzt sich die Seele aus dem Leib und der Kurze passt auf, dass sein Kopf nicht ins Klo fällt und er dabei auch noch ersäuft.“

„Ist das nicht eigentlich dein Job?“

Für einen kurzen Augenblick betrachten die drei Schwarz schweigend die Szene, die sich zwischen Omi und Yohji abspielte. Dann unterbrach der Deutsche die Stille wieder. „Warum habt ihr so etwas eigentlich nie für mich getan?“

„Weil sogar wir eine Schmerzgrenze haben“, kam Nagis neckische Antwort.

Brad schenkte dem überhaupt keine Beachtung. „Sag mal Nagi, musst du nicht auf jemanden aufpassen?“

„Aya? Der schläft wie ein Baby und hat sich den Wecker erst für neun Uhr gestellt. Morgen ist Samstag und sie öffnen den Laden ja erst um halb elf. Er und Ken haben Schicht. Also habe ich grade so quasi Freizeit.“

„Trotzdem könnte er aus dem Bett fallen und sich dabei das Genick brechen“, entgegnete der Amerikaner.

„Woher weißt du das denn, Nagi?“, fragte Schuldig erstaunt. Er kannte die Ladenöffnungszeiten ebenso wenig, wie die Schichteinteilung. Die Bemerkung Crawfords ignorierte er beflissentlich.

Der Jüngste von ihnen verdrehte die Augen. „Weil ich im Gegensatz zu dir scheinbar lesen kann und diese Fähigkeit sogar einsetze. Unten im Laden hängt im Hinterzimmer ein Plan aus. Yohji ist übrigens morgen Nachmittag im Laden dran, falls es dich interessiert. Aber keine Sorge, sie schließen um 18 Uhr schon wieder.“

„Na immerhin etwas. Es ist so unglaublich langweilig, den ganzen Tag in einem Blumenladen zu verbringen und überhaupt nichts tun zu können, um sich diese Langeweile zu vertreiben“, nörgelte der Deutsche.

„Du wirst dich daran gewöhnen müssen“, sagte Brad ungerührt und zuckte mit den Achseln. „Und du gehst besser wieder zu Aya zurück, Nagi.“

Dieser seufzte leise, drehte sich aber auf dem Absatz um und verschwand wieder im Zimmer des Rotschopfes.

Yohji blieb einige Minuten lang reglos vor der Porzellanschüssel sitzen und versuchte seinen Magen wieder zu beruhigen. Als er nicht mehr den Drang zu würgen spürte, stand er schwankend auf, wobei Omi ihm half.

„Geht’s wieder?“, fragte der Junge besorgt.

Der andere nickte, stützte sich auf das Waschbecken und drehte den Kaltwasserhahn auf. Er beugte sich herunter, um sich den Mund gründlich auszuspülen und den galligen Geschmack loszuwerden. Danach sammelte er immer wieder das Wasser in seinen Händen und benetzte damit sein Gesicht. Mit einem dankbaren Lächeln nahm er das Handtuch, das Omi ihm reichte entgegen und trocknete sich damit ab. Als er es danach in den Wäschekorb werfen wollte, verfehlte er diesen auch noch und murmelte leise einige Flüche vor sich hin.

Nachdem Omi das Handtuch wieder aufgehoben und zu der anderen Schmutzwäsche geworfen hatte, half er dem Älteren in sein Zimmer zu kommen. Er öffnete ihm leise die Tür und knipste das Licht an. Yohji schob sich daraufhin an ihm vorbei und steuerte sein Bett an, als die Stimme des Jüngeren nochmals seine Aufmerksamkeit erregte.

„Du, Yohji-kun?“, fragte dieser etwas unsicher.

„Mmm?“, bekam er von seinem vollkommen erledigten Gegenüber als Gegenfrage zur Antwort.

„Kann ich heute bei dir schlafen?“

Yohji musste die Worte erst in seinem Verstand sortieren, um ihren Sinn richtig zu erfassen. Dann lächelte er so fürsorglich, wie er es gerade noch hin bekam und nickte. „Klar. Wenn dich die Alkoholfahne nicht stört.“

Der blonde Junge schüttelte den Kopf. „Nein, das geht schon, denke ich. Vielleicht hilft mir das ja beim einschlafen, wenn ich so ein paar Promille von dir abbekomme.“

„Aber auf deine Verantwortung“, nuschelte der Mann mit den grünen Augen und machte sich langsam daran, sich von seiner Kleidung zu befreien.

„Prima!“, strahlte der Junge, schloss die Tür hinter sich und hüpfte mit Anlauf in das große Bett.

Die beiden Schutzengel betrachteten die Szene mit gemischten Gefühlen. Irgendwie war es schon etwas seltsam, wie es bei Weiß zu Hause zuging.

„Sag mal Brad, was glaubst du, wie Balinese das gemeint hat? Das ’auf eigene Verantwortung’? Und dass der Kleine das auch noch toll gefunden hat ...“, fragte Schuldig und beobachtete interessiert, wie sein Schützling ein Kleidungsstück nach dem anderen auf den Boden fallen ließ und schließlich nur noch in engen, schwarzen Shorts vor ihm stand.

Der Amerikaner zuckte desinteressiert mit den Schultern. „Vielleicht weil er gerne kleine Jungs vernascht, wenn er sturzbetrunken ist und das sich dann auch noch jemand geradezu dazu anbietet und freiwillig in seinem Bett schläft.“

Zunächst schaute der Deutsche etwas verwirrt drein, brach dann aber in unkontrolliertes Lachen aus. „Ich liebe deinen Humor, Bradley.“

„Ich habe keinen Humor. Und nenn' mich nicht Bradley“, brummte der andere und setzte sich neben das Bett.

Auch Schuldig setzte sich neben das Bett, allerdings auf die Seite, wo Yohji sich gerade hatte hineinfallen lassen und unter die Decke kroch.

Omi knipste das Licht aus und flüsterte leise: „Gute Nacht, Yohji-kun. Träum was Schönes.“

„Nacht Omittchi, du auch“, murmelte sein Bettgefährte bereits im Halbschlaf und war kurz darauf auch schon fest eingeschlafen.

Schweigend betrachteten die beiden Schwarz-Mitglieder die beiden Schlafenden eine Weile. Nach einziger Zeit gab Schuldig jedoch seinem unermüdlichen Mitteilungsdrang wiedereinmal nach. „Meinst du, die beiden haben was miteinander?“

„Nein, wie du siehst, schläft der eine schon tief und fest und der andere wartet auch bloß noch auf das Sandmännchen“, sagte Brad und fragte sich, ob sie wohl auch schlafen mussten oder überhaupt durften.

„Ich meine doch nicht jetzt im Moment“e erklärte der Deutsche mit einem etwas genervten Unterton und rollte mit den Augen. „Ich meine so generell, ob die beiden ein Paar sind. Oder zumindest gerne eins wären. Wenn ich meine Fähigkeit noch hätte, dann würde ich dich nicht mit der Frage nach deiner Meinung belästigen, sondern einfach in ihren Köpfen nach sehen.“

„Und deine voyeuristische Ader befriedigen“, ergänzte der andere trocken. „Das hast du vergessen hinzuzufügen.“

Mit einem abfälligen Schnauben beendete Schuldig kurzerhand die Diskussion. Er stützte sich stattdessen mit den Ellenbogen am Bettrand ab und betrachtete seinen schlafenden Schützling eingehend. Jetzt hatte er ja genug Zeit, um diese ebenmäßigen Gesichtszüge einmal genau zu studieren.

Mittlerweile war auch Omi in das Land der Träume geglitten und rutschte im Schlaf immer näher zu Yohji hinüber und kuschelte sich schließlich an ihn. Die wohltuende Wärme begrüßend, legte dieser nun leicht einen Arm um den kleinen Körper neben sich.
 

Am nächsten Morgen klopfte Ken an Omis Zimmertür und wartete darauf hineingebeten zu werden. Da er jedoch keine Antwort erhielt, betrat er einfach das Zimmer.

„Omi, hast du die Sportsalbe irgendwo ...“

Er brach ab, als er bemerkte, dass der Junge gar nicht in seinem Zimmer war. Da die Vorhänge noch zugezogen waren, schob er diese zunächst zur Seite und öffnete das Fenster, um zu Lüften und verließ den Raum wieder. Vielleicht konnte Yohji ihm weiter helfen, obwohl er bezweifelte, dass dieser bereits wach war. Trotzdem ging er die wenigen Schritt über den Flur und klopfte an die Tür des Playboys. Wahrscheinlich schlief er noch und Ken betrat daher einfach das Zimmer, schließlich hatte er keine Lust, ewig auf eine Antwort zu warten.

„Hey Yohji, weißt du wo ...“ Ihm stockte der Atmen.

In dem großen Bett schmiegten sich zwei ihm wohlbekannte Leiber eng aneinander. Sie lagen reglos aneinandergekuschelt in den Kissen und schienen immer noch zu schlafen. Der braunhaarige Mann spürte, wie ihm wieder das Blut in den Kopf schoss und Schamesröte seine Wangen überzog. Eventuell war es besser, Yohjis Zimmer nicht mehr ohne Erlaubnis zu betreten. Wer wusste schon, welche Anblicke sich ihm dann noch bieten würden.

Wie versteinert stand Ken im Türrahmen und konnte kaum seinen Blick von den Schlafenden lösen. Einerseits war er zu geschockt, um sich zu rühren, andererseits beneidete er die Beiden auch ein wenig. Er wusste nicht, wie lange er schon so dagestanden hatte, als Omi sich regte und sich müde blinzelnd aufsetzte.

„Ken-kun? Was ist denn los?“, murmelte er verschlafen und rieb sich die Augen.

Sofern es überhaupt möglich war, nahm Kens Kopf eine noch dunklere Farbe an. „Ich hab nur ... ich wollte ... die Sportsalbe“, presste er stotternd hervor.

Der blonde Junge gähnte einmal ausgiebig und flüsterte: „Sei leise, sonst weckst du Yohji-kun auf.“ Erst jetzt merkte er, in welch inniger Umarmung er sich mit dem anderen befand. Etwas erschrocken und peinlich berührt löste er sich vorsichtig von Yohji.

„Es ist nicht das, wonach es aussieht, Ken“, murmelte Omi beinahe entschuldigend und kroch aus dem Bett. „Was wolltest du denn jetzt?“

Der ehemalige Torwart winkte jedoch ab. „Ach ähm, nein ist schon gut. Schlaft ruhig weiter. Ist auch nicht so wichtig.“ Rückwärts ging er wieder aus dem Zimmer heraus und zog die Tür zu.

„Meine Güte, was für ein Trottel“, brachte Schuldig mühsam zwischen einigen Lachanfällen heraus. Immer noch prustend krümmte er sich leicht zusammen, da sein Körper von immer neuen Lachattacken durchgeschüttelt wurde. „Dieses Gesicht ... unbezahlbar. Merkt der eigentlich noch was?“ Langsam beruhigte er sich wieder und setzte sich auf den Bettrand zu Yohji. „Schade, dass ich nicht mit ihm reden darf. Sonst würde ich ein wenig mit ihm ‘Ich weiß etwas, was du nicht weißt‘ spielen.“

„Wirst du eigentlich nie erwachsen?“, fragte Brad entnervt. Es war einfach eine Strafe, mit diesem Mann eingesperrt und ein Opfer seiner Versuche sich die Langeweile zu vertreiben zu sein. Allerdings konnte er nicht abstreiten, dass die Situation eben etwas Komisches an sich hatte und Ken wirklich ungeahnt dämlich aus der Wäsche schauen konnte.

Omi stand unschlüssig vor dem Bett und warf einen prüfenden Blick auf Yohji, um sicher zu gehen, dass er ihn nicht geweckt hatte. Aber der Mann schlief immer noch tief und fest. Es brauchte schon Einiges, um ihn aus dem Land der Träume zu holen. Sollte er nun Ken hinterher laufen, um zu fragen, was er wollte oder lieber wieder ins Bett gehen? Seine Überlegungen schwankten zwischen den beiden Möglichkeiten hin und her. Letztendlich entschloss er sich jedoch dafür, lieber noch etwas zu schlafen, schließlich war er noch im Wachstum und brauchte seine Ruhephasen. Er kletterte wieder zu Yohji ins Bett und kuschelte sich bis zum Kinn in die Decke ein.
 

Ken für seinen Teil beschloss, das Gesehene fürs Erste zu verdrängen. Schließlich war es ihre Sache und sie waren alt genug, um zu wissen, was sie taten. Er ging wieder in die Küche und gesellte sich zu Aya, der gerade ihr Frühstücksgeschirr abspülte. Um nicht vollkommen nutzlos herum zu stehen, schnappte er sich ein Handtuch und fing an die Teller und Tassen abzutrocknen.

„Schlafen Yohji und Omi noch?“, erkundigte sich der Rotschopf und ließ das Wasser aus dem Spülbecken.

Was sollte denn jetzt diese Frage? Ken war irritiert. Wusste ihr Leader etwa, ob da etwas Ernsthaftes zwischen Omi und Yohji war? Warum war eigentlich immer jeder informiert, nur er nicht? Die Welt war ungerecht.

„Ich hab dich was gefragt“, riss der andere ihn wieder aus seinen Gedanken.

Ken schreckte kurz zusammen und nickte dann eifrig. „Ja, sie schlafen noch. Aber sie haben ja auch keine Schicht und Omi muss nicht zur Schule.“

Aya nickte bloß, trocknete sich die Hände und machte sich daran, das saubere Geschirr wieder in die Schränke zu räumen. Dann ging er in den Blumenladen und öffnete die Rollläden. Nur wenige Minuten später gesellte sich auch Ken wieder zu ihm und half ihm, die Blumenkübel nach draußen vor die Schaufenster zu stellen.

„Findest du nicht, dass Ken sich merkwürdig verhält?“, fragte Nagi irgendwann seinen Kollegen.

Farfarello zuckte jedoch nur mit den Schultern. „Ich weiß nicht. Meinst du merkwürdiger als sonst?“

Ein leichtes Lächeln stahl sich auf die Lippen des Jungen. Irgendwie hatte der andere Recht, sie benahmen sich doch alle merkwürdig. Schließlich versuchten sie mit ihrem Image als Blumenhändler ihre wahre Identität als Profikiller zu verbergen. „Ja, irgendwie schon. Hat er etwa heute schon Mist gebaut? Es ist doch grade mal elf Uhr.“

„Er ist heute Morgen beim Joggen umgeknickt und wollte sich dafür nur eine Salbe bei Omi holen. Der war aber nicht in seinem Zimmer, sondern bei Yohji und darum konnte er die Salbe nicht holen. Sonst war aber nichts“, erklärte Farfarello gelassen und zuckte mit den Schultern.

„Ach so, na dann“, meinte Nagi achselzuckend und widmete Aya wieder seine volle Aufmerksamkeit.

So verbrachten sie bis zur Mittagspause die Zeit damit, ihre Schützlinge zu hüten, die nichtsahnend ihre Kunden bedienten, Bestellungen entgegennahmen und Blumensträuße banden.
 

Als Aya und Ken den Blumenladen zur Mittagspause schlossen und in die Küche kamen, stand Omi bereits am Herd und kümmerte sich um das Mittagessen.

„Hallo“, grüßte er sie gut gelaunt und strahlte übers ganze Gesicht.

„Schläft Yohji etwa immer noch?“, erkundigte sich der Rotschopf und begann damit, den Tisch zu decken, während Ken wieder leicht errötete und krampfhaft versuchte, nicht an das Bild vom Morgen zu denken.

Der blonde Junge schüttelte den Kopf. „Nein, er blockiert das Badezimmer.“

„Es wäre besser für ihn, wenn er heute mal nicht stundenlang braucht und pünktlich zu seiner Schicht kommt.“

„Keine Sorge, Aya, ich bin pünktlich“, erklang eine Stimme von der Küchentür her. Der Mann, der gerade noch das Gesprächsthema gewesen war, betrat nun mit immer noch nassen Haaren den Raum und steuerte als erstes die Kaffeemaschine an, um sich eine Tasse der schwarzen Brühe zu genehmigen.

„Für mich brauchst du nichts machen, Omi. Für mich gibt’s Katerfrühstück.“ Mit diesen Worten war er auch schon wieder verschwunden und die anderen Drei schauten ihm irritiert hinterher.

Yohji setzte sich raus auf die Terrasse und zündete sich zunächst eine Zigarette an. Seine Erinnerung an die letzte Nacht war nur noch verschwommen und er fühlte sich einfach nur elend. Hoffentlich hatte Omi den anderen nichts von der peinlichen Kotzorgie erzählt. So schlimm war es ihm schon lange nicht mehr ergangen und er betete, dass sein Magen wenigstens den Kaffee aufnehmen würde, den er in kleinen Schlücken in sich hinein laufen ließ.
 

Der Nachmittag kroch geradezu elend langsam dahin. Zwar hatten Aya und Yohji alle Hände voll zu tun und konnten sich keineswegs über sinkende Kundenzahlen beklagen, aber Schuldig und Nagi langweilten sich.

„Wie war es eigentlich letzte Nacht mit Yohji?“, fragte Nagi, um sich die Zeit zu vertreiben.

„Du meinst wohl eher ‘Wie war es ihm zuzusehen, wie er Spaß hatte?‘“, korrigierte der Deutsche ihn. „Aber eigentlich war es auch für mich recht amüsant. Was für ihn dabei allerdings im Endeffekt heraus gekommen ist, hast du ja selber gesehen.“

Sie unterhielten sich noch eine Weile darüber, was sie bisher getan hatten, um auf ihre Schützlinge aufzupassen. Insgesamt kamen sie zu dem Ergebnis, dass es sich bisher nur um uninteressante Belanglosigkeiten handelte.
 

Am frühen Abend ließ Yohji die Rollläden herunter, um den Laden zu schließen, als er ein paar Stöckelschuhe über den Asphalt klacken hörte, die genau vor dem Laden hielten. Er sah die Schuhe und die darin steckenden Füße an.

„Diese Fersen kenne ich doch. Die gehören Birman“, stellte er fest und schob dabei das Rollo wieder nach oben, um der Frau Einlass zu gewähren.

„Hallo Yohji“, begrüßte sie ihn lächelnd. „Sind die anderen auch da?“

Der junge Mann erwiderte das Lächeln und nickte. „Ja, Aya und Omi sind drinnen. Aber Ken ist mit seinen Kids Fußball spielen, wie jeden Samstag.“

„Gut.“ Sie wartete bis Yohji den Laden geschlossen hatte und wandte sich dann ab, um mit ihm in die Wohnung zu gehen. „Hol die anderen und ruf Ken an, es gibt eine neue Mission“, sagte Birman und ging schon die Wendeltreppe nach unten in den Missionsraum.

Schuldig wurde hellhörig. Das versprach doch endlich mal etwas Aufregung.

Gut Ding will Weile haben

Wir sind keine Engel
 

Kapitel 5: Gut Ding will Weile haben
 

Weiß war fast vollzählig im Missionsraum versammelt. Yohji hatte sich auf der Couch zusammen gelümmelt, Aya lehnte an der Wand und Omi saß rittlings auf seinem Drehstuhl. Birman legte gerade ein Videoband in den Rekorder unter dem großen Bildschirm ein.

„Sollten wir nicht vielleicht noch auf Ken warten?“, fragte Yohji. „Ich hab ihn auf dem Handy angerufen und er meinte, er beeilt sich herzukommen.“

Die Frau warf einen kurzen Blick auf ihre Armbanduhr. „Okay, warten wir noch ein paar Minuten. Besser er bekommt auch alles von Anfang an mit.“

Lange mussten sie allerdings nicht warten. Nach nicht ganz einer viertel Stunde stürmte ein vollkommen außer Atem geratener junger Mann in den Missionsraum. Beinahe stürzte er noch die letzten Stufen der Wendeltreppe hinunter, weil er es so eilig hatte.

„Tut ... tut mir leid, wenn ich zu spät bin“, keuchte er erschöpft und ließ sich völlig geschafft auf das Sofa fallen.

„Dann können wir ja anfangen“, stellte Birman fest und knipste das Licht aus. Gleich darauf startete sie das Video, auf dem die digitale Simulation von Perser die neue Mission verkündete.

„Weiß, Ziel eurer Mission sind diese beiden Personen, Takato Inagawa und seine Verlobte Maria Corleone. Ihre Position und Macht in ihren jeweiligen Organisationen ist enorm. Durch eine Zweckhochzeit würden die Yakuza und die italienische Mafia wohl zu einer der größten und bedrohlichsten kriminellen Organisationen der Welt heranreifen. Das muss unter allen Umständen verhindert werden, vernichtet die finsteren Hoffnungsträger. Jäger des Lichtes, jagt die dunkle Brut.“

Birman schaltete den Fernseher aus und das Licht wieder an. „Ich nehme an, ihr macht alle mit?“

Die vier jungen Männer stimmten zu und erkundigten sich nach Zusatzinformationen.
 

„So geht das hier also ab“, bemerkte Schuldig. „Wenn sie keinen Bock auf eine Mission haben, brauchen sie nicht annehmen.“

„Aber wenn sie annehmen und gelinde gesagt scheiße bauen oder versagen, ist das ihr Todesurteil“, fügte Nagi hinzu.

Farfarello kicherte leise. „Das haben sie doch längst unterschrieben. An dem Tag, an dem sie Weiß beigetreten sind.“

„Ja, aber damit ihre Galgenfrist verlängert wird, sind wir jetzt hier. Und um genau das zu tun, würde ich gerne mitbekommen, was Birman noch für Informationen über die Mission hat. Also haltet die Klappe!“, schnauzte Brad seine Kollegen mit den letzten Worten erbost an.

„Ist ja schon gut“, gab der Deutsche kleinlaut bei und setzte sich neben Yohji. „Bin ganz still.“
 

„Takato ist der Enkel des hiesigen berüchtigten Oyabun Kakuji Inagawa. Maria ist eine Tochter des Corleoner Mafiaclans der, wie der Name schon sagt, ursprünglich von der italienischen Insel Sizilien stammt. Marias Teil der Familie hat sich jedoch während anhaltender, blutiger Bandenkriege bereits vor mehreren Jahren nach Venedig abgesetzt“, erklärte die dunkelhaarige Frau und verteilte einiges an Bildmaterial und Berichten auf dem Tisch. „Schon jetzt stehen hier Drogenhandel und Waffenschmuggel auf der Tagesordnung. Vor kurzem haben wir eine Meldung über einen Menschenhändlerring bekommen. Als wir dem Hinweis nachgegangen sind, stießen wir wieder einmal auf Inagawa.“

„Gut. Wann soll die Mission ausgeführt werden?“, erkundigte sich Aya.

„Die Zielpersonen planen für Neujahr ihre Hochzeit“, erklärte die Frau. „Ihr müsst sie also vorher von der Bildfläche verschwinden lassen.“

„Das sollte doch keine Probleme machen, wir haben noch über zwei Monate Zeit“, meinte Ken lächelnd und lehnte sich entspannt zurück. Das schien doch auf den ersten Blick eine sehr lockere Mission zu werden.

„So einfach, wie es aussieht, ist es wahrscheinlich nicht. Die beiden haben einen ziemlich vollen Terminplan und bisher konnten wir leider keinen geeigneten Zeitpunkt zur Ausführung der Mission ausmachen. Sie sind im Moment irgendwo in Europa unterwegs und da wollen wir euch nicht extra hinschicken. Außerdem wäre es gut möglich, dass Schwarz euch in die Quere kommen. Wir haben zwar schon seit einiger Zeit nichts mehr vor ihnen gehört, aber Vorsicht ist die Mutter der Porzellankiste“, sagte Birman.

„Wir haben schon seit ungefähr zwei Monaten von Schwarz nichts mehr gehört oder gesehen“, warf Yohji, der bisher geschwiegen hatte, ein. Der Gedanke ein verlobtes Paar, das kurz vor seiner Hochzeit stand auszulöschen, behagte ihm nicht.

Ken widersprach ihm. „Das hat vielleicht nichts zu sagen. Vielleicht war das nur die Ruhe vor dem Sturm oder so. Ich würde mich nicht wundern, wenn sie für so mächtige Kriminelle die Bodyguards spielen.“ Er versuchte seine Stimme unter Kontrolle zu bekommen, damit sie sich nicht überschlug. Ansonsten würde er sich wohl verdächtig machen.

Die Frau nickte zustimmend. „Ich muss Ken Recht geben. Vielleicht trefft ihr auf Schwarz. Und wenn nicht, dann werden sie trotzdem noch genügend andere Wachhunde haben. Außerdem solltet ihr die Beiden möglichst zusammen erwischen und nicht einzeln. Die Sicherheit wird ohnehin hoch sein und solltet ihr die Zielpersonen nacheinander eliminieren, wird ihr ganzes Sicherheitspersonal in Alarmbereitschaft sein und ihr würdet es euch nur unnötig schwer machen.“
 

Schuldig lachte leise, aber verbittert. „Wenn die wüssten. Sehen werden die uns wohl nie wieder müssen.“

„Ist wohl besser, wenn sie nichts wissen“, meinte Brad und schob seine Brille zurecht.

„Vielleicht sollten wir ihnen ein paar Beweise zukommen lassen, dass wir tatsächlich tot sind“, mischte Nagi sich ein. „Ich denke mal in den Trümmern des eingestürzten Gebäudes werden doch wohl ein paar identifizierbare Überreste unserer Leichen zu finden sein.“

„Meinst du, das ist eine gute Idee?“, fragte Farfarello. „Vielleicht wiegen sie sich zu sehr in Sicherheit, wenn sie wissen, dass wir tot sind und werden unvorsichtig.“

Der Amerikaner war derselben Meinung. „Wir sollten sie es nicht rauskriegen lassen. Oder zumindest sollten wir sie nicht mit dem Kopf drauf stoßen. Wir müssen uns ja den Job nicht noch unnötig erschweren. Das wäre nicht besonders effektiv.“

„Sehe ich auch so. Warum mehr Arbeit machen als nötig?“, stimmte auch der Deutsche zu.
 

„Du hast gesagt sie haben einen ziemlich vollen Terminplan“, hakte Omi noch einmal nach. „Also müssen wir wohl erst herausbekommen, wann und wo wir sie am besten erwischen?“

„Genau so ist es, Omi. Und das bedeutet, dass die Arbeit fürs Erste an dir hängen bleibt“, meinte Birman mit einem entschuldigenden Lächeln. „Aber Kritiker suchen ebenfalls weiter. Wir halten euch auf dem Laufenden, sollten wir noch ein paar Informationen ausgraben.“

Der blonde Junge seufzte leise. „Dann werde ich mich wohl mal an die Arbeit machen.“ Er nahm die braune Kladde vom Tisch und begann darin herumzublättern.

„Ach, das ist doch für dich ein Kinderspiel“, meinte Yohji lächelnd und wuschelte ihm aufmunternd durchs Haar. „Ist doch nicht der erste Terminplan, den wir knacken.“

„Schon ... aber was ist, wenn sie ihre wichtigen Daten auf einem Rechner gesichert haben, der nicht im Netzwerk hängt? Dann komm ich da auch nicht dran. Und da Kritiker bisher auch nichts stichhaltiges gefunden hat, deutet das wohl darauf hin“, erklärte der Jüngste und überflog dabei schnell einige Berichte.

„Wenn das wirklich so sein sollte, werden wir uns eben die nötigen Daten von dieser separate Workstation beschaffen“, beschloss Aya in einem Tonfall, der keine Widerrede zuließ.

„Damit wäre dann wohl vorläufig alles geklärt“, meinte Birman und wandte sich der Treppe zu. „Wenn ihr noch weitere Fragen habt, wisst ihr ja, wie ihr mich erreichen könnt.“

Sie drehte sich um und ging die Treppe hinauf, wobei die Absätze ihrer Stöckelschuhe ein lautes Klacken auf dem Metall verursachten.

Yohji seufzte leise, als er der Frau hinterher sah. „Dann geh ich wohl heute Abend nicht aus.“

„Ganz richtig, das tust du nicht“, meinte ihr Leader und reichte ihm einen Stapel Papier. „Erst mal arbeiten wir uns ein bisschen in diese Mission ein.“

„Das Meiste bleibt doch sowieso wieder an mir hängen“, beschwerte sich Omi und bezog bereits seinen Platz vor dem Computer.

Ken schüttelte den Kopf. „Wenn man euch so zuhört, geht einem auch noch das letzte bisschen Motivation flöten. Wie wäre es, wenn wir uns erst mal was zu Essen besorgen? Mit leerem Magen lässt sich schlecht arbeiten. Wir könnten zum Beispiel Pizza bestellen oder so.“

Zumindest dieser Vorschlag wurde einstimmig angenommen und in die Tat umgesetzt. Sofern man einen protestierenden, im Verhältnis drei zu eins überstimmten Rotschopf als zustimmend bezeichnen konnte.

Schon bald saßen die Vier zusammen im Missionsraum, inmitten von Papierstapeln, Berichten, Ausdrucken von einer CD, Notizzetteln und Pizzaschachteln. Schwarz leisteten ihnen dabei unbemerkte Gesellschaft. Auch sie begutachteten alle vorhandenen Aufzeichnungen.

„Irgendwie ziemlich langweilig, anderen Leuten beim Arbeiten zuzusehen“, meinte Nagi und streckte sich ausgiebig.

Brad stimmte ihm in dieser Sache zu. „Ich würde da auch lieber selber etwas bei tun können. Schaut euch bloß mal dieses unorganisierte Chaos an ... da kann ja nichts Gescheites bei herumkommen.“

„Hey, entspann dich, Bradley“, säuselte Schuldig und studierte die Fotos von Maria Corleone. Sie war eine durchaus rassige, italienische Schönheit: Hochgewachsen, mit leicht gewelltem, schwarzem Haar und dunkelbraunen Augen. „Ist doch auch mal nett, andere alles machen zu lassen. Wir bekommen noch früh genug alle Hände voll zu tun.“

„Nenn mich nicht Bradley“, knurrte der Amerikaner und blieb stehen. Er war die ganze Zeit nervös hinter Omi auf und ab gelaufen. Er fühlte sich so nutzlos.

„Die haben ja ihre Finger wirklich überall drin“, stellte Omi nach einiger Zeit fest. „Schaut mal her. Habt ihr das schon gesehen? Spendengelder für die Jigen-Partei in beträchtlicher Höhe, Bestechungsgelder, wie man sieht. Da hätten wohl noch ein paar Leute was von gehabt, wenn Takatori an die Macht gelangt wäre.“

„Lass mal sehen“, meinte Aya und nahm ihm auch schon das Papier aus der Hand. Er überflog die Zeilen kurz und schüttelte dann missmutig den Kopf. „Warum können die so etwas ausgraben und an ein paar lächerlichen Terminen hapert es?“

„Die Beiden schätzen wohl ihre Privatsphäre“, antwortete Yohji mit einem sarkastischen Grinsen. Seine Zweifel bezüglich der Zielpersonen hatten sich mittlerweile weitestgehend aufgelöst. Diese Beiden hatten wirklich viel Dreck am Stecken. Und die Hochzeit schrie wirklich geradezu nach Zweckmäßigkeit, nach nichts anderem.

Bis spät in die Nacht hinein arbeiteten die jungen Männer ihre Unterlagen durch, peinlich darauf bedacht, nichts Wichtiges zu übersehen. Doch an diesem Abend konnten sie aus den Informationen, die sie von Kritiker bekommen hatten, keinen passenden Zeitpunkt für die Durchführung ihrer Mission herausfiltern. Birman hatte nicht untertrieben.

Allgemeine Müdigkeit breitete sich nach den geistigen Anstrengungen immer rascher aus. Als Ken anfing zu gähnen, steckte er die anderen damit an und Omi schlief bereits beinahe über seiner Tastatur ein.

„Machen wir Schluss für heute“, bestimmte Aya und ordnete die Dokumente schnell in die Kladde ein. „Morgen ist auch noch ein Tag. Mach den Computer aus, Omi.“

Der Gedanke an ein weiches Bett war für alle verlockend und niemand widersprach dem Rotschopf.
 

Eine Woche war bereits vergangen, ohne dass Omi etwas Brauchbares herausgefunden hatte. Diese Leute hatten wirklich Termine auf der ganzen Welt, soviel hatte er in Erfahrung bringen können. Sie besaßen einen Privatjet, was bei den Einnahmen aus kriminellen Machenschaften wohl ein angemessener Luxus war und waren alle paar Tage an einem anderen Ort anzutreffen. Nur Japan hatte er bisher für beide zusammen nicht bis Neujahr auf ihrer Route entdecken können. Ohnehin schienen die Termine vollkommen willkürlich gelegt zu sein und wiesen kein erkennbares Muster auf. Zwischendurch gab es auch immer wieder Tage, an denen wohl nichts geplant war. Wenn das so weiter ging, blieb ihnen wohl nichts anderes übrig, als sich ebenfalls in ein Flugzeug zu setzen und ihre Mission eben auf einem anderen Kontinent zu erfüllen.

Der blonde Junge tippte mittlerweile mehr als lustlos auf der Tastatur herum. Irgendwie hatte er das Gefühl, immer einen Schritt hinterher zu hinken. Wenn er im Yakuza-Netzwerk einen Hinweis gefunden hatte und dem nachgegangen war, stelle er meistens fest, dass die Information schon wieder veraltet war und sei es bloß um ein paar Stunden.

Auch Brad beobachtete das Elend. So konnte das doch nicht weiter gehen. Weiß hatten schon ganz andere Dinger gedreht und da sollten so ein paar Mafiosi doch keine wirkliche Herausforderung darstellen. Anscheinend hatte Omi etwas Wichtiges übersehen. Was angesichts der Tatsache, dass er kaum schlief, rund um die Uhr vor dem Bildschirm saß und sogar für die Schule eine Krankmeldung hatte, kaum verwunderlich war. Unter solchen Umständen musste die Konzentration einfach früher oder später nachlassen.

Vielleicht konnte Nagi bei der Recherche weiter helfen. Er war mindestens ein ebenso brillanter Hacker, wie der blonde Japaner, wenn nicht sogar noch besser. Das nächste Mal, wenn er mit Aya in den Missionsraum kam, um Omi etwas zu Essen zu bringen, würde Brad ihn darauf ansprechen. Dann mussten sie nur noch dafür sorgen, dass der Weiß-Leader auch zur moralischen Unterstützung bei seinem Freund blieb.

Auf die ersehnte Gesellschaft musste Crawford nicht lange warten. Wie angenommen betrat nach einiger Zeit der Weiß-Leader den Missionsraum, Nagi wie immer im Schlepptau. Der Rotschopf trug ein Tablett mit Omis Abendessen und stellte es neben dem Computer ab.

„Hast du schon etwas herausgefunden?“, fragte er hoffnungsvoll.

Der Jüngere schüttelte niedergeschlagen den Kopf. „Nichts Brauchbares. Inagawa ist zwar ein paar Mal in Japan und sogar hier in Tokyo, aber seine Verlobte ist nie dabei. Vielleicht ahnen sie etwas.“

„Nein, das glaube ich weniger“, meinte Aya kopfschüttelnd.

„Wieso denn nicht? Die werden sich bestimmt noch mehr Feinde gemacht haben.“ Omi tippte noch etwas ein und runzelte die Stirn. „Seltsam ... irgendetwas ist anders.“

Der Rotschopf sah ihn mit fragendem Blick an. „Wie meinst du das?“

„Ich hab mich bisher in die lokalen Netzwerke der Yakuza reingehackt sowie bei den Corleones. Untereinander sind sie selten bis überhaupt nicht vernetzt, so dass ich mir sie nicht gleichzeitig vornehmen kann. Aber irgendwas hat sich hier gerade in der Netzwerkstruktur geändert, glaube ich“, erklärte der Hacker und versuchte nachzuvollziehen, was er gerade entdeckt hatte.

„Vielleicht solltest du mal eine Pause einlegen“, meinte Aya und hielt ihm die Essstäbchen hin.

„Aber vielleicht übersehe ich dann etwas Wichtiges“, widersprach Omi und tippte, die Stäbchen ignorierend, weiter.

„Du solltest trotzdem etwas essen.“

Der blonde Junge seufzte leise. „Okay, aber lass mich hier eben noch ein paar Tools einrichten, die mir ein bisschen Arbeit abnehmen.“

Brad und Nagi schauten ihm dabei interessiert über die Schulter.

„Kannst du ihm hierbei etwas unter die Arme greifen?“, fragte der Amerikaner.

Der Jüngste im Raum begutachtete kurz, was Omi bisher herausgefunden hatte und was er gerade einrichtete. Dann nickte er. „Ja, ich denke schon. Dadurch, dass er hier jetzt einige Programme startet, die quasi noch mal alles alleine durcharbeiten, kann ich unbemerkt selber dazwischenfunken. Das heißt, wenn die beiden nicht auf die Tastatur achten.“

„Die arbeiten also alleine?“, fragte Aya skeptisch.

„Naja, nicht ganz alleine. Ich hab sie ja vorher programmiert. Und nachher muss ich die gesammelten Daten noch auswerten“, erklärte er.

„Aber in der Zwischenzeit läuft alles automatisch? Dann kannst du dich ja mal bequemer hinsetzen und in Ruhe essen. Gönne deinen Augen auch mal etwas Ruhe.“ Mit diesen Worten nahm der Rotschopf das Tablett wieder auf und stellte es auf dem Tisch vor dem Sofa ab.

Widerwillig erhob sich Omi von seinem Drehstuhl und folgte dem anderen auf das Sofa. Er setzte sich neben ihn und nahm die Schale an sich, es gab Reis mit Curryhühnchen und verschiedenen Gemüsen.

„Wer hat gekocht?“, fragte er und begann langsam zu essen.

„Ich, wer sonst? Glaubst du etwa, Yohji hätte mal eben auf die Schnelle kochen gelernt? Das wird er sein Lebtag nicht mehr lernen. Und Ken war gestern dran.“

Nagi nutzte die Gelegenheit und führte Omis Arbeit fort. Er musste sich beeilen, denn der andere würde schließlich nicht ewig essen. „Brad, ich glaub ich weiß jetzt, was Bombay gerade so seltsam vorkam.“

„Und was?“

„Es hängt eine zusätzliche Workstation im Netzwerk, die vorher nicht da war und scheinbar nicht richtig damit kompatibel ist. Ich werde mir das mal genauer ansehen. Dafür brauche ich aber noch ein paar Minuten.“

„Die Zeit hast du vielleicht nicht mehr. Omi ist fertig mit essen“, stellte der Amerikaner fest und beobachtete, wie sein Schützling seine Schale und die Essstäbchen wieder zurück auf das Tablett stellte.

„Das war sehr gut, Aya“, sagte der blonde Junge und schenkte seinem Gegenüber eines seiner fröhlichen Lächeln. „Jetzt kann ich mich frisch gestärkt wieder an die Arbeit machen.“

Und genau das tat er dann. Er stand auf und setzte sich wieder an den Computer. Nagi musste fluchtartig den Stuhl räumen, damit Omis Körper nicht durch ihn hindurch sank. Dieser ungewollte Körperkontakt war eine eher unangenehme Erfahrung, die jeder von Schwarz bereits gemacht hatte. Er hatte nicht einmal mehr Zeit, das Fenster, in dem er gerade gearbeitete hatte, zu schließen.

Der junge Weiß betrachtete kurz seinen Bildschirm und runzelte die Stirn. Dann ließ er seine Finger wieder in Windeseile über die Tasten fliegen.

„Ich will dich nicht länger stören“, meinte Aya und ging mit dem Tablett wieder nach oben in die Küche.

Hier waren Ken und Yohji gerade mit dem Abwasch beschäftigt und ihr Leader stellte Omis schmutziges Geschirr noch dazu. Dann setzte er sich an den Küchentisch und seufzte leise.

„Immer noch nichts?“, fragte der Playboy.

Aya schüttelte entmutigt den Kopf. „Er hat zwar einiges herausgefunden, aber nichts was für uns hilfreich wäre. So schwer hatte er noch nie an etwas zu beißen.“

Nagi grinste wissend und lehnte sich entspannt zurück. Er wirkte wie die Selbstsicherheit in Person, im Moment stellte er einen ziemlichen Gegensatz zu seinem Schützling dar. Das machte seine beiden Kollegen stutzig.

„Was hast du ausgefressen?“, fragte Schuldig ihn direkt.

„Gar nichts“, meinte Nagi. „Ich hab nur Omi ein bisschen Arbeit abgenommen und bin auf etwas gestoßen, was er wohl auch nach einiger Zeit bemerkt hätte, wenn Aya ihn nicht zum Essen gezwungen hätte.“

„Und was ist das?“, wollte Farfarello wissen und wurde für einen Augenblick unachtsam.

Genau in dieser Sekunde ließ Ken eine Porzellanschale auf den Boden fallen und sie zersplitterte in tausend Scherben.

„He, pass doch auf“, beschwerte sich Yohji, der schnell einen Schritt zur Seite gesprungen oder mehr oder weniger von Schuldig zur Seite gezogen worden war, um keine Splitter abzubekommen.

„Tut mir leid, es ist mir einfach aus der Hand gerutscht“, entschuldigte er sich und beugte sich herunter, um die Scherben aufzusammeln.

Schuldig schüttelte leicht den Kopf und seufzte. „Wir müssen echt bei allem aufpassen, selbst bei solchen Kleinigkeiten. Was meint ihr wohl, wie oft ich Yohji davon abhalten musste, mit dem Akkuschrauber oder dem Hammer aus Versehen Selbstmord zu begehen, als wir den neuen Schrank aufgebaut haben?“

„Jetzt übertreibe mal nicht“, meinte Nagi und lachte. „Ihr habt irrsinnig viel Krach gemacht und geflucht habt ihr beide mehr als genug. So schlimm kann es also nicht gewesen sein, ihr schient euren Spaß zu haben.“

Farfarello schenkte seinen beiden Kollegen für den Augenblick keine Beachtung. Seine ganze Aufmerksamkeit galt Ken, damit dieser sich beim Scherbenauflesen nicht auch noch schnitt. Es war schlimm genug, dass er durch seine Schuld erst etwas hatte fallen lassen.

„Also jetzt rück schon raus mit der Sprache“, kam Schuldig wieder auf das ursprüngliche Thema zurück. „Was hat Bombay, beziehungsweise: Was hast du denn jetzt herausgefunden?“

Nagi schüttelte den Kopf. „Das wird Omi den anderen, denke ich, in ein paar Minuten erzählen. Ich hab ihn ja nur in die richtige Richtung geschubst, den Rest muss er noch alleine machen. Ich hab nur so eine Ahnung, dass sie jetzt mit ihrer Mission einen großen Schritt nach vorne machen.“
 

„Ich hab was! Ich hab was!“, tönten immer lauter werdende, weil näher kommende, freudige Rufe aus dem Missionsraum im Keller. Wenige Augenblicke später stand ein über das ganze Gesicht strahlender Junge mitten in der Küche und tänzelte aufgeregt von einem Fuß auf den anderen. „Ich hab was gefunden und weiß jetzt auch warum ich so lange danach suchen musste. Was nicht da ist, kann man nicht finden.“

„Und was hast du gefunden?“, fragte Aya erwartungsvoll.

„Die persönliche Agenda von Maria Corleone“, verkündete Omi voller Stolz. „Sie ist immer mit ihrem Laptop unterwegs. Nein, eigentlich ist Laptop falsch, sie benutzt so ein Apple iBook. Daher schließt sie ihn wohl auch nur ganz selten ans Netzwerk an, weil es da schon mal Kompatibilitätsprobleme zwischen MAC OS und den Windows Betriebssystemen gibt. Und vom Internet hält sie wohl auch allgemein nicht so viel.“

„Und in dieser Agenda steht drin, wann sie das nächste mal mit Takato Inagawa in Tokyo ist“, vermutete Yohji und nahm einen weiteren Zug an seiner Zigarette.

„Bingo!“, strahlte der blonde Junge. „Ich spiegele gerade ihre gesamte Festplatte und durchforste sie dann nachher. Wenn ich das lokal bei ihr direkt drauf mache, ist erstens das Risiko zu groß entdeckt zu werden und zweitens könnte sie die Verbindung unterbrechen.“

„Omi, du bist ein Genie.“

Den anderen, einschließlich Schuldig und Farfarello blieb nichts mehr hinzuzufügen, außer zustimmendem Kopfnicken.

„Ich weiß, Ken.“

Mit diesen Worten verließ er die Küche wieder fluchtartig und stürmte zurück an seinen Computer. Um nichts in der Welt wollte er riskieren, dass jetzt noch etwas schief ging. Blieb nur zu hoffen, dass Maria lange genug online blieb.

„Das ist gemein“, nörgelte Nagi niedergeschlagen. „Er heimst die ganzen Lorbeeren ein, obwohl er ohne mich immer noch vor einem einzigen großen Fragezeichen stünde.“

„Ach, Kleiner“, meinte Schuldig in tröstendem Tonfall und tätschelte ihm den Kopf. „Mach dir nichts daraus, für uns bist du das größere Genie.“

„Hör auf damit!“, Der Junge Japaner war verärgert und schlug dem Deutschen die Hand weg. „Behandle mich nicht immer wie ein kleines Kind. Das bin ich nicht, schon lange nicht mehr.“

Der Ältere zuckte ob des Schlages leicht zurück. „Tut mir leid“, meinte er dann kleinlaut. „War doch nicht böse gemeint.“

„Ja, ich weiß ... tut mir auch leid. Aber ... es ist nur ...“

„Ich versteh ja, wie du dich fühlst. Aber es ist unser Job und damit müssen wir klar kommen. Wir werden keine Anerkennung für das bekommen, was wir hier tun.“

„Und trotzdem müssen wir“, stimmte Farfarello zu, „egal unter welchen Umständen. Auch wenn es uns manchmal nicht passt. Aber etwas anderes haben wir schließlich nicht verdient.“

Nagi war geknickt. Die Beiden hatten Recht. Zum ersten Mal wünschte er sich, ein paar Dinge in seinem Leben anders gemacht zu haben. Doch ungeschehen konnte man nichts von alledem machen, nur versuchen ein paar andere Dinge dafür richtig zu machen und damit einige Falten in der längst nicht mehr weißen Weste auszubügeln.

„Ich glaub, ich geh mal runter und sehe mir an, was der Kleine da gefunden hat“, sagte Yohji und drückte seine Zigarette im Aschenbecher aus.

„Vielleicht solltest du warten, bis er alles fertig hat. Er wird uns da schon Bescheid sagen“, meinte Aya.

Ken nickte zustimmend. „Es wäre besser, wenn wir ihn nicht stören. Wir könnten damit einiges kaputt machen.“

Der Playboy seufzte leise. „Ist ja gut, ich gebe mich geschlagen. Dann geh ich eben mal so lange gucken, was in der Glotze läuft.“ Und schon machte er sich auf ins Wohnzimmer.

„Tu das“, meinte der Rotschopf und verließ die Küche ebenfalls. „Wenn irgendwas ist, ich bin oben.“ Mit diesen Worten stapfte er die Treppe hinauf und verschwand in seinem Zimmer.

„Na ganz toll“, murrte der Zurückgelassene. „Alle lassen mich alleine und ich muss den Rest wieder alleine machen.“

Ken schnappte sich ein Spültuch und wischte noch den Tisch und die Anrichte sauber.

Nachdem die Küche zu seiner Zufriedenheit blitzte und blinkte, gesellte er sich zu Yohji und schon nach einigen Minuten entbrannte ein Streit über das Fernsehprogramm und über die Macht über die Fernbedienung.

„Sag mal, Farf ... haben wir uns früher auch so kindisch benommen?“, fragte Schuldig, als er sich die kleine Vorstellung kritisch ansah.

Der Einäugige überlegte kurz. „Wir nicht, du schon.“

„Danke, aber das war nicht die Antwort, die ich hören wollte.“

„Wenn du sie nicht hören willst, dann frag mich doch erst gar nicht.“

„Ist ja gut, du hast ja Recht“, stöhnte der Deutsche wehleidig. „So langsam sollte ich es wohl besser wissen.“ Er machte eine kurze Pause und fügte schnell hinzu: „Und jetzt versuch bloß nicht, auch noch das letzte Wort zu haben.“
 

Omi verbrachte noch ein paar Stunden damit die Datenmenge, die er kopiert hatte zu ordnen und die für sie relevanten Informationen zu filtern. Als er endlich damit fertig war, verriet ihm ein Blick auf die Uhr, dass es bereits weit nach Mitternacht war. Und das spürte er auch in jeder Faser seines Körpers, einfach alles tat ihm weh. Ein neuer, ergonomischer Stuhl war etwas, das er jetzt auf der Liste der demnächst zu tätigenden Anschaffungen ganz oben ansiedelte.

Die letzten Ausdrucke wurden von dem Gerät ausgeworfen und der Junge streckte sich ausgiebig und gähnte herzhaft. Die genaue Planung der Mission konnten sie auch noch morgen vornehmen und besprechen. Jetzt brauchte er zuerst einmal dringend Schlaf.

Das fand auch Brad. Er hatte seinen Schützling die ganze Zeit über interessiert über die Schulter geschaut. In einer Angelegenheit musste er ihm durchaus Respekt und Anerkennung zollen: Wenn er nicht gerade einen Durchhänger hatte, arbeitete er durchaus schnell und effektiv. Und Effizienz wusste der Amerikaner zu schätzen und die Gegenwart solcher Menschen mit dieser mittlerweile rar gewordenen Tugend genoss er geradezu.

Dunkle Ringe hatten sich mittlerweile unter Omis sonst so lebendigen, aber jetzt einfach nur noch müden und überanstrengten Augen gebildet. Er schloss die letzten Programme und fuhr seinen Computer herunter. Dann ordnete er noch die Ausdrucke, damit sie am nächsten Tag direkt anfangen konnten.

Als er alles zu seiner Zufriedenheit wieder einigermaßen ordentlich wieder hergerichtet hatte, schleppte er sich langsam die Treppe nach oben. Aus dem Wohnzimmer fiel durch einen schmalen Türspalt noch Licht auf den Flur. Wahrscheinlich sah Yohji sich wieder irgendwelchen Schweinkram im Nachtprogramm an.

Omi öffnete die Tür und steckte den Kopf ins Wohnzimmer, um zu sehen, dass er mit seiner Vermutung vollkommen falsch lag. Ken saß angespannt auf dem Sofa und fieberte bei einem Fußballspiel mit. Okay, das wäre meine zweite Vermutung gewesen, dachte Omi und schlurfte zum Sofa hinüber.

„Hey, Ken-kun. So spät noch auf? Ist das eine Live-Übertragung?“

Ken drehte sich um und sah den Jüngeren zunächst etwas verduzt an, da er ihn nicht erwartet hatte. Dann nickte er. „Ja, ist es. Yohji hat mich schon das Spiel heute Abend nicht ansehen lassen. Da wollte ich wenigstens das hier nicht verpassen.“

Der blonde Junge seufzte und schüttelte leicht den Kopf. „Kauft euch doch endlich mal jeder einen eigenen Fernseher. Ist ja nicht so, als würdet ihr an der Armutsgrenze leben.“ Er gähnte ausgiebig und setzte hinzu. „Übrigens können wir morgen endlich mal mit der konkreten Planung der Mission anfangen. Ich hab alles nötige soweit zusammen. Jetzt brauch ich aber erst mal eine Mütze voll Schlaf.“

„Das sind ja wirklich tolle Nachrichten. Den Schlaf hast du dir verdient. Gute Nacht, schlaf schön“, meinte Ken lächelnd und heftete dann wieder seinen Blick auf den Bildschirm.

Omi wandte sich wieder ab und ging dann die Treppe nach oben. Er überlegte kurz, ob er nachsehen sollte, ob die beiden anderen noch wach waren und entschied sich dann dafür. Zuerst klopfte er an Yohjis Zimmertür, doch er bat ihn nicht herein. Wieder wog er das Für und Wider ab, entschied sich dann aber für das Wider. Vielleicht hatte er Damenbesuch und dann wäre es mehr als peinlich, einfach so ins Zimmer zu platzen. Also ging er hinüber zu Ayas Zimmer und klopfte an dessen Tür.

„Ja? Herein“, war die angenehm tiefe Stimme gedämpft von drinnen zu hören.

Der blonde Junge öffnete die Tür und steckte den Kopf ins Zimmer, so dass er sehen konnte, wie der andere auf dem Bett lag und las. „Aya-kun? Ich wollte nur Bescheid sagen, dass ich gefunden hab, was wir brauchen und wir morgen anfangen können die Mission zu planen. Jetzt geh ich erst mal schlafen, meine Augen tun mir schon weh, genauso wie alles andere auch.“

„Gute Arbeit, Omi“, lobte der Rotschopf ihn und schenkte ihm eines seiner seltenen Lächeln. „Geh jetzt ins Bett.“

„Ja. Gute Nacht, Aya-kun. Mach du aber auch nicht mehr allzu lang“, mahnte der Jüngere, zog sich wieder auf den Flur zurück und schloss die Tür hinter sich.

Ein zufriedenes Lächeln stahl sich auf Omis Lippen. Aya war stolz auf ihn. Er sagte es zwar nicht explizit, aber man merkte ihm so etwas an. An der Art, wie er etwas sagte ... und an seinem Lächeln. Wenn er dieses Lächeln geschenkt bekam, wusste er, wofür es sich zu arbeiten lohnte und all die mühselige Plackerei war vergessen. Man musste diese kleinen Dinge zu schätzen wissen, etwas anderes würde er wohl niemals bekommen.

Brad betrachtete den Jungen eingehend, als dieser förmlich in sein Zimmer schwebte.

„Hey, Erde an Omi.“ Vergebens schnippte er mit den Fingern vor Omis Gesicht, als dieser sich bis auf die Boxershorts auszog, in einen Pyjama schlüpfte und sich dann ins Bett kuschelte.

Der Amerikaner seufzte und setzte sich auf den Schreibtischstuhl. „Houston ... ich glaube wir haben hier ein Problem.“ Am besten, er sprach morgen direkt mit Nagi. Vielleicht war ihm auch etwas an Aya aufgefallen.

Für den Augenblick blieb ihm nichts anderes übrig, als über den Schlaf des Jungen zu wachen, der nun mit einem seligen Lächeln ins Land der Träume glitt.
 

Am nächsten Morgen saßen Aya, Ken und Yohji bereits am Frühstückstisch, als Omi die Küche betrat.

„Guten morgen zusammen“, grüßte er sie gutgelaunt und setzte sich auf seinen Platz.

„Guten morgen, Omi“, kam es beinahe gleichzeitig aus drei Mündern.

„Hast du gut geschlafen?“, fragte Yohji, ließ ihrem Jüngsten jedoch noch einmal genug Zeit, um zu antworten. „Ich hab schon gehört, dass du gestern Abend noch richtig erfolgreich warst.“

Der blonde Junge nickte. „Beides ja. Wie kommt es eigentlich, dass du schon wach bist? Vor mir?“

„Wahrscheinlich deswegen, weil ich auch vor dir ins Bett gegangen bin. Kaum zu glauben, aber wahr.“
 

Nach dem Frühstück erledigten sie gemeinsam den Abwasch und begaben sich dann in den Missionsraum. Hier setzten sie sich zusammen und ließen sich von Omi erklären, was er herausgefunden hatte.

„Also, wie ihr ja schon wisst, habe ich endlich Zugriff auf die privaten Dateien von Maria Corleone bekommen. Hier hab ich etwas Passendes entdeckt, wann wir unsere Mission umsetzen können. Birman habe ich gestern Abend sogar noch darüber informiert. Mitte November geben Inagawa und Corleone einen venezianischen Maskenball für Freunde, Geschäftspartner und halt die sogenannten Familienangehörigen. Einige davon sehr hohe Tiere in Politik und Wirtschaft und die meisten sind auch zu der Hochzeit eingeladen, wie ich festgestellt hab“, begann Omi seine Erläuterungen.

„Die anderen Gäste interessieren uns erst einmal nicht. Wie sieht es mit diesem Maskenball aus?“, unterbrach Aya.

„Dazu komm ich ja jetzt, lasst mich halt ausreden. Beide Ziele werden definitiv auf dem Maskenball vertreten sein. Rein kommt man aber nur mit einer Einladung oder als Angestellter.“

„Das sollte doch kein Problem sein. Ist nicht die erste Party, die wir sprengen“, meinte Ken gelassen und lehnte sich entspannt zurück. „Hört sich doch nach einem Kinderspiel an.“

„Naja, im Prinzip hast du Recht“, pflichtete der Blondschopf ihm bei. „Wir sollten keine Probleme damit haben, eine falsche Einladung zu besorgen oder uns als Kellner einzuschleichen. Wäre ja wirklich nicht die erste Aktion in der Art. Aber wir könnten Schwierigkeiten mit der eindeutigen Identifikation der Zielpersonen bekommen. Jeder ist verkleidet, es ist Pflicht eines dieser prunkvollen, venezianischen Kostüme mit der dazugehörigen Maske zu tragen. Hier müssen wir wohl über Gespräche mit den anderen Gästen herausbekommen, wer die Gastgeber sind. Ich habe hier schon versucht, etwas in Erfahrung zu bringen. Das einzige was ich gefunden habe, war eine Bestellung an einen Schneider in Venedig, aber keine Bilder oder Beschreibungen der Kleidung. Es könnte alles Mögliche sein.“

„Ich will als Gast auf diesen Ball“, meldete sich Yohji zu Wort. „Ich war noch nie auf einem richtigen Maskenball, Halloweenpartys zählen da nicht. Ich will mich so unter die Leute mischen.“

„Yohji“, grollte Aya in maßregelndem Tonfall. „Wir gehen da nicht zu unserem Vergnügen hin. Es ist unser Job, vergiss das nicht.“

„Das weiß ich doch.“ Aber ich würde doch so gerne, fügte er in Gedanken hinzu.

„Wir müssen uns doch sowieso aufteilen“, bemerkte Ken und zuckte mit den Schultern. „Zwei von uns mimen Kellner und zwei Gäste. Und wenn Yohji unbedingt mal so ein pompöses Zeug anziehen will, lass ihn doch. Besser er tut das auf so einem Maskenball, als im Laden.“

„Vielen Dank für deine Unterstützung“, meinte Yohji und schob leicht schmollend die Unterlippe ein Stück nach vorne. Der Seitenhieb zum Schluss hätte nun wirklich nicht sein müssen. Das war wohl die Rache für gestern Abend.

Omi stimmte dem zu. „Ich hatte mir das ungefähr so gedacht: Ken und ich mogeln uns unter die Angestellten und Yohji und Aya mischen sich unter die Gäste. So haben wir verschiedene Ansatzpunkte.“

Das passte Aya überhaupt nicht. Er wollte sich nicht in so ein affiges Kostüm zwängen und sich zum Gespött machen. Yohji eignete sich dafür sehr gut, das konnte er in keiner Weise bestreiten. Aber er selbst würde mit seiner etwas steifen Art wohl auffallen. „Es wäre mir lieber, wenn ich unter die Angestellten gehen könnte. Ich hab mehr Erfahrung im kellnern als in so etwas.“

„Dann tauschen wir eben, ist doch kein Problem, Aya“, meinte Ken und lächelte etwas verlegen. „Als Kellner würde ich wahrscheinlich mehr auffallen, wenn ich mich wieder irgendwie tollpatschig benehme und Sachen umstoße oder fallen lasse.“

„Gut. Nachdem wir das geklärt hätten, können wir ja eigentlich mit den Vorbereitungen anfangen“, sagte der blonde Junge freudestrahlend. „Stattfinden wird dieser Ball natürlich stilecht auf dem Wasser und zwar auf der Privatyacht unserer beiden Zielpersonen. Sie liegt im Moment hier im Hafen von Tokyo und wird am Stichtag um genau 20:00 Uhr ablegen. Zurückkehren wird sie wohl erst am nächsten Morgen.“

„Wir können doch unmöglich die ganze Nacht auf dieser Yacht bleiben“, warf Yohji skeptisch ein. „Ich glaube es dürfte doch auffallen, wenn die beiden Gastgeber irgendwann tot in der Ecke liegen.“

„Also bitte, wenn ihr so dermaßen schlampig arbeitet, frage ich mich langsam, warum ihr immer noch lebt“, meinte Nagi und sah sich sehr skeptisch in der Runde um.

Schuldig fing an zu lachen. „Die hören dich doch eh nicht, also gib dir keine Mühe. Außerdem glaube ich nicht, dass er das ernst gemeint hat. Er hat es wohl eher sehr vereinfacht ausgedrückt.“

Brad stimmte dem ausnahmsweise zu. „Glaub ich auch. Ansonsten würden sie nämlich einerseits ihren Job nicht lange behalten und andererseits wohl auch schon längst tot sein.“

Weiß indes begannen bereits rege mit der Planung ihrer Mission. Langsam wurde es auch Zeit, sie hatten noch knapp zwei Wochen Zeit und noch viel vorzubereiten.
 

„Jetzt stell dich nicht so an, Ken.“ Yohji klang mittlerweile reichlich genervt. „Wir brauchen nun mal Kostüme und die kriegen wir nicht so von der Stange.“

„Aber wir könnten doch zuerst bei einem Kostümverleih nach fragen“, meinte Ken abwehrend, schließlich war nicht er es, der sich anstellte, sondern der selbsternannte Doktor Love. Er verstand nicht, warum sein Freund sich sein Kostüm unbedingt maßschneidern lassen wollte.

„Okay, wenn es dich glücklich macht durchstöbern wir zuerst sämtliche Kostümverleihe in der Stadt. Aber dir ist klar, dass die Sachen die man da bekommt, meistens sowieso nicht richtig passen und eher aus ziemlich zweitklassigen Material sind.“

Yohji steuerte also auf den nächstbesten Kostümverleih zu und parkte seinen Wagen davor auf dem Kundenparkplatz. Er hatte sich bereits, seit Omi das erste Wort über diesen Maskenball hatte fallen lassen, darauf gefreut und wollte sich natürlich auch entsprechend einkleiden. Schließlich war es nicht irgendein Kostümfest, sondern eine Veranstaltung mit Stil, auch wenn Kriminelle sie gaben. Für Ken war es daher nicht mehr als eine Mission und er und die anderen wollten wie immer das bestmögliche Ergebnis mit dem geringsten Aufwand. Aber man hatte schließlich nicht jeden Tag so eine Gelegenheit.

Die beiden Weiß-Mitglieder betraten den Verleih und sahen sich zunächst einmal um. Während Ken damit anfing, sich durch die verschiedenen Kostüme zu wühlen, stöberte Yohji eine Kundenbetreuerin auf und schilderte ihr, was genau sie suchten. Er wollte definitiv nicht mehr Zeit als nötig mit etwas verbringen, bei dem er von Anfang an dagegen war.

Die Auswahl fiel eher spärlich aus, da einerseits nicht viele venezianische Kostüme zur Verfügung standen und andererseits die wenigen Vorhandenen größtenteils bereits vorbestellt waren. Was die junge Frau ansonsten an Kostümen anzubieten hatte, gefiel dem Playboy ganz und gar nicht. Ken hingegen zeigte sich genügsam und wollte das Ein oder andere anprobieren.

„Das sieht nicht aus“, war Yohjis Prädikatsurteil auf die meisten Sachen. Dann zog er seinen Freund auf die Seite und flüsterte sehr leise: „Und hast du außerdem mal darüber nachgedacht, was ist wenn wir den ein oder anderen unerwarteten Zwischenfall bestreiten müssen? Ich halte das nicht gerade für sinnvoll dann ein Kostüm zu leihen. Zurückgeben kannst du es dann sowieso nicht mehr und musst den Kaufpreis zahlen. Da können wir dir doch auch genauso gut eines anfertigen lassen, das dann immerhin noch gut aussieht. Außerdem können da dann noch gewisse ‘Extras‘ eingearbeitet werden. Darüber schon mal nachgedacht?“

„Herr, lass Hirn herab regnen“, stöhnte Schuldig beinahe verzweifelt. „Soll er doch wenigstens einmal auf Balinese hören. Das ist doch alles ziemlich einleuchtend, oder? Außerdem sieht dieses Polyesterzeug nicht sonderlich vorteilhaft aus.“

„Mode interessiert ihn halt nicht. Er ist eher praktisch veranlagt“, meinte Farfarello dazu mit einem Achselzucken.

Letztendlich ließ Ken sich doch breitschlagen und sah ein, dass der Playboy zumindest in einem Punkt Recht hatte: Bei einer Sonderanfertigung konnte man wenigstens alles so arbeiten lassen, dass man ohne größere Probleme seine Waffe verstecken konnte.

Der Kostümverleih konnte demnach keine neuen Kunden verzeichnen und die beiden jungen Männer begaben sich wieder zu Yohjis Wagen.

„Und wo meinst du sollen wir jetzt hin?“, fragte Ken. Er war sicher, dass es einige Schneidereien gab, die ausgefallene Wünsche erfüllten und sich vielleicht darauf spezialisiert hatten, nur kannte er davon nicht eine einzige.

„Jetzt fahren wir dahin, wo ich schon von Anfang an hin wollte, zu jemandem, der wirklich Ahnung von so etwas hat“, antwortete er und strahlte über das ganze Gesicht. Endlich hatte er doch seinen Willen durchsetzen können.

„Da bin ich ja mal gespannt.“ Irgendwie bezweifelte der Dunkelhaarige mittlerweile, ob es eine gute Idee war, Yohji nachzugeben.

Der jedoch ließ sich nicht beirren und lenkte das Auto zielstrebig durch den dichten Verkehr. „Vertrau mir einfach. Hijiri ist Ausstatter beim Theater und der Oper, er hat bereits für einige italienische Aufführungen das Ensemble zusammengestellt. Und außerdem hab ich von ihm schon ein paar andere ausgefallene Klamotten bekommen.“ Weitere Erklärungen sparte er sich, da er bereits in eine Seitenstraße nahe dem Theater einbog und dort parkte. „Wir sind da.“
 

Während Ken und Yohji auf Kostümjagd waren, saßen Aya und Omi zusammen vor dem Computer im Missionsraum und begannen mit der Planung der Mission. Sie stellten eine Liste von Dingen zusammen, die sie noch besorgen mussten.

„Wir sollten auch einen Notfallplan B erstellen“, meinte Aya und las mit, was der andere eintippte.

Omi nickte lächelnd. „Machen wir doch immer, Aya-kun.“

„Nagi?“, fragte Brad und erregte so die Aufmerksamkeit des anderen Schutzengels. „Ich wollte dich schon die ganze Zeit etwas fragen, aber hab bisher nie den richtigen Moment erwischt.“

„Was gibt’s denn?“, wollte der Jüngere wissen und wandte seine Augen vom Bildschirm ab, um seinen Leader anzusehen.

„Ist dir in letzter Zeit irgendetwas an Aya aufgefallen?“

Nagi sah den Amerikaner verwirrt an. „Aufgefallen? Was soll mir denn bitte an ihm aufgefallen sein?“

„Ich meine bezüglich Omi. Hast du da vielleicht festgestellt, dass er irgendwie anders reagiert als sonst?“

„Nein, nicht das ich wüsste.“ Verständnisloses Kopfschütteln folgte auf diese Erklärung.

Brad nickte dafür verstehend. „Dafür ist mir an Omi etwas aufgefallen. Er sieht in unserem kleinen Eisklotz scheinbar mehr als nur einen Freund und Arbeitskollegen. Ein wenig viel mehr. Du hättest mal seinen Gesichtsausdruck an dem Abend sehen müssen, als er Aya gesagt hat, dass sie jetzt mit der Planung anfangen können und er ihn angelächelt hat. Vollkommen ab von der Welt.“

„Hm. Nein, ich hab wirklich nichts bemerkt. Aber ich kann ihn ja mal intensiver beobachten. Ich habe ja Gelegenheit genug dazu“, erklärte der junge Japaner und seufzte leise.

„Gut. Wenn sich da zwischen den beiden etwas entwickelt, könnte das vielleicht gefährlich für alle werden, wenn sie zu sehr aufeinander fixiert sind.“
 

Yohji führte Ken durch den Hintereingang des Theaters in die Requisite. Als er Hijiri nicht finden konnte, fragte er einen jungen Mann, der gerade einige Bühnenbilder mit Pappmaché ausbesserte.

„Der ist heute nicht hier“, antwortete er. „Wahrscheinlich ist er im Elysium. Ich würde es da mal versuchen.“

Der Playboy bedankte sich für die Auskunft und schleifte seinen Freund wieder mit nach draußen auf die Straße.

„Und was ist das Elysium, wenn man fragen darf?“, wollte der ehemalige Torwart wissen.

Über Yohjis Lippen breitete sich ein wissendes Grinsen aus. „Das siehst du, wenn wir da sind. Es ist ein kleiner Nachtclub die Straße runter.“

„Ich glaub, den kenne ich auch“, meinte Schuldig und runzelte nachdenklich die Stirn.

Als sie beim gesuchten Club ankamen, wurde ihnen auch hier Einlass durch den Hintereingang gewährt und sie wurden abermals in die Requisite geführt. Dort stießen sie auf einen Mann mittleren Alters, der ihnen erfreut entgegeneilte, als er sie erblickte.

„Yohji, wie komm ich zu der Ehre, dass du mich in meinen kleinen, bescheidenen, rosa Plüschhallen besuchst?“, fragte er überschwänglich, umarmte den soeben Begrüßten einfach und küsste ihn ungeniert auf die Wange. „Und wer ist die Hübsche, die du mir da mitgebracht hast?“

Der honigblonde Mann musste lachen, während Ken es wohl nicht sonderlich witzig, sondern eher peinlich fand. Ihm schoss, wie schon so oft, das Blut in den Kopf und färbte seine Wangen rot. Ein wenig trotzig verschränkte er die Arme vor der Brust.

„Ach, ist er nicht niedlich“, meinte Schuldig spöttisch und grinste sarkastisch.

„So ist Ken nun einmal“, meinte Farfarello. „Kümmere dich lieber um deinen Schützling. Wir wollen ja nicht, dass ihm noch was passiert. Und warst du jetzt schon mal in diesem Club?“

„Das weiß ich nicht genau. Nachts sehen solche Clubs halt vollkommen anders aus als tagsüber. Und solche Hinterzimmer und Garderoben sehen doch auch irgendwie alle gleich aus.“

„Das ist Ken, ein Freund und Arbeitskollege von mir“, stellte er Hijiri seinen Begleiter vor. „Und das ist Hijiri, ein guter Bekannter und die gute Fee aus dem Märchenland, die armen Prinzessinnen zu ihren extraordinären Ballkleidern verhilft.“

Der Jüngere stutzt. „Ähm, Moment mal. Von was redest du da? Ich dachte, wir wollten uns etwas passendes, venezianisches für den Maskenball anfertigen lassen.“

Yohji schüttelte verständnislos den Kopf. „Ken, manchmal bist du wirklich herzerweichend einfältig. Es war ein Scherz, okay? Hijiri macht weit und breit die besten Kostüme, glaub es mir.“ Dann wandte er sich an den anderen Mann. „Also wie Ken schon sagte brauchen wir für einen traditionellen, venezianischen Maskenball ein passendes Outfit, komplett mit Masken und irgendwelche Kopfbedeckungen.“

Der Angesprochene nickte verstehend und wurde etwas ernster. „Gut, schwebt dir schon etwas Bestimmtes vor? Vielleicht sollten wir in meine Schneiderei gehen, dann kann ich direkt Maß nehmen.“

Mit diesen Worten bedeutete er den anderen beiden auch schon ihm zu folgen und führte sie durch einige Gänge. Sie gelangten in einen Raum, der vollgestopft war mit Stoffballen, Modepuppen, Nähmaschinen, Schneidetischen, Spiegeln und allem möglichen anderen Krempel.

„Also ich dachte an etwas Elegantes aus Brokat, Damast, Samt oder Seide. Oder alles zusammen, du bist der Maestro. Außerdem eine Ganzgesichtsmaske, am besten wir sind komplett verhüllt“, erklärte Yohji dann und betrachtete bereits einige Stoffe.

„Ich hätte schon eine Idee, was ich aus euch beiden Hübschen machen könnte. Ich würde dich zu gerne in einen weiten Reifrock stecken, mit einem Korsett deine Taille schnüren und die Illusion eines weichen Dekolleté erschaffen. Wie lange ich schon davon träume, einmal für einen solch vollkommenen Körper das perfekte Kostüm zu kreieren. Das würde so gut zu dir passen, du bist geradezu geschaffen für so etwas mit deinem schlanken Körper und diesen unendlich langen Beinen. Nur ein kleines bisschen zu groß bist du vielleicht.“ Hijiris Blick wanderte zu Ken. „Aber er ist kleiner, bei ihm ginge das vielleicht. Ihr würdet ein wunderschönes Pärchen abgeben.“

Yohji winkte schnell ab. „Nein, so extravagant soll es dann doch nicht sein. Und wie du schon sagtest, ich bin eh zu groß. Und Ken ist zu muskulös, das sieht nicht aus. Außerdem würde er mich umbringen, wenn ich zulasse, dass du ihn in so was hineinsteckst. Und noch was: Mit Pärchen ist nichts, er ist vergeben. Also gilt auch für dich: Finger weg. Außerdem hab ich mir ein paar Vorlagen aus dem Internet zusammen gesucht.“ Er griff in seine Manteltasche und holte einige gefaltete Blätter zum Vorschein und gab sie ihrem Ausstatter. „Ich dachte eher an etwas in der Art.“

„Wie schade, ich habe auch nur Pech. Zeig mal her was du da hast. Sieht zumindest nicht schlecht aus. Ich werde sehen, was ich euch zaubern kann.“ Der Mann mittleren Alters seufzte schwer und nahm ein Maßband und einen Notizblock zur Hand. „Würdet ihr euch denn bitte zumindest ein bisschen freimachen, damit ich eure Maße korrekt nehmen kann?“

„Klar“, meinte der Playboy und zog sich die Schuhe und den Mantel aus.

Ken beäugte die Prozedur, wie sein Freund abgemessen wurde, misstrauisch. Immerhin verlangte diese merkwürdige Gestalt nicht, dass sie sich ganz auszogen. Irgendwie war ihm dieser ominöse Freund von Yohji nicht ganz geheuer. Dann war er an der Reihe und das Maßband legte sich geschickt um seinen Körper. Seine Maße wurden ordentlich auf dem Notizblock vermerkt.

„Dann schau ich doch mal, was sich aus den Vorlagen so machen lässt. Ihr könnt in drei Tagen wiederkommen, um die ersten Entwürfe anzusehen und anzuprobieren“, erklärte Hijiri dann und legte seine Notizen beiseite.

Der Playboy nickte. „Was kostet uns der Spaß ungefähr?“

„Hm, lass mich mal überlegen“, der Schneider legte seine Stirn nachdenklich in Falten, fing dann aber an süffisant zu lächeln. „Für dich eine Nacht.“

„Ich meinte eigentlich in Yen. Ich wollte nicht unbedingt in Naturalien zahlen.“

„Schade.“
 

„Wer ist diese schräge Gestalt, zu der du mich da geschleppt hast, eigentlich?“, wollte Ken wissen, als sie auf dem Weg nach Hause waren.

„Hab ich dir doch gesagt. Ein guter Bekannter. Und vielleicht ist er ein bisschen schräg, aber man kann sich auf ihn verlassen. Außerdem muss man wohl ein bisschen anders sein, wenn man neben seiner normalen Tätigkeit auch noch Kostüme für Dragshows und all so etwas entwirft. Außerdem ist er schwul, wie du bestimmt gemerkt hast.“

Dragshows und schwul ... ja, das erklärte zumindest dieses plüschige Ambiente, in dem sie empfangen worden waren.

„Und du bist dir sicher, dass es die richtige Entscheidung war, uns von ihm unsere Einsatzkleidung für die Mission anfertigen zu lassen?“ Seine Skepsis wurde er nicht los, egal wie sehr der andere ihm auch die Unbedenklichkeit dieser Sache beteuerte.

Yohji seufzte leise. „Ja, das meine ich. Hör mal, ich bin sehr wählerisch, was Klamotten angeht. Das solltest du wohl mittlerweile wissen. Und ich würde darum nicht zu irgendjemandem gehen, der nicht weiß, was er tut.“

„Hey, guck auf die Straße!“, brüllte Ken, als auf einmal vor ihnen ein LKW ausscherte und sich genau vor sie setzte.

Der Honigblonde trat blitzartig auf die Bremse. Eine Sekunde später und sie hätten den Laster vor ihnen geknutscht. „Das war knapp ...“

„Ganz cool, ihr beiden“, meinte Schuldig grinsend und ließ die Bremse wieder los, so dass sein Schützling wieder die Kontrolle über den Wagen hatte. „Wir haben das alles hier voll unter Kontrolle.“

„Warum redest du eigentlich ständig mit ihnen?“, fragte Farfarello. „Sie hören dich doch eh nicht.“

„Ich bin eben sehr mitteilungsbedürftig und du bist ja nun manchmal nicht gerade der ideale Gesprächspartner.“ Das er einen regelrecht in den Wahnsinn treiben konnte ließ der Deutsche unausgesprochen. „Aber sie könnten ruhig öfter in solche brenzligen Situationen gelangen. Da bekommen wir wenigstens etwas zu tun.“

„Sie haben bald eine Mission. Ist dir das brenzlig genug?“

„Ja, vielleicht“, räumte der Mann mit dem flammend orange Haar ein. „Aber bisher hat sich das alles nach einem ziemlich gemütlichen Spaziergang angehört. Findest du nicht? Sie gehen auf eine Party, murksen zwei Leute ab, verschwinden wieder und fertig. In so etwas haben die doch Übung.“

Ein Hauch von Venedig

Wir sind keine Engel
 

Kapitel 6: Ein Hauch von Venedig
 

In den folgenden zwei Wochen bereiteten Weiß gemeinsam alles bis ins letzte Detail vor. Omi hatte Einladungen gefälscht und sich und Aya auf die Liste der Kellner des Catering Service gesetzt. Sie hatten sich dazu entschieden zusammen mit den anderen Angestellten und Gästen das Schiff zu betreten.

Es war Samstag und an diesem Abend sollte die Mission stattfinden. Bombay und Abyssinian begaben sich jedoch bereits gegen Mittag zusammen mit den anderen Angestellten auf die Yacht, um die Vorbereitungen für die Party zu treffen.

Yohji und Ken nutzten den verbleibenden Nachmittag ausgiebig dazu, sich möglichst vorteilhaft in ihre neuen Kostüme zu drapieren. Hijiri hatte einen barocken Traum aus aufwendig verarbeiteten, erlesenen Stoffen geschaffen. Zwar hatte er die Kostüme einige Male nach ihren Wünschen ändern müssen, aber das Ergebnis war entsprechend sehenswert. Die beiden jungen Männer standen gemeinsam in Yohjis Zimmer vor dem Spiegel und halfen sich gegenseitig in ihre neue Ausstattung.

Für Ken hatte Hijiri etwas entworfen, was entfernt an eine Art Vogelkostüm erinnerte. Ihr Schneider hatte es im Kontrast hierzu liebevoll ’Papageno’ getauft, obwohl es nicht halb so bunt war wie der Vogelfänger aus Mozarts Zauberflöte. Die Kleidung war reich mit Federn bestückt, die Ärmel endeten in Handschuhe, die das Aussehen von Vogelklauen hatten. So konnte Ken unauffällig seine Bugnuks darin unterbringen. Sein ganzes Gesicht war bedeckt von einer verzierten, goldenen Maske mit einer lang gezogenen Nase, die einen Schnabel darstellte. Sein Haupt bedeckte ein großer Hut, der über und über mit großen, buschigen Federn bestückt war.

Yohji hatte ein nicht ganz so spektakuläres aber dennoch extravagantes und mit viel Liebe zum Detail ausgearbeitetes Kostüm erhalten. Die Kleidung ähnelte der eines venezianischen Edelmannes des barocken Zeitalters: vorn etwas eckig zulaufende, schwarze Samtschuhe mit Absatz, breiter Schnalle und Rüschen, weiße Kniestrümpfe, die in eine dunkelblaue, samtene Pumphose übergingen, ein weißes, seidenes Rüschenhemd und darüber eine mit goldenen und silbernen Mustern reich verzierte, dunkelblaue Seidenweste, an deren Halsausschnitt die Rüschen des Hemdes zum Vorschein kamen. Über allem trug er einen schwarzblauen Gehrock, der ihm etwa bis zur Mitte seiner Oberschenkel reichte und ebenfalls sehr aufwendig bestickt war. An den umgeschlagenen Ärmelenden lugten ebenfalls Rüschen hervor und bedeckten teilweise die weißen Handschuhe, in denen seine Finger steckten. Sein Gesicht verbarg eine schwarze Maske, die um die Augen und an den Seiten ebenfalls mit verschlungenen Mustern aus Gold und Silber verziert war, sowie goldene Lippen aufwies. Ein schwarzer, dreieckiger Hut mit einigen weißen Federn thronte als Abschluss auf Yohjis Haupt und ließ nur noch wenig von der weißen Perücke mit den aufgedrehten Locken sehen.

Schuldig und Farfarello verfolgten die Prozedur mehr oder minder interessiert. Scheinbar war es nicht ganz so einfach, sich in diese seltsamen Kleidungsstücke zu quälen, wie es aussah.

„Glaubst du, dass es ihnen was bringt, so auf einer Mission herumzulaufen?“, fragte der Ire skeptisch.

Sein Freund zuckte mit den Schultern. „Wahrscheinlich ja, ansonsten würden sie es wohl nicht anziehen.“

„Von letzterem wäre ich nicht so überzeugt. Balinese scheinen diese Klamotten zu gefallen“, stellte der Einäugige fest und sah weiter dabei zu, wie Ken verzweifelt versuchte, seine Maske ordentlich zu befestigen, ohne dass sie verrutschte.

„He, warte mal“, hielt Yohji ihn auf. „Du musst erst noch deine Augen schwarz umschminken, damit man die Haut unter den Löchern der Maske nicht sieht.“

Das hatte Ken beinahe vergessen und sofort sah er sich nach der schwarzen Theaterschminke um, die sie ebenfalls von Hijiri erhalten hatten. „Wo hast du denn das Zeug hingetan?“

Die Frage war eigentlich überflüssig, da der Playboy bereits zwei Finger in die Schminke tauchte und anfing, sie dem anderen um die Augen zu schmieren. Das Gleiche wiederholte er bei sich und überprüfte das Ergebnis im Spiegel. Dann half er Ken dabei seine Maske und den Hut ordentlich zu befestigen, zur Hilfe nahm er dabei ein paar Haarnadeln, um das Ganze zu fixieren.

„Irgendwie habe ich langsam das Gefühl, dass du so was nicht zum ersten Mal machst“, meinte der ehemalige Torwart, als er sich in voller Pracht seines Kostüms im Spiegel betrachtete.

Der honigblonde Mann grinste. „Also im Prinzip hast du Recht, ich hatte etwas Nachhilfe.“ Mit diesen Worten setzte er auch sich selbst Maske und Hut auf, um sein Outfit zu komplettieren. „Sieht doch gut aus.“

„Du trägst das gerne, kann das sein?“, fragte Ken zweifelnd.

„Eigentlich ist es nicht schlecht. Aber wann sollte man so etwas anziehen? Außerdem sind diese Kniestrümpfe ein Verbrechen, dafür mag ich das Rüschenhemd. Dazu bieten sich glaub ich auch andere Gelegenheiten, das noch mal zu tragen.“ Für diese Stümpfe hätte er Hijiri wirklich umbringen können, er fand es sah einfach lächerlich aus, aber sie gehörten nun einmal dazu. In das Rüschenhemd hatte er sich allerdings verliebt. Wenn es Liebe auf den ersten Blick gab, so war es das in diesem Fall.

„Na, was hab ich dir gesagt?“, feixte Farfarello und grinste. Ein erschreckendes Schauspiel, dass man sonst nur zu sehen bekam, wenn ihm die blanke Mordlust in die Augen geschrieben stand.

Schuldig zuckte lediglich mit den Schultern. „Ist doch egal. Er kann das ja auch tragen, es steht ihm.“
 

Um halb acht fuhren Yohji und Ken auf einen Parkplatz in der Nähe der privaten Anlegestege am Hafen Tokyos. Die gesuchte Yacht ausfindig zu machen war nicht schwer. Omi hatte in seinen Recherchen viele Bilder davon gesammelt und außerdem war das voll beleuchtete und geschmückte Monstrum einer Yacht, das ohne weiteres circa 50 Personen fasste, kaum zu übersehen.

Sie liefen nacheinander über die Landungsbrücke und wurden an Bord direkt von Aya, der einen weißen Anzug sowie eine goldene Maske trug und hinter einem Pult stand, in Empfang genommen. Zunächst war er nicht sicher gewesen, ob es sich einrichten ließ, dass er die Einladungen überprüfte, um die Möglichkeit, dass die gefälschten Einladungen auffielen so gering wie möglich zu halten. Aber der Rotschopf hatte wohl mit einem anderen Angestellten tauschen können. Allerdings flankierten ihn rechts und links zwei muskulöse Männer in schwarzen Anzügen und silbernen Masken. Davon ließen sich die Weiß-Mitglieder jedoch nicht beirren.

„Guten Abend, meine Herren“, begrüßte Aya die Beiden und verneigte sich leicht. „Dürfte ich bitte ihre Einladungen sehen?“

„Selbstverständlich.“

Yohji und Ken zogen ihre Einladungen aus den Taschen und zeigten sie vor. Der Rotschopf hakte die Namen auf seiner Liste ab und nickte. „Ich wünsche ihnen viel Spaß auf unserem Maskenball.“

Sie konnten passieren und wurden direkt in einen Salon eingelassen, in dem sich bereits mehrere Personen aufhielten. Ein Kellner bot ihnen sofort ein Glas Champagner an, aber sie lehnten dankend ab. Stattdessen begannen die beiden Assassins damit, sich nach ihren Zielpersonen umzusehen. Alle Gäste die später eintrafen, konnten sie von vornherein ausschließen. Eventuell hatten Omi und Aya ihre Gastgeber bereits bei den Vorbereitungen des Catering Services gesehen. Daher trennten sie sich und machten sich zuerst auf die Suche nach Omi.

Ken fand ihn an der Bar, wie er neue Champagnergläser auf sein Tablett stellte und sprach ihn an. „Könnte ich wohl bitte ein Glas Champagner haben?“

Der Jüngere sah auf und hielt ihm das Tablett entgegen. „Aber natürlich.“

Nachdem er ein Glas genommen hatte, beugte sich der Kostümierte soweit nach vorne, wie es seine Aufmachung zuließ und flüsterte leise, so dass nur Omi es hören konnte: „Habt ihr sie gesehen?“

Omi nickte bestätigend. „Inagawa trägt ein ’Phantom der Oper’ Kostüm.“

„Geht das etwas präziser, davon laufen allein jetzt schon 3 Stück hier herum.“

„Es ist der da hinten, der bei der Frau in dem weiten, weißen Kleid mit den flügelartigen, großen Bögen an den Schultern und der goldenen Maske steht. Das ist Corleone“, erklärte Omi, trat einen Schritt zurück und erklärte dann lauter: „Wenn Ihnen der Sinn eher nach einem anderen Getränk steht, haben wir an der Bar noch eine große Auswahl.“

„Ja, vielen Dank.“ Damit wandte auch Siberian sich mit einem Glas Champagner in der Hand wieder ab und schlenderte zwischen den anderen Gästen hindurch, um Yohji wieder zu finden und ihm die Information mitzuteilen.
 

„Time Force? Sie sind da“, teilte eine kleinere, aber ebenso verhüllte Gestalt seinem Begleiter mit.

„Gut, sehen wir erst einmal zu, wie sie sich schlagen“, bestimmte der Angesprochene und folgte mit seinen kalten, blauen Augen Ken. „Sind die anderen beiden auf ihren Positionen?“

Ein Kopfnicken bejahte die Frage. „Unseen wird abwechselnd an den Vieren kleben und Changeling hat sich unter die Security gemischt. Außerdem stehe ich in telepathischem Kontakt mit ihnen und filtere ein bisschen die Gedanken von Weiß heraus. Wir wissen, dass sie ihre Zielpersonen erst einmal isolieren wollen, wobei ich nötigenfalls ein wenig Schützenhilfe geben werde. Sollte also wider erwarten etwas anders laufen, als geplant, können wir sofort eingreifen.“

Time Force nickte zufrieden. „Halt mich auch telepathisch auf dem Laufenden, Spirit.“ Er mochte es, wenn die Dinge genau so liefen, wie er es sich vorstellte. Solange Weiß ihnen die Drecksarbeit abnahmen, waren sie noch nützlich.
 

„Sag mal, findest du nicht auch irgendwas seltsam?“, fragte Farfarello seinen Kollegen, als Ken gerade leise mit Yohji noch einmal ihr Vorgehen absprach. „Irgendetwas stimmt nicht.“

„Ja, ich hab ein seltsames Gefühl. Irgendwie, als ob man beobachtet wird. Meinst du das?“

Der Ire nickte. „So in der Art. Außerdem habe ich gerade gedacht, mal wieder durch jemanden hindurch gegangen zu sein. Es fühlte sich lebendig an, aber da war niemand.“

„Wir sollten unsere Augen noch offener haben als sonst. Ich habe so eine Ahnung, dass hier etwas nicht so ist, wie es sein sollte“, stimmte Schuldig zu und sah sich immer wieder um. Auch er hatte das Gefühl gehabt, durch jemanden hindurch gegangen zu sein, sah aber ebenfalls niemanden. „Unsere Fähigkeiten zu haben wäre jetzt sogar mehr als praktisch. Ohne die sind wir ja quasi aufgeschmissen.“

„Dann müssen wir eben mal unseren gesunden Menschenverstand einsetzen“, meinte der Einäugige.

Der Deutsche hatte Mühe, sich unter Kontrolle zu halten, um nicht wieder in Gelächter auszubrechen. Farfarello und gesunder Menschenverstand ... das passte für ihn ungefähr genau so zusammen, wie ... Ja, wie was eigentlich? Eigentlich hatte der Ire in letzter Zeit öfter bewiesen, dass er nicht so wahnsinnig war, wie immer alle glaubten oder wie er sie glauben machen wollte.
 

Gegen Mitternacht gab Aya den anderen Weiß-Mitgliedern ein Zeichen, die Mission ging jetzt in die heiße Phase. Omi stellte sein Tablett mit den Horsd’oeuvre ab und suchte die männliche Zielperson auf.

„Herr Inagawa? Entschuldigen Sie bitte die Störung, aber ein Herr würde Sie gerne sprechen“, sagte der blonde Junge und verbeugte sich ehrerbietig vor dem Yakuza.

„Mich sprechen? Wer denn?“, kam die etwas unfreundliche Antwort. Offensichtlich fühlte er sich durch diese Störung belästigt.

„Er sagte, er heißt Tashiki und Sie würden ihn kennen. Außerdem sei es sehr wichtig und er müsse Sie privat unter vier Augen sprechen, es schien ihm sehr wichtig zu sein.“

„Privat?“, fragte Takato skeptisch. „Warum kommt er nicht selbst? Außerdem kann er genauso gut hier mit mir sprechen. Vor meiner Verlobten und meinen Vertrauten brauche ich keine Geheimnisse zu haben.“

„Es tut mir leid, Inagawa-san, aber darauf kann ich Ihnen leider keine Antwort geben. Soll ich ihm ausrichten, dass er selbst zu Ihnen kommen soll?“, fragte Omi und hoffte innerlich inständig, dass er sich doch noch auf das Treffen einlassen würde.

Der Yakuza überlegte kurz, dann nickte er. „Wenn es unbedingt sein muss, dann werde ich mit ihm reden. Richte ihm aus, dass er mich in einer viertel Stunde in meinem Arbeitszimmer treffen soll.“

„Jawohl, ich werde es ausrichten“, antwortete Omi und verbeugte sich noch einmal höflich.

Dann wandte er sich ab und verschwand aus dem Salon, um Ken aufzusuchen, den er auf einem der Gänge begegnete.

„In einer viertel Stunde im Arbeitszimmer“, flüsterte er im Vorbeigehen und setze seinen Weg dorthin fort.

Inagawa schnippte einmal kurz mit den Fingern und zwei seiner Leibwächter gesellten sich zu ihm.

„Überprüft eure Waffen, ich habe gleich ein Meeting. Dafür will ich noch etwas vorbereiten, falls es nicht so läuft, wie es soll. Kommt mit.“
 

Als Inagawa den Salon verließ, gesellte sich Yohji zu Maria Corleone und begann, sie mit seinem Flirt erprobten Charme zu umgarnen. „Ich wünsche einen wunderschönen guten Abend, Frau Corleone. Eine wundervolle Party.“ Er verfluchte es jetzt schon, in diesem Kostüm zu stecken, da er es so um vieles schwerer haben würde.

„Na, wenn du das mal gescheit auf die Reihe kriegst, Balinese.“ Schuldig zweifelte irgendwie daran. Außerdem sah er sich immer wieder um. Vielleicht litt er mittlerweile an Verfolgungswahn, aber er konnte sich nicht des unbestimmten Gefühls erwehren, beobachtet und überwacht zu werden. Und dieses Gefühl lösten nicht die allgegenwärtigen Sicherheitsleute aus.

Maria drehte sich zu dem jungen Mann um, der sie gerade angesprochen hatte und musterte ihn abschätzend. „Woher wollen Sie wissen, wer unter dieser Maske steckt. Vielleicht bin ich jemand völlig anderes.“ Mit einer beiläufigen Handbewegung winkte sie einige ihrer Leibwächter näher zu sich.

„Erwischt!“, gab der Playboy schmunzelnd zu. „Ich habe mich erdreistet, mich ein wenig bei den anderen Gästen und den Kellnern nach Ihnen zu erkundigen ... ich finde es einfach sehr schade, dass Sie Ihre Schönheit hinter einer Maske verbergen.“

„Mit wem habe ich denn das Vergnügen? Wissen Sie, ich rede nicht mit jedem dahergelaufenen Kerl, den ich nicht kenne und lasse mich schamlos anmachen“, erklärte sie und verschränkte die Arme vor der Brust.

Yohji verbeugte sich förmlich vor seinem Gegenüber. „Wie unhöflich von mir, mein Name ist Hiroshi Tashiki. Ich kann Ihnen versichern, dass ich nicht dahergelaufen bin, sondern dass mein Vater einige Dinge mit Ihrem zukünftigen Ehemann zu besprechen hat.“

“Hiroshi Tashiki?“ Ein nachdenklicher und prüfender Blick ruhte für einige Sekunden auf dem jungen Mann. „Ich glaub, mein Verlobter hat Sie schon einmal erwähnt!“ Mit einer weiteren beiläufigen Handbewegung, wurden die Schoßhunde wieder fortgeschickt. „Und was wollen Sie jetzt von mir?“

„Muss man denn immer etwas bestimmtes wollen?“, fragte Yohji spitzbübisch. „Aber Sie sind sehr scharfsinnig, in der Tat hatte ich einmal vor Sie 'anzumachen'. Doch ich glaube, das würde meiner Gesundheit nicht besonders gut bekommen. Was ich allerdings sehr schade finde, auch wenn das jetzt sehr unverschämt klingt. Trotzdem möchte ich Ihnen meine aufrichtigen und besten Wünsche übermitteln. Takato Inagawa ist gewiss die beste Partie, die man machen kann.“ Erneut verbeugte er sich leicht und setzte dann in schelmischem Tonfall hinzu: „Ich hoffe, Sie werden noch einen ausgelassenen Junggesellinnenabschied feiern.“

Die Italienerin seufzte kaum hörbar und ging erst gar nicht auf die letzte Bemerkung ein. Stattdessen sah sie sich leicht gelangweilt um und meinte: „Finden Sie diese Veranstaltungen auch immer so ermüdend?“ Dann sah sie ihn wieder mit diesem prüfenden Blick an, als wolle sie hinter der Maske etwas erforschen. „Außerdem: was wissen Sie von meinem Verlobten? Ich weiß zufällig, dass er nicht irgendwelchen dahergelaufenen Kleinganoven alles über sich erzählt.“

Yohji nickte zustimmend. „Ich mag Maskenbälle eigentlich sehr gerne, daher war ich auch sehr erfreut darüber, dass wir eine Einladung zu Ihrem kleinen venezianischen Karneval erhielten. Allerdings muss ich zugeben, es ist ein bisschen steif. Ich will Ihnen da nicht zu nahe treten, ansonsten ist es eine großartige Party. Die meisten Leute trauen sich nur nicht besonders viel zu sagen oder zu tun, weil sie sich von Ihrem Sicherheitspersonal zu sehr eingeengt fühlen. Einerseits verständlich, aber andererseits ist das auch unumgänglich, wenn man sich und seinen Gästen einen gewissen Schutz bieten will. Darum kommt nicht so richtig Stimmung auf, wie ich finde.“ Ein kurzes, amüsiertes Lachen entrann seiner Kehle. „Ich weiß auch nicht wirklich mehr, als jeder andere der Nachrichten sieht. Ihr Verlobter ist nun mal ... sagen wir mal ein Prominenter. Er ist neben seinem Vater der meistgesuchte Kriminelle in Japan, der es immer und immer wieder aufs vorbildlichste versteht seine Weste blütenweiß zu waschen.“

„Wie es scheint, hält Sie unser Sicherheitspersonal nicht davon ab, hier einfach schamlos Leute anzusprechen und drauflos zu plappern.“ Die Frau winkte einen Kellner heran und nahm ein Glas Champagner von dem Tablett. „Was genau wollen Sie von meinem Verlobten? Welchen Vorteil hat er davon, sonst würde er sich doch nie mit Ihnen einlassen.“

„In der Tat. Wieso sollte ich auf eine gesellschaftlich wichtige Veranstaltung gehen, um mich dann totzuschweigen? Macht doch irgendwo keinen Sinn, finden Sie nicht?“ Das Glas Champagner, welches der Kellner auch ihm anbot, lehnte der Playboy dankend ab. Auf Missionen nahm er keinen Alkohol zu sich. „Nein, ich fürchte ich hab schon zu viel und meine Zunge könnte dadurch noch lockerer werden.“ Als der Kellner sie wieder allein ließ, wandte er sich wieder an seine Gesprächspartnerin. „Und ich will gar nichts von Ihrem Verlobten. Das ist Hiroshi Tashiki Senior, mein Vater. Ich weiß nicht, um was genau es jetzt im Moment geht, da bin ich überfragt. Und bis jetzt ist es nicht zur Sprache gekommen. Zurzeit ist meine einzige Funktion hinter meinem Vater her zu laufen und mir anzusehen wie 'Geschäfte' gemacht werden.“

Maria schüttelte leicht den Kopf. „Sie scheinen ja doch ein recht mutiger Mann zu sein. Wenn mein Verlobter Sie bei mir erwischen würde ...“ Sie hob leicht tadelnd den Finger. „Und dann sind Sie nur der Sohn eines kleinen Ganoven.“

Yohji konnte ein Schmunzeln nicht unterdrücken. „Mutig? Ja, vielleicht. Andere nennen es einfach nur größenwahnsinnig. Und der Sohn dieses kleinen Ganoven hat ehrlich gesagt auch noch nicht einmal Lust dazu Daddys ’Geschäfte’ zu übernehmen, wenn er mal abtritt. Aber so ist das eben, wenn man in so etwas hinein geboren wird.“

„Doch, als Größenwahn könnte man Ihr Verhalten auch deuten“, meinte sie leise lachend und deutete auf eine Sitzecke. „Sollen wir uns nicht dort hinüber setzen? Ich habe keine Lust, die ganze Zeit über zu stehen und Sie scheinen ein Recht annehmbarer Gesprächspartner zu sein. Zumindest langweilen Sie einen nicht sofort zu Tode.“
 

Unseen wandte sich von Yohji und Maria, die er bisher aus nächster Nähe überwacht hatte, ab. Seine Fähigkeit für andere Absolut unsichtbar zu sein war mehr als perfekt für solche Aufgaben. Scheinbar bekam der Weiß es tatsächlich ohne Hilfe hin, die Zielperson von den anderen Gästen wegzulotsen, um endlich zuzuschlagen. So konnte sich Spirit ein weiteres Eingreifen ersparen, es hatte ausgereicht das Interesse der Italienerin für den jungen Mann im Ansatz zu wecken. Der unsichtbare Junge suchte jetzt Inagawa auf, um zu sehen, wie die Dinge hier liefen.
 

Der junge Mann ließ seinen Blick kurz zu der Sitzecke schweifen. „Ja, gerne. Das ist auch viel bequemer.“ Er bot ihr seinen Arm an, damit sie sich einhaken konnte. „Wenn ich Sie dann dort hinüber geleiten dürfte, My Lady.“

„Aber gerne doch“, sagte Maria und hakte sich ein. Gemeinsam gingen sie zu der Sitzgelegenheit, während sie immer wieder prüfende Blicke über Yohjis Körper wandern ließ. Was sie unter dem Kostüm erahnen konnte, gefiel ihr. „Erzählen Sie mir doch, was Sie sonst machen, wenn Sie nicht in die Fußstapfen ihres Vaters treten wollen.“

„Im Moment studiere ich Jura im dritten Semester und habe mir eher vorgenommen Strafverteidiger für Leute wie die hier Anwesenden zu werden“, erklärte er und bot ihr einen Sitzplatz an. Erst nachdem die Gastgeberin Platz genommen hatte, ließ auch er sich nieder, um nicht unhöflich zu erscheinen.

„Jura? Sie studieren allen ernstes Jura?“, fragte die Italienerin skeptisch und setzte verschmitzt hinzu: „Und ich hab Sie für vernünftig gehalten.“ Sie fand immer mehr Gefallen an diesem erfrischend anderen Typ Mann.

Abermals musste Yohji schmunzeln. „Dann bin ich wohl größenwahnsinnig und unvernünftig. Aber ich glaube so verkehrt ist Jura nicht. Einigen reicht es zu wissen, dass sie etwas Ungesetzliches tun und dass sie sich dabei nicht erwischen lassen sollten. Ich finde, man kann ruhig auch wissen, wie viel man sich tatsächlich herausnehmen kann und ab wann man riskiert wirklich Ärger zu bekommen und was man dagegen tun kann. Außerdem dürfte es doch recht lukrativ sein, sollte man in dieser Sparte als Strafverteidiger erfolgreich sein. Bis dahin hab ich allerdings noch sehr viel vor mir. Und ich hoffe, dass mir niemand auf meinem Weg die Ohren lang zieht. Ich tanze nämlich gern ... und zwar aus der Reihe.“

„Und was sagt Ihr Vater dazu, dass Sie studieren? Ich meine, er ist da doch bestimmt nicht begeistert davon, wo Sie doch sein Geschäft übernehmen sollen. Aber Sie haben Recht. Einen Strafverteidiger zur Seite zu haben, wäre nicht schlecht. Vielleicht werde ich ein gutes Wort für Sie bei meinem Verlobten einlegen.“

„Nun ja, was soll er sagen? So begeistert ist er davon wirklich nicht. Aber er meint, solange ich meine 'Pflichten' nicht vernachlässige, könnte ich tun und lassen, was ich wollte.“ Der Playboy zuckte gleichgültig mit den Schultern und drehte sich seinem Gegenüber mehr zu. „Das könnte vielleicht wirklich für mich eine ziemlich große Chance sein. Aber deswegen habe ich Sie nicht angesprochen, Sie müssen das nicht tun. Vor allem, weil der Weg, den ich vor mir hab, noch ein sehr weiter und steiniger ist.“

Maria lächelte unter ihrer Maske. „Je nachdem, wie gut Sie mir weiterhin gefallen, werde ich sehen, was sich mit meinem Verlobten machen lässt.“

„Das ist wirklich sehr großzügig von Ihnen.“ Dann versuchte er das Gespräch in eine etwas andere Bahn zu lenken. „Und was ist mit Ihnen? Haben Sie nicht manchmal Heimweh, so weit weg von zu Hause?“

Die Antwort klang etwas wehmütig. „Venedig ... Ja, ich vermisse meine Heimat schon sehr. Sie ist soweit weg von hier... Manchmal wünschte ich mir, ich wäre nie hierher gekommen. Aber dann...“ Sie brach abrupt ab. „Aber sprechen wir nicht von mir, sondern von Ihnen. Wo kommen Sie her?“

„Um neue Ufer zu ergründen, muss man andere hinter sich lassen. Aber Venedig ist ja nicht aus der Welt, Sie können doch gewiss heim zu Ihrer Familie fahren, wenn Ihnen danach ist“, meinte Yohji tröstend und dämpfte seine Stimme etwas. „Bereuen Sie manchmal einige Entscheidungen, die Sie mal getroffen haben? Entschuldigen Sie bitte, ich wollte Ihnen nicht zu nahe treten.“ Um das Thema wieder zu wechseln, beantwortete er ihre letzte Frage. „Ich komme ganz unspektakulär hier aus Tokyo. Und war noch nie in meinem Leben raus aus Japan.“

Maria seufzte ein wenig betrübt. Die Antwort, woher ihr Gesprächspartner kam, beachtete sie nicht einmal mehr. Sie unterhielten sich jetzt leiser als zuvor. „Ja, manchmal bereue ich meine Entscheidung. Vor allen Dingen... hasse ich meinen Verlobten.“ Erschrocken schlug sie sich eine Hand vor den Mund. „Wenn Sie auch nur ein Sterbenswörtchen darüber verlauten lassen ... dann gnade Ihnen Gott!“

„Wenn das so ist ... warum heiraten Sie ihn dann? Und nicht jemanden, den Sie lieben? Entschuldigen Sie die saudämliche Frage, ich kann es mir denken.“ Der Assassin nahm ihre Hand, drückte sie leicht und fuhr in ernstem Tonfall fort. „Kein Wort ... Versprochen. Es geht mich schließlich nichts an und andere ebenso wenig.“

„Sie gefallen mir wirklich immer besser!“ Die Italienerin drückte ebenfalls leicht seine Hand, um daran Halt zu finden. „Und wieso ich ihn heirate, ist jawohl mehr als klar...“ Sie sah sich kurz prüfend um und flüsterte: „Hier ist es zu voll für eine vernünftige Unterhaltung. Ich gehe jetzt meinen Verlobten suchen und ziehe mich dann zurück in meine Kabine, bitte ihn aber, meine Schoßhunde hier zu lassen. Kommen Sie in einer Viertelstunde nach, dann machen wir uns noch einen gemütlichen Abend. Wenn Sie verstehen, was ich meine.“

Yohji lächelte triumphierend, sagte dazu nichts mehr und nickte nur. „Okay, wir sehen uns dann in 15 Minuten.“ Dann sah er zu, wie sein Opfer durch den Salon ging, um ihre Aufpasser loszuwerden. Er warf einen Blick auf die Uhr, seinen Einsatz durfte er auf keinen Fall verpassen.

Schuldig grinste zufrieden. „Hast du gut gemacht, Kleiner. Jetzt sollten wir nur zusehen, dass sie gleich auch wirklich alleine ist, sonst hat dir das ganze Geschwafel auch nichts gebracht.“
 

Inagawa öffnete die Tür zu seinem Arbeitszimmer und schaltete das Licht an. Sein Date schien niemand zu sein, der umgehend den genannten Ort aufsuchte. Also hatte er noch Zeit.

„Ihr beiden wartet hier. Wenn jemand kommt, der behauptet, dass er mit mir verabredet sei, lasst ihn hier warten. Ich komme gleich wieder.“

Mit diesen Worten ließ er die beiden zurück und machte sich auf den Weg zurück auf die Party. Er informierte noch einige andere Sicherheitsleute darüber, dass er gleich eine geschäftliche Besprechung hatte und nicht gestört werden wollte.

„Liebling?“, erklang eine helle Frauenstimme mit ausländischem Akzent hinter ihm. „Da bist du ja, Liebling, ich habe dich schon überall gesucht.“

Inagawa drehte sich zu der Frau um und setzte ein Lächeln auf. „Was gibt es denn, Maria?“

Sie nahm seine Hände und machte ein leicht wehklagendes Gesicht. „Ich fühle mich nicht besonders Wohl. Vielleicht hätte ich nicht so viel Champagner trinken sollen. Ich wollte dir nur Bescheid sagen, dass ich mich ein Stündchen hinlegen möchte. Nicht das du dir noch meinetwegen Sorgen machen musst.“

Der Yakuza nickte. „Gut, leg dich etwas schlafen. Ich habe übrigens gleich eine Besprechung und ich weiß nicht, wie lange das dauern wird. Es kann also durchaus sein, dass ich noch in meinem Arbeitszimmer bin, wenn du schon längst wieder auf den Beinen bist. Komm mich dann aber bitte nicht stören, du weißt, ich mag das nicht.“

„Selbstverständlich“, säuselte sie. „Ich denke nicht, dass ich meine Schoßhunde brauche, wenn ich schlafe, ich schließe ja mein Zimmer ab. Du wirst sie vielleicht eher zur Unterstützung bei deinen Geschäften benötigen.“

„Du solltest vielleicht trotzdem jemanden vor deiner Tür postieren.“

Maria schüttelte den Kopf. „Nein, du weißt doch, dass mich so etwas nur nervös macht. Sie können meinetwegen die Türen vom Salon bewachen. Außerdem sind wir auf hoher See. Was sollte hier denn schon passieren? Niemand kann auf das Schiff und niemand herunter. Mach dir nicht immer so viele Sorgen.“

Ein leises Seufzen entwand sich Inagawas Kehle. „Gut, wie du meinst. Du gibst doch sowieso erst Ruhe, wenn du deinen Willen hast. Aber lass jemanden die Gänge patrouillieren.“

„Wenn es dich beruhigt, werde ich das tun. Ich ziehe mich zurück.“ Damit wandte sich die Italienerin ab und steuerte ihre Leibwächter an. Diesen teilte sie mit, was sie soeben mit ihrem zukünftigen Ehemann besprochen hatte. Die Patrouille auf den Gängen ließ sie jedoch aus. Dann machte sie sich auf den Weg in ihre Kabine.
 

Nachdem Omi und Ken beobachtet hatten, wie ihre Zielperson mit zwei Bodyguards das Arbeitszimmer betreten, aber alleine wieder verlassen hatte, schlichen sie sich zu dem Zimmer und klopften an die Tür. Diese öffnete sich nach einem kurzen Augenblick. Ein stämmiger Mann in einem Anzug, unter dem sich deutlich seine Muskeln abzeichneten, betrachtete sie grimmig und nahm sie die beiden Neuankömmlinge misstrauisch in Augenschein.

„Entschuldigen Sie bitte“, brach Omi das Schweigen. „Ich bringe Herrn Tashiki zu einer Besprechung mit Herrn Inagawa. Ist er anwesend?“

„Er kommt gleich zurück.“ Der Mann trat ein Stück beiseite und deutete in den Raum. „Kommen Sie bitte herein, Herr Tashiki, Sie können hier warten.“

„Danke“, antwortete Ken mit einer knappen Verbeugung und betrat das Arbeitszimmer.

Omi wollte ihm folgen, wurde aber direkt von dem Bodyguard aufgehalten. „Nur Herr Tashiki, das ist privat.“

„Lass dich jetzt bloß nicht abwimmeln, Bombay“, meinte Brad und beäugte den Aushilfsgorilla misstrauisch. „Den schaffst du doch mit links.“

„Warum müsst ihr eigentlich immer alle mit ihnen reden?“, fragte Farfarello interessiert. Er hatte sich hinter Ken gegen den Schreibtisch gelehnt und wartete ab, was als nächstes passieren würde. „Schuldig tut das auch ständig. Sie hören uns ja nicht mal, weil wir nicht mit ihnen reden ’dürfen’.“

„Stress- und Aggressionsabbau würde ich sagen“, meinte der andere daraufhin.

Der Ire nickt. „Wahrscheinlich. Und Bombay wird es schon nicht versauen, dafür sind sie zu lange im Geschäft.“

„Ja, ich weiß. Mir wäre aber trotzdem sehr viel wohler, wenn ich meine Fähigkeit hätte und wüsste, was er als nächstes vorhat.“

Der blonde Junge verneigte sich leicht. „Entschuldigen Sie bitte. Ich wollte nur fragen, ob ich Ihnen noch einige Erfrischungen bringen darf.“

„Nein, das einzige, was du darfst, ist zurück zur Party zu gehen und die Gäste weiter bedienen“, blökte der Mann ihn an. „Hab ich mich klar genug ausgedrückt?“

„Ja, das haben Sie,“ antwortete Omi und entfernte sich nur wenige Zentimeter nach hinten, so dass sein Gegenüber ihn nicht mehr festhielt. Dann duckte er sich unter dem Arm hindurch, trat die Tür zu und zückte bereits einen seiner Dartpfeile.

Der Bodyguard, der die Tür geöffnet hatte, war im ersten Augenblick zu überrumpelt, um schnell genug reagieren zu können. Dann zog er aus seinem Schulterholster eine Waffe und wirbelte herum zu der Stelle, an der er Omi vermutete. Der hatte sich allerdings mit einer Rolle wieder hinter seinen Angreifer gebracht und stach ihm den Dart in den Rücken, woraufhin dieser leblos in sich zusammen sackte.

Währenddessen war Ken nicht untätig geblieben. Er fuhr seine Bugnuks aus den Krallen seines Kostüms aus und attackierte den zweiten Mann von hinten. Dieser hatte seine Aufmerksamkeit dem Störenfried gewidmet, hatte ebenfalls seine Waffe gezogen und zielte nun auf Omi.

Brad reagierte ebenfalls sehr schnell. Als der andere Bodyguard den Abzug betätigte, um seinen Feind zu erschießen, legte der Amerikaner flink den Sicherheitshebel an der Pistole um, so dass ein leises Klacken das einzige Geräusch war, das die Waffe verließ. Somit wurde keine unerwünschte Aufmerksamkeit der anderen Passagiere erregt und Omi blieb unversehrt.

Ken setzte seinen Angriff fort und bohrte seine metallenen Klauen in den Rücken seines Ziels. Er zog sie kraftvoll durch den Körper und zerfetzte somit das Rückgrat. Farfarello schirmte die Bugnuks ab, so gut er konnte, damit das Blut nicht seinen Schützling und den Boden besudeln konnte. Dadurch würde ihr eigentliches Ziel nur misstrauisch werden und alle bisherige Mühe der Mission wäre umsonst gewesen. Ein erstickter Schrei, war das Letzte, was man von seinem ersten Opfer hörte.

„Schnell geschaltet, Farf“, lobte Brad seinen Kollegen und nickte zufrieden.

„Danke, das kann ich zurückgeben.“

Omi sah erschrocken auf den nach vorne kippenden Leichnam. „Siberian! Warum hast du mich den nicht erledigen lassen? Der blutet uns doch alles voll und dann zischt Inagawa doch direkt wieder ab.“

„Hey, hätte ich zusehen sollen, wie er dich erschießt? Außerdem ist nichts schlimm eingesaut, ich hab aufgepasst“, verteidigte er sich und sah sich kurz um. „Setzen wir den hier da auf das Sofa, dann sieht man die Wunde nicht.“

Der Jüngere nickte zustimmend. „Ja. Warte ich helfe dir dabei.“

Gemeinsam drapierten sie den Toten mit der offenen Wunde auf dem Sofa, so dass es aussah, als würde er normal sitzen. Ken wischte sich seine Klauen sauber und zog sie wieder ein. Das restliche Blut sah man auf den dunklen Stoff glücklicherweise nicht.

„Was machen wir mit dem anderen?“, fragte er dann und sah sich nochmals prüfend um.

Nach einem kurzen Augenblick des Nachdenkens antwortete der Blonde: „Wir versuchen ihn mal gegen die Wand zu lehnen. Schau mal nach ob es da vielleicht eine Art Haken gibt, wo wir das Jackett einhaken können, damit er nicht umfällt.“
 

Nach etwa zehn Minuten, nachdem Ken und Omi die Bodyguards getötet hatten, betrat Inagawa das Arbeitszimmer. Sein Blick fiel auf die Gestalt in dem Vogelkostüm. Prüfend ließ er seinen Blick durch den Raum schweifen, um festzustellen, ob sie tatsächlich allein waren. Da er niemanden sonst außer ihm und seinen beiden Sicherheitsleuten erblicken konnte, schloss er die Tür hinter sich, damit sie nicht gestört wurden. Er verließ sich darauf, dass seine Schoßhunde den Raum zuvor gründlich durchsucht hatten.

„Sie wollten mich dringend sprechen?“, fragte er.

Ken nickte. „Ja. Zwar wollte ich eigentlich allein mit Ihnen sprechen, aber ich akzeptiere, wenn Sie zu Ihrer eigenen Sicherheit lieber Ihre Leute bei sich haben.“

Er nickte. „Worum geht es denn? Und stecken wirklich Sie unter dieser Maske, Herr Tashiki?“, verlangte er zu wissen.

„Es geht um Sie, um Ihre Verbrechen, die Sie begangen haben und für die Sie jetzt in der Hölle büßen werden. Wir sind Jäger im Dunkeln und richten den schwarzen Schwarm: Weiß!“

„Weiß?“ Takato war verwirrt und runzelte fragend die Stirn. „Was soll ...“

Weiter kam er nicht. Ein mit Gift präparierter Dartpfeil bohrte sich in seine Halsschlagader, lähmte sein Nervensystem und seine Atemwege, nahm ihm die Kontrolle über seinen Körper und ließ ihn binnen weniger Sekunden leblos zusammenbrechen.

Omi kroch unter dem Schreibtisch hervor und beugte sich zu dem toten Yakuza, um seinen Puls und seine Atmung zu überprüfen. Dann nickte er seinem Kollegen bestätigend zu. Ihren Teil der Mission hatten die beiden somit bereits erfüllt. Er nahm den Dartpfeil wieder an sich und steckte ihn in die Tasche, schließlich wollten sie keine Spuren hinterlassen.

Ken hob Inagawas Leiche dann vom Boden auf und setzte ihn auf seinen Chefsessel hinter dem Schreibtisch, während der Jüngere bereits das Zimmer verlassen hatte und in den Salon zurückkehrte. Der Braunhaarige ging vom Arbeitszimmer aus direkt nach draußen an Deck.
 

Yohji machte sich nach der vereinbarten Zeit auf, um Maria zu ihrer Kabine zu folgen. Als er davor stand klopfte er an die Tür, machte sich jedoch bereit, falls jemand anders die Tür öffnen sollte. Nach wenigen Augenblicken wurde ihm dann geöffnet. Die Italienerin hatte ihre Maske und den anderen Kopfschmuck bereits abgelegt und ihr wallendes, schwarzes Haar umrahmte ihr gebräuntes Gesicht, genauso wie auf den Fotos.

„Kommen Sie rein“, wies sie ihn an und trat beiseite, um ihn einzulassen.

Der junge Mann tat, wie ihm geheißen und sah sich in der Kabine um. Sie war stilvoll und teuer eingerichtet, wie die ganze Yacht, außerdem waren sie wie abgesprochen allein.

Maria schloss die Tür sofort wieder wandte sich Yohji zu. Sie trat so nah an ihn heran, dass ihre Körper sich streiften. „Und jetzt will ich sehen, was für ein Gesicht unter der Maske steckt.“

„Ich fürchte, dass wird nicht gehen, Maria. Ich bin nicht gekommen, um dir den Abend zu versüßen“, sagte er und strecke eine Hand nach ihrem ebenmäßigen Gesicht aus, um über ihre Wange zu streicheln.

Die Italienerin runzelte fragend die Stirn. „Was meinst du damit? Genau dafür habe ich dich herkommen lassen. Nimm deine Maske ab. Oder steckt darunter vielleicht gar nicht Hiroshi Tashiki Junior?“

Yohji nickte. „Ich bin Weiß, Jäger des Dunklen.“

Mit einer schnellen Bewegung rollte er den Draht aus seinem Armband ab, legte ihn der Frau um den Hals. Sie wollte fragen, was das bedeutete, doch ihre Augen weiteten sich nur erschrocken, als sie spürte wie der Draht in ihr Fleisch schnitt und ihr den Atem raubte. Maria rang verzweifelt nach Atem, doch Yohji zog seine Fäden immer enger zusammen, bis sie leblos in seine Arme sank.

Er legte sie auf ihr Bett und rollte den Draht wieder in sein Armband ein.
 

Ken lehnte bereits einige Zeit an der Reling, blickte auf das weite Meer hinaus und wartete. Nach einigen weiteren Minuten gesellte sich Omi zu ihm und murmelte leise: „Abyssinian und Balinese brauchen viel zu lange.“

„Vielleicht hätten wir uns nicht trennen sollen. Yohji flirtet wahrscheinlich wieder nur zu viel und verschwendet damit wertvolle Zeit“, flüsterte Ken.

Stummes Kopfschütteln war zunächst die Antwort darauf. Dann setzte der Jüngere jedoch noch leise hinzu: „Es war so geplant und so ziehen wir es durch. Ich geh nachschauen, was los ist. Geh du schon mal alles für unseren Heimweg vorbereiten.“

„Okay“, meinte der Kostümierte und nickte. „Komm so schnell wie möglich mit den Beiden nach. Wir sollten hier nicht länger bleiben als nötig. Ich habe ein schlechtes Gefühl.“

„Ja, das meine ich auch.“ Mit diesen Worten wandte sich Omi wieder ab und ging zurück in den Salon, um zu sehen, wie weit die anderen Weiß-Mitglieder waren.

Ken indes machte sich auf zum rückwärtigen Teil der Yacht. An Deck waren glücklicherweise nur zwei Sicherheitsleute postiert, an denen man sich vorbei schleichen konnte.
 

Changeling bemerkte den Schatten, der über das Deck huschte und folgte ihm mit den Augen. Der andere Sicherheitsmann hatte ihn wie erwartet nicht bemerkt, da er an der gegenüberliegenden Seite an der Reling entlang schlenderte. Der Mann in dem schwarzen Anzug und der silbernen Maske, unter der einige leuchtend grün gefärbte Haarsträhnen zum Vorschein kamen, warf einen beiläufigen Blick auf seine Uhr. Dann gab er die Nachricht, dass Weiß jetzt bald die Yacht verließen an Spirit weiter, damit dieser die anderen informierte.

Changeling ging zu dem anderen Wachmann. „Alles ruhig, wie zu erwarten war.“

„Ja“, stimmte dieser zu. „Ich weiß nicht, was für Sorgen sich Inagawa gemacht hat.“

„Ich denke, die Sorgen waren berechtigt. Er ist tot und du störst nur.“ Er zog eine mit Schalldämpfer versehene Pistole aus seinem Schulterholster und schoss drei Mal auf sein verwirrtes Gegenüber, ohne ihm auch nur Zeit zum Reagieren zu lassen. Dann warf er ihn einfach über Bord.
 

Yohji trat aus Marias Kabine und sah sich kurz um. Glücklicherweise war niemand in Sicht und er begab sich zurück in den Salon zu den anderen Gästen. Dort ging er an die Bar und bestellte sich bei Aya eine Bloody Mary, ihr verabredetes Erkennungsmerkmal, wenn sein Teil der Arbeit getan war. Der Drink wurde vor ihm abgestellt, doch er rührte ihn nicht an. Stattdessen wandte er sich nach wenigen Minuten wieder von der Bar ab und verließ den Salon wieder, um auf Deck zu gelangen. Dort sah er sich kurz um, doch Ken wartete nicht an der Stelle, wo er eigentlich stehen sollte.

Hinter sich hörte er auf einmal Schritt. „Entschuldigen Sie bitte, aber der Herr, der Sie sprechen wollte, möchte Sie jetzt an einer anderen Stelle treffen.“

Yohji drehte sich herum, grinste unter seiner Maske und meinte mit gedämpfter Stimme: „Musst du mich so erschrecken, Bombay?“

Omi antwortete ebenso leise. „Siberian bereitet schon alles vor, ihr habt so lange gebraucht. Ich hab Abyssinian auch schon Bescheid gesagt. Wir verschwinden jetzt, komm.“

Damit drehte er sich um und pirschte sich langsam zum rückwärtigen Teil des Schiffes vor, wo Ken bereits auf sie wartete. Yohji folgte ihm und hatte mittlerweile einige Bedenken wegen der vielen Sicherheitsleute. Doch Fortuna schien ihnen wohl gesonnen, es waren nur zwei der Anzugträger an Deck und keiner von ihnen war zu sehen. Außerdem war hier draußen das Geräusch der Motoren und der wogenden Wellen laut genug, um ihre leisen Schritte zu übertönen.
 

„Hast du das auch gehört?“, fragte Nagi seinen Kollegen.

Farfarello schüttelte den Kopf. Er war gerade zu sehr damit beschäftigt, Ken unauffällig dabei zu helfen, sich aus seinem Kostüm zu schälen.

„Da war aber was“, beharrte der junge Japaner. „Aya hat das, glaube ich, auch gehört, er hat nämlich grade auch in die Richtung geschaut, aus der das Geräusch kam.“

„Hast du das auch gehört?“, kam dann auch prompt die geflüsterte Frage des Rotschopfes.

Ken sah ihn allerdings nur ebenso fragend an und schüttelte ebenfalls den Kopf. „Nein. Was denn?“

„Ein Geräusch, als ob etwas ins Wasser fällt“, erklärte der Weiß-Leader. „Wir sollten uns beeilen und machen, dass wir weg kommen. Bombay und Balinese könnten ruhig mal eintrudeln.“

„Wir sind ja schon da“, sagte Omi, der mit Yohji hinter ihm auftauchte. „Macht nicht so einen Lärm.“

Die beiden Neuankömmlinge schlugen die Abdeckplane des Beibootes ein Stück beiseite. Darin befanden sich einigen Utensilien, die Aya und Omi bereits am Mittag hier versteckt hatten. Sie holten vier Neoprenanzüge hervor und zogen sich in der Nische zwischen Reling und Beiboot schnell im Schutze des Schattens um.

Aya schnallte sich bereits sein Atemgerät um und verstaute die Kleidungsstücke in einer wasserdichten Tasche. „Wir müssen uns beeilen, einer der Wachleute wird gleich wieder hier vorbei laufen“, sagte er und drängte die anderen zur Eile.

So schnell sie konnten zogen sich alle ihre Taucherausrüstung komplett an und verstauten alles andere in Taschen, so dass nichts mehr auf dem Schiff auf ihre Anwesenheit hindeuten konnte.
 

Nacheinander sprangen sie ins Wasser und die dunklen Tiefen verschlangen sie. Der Rotschopf ging als letzter von Bord, um das Schlusslicht zu bilden, damit sie sich nicht gegenseitig verloren. Unter Wasser schalteten sie ihre Tauchlampen ein und schwammen Richtung Land. Glücklicherweise zog die Yacht nur innerhalb der Bucht vor Tokyo ihre langsamen Kreise, so dass sie kaum drei Kilometer vor der Küste lagen. Diese Strecke war ohne weiteres in einer Stunde zu schaffen.

Die Sicht unter Wasser war ohnehin schon schlecht und je weiter sie ins Hafenbecken hinein schwammen, um so miserabler wurde sie. Bald konnten sie trotz ihrer Lampen bloß noch ein bis zwei Meter weit sehen, das Wasser war einfach zu verschmutzt. Ihre einzige Orientierungshilfe war der Kompass und die jeweils anderen Weiß-Mitglieder.

Plötzlich würde Aya von etwas gestreift und er sah sich danach um. Etwas trieb an ihm vorbei, doch er konnte nicht genau erkennen was sich unter dem von Algen überwucherten Treibgut verbarg. Es war kaum zu glauben, wie verschmutzt, verkommen und voller Müll die Küste war. Ohne sich weiter darum zu kümmern setzte er seinen Weg fort und folgte den anderen schnell, um den Anschluss nicht zu verlieren.

Schwarz waren in diesem Augenblick mehr als froh keinen Körper mehr zu haben. Zwar war es auch für sie nicht gerade angenehm durch eine solche Drecksbrühe zu schwimmen, aber wenigstens mussten sie sich keine Sorgen darüber machen, auch nach unzähligen Bädern immer noch danach zu riechen. Schuldig bezweifelte ernsthaft, dass die Neoprenanzüge genügend Schutz boten.

Weiß näherten sich immer weiter dem Ufer und bisher konnten sie keine Schiffsaktivitäten, die darauf hindeuteten, dass man sie entdeckt hatte, bemerken. Omi hoffte nur, dass dieser Zustand auch anhielt und sie nicht am Ufer bereits erwartet wurden. Falls doch, würden sie wahrscheinlich ziemlich alt aussehen.

Sie durchschwammen wiederum einige von Seepflanzen überwucherten Gegenstände, die sich über Jahre bereits auf dem Meeresgrund sammelten, wie zum Beispiel Tonnen, Kanister, Kisten, Dosen, Treibnetze oder einfach nur Dinge, bei denen sich nicht einmal mehr bestimmen ließ, was sie ursprünglich mal gewesen waren. Zwar war es gefährlich über diese Dinge hinweg zu schwimmen, aber zu dicht an die Oberfläche wollten die Weiß-Mitglieder auch nicht kommen. Es gab wohl kaum etwas Auffälligeres für die Hafenpolizei, als vier Männer die mitten in der Nacht im wohl dreckigsten Gewässer der Welt auf Tauchgang waren.

Aya spürte abermals etwas am Bein, kümmerte sich allerdings nicht darum. Erst als er einen Ruck verspürte und nicht mehr von der Stelle kam, drehte er sich um und sah nach, was ihn behinderte. Er hatte sich in einem der beschädigten Treibnetze verfangen, das sich immer enger um sein Bein schlang, je mehr er daran zog. Und ausgerechnet heute habe ich mein Katana nicht dabei, dachte er missmutig und tastete an seinem Gürtel nach einem Tauchermesser. Er war der Überzeugung, eines für den Notfall eingesteckt zu haben, aber es war nicht da, vielleicht hatte er es verloren. Da stummes Fluchen ihm auch nicht weiterhalf, versuchte er das Netz mit den Händen zu lösen. Dieses Unterfangen erwies sich allerdings als schwieriger als erwartet, da seine Finger in Handschuhen steckten und ihm somit das nötige Fingerspitzengefühl fehlte. Nach einiger Zeit gelang es ihm, die größere Knoten, in die sich das Netz im Laufe der Zeit verheddert hatte, zu lösen. Die kleinen Knoten, mit denen das Netz geknüpft war, konnte er allerdings nicht öffnen und so verlor er nach einiger Zeit die Geduld und zog und zerrte an den Kunststoffschnüren. Er musste schnell hier raus, die anderen waren sowieso schon viel zu weit Weg.

„Wenn du das weiter so hektisch machst, dann machst du es nur noch schlimmer“, meinte Nagi und besah sich das Gewirr aus strapazierten Kunststofffäden.

Hätte er jetzt seine Fähigkeiten gehabt, dann wäre es ein leichtes gewesen Aya mit einem Wimpernschlag sofort zu befreien und ebenso schnell wieder zu den anderen Dreien aufholen zu lassen. Ein Messer oder ein spitzer Gegenstand wären allerdings in der Tat auch sehr hilfreich gewesen. Andererseits musste er sich mit dem behelfen was er hatte und das waren nun mal nur seine Hände. Mit geschickten Fingern half er Aya dabei, das Netz von seinem Bein zu lösen, was ihm um ein vielfaches leichter fiel als seinem Schützling.

Aya fing an, sich Gedanken über seinen Sauerstoffvorrat zu machen. Er hoffte nur, dass er trotz der Verzögerung noch bis zum Ufer ausreichen würde. Wenn nicht, dann musste er wohl oder übel auftauchen und riskieren, entdeckt zu werden. Immer eiliger machte er sich an den Schnüren zu schaffen und war erleichtert, als er merkte, dass sie sich endlich lösten.

Es dauerte einige Zeit, bis der Rotschopf vollständig befreit war und sich wieder frei bewegen konnte. Die anderen drei Weiß-Mitglieder waren bereits hunderte Meter vor ihnen. Ob er sie noch einholen würde, war fraglich. Allerdings hatte Aya keine Zeit, einfach nur darüber nachzudenken, sondern warf einen Blick auf seinen Kompass und schwamm dann weiter in Richtung Ufer.
 

Yohji erreichte als Erster einen der Anlegestege. Er tauchte auf und sah sich kurz um. Omi und Ken kamen ebenfalls kurz nach ihm an die Wasseroberfläche, um zu sehen, wo genau sie jetzt waren.

Der Playboy deutete auf einen der anderen Stege. „Wenn wir da drüben aus dem Wasser gehen, sind wir näher am Parkplatz, wo unsere Autos stehen.“

Die anderen beiden nickten zustimmend. Es war besser, wenn sie in ihrer Tauchermontur möglichst wenig der restlichen Strecke auf dem Trockenen zurücklegten.

Omi sah sich suchend um. „Wo ist Aya? Er war doch gerade noch genau hinter mir.“

„Vielleicht ist er woanders aufgetaucht“, mutmaßte Ken und sah sich ebenfalls um, konnte ihren Leader jedoch nirgendwo erblicken.

„Warten wir kurz hier“, beschloss Yohji und drängte sich zusammen mit den anderen Beiden nah an den Steg, so dass man sie von diesem oder von einem Schiff aus nur sehr schlecht sehen konnte. „Vielleicht ist er etwas zurück gefallen und kommt gleich.“

„Hey Brad, weißt du, wo Abyssinian und Prodigy sind?“, fragte Schuldig. „Du warst doch genau vor ihnen, du hättest dich ja mal umgucken können.“

„Sie waren ja auch die ganze Zeit da“, meinte Brad und überlegte kurz. „Sie sind kurz zurück gefallen. Nagi rief irgendwas von wegen sie kommen sofort nach, Aya wäre in etwas hängen geblieben.“

Farfarello runzelte die Stirn. „Warum hast du uns denn nicht Bescheid gesagt? Das tust du doch sonst immer. Außerdem hätten wir es dann irgendwie den anderen Weiß mitteilen können, damit die ihm helfen.“

Der Amerikaner seufzte leise, er sah überhaupt nicht ein, warum ausgerechnet er sich rechtfertigen musste. „Ich habe nichts gesagt, weil ich es nicht für nötig hielt. Nagi hat die Situation vollkommen unter Kontrolle. Ich vertraue auf seine Fähigkeiten, er kann mehr als nur seine Telekinese einsetzen. Außerdem ist er genau dazu da, um Aya zu helfen, wenn es nötig ist. Er ist nicht mehr nur auf die anderen angewiesen.“ Für ihn war die Diskussion damit beendet.
 

Nach einigen Minuten hörten die drei Schwarz-Mitglieder aus der Ferne Nagis Rufe. „Hey! Sorgt dafür, dass Weiß nicht ohne uns verduften! Wir kommen jetzt! Wir hatten nur ein kleines Hindernis.“

Die Stimme des Jungen kam immer näher, ebenso wie der Taucher, der sein Tempo seit dem Zwischenfall mit dem Treibnetz erhöht hatte, um die verlorene Zeit wieder aufzuholen und die anderen nicht unnötig warten zu lassen.

Einige Meter vor dem Steg, an dem die Assassins warteten, tauchte Aya an der Wasseroberfläche auf und schwamm zu ihnen hinüber.

„Warum seid ihr noch hier?“, verlangte er zu wissen. „Ihr solltet doch direkt raus aus dem Wasser und zu den Wagen.“

„Weil wir auf dich gewartet haben“, warf Ken ein.

„Ja, wir dachten, dir wäre vielleicht etwas passiert, Aya-Kun“, fügte Omi besorgt hinzu. „Und alleine zurück gelassen hätten wir dich nicht.“

Yohji nickte zustimmend. „Noch ein paar Minuten und wir wären zurück geschwommen, um dich zu suchen.“

Der Rotschopf runzelte die Stirn und sah die Drei vorwurfsvoll an. Dann aber atmete er tief durch und blickte freundlicher. Diese Diskussion hatten sie schon so oft geführt, es nützte überhaupt nichts, sie jetzt schon wieder aufzurollen. Jeder von ihnen wusste ganz genau, dass sie keinen der anderen jemals im Stich lassen würden. Und daran änderten auch Ayas Standpauken nichts, dass sie lieber sich selbst in Sicherheit bringen sollten, wenn es brenzlig wurde. Eigentlich war er jedes Mal froh, wenn sie seinen Sturkopf ignorierten.

„Ich habe mich nur in etwas Treibgut verheddert“, erklärte er dann, um die Wogen zu glätten. „Nichts Wildes, ich konnte mich ja wieder heraus winden.“

„Und dir ist nichts passiert?“, hakte der Jüngste von ihnen nochmals nach.

Aya schüttelte den Kopf. „Nein, alles in bester Ordnung. Ich hatte nur befürchtet, die Luft würde vielleicht nicht reichen. Jetzt lasst uns endlich verschwinden.“ Er wollte endlich raus aus dem Wasser, es war so kalt, dass er bereits seine Finger nicht mehr spüren konnte. Aber es wäre ihm nie in den Sinn gekommen, darüber zu jammern, auch wenn er sicher war, dass es seinen Freunden nicht anders ging.

Gemeinsam legten sie auch noch die letzten Meter im Wasser hinter sich zurück und gingen an dem Steg an Land, den Yohji zuvor ausgesucht hatte. Dort zogen sie lediglich ihre Flossen aus, um richtig Laufen zu können und machten sich eilig auf zum Parkplatz wo die beiden Autos standen.

Dort angekommen legten sie ihre Atemgeräte in den Kofferraum von Ayas Porsche und holten aus einer Tasche einige trockene Kleidungsstücke. Hastig zogen sie sich um und verstauten auch ihre Neoprenanzüge und die restlichen Taschen.

„Gott ... ich rieche wie ein toter Fisch“, beschwerte sich Yohji und zog sich seine Schuhe an. „Den Gestank werde ich doch tagelang nicht mehr los.“

„Dann würde ich sagen, du gehst erst mal ordentlich duschen, wenn wir zu Hause sind“, meinte Schuldig und grinste. „Ich will meine ganze Zeit nicht mit einem toten Fisch verbringen.“

„Nicht nur du, also beschwer dich nicht, Yohji-kun“, meinte Omi und lächelte. „Aber dagegen gibt es ja ’sauberes’ Wasser und Seife. Also lasst uns endlich nach Hause fahren. Ich kann mich nämlich auch nicht mehr riechen.“

Seelenschau

[Dieses Kapitel ist nur Volljährigen zugänglich]

Fahr niemals schneller als dein Schutzengel fliegen kann

Wir sind keine Engel
 

Kapitel 8: Fahr niemals schneller als dein Schutzengel fliegen kann
 

Einige Tage später betrat Birman kurz vor Feierabend den Blumenladen. „Hallo Jungs. Ihr seid ja ausnahmsweise mal alle da, wie schön.“ Sie ließ die Vier noch den Laden schließen und meinte: „Es gibt eine neue Mission. Gehen wir runter.“

Im Missionsraum legte die Frau ein Videoband in den Recorder und löschte das Licht. Kurz darauf startete wieder die altbekannte Simulation von Perser und verkündete ihren Auftrag.

„Weiß, euer Ziel bei dieser Mission ist es, euch Daten aus einem abgeschirmten Computersystem zu beschaffen. Mit diesen Daten können wir Erkenntnisse über weitere Aktivitäten des schwarzen Schwarms gewinnen und ihnen effektiv vorgreifen. Jäger des Lichtes, jagt die dunkle Brut.“

Als das Videoband zu ende war, schaltete Birman das Licht wieder an und nahm die Kassette aus dem Recorder heraus. „Wir sind erneut einem Kinderhändlerring auf der Spur. Wir brauchen die Informationen auf diesem Computer, um an sie heran zu kommen. Wir vermuten, dass wir so eine Liste aller beteiligten Personen sowie der entführten Kinder erhalten. So gesehen ist es also eine Art Vormission. Wenn wir die erhofften Informationen finden, können wir zuschlagen“, erklärte die Frau und blickte die vier jungen Männer einen nach dem anderen an. „Ich denke, ihr macht alle mit, oder?“

Einheitliches, zustimmendes Kopfnicken war die Antwort der Assassins. Birman übergab ihnen die Akte mit den bereits durch Kritiker gesammelten Informationen, damit sie diese überfliegen konnten.

Omi lehnte sich zurück und seufzte leise. „Also mal wieder ein Job hauptsächlich für mich.“

„Damit müssen Genies eben leben“, meinte Yohji neckisch. „Aber wir halten dir den Rücken frei.“
 

„Scheint ja dieses Mal relativ einfach zu sein“, meinte Nagi und warf einen Blick auf die Unterlagen, die Aya bereits durchblätterte.

Schuldig nickte zustimmend. „Datenklau sollten sie wohl hin bekommen. Das haben sie schon öfters gemacht.“

Leises Zähneknirschen war von Farfarello zu hören und auf Brads Frage hin, was denn los sei, antwortete er: „Bei ihrer letzten Datendiebstahl Mission haben sie uns in die Luft gejagt. Ziemlich paradox, dass wir unsere Mörder beschützen müssen.“

„Da wird bestimmt irgendein höherer Sinn dahinter stecken“, versuchte Brad den anderen etwas zu beschwichtigen. „Wenn wir das nächste Mal vor dem jüngsten Gericht stehen, kannst du ja nachfragen, warum ausgerechnet sie es sind.“

Das hatte er selbst bereits tun wollen, war aber bisher nicht dazu gekommen. Außerdem waren sie alle mehr oder weniger zufrieden damit durch ihre Aufgabe nicht in der Hölle schmoren zu müssen, dass sie es nicht einmal gewagt hatten, die Gründe zu hinter fragen.

Für den Moment ließen Schwarz es auf sich beruhen, ändern konnten sie an der Situation ohnehin nicht viel, außer zu ihrem Nachteil.
 

„Habt ihr noch Fragen zur Mission?“, erkundigte sich Birman, obwohl sie beinahe schon wusste, dass Weiß keine mehr hatten. Als sie wie erwartet verneinten, setzte sie noch hinzu: „Ihr wisst ja, wie ihr mich erreichen könnt, wenn noch etwas sein sollte.“ Damit überließ sie die vier jungen Männer ihrer Arbeit und verließ die Wohnung.

Omi nahm Aya die Unterlagen aus der Hand. „Lass mich das mal durchsehen. So viel Arbeit sollte es wohl nicht sein. Einfach rein gehen, den lokalen Rechner knacken und wieder raus.“

Der Rotschopf nickte. „So sieht es aus. Trotzdem werden wir alles wie immer vorbereiten.“

„Ich hatte auch nichts anderes vor“, antwortete der blonde Junge lächelnd. „Übernimmt einer von euch meine Schicht im Laden? Schließlich habe ich ja wieder am meisten zu tun.“

„Wir teilen uns deine Schichten auf, keine Sorge, Omi“, meinte Ken und wuschelte ihm durch die Haare. „Wir entlasten dich so gut wir können.“

„Dann könntest du ja schon mal damit anfangen, indem du meine Haare in Ruhe lässt.“
 

„Hey, raus aus den Federn“, drang eine laute Stimme zu ihm vor. „Du schläfst sowieso viel zu viel, Phuong. Steh endlich auf.“

„Nur noch fünf Minuten“, nuschelte der Junge mit den langen, weißblonden Haaren und zog sich die Decke über den Kopf.

Diese wurde ihm allerdings wieder erbarmungslos wieder weggezogen. „Jetzt steh auf. Yukio will etwas mit uns besprechen und du solltest dabei sein. Oder bist du scharf drauf seine schlechte Laune ausbaden zu müssen?“

Zwei violette Augen blinzelten den braunhaarigen jungen Mann, der vor dem Bett stand, träge und verschlafen an. „Lass mich doch, Pay. Ich bin noch im Wachstum, ich brauche meinen Schlaf.“

„Erkläre das mal unserem geliebten Teamchef“, meinte der Ältere und verschränkte die Arme vor der Brust. „Jetzt steh auf. Oder soll ich lieber Xen auf dich hetzen?“

Phuong setzte sich langsam in seinem Bett auf und gähnte. „Ich bin ja schon wach. Musst du gleich brutal werden und mit so etwas Grausamen drohen?“

„Ja, muss ich“, grinste Payakootha, „anders stehst du ja nicht auf.“

„Im Gegensatz zu euch hab ich ja auch eine doppelte Belastung. Ihr müsst ja nicht in der Woche in die Schule gehen. Was ich sowieso für den größten Quatsch halte“, beschwerte der andere sich und krabbelte aus seinem Bett. Dann ging er zu seinem Kleiderschrank, suchte sich einige Klamotten zusammen und begann damit sich anzukleiden.

„Du kannst dich ja bei Yukio darüber beschweren“, schlug der Shawnee vor. „Aber ich glaube nicht, dass er da mit sich reden lässt.“

Der junge Vietnamese seufzte leise. „Ich hab mich schon ein paar Mal darüber beschwert. Das kratzt ihn nicht die Bohne. So jetzt bin ich fertig. Gibt’s wenigstens noch Frühstück?“

„Keine Ahnung. Wenn du Pech hast, hat Xen alles alleine aufgegessen“, der Braunhaarige zuckte mit den Schultern und ging mit seinem jüngeren Kollegen hinunter in die Küche.

Da der Frühstückstisch noch gedeckt war, setzt sich Phuong an seinen Platz und begann erst einmal zu essen. Payakootha ließ ihn allein zurück und ging zu den beiden anderen Mitgliedern von Mißgunst in den Besprechungsraum.

„Wo bleibt denn Unseen?“, fragte ihr Leader ungeduldig und strich sich die blau gefärbte Haarsträhne, inmitten seiner sonst pechschwarzen, kurzen Haare, aus dem Gesicht.

„Er frühstückt nur noch schnell“, erklärte der Telepath und setzte sich auf seinen Platz. „Vielleicht solltest du ihn nicht so hart rannehmen. Schließlich ist er der Jüngste und auch noch doppelt belastet.“

„Jetzt fang du nicht auch noch damit an. Es reicht mir, wenn er mir die Ohren voll jammert. Er ist kein Baby mehr! Wenn er so ein Weichei wäre, dass er seinen Job nicht in den Griff kriegt, dann wäre er wohl kaum hier“, meinte Yukio übel gelaunt und starrte das jüngere Team-Mitglied kalt mit seinen blauen Augen an.

Payakootha zuckte einfach nur mit den Schultern. „Ich meinte ja bloß. Aber in spätestens fünf Minuten wird er wohl hier sein.“

Xen hielt sich die ganze Zeit über ruhig. Er saß in seinem Drehstuhl und drehte damit die ganze Zeit ein wenig hin und her. Er lugte zwischen den grünen Strähnen seiner gefärbten kurzen Haare, die ihm ins Gesicht hingen, hindurch und beobachtete die anderen beiden belustigt. Zwar hatte ihr jüngstes Team-Mitglied mehr als ein Mal seine Professionalität bewiesen, aber Unseen war mit seinen 16 Jahren in seinen Augen nichtsdestotrotz immer noch ein Kind.

Dieses sogenannte Kind gesellte sich nach einigen Minuten ebenfalls zu den anderen Dreien in den Besprechungsraum und setzte sich auf seinen Platz.

„Dann können wir ja endlich anfangen“, stöhnte Xen gespielt entnervt.

Ohne Umschweife begann Yukio mit seinen Erklärungen für ihren Auftrag. „Im Prinzip ist es eine einfache Sache. Wir sorgen dafür, dass Weiß nur die Informationen bekommt, die sie auch kriegen sollen und beobachten sie ein bisschen.“
 

„Brad? Hey, Brad?“ Schuldig schnippte mit den Fingern vor dem Gesicht seines Leaders. „Der ist völlig weggetreten.“

„Scheint so“, sagte Nagi trocken.

Von den anderen drei Schutzengeln kritisch und besorgt beobachtet, fing der Amerikaner sich wieder und blinzelte. „Ich hatte ein Vision.“

„Über was denn?“, fragte Schuldig neugierig. „Jetzt erzähl schon.“

„Weiß. Ich habe etwas über die Mission gesehen. Ihre Flucht wird schief laufen und einige von Ihnen werden sterben, vielleicht auch alle. Das konnte ich nicht mehr genau sehen“, erklärte er, während die anderen ihn wie vom Donner gerührt anstarrten. „Die Mission läuft, denke ich, glatt. Sie gehen rein, kopieren die Daten und verschwinden wieder. Aber das Gelände ist gut gesichert, ihr Fluchtwagen wird verfolgt und man hetzt sie in den Tod.“

„Das müssen wir unbedingt verhindern!“, meinte der Jüngste und in seiner Stimme schwang Angst und Sorge mit.

Farfarello nickte zustimmend. „Das werden wir auch. Schließlich wissen wir, was passiert. Wir können sie vorher warnen.“

„Ja. Nur wie sollen wir das anstellen? Direkten Kontakt dürfen wir nicht aufnehmen, nicht mit ihnen sprechen, keine Botschaften schreiben. Außerdem sollen wir uns nur um unseren eigenen Schützling kümmern.“ Brad zweifelte daran, ob sie im Vorfeld bereits einen Unfall verhindern konnten.

Schuldig lächelte wissend. „Ich kann es Yohji mitteilen. Du erzählst mir alles bis ins Detail oder noch besser du lässt mich zur Abwechslung mal in deinen Gedanken herumstöbern und ich hole mir die Infos völlig verlustfrei direkt aus deiner Erinnerung.“

„Aber dann nimmst du doch direkt mit ihm Kontakt auf, wenn du es ihm telepathisch sagst“, warf Nagi skeptisch ein.

Der Deutsche schüttelte den Kopf. „Ich sag es ihm ja nicht. Wenn er schläft, lasse ich ihn davon träumen. Darum ist es auch einfacher, wenn ich mir direkt die Vision von dir holen darf, Brad. Dann ist es genauer und er nimmt es vielleicht ernster. Ich hab letztens schon einmal einen Traum von ihm geändert, weil er so schlecht geschlafen hat.“

„War das rein zufällig an dem Tag, wo er so abartig gut drauf war?“, fragte Farfarello in ironischem Tonfall.

„Wie kommst du bloß darauf?“, grinste der Telepath.

Brad dachte noch kurz über Schuldigs Vorschlag nach und nickte dann. „Gut, wenn es funktioniert und du ihm das als Traum verkaufen kannst, dann machen wir es so. Ausnahmsweise darfst du in meinen Gedanken stöbern. Aber wehe dir, du versuchst noch irgendetwas anderes zu finden als diese Vision.“

„Aber was sollte ich denn anderes suchen?“, fragte der Deutsche scheinheilig und hatte Mühe, sich das Grinsen zu verkneifen. „Ich werde schon nicht nach etwas anderem sehen. Und wenn doch, kannst du mich ja immer noch hinauswerfen. Lass mich bloß die Vision lesen und damit ist die Sache gegessen.“
 

Die Nacht streckte ihre Schwingen über Japan aus und im Hause Weiß war alles still, da alle schliefen. Selbst Yohji war an diesem Abend nicht aus, sondern verhältnismäßig früh ins Bett gegangen. Bis zu ihrer Mission dauerte es schließlich nur noch zwei Tage und da musste er fit sein. Er war bereits ins Land der Träume abgeglitten und Schuldig saß, wie mittlerweile gewohnt, an der Bettkante und betrachtete ihn. Vorsichtig strich der Deutsche ihm einige Haarsträhnen aus dem Gesicht.

„Dann wollen wir dich jetzt einmal einen kleinen Blick in die Zukunft werfen lassen“, flüsterte er leise und bedacht, als hätte er beinahe Angst davor, den Schlafenden ungewollt aufzuwecken. Dann drang er in Yohjis Gedanken und das Unterbewusstsein ein, um ihm Brads Vision als Traum zu zeigen.

Wie ein über alles schwebender und teilnahmsloser Beobachter glitt Yohji über die Landschaft zu einem umzäunten Gelände und betrachtete vier Männer, die dort eindrangen. Der Komplex war genau so wie auf den Karten, die Yohji sich mit den anderen angesehen hatte, so dass sie sich schnell zurecht fanden. Omi stahl die Daten, die anderen schoben Wache, doch niemand störte sie. Die ganze Mission lief aalglatt, bis sie das Gebäude wieder verließen und bereits von einigen Sicherheitskräften in Empfang genommen wurden. Hinter einem Transporter suchten die jungen Männer Schutz, stahlen ihn und fuhren damit über das Gelände bis zu einem Tor. Da sie verfolgt und beschossen wurden, beschleunigten sie ihr Tempo und der Transporter wurde über einen mit Schlamm bedeckten Weg gejagt. In einer Kurve kam das Fahrzeug ins Schleudern und der Fahrer verlor die Kontrolle, so dass sie einen Hang hinunter stürzten. Der Transporter überschlug sich und wurde durch den Aufprall stark deformiert, die Bäume boten keinen Halt, so dass der Wagen sich noch einige Male überschlug, ehe er liegen blieb. Keiner der Insassen rührte sich mehr und Blut klebte an den zersplitterten Scheiben.
 

Yohji schreckte schweißgebadet aus dem Schlaf auf und saß kerzengerade im Bett. Seine Atmung ging unregelmäßig und keuchend, sein Puls raste und in seinen Augen spiegelt sich der Schrecken seines Albtraumes wieder. Gehetzt wischte er sich einige Haarsträhnen, die an seiner Haut klebten, aus dem Gesicht. Er benötigte einen Augenblick, um sich wieder einigermaßen unter Kontrolle zu bekommen und zu realisieren, dass er wieder wach und in seinem Zimmer war. Es schien so real und war deswegen so beunruhigend, er hatte sich und die anderen bei ihrer Mission sterben sehen. Das war zwar einerseits immer die Angst, die sie auf Schritt und Tritt begleitete, allerdings hatte er noch nie genau von dem Auftrag geträumt, der als Nächster zu erfüllen war. Der Playboy spielte mit dem Gedanken, den anderen Weiß-Mitgliedern von diesem besorgniserregenden Traum zu erzählen. Ein Blick zum Radiowecker verriet ihm jedoch, das es gerade einmal halb vier Uhr morgens war. Seine Freunde würden ihn wohl eher lynchen als ihm zuzuhören, wenn er sie um diese Zeit aus ihrem wohlverdienten Schlaf riss, nur weil er schlecht geträumt hatte. Daher beschloss Yohji es zu unterlassen und lieber zu versuchen wieder einzuschlafen. Er ließ sich zurück in die Kissen sinken und starrte einen Augenblick an die Decke. Der Adrenalinstoß hatte ihn so sehr auf Trab gebracht, dass er nun keine Ruhe mehr fand. Zwar fühlte er sich immer noch müde, aber der Schlaf wollte sich nicht mehr einstellen.

Schuldig beobachtete seinen Schützling interessiert und war stolz auf sich, dass er seine Aufgabe so gut erfüllt hatte.

Yohji blieb noch ein paar Stunden in seinem Bett liegen und döste, da er jedoch nicht mehr richtig Schlafen konnte stand er auf und zog sich an. Wo er schon einmal früher wach war als alle anderen, konnte er auch mal das Frühstück machen. Er ging hinunter in die Küche und inspizierte die Vorratsschränke. Auf japanisches Frühstück mit Reis und Misosuppe hatte er allerdings schon allein deshalb keine Lust, weil er es sowieso nicht kochen konnte. Darum entschied er sich für ein einfaches westliches Frühstück mit Brötchen und französischen Croissants, die konnte man schließlich einfach beim Bäcker kaufen und somit nichts falsch machen.

Kurzerhand schnappte er sich seine Autoschlüssel, verließ das Haus und fuhr einkaufen. Nach einiger Zeit kehrte er voll bepackt mit einigen Tüten wieder zum Koneko zurück und begann den Frühstückstisch zu decken. Zu den Brötchen und den Croissants hatte er sogar noch Eier und Speck organisieren können und drapierte nun alles einladend und appetitlich in Körbchen und auf Tellern. Als nächstes schaltete er die Kaffeemaschine ein, es war ihm selbst ein Rätsel, wie er bereits so lange ohne die schwarze Brühe auskam, seit er aus dem Bett gekrochen war.
 

Ken kam gerade von seinem Frühjogging wieder nach Hause, als ihm der Duft von frischem Kaffee und Brötchen entgegen wehte. Umso erstaunter war er, Yohji herum werkeln zu sehen, als er die Küche betrat. Er hätte noch am ehesten von Omi erwartet, für alle ein so ausgefallenes Frühstück vorzubereiten.

„Guten Morgen“, begrüßte der Playboy ihn mit einem Lächeln und stellte die Kaffeekanne auf den Tisch.

„Morgen“, antwortete Ken offensichtlich verwirrt. „Wie kommt es, dass du schon so früh wach bist? Bist du aus dem Bett gefallen? Und dann auch noch Frühstück ...“

Yohji schüttelte den Kopf und grinste. „Nicht aus dem Bett gefallen, ich konnte nur nicht mehr schlafen. Und da dachte ich, wo ich eh wach bin, bin ich mal nett zu euch.“

„Früh ins Bett gehen ist scheinbar nichts für dich“, meinte der Fußballnarr. „Andererseits ist das für uns durchaus erfreulich. Dann gibt es Frühstück und du trittst mal pünktlich deine Schicht im Laden an.“

„Genau, du solltest öfter früh schlafen gehen“, stimmte Aya zu, der nun mit vor der Brust verschränkten Armen in der Tür stand.

„Freut euch doch, dass Yohji-kun an uns gedacht hat und uns was Gutes tun will“, ertönte eine fröhliche Stimme direkt hinter dem Rotschopf und deren Besitzer drängte sich regelrecht an ihm vorbei, um zum Küchentisch zu stürmen. „Hast du das etwa ganz alleine gemacht, Yohji-kun? Auch den Bacon gebraten?“

„Na ja, nicht so ganz alleine“, gab der Playboy zu. „Aber zumindest die Idee war meine. Ist doch aber auch egal, genießt einfach das Frühstück.“

Das ließen sich die jungen Männer nicht zwei Mal sagen, setzten sich an den Tisch und machten sich über das Essen her.
 

„Will er ihnen denn nicht von seinem Traum erzählen?“, fragte Farfarello und schaute dabei die anderen an. „Er hat es doch geträumt, oder?“

„Da kennt er die Zukunft und hält es nicht einmal für nötig sie seinen Freunden mitzuteilen und so ihr Leben zu retten“, schimpfte Nagi und fuchtelte absolut verständnislos und hilflos mit den Armen herum. „Schuldig, dein Schützling ist ein verdammter Vollidiot! Ein absoluter Schwachkopf!“

„Da kann ich doch nichts für, wenn er es ihnen nicht sagt“, verteidigte sich der Deutsche. „Ich hab ihn davon träumen lassen und es hat auch funktioniert. Er ist schweißgebadet und völlig verängstigt aufgewacht. Ich konnte die nackte Panik in seinen Augen sehen.“

„Hört auf euch zu streiten“, versuchten Brad die Beiden zu beschwichtigen. „Ich bin mir sicher, er wird es ihnen noch sagen.“

„Hoffentlich“, warf Farfarello ein. „Ich habe keine Lust darauf, dass sie tatsächlich abkratzen und wir hinterher alles umsonst gemacht haben und doch in die Hölle wandern, weil wir Versager sind.“

Schuldig schüttelte vehement mit dem Kopf. „Sie können uns nicht einfach so als Loser abstempeln. Ich meine, schließlich geben wir hier unser Bestes und versuchen es wirklich.“

„Trotzdem müssen wir aufpassen. Ich glaube, sich auf Yohji zu verlassen, war keine gute Idee“, meinte der jüngste Schutzengel pessimistisch. „Wir nehmen die Mission direkt von Anfang an in die eigenen Hände. Wir wissen immerhin, auf was wir achten müssen und versuchen Weiß so gut es geht halt den Ärger umgehen zu lassen. Und wir sind ja schließlich auch nicht mehr hilflos.“

„Eben“, stimmte der Amerikaner ihm zu. „Wir können jetzt viel besser eingreifen und helfen. Zwar wäre es für uns bequemer, wenn Weiß von vornherein wissen würden, was sie erwartet, aber vielleicht soll es ja nicht so sein. Schließlich sollen wir auf sie aufpassen und sollen es uns wohl nicht einfach machen.“

„Aber wir versuchen doch bloß effektiv zu sein“, sagte der Ire. „Hast du das früher nicht immer gesagt, Brad? Das wir effektiv sein sollen? Das bestmögliche Ergebnis mit dem geringst nötigen Aufwand.“

Die anderen beiden kamen nicht umhin, dem Mann mit der Augenklappe beizupflichten. Genau das war es doch, was ihr Leader ihnen immer eingetrichtert hatte: Effizienz.

Brad gab sich geschlagen. „Okay, ihr habt Recht. Aber ich frage mich, warum ihr das jetzt erst verstanden habt ... Oder ihr wolltet mich zu Lebzeiten einfach bloß ärgern.“ Dabei warf er einen vielsagenden Seitenblick zu dem Mann mit dem orange Haar.

Schuldig winkte ab. „Warten wir einfach mal ab. Vielleicht rückt Yohji auch noch mit der Sprache raus.“
 

Die Tage bis zur Mission vergingen schnell, auch wenn das Wetter trüb war und es ununterbrochen regnete. Yohji hatte die ganze Zeit nicht ein Wort über seinen visionären Traum verloren. Selbst jetzt, wo sie ihren Auftrag aktiv in die Tat umsetzten und in das umzäunte Grundstück eindrangen, schwieg er.

Omi hatte dem unter Hochspannung stehenden Maschendrahtzaun geschickt die Stromversorgung gekappt, indem er sich hinein gehackt und sie vorläufig lahmgelegt hatte. So konnten sie ungesehen durch ein von Büschen getarntes, in den Zaun geschnittenes Loch auf das Grundstück gelangen und im Schutze einiger Bäume und kleinerer Nebengebäude bis zum Hauptgebäude vordringen. Alle Türen waren mit elektronischen Schlössern gesichert, die wiederum der blonde Junge austricksen musste, während die anderen ihm Deckung gaben. Glücklicherweise hatte Kritiker einen Grundrissplan der ganzen Anlage organisieren können, so dass Weiß sich schnell zurecht fanden und ihr Ziel nicht erst lange suchen mussten. Im Inneren des Gebäudes hinterließen sie kleine Regenpfützen auf dem grauen Linoleumboden. Bevor sie allerdings tiefer in das Gebäude eindrangen, betraten sie den nächstbesten Raum. Omi setzte sich dort an den Computer und hackte sich in das Sicherheitssystem, um alle Kameras für die nächste halbe Stunde auf Standbild zu stellen oder in eine Wiederholungsschleife zu legen. Nachdem er auch von der Arbeitsstation aus alle elektronischen Schlösser lahm gelegt hatte, setzten Weiß ihren Weg fort.

Der Raum, zu dem sie vorstoßen mussten, war das Büro eines leitenden Angestellten, in dem zwei Computer standen. Einer davon war nicht an das Netzwerk angeschlossen und dort konnte daher nur lokal zugegriffen werden, was Omi auch sofort tat.
 

„Bisher läuft es doch ganz gut“, meinte Schuldig.

„Aber sie sind ziemlich angespannt“, sagte Farfarello. „Außerdem geht draußen irgendetwas vor. Dort steigt die Anspannung nämlich auch und es werden mehr.“

Brad nickte zustimmend. „Sie wissen, dass wir hier sind. Und sie werden Weiß nicht einfach so gehen lassen.“

„Ich verstehe aber nicht, warum man sie dann einfach so hier hereinspazieren lässt, wenn man doch weiß, dass sie hier sind um Daten zu stehlen“, erklärte Nagi und sah seinen Leader fragend an.

„Vielleicht will man bloß das Inventar nicht beschädigen und lässt Weiß darum erst herauskommen“, mutmaßte der Deutsche. „Blut ist einfacher von einer Mauer abzuwaschen als aus einem Teppich.“

„Passt auf jeden Fall auf“, wies Brad die anderen Schwarz-Mitglieder noch mal an. „Nagi, du weißt was du zu tun hast.“

Der Jüngste nickte lächelnd. „Ja, das weiß ich. Das ist nicht mein erster Auftrag.“
 

„Ich hab alles“, flüsterte Omi nach einiger Zeit.

Aya nickte. „Dann sollten wir schleunigst hier raus. Die Kameras laufen gleich auch wieder normal.“

„Hauen wir ab hier“, meinten auch Ken und Yohji und verließen den Raum vor den beiden anderen.

Auf den Fluren begegneten sie immer noch niemandem. Sie wählten den gleichen Rückweg, wie sie auch das Gebäude betreten hatten. Ken öffnete die schwere Stahltür und wurde direkt von Gewehrfeuer begrüßt, woraufhin er sich hastig wieder in das Gebäude zurück zog und die Tür eilig schloss.

„Da draußen erwartet man uns schon mit einem Empfangskomitee“, stellte er fest und sah die anderen fragend an. „Was jetzt?“

„Wenn wir schon erwartet werden, dann sind auch bestimmt schon alle anderen Ausgänge abgeriegelt“, meinte Omi. „Aber wie konnte das passieren? Eigentlich dürften niemand wissen, dass wir hier sind.“

„Wir sind aber aufgeflogen und jetzt müssen wir hier schleunigst raus“, sagte Aya in einem Tonfall, der keine Widerrede zuließ.

Yohji überlegte, ihm kam das alles sehr bekannt vor. Dann fragte er: „Siberian, hast du in der Nähe der Tür irgend etwas gesehen, wo man kurz Deckung finden kann? Stand da nicht vorhin ein Transporter?“

„Ja, schick sie nur in den Tod“, spöttelte Nagi. „So ein Schwachkopf.“

„Vielleicht hat er etwas anderes vor“, mutmaßte Farfarello.

Ken nickte. „Da steht einer, vielleicht fünf Meter weit weg, auf der rechten Seite.“

„Den können wir als Deckung benutzen und damit hier raus fahren“, bestimmte der Weiß-Leader und positionierte sich an der Tür. „Auf mein Zeichen laufen wir dort rüber und machen uns hier weg. Das sollte zu schaffen sein.“

„Ich weiß nicht, ob das so eine gute Idee ist. Vielleicht sollten wir eine andere Möglichkeit suchen.“ Yohji hatte das unbestimmte Gefühl, dass alles so wie in seinem Traum geschehen würde.

Der Rotschopf schüttelte den Kopf. „Die wird es wohl kaum geben. Wahrscheinlich wurden auch die Gänge hinter uns schon abgeriegelt, damit wir nicht weg können. Uns bleibt im Moment nur die Flucht nach vorne. Also mache ich jetzt die Tür auf und ihr rennt los.“

„Und was ist mit dir, Aya-kun?“, fragte Omi besorgt.

„Ich komme sofort nach, wenn ihr draußen seid, keine Sorge.“

Mit diesen Worten riss er auch schon die Stahltür auf. Ken hechtete sofort nach draußen, wo er wiederum von blitzendem Mündungsfeuer und einem Kugelhagel begrüßt wurde. Jetzt war es Nagis Aufgabe, die Kugeln telekinetisch von Weiß abzulenken. Nacheinander liefen die Assassins ins Freie und suchten Deckung zwischen Mauer und Transporter.

Glücklicherweise war der Wagen nicht verschlossen, so dass Weiß direkt hinein klettern konnte. Aya setzte sich hinter das Lenkrad und startete den Motor. Mit quietschenden Reifen fuhr der Wagen an und ließ das Empfangskomitee zunächst hinter sich, was allerdings nichts daran änderte, dass er weiterhin beschossen wurde.

„Festhalten!“, befahl der Rotschopf energisch. „Wir brechen durch das Haupttor!“

„Das ist verschlossen“, gab Omi zu bedenken.

„Darum brechen wir ja auch durch. Das ist nur Maschendraht der von ein paar schmalen Stahlstäben zusammen gehalten wird“, erklärte Aya und beschleunigte den Wagen immer mehr.

„Das geht nicht gut“, murmelte Schuldig und war der Verzweiflung nahe. „Warum macht Yohji denn nichts?“

„Vielleicht solltest du ihm noch mal ein wenig auf die Sprünge helfen“, schlug Brad vor und sorgte dafür, dass Omi sicher in seinem Sitz saß.

Der Deutsche sah ihn unschlüssig an. „Wird das nicht etwas zu offensichtlich? Vielleicht dürfen wir so etwas nicht.“

„Wir dürfen sie nicht sterben lassen. Das hat denke ich im Moment als einziges Priorität!“, herrschte Nagi seinen Kollegen an. Er hatte definitiv keine Lust zu versagen und das dann in der Hölle ausbaden zu müssen, nur weil einer von ihnen zu inkompetent war.

Farfarello zuckte mit den Schultern. „Du könntest doch einfach seine Erinnerung etwas auffrischen. Lass ihn an seinen Traum denken. Was er daraus macht, ist dann seine Sache. Wir können nur Hilfestellung leisten.“

„Und die haben Weiß auch verdammt nötig“, merkte der Amerikaner an und deutete auf die Straße.

Einige andere Fahrzeuge nahmen jetzt die Verfolgung auf. Ein Sattelschlepper rollte aus einer Halle und blockierte so das Haupttor. Dieser Umstand entlockte dem sonst so bedachten Weiß-Leader einige herzhafte Flüche. Da er es nicht mehr schaffte, das lange Vehikel zu umfahren, machte er eine Vollbremsung und würgte den Motor ab. Die Fahrzeuginsassen wurden mehr als Durchgeschüttelt und der Fahrer selbst schnellte nach vorne und entging nur Dank der schnellen Reaktion seines Schutzengels einer schmerzhaften Begegnung mit der Windschutzscheibe.

„Hey, alles in Ordnung, Aya-kun?“, fragte Omi besorgt und betrachtete seinen Freundes sofort prüfend, konnte jedoch glücklicherweise keine äußeren Verletzungen ausmachen.

Der Rotschopf nickte. „Ja, mir geht es gut. Was ist mit euch?“

„Alles bestens“, meinte Yohji. „Lass mich lieber fahren.“

Mit diesen Worten zog er Aya auch schon auf den Beifahrersitz und setzte sich selbst hinter das Lenkrad. Er hatte das Gefühl, dass dies das Beste sein würde, vor allem weil ihm sein Albtraum wieder schlagartig ins Gedächtnis gerufen wurde und er sich an jedes Detail erinnerte. Wenn dieses Gelände wirklich das aus seinem Traum war, dann gab es noch eine weitere Zufahrt, die allerdings sehr abgelegen war und kaum noch genutzt wurde. Es war riskant, aber im Moment die einzige Möglichkeit, die er sah.

Eilig startete Yohji den Motor erneut, wendete den Wagen und fuhr so genau auf ihre Verfolger zu. In einem halsbrecherischen Ausweichmanöver kämpfte er sich zwischen den anderen Fahrzeugen hindurch. Immer wieder wurde ihr Fluchtwagen gerammt und der Playboy hatte Mühe nicht ins schleudern zu geraten.

„Was hast du vor, Yohji-kun?“, fragte Omi und klammerte sich von hinten am Beifahrersitz fest.

„Es gibt auf der anderen Seite des Geländes doch noch ein Tor, da fahren wir raus.“

„Bist du vollkommen übergeschnappt?“ Ken klang entsetzt. Sie hatten vor ihrem Einsatz alle Lagepläne genau studiert. Dieses besagte andere Tor wurde kaum noch benutzt. Die Zufahrtsstraße verdiente diesen Namen schon überhaupt nicht mehr, schließlich war sie nicht einmal geteert und mittlerweile wohl schon reichlich von Pflanzen überwuchert.

„Das wollte ich auch gerade fragen“, meinte Schuldig kopfschüttelnd. „Ich hätte nie gedacht, dass ich mal mit Ken einer Meinung sein würde. Warum macht er genau die gleichen Fehler wie in der Vision? Er macht das genaue Gegenteil von dem, was er eigentlich sollte!“

„Vielleicht bin ich das“, gab der Playboy zu und lächelte schief. „Aber wenn wir nicht durchsiebt werden wollen, sollten wir nicht versuchen hier zu Fuß raus zu spazieren, das wäre nämlich noch ungesünder.“

Aya nickte. „Wir nehmen den Weg, wir müssen ja nur runter von dem Geländer. Der Zaun steht wieder unter Hochspannung, also können wir nicht mehr da raus, wo wir rein gekommen sind. Sobald wir draußen sind, lassen wir den Wagen stehen. Durch das Waldstück haben wir zu Fuß eine bessere Chance, als in einem Transporter auf der Straße.“
 

Von dem Dach eines hohen Gebäudes aus betrachteten vier weitere Personen die sich ihnen darbietende Szene.

„Es sieht so aus, als ob sie den Hinterausgang nehmen wollen“, meinte Payakootha.

Yukio zuckte mit den Schultern. „Dann lassen wir sie doch.“

„Warum denn, Time Force?“, fragte Xen und sah seinen Leader stirnrunzelnd an. „Wir haben doch ...“

„Ja, das weiß ich“, schnitt dieser dem anderen scharf das Wort ab. „Aber wir lassen sie heute davon kommen. Ich will sie erst ein wenig beobachten. Es wird noch viele Begegnungen mit ihnen geben. Und außerdem sind sie vielleicht noch nützlich.“

„Als wären wir auf die angewiesen“, sagte Phuong und beobachtete weiter diese langweilige Verfolgungsjagd quer über das Gelände. Bemerkten die denn überhaupt nicht, dass sie quasi im Kreis fuhren? So groß war der Komplex schließlich nicht.

„Können wir wenigstens da unten mitspielen?“, fragte der Mann mit den grüngefärbten Haaren hoffnungsvoll.

Yukio seufzte leise. „Wenn es dich glücklich macht, meinetwegen. Aber bring sie nicht um, noch nicht.“

„Alles klar!“ Der Jüngere nickte und verschwand vom Dach. Er machte sich nicht erst die Mühe, durch das Treppenhaus wieder nach unten zu gelangen, sondern rutschte an der Regenrinne hinunter.

Der Jüngste von ihnen sah ihren Leader zweifelnd an. „Findest du, dass das klug ist? Wenn du Weiß nicht töten willst, solltest du Changeling nicht mit ihnen spielen lassen.“

„Wenn du willst, kannst du ja den Babysitter für ihn spielen, Unseen“, antwortete Yukio trocken. „Er wird sich meinem Willen nicht widersetzen, das wagt er nicht. Und sollte er es doch tun, haben wir immer noch die Möglichkeit ihn davon abzuhalten.“

Phuong rollte leicht mit den Augen. „Ich kann nicht auf ihn aufpassen, ich habe noch etwas zu erledigen.“

„Ich kümmere mich um Changeling“, warf der Telepath ein. „Dann kann Unseen sich um die Datenbänke kümmern.“

Der Leader von Mißgunst nickte. „Gut. Ich werde mir das Schauspiel weiterhin von hier oben aus ansehen.“
 

Xen hatte mittlerweile einen vereinsamten Geländewagen gekapert, mit dem er nun ebenfalls Weiß verfolgte. Diesen Spaß wollte er sich um nichts in der Welt entgehen lassen. Wann hatte man denn schon einmal die Zeit für so sein exzellentes Crashcar-Rennen? Er nahm eine Abkürzung durch einige eng beieinander stehenden Gebäude und schloss so schnell zu der mittlerweile verbeulten und dem Totalschaden nahen Meute auf. Fahrzeuge, die ihm im Weg waren, drängte er einfach bei Seite. Für den einen oder anderen Wagen endete die Fahrt somit an einer Gebäudewand.

Bei einem Blick in den Rückspiegel, bemerkte Yohji den Geländewagen, der einige Fahrzeuge des Sicherheitsdienstes an der Weiterfahrt hinderte.

„Ich glaube, wir bekommen unverhofft Hilfe“, mutmaßte er und konzentrierte sich wieder aufs Fahren. Um nicht ebenfalls an einer Wand zu enden, riss er das Lenkrad scharf nach rechts herum. „Da hinten ist das andere Tor. Gleich sind wir draußen.“

Ein heftiger Ruck ging durch den Transporter, als er von hinten gerammt wurde.

„Das ist keine Hilfe, der will uns den Rest geben!“, rief Omi mit vor Schreck geweiteten Augen.

Auch Ken und Aya ging es nicht anders. „Tritt aufs Gas, Yohji! Nur noch ein paar Meter und wir sind in Sicherheit.“

„Ja, in Sicherheit und tot“, bemerkte Nagi spöttisch.

„Jetzt sei mal bitte nicht so pessimistisch“, sagte Schuldig. „Yohji weiß bestimmt, was er tut. Und anstatt nur herum zu meckern, könntest du ja etwas Produktives tun. Zum Beispiel das Tor aufmachen oder den Wagen hinter uns auf Abstand halten.“

Brad nickte zustimmend. „Letzteres halte ich für die bessere Idee. Kannst du seine Reifen platzen lassen?“

Der junge Japaner nickte. „Ich kann es versuchen. Aber wir sind halt noch ein bisschen eingeschränkt, vielleicht klappt es nicht.“

„Versuch es einfach, mehr als schief gehen kann es nicht“, meinte Farfarello trocken und zuckte mit den Schultern. „Du hast doch früher nie an deinen Fähigkeiten gezweifelt. Warum tust du es jetzt?“

„Weil wir da noch lebendig waren und wir unsere Fähigkeiten in der Zwischenzeit nicht hatten“, verteidigte Nagi sich.

Der Ire zog die Augenbraue über seinem gesunden Auge leicht nach oben. „Sag bloß, du hast nicht ausprobiert, ob alles wieder funktioniert, wie es soll.“

„Wie wäre es, wenn ihr endlich aufhören würdet darüber zu diskutieren und Nagi einfach mal irgendwas macht“, schlug der Amerikaner vor.

„Natürlich hab ich es ausprobiert!“, keifte der braunhaarige Junge gereizt und seine Augen begannen rötlich zu glühen, wie sie es immer taten, wenn er seine Telekinese einsetzte.

Im nächsten Moment, als Yohji auch schon durch den Zaun brach, damit das Tor aus den Angeln hob, so dass dieses davon flog, platzten alle vier Reifen von Xens Geländewagen sehr geräuschvoll und er kam augenblicklich ins Schleudern. Das Fahrzeug drehte sich um die eigene Achse und rauschte in das Wachhaus neben dem Tor.

Farfarello lächelte leicht. „Ich wusste, dass du es hinkriegst und endlich tust, wenn ich dich wütend mache.“

„Warum haben wir angehalten?“, fragte Schuldig auf einmal irritiert und sah sich um. „Wieso fährt Yohji denn nicht weiter?“

Auch die anderen Schwarz-Mitglieder waren über diesen Umstand sichtlich irritiert. Nagi und Farfarello vergaßen darüber sogar ihre Zankerei. Nicht nur das Fahrzeug von Weiß war stehen geblieben, sondern absolut nichts bewegte sich mehr. Nicht Weiß, nicht die anderen Wagen, die sie verfolgten, nicht der Geländewagen, der gerade gegen das Gemäuer geprallt war. Eigentlich hätte er sich deformieren müssen, aber nichts dergleichen geschah. Der Fahrer saß erstarrt hinter dem Lenkrad und hätte eigentlich eingequetscht werden müssen.

Brad ergriff als Erster wieder das Wort. „Irgendetwas stimmt hier nicht.“

„Aber ganz gewaltig“, fügte der Deutsche hinzu. „Ich bekomme nicht einmal Gedanken aus unserer Umgebung mit.“

Farfarello nickte zustimmend. „Es ist, als ob die Leute sogar aufgehört haben zu fühlen. Ich kann nur uns spüren.“ Dann runzelte er die Stirn und schaute sich suchend um. „Aber da ist doch noch etwas anderes.“

„Vielleicht ist die Zeit stehen geblieben“, mutmaßte Nagi, schaute die anderen fragend an und zuckte ratlos mit den Schultern. „Könnte doch sein, dass wir hier gerade unheimlichen Mist bauen und Michael darum alles anhält.“

„Nein, das war nicht Michael“, warf der Amerikaner ein und deutete dabei auf einen schwarzhaarigen Mann, dem eine blaue Strähne ins Gesicht hing. Er näherte sich ihnen mit einem weiteren Mann, der wesentlich jünger war, als er selbst, wandte sich dann jedoch dem Geländewagen zu.

„Was würde dieser Schwachkopf bloß machen, wenn ich nicht wäre?“, meinte der Schwarzhaarige dann gereizt.

„Vermutlich sehr frühzeitig krepieren“, meinte sein Begleiter achselzuckend. Er hatte etwa kinnlanges, hellbraunes Haar und Schuldig fiel auf, dass er damit Yohji fast ein wenig ähnlich sah.

Wie aus dem Nichts tauchte an dem Geländewagen eine weitere Person auf. Ein scheinbar noch jüngerer Mann, er war kleiner und hatte noch beinahe kindliche Züge. Mit den langen, weißen Haaren, die er zu einem Zopf zusammen gebunden hatte, konnte man ihn wegen seiner zierlichen Figur von hinten beinahe für eine Frau halten. Er kletterte in das Fahrzeug und versuchte den grünhaarigen Insassen heraus zu holen, während die anderen Beiden noch damit beschäftigt waren über ihren Kollegen zu diffamieren.

„Habt ihr das auch gerade gesehen?“, fragte Nagi etwas unsicher.

Die drei anderen Schwarz-Mitglieder nickten simultan. Schuldig meinte dann: „Ich glaube, jetzt weiß ich, was das auf der Yacht war. Das war nicht bloß ein Gefühl, wir sind wirklich durch jemanden durchgegangen, beziehungsweise dieser Kerl da durch uns. Ich wette die waren auch alle Vier mit bei den Yakuza auf dem Maskenball.“

„Das glaube ich auch“, stimmte Farfarello zu. „Und die scheinen ziemlich gefährlich zu sein.“

„Ja“, sagte der Amerikaner bestimmt, „das glaube ich auch. Der eine kann die Zeit anhalten, ich denke der mit den schwarzen Haaren. Der Kleine kann sich unsichtbar machen. Ich weiß nicht, ob ich wirklich wissen will, was die anderen Beiden noch können.“

„Und da dachten einige Leute unsere Kräfte wären schon unheimlich und ziemlich stark“, sagte Nagi kopfschüttelnd. „Die stehen uns in rein gar nichts nach. Weiß sollte besser darüber informiert sein.“

„Die sind uns vielleicht sogar ein bisschen überlegen“, meinte der Deutsche ein wenig bedrückt. „Wir müssen schnell heraus bekommen, was die anderen beiden können. Und Weiß direkt informieren können wir nicht. Das mit dem träumen hat ja leider nicht den gewünschten Erfolg erzielt.“

„Zumindest wissen wir jetzt in etwa, mit wem und was wir es jetzt zu tun bekommen“, sagte der einäugige Ire nur dazu.

Brad nickte. „Ich werde mehr auf meine Visionen achten und vielleicht kann ich sie einigermaßen kontrollieren, wenn ich mich stark genug konzentriere.“

Schon nach kurzer Zeit streckte Phuong wieder den Kopf aus dem Wagen hervor. „Es wäre nett, wenn ihr mir mal helfen würdet. Oder gib Changeling einfach seine Zeit zurück, Time Force, dann kann er da alleine heraus kommen und ich brauch mich hier nicht abmühen, während ihr zuguckt.“

„Jetzt stell dich mal nicht so an“, meinte der Schwarzhaarige und ging näher an den Geländewagen heran. „Geh mal weg, dann kann Xen da gleich alleine heraus kommen.“

Mit diesen Worten streckte er seinen Arm aus und berührte den Mann mit den grünen Haaren, woraufhin dieser sich wieder bewegte. Er wandte sich an die anderen und meinte trocken: „Ich wusste doch, dass du mich nicht hängen lässt.“

„Idiot“, war das Einzige, was Yukio daraufhin sagte und entfernte sich von dem Fahrzeug, so dass der Insasse heraus klettern konnte, was dieser dann auch eilig tat.

„Ich hab dich auch lieb“, sagte Changeling grinsend und klopfte sich den imaginären Schmutz von der Kleidung.

Mißgunst blieben etwas abseits des Geländewagens stehen, als Time Force die Zeit wieder zum laufen brachte und der Wagen geräuschvoll in die Mauer krachte. Weiß fuhren ebenfalls weiter, sie schienen die kleine Störung der Zeit überhaupt nicht zu bemerken, die Uhren liefen ein wenig schneller, um das Missverhältnis wieder auszugleichen. Yohji warf einen kurzen Blick in den Rückspiegel und runzelte irritiert die Stirn. Die vier Männer waren eindeutig gerade noch nicht da gewesen und scheinbar wie aus dem Nichts aufgetaucht. Auch ihr Verfolger mit den grünen Haaren, der eigentlich hätte in dem Unfallwagen sitzen müssen, stand dort. Ein kurzer Seitenblick zu seinen Freunden bestätigte ihm, dass er sich nicht täuschte. Die anderen waren eben so verwirrt wie er selbst.

„Der Typ müsste doch jetzt eigentlich ziemlich eingequetscht in seinem Wagen sitzen. Oder irre ich mich da?“, fragte Ken.

„Darüber können wir uns später Sorgen machen“, meinte Aya kühl. „Yohji, tritt aufs Gas, warum wirst du langsamer?“

„Weil ich gleich keinen Asphalt mehr unter den Rädern habe, sondern nur noch Schlamm“, erklärte dieser und fuhr nun die steil nach unten führende Straße, die kaum mehr war, als ein überwucherter und überschwemmter Trampelpfad, hinunter. „Festhalten!“

„Yohji-kun, ich will dich ja nicht kritisieren, aber vielleicht solltest du schneller werden, anstatt langsamer“, gab Omi zu bedenken.

„Vertrau mir einfach, ich weiß was ich tue“, sagte der Playboy mittlerweile leicht angenervt.

„Ich habe doch gewusst, dass er mich nicht hängen lässt“, sagte Schuldig und grinste triumphierend. „Wenn sie hier nicht mit so einem Affenzahn hinunter brettern, dann haben sie auch keinen Unfall.“

„Ja, ja, krieg dich wieder ein“, meinte Farfarello. „Noch sind sie nicht aus dem Schneider.“

Ken sah ebenfalls immer wieder prüfend nach hinten. „Die vier seltsamen Typen sind weg. Dafür kommt da gerade ein Jeep mit einer ziemlich hohen Geschwindigkeit auf uns zu. Du solltest vielleicht doch schneller fahren, Yohji.“

„Den Teufel werde ich tun!“

„Bitte erwähne den nicht. Ich kann darauf verzichten, den persönlich kennen zu lernen“, meinte Nagi mit dem kläglichen Versuch eines sarkastischen Lächelns auf den Lippen. Er konnte, anders als die anderen, keine Scherze darüber machen.

Yohji steuerte den Wagen sicher über den rutschigen Boden unter den Rädern. Zu ihrer Linken ging es einen Hang steil hinab, wenn sie dort hinunter stürzten, würden die Bäume das Fahrzeug eher aufspießen, als den Fall zu bremsen. Auf der rechten Seite ging dafür eine Felswand steil nach oben, um diese schlängelte sich der schmale Pfad seinen Weg hinunter zu einer Bundesstraße. Er lenkte den Transporter um eine nahezu rechtwinklige Kurve und stellte den Motor aus.

„Endstation! Ab hier sollten wir zu Fuß weiter gehen. Und zwar schnell, ich habe keine Lust in der Nähe zu sein, wenn der Jeep mit diesem Transporter hier zusammenstößt“, erklärte Yohji und stieg aus.

Die anderen jungen Männer folgten ihm und gemeinsam liefen sie den Hang hinunter und verschwanden zwischen den Bäumen.

„Ist er immer noch ein Idiot?“, fragte Schuldig und sah seinen jüngeren Kollegen herausfordernd an.

Nagi seufzte leise und meinte kleinlaut: „Naja, vielleicht doch nicht so ein großer. Trotzdem hätte er viel früher etwas tun können.“

Brad nickte zustimmend. „Das hätte er zwar, aber so ist schließlich auch noch mal alles gut gegangen. Also hört auf darauf herum zu reiten, es bringt doch sowieso nichts.“

„Hauptsache sie leben noch“, meinte Farfarello trocken. „Übrigens solltet ihr vielleicht lieber mal auf eure Schützlinge aufpassen. Der Boden ist sehr rutschig und wir wollen doch nicht, dass sie sich doch noch den Hals brechen.“ Er machte eine kurz Pause und fügte dann noch leiser hinzu: „Zumindest dürfen wir das nicht zulassen. Was wir wollen spielt ja keine Rolle mehr.“

Ein lautes Geräusch, erzeugt von scheppernd zusammenstoßendem Metall, ließ Weiß und Schwarz gleichermaßen zusammenzucken und aufhorchen. Als sie ihre Blicke nach oben zu den beiden kollidierten Fahrzeugen wandten, sahen sie, wie diese auch schon den Hang hinunter stürzten. Kleinere Bäume wurden einfach überrollt oder abgeknickt, die stabileren trugen ihren Teil zur Deformierung der Karosserien bei. Die Insassen dürften einen solchen Sturz wohl schwerlich überlebt haben.

Die Assassins nahmen die Beine in die Hand und beschleunigten ihr Tempo, um eilig noch weiter von der Unfallstelle fort zu kommen.
 

Wieder im Koneko sumu le angekommen, waren die vier Weiß-Mitglieder froh wieder zu Hause zu sein. Die Mission war letzten Endes doch erfolgreich verlaufen und Omi konnte sich nun daran machen, die gestohlenen Informationen zu sichten.

„Ich werde direkt mal nachsehen, ob wir auch etwas Brauchbares haben mitgehen lassen oder ob der ganze Stress umsonst war“, meinte Omi und wollte schon hinunter in den Missionsraum gehen.

„Es war ein langer Tag. Du kannst das auch ruhig morgen machen und dich ausruhen“, meinte Aya und sah ihm nach.

Der blonde Junge drehte sich noch einmal mit einem Lächeln im Gesicht zu ihm um. „Das ist schon in Ordnung, Aya-kun. Ich schau nur kurz rein, damit ich Birman Bescheid sagen kann, ob es wirklich das ist, was wir gesucht haben. Das dauert vielleicht eine Viertelstunde, ich forste ja nicht direkt alle Details durch.“

Der Rotschopf nickte. „Gut. Mach aber nicht mehr zu lange. Ich werde ein Bad nehmen ... vorausgesetzt Yohji blockiert das Badezimmer nicht.“

„Dann solltest du dich beeilen nach oben zu kommen“, meinte der Jüngere grinsend. „Gute Nacht, Aya-kun.“

„Gute Nacht, Omi.“ Mit diesen Worten eilte der Weiß-Leader die Treppe nach oben und zum Badezimmer. Zu seinem Glück war es nicht besetzt, so dass er sich nun ein heißes Bad zur Entspannung gönnen konnte.
 

Mißgunst betrachtete noch eine Weile das Schauspiel, das sich ihnen bot, als die Sicherheitskräfte noch lange nach der gelungenen Flucht von Weiß das Gelände nach ihnen absuchten. Natürlich blieben sie erfolglos, da die vier Assassins bereits verschwunden waren.

Yukio wandte sich nach einer Weile an seinen grünhaarigen Kollegen. „Was sollte das eigentlich?“

„Was meinst du?“, fragte Xen und sah ihn mit unschuldigen Augen an.

„Verkauf mich nicht für dumm. Ich will wissen, warum du so eine schwachsinnige Verfolgungsjagd angefangen hast. Ohne mich wärst du jetzt tot“, erklärte der Älteste und funkelte den anderen verärgert an.

Der zuckte jedoch nur gleichgültig mit den Schultern. „Adrenalin. Außerdem hätte ich es wohl auch ohne dich überlebt. Du unterschätzt mich hemmungslos. Jetzt komm mal wieder runter, ich habe doch nur ein klitzekleines bisschen gespielt.“

„Nein, du überschätzt dich. Das ist etwas anderes.“

„Ich weiß ja nicht, was ihr noch so vorhabt“, warf Phuong ein, „aber ich geh nach Hause. Hier haben wir alles erledigt. Oder besser: Ich habe alles erledigt.“

„Das ist nun einmal dein Job, Computer sind dein Gebiet. Also beschwere dich nicht“, meinte Yukio.

Hüttenzauber

Wir sind keine Engel
 

Kapitel 9: Hüttenzauber
 

Einige Tage später hatte Omi bereits alle gestohlenen Daten entschlüsselt und ausgewertet. Birman war persönlich vorbei gekommen, um alles mit ihm durchzugehen und hatte danach sämtliche Unterlagen mitgenommen, damit sie von Kritiker genauestens untersucht werden konnten. Jetzt hatten Weiß erst einmal wieder einige Tage, um sich auszuruhen und sich um den Blumenladen zu kümmern. Yohji, Ken und Aya hatten gemeinsam beschlossen, dass Omi seine Schichten nicht übernehmen musste, sondern dass die Drei sie sich aufteilten, schließlich hatte ihr Jüngster immer noch genug um die Ohren mit Schule und Hausaufgaben. Die Nachsicht der Lehrer für ihn war zwar groß, da er ohne Eltern aufwuchs, aber auch nicht unerschöpflich.

Nachdem der blonde Junge einen weiteren Schultag hinter sich gebracht hatte, kehrte er erst abends wieder nach Hause zurück.

„Ich bin wieder da“, kündigte er sich an und streckte den Kopf in die Küche. „Gibt es was zu essen? Ich hab heute meine Pausenbrote vergessen, ausgerechnet an einem langen Schultag und wenn ich auch noch Fahrstunde hinterher habe. Ich sterbe vor Hunger.“

„Hallo, Omi. Essen ist in spätestens einer halben Stunde fertig“, informierte Ken ihn lächelnd und rührte weiter in der großen Pfanne herum.

„Okay, ich bin in meinem Zimmer. Wir haben mal wieder viel zu viele Hausaufgaben auf.“

„Ist gut“, sagte der braunhaarigen Mann, „ich ruf dich dann, wenn wir essen können.“

Das jüngste Weiß-Mitglied eilte die Treppe hinauf und betrat sein Reich. Die Schultasche ließ er neben seinem Schreibtisch fallen und ging noch einmal zur Tür, um ein Schild mit der Aufschrift ’Bitte nicht stören, ich muss lernen’ anzubringen. Dann schaltete er seinen Computer ein und begann damit, seine Hausaufgaben zu erledigen.
 

Als Weiß gerade gemeinsam in der Küche saßen und sich ihrem Abendessen widmeten, betrat Birman den Raum und lehnte sich an den Türrahmen.

„Hallo Jungs“, begrüßte sie die Assassins mit einem Lächeln. „Was gibt’s zu essen? Das riecht gut.“

Die Vier grüßten sie zurück. Ken erläuterte, was er gekocht hatte und bot der Frau an, sich zu ihnen zu setzen und mitzuessen.

„Eigentlich wollte ich euch nur über eure neue Mission unterrichten“, erklärte sie. „Aber wie könnte ich widerstehen, von meinen vier Lieblingsmännern zum Essen eingeladen zu werden. Vor allem, weil ich dann nicht mehr kochen muss, wenn ich nach Hause komme.“

Birman setzte sich dazu und erntete von Yohji direkt einen vorwurfsvollen Blick. „Deine Lieblingsmänner, ja? Und warum gehst du dann nie mit mir aus?“

„Weil man Privatleben und Beruf trennen soll. Darum.“

Der Playboy überlegte kurz und grinste dann über beide Ohren. „Also würdest du eigentlich schon mit mir ausgehen. Versteh ich das richtig? Also dann würde ich mal sagen muss einer von uns kündigen.“

„Wie kann man nur so hemmungslos notgeil sein?“, fragte Nagi genervt. „Der zieht die Nummer doch ständig ab. Wird dem das nicht langweilig?“

„Du siehst doch, dass er es kann“, antwortete Schuldig grinsend. „Und ganz nebenbei: Die anderen Leute, die er angräbt, sind nicht so stur. Könnte natürlich auch daher kommen, weil die nicht wissen, was er für einen Beruf hat und nicht mit ihm zusammen arbeiten müssen. Außerdem ist Yohji sehr ausdauernd, wie du ja siehst. Was übrigens eigentlich ziemlich vorteilhaft ist, aber dafür bist du noch zu klein.“

„Ich finde, Birman hat Recht“, meinte Brad. „Man sollte nichts mit jemandem anfangen, mit dem man arbeiten muss. Das belastet nur beides, Arbeit und Privatleben.“

Farfarello hatte die ganze Zeit über schweigend zugehört und dachte darüber nach, was Brad gesagt hatte. Er hatte mit Ken eigentlich niemals Probleme in ihrer Beziehung gesehen, außer vielleicht, dass die anderen dahinter kommen könnten. „Meinst du wirklich? Vielleicht kriegt man auch beides unter einen Hut, ohne dass es zu Konflikten kommt.“

Nagi stöhnte gequält auf. „Das ist doch nicht unser Problem, ob er dadurch Ärger kriegt oder nicht.“

„Doch, das ist es“, korrigierte ihn der Deutsche. „Wenn er nämlich Mist baut, dann muss ich ihm den Arsch retten.“

„Könntet ihr vielleicht mal still sein? Man kriegt ja kaum mit, worüber sie reden“, beschwerte der Amerikaner sich nach einer Weile.

Lachend schüttelte die Frau den Kopf. „Nein, ich denke, das werden wir erst recht nicht tun. Du weißt so gut wie ich, dass das Arbeitsverhältnis nur auf eine Weise gelöst werden kann. Und dann hätte keiner von uns mehr etwas davon.“

„Verderb doch nicht immer jedem sofort den Spaß“, seufzte Yohji leise und widmete sich wieder seinem Abendessen.
 

Nachdem alle mit dem Essen fertig und satt waren, folgten sie Birman hinunter in den Missionsraum, der Abwasch konnte warten.

„Wir haben noch einmal alles überprüft und die Informationen mit denen von Kritiker verglichen“, begann die Frau ihre Erklärung. „Wir hatten mit unserer Vermutung Recht und es ist das, was wir gesucht haben.“

Sie legte wie gewohnt ein Videoband in den Rekorder, löschte das Licht und startete die Anweisung des imaginären Persers für die Mission.

„Weiß, wir haben es dieses Mal wieder mit Entführungen zu tun. Der Mann in der Mitte dieses Bildes ist Eiji Yamamoto, die beiden rechts und links von ihm sind seine Handlanger. Yamamoto ist seit einigen Monaten der neue Kinder- und Jugendbeauftragte der Regierung. Diese Position nutzt er für seine schmutzigen Geschäfte, die er bereits seit Jahren betreibt und die ihm jetzt noch leichter gemacht werden, schamlos aus. Er ist der Kopf eines Kinderhändlerringes und muss ausgeschaltet werden, ebenso wie seine Handlanger Jigoku Gohan und Mika Samejima, da sie sonst seine Position in der Organisation ausfüllen würden. Weiße Jäger im Dunkeln, vernichtet die finstere Brut.“

„War der Typ nicht letztens noch im Fernsehen?“, fragte Yohji, als Birman das Licht wieder anschaltete. „Ich bin mir ziemlich sicher den beim Durchzappen bei so einer Tagesthemensendung bei der Eröffnung eines Waisenhauses gesehen zu haben.“

Die Frau nickte. „Da hast du richtig gesehen. Nach außen hin engagiert er sich landesweit für das Wohlergehen von Kindern und Jugendlichen jeden Alters, dafür ist er schließlich Abgeordneter. Aber auf der anderen Seite ist das nur eine Fassade, um einfacher an die Kinder heran zu kommen. Waisen- und Straßenkinder vermisst niemand.“

„Aber was will er denn von den Kindern?“, fragte Omi und nahm die Mappe entgegen, die Birman ihm hinhielt.

„Für ihn sind sie nur Ware, mehr nicht. Die Kinder werden unter dem Vorwand, in ein anderes Waisenhaus überwiesen zu werden, verschleppt. In einem Herrenhaus, einige hundert Kilometer von hier entfernt in den Bergen, werden sie dazu gezwungen an wichtige und gut zahlende Kunden Liebesdienste zu leisten. Diese Leute können so gesehen alles mit ihnen machen, was sie wollen. Die Situation ist in etwa vergleichbar mit dem ehemaligen Lyot-Club hier in Tokyo.“ Sie unterbrach ihre Erklärungen und sah Yohji direkt an. „Wenn du ablehnen willst, ist das okay. Wer von euch macht alles mit?“

Die drei anderen Weiß-Mitglieder stimmten der Mission zu, während der Playboy noch überlegte. Der Name ’Lyot’ weckte eine Menge unangenehmer Erinnerungen in ihm. Dieses Clubs wegen hatte er zwei sehr liebe und wichtige Menschen verloren und das auch noch auf die gleiche Weise durch seine eigene Schuld, weil er zwei Mal den gleichen, dummen Fehler begangen hatte. Andererseits konnte er es nicht ewig verdrängen und davon laufen, außerdem brauchten diese Kinder Hilfe und außer Weiß gab es niemanden, der sie ihnen geben konnte. Zwar zögerte Yohji noch einen Augenblick, stimmte dann aber ebenfalls der Mission zu.

„Gut. Nachdem wir das geklärt hätten, kann die Mission ja starten“, meinte Birman. „Wir haben einen ziemlich genauen Lageplan des Anwesens, einige Fotos, die wir per Hubschrauber aus der Luft geschossen haben und wir konnten vor ein paar Tagen einen unserer Männer dort einschleusen. Als Kunde getarnt hat er uns einiges an Informationen beschaffen können. Es gibt viel Sicherheitspersonal, wahrscheinlich hauptsächlich um dafür zu sorgen, dass die Kinder nicht flüchten, was ihnen angesichts der Lage ihres Gefängnisses sowieso kaum gelingen würde. Andere offensichtliche Sicherheitsmaßnahmen wie Alarmanlagen und Überwachungskameras konnten bislang nicht bestätigt werden, die Existenz setzen wir aber voraus.“

„Ist unser Mann immer noch dort?“, erkundigte sich Aya.

Die Frau schüttelte den Kopf. „Nein, wir konnten ihn nur einen Tag dort lassen ohne weiter unangenehm aufzufallen. Sein Bericht sowie einige hilfreiche Grundrissskizzen des Gebäudeinneren sind ebenfalls in der Mappe.“

„Ich glaube, so viel haben wir noch nie an Informationen bekommen“, sagte Omi fröhlich und grinste. „Da brauche ich ja so gut wie überhaupt nichts mehr zu machen.“

„Das stimmt nicht ganz, Omi“, korrigierte Birman ihn. „Ihr habt die ganze Vorarbeit hierfür sozusagen ja schon mit eurer letzten Mission erledigt. Habt ihr sonst noch Fragen dazu?“

„Ja“, meldete Ken sich jetzt auch zu Wort. „Was ist mit den Kindern? Ich meine, wir können sie doch nicht einfach dort lassen. Wer weiß, was mit ihnen passiert, wenn wir sie nicht dort herausholen.“

„Ken, das soll eine Liquidierung werden und keine Rettungsaktion. Wir sind keine Schutzengel“, sagte Aya kühl.

„Ihr nicht, aber wir“, meinte Schuldig grinsend.

„Ja, aber nur für sie. Nicht für irgendwelche Kinder.“ Farfarello zuckte mit den Schultern.

Nagi hörte sich alles sehr interessiert an. „Aber wenn sie den Kindern helfen können ... Warum sollten sie es dann nicht tun?“ Der Hintergrund dieser Mission erinnerte ihn sehr an sich selbst. „Ich meine, Weiß sind doch die guten Jungs.“

„Aber sie arbeiten auch nur nach Auftrag“, sagte Brad. „Genau so wie wir es getan haben. Wenn es keinen expliziten Auftrag über etwas gibt, dann wird es auch nicht gemacht. Und hast du eigentlich mal darüber nachgedacht, was so eine Rettungsaktion von mindestens zehn bis zwanzig Personen an Aufwand verursachen würde? Da hätten Weiß keine Chance ungesehen hinein und wieder heraus zu kommen. Außerdem liegt ihr Zielort mitten im Nirgendwo, sie bräuchten beträchtliche Ressourcen dafür und geeignete Transportmittel.“

„Vielleicht können sie sich ja später um die entführten Kinder kümmern“, versuchte der Deutsche Nagi ein wenig aufzumuntern. „Wenn sie ihre Mission erfolgreich beendet haben und dieser Kinderhändlerring langsam zerbricht.“

Die Frau nickte zustimmend. „Es tut mir Leid, Ken. Eure Mission lautet nur die drei Zielpersonen zu eliminieren. Ihr werdet wohl kaum die Gelegenheit oder die Zeit haben, die Kinder dort heraus zu holen und zu retten. Alles, was ihr in dieser Richtung unternehmt, könnte die Mission gefährden.“

„Aber wir können sie doch nicht einfach da drinnen ihrem Schicksal überlassen!“, protestierte der Fußballnarr.

Omi legte seinem Freund beruhigend eine Hand auf den Arm. „Ken-kun, wir helfen ihnen doch, indem wir die Verantwortlichen beseitigen. Ohne die wird dieser Laden nicht mehr bestehen können. Außerdem bewahren wir andere Kinder davor, dass sie das gleiche durchmachen müssen.“

„Birman und Omi haben Recht“, warf Yohji ein. „Das Anwesen ist ziemlich weit weg und wir müssten schließlich auch irgendeine Möglichkeit haben die Kids von dort wieder in die Stadt zu bringen. Und eine so große Gruppe wäre ziemlich auffällig.“

„Man kann einfach nicht mal eben so ein Dutzend oder mehr Leute ungesehen aus einem gesicherten Gelände herausbringen“, gab Aya den anderen wiederum Recht. „Es mag hart sein, Ken, aber wir können nicht jedem helfen.“

Die Erklärungen der anderen erschienen Ken zwar einleuchtend, andererseits fand er es aber nicht richtig, dass sie es nicht einmal versuchen wollten. Wenn nicht sie den Unschuldigen und Unterdrückten halfen, wer dann? Schließlich waren sie doch Weiß, Jäger des Dunkeln. Zögerlich nickte er. „Ich verstehe ja, was ihr meint.“

„Wenn wir die Mission erledigt haben, dann können wir ja immer noch schauen, was wir tun können“, versuchte der blonde Junge seinen Freund etwas aufzuheitern. Sie alle fanden es ungerecht, dass die Gesetzlosen ihre Machtspiele immer wieder auf den Rücken der Unschuldigen austrugen und wollten helfen, wenn sie konnten. Aber Aya hatte nun einmal Recht: Sie waren keine Schutzengel und die Mission ging vor.

Yohji nickte jetzt ebenfalls. „Irgendwie kriegen wir das schon hin, Ken.“ Davon war er allerdings nicht wirklich überzeugt, sie würden zuerst einmal genug Probleme mit ihrer eigenen Flucht haben.

Der Weiß-Leader betrachtete die Diskussion damit als beendet und wandte seine Aufmerksamkeit wieder Birman zu. „Haben wir noch mit anderem Widerstand als gewöhnlichem Sicherheitspersonal zu rechnen? Vielleicht Schwarz?“

Die Frau seufzte leise. „Das wissen wir leider nicht genau, aber wir gehen nicht davon aus. Wir haben bereits seit Mitte August keinerlei Aktivitäten mehr von Schwarz verzeichnen können. Niemand hat etwas von ihnen gehört oder gesehen. Entweder sind sie untergetaucht, nachdem ihre Organisation den Bach runter ging oder sie sind nicht einmal mehr in Japan.“

„Weder noch, Schätzchen“, meinte Schuldig spöttisch, „wir sind nur sozusagen in eine andere Abteilung versetzt worden.“

Aya nickte verstehend. „Gut.“ Diese Nachricht schien ihn zu beruhigen.

Bei Ken löste sie allerdings das Gegenteil aus. Sein Farfarello hätte ihn doch nicht einfach so verlassen ohne auch nur das Geringste darüber zu sagen. Oder etwa doch? War das Ganze vielleicht doch nur ein grausames Spiel gewesen? Über diese Gedanken vergaß er beinahe, wo er war und warum. Ein kleiner Stoß von Omi in seine Rippen brachte ihn schnell wieder in die Realität zurück.

„Und was ist mit diesen seltsamen Typen von unserer letzten Mission?“, fragte der Hacker. „Habt ihr etwas über sie herausfinden können?“

Die Frau schüttelte den Kopf. „Nein, tut mir Leid, Omi. Wir haben keine Personen gefunden, die auf eure Beschreibung gepasst haben. Wahrscheinlich waren es nur Leute vom Sicherheitspersonal. Habt ihr sonst noch irgendwelche Fragen zur Mission?“, erkundigte sich Birman abschließend. Da jedoch anscheinend alles geklärt war, verabschiedete sie sich und ließ Weiß allein im Missionsraum zurück.
 

Gemeinsam saßen die vier jungen Männer um den Tisch gescharrt und studierten den Grundrissplan und einige Fotos des Grundstückes, in das sie eindringen mussten. Die Villa ihrer Zielperson war auf einer Art Insel in einem kleinen Bergsee errichtet worden und war auf dem nur wenige Meter breiten Land, das sie umgab, geziert von kunstvoll gestalteten Gärten. Der einzige Weg, der dorthin und zurückführte, war eine lange Brücke, die sich gegenüber der Eingangstüre bis zum anderen Seeufer erstreckte. Insgesamt konnte man das prachtvolle Anwesen als idyllisch bezeichnen, wenn man einmal von den grausamen Ereignissen, die sich hinter dieser Fassade abspielten, absah.

„Und wie kommen wir da hinein?”, fragte Ken und sah die anderen prüfend an.

„Die Zufahrt können wir, denke ich, abhaken“, meinte Aya und deutete auf die entsprechende Stelle auf dem Plan. „Das Tor an sich wäre vielleicht weniger das Problem, aber wir werden es dort unter Garantie mit einigen Wachposten zu tun haben. Und dann wissen direkt alle, dass wir da sind.“

Omi nickte zustimmend. „Wir sollten uns die Sache vorher genau ansehen, bevor wir zuschlagen. Das ganze Grundstück ist eingezäunt und wir wissen nicht, ob der Zaun unter Strom steht. Wenn wir Glück haben, ist der See zugefroren und wir können auf der entgegengesetzten Seite der Zufahrt einfach darüber spazieren. Dort ist das Risiko geringer, gesehen zu werden.“

„Dann würde ich mal sagen, wird unsere Einsatzkleidung in diesem Fall so wie unser Name: Weiß“, meinte Yohji grinsend. „Und auch wenn der Zaun unter Spannung steht, sollte das doch wohl kein Problem sein. Wir schalten den Strom aus und schneiden ein Loch in den Zaun.“

„Der Zaun ist wirklich das kleinste Problem. Die Frage ist, ob der See wirklich zugefroren und das Eis dick genug ist, um uns zu tragen“, erklärte der Hacker. „Es ist mittlerweile kalt genug und außerdem liegt unser Zielort weiter oben in den Bergen. Dort liegt auch schon Schnee, von daher sollte es da keine Probleme geben. Ich will mich vorher trotzdem noch davon überzeugen.“

„Wenn wir von hier aus dort hin fahren, brauchen wir bestimmt um die drei Stunden für einen Weg“, warf Ken ein.

Aya nickte. „Das ist zu weit weg, um von hier aus zu operieren. Benutzen wir die Villa Weiß als Basis, die liegt wesentlich näher dran.“

„Wann fahren wir uns das Gelände denn ansehen?“, fragte der Playboy. „Am Wochenende? Du hast schließlich Schule, Omi.“

„Ja, am Wochenende, wenn du das denn mit deinen Dates auf die Reihe kriegst“, meinte Omi stichelnd.

„Natürlich kriege ich so etwas auf die Reihe. Sagt mir bloß, wie unsere Planung steht und ich versuche meine Termine entsprechend zu legen.“
 

„Glaubt ihr eigentlich, sie haben angebissen?“, fragte Phuong und lümmelte sich auf einem bequemen Sofa in der Empfangshalle zusammen.

„Natürlich haben sie das“, meinte Yukio und warf ihrem Jüngsten ebenso wie Xen, der es ihm gleich tat und es sich gemütlich gemacht hatte, einen missbilligenden Blick zu. „Sie werden alles fressen, was wir ihnen vorwerfen. Und jetzt könntet ihr mal eure Hintern aus den Polstern bequemen, wir haben schließlich einen Termin.“

„Ich hab ja nur gefragt. Schließlich haben sie bis jetzt nichts unternommen.“

„Sie haben eben eine etwas längere Leitung“, meinte der Grünhaarige grinsend und stand auf, um gleich darauf seinen Kollegen ebenfalls vom Sofa hoch zu ziehen.

Mißgunst brauchten nicht mehr lange zu warten, da sich bereits nach einigen Minuten eine große Flügeltür zu ihrer Rechten öffnete.

„Sie werden jetzt empfangen“, teilte ihnen ein kräftiger Mann mittleren Alters in einem schwarzen Anzug mit. Sie kannten diesen Mann mittlerweile recht gut und was sie über ihn wussten, gefiel weder ihnen noch ihrem Auftraggeber.

„Vielen Dank, Samejima-san. Bringen Sie uns bitte zu ihr“, entgegnete Yukio, woraufhin die kleine Gruppe das Büro einer älteren Frau betrat.

„Danke, Samejima-san“, sagte sie mit einer rauen und kehligen Stimme, offensichtlich rauchte die Dame zu viel. „Lassen Sie uns jetzt bitte allein. Wir wünschen nicht gestört zu werden.“

Der Mann verneigte sich höflich und verließ dann den Raum, die Türen schloss er hinter sich.

Die Frau hinter ihrem Schreibtisch wartete noch einen Augenblick und lauschte den sich entfernenden Schritten. Als sie sicher war, dass er auch wirklich verschwunden war, richtete sie das Wort an ihre Besucher. „Also? Ich hoffe, es hat alles wie geplant funktioniert.“ Von Höflichkeitsfloskeln hielt diese Person offenbar nicht viel, wenn sie nicht von Nöten waren.

Der Mißgunst-Leader nickte knapp. „Ja, bisher läuft alles nach Plan. Weiß haben sich Zugang zu Ihrem Forschungsgelände verschafft und dort die vorgesehenen Dateien entwendet. Unseen hat die Daten wie besprochen manipuliert und unsere und Ihren Namen aus allen Dokumenten entfernt. Dafür haben wir ihr Augenmerk auf Yamamoto, Gohan und Samejima gelenkt. Kritiker haben es ebenso geschluckt und sie als die nächsten Zielpersonen für Weiß deklariert. Niemandem ist etwas aufgefallen.“

„Gute Arbeit. Hoffen wir in Ihrem Sinne, dass es auch so bleibt.“

„Dafür sorgen wir“, versicherte Yukio ihr. „Spirit kontrolliert in regelmäßigen Abständen ihre Gedanken und schlägt sofort Alarm, wenn sich dort etwas befinden sollte, was wir nicht dort haben wollen.“

Die Frau nickte zufrieden. „Gut. Ich denke, das sollte ein Exempel statuieren und jedem anderen zeigen, dass es besser ist, sich nicht mit uns anzulegen oder sich uns in den Weg zu stellen. Diese drei Gentlemen werden noch bereuen aus unserem Unternehmen ihren eigenen Profit geschlagen zu haben. Sofern Weiß ihnen da überhaupt noch ein paar Minuten für Zeit lässt, ehe sie überhaupt gewahr werden, was sie eigentlich erwischt hat.“

„Wir werden schon dafür sorgen, dass sie es mitkriegen“, meinte Xen grinsend. „Und wir werden dafür sorgen, dass Weiß es nicht all zu einfach haben. Wir wollen doch nicht, dass sie misstrauisch werden.“

„Ja, lasst sie ruhig wissen, dass sie dieses Spiel nicht alleine spielen“, sagte sie. „Außerdem sollen sie und Kritiker nicht wissen, dass sie manipuliert werden.“

„Wissen sie eigentlich überhaupt schon, dass Schwarz nicht mehr existieren?“, fragte Spirit.

„Ist doch vollkommen egal“, meinte der grünhaarige Mann. „Aber vielleicht sollten wir es ihnen sagen, damit sie mehr Angst vor uns haben.“

„Nein, ich glaube, da werden sie auch alleine noch hinter kommen. Seitens Kritiker gibt es bereits einige Spekulationen und Vermutungen. Es kann für euch nur von Vorteil sein, wenn sie unwissend bleiben. Dann ist es wahrscheinlicher, dass sie den Fehler begehen euch zu unterschätzen“, meinte die Frau und wurde vom Klingeln des Telefons unterbrochen. „Das wäre dann alles, ihr könnt wieder gehen.“

Sie wartete, bis die vier Männer ihr Büro verlassen hatten und hob dann den Telefonhörer ab.
 

Am darauffolgenden Wochenende machten sich Weiß auf in die kleine Berghütte. Auf Omis Bitten hin hatte Aya sich breitschlagen lassen, die Zeit nicht bloß zur Observierung, sondern auch für einen kleinen Kurzurlaub zu nutzen. Die anderen Beiden waren sofort mit dem Vorschlag einverstanden gewesen. Ken verbrachte einfach gerne Zeit mit seinen Freunden und fand die Idee einfach schön und Yohji hatte sowieso all seine Verabredungen sausen lassen und somit nichts Besseres vor.

„Da machen die einfach so Urlaub, obwohl sie mitten in einer Mission stecken“; meinte Brad fassungslos. „Ja ist denn das die Möglichkeit?“

„Wenn es nach dir ginge, was es ja glücklicherweise nicht mehr tut, dann würden die Vier wohl einfach nur arbeiten, arbeiten und nochmals arbeiten“, meinte Schuldig spöttelnd. „Hey, das sind auch bloß Menschen, die mal ihre Ruhe brauchen. So ganz nebenbei bemerkt, hätte es uns bestimmt auch nicht geschadet, wenn wir einfach mal so ein Wochenende weggefahren wären.“

„Und außerdem verbinden sie doch schließlich die Arbeit mit dem Vergnügen“, warf Farfarello ein. „Sieh es doch auch mal so: Ein Urlaub ist ganz ungefährlich, weniger Arbeit für uns und hinterher gehen sie mit neuer Energie frisch motiviert an die Mission heran.“

„Ja, weniger Arbeit für uns“, meckerte Nagi verdrießlich, „und unendlich viel Langeweile.“

„Schade, dass wir uns nicht bemerkbar machen dürfen“, ergänzte der Deutsche mit einem leisen Seufzen, woraufhin auch der Ire zustimmend nickte.

Der Schwarz-Leader verdrehte ein wenig die Augen, die Drei waren einfach unverbesserlich.

In der Berghütte angekommen verstauten Weiß zunächst ihre Reisetaschen in den Schlafzimmern und die Vorräte in dem Kühlschrank. Yohji machte sich gleich daran, den Kamin im Wohnzimmer zu entzünden und die Heizungen in den anderen Räumen aufzudrehen.

„Wenn es dunkel ist, fahren wir runter zu unserem Zielort“, verkündete Aya und setzte sich zu den anderen, die es sich bereits vor dem offenen Feuer gemütlich gemacht hatten.

„Kommt gleich einer mit mir nach draußen ein bisschen Ski fahren?“, fragte Omi hoffnungsvoll in die Runde und blieb mit dem Blick bei dem Rotschopf hängen. „Wo wir schon mal hier sind, will ich das auch ausnutzen.“

Yohji überlegte kurz und nickte dann. „Ich komme mit, Skiausrüstungen haben wir ja hier.“

Auch Ken wollte gerade zustimmen, als Aya ihm bereits das Wort abschnitt. „Niemand wird Ski fahren gehen. Ich weiß zwar, dass ihr das alle könnt, aber ich will kein Risiko eingehen. Ein gebrochenes Bein nützt niemandem etwas.“

Der blonde Junge sah den Älteren mit seinen großen, blauen Augen traurig an. „Aber Aya-kun ...“

„Ja, ich weiß, Omi. Du würdest es gerne machen.“

„Dann lass uns doch. Bitte, Aya-kun. Wir passen ja auch auf. Außerdem kannst du ja auch mitkommen, wenn du Angst hast, dass wir uns blöde anstellen“, schlug Omi vor und sah seinen Freund bittend an.

Der Rotschopf blickte direkt in das bettelnde Gesicht ihres Jüngsten. Er konnte diesem Hundeblick kaum widerstehen und ihm einfach keine Bitte abschlagen. So kühl und reserviert er sich auch jetzt noch nach außen hin gab, dieser Junge brachte Eisberge zum schmelzen. Langsam fing Aya an zu nicken. „Na gut, ausnahmsweise gebe ich euch mal nach. Geht ruhig Ski fahren, aber nur so lange es hell ist. Im Dunkeln ist es zu gefährlich und außerdem haben wir dann unsere Arbeit zu erledigen.“ Die Ausnahmen häuften sich zu seinem Bedauern in letzter Zeit allerdings etwas zu sehr. Er befürchtete, dass die anderen den Respekt vor ihm verlieren könnten und nicht mehr auf ihn als Leader hörten.

Stürmisch schlang der Jüngere dem Älteren die Arme um den Hals und umarmte ihn dankbar und voller Freude. „Danke, Aya-kun! Danke!“

Zögerlich legte auch Aya die Arme um seinen Freund und drückte ihn zaghaft an sich. Für einen Augenblick verharrten sie so, bis der Jüngere sich wieder löste. „Kommst du denn auch mit, Aya-kun?“, fragte er hoffnungsvoll.

„Nein“, antwortete er knapp und schüttelte den Kopf. Dann setzte er jedoch noch hinzu: „Ich habe noch ein paar Dinge zu tun. Auch wenn wir heute nur observieren, will ich trotzdem gut vorbereitet sein.“ Selbst die kleinsten Fehler konnten katastrophale Auswirkungen haben und wie man so schön sagte, konnte schon ein Reiskorn die Waage zum Kippen bringen. Und genau das war es, was er verhindern wollte: Fehler, die sie alle in Gefahr bringen und das Leben kosten konnten.

„Dann kriegen wir ja doch schon viel zu tun“, meinte Schuldig und seufzte. „Ich hab mich auf ein entspanntes Wochenende vor dem Kamin und dem Fernseher gefreut. Und jetzt müssen wir doch arbeiten.“

„Hast du eigentlich an allem etwas auszusetzen?“, fragte Nagi. „Ihr könnt Ski fahren gehen und ich muss hier drinnen hocken, ganz alleine und kann mich mit niemandem unterhalten.“

Farfarello nickte zustimmend. „Wir können uns mit auf die Bretter stellen und so auch fahren. Und es kann uns nicht einmal etwas dabei passieren, ich kann das nämlich überhaupt nicht.“

Manchmal fragte Brad sich, warum er ausgerechnet mit diesen drei Männern als Kollegen gestraft war. Schon allein diese Tatsache sollte ihm mehr als nur zu Gute kommen, damit er nicht in der Hölle schmoren musste. War er wirklich ein so schlechter Mensch, dass er so etwas verdient hatte? Andererseits musste er zugeben, dass er sie doch mittlerweile irgendwie in sein Herz geschlossen hatte, sofern er so etwas überhaupt besaß.

„Sei doch froh darüber, Nagi“, sagte der Amerikaner dann. „Du hast doch am Anfang gehofft, dass Aya immer noch so ein Stubenhocker ist wie früher. Und genau das ist er doch geblieben, kein Stress, keine Aufregung und für dich nicht all zu viel Arbeit.“

„Ja, schon. Ich weiß, dass ich das am Anfang gesagt habe“, meinte der kleine Japaner und fügte kleinlaut hinzu: „Aber da wusste ich noch nicht, was das für ein langweiliger Job ist. Mittlerweile wäre ich über ein bisschen Abwechslung ehrlich gesagt ganz froh.“

„Da wirst du wohl bis heute Abend warten müssen, Kleiner“, sagte Schuldig und grinste schadenfroh. „Wir gehen mal die Gegend unsicher machen. Vielleicht können wir ja nebenbei auch noch ein paar Skihäschen aufreißen, was ich allerdings eher bezweifele.“

Während Yohji, Ken und Omi ihre Skiausrüstung zusammensuchten, nahm Aya sich nochmals den Hefter, der sämtliches Informationsmaterial über ihre Mission enthielt, zur Hand. Omi warf noch einen letzten, hoffnungsvollen Blick zu dem Rotschopf, bevor er mit den anderen Beiden die Hütte verließ.

„Willst du wirklich nicht mitkommen? Das macht bestimmt Spaß.“

Ihr Leader schüttelte jedoch nur den Kopf. „Nein, Omi. Tut mir Leid, aber für mich hat eben immer noch unsere Mission Vorrang vor dem Spaß. Wenn heute Abend alles gut läuft, komme ich vielleicht morgen mit, wenn ihr dann noch mal Ski fahren wollt.“

Der Jüngere nickte. „Na gut, Aya-kun. Aber dann kommst du auch wirklich morgen mit. Versprochen?“

„Versprochen.“

Dieses eine Wort zauberte bereits wieder ein glückliches Lächeln auf Omis Gesicht. Schnell beeilte er sich, hinter Yohji und Ken her zu kommen, die bereits draußen ihre Skier angeschnallt hatten.
 

Bei Einbruch der Dunkelheit kehrten die jungen Männer wieder zu der Berghütte zurück, wo ihr Anführer bereits auf sie wartete. Sie entledigten sich ihrer Skianzüge, tauchten diese gegen ihre gewöhnliche Einsatzkleidung und verstauten die Skiausrüstungen wieder ordentlich an ihrem vorgesehenen Platz.

Mit zwei Schneemobilen brachten sie die wenigen Kilometer, die sie noch von ihrem Zielort trennten, hinter sich. Als das Herrenhaus am Fuße eines Hangs in Sicht kam, ließen sie ihre Fahrzeuge zurück und tasteten sich im Schutze einiger Bäume weiter heran.

Omi blickte immer wieder durch ein Fernglas, konnte allerdings zu ihrem Glück keine Aktivitäten feststellen, die verrieten, dass man Weiß entdeckt hatte. „Bisher ist alles ruhig“, teilte er seinen Freunden mit. „Ich denke, wir können noch näher heran. Hat irgendjemand am Zaun schon einen Sicherungskasten entdeckt?“

„Negativ. Bisher nicht“, gab Aya zur Antwort, der ebenfalls mir einem Fernglas das Grundstück beobachtete.

„Also ich hab ihn schon gefunden“, redete Schuldig dazwischen, was Weiß sowieso nicht störte.

„Wo ist er denn?“, fragte Nagi neugierig und schaute sich ebenfalls weiter suchend um.

„Was krieg ich denn, wenn ich es dir sage?“, feixte der Deutsche.

„Sagen wir mal, wenn du es mir nicht sagst, dann petze ich bei Michael, was du in Yohjis Träumen gemacht hast“, entgegnete der kleine Japaner.

Der orangehaarige Mann verzog den Mund zu einer Schmollschnute. „Elender Giftzwerg. Okay, ich zeig ihn dir, er ist dort hinten. Außerdem glaube ich, dass dieses Federviech das sowieso bereits weiß.“

„Dann hättest du es mir ja gar nicht sagen müssen.“

Schuldig nickte grinsend. „Nein, hätte ich nicht. Aber ich bin nun mal ein sehr liebenswerter Mensch. Ähm Schutzengel.“

Nagi verkniff sich seinen bissigen Kommentar auf die letzte Bemerkung und lenkte Ayas Aufmerksamkeit auf den Sicherungskasten, indem er das Fernglas mittels seiner telekinetischen Fähigkeiten Stück für Stück langsam in die entsprechende Richtung lenkte.

„Ich glaube, noch näher ran können wir nicht“, meinte Ken. „Sonst fallen wir bestimmt auf.“

„Aber wir müssen schauen, ob das Eis uns trägt“, entgegnete Omi, setzte das Fernglas ab und sah seinen Freund an. „Irgendwie müssen wir einen Weg da rein finden.“

Auch Yohji prägte sich das Gelände ein. „Auf dem See liegen bestimmt fünf Zentimeter Schnee und die Eisdecke darunter dürfte bei diesen Minustemperaturen auch sehr beachtlich sein. Also ich denke schon, dass wir da drüber könnten.“

„Ich will aber kein Risiko eingehen, wenn es sich vermeiden oder einkalkulieren lässt.“

Der Rotschopf unterbrach die Beiden zunächst. „Ich habe den Sicherungskasten für die Stromversorgung des Zaunes gefunden. Schlechte Nachrichten fürchte ich. Sie liegt direkt an der Zufahrt, an der Rückseite des Wachhauses. Wenn wir uns da heran schleichen wollen, um den Strom zu unterbrechen, dürfte das nicht unbemerkt bleiben.“

„Eventuell könnte ich mich noch einmal ins Elektrizitätswerk hacken und von dort aus den Strom lahm legen. Ich fürchte bloß, das funktioniert nur für das gesamte Grundstück“, sagte Omi.

„Vielleicht müssen wir den Strom gar nicht ausschalten“, warf der Playboy ein.

„Willst du etwa gegrillt werden?“, fragte Ken und beäugte den anderen Mann skeptisch.

Der schüttelte jedoch den Kopf. „Nein. Ich meine nur, dass wir den Zaun vielleicht komplett umgehen können und uns mit diesem Problem gar nicht auseinander setzen müssen.“

„Dann rück raus mit der Sprache“, forderte ihr Leader ihn auf. „Was hast du für eine Idee?“

„Wir können doch oben drüber gehen. Die Bäume hier sind doch hoch genug, damit wir ein Seil oder einen Draht oder was auch immer von einem Baum zum Haus hinüber spannen können. Omi könnte einen Pfeil oder einen Bolzen mit Bogen oder Armbrust dort hinüber schießen. Dann können wir ganz einfach mit einer Schlaufe daran herunter rutschen. Viel Neigung brauchen wir da ja nicht.“

„Ja, das ginge“, stimmte Omi ihm zu. „Warum bin ich da bloß nicht selbst drauf gekommen?“

Der ehemalige Torwart lächelte seinen Freund an. „Mach dir doch nichts aus, Omi. Du kannst nicht immer an alles denken, du übernimmst immer die Planung für alles. Gönne uns doch auch mal eine Sternstunde. Außerdem ist es selten genug, dass Yohji mal einen brauchbaren Einfall hat, lass ihm doch das Erfolgserlebnis.“ Mit letzteren Worten schenkte er dem Angesprochenen ein höhnisches Lächeln. Er zog ihn auch oft genug auf, so dass er diese kleine Retourkutsche einmal verdient hatte.

„Na, wenigstens habe ich im Gegensatz zu dir zwischendurch auch mal meine Highlights und geniale Einfälle, Ken-Ken“, erwiderte der Playboy mit einem zuckersüßen Lächeln. Diese kleine Spitze gegen ihn würde er Ken zum gegebenen Zeitpunkt noch einmal richtig zurückgeben, sich mit dem anderen Mann zu streiten war mittlerweile zur Gewohnheit geworden und fast schon so etwas wie ein Hobby.

„Könntet ihr vielleicht damit aufhören euch gegenseitig aufzuziehen?“, ging Aya dazwischen, bevor die beiden noch richtig in Fahrt kamen und einen handfesten Streit wegen nichts und wieder nichts vom Zaun brachen.

„Aber das tun wir doch überhaupt nicht“, meinte Ken.

Yohji schüttelte leicht den Kopf. „Nein, ganz und gar nicht.“

Der Rotschopf verengte die Augen und warf den Beiden bitterböse Blicke zu. „Gebt einfach bloß Ruhe. Ist das so schwer?“

„Aya, ich fühle mit dir“, sagte Brad und seufzte leise. „Du bist mit genau solchen Idioten geschlagen wie ich. Warum sollte es dir wohl auch nur einen Deut besser gehen?“

„Wie meinst du das denn bitte?“, fragte Schuldig leicht gereizt. „Wen nennst du hier einen Idioten?“

„Niemand spezielles, aber du hättest gute Chancen in diese Auswahl zu kommen“, meinte der Amerikaner trocken. „Manchmal verhaltet ihr euch auch ziemlich kindisch. Irgendwie sind Weiß uns gar nicht mal so unähnlich vom Wesen her.“

Schuldig verschränkte die Arme vor der Brust und begnügte sich damit, seinem Leader keine Antwort zu geben. Es hätte sowieso keinen Sinn gehabt, weiter zu widersprechen, das hätte Brad nur noch mehr Recht gegeben. Sicherlich war der Deutsche jemand, der meistens alles herunterspielte und seine Witze riss, aber er war auch durchaus ernsthaft, gewissenhaft und verantwortungsvoll, wenn es um etwas Wichtiges ging. In letzterem Punkt hatte der Ältere allerdings Recht, es hatte sich in der Zeit, die sie nun mit ihrem ehemaligen Erzfeinden verbracht hatten, mehr und mehr herausgestellt.

Ken und Yohji verloren vorläufig kein Wort mehr über ihre Sticheleien, um Aya nicht unnötig weiter zu verärgern.

Omi machte sich noch einige Notizen über die Umgebung und meinte dann: „Also ich denke wir wissen jetzt alles, was wir wissen müssen, um weiter planen zu können. Wir werden sowieso nicht darum herum kommen, im Inneren des Gebäudes alles nach unseren Zielpersonen abzusuchen.“

Da die anderen Drei keine Einwände erhoben und der gleichen Ansicht waren, wie der blonde Junge, machten sie sich gemeinsam wieder auf den Rückweg zu Ihrer Unterkunft.
 

In der Berghütte verstauten Weiß erst einmal wieder ihre Ausrüstung. Aya bereitete für alle Tee zu, damit sie sich wieder aufwärmen konnten, da sie mittlerweile doch sehr durchgefroren waren. Yohji machte sich daran ein Feuer in dem Kamin im Wohnzimmer zu entfachen und verzog sich dann ebenfalls in die Küche, um endlich wieder eine Zigarette zu rauchen.

„Du solltest dir das endlich abgewöhnen“, bemerkte Aya, während er den Tee aufgoss.

Der Playboy schüttelte den Kopf. „So leicht wird man ein Laster nicht los. Vor allem, weil das echt abhängig macht. Und außerdem ist es ja wohl ziemlich egal, ob ich an Lungenkrebs sterbe oder auf einer Mission. Letzteres ist nämlich sowieso viel wahrscheinlicher.“

„Sag doch so etwas nicht. Du wirst bestimmt uralt und dann wirst du dich ärgern, dass du nicht mit dem Rauchen aufgehört hast“, entgegnete der Rotschopf.

„Genau, wir passen nämlich auf, dass euch bei Missionen nichts passiert“, stimmte Schuldig zu. „So lange wir da sind, werdet ihr nicht sterben.“

Auch Nagi nickte und seufzte leise. „Wobei die Vorstellung noch fünfzig Jahre und länger auf euch aufzupassen nicht gerade berauschend ist.“

„Denk einfach nicht daran“, riet ihm der Deutsche. „Ich glaube, je mehr du darüber nachdenkst, umso schlimmer kommt es dir vor.“

„Ja, aber man hat doch die meiste Zeit über leider nichts anderes zu tun als nachdenken. Vor allem nachts“, meinte der kleine Japaner. „Mittlerweile habe ich fast alle Bücher, die Aya in seinem Zimmer hat, durchgelesen. Und auch ein paar Sachen, die er selbst geschrieben hat. Wusstest du, dass Aya schreibt? Und das nicht einmal schlecht, aber er versteckt es immer.“

Der Mann mit dem flammend orange Haar schüttelte den Kopf. „Nein, wusste ich nicht. Der werte Herr Fujimiya Junior schien mir bisher irgendwie immer zu langweilig, um länger als nötig in seinem Kopf herumzuspuken.“

Aya holte vier Teetassen aus dem Schrank und sah noch einmal fragend zu dem Älteren. „Willst du auch Tee? Oder lieber Kaffee?“

„Nein, Tee ist in Ordnung.“

Gemeinsam gingen die beiden wieder ins Wohnzimmer zurück und stellten die Teekanne und die Tassen auf den Tisch. Ken hatte für jeden eine Decke zurecht gelegt und beschlagnahmte das kleine Sofa. Omi hatte sich bereits auf das große Sofa gekuschelt, setzte sich aber auf, um ihrem Leader Platz zu machen, der sich auch sofort zu ihm setzte. So blieb für Yohji nur noch der Sessel übrig, was diesem allerdings nichts ausmachte. Er rückte das Möbelstück dichter zum Kamin hinüber und kuschelte sich dann ebenfalls in seine Decke.

Schweigsam tranken die Vier ihren Tee, starrten ins Feuer und hingen ihren Gedanken nach. Abgeschnitten von der Welt, in beinahe vollkommener Einsamkeit, breitete eine solche Berghütte ihren eigenen, angenehmen Zauber aus. Während die heimelige Atmosphäre gemächlich den schweren Unterton von Melancholie zu verbreiten schien, war das Knistern des Feuers das einzige Geräusch, was diese Ruhe störte.

Omi rutschte ein wenig näher zu Aya hinüber, so dass er auf der anderen Seite seine Beine auf das Sofa ziehen konnte. Dann senkte er seinen Oberkörper und bettete seinen Kopf einfach auf Ayas Oberschenkel. Mit gedrehtem Kopf sah er nach oben, direkt in zwei verwundert wirkende, amethystfarbene Augen und fragte dann leise: „Hast du etwas dagegen?“

Der Rothaarige schüttelte den Kopf und Omi meinte für den Bruchteil einer Sekunde ein beinahe liebevolles Lächeln über das Gesicht des anderen huschen zu sehen, ohne dass jemand anderes es auch nur bemerkt hätte. Mit einem zufriedenen Lächeln im Gesicht drehte der Junge seinen Kopf wieder zum Feuer und sah den Flammen bei ihrem hypnotischen Tanz zu. Die Decke bis zum Kinn gezogen versuchte er sich unauffällig näher an ihren Leader zu kuscheln. Nach einigen Minuten spürte er eine Hand an seinem Kopf, deren Finger sich ganz allmählich daran machten, sachte durch das kurze Haar zu streichen. Omi schloss die Augen und genoss die angenehme Berührung.

Ken warf zwischendurch immer wieder einen sehnsüchtigen Blick zu seinen beiden eng aneinander gekuschelten Freunden und wurde dabei ein wenig wehmütig. Er zog die Decke fester um sich und schaute wieder in den Kamin. Zwar war es angenehm mit den anderen einen gemütlichen Abend zu verbringen, aber es machte ihm schmerzlich bewusst, wie sehr Farfarello ihm fehlte. Er fühlte sich trotz der Gesellschaft seiner Freunde einsam und hätte es nicht für möglich gehalten, wie viel der einäugige Mann ihm bedeutete. Vielleicht sollte er einfach schlafen gehen, bevor er noch depressiv wurde und er mit unangenehmen Fragen gelöchert wurde. Am nächsten Morgen sah die Welt schließlich immer gleich ganz anders aus.

Auch Yohji betrachtete Aya und Omi zwischendurch. Fast beneidete er sie ein wenig, da er selbst ebenfalls gerne jemanden zum kuscheln oder einfach zum anlehnen gehabt hätte. Aber so jemanden hatte er schon seit Jahren nicht mehr in sein Leben gelassen. In solchen Augenblick wie in diesem, bereute er es, wusste aber auch, dass er nicht anders konnte.

„Sind sie nicht niedlich“, meinte Schuldig irgendwann und seufzte leise. Diese Stimmung brachte sogar ihn dazu, ein wenig melancholisch zu werden.

Nagi nickte und stimmte leicht betrübt zu. „Ja, irgendwie schon.“ Auch er hätte gerne jemanden gehabt, an den er sich einfach anlehnen konnte. Ein wenig Eifersucht machte sich in seinem Inneren breit. Schade, dass wir uns nie so nahe waren, dachte er und setzte sich auf den Boden neben dem Sofa, um sich gegen die Seite zu lehnen.

Brad bemerkte den Stimmungswandel und setzte sich einfach neben ihren Jüngsten. Irgendwie spürte er, dass dieser jetzt jemanden an seiner Seite brauchte. Der Amerikaner legte einen Arm um Nagis Schultern und lächelte ihn freundschaftlich an. „Tut mir Leid, dass wir früher nie so für dich da waren“, sagte er leise und drückte ihn leicht an sich.

Der junge Japaner sah kurz etwas verwundert auf, lächelte dann jedoch dankbar. Dann lehnte er sich an die Schulter des Älteren und flüsterte leise: „Danke, Brad. Wenigstens bist du jetzt da.“

Farfarello beteiligte sich nicht an dem Gespräch. Stattdessen hockte er vor seinem Schützling und betrachtete diesen eingehend. Er wusste genau, was in Ken vorging. Zum einen spürte er es und zum anderen konnte er es genau in seinem Gesicht und vor allem in seinen Augen sehen. Gerne hätte er ihm seine Sorgen und Sehnsüchte von den Schultern genommen, indem er ihm sagte und zeigte, dass er die ganze Zeit bei ihm war. Aber das durfte der Ire schließlich nicht, wenn es nicht überlebensnotwendig war.
 

„Du, Aya-kun?“, brach Omis leise Stimme nach einiger Zeit die behagliche Stille. Er drehte den Kopf und der Rotschopf blickte direkt in zwei fragende, blaue Augen. „Was hältst du davon, wenn wir dieses Jahr Weihnachten einmal im westlichen Stil feiern? Ungefähr so wie in Amerika oder England, mit Weihnachtsbaum und Geschenke auspacken am Weihnachtsmorgen?“

Farfarello kam nicht umhin seine Aufmerksamkeit für einen Augenblick von Ken zu lösen und zum Sofa hinüber zu blicken. Dieser junge Weiß wollte wirklich einen der unnützesten Feiertage, der jemals von der Menschheit oder besser gesagt von Gott ins Leben gerufen wurden, huldigen? Was kam dann als nächstes? Ostern? Eier suchen konnte man schließlich zu jeder Zeit und wenn es jemanden gab, bei dem man an einer bestimmten Stelle suchen konnte, dann hatte das sogar für Farfarello seinen Reiz. Aber mit dem Christentum an sich konnte der Ire nichts mehr anfangen, auch wenn er jetzt wusste, dass das Meiste wohl wahr war. Zu enttäuscht war er von der falschen Scheinheiligkeit, die ihm in seiner Kindheit begegnet war.

Aya wunderte sich über diese Frage, mit so etwas hatte er nun wirklich nicht gerechnet. Wahrscheinlich lag es am Schnee draußen, dem Kaminfeuer und der allgemeinen winterlichen Atmosphäre. „Warum sollten wir denn Weihnachten feiern? Wir feiern doch Neujahr ausgiebig.“

Der Einäugige nickte zustimmend. „Bleibt bei euren Feiertagen. Das ist besser.“

„Wir können das doch bestimmt irgendwie verbinden.“ Der Ausdruck in Omis Augen wechselte langsam von fragend zu bittend.

„Also, ich finde, das ist eine gute Idee“, warf Ken ein. „Warum sollten wir das denn nicht auch mal machen? Schaden kann es doch bestimmt nicht.“

Yohji schüttelte den Kopf. „Ich denke nicht, dass man das unbedingt feiern muss. Ich glaube, da bin ich ausnahmsweise mal Ayas Meinung. Das ist ein christlicher Feiertag.“

„Und ihr seid keine Christen, soweit ich weiß“, meinte Farfarello. „Christen machen in ganz Japan sowieso nur etwa ein Prozent der Gesamtbevölkerung aus. Also ist das ziemlich unbedeutend und ihr solltet eure Aufmerksamkeit lieber euren Nationalfeiertagen widmen.“

Schuldig warf einen fragenden Blick auf den Mann mit der Augenklappe. „Ist das nicht ziemlich egal? Wenn sie einen Vorwand zum Feiern brauchen, dann lass sie doch. Wobei mich allerdings schon etwas wundert, warum Yohji dagegen ist. Sonst ist er doch für jede Feier zu haben.“

„Der wird irgendeinen banalen Grund dafür haben“, warf Nagi gleichgültig ein und lehnte sich immer noch an Brad, der sich zunächst einmal aus dem Gespräch heraus hielt. Er konnte sich gut vorstellen, dass Farfarello die Vorstellung Jesus Geburt feiern zu müssen nicht gerade gefiel, in Anbetracht seiner sonstigen Verhaltensmuster und seiner Vergangenheit war das schließlich auch in gewisser Weise verständlich. Dass er im Augenblick sogar für Gott arbeiten musste, schien er bisher zumindest zu akzeptieren, vielleicht ignorierte er es aber auch gekonnt. Für den Einäugigen war die jetzige Situation zwar hauptsächlich Mittel zum Zweck, andererseits war er aber auch froh darüber einfach in Kens Nähe sein zu können, ohne dass ihn jemand dafür behelligte.

Der blonde Junge zog eine Augenbraue nach oben. Er kaufte dem Älteren nicht wirklich ab, dass er nur aus religiösen Gründen dagegen war. Das wäre etwas vollkommen Neues für ihn und obendrein noch absolut untypisch. „Kann deine Abneigung nicht vielleicht eher darin begründet liegen, dass du dann den Abend vorher vielleicht etwas früher nach Hause kommen solltest und daher ein oder zwei deiner sorgfältig geplanten Verabredungen sausen lassen müsstest?“

Der Playboy konnte sich ein Grinsen nicht verkneifen. „Erwischt! Aber es bedarf viel Organisationstalent so einen Abend mit drei Verabredungen zu planen und entsprechend termingerecht irgendwo etwas zu reservieren. Und ich habe halt schon fast alles arrangiert, es wäre eine Schande, wenn ich das jetzt einfach über den Haufen werfe.“

„Hab ich es nicht gesagt?“, meinte das jüngste Schwarz-Mitglied und schüttelte verständnislos den Kopf. „Dieser Mann wird sich auch nie ändern.“

„Das soll er ja auch gar nicht“, warf der Deutsche ein. „Er ist gut so wie er ist. Außerdem weißt du nicht was alles in seinem Kopf vorgeht. Im Gegensatz zur gängigen Meinung hat er da noch einiges mehr drin als bloß Alkohol, Zigaretten und Sex.“

„Ich glaube, das ist im Augenblick hier nicht der Punkt, Schuldig“, sagte Brad. „Wenn er nicht Weihnachten feiern will, dann muss er das doch nicht. Keiner kann ihn zwingen.“ Dabei blickte er zu Farfarello hinüber. „Und du musst das auch nicht. Wir können ja sowieso nicht richtig an irgendetwas teilnehmen, also ist es für uns doch vollkommen belanglos, was Weiß feiern oder nicht feiern, glauben oder nicht glauben.“

„Dann frage ich mich, wie gerade du das hinbekommst“, neckte der braunhaarige Mann ihn.

„Ich bin eben ein verkanntes Genie“, erwiderte Yohji nur mit einem süffisanten Lächeln.

Omi räusperte sich. „Ich störe euch ja wirklich nur ungern, aber das war eine durchaus ernst gemeinte Frage von mir. Ich würde wirklich gerne mal Weihnachten feiern, um zu sehen wie es ist.“

Aya seufzte leise. „Reicht dir Neujahr denn nicht? Und am dreiundzwanzigsten ist auch noch ein Feiertag, Kaisers Geburtstag. Außerdem hat Ken da schließlich ebenfalls Geburtstag.“

„Ja, aber das ist doch zwei ganze Tage vorher. Das überschneidet sich ja nicht.“ Das jüngste Weiß-Mitglied setzte sich jetzt richtig hin und sah seinen Leader schon beinahe bettelnd an. „Bitte, Aya-kun. Sag doch Ja. Es tut doch keinem weh.“

„Ich habe aber Nein gesagt und das solltest du dann auch so akzeptieren.“ Der Rotschopf wollte sich diese Mal nicht von seinem Standpunkt abbringen lassen und ausnahmsweise hatte er ja sogar jemanden auf seiner Seite. Allerdings verstand Omi sich nur all zu gut darauf, seine unschuldige Art als Waffe gegen ihn einzusetzen und so seinen Willen durchzusetzen.

„Aber, Aya-kun ... Was ist denn so schlimm daran? Wie wäre es denn, wenn wir es nur so ein bisschen feiern? Also, ich meine, wegen der Atmosphäre so mit Weihnachtsbaum und Dekoration und so. Wir brauchen ja nicht sofort deswegen in eine christliche Kirche gehen, wenn es das ist, was dich daran stört.“

Ken nickt wiederum zustimmend. „Es wird uns nicht umbringen, wenn wir mal einen Tag besinnlich und festlich angehen.“

Aya schüttelte den Kopf. „Ich habe Nein gesagt. Es geht mir nicht darum, dass es ein christlicher Feiertag ist. Wenn er nur das wäre, dann hätte ich, denke ich, nicht wirklich etwas dagegen. Ich bin bestimmt der Letzte, der irgendjemandem in seine Glaubensfragen hineinredet, das muss jeder selber wissen. Aber seht es euch doch mal richtig an. Was ist den Weihnachten mittlerweile für ein Fest? Es geht doch nur noch um Geschenke und Kommerz. Und deswegen finde ich es ziemlich überflüssig.“

„Da hat er sogar irgendwie Recht mit“, schaltete sich Schuldig wieder ein. „Eigentlich ist es nur eine Gelegenheit sehr schnell sehr viel Geld los zu werden und für Dinge auszugeben, welche die Leute, denen man sie schenkt, sowieso nicht haben wollen.“

„Genau“, stimmte Nagi mit einem zaghaften Lächeln zu. Zwar hatte er selbst noch nie Weihnachten gefeiert, aber es gab genügend Seiten im Internet, Filme und Serien im Fernsehen, um dieses Verhalten heraus zu kristallisieren.

Der Amerikaner schüttelte den Kopf. „Ganz so schlimm ist es, glaube ich, auch nicht.“

Mit vehementem Kopfschütteln begegnete der blonde Junge dieser Aussage. „Mir geht es überhaupt nicht um Geschenke. Man sagt doch, Weihnachten ist das Fest der Liebe. Darum geht es mir, mehr Zeit mit den Menschen zu verbringen die ich mag, mit meiner Familie. Und das seid ihr. Sicher machen wir viel zusammen, aber das beschränkt sich eigentlich fast nur auf unsere Arbeit oder auf Sachen, die nun einmal geregelt werden müssen, wie der Haushalt. Wir wohnen zwar zusammen, aber privat haben wir alle eher weniger miteinander zu tun, das finde ich schade.“

„Und dafür brauchst du Weihnachten?“ Der Rotschopf zog fragend eine Augenbraue nach oben. „Und einen geschmückten Baum und kitschige Dekoration?“

„Ähm, nein, eigentlich nicht. So wie es jetzt ist, finde ich es auch schön, dass wir einfach so mal zusammen sind und nichts Bestimmtes machen. Aber es wäre doch hübsch.“

„Wenn du mehr Zeit mit uns verbringen willst, warum hast du das nicht schon früher gesagt?“, fragte Ken und lächelte milde, während der Älteste zustimmend nickte.

„Ich dachte, ihr wollt das vielleicht nicht“, bemerkte Omi kleinlaut. „Also können wir jetzt alle zusammen Weihnachten feiern? Wir brauchen uns nichts zu schenken. Aber können wir einen Weihnachtsbaum kaufen?“

Yohji seufzte leise. Eigentlich hatte er nichts dagegen, Zeit mit den anderen drei Männern zu verbringen, schließlich mochte er sie und sie waren mittlerweile eine Familie. Andererseits hatte er jetzt schon ein paar Verabredungen geplant. Jetzt galt es abzuwiegen, was ihm wichtiger war. Diese Entscheidung fiel ihm allerdings leichter, als er dachte. Omi zuliebe würde er sogar eine Verabredung absagen. „Meinetwegen könnten wir vielleicht doch Weihnachten feiern. Aber du könntest doch auch sonst Zeit mit uns verbringen. Das tun wir doch jetzt auch.“

Auch Aya war mittlerweile bereit einzuwilligen, schließlich hatte ihr Jüngster auch irgendwie Recht. Langsam nickte er. „Also gut, kaufen wir einen Weihnachtsbaum und feiern zusammen. Geschenke gibt es aber nicht.“

Omi strahlte über das ganze Gesicht. Er hatte schon beinahe Angst gehabt, dass ihr Leader es dieses Mal auf seinen Entschluss beharrte. Zum Glück konnte er sich bei den anderen aber jedes Mal Schützenhilfe holen und war schließlich nicht auf den Mund gefallen, so dass er immer überzeugende Argumente fand. „Danke, Aya-kun!“ Vor Freude umarmte er den rothaarigen Mann.

„Siehst du, Farfarello? Hier geht es nicht um den biblischen Hintergrund von Weihnachten, sondern um das Zusammensein“, meinte Brad. „Das sollte es dir doch zumindest ein bisschen sympathischer machen.“
 

Am nächsten Morgen saßen alle gemeinsam am Küchentisch und widmeten sich einem ausgiebigen Frühstück. Die Vorräte hierfür hatten sie aus Tokyo mitgebracht und das reichlich. Sogar Yohji war rechtzeitig aufgestanden, um noch etwas abzubekommen, schließlich war er ja auch ebenso zeitig wie seine Freunde zu Bett gegangen.

„Gehen wir jetzt noch mal Ski fahren, bevor wir uns wieder auf den Heimweg machen?“, fragte Omi, nachdem er den letzten Löffel seiner Cornflakes hinuntergeschluckt hatte.

„Aber klar“, antwortete Ken sofort. „Das Wetter ist herrlich und wie gemacht dafür. So lange wir hier sind, sollten wie das ausnutzen.“

Auch Yohji nickte. „Natürlich. Das ist gut für die Figur. Nur schade, dass es hier kein standesgemäßes Après-Ski gibt.“

„Yohji!“, erklang es aus drei Mündern beinahe gleichzeitig.

„Aber er hat doch Recht“, meinte Schuldig. „Das hier ist kein Ski-Gebiet und darum gibt es kein richtiges Après-Ski. Es gibt Leute, die gehen nur allein deswegen auf die Piste.“

„Ja, Leute wie du und Yohji zum Beispiel“, warf Nagi grinsend ein.

„Warum auch nicht?“, antwortete der Deutsche und lächelte selbstgefällig. „Schließlich macht das ja auch Spaß.“

Der Playboy setzte sein übliches Lächeln auf. „Ich sag ja schon nichts mehr.“

„Das ist auch besser so“, sagte Aya kühl und trank seinen Kaffee aus.

Omi wandte sich an den Rotschopf. „Das heißt, du kommst gleich auch mit raus ein wenig Ski fahren. Du hast es gestern versprochen, Aya-kun.“ Er heftete seine großen, blauen Augen auf den Älteren und sah ihn erwartungsvoll an.

Der Weiß-Leader erwiderte den Blick und nickte kurz darauf. „Ja, das habe ich. Und was ich verspreche, das halte ich auch. Wenn wir mit unserem Frühstück fertig sind und all unsere Sachen wieder zusammen gepackt haben, gehen wir Ski fahren.“

„Auch noch vorher aufräumen“, stöhnte Yohji gespielt gequält. „Du Sklaventreiber.“
 

Die Stunden bis zu ihrer Abfahrt am Nachmittag vergingen wie im Fluge. Sie suchten sich ihre Wege durch die nähere Umgebung und fuhren zumeist nur kleinere und nicht so steile Hänge hinunter, schließlich gab es keinen Lift, mit dem sie die Anhöhen wieder hinter sich bringen konnten und sie mussten zu Fuß gehen. Als sie zwischendurch eine Pause einlegten, schafften Omi und Ken es sogar eine Schneeballschlacht anzuzetteln und die beiden anderen darin zu verwickeln. Nicht einmal Aya konnte leugnen, dass ihm dieser Tag nicht doch noch Spaß gemacht hätte, auch wenn er wie immer versuchte, es zu verbergen.

Die ganze Heimfahrt über umspielte ein unbeschwertes Lächeln Omis Lippen, keines seiner aufgesetzten fröhlichen Gesichter. Obwohl sie hauptsächlich ihrer Mission wegen hier heraus gefahren waren, hatte der Junge es sehr genossen die Zeit nur mit seinen Freunden zu verbringen und er hoffte inständig, dass sie alle noch etwas davon mit nach Hause nahmen. Vielleicht hatte sie es wieder ein wenig näher aneinander herangeführt und das Gespräch vor dem Kamin war nicht umsonst gewesen, so dass sie auch in Zukunft mehr für einander da waren.

„Dieser Ausflug hatte doch etwas für sich“, stellte auch Farfarello fest. „Ich glaube, er hat Weiß noch etwas enger zusammen geschweißt.“

„Good Vibrations, was?“, fragte Schuldig mit einem zufriedenen Lächeln. „Ja, so etwas empfange ich da im Moment auch.“

Nagi sah ebenso wie sein Schützling aus dem Fenster und hing seinen Gedanken nach. Auch er hatte etwas Angenehmes von diesem Wochenende gehabt. Er hätte sich nur gewünscht, dass Brad oder einer der anderen sich mal etwas früher mit ihm beschäftigt hätte. Aber wie sagte man so schön? Besser spät, als nie. Schließlich hatten sie jetzt, wo es für ihr Leben bereits zu spät war, auch noch die Gelegenheit ihre Einstellung für die Ewigkeit zum Besseren zu wenden.

Unerwünschte Zwischenfälle

Wir sind keine Engel
 

Kapitel 10: Unerwünschte Zwischenfälle
 

Wieder in Tokyo angekommen kümmerten sich Weiß noch um den Feinschliff ihrer bevorstehenden Mission. Gemeinsam gingen sie noch einige Male die Unterlagen durch und prägten sich das Aussehen ihrer Zielpersonen sowie den Grundrissplan des Geländes inklusive Gebäude genau ein.

„Also hier unten sind ein paar Büros. Die Räume in den oberen Geschossen dürften hauptsächlich aus Schlafzimmern sowie Bädern bestehen“, erklärte Omi. „Da wir sowieso wie immer nachts zuschlagen, dürfte im unteren Teil des Hauses alles ruhig sein. Sollte doch noch jemand fleißig sein, sehen wir das ja sofort.“

„Im Prinzip können wir es uns dann ja sparen, unten alles durch zu forsten“, stellte Yohji fest. „Sehe ich das richtig?“

Aya nickte. „Wir gehen trotzdem unten rein und arbeiten uns dann nach oben.“

„Ich hoffe nur, die Informationen stimmen und die Drei sind nächste Woche wirklich dort“, meinte Ken und zweifelte noch ein wenig daran. Bisher waren die Informationen, die sie von Kritiker erhielten immer korrekt gewesen, aber es gab schließlich für alles ein erstes Mal.

„Sie werden schon stimmen“, bekräftigte der blonde Junge nochmals. „Außerdem denke ich, dass wir nicht jedes Zimmer durchsuchen müssen. Wenn wir den Überwachungsraum für die Kameras finden, können wir gezielt zuschlagen.“

„Gut, wir werden uns aufteilen“, bestimmt der Rotschopf und deutete auf den Grundriss. „Die Drei werden bestimmt nicht alle zusammen hocken. Omi und ich werden den vorderen Teil des Hauses durchkämmen. Ken, du nimmst mit Yohji den rückwärtigen Teil. Es gibt zwei Treppen und falls jemand das Weite suchen will, schneiden wir ihm direkt den Weg ab. Wir halten über Funk Kontakt.“

Der Playboy nickte. „Das sollte wohl dann keine Probleme machen. Wir treffen uns also im obersten Stockwerk wieder und nehmen von dort die Seilbahn über den See.“

„Ja“, bestätigte Omi und ergänzte, „ich schieße den Draht mit meinem Bogen hinüber zu diesem Baum hier, den wir vorher noch präparieren müssen. Schließlich muss der Pfeil unser Gewicht tragen. Vielleicht nehme ich aber auch besser die Armbrust, das muss ich erst ausprobieren.“

„Was ist, wenn es nicht funktioniert?“, fragte Ken. „Wenn du die falsche Stelle triffst? Oder wir zu schwer sind?“

„Dann haben wir ein Problem. Aber keines mit dem wir nicht fertig würden.“ Der blonde Junge lächelte, er wusste, was er tat und war sich daher sicher, dass auch dieser Plan einwandfrei klappen würde. Er würde sowieso keinen gewöhnlichen Pfeil verwenden, sondern wohl eine Art Enterhaken mit Greifmechanismus konstruieren und einsetzen.

„Und wenn das der Fall sein sollte, dann sind immer noch wir da, um euch die Haut zu retten“, meinte Farfarello.

Brad nickte. „Das schon, aber sie wissen es schließlich nicht und planen daher alle Eventualitäten mit ein. Ich finde, das ist auch besser so. Wenn sie sich selbst absichern, ist es nicht so auffällig, wenn wir eingreifen müssen.“
 

Die darauf folgende Woche verlief in den gewohnten Bahnen. Omi ging zur Schule und die anderen drei Weiß-Mitglieder kümmerten sich um den Blumenladen. Ihre Fassade musste schließlich immer aufrechterhalten werden.

Der lange ersehnte Tag ihres Aufbruchs war endlich gekommen und die vier Assassins waren erleichtert. Es gab nichts schlimmeres als terminabhängige Missionen, die sich aufgrund der Umstände unnötig in die Länge zogen. Das Koneko sumu le wurde an diesem Tag bereits um die Mittagszeit geschlossen und Ken hängte ein Schild ins Fenster: ‘Wegen Inventur vorübergehend geschlossen‘. Auch Omi wurde vom Nachmittagsunterricht freigestellt, Krankheiten konnte er mittlerweile meisterhaft vortäuschen.

Am Nachmittag saßen sie mitsamt ihrer Ausrüstung in einem gemieteten Geländewagen mit Allradantrieb und fuhren damit zur Villa Weiß. An Schneeketten hatten sie vorsichtshalber ebenfalls gedacht.
 

Bei Einbruch der Nacht im Schutz der Dunkelheit und der Bäume, bezogen Weiß Stellung am Rande ihres Zielortes. Der Himmel war von dichten, grauen Wolken verhangen, die den Mond verdeckten, so dass dieser kaum Licht spendete. Allein ihre Nachtsichtgeräte erlaubten es Weiß ihre Umgebung genau wahrzunehmen und sich keine Fehltritte zu leisten.

Omi traf noch einige Vorkehrungen, damit ihr Weg über den See nicht als ungewolltes Eistauchen endete. Nachdem er nochmals alles überprüft hatte, legte der die Armbrust an und schoss einen eigens für dieses Unterfangen angefertigten Enterhaken auf die andere Seite. So spannte er von einem Baum aus einen Draht über den unter Hochspannung stehenden Zaun und den dahinter liegenden See hinüber zu dem Herrenhaus.

Nacheinander rutschten die vier Assassins an dem Draht hinüber. Als alle wieder festen Boden unter den Füßen hatten, wickelte Omi den Draht wieder mit Hilfe einer kleinen Spule auf.

Sie schlichen sich zur Terrassentür und Yohji machte sich direkt zusammen mit dem blonden Jungen daran, das Schloss aufzubrechen und die Alarmanlage zu umgehen. Bereits nach wenigen Minuten sprang die Tür lautlos nach innen auf.

Aya nickte und bedeutete den anderen voraus zu gehen. Er bildete das Schlusslicht und schloss die Tür wieder ebenso leise, wie sie geöffnet wurde. Dann folgte er Omi und gemeinsam machten sie sich daran, das Erdgeschoss auf der einen Seite bis zum Vordereingang zu durchsuchen.

Ken und Yohji übernahmen die andere Seite. Doch wie sie bereits angenommen hatten, befanden sich auf ihrer Seite dieser Etage lediglich verlassene Büroräume. Ihre Zielpersonen mussten sich also weiter oben aufhalten.

In einem der letzten Räume, die sie überprüften, entdeckte der Weiß-Leader den Überwachungsraum für die Videokameras. Vor einem Schaltpult mit einer Wand voller Monitoren saßen zwei Männer mit Headsets. Auf einem der Bildschirme waren Ken und Yohji zu sehen, wie sie am Fuße der Treppe auf die Statusmeldung der anderen warteten.

„He, sieh mal hier“, meinte der Ältere der beiden Wachmänner und deutete auf den entsprechenden Bildschirm. „Wir haben Besuch.“

Während der andere eine Eindringlingsmeldung über die Sprechanlage an wohl noch anderes Personal weiter gab, huschte Omi an Aya vorbei und warf mit zwei Darts auf die am Schaltpult sitzenden Personen. Das Betäubungsmittel wirkte unmittelbar, nachdem die Pfeilspitze unter die Haut gedrungen war.

„Sie töten wirklich nicht unbedacht“, stellte Nagi fest. „Wenn es nicht sein muss, suchen sie eine andere Lösung.“

Brad nickte zustimmend. „Sie bringen nur denen den Tod, bei denen sie das Todesurteil von Kritiker vollstrecken sollen. Vielleicht ist das sogar vernünftig.“

„Ja, wenn man uns mal so im Vergleich ansieht und was aus uns geworden ist, ist es das wohl.“

Der Amerikaner lachte kurz leise und freudlos auf. „Ironie des Schicksals. Sorgen wir einfach dafür, dass ihnen möglichst nicht dasselbe droht wie uns.“

Die beiden Weiß-Assassins hoben die schlafenden Wachleute aus ihren Stühlen und legen sie auf den Boden. Sie zu fesseln hielten die Beiden nicht für nötig, da das Betäubungsmittel sehr wirksam war und für einige Stunden anhalten würde. Weiß würden längst über alle Berge sein, wenn die Männer wieder zu sich kamen.

Omi setzte sich danach an das Schaltpult und begann damit, bei den Bändern auf denen Weiß bereits zu sehen war, die entsprechenden Stellen zu löschen. Aya setzte sich zu ihm und gemeinsam suchten sie jeden Bildschirm nach ihren Zielpersonen ab.

„Ich glaube, hier ist einer“, flüsterte der blonde Junge nach einem kurzen Augenblick. „Im zweiten Stock, es ist das zweite Zimmer rechts von der hinteren Treppe aus gesehen.“

„Gut, den übernehmen Siberian und Balinese“, beschloss der Rotschopf, schaltete die Funkverbindung ein und teilte den Beiden die Position mit. „Es sind noch zwei Jungen mit im Zimmer. Passt also auf.“
 

„Hast du das auch eben gespürt?“, fragte Nagi irritiert.

Der Amerikaner sah ihn fragend an und schüttelte mit dem Kopf. „Nein, was denn?“

„Das hat sich angefühlt, als ob jemand durch mich durch gegangen wäre, genau wie bei Farfarello und Schuldig auf dieser Yakuza-Yacht“, erklärte der Jüngere und überlegte kurz. Vielleicht hatte es ebenso etwas mit dem Zwischenfall bei der letzten Mission zu tun.

Brad sprach Nagis Gedanken aus. „Vielleicht ist dieser Typ mit den weißen Haaren hier. Du weißt schon, von der letzten Mission, der auf einmal aus dem Nichts aufgetaucht ist.“

„Da hab ich auch gerade dran gedacht. Wenn der hier ist, dann sind vielleicht die anderen Drei auch irgendwo in diesem Haus. Und das bedeutet, Weiß könnten ganz schön Probleme kriegen.“

„Wir müssen Schuldig und Farfarello darüber informieren“, meinte der Schwarzhaarige und nickte zustimmend.

„Und wie? Ich glaube nicht, dass Schuldig gerade in unseren Gedanken herumspukt oder offen für sie ist. Er wird sich wahrscheinlich auf Yohji konzentrieren.“

Brad nickte wiederum. „Einen Versuch ist es trotzdem Wert. Ich lasse mal meine mentale Barriere fallen, vielleicht bekommt Schuldig dann doch unwillkürlich meine Gedanken mit.“ Eben dies setzte er auch sogleich in die Tat um und dachte sehr konzentriert an Schuldig. Dieser schien das allerdings nicht zu bemerken oder ignorierte es einfach, da er nicht reagierte. „Er redet nicht mit mir.“

„Und wie sagen wir es dann den beiden?“, fragte der braunhaarige Junge. „Ich meine, Weiß werden sich wohl erst irgendwo weiter oben wieder treffen.“

Der Amerikaner überlegte kurz und meinte dann: „Ich hätte da eine Idee, aber ich weiß nicht ob das machbar ist. Wir könnten eines ihrer Funkgeräte einschalten und so einfach mit den anderen reden. Menschen sollten uns ja nicht hören können.“

Nagi sah den Älteren ein wenig zweifelnd an. „Aber sie merken es doch, wenn das Funkgerät an ist, das gibt doch dann so ein Rauschen von sich.“

„Ja, da hast du Recht. Auch wenn sie uns nicht hören, werden sie bestimmt misstrauisch. Aber es gäbe da sogar noch eine andere Möglichkeit, denke ich. Ich weiß nicht, wie weit wir von unseren Schützlingen weg können, ich hab es nie ausprobiert mich von Omi sonderlich weit zu entfernen. Aber ich könnte es ausprobieren einfach mal zu Schuldig und Farfarello hinüber zu gehen, schweben oder was auch immer und es ihnen direkt zu sagen. Dann müsstest du so lange auf beide aufpassen.“

„Wir können es versuchen“, meinte der junge Japaner und nickte. „Ich werde ein Auge auf Omi haben. Jetzt kannst du ja mal testen wie schnell Schutzengel so sein können.“

Brad wandte sich auch schon ab und rannte aus dem Zimmer hinaus auf den Flur. Dann entschied er sich allerdings dafür nicht den komplizierten Weg über Flure und Treppen zu nehmen, sondern den direkten Weg durch die Wände. Dabei stellte er fest, dass er nicht einmal zu rennen brauchte, sondern sich auch so in Gedankenschnelle fortbewegte. Innerhalb weniger Sekunden war er bei seinem Ziel angekommen und tauchte vor den beiden anderen Schwarz-Mitgliedern aus dem Boden auf.

Die Zwei waren zunächst überrascht und musterten ihren Leader verwirrt. Dann fragten sie ihn, ob er nicht bei seinem Schützling sein müsste.

Der Amerikaner schüttelte den Kopf und erklärte ihnen kurz angebunden, worum es ging. „Sehr wahrscheinlich sind diese vier seltsamen Männer von der letzten Mission hier. Ihr wisst schon, wo auf einmal die Zeit stehen blieb und wie aus dem Nichts jemand auftauchte. Haltet die Augen offen, das könnte gefährlicher für Weiß werden, als gedacht. Und Schuldig? Wir sollten vielleicht besser in telepathischem Kontakt bleiben.“

„Alles klar, Brad“, sagte der Deutsche und nickte verstehend, ebenso wie Farfarello. Die Beiden würden darauf achten, ob sie einen der Männer wiedererkannten.

Nach dem kurzen Wortwechsel machte sich der Schwarz-Leader ebenso schnell wieder auf zu Omi, wie er zu seinen beiden Kollegen gekommen war.
 

Währenddessen hatte Omi auch die anderen Männer, die an diesem Abend ihr Leben lassen sollten, ausfindig gemacht. Beide waren im dritten, im obersten Stockwerk anzutreffen. Auch diese Information erhielten Yohji und Ken über Funk und suchten zunächst ihr Ziel im zweiten Stock auf.

Der Weiß-Leader erhob sich und wollte ebenfalls die oberen Etagen aufsuchen, als sein blonder Freund ihn allerdings zurück hielt.

„Willst du etwa, dass wir auf jedem Überwachungsband zu sehen sind? Ich muss hier erst noch etwas erledigen, dann können wir losschlagen.“

Sofort machte er sich eilig daran sämtliche Kameras auf Standbild zu schalten. Außerdem musste er, da Ken und Yohji bereits durchs Treppenhaus liefen, nochmals einige Bänder löschen. Nach vollbrachter Arbeit nickte er dem Rotschopf zu und gab so das Zeichen zum Aufbruch.
 

„Die brauchen aber ganz schön lange“, murmelte Xen missmutig und warf immer wieder Blicke auf seine Armbanduhr. Er stand in einer Ecke des Zimmers von Jigoku Gohan und wartete darauf, dass Weiß endlich auftauchten. Ihr Ziel sollte wenigstens einigermaßen das Gefühl haben von einem Bodyguard vor einer Übermacht an Feinden beschützt worden zu sein. So blieb ihm nichts weiter als abzuwarten und später sein schauspielerisches Talent zum Einsatz zu bringen. Hierfür würde er sich nicht einmal besonders anstrengen müssen, schließlich sollten Weiß ja für sie diese unnützen Männer beseitigen.

Über die telepathische Verbindung, die Payakootha die ganze Zeit über aufrecht erhielt bekam er von Phuong die Information, dass er in einigen Minuten Besuch von Balinese und Siberian bekommen würde. Endlich passierte etwas.

Schuldig ging durch die Wand direkt in das Schlafzimmer, keinen Körper zu haben erwies sich doch manchmal als ungemein praktisch. Wie von Brad angekündigt, war jemand im Raum der planmäßig überhaupt nicht dort sein sollte. Außerdem empfing der Deutsche sehr gezielte Gedankengänge, wie bei einer mentalen Kommunikation. Damit stand zweifelsfrei fest, dass diese Gruppe ebenfalls über einen Telepathen verfügte. Sofort sandte er eine Warnung an die anderen Schwarz-Mitglieder, da sie bereits bei zwei der vier Männer paranormale Fähigkeiten mit Sicherheit festgestellt hatten und sie bei dem Dritten, der ihr Anführer zu sein schien vermuteten, war die Wahrscheinlichkeit, dass auch der Letzte von ihnen eine außergewöhnliche Gabe besaß, sehr hoch. Und eben dieser Kandidat, den Schuldig als den Mann wieder erkannte, der bei der letzten Mission von Weiß sein Fahrzeug gegen eine Wand gesetzt und es dennoch überlebt hatte, stand nun in diesem Raum und schien auf die beiden Weiß-Assassins zu warten.

Bereits nach wenigen Augenblicken wurde die Tür sehr leise, langsam und vorsichtig geöffnet. Ohne Zweifel waren dies die fehlenden Partygäste, die sich jetzt nacheinander beinahe lautlos in das Zimmer schoben und Xens Vermutung bestätigten. Da dieser genau hinter der Tür an der Seite, zu der diese sich öffnete stand, konnten die Beiden ihn bei ihrem prüfenden Blick durch den Raum nicht sofort sehen. Also machte der grünhaarige Mann auf sich aufmerksam, indem er die Tür geräuschvoll ins Schloss stieß.

Ken drehte sich ruckartig um und bedachte den anderen Mann mit einem prüfenden Blick. Yohji schaute nur kurz hinter sich und wandte sich dann sofort wieder dem Bett zu, in welchem die Zielperson, die ebenfalls aufgeschreckt war, nun aufrecht saß. Die beiden Jungen von vielleicht zwölf oder dreizehn Jahren, die zu seiner Linken und seiner Rechten lagen, waren ebenfalls aufgewacht und betrachteten schlaftrunken ihre Umgebung, ohne wirklich etwas zu sehen, ihre Augen mussten sich erst an die Dunkelheit gewöhnen. Schuldig sorgte zusätzlich dafür, dass dies auch so blieb und sie nicht die Gesichter ihrer Schützlinge erkannten, denn dies würde ihr Todesurteil bedeuten.

„Weiß!“, rief Xen alarmierend. „Verschwinden Sie hier, Gohan-sama!“

Durch den Ausruf aufgeschreckt kam Leben in die drei im Bett sitzenden Personen und sie kletterten aus diesem. Die beiden Jungen konnten die Situation nicht vollständig realisieren, da ihnen einerseits der Name Weiß nichts sagte, doch schon allein der Tonfall nichts Gutes verhieß und andererseits der deutsche Telepath ihr Denkvermögen beeinträchtigte und sie zur schnellen Flucht antrieb. Sie waren gelenkiger und flinker als ihr sogenannter Kunde und schafften es daher die Distanz zur Badezimmertür in aller Schnelle zu überwinden. Da nicht ihnen die Aufmerksamkeit der Attentäter galt, konnten sich die Jungen ungehindert ins Bad flüchten. Die Türe schlossen sie hinter sich ab und hockten sich in die hinterste Ecke des Zimmers, sie schlangen verängstigt die Arme umeinander und warteten, den Blick auf den einzigen Ein- und auch Ausgang des Raumes gerichtet.

Jigoku Gohan jedoch war durch sein Übergewicht etwas schwerfälliger und konnte mit seinen Gespielen nicht Schritt halten. Gerade als er aus dem Bett gestiegen war, spürte er, wie sich etwas Dünnes und Kühles um seinen Hals legte.

Yohji reagiert sofort und setzte sein Haradshiki ein. Die Zielperson durfte nicht entkommen und so wickelte sich nun das dünne Metall um den Hals seines Opfers, zog sich immer mehr zusammen, schnitt immer tiefer in das Fleisch und schnürte dem Mann langsam die Luft ab.

Währenddessen waren Ken und Changeling nicht untätig geblieben. Der Braunhaarige hatte seine Bugnuks ausgefahren und war damit auf den anderen Mann losgegangen. Dieser erwies sich allerdings als äußerst geschickt im Ausweichen und parierte die Hiebe mit zwei Messern deren Klingen etwa zwanzig bis dreißig Zentimeter maßen. Darauf vertrauend, dass Yohji sich ihrem eigentlichen Ziel widmete, drängte Ken den Angreifer immer weiter zurück und schon bald standen sie im Flur über den das metallische Klirren der Klingen in die Stille hallte. Farfarello unterstützte seinen Schützling, führte seine Waffen und hielt die des Gegners von ihm fern.

Xen amüsierte sich über die Bemühungen des anderen, zwar war dieser ohne Zweifel gut, aber für ihn nicht gut genug. Für den Grünhaarigen war dieser Kampf ein Spiel, ein Zeitvertreib, er nahm nur selten etwas wirklich ernst. Neben den Geräuschen der aufeinander treffenden Waffen lauschte er aufmerksam darauf, was weiter in dem Schlafzimmer passierte.

Der Draht wickelte sich unter Yohjis Zug immer straffer um den fleischigen Hals seines Opfers. Der Assassin lauschte auf die röchelnden Geräusche, die der andere von sich gab und beobachtete wie dieser nach kurzer Zeit die Augen nach hinten verdrehte, so dass man nur noch das Weiße darin sehen konnte. Der honigblonde Mann wickelte seinen Draht wieder auf und ließ den leblosen Leib so zurück aufs Bett sinken.

Als Xen diese verräterischen Geräusche vernahm, ließ er sich weiter von Ken zurück drängen, so dass dieser sich in Sicherheit wog. In einem kurzen Augenblick in dem der Weiß-Assassin nur für den Bruchteil einer Sekunde nicht mit voller Konzentration bei der Sache war, stieß Changeling ihn zurück und verschwand in dem dunklen Korridor. Ken prallte gegen die Wand und rappelte sich leise fluchend wieder auf.

Farfarello schüttelte verständnislos den Kopf. „Wie kann man sich nur so übertölpeln lassen? Aber wenigstens haben wir ihn in die Flucht geschlagen. Immerhin etwas.“

In diesem Moment kam auch Yohji aus dem Schlafzimmer, schloss die Tür hinter sich und sah den braunhaarigen Mann fragend an. „Ziel eins liquidiert, Zeugen dürfte es keine geben, ich denke nicht, dass die Jungs etwas mitbekommen haben. Sag Abyssinian aber Bescheid, dass es Probleme geben könnte. Scheinbar war das ein Bodyguard von Gohan. Mich wundert allerdings, dass er wusste, wer wir sind.“

„Das frage ich mich auch. Ich glaube, den Kerl hab ich schon mal gesehen“, meinte der ehemalige Torwart und aktivierte sein Funkgerät, um Aya leise von dem Vorfall zu berichten.
 

„Verstanden. Abyssinian Ende“, flüsterte der Rotschopf und beendete das Gespräch.

Dann nickte er Omi zu und deutete auf die Tür vor ihnen. Dahinter befand sich ihre zweite Zielperson, Mika Samejima. Durch Kens Warnung waren sie auf einen unerwünschten Zwischenfall vorbereitet. Der blonde Junge zückte einige vergiftete Dartpfeile und drehte leise den Türknauf bis die Tür einen Spalt weit aufsprang. Aya zog lautlos das Katana aus der Scheide, stieß die Tür gänzlich auf und betrat als erster den Raum.

In diesem Moment flimmerte für den Bruchteil einer Sekunde eine Vision vor Brads geistigem Auge. Zwar war sie zur kurz gewesen, um Details herauszufiltern, aber sie hatte doch genug gezeigt. Er wandte sich ohne Umschweife an Nagi. „Unsere Vermutung war richtig. Da drin wartet schon einer auf uns. Und wenn Schuldigs Vermutung stimmt, ist er ebenso ein Telepath wie er.“

Der junge Japaner nickte verstehend. „Wir sind in der Überzahl. Ich werde ihn schon beschäftigen, falls er etwas Dummes versuchen sollte.“

„Aber denk bitte daran: Nicht zu auffällig“, ermahnte der Amerikaner ihn nochmals, obwohl dies kaum nötig gewesen wäre. Sein junger Kollege wusste, was er tat und ihm klangen auch immer noch die Worte des jüngsten Gerichts und des Erzengels Michael im Ohr.

Nachdem der Rotschopf über die Schwelle getreten war, drehte er sich sofort zur Seite, damit Omi ihm folgen konnte. Mit den Augen suchte der Weiß-Leader den Raum ab und wie sie bereits durch die Videokamera gesehen hatten, lag ihre Zielperson allein im Bett und schlief tief und fest. Was ihn allerdings störte war die zweite Person in dem Raum, die vorher nicht dort gewesen war.

Auf einem bequemen Stuhl an einem kleinen, runden Kaffeetisch saß ein junger Mann mit braunem Haar und sah Aya scheinbar direkt mit seinen grünen Augen an, obwohl er anders als die Weiß-Assassins kein Nachtsichtgerät oder irgendein anderes technisches Hilfsmittel trug. Er hatte die Beine lässig über einander geschlagen und die Hände auf dem Knie gefaltet. Payakootha lächelte wissend, als nur kurz nach dem Rotschopf das jüngste Weiß-Mitglied ebenfalls den Raum betrat.

In einer raschen, geschmeidigen Bewegung stand Payakootha auf und brachte noch einige Schritte zwischen sich und die Eindringlinge. „Weiß!“, rief er dann und sorgte mit seinen mentalen Fähigkeiten dafür, dass Mika Samejima augenblicklich erwachte und sich im Bett aufsetzt. Schließlich sollte er ruhig mitbekommen, wer oder was sein Leben beendete. Er griff zu der Halterungsschlaufe an der rechten Seite seines Gürtels und nahm seine beiden Tomahawks zur Hand. Schließlich war Spirit als Mitglied von Mißgunst derzeit der offizielle Bodyguard des im Bett liegenden Mannes und konnte als solcher selbstverständlich nicht zulassen, dass Attentäter ihm etwas zuleide taten. Andererseits sollten Weiß auch nicht das Gefühl haben, als sei er nur hier um dabei zuzusehen, wie sie ihren Auftrag erfüllten.

Mit einem Schrei, der verdächtig nach einem fremdländischen Schlachtruf klang, ging der braunhaarige Mann auf Aya los, welcher diesen ersten Angriff mit seinem Katana erfolgreich abblockte und sich daraufhin ein brisanter Schlagabtausch entwickelte. Nagi wich seinem Schützling dabei nicht von der Seite und sorgte mit seinen telekinetischen Fähigkeiten dafür, dass nur die Waffen sich trafen und niemand verletzt wurde.

Omi konzentrierte sich stattdessen auf ihre eigentliche Zielperson, die sich nun anschickte aus dem Bett zu steigen und fluchtartig das Zimmer zu verlassen. Soweit ließ der blonde Junge es allerdings nicht kommen und zielte mit seinen Dartpfeilen auf Mika Samejima, der nur wenige Sekunden danach tot zusammenbrach. Da sie keine Spuren hinterlassen durften, sammelte der Assassin die Pfeile wieder ein.

Als Spirit gewahr wurde, dass Weiß ihre Arbeit bereits schnell und sauber erledigt hatten, zog er sich langsam von Aya zurück, schließlich war er für sie im Augenblick ein störender Zeuge, der sie identifizieren konnte. Er wandte sich von seinem Widersacher ab und verschwand in der Dunkelheit des Korridors.

„Er wird Alarm schlagen“, meinten Omi und Nagi beinahe gleichzeitig, als sie den Raum verließen.

Brad schüttelte nur den Kopf. „Nein, das wird er nicht. Weiß wird nach der Beseitigung ihrer letzten Zielperson wieder auf ihn stoßen.“

„Bist du dir da sicher?“, fragte der junge Japaner mit einem Hauch von Zweifeln in der Stimme.

In Anbetracht dieser ungewohnten Skepsis in Bezug auf seine Fähigkeiten zog der Amerikaner vorwurfsvoll eine Augenbraue nach oben. „Natürlich bin ich mir da sicher. Ich habe es schließlich gesehen.“

Aya nickte allerdings, da er der gleichen Auffassung war, wie sein junger Freund. „Und darum sollten wir unseren Job schnellstens erledigen.“

Er schaltete sein Funkgerät ein. „Abyssinian an Balinese. Meeting in zwei Minuten.“
 

Ken und Yohji warteten bereits im Dunkeln verborgen in einer Nische unweit des Zimmers ihres letzten Zieles. Der honigblonde Mann raunte nur eine kurze Bestätigung durch das Funkgerät und gab seinem Freund ein Zeichen, dass es an der Zeit war zur nächsten Etappe zu schreiten.

Nur wenige Augenblicke später trafen sich Weiß vor der Zimmertür von Eiji Yamamotos Gemach. Alle hatten bereits ihre Waffen gezückt und Aya wollte gerade die Tür öffnen, als Yohji ihn am Arm zurück hielt.

„Warte kurz. Irgendetwas sagt mir, dass wir es hier mit vier Leuten zu tun haben, auch wenn wir vielleicht nur drei sehen“, meinte er im Flüsterton.

„Nicht irgendetwas, sondern irgendwer und zwar ich“, warf Schuldig ein, obwohl er wusste, dass diese Korrektur sowieso nichts brachte. „Manchmal solltest du dein hübsches Köpfchen auch mal für andere Dinge benutzen als zum flirten.“

Nagi zog eine Augenbraue nach oben. „Solche Worte von dir? Hast du nicht vor kurzem noch gesagt, er wäre cleverer als man annimmt?“

„Ja, das habe ich gesagt“, räumte der Deutsche ein und seufzte leise. „Aber es ist schon irgendwie deprimierend, dass sie überhaupt nichts von uns mitbekommen.“

„Das ist nun einmal so festgelegt und wir dürfen nichts daran ändern, also finde dich endlich damit ab. Außerdem machst du, glaube ich, sowieso schon zu viel auf dich aufmerksam“, meinte Brad.

„Aber ich mache das doch nicht zu meinem Vergnügen“, verteidigte sich der langhaarige Mann und setzte in Gedanken hinzu, zumindest nicht immer. „Ich mache das um ihm und Weiß das Leben etwas zu erleichtern.“

„Ja, ist ja schon gut. Zugegeben hätten sie ohne dich die letzte Mission wohl ziemlich in den Sand gesetzt oder eher gesagt ihr Leben verspielt. Aber jetzt genug davon. Mister Yamamoto ist auch nicht alleine und gleich wird noch Besuch dazu kommen.“

„Wie kommst du denn darauf?“, wollten die anderen drei Weiß-Mitglieder wissen und musterten den anderen fragend.

Der Playboy schüttelte kaum merklich den Kopf. „Nur so ein Gefühl, aber seid vorsichtig.“ Damit ließ er Ayas Arm wieder los und dieser öffnete geräuschlos die Tür.

Der dahinter liegende Raum war ebenso dunkel wie der Rest des Hauses. Die Assassins betraten ihn nacheinander und sicherten ihn zu allen Seiten hin, aber es schien wider erwarten niemand anderes als Eiji Yamamoto im Raum zu sein.

Ken schlich auf leisen Sohlen neben das Bett und fuhr an der rechten Hand seine Bugnuks aus, mit der linken zog er die Bettdecke weg und wurde kraftvoll weggestoßen. Verwundert taumelte der ehemalige Torwart einige Schritt zurück, fing sich aber schnell wieder und beobachtete wie ein schwarzhaariger, junger Mann aus dem Bett sprang und eine Waffe auf ihn richtete.

„Wenn sie Yamamoto-sama suchen“, begann er mit kalter, schneidender Stimme und einem Akzent, der verriet, dass er kein Japaner war, „der ist im Moment leider etwas unabkömmlich und musste dringend das Badezimmer aufsuchen.“

„Kann es sein, dass du deine Zukunftsguckerchen mal wieder putzen solltest, Braddy?“, stichelte Schuldig. „Das war ja wohl nichts.“

Der Amerikaner schüttelte irritiert den Kopf, es war das erste Mal, dass eine seiner Visionen unzutreffend war. „Gerade vor einigen Minuten war er noch alleine. Und nenn mich gefälligst nicht Braddy!“

„Könnte es nicht auch sein, dass dieser Kerl daran schuld ist?“, warf Nagi ein. „Das ist doch derjenige, der die Zeit angehalten hat, wenn ich mich richtig erinnere. Wisst ihr noch was der andere gesagt hat? Gib ihm seine Zeit wieder. Vielleicht hat er gerade einfach alles geändert.“

Viel Zeit darüber zu debattieren blieb Schwarz allerdings nicht. Omi hatte die Initiative ergriffen und mit einem Dartpfeil nach dem bewaffneten Mann geworfen. Dann geschah allerdings etwas, dass sowohl Weiß als auch Schwarz nicht schlecht staunen ließ: Der Dartpfeil verharrte einige Zentimeter vor seinem Ziel in der Luft.

„Da müsst ihr euch schon etwas besseres für mich einfallen lassen“, meinte Yukio kühl, griff nach dem kleinen Geschoss und drehte es einfach in der Luft um, so dass es nun auf Omi zielte. „Was glaubst du? Was passiert, wenn für diesen Dart die Zeit weiter läuft?“

„So ein Angeber“, meinte Nagi kopfschüttelnd. „Das kann ich auch und ich muss dem dämlichen Dart dazu nicht mal anfassen. Der hält sich wohl für ne ganz große Nummer, dabei ist das, was er da macht, doch kein Kunststück.“

„Du kannst zwar den Dart anhalten, Nagi“, antwortete Brad gelassen, „aber nicht die Zeit. Omis Pfeil steht für alles andere, er könnte genau so gut dafür sorgen, dass Weiß einfach stehen bleiben. Vielleicht kann er auch noch andere Sachen mit der Zeit anstellen, sie zum Beispiel schneller oder langsamer laufen lassen. Wir wissen es nicht, also mach nicht den Fehler ihn zu unterschätzen.“

Den Moment in dem die Aufmerksamkeit des Störenfrieds auf Omi ruhte, nutzte Aya dazu ins Badezimmer zu stürzen, um sich um ihre eigentliche Zielperson zu kümmern, wodurch die kleine Unterhaltung von den beiden Schutzengeln unterbrochen wurde. Wenn der Auftrag damit erledigt war, dass ihr drittes Ziel eliminiert war, mussten sie nicht noch Zeit mit diesem Mann verschwenden, sondern konnten schleunigst verschwinden.

Eiji Yamamoto drehte sich erschrocken zu Aya um, als die Tür aufflog und er mit erhobenem Katana das Bad betrat. Scheinbar hatte er bisher nichts von Weiß eindringen mitbekommen. Die Augen vor Erstaunen und Fassungslosigkeit weit aufgerissen wich er von dem rothaarigen Mann zurück. Sein vermeintlicher Fluchtversuch wurde jedoch gebremst, als er spürte, wie sich das Waschbecken in seinen Rücken bohrte und es kein Weiterkommen mehr gab.

„Wer sind Sie? Was wollen Sie von mir?“, fragte er in einem letzten, verzweifelten Versuch mit dem Assassin zu verhandeln, obwohl er sich vorstellen konnte, dass dieser nur hier war um sein Leben zu beenden.

„Nur ein Mörder“, antwortete Aya knapp und war mit einem Satz bei seinem Opfer.

„Aber ich ...“ Der Rest des Satzes endete in einem qualvollen Gurgeln, als die blanke Klinge des Katanas sich ihren Weg durch den Hals und über den Brustkorb von Eiji Yamamoto suchte und den roten Lebenssaft über den weißen Marmor der Badezimmereinrichtung verspritzte.

Mit einem dumpfen Platschen viel der tote Körper zu Boden und eine schnell größer werdende Blutlache breitete sich auf diesem aus. Aya wandte sich ab und wischte mit einem Handtuch die rote Körperflüssigkeit von seiner Waffe, um sie daraufhin wieder in der dafür vorgesehenen Schwertscheide verschwinden zu lassen. Das verschmierte Handtuch ließ er achtlos zu Boden fallen und eilte wieder in den Nebenraum, wo seine Freunde noch mit dem Bodyguard beschäftigt waren.

„Keine Zeit zum Spielen“, sagte er kühl, als er sah, dass die drei anderen Weiß-Mitglieder den schwarzhaarigen Fremden zurück gedrängt hatten. „Mission erfolgreich, wir verschwinden.“

Ohne Yukio den Rücken zuzuwenden verließen Weiß eilig das Zimmer und verschlossen die Tür, so dass er nicht herauskommen und ihnen folgen konnte.

Omi lief den anderen voraus und steuerte ein Zimmer auf der anderen Seite des Gebäudes an. Laut seinem Lageplan und den Bildern der Überwachungskameras, war es nichts weiter als ein Abstellraum. Er öffnete die Tür und blieb abrupt verwundert stehen, so dass Ken, der direkt hinter ihm her spurtete gegen ihn prallte und sie beide zum taumeln brachte und der blonde Junge schließlich zu Boden fiel.

„Na, na, wer hat es denn da so eilig?“, säuselte eine tiefe Männerstimme lieblich. „Ihr wollt uns doch nicht etwa schon verlassen, oder doch?“

„Sorgt dafür, dass Weiß ihre Nachtsichtgeräte abnehmen! Sofort!“, rief Brad plötzlich. „Nicht fragen, tut es einfach!“

Schuldig reagierte sofort und schickte reflexartig an alle den Gedanken aus, dass es besser sei sich jetzt von den High-Tech-Brillen zu trennen. Nagi sorgte dafür, dass Weiß auch diesem mentalen Befehl nachgaben und lockerte die Halterungen, so dass die Nachtsichtgeräte verrutschten.

Keine Sekunde zu früh machten sich die vier Assassins daran, ihre Brillen auszuziehen. Der Überraschungsgast in dem Raum ließ seine Finger zum Lichtschalter wandert und mit einem leisen Klicken leuchtete im nächsten Moment die Lampe auf und erhellte den Raum. Jetzt konnten Weiß auch erkennen, wer sie begrüßt hatte: ein mittlerweile nur allzu bekannter, sarkastisch grinsender Mann mit grünem Haar.

„Ah! Verdammt!“, schrie Ken als einziger auf, als es hell in dem Zimmer wurde. „Ich kann nichts mehr sehen!“ Er hatte seine Brille nicht schnell genug von den Augen gezogen und wurde so durch das vielfach verstärkte Licht geblendet. Das Nachtsichtgerät fiel klirrend zu Boden und die Gläser zersprangen, was Xen ein noch gehässigeres Lächeln entlockte.

Omi kam schnell wieder auf die Beine, zückte einige Dartpfeile und trat sofort bei Seite, um den anderen Weiß-Mitgliedern Platz zu machen. Dieser Kerl wollte sie offensichtlich daran hindern, sich aus dem Staub zu machen, was für den blonden Jungen an sich nichts Verwunderliches war, die Tatsache, dass er jedoch wusste wie und geradezu auf sie gewartet hatte, machte ihm Sorgen. Auch Yohji und Aya machten sich sofort dazu bereit, sich ihren Weg in die Freiheit notfalls zu erkämpfen und zogen ebenfalls ihre Waffen, wobei der Rotschopf Ken allerdings erst einmal zur Seite und außer Reichweite ihres grünhaarigen Gegners schob. Solange der Fußballer nichts sehen konnte, war er ein leichtes Ziel und ein Hindernis zugleich. Sehr zum Bedauern der anderen Weiß-Mitglieder konnte dieser Zustand der vorübergehenden Blindheit durchaus einige Minuten anhalten. Zeit, die sie vielleicht nicht hatten.

„Es ist unhöflich eine Party zu verlassen, ohne sich zu verabschieden“, erklang vom Flur her noch eine Männerstimme. Sie wies den gleichen, verräterischen Akzent auf, wie ihn der schwarzhaarige Mann im Schlafzimmer von Eiji Yamamoto hatte.

Als die beiden ältesten Weiß sich halb zum Flur drehten, ohne dabei jedoch den ersten Störenfried aus den Augen zu lassen, um einen Blick auf den Neuankömmling zu erhaschen, bemerkten sie, dass dort zwei Männer standen. Außer der Tatsache, dass ihnen beide an diesem Abend bereits in dem Herrenhaus begegnet waren, kamen ihnen alle drei Männer wage bekannt vor, als hätten sie schon mal mit ihnen zu tun gehabt oder sie irgendwo, an einem anderen Ort bereits zuvor gesehen.

„Wenn man erst gar nicht eingeladen war, wäre es dreist es zu tun“, erwiderte Aya kühl.

Yukio schmunzelte leise. „Sieh an, da hat jemand Sinn für Humor.“ Er wurde wieder ernst und seine Gesichtszüge wiesen eine steinerne Härte auf. „Genug davon. Greift sie euch.“

Auf dieses Kommando hin zogen Xen und Payakootha ihre Waffen und kamen langsam aber bedächtig, wie Raubtiere, die ihre Beute umkreisen, auf Weiß zu.

Ken hatte mittlerweile sein Augenlicht weitestgehend wiedererlangt und stieß Omi beiseite, in Richtung Fenster. „Mach du unseren Ausgang klar. Wir kümmern uns um die hier.“

„Wie heldenhaft“, spöttelte den grünhaarige Mann und nahm damit Schuldig praktisch die sarkastische Bemerkung aus dem Munde. „Aber viel nützen wird es nichts. Ich glaube, wir waren unten gerade bei etwas bestimmten stehen geblieben. Ich glaube, es war das hier.“ Mit diesen Worten ging er auf Ken los und attackierte ihn mit schnellen und gezielten Hieben, die der Assassin mit seinen Bugnuks jedoch dank seinem Schutzengel wieder einmal problemlos parierte.

Auch die anderen waren nicht untätig geblieben. Yohji hatte mit seinem Draht Yukio die Waffe entrissen, so dass dieser nun mit den blanken Fäusten kämpfte. Praktisch direkt neben ihnen prallte ebenfalls Metall auf Metall, als Aya und Payakootha sich erneut duellierten. Beide Weiß-Mitglieder waren darauf bedacht und setzten alles daran, ihre neuen Feinde nicht zu ihrem jüngsten Mitglied durch zu lassen.

Omi hatte das Fenster währenddessen weit geöffnet und verkeilt, so dass es sich nicht durch einen Luftzug von selbst wieder schließen konnte. Ein Ende des stabilen Drahtes hatte er bereits sicher befestigt und zielte nun mit der Armbrust auf den präparierten Baum am anderen Ufer des Sees. Der erste Schuss musste ein Volltreffer werden, denn eine zweite Chance hatte er nicht. Der im Hintergrund tobende Kampflärm erschwerte die Angelegenheit allerdings, weil es ihn empfindlich in der Konzentration störte. Als er den von ihm konstruierten Enterhaken abschoss, schickte er ein Stoßgebet zum Himmel, er wollte sich nicht den Weg ins Freie erkämpfen müssen.

„Keine Sorge“, meinte Brad. „Das klappt schon. Zumindest hab ich nichts Gegenteiliges vorausgesehen.“

Der Haken traf wie berechnet die am Baum angebrachte Vorrichtung und wurde gespannt. Omi holte vier Schlaufen aus seiner Tasche hervor und drehte sich zu den anderen um. Wie er sehen konnte, hatte Ken immer noch alle Hände voll mit seinem Gegner zu tun. Aya und Yohji hatten es geschafft die beiden anderen Fremden draußen auf dem Flur zu behalten.

„Wir sollten uns verziehen“, rief der blonde Junge und holte einige seiner einfachen Dartpfeile hervor, mit Gift versehene hatte er nicht mehr.

Die beiden ältesten Weiß-Mitglieder folgten dem Ruf ihres Jüngsten und wandten sich von ihren Gegnern ab. Ehe Yukio und Payakootha hinter ihnen her in den kleinen Raum stürmen konnten, überwältigte der Fußballnarr Xen und stieß ihn den anderen beiden entgegen, so dass alle zurück auf den Flur taumelten. Reflexartig stieß Yohji die Tür zu, schloss sie ab und stellte einen Stuhl unter die Klinke.

„Ich glaube kaum, dass diese Typen dadurch aufgehalten werden“, zweifelte Nagi.

Schuldig verdrehte leicht die Augen. „Dann sorge du dafür, dass sie draußen bleiben. Du musst einfach nur die Tür zu halten, dass sollte ja für dich kein Problem darstellen.“

Der junge Japaner nickte. „Das sollte in Ordnung sein, so greife ich ja niemanden direkt an und nicht direkt ein.“ Solange sein Schützling mit im Raum war, konnte er dieses Hindernis aufrechterhalten.

„Und jetzt raus hier“, meinte Aya sachlich. „Bombay, warum bist du noch nicht weg? Ab mit dir.“

Er nahm dem Jungen die restlichen Schlaufen ab, gab ihm einen kleinen Schubs und beobachtete wie dieser an dem Draht hinunter auf die andere Seite des Sees und über den Zaun hinweg rutschte. Dann zog er Ken zu sich, gab ihm eine der Schlaufen und wies ihn an Omi zu folgen, was dieser auch sofort tat.

Als der braunhaarige Assassin gerade auf das Fensterbrett stieg vernahmen Weiß lautes Poltern an der Tür, die drei Ausgesperrten versuchten sich lautstark wieder Zutritt in den Raum zu verschaffen.

„Ich glaube, wir sollten uns mal etwas beeilen“, meinte Yohji woraufhin Ken sich sofort am Fenster abstieß und Omi folgte.

Aya warf Yohji eine der beiden verbliebenen Schlaufen zu und zuckte zusammen, als die Tür anfing zu splittert und die Klingen von Xens und Payakoothas Waffen sich durch das Holz bohrten. Jetzt wurde die Situation reichlich brenzlig und der honigblonde Mann sah sich nach etwas um, was er noch zusätzlich als Hindernis vor die Tür stellen konnte. Das einzige Möbelstück, was dafür allerdings geeignet zu sein schien, war ein Bücherregal an der gegenüberliegenden Wand. Da der Raum nicht allzu groß war, sollte das Regal die Tür blockieren, wenn man es einfach nach vorn kippte. Er wickelte seinen Draht ab und schlang ihn um den Einrichtungsgegenstand.

„Warum bist du immer noch hier? Mach, dass du raus kommst, Abyssinian“, meinte Yohji dann und nickte in Richtung des Fensters. „Ich blockiere die Tür und komme direkt hinterher. Und jetzt verschwinde.“

Mit einem Satz war auch der Rotschopf dann aus dem Fenster gestiegen und rutschte nun an der Überspannung hinunter zu Ken und Omi, die bereits ungeduldig auf ihre Freunde warteten und sich Sorgen machten.

Der Playboy zog mit seinem Draht das Regal nach vorne und kippte es gegen die Tür. Was die Entfernung anging, so hatte er sich allerdings verschätzt und das obere Ende des Möbelstückes lehnte nun in einem niedrigen Winkel gerade eben gegen den unteren Teil der Tür. Vom Flur her wurde weiter energisch gegen das Holz geschlagen, so dass dieses splitternd immer weiter nachgab und sich immer größere Löcher bildeten.

Yohji beeilte sich und war mit wenigen Schritten an das Fenster heran getreten. Aya hatte bereits die Hälfte der Strecke hinter sich gebracht und der Playboy hoffte, dass Omis Konstruktion stabil genug war, um zwei Personen zu tragen. Er schlang die Schlaufe um den Draht, der um einiges massiver war als der, den er als Waffe benutzt und stieß sich am Fensterrahmen ab, um den anderen in die Freiheit zu folgen.
 

Kurz nachdem sich Yohji aus dem Fenster geschwungen hatte, schafften Xen und Payakootha es mit ihren Waffen ein Loch in die Tür zu schlagen, welches groß genug war, um hindurch klettern zu können. Der grünhaarige Mann stieg als Erster durch die Öffnung und erfasste die neue Situation. Weiß waren anscheinend doch bereits entkommen, ohne dass sie ihnen einen größeren Denkzettel verpassen konnten.

Xen stürzte daraufhin zum Fenster und sah mit an, wie das letzte Weiß-Mitglied an einem Draht hinunter rutschte und so den See überwand, auf dessen anderer Seite, hinter der Abgrenzung seine Kollegen bereits auf ihn warteten.

„So kommst du mir nicht davon“, murmelte der Japaner und zog schnell ein weiteres Messer aus der Tasche, um den Draht damit zu kappen. Weiß sollten wissen, mit wem sie sich anlegten und dass nicht sie es waren, die dieses Spiel beherrschten.

Amüsiert beobachtete er, wie der honigblonde Mann in die Tiefe stürzte. „Hoffentlich kann er schwimmen und hat seine warme Unterwäsche an. Das könnte für ihn ein bisschen ungemütlich werden.“
 

Yohji spürte wie sie Spannung des Drahtes über seinem Kopf abrupt nachgab und ihn nun nichts mehr in der Luft hielt, um ihn am freien Fall in die Tiefe zu hindern. Der freie Fall von seinem derzeitigen, etwa zehn Meter über dem Boden oder eher gesagt der gefrorenen Wasseroberfläche, befindlichen Aufenthaltsort kam ihm unwirklich und beinahe wie in Zeitlupe vor. Er hörte sich selbst erschrocken aufschreien und beobachtete, wie sich die anderen drei Weiß-Mitglieder am Ufer gehetzt nach ihm umdrehten und seinen Namen riefen.

„Yohji!“, rief auch Schuldig entsetzt. Er reagierte in Gedankenschnelle, teleportierte sich direkt unter den honigblonden Mann und schloss schützend die Arme um ihn, um seinen Sturz abzufedern.

Hilflos mussten Weiß mit ansehen, wie der Älteste von ihnen fiel und durch die dicke Eisschicht brach. Durch den Aufprall und den Einbruch, den Yohji größtenteils mit der Schulter abfing, da er sich in der Luft gedreht hatte, spritzen Eissplitter und eisiges Wasser fontänenartig nach oben. Allerdings hatte er sich trotz seiner Bemühungen möglichst sachte aufzukommen, den Kopf angeschlagen und verlor vor den Bruchteil einer Sekunde das Bewusstsein. Das eiskalte Wasser ließ ihn jedoch schnell wieder zu sich kommen und im ersten Schockmoment verlor der Playboy unter Wasser vollkommen die Orientierung. Er wusste kaum noch wo oben oder unten, geschweige denn rechts oder links war und strampelte wild um sich, um zu versuchen einfach nur wieder an die Wasseroberfläche zu gelangen. Seine schwere Lederkleidung behinderte ihn allerdings sehr bei diesen Unterfangen und zog ihn wieder nach unten.

Schuldig wusste nicht genau, was er tun sollte, aber das er irgendetwas tun musste, damit sein Schützling nicht ertrank, stand zweifelsfrei fest. Er hielt ihn immer noch fest, neutralisierte den Abtrieb so gut es ging und versuchte ihn sachte wieder nach oben zu dirigieren.

Yohji blickte sich immer wieder um, auch wenn das Wasser in seinen Augen brannte und er seine Umgebung dadurch nur verschwommen wahrnehmen konnte. Aber so konnte er wenigstens anhand der Hell- und Dunkelunterschiede feststellen, dass er sich auf dem Richtigen Weg an die Oberfläche befand, was dadurch bestätigt wurde, dass er gegen etwas Hartes, Kaltes stieß. Die Eisdecke, ging es dem honigblonden Mann durch den Kopf, also musste hier irgendwie auch das Loch sein, durch das er wieder auftauchen konnte. Langsam spürte er, wie der Drang zu atmen immer stärker wurde, die Kälte tiefer in seine Glieder drang und anfing ihn zu lähmen.

„Halte durch, Yohji“, mahnte Schuldig ihn, nahm die Hände des anderen und führte sie an dem gefrorenen Wasser die wenigen Zentimeter bis zu der Öffnung entlang.

Als Yohji die Bruchstelle ertastete, fühlte er sich um einiges erleichtert, wenigstens würde er jetzt nicht mehr ertrinken, bestenfalls noch erfrieren.
 

„Yohji!“, riefen Weiß entsetzt, als sie sahen, wie der Älteste von ihnen durch das Eis brach.

„Verdammt! Wir müssen ihn da raus holen!“, meinte Ken und sah sich hektisch um. Jetzt war ihnen der Zaun im Weg und wenn sie versuchten, ihn zu überwinden, konnte sie durchaus einen tödlichen Stromschlag bekommen. „Wir müssen den Strom abschalten.“

„Bin ja schon dabei“, sagte Omi, rannte bereits los und zog dabei seine Armbrust hervor. Als er das Wachhaus auf der anderen Seite des Hauses sehen konnte, legte er seine Waffe an und zielte auf den Sicherungskasten für die Stromversorgung. Der Bolzen durchbohrte die Metallverkleidung des Kastens und durch die Beschädigung der empfindlichen Elektronik schlugen einige Funken aus dem Loch. Der Schütze beugte sich hinunter, nahm eine Hand voll Schnee vom Boden auf, presste ihn fest zu einem kleinen Schneeball zusammen und warf ihn gegen den Zaun. Wie erhofft schmolz die weiße Substanz nicht mit einem Zischen dahin, sondern verteilte sich nach dem Aufprall in vielen kleinen Bröckchen in alle Richtungen. Erleichtert gab der blonde Junge den anderen ein Zeichen und rannte dann so schnell er konnte zu ihnen zurück.

Aya bekam dies allerdings schon nicht mehr mit, sofort nachdem Omi losgelaufen war, hatte er die andere Richtung eingeschlagen, um den Wagen zu holen. Schließlich brachte es niemandem, vor allem nicht Yohji, etwas, wenn sie alle wie die Ölgötzen vor dem Zaun standen und auf ein Wunder hofften. Im Rückwärtsgang fuhr er die bestenfalls einhundert oder zweihundert Meter von dem Versteck des Jeeps zu der Unfallstelle zurück.

Inzwischen hatte Ken mit Hilfe seiner Bugnuks ein großes Loch in den Zaun geschnitten, durch das man bequem hindurch gehen konnte. Jetzt galt es nur noch, Yohji so schnell wie möglich aus dem Wasser zu holen. Mittlerweile war er bereits fast eine ganze Minute, die jedem der Betroffenen wie eine Ewigkeit vorkam, unter Wasser.
 

Xen lehnte währenddessen am Fenster und hatte die Unterarme auf dem Fensterbrett verschränkt und stützte sich so ab. Interessiert hatte er dabei zugesehen, wie das älteste Weiß-Mitglied dank ihm verunglückt war und wie die anderen ihm nun doch recht professionell und koordiniert zur Hilfe kamen.

„Was machst du da, Changeling?“, fragte Phuong interessiert, als er ebenfalls den kleinen Raum betrat und über das umgestürzte Regal an seinen beiden anderen Kollegen vorbei kletterte.

„Fernsehen“, kam die knappe Antwort des schadenfroh grinsenden Mannes.

Payakootha schüttelte den Kopf. „Also manchmal bist du echt abartig.“

„Wenn es ihm Spaß macht, dann lass ihn doch“, meinte Yukio leicht gelangweilt und zuckte mit den Schultern. „So lange er seine Arbeit macht und uns die unsere tun lässt, kann er tun, was er will.“ Dann trat er hinter den grünhaarigen Mann und blickte über dessen Schulter hinweg nach draußen und besah sich das Schauspiel. „Glaubt ihr, der überlebt das?“

„Wir können ja wetten“, schlug Xen mit einem weiteren Grinsen vor. „Ich sage, der schafft das, ich glaube die sind alle ziemlich zäh.“

Die beiden jüngsten Mitglieder hingegen teilten diese optimistische Einschätzung nicht. Beide waren der Meinung, dass einem so ein Sturz und vor allem diese Kälte durchaus sehr hart zusetzen konnte.

Der Mißgunst-Leader kümmerte sich gar nicht mehr um diese Diskussion, auch wenn er danach gefragt hatte, so interessierte es ihn nicht wirklich. Er wandte sich ab, stieg über das Regal und verließ den Raum. Im Flur drehte er sich noch einmal zu den anderen um. „Ich mach schon einmal Meldung über den Vorfall. Es hat ja alles wie erwartet geklappt. Alles andere ist jetzt nur noch die Sache von Weiß, wenn sie ein Mitglied verlieren, werden sie ein Neues bekommen. Das ist im Moment alles irrelevant, wir brauchen sie vorerst nicht.“

„Heißt das, wir haben vorerst nichts zu tun?“, fragte Phuong hoffnungsvoll und wandte seinen Blick vom Fenster ab, um den schwarzhaarigen Mann anzusehen.

Dieser schüttelte allerdings den Kopf. „Nein, das heißt es nicht.“ Mit diesen Worten wandte er sich ab und ließ seine drei Kollegen allein.
 

Aya setzte den Jeep bis zu dem Maschendrahtzaun zurück und stellte den Motor aus. Er sprang vom Fahrersitz, holte ein Seil aus dem kleinen Kofferraum und eilte zum Seeufer.

Dort stand Ken bereits und versuchte vorsichtig auf das Eis zu treten, jeder Schritt konnte die Eisdecke jedoch weiter zum brechen bringen. Bevor er eine Dummheit begehen konnte, war auch bereits Omi wieder zur Stelle um ihn zurück zu halten.

„Ken, warte! Das ist gefährlich“, rief er und hielt ihm am Arm zurück.

„Aber wir müssen Yohji schnell da raus holen. Wenn er noch länger da drin bleibt, dann ertrinkt er. Er ist bestimmt schon eine Minute, wenn nicht sogar länger unter Wasser.“

Während Weiß anfingen sich immer größere Sorgen zu machen, versuchte Yohji die Eiskante zu umfassen und sich daran hochzuziehen, seine Finger fühlten sich allerdings bereits taub an. In dem Wasser, das bestenfalls eine Temperatur um den Gefrierpunkt hatte, kühlte sein Köper einfach zu schnell aus und jede Bewegung kostete ihn Mühe und Konzentration.

Als Schuldig bemerkte, dass die Kräfte seines Schützlings mehr und mehr schwanden blieb ihm nichts anderes übrig, als ihm noch mehr unter die Arme zu greifen. Er führte Yohjis behandschuhte Hände auf das Eis und half ihm dabei, seinen Oberkörper halb aus dem Wasser zu ziehen.

Der honigblonde Mann tauchte hastig auf und sog die frostige Nachtluft hastig ein, was seine Lungen ihm allerdings mit einem stechenden Schmerz dankten, woraufhin er unwillkürlich husten und keuchen musste. Dies beeinträchtigte seinen Versuch sich aus dem Wasser zu ziehen und das er auf der glatten Oberfläche keinen Halt fand, war ebenso hinderlich, so dass er wieder durch das Loch in der Eisdecke zurück ins Wasser rutschte. Um Hilfe rufen konnte er ebenso wenig.

Die drei anderen Weiß-Mitglieder hatten das Auftauchen des honigblonden Mannes allerdings sofort ein wenig erleichtert registriert.

Aya hatte bereits eine Schlaufe an das eine Ende des Seiles geknotet und versuchte es so zu werfen, dass er es um Yohjis Oberkörper schlingen konnte. „Halt dich daran fest!“, rief er. „Dann können wir dich heraus ziehen.“

Der mittlerweile vollkommen durchnässte und durchgefrorene Mann versuchte nach dem Seil zu greifen, konnte es aber nicht festhalten. Seine Finger waren förmlich steif gefroren und er war froh, seine Handschuhe zu tragen, damit er nicht sehen musste wie seine Haut bereits blau anlief. „Ich kann nicht“, krächzte er mühsam und steckte stattdessen seinen Kopf und die Arme durch die Schlaufe des Seils, mit dem Aya nicht ganz getroffen hatte. Mit seinen Unterarmen stützte er sich dann auf dem Eis auf, um nicht wieder zu sinken, denn mit den Beinen auf der Stelle Wasser zu treten war inzwischen viel zu anstrengend geworden.

„Wir versuchen dich jetzt raus zu ziehen, Yohji“, kündigte der Rotschopf an und Ken und Omi griffen ebenfalls nach dem Seil. „Du musst uns vielleicht ein bisschen helfen.“

Noch bevor der Eingebrochene überhaupt antworten konnte, spürte er, wie sich das Seil um seinen Körper spannte und er versuchte sich mit den Armen nach oben zu drücken.

„Sag mal, kannst du ihm da nicht heraus helfen?“, fragte Farfarello und richtete seinen Blick auf Nagi.

Dieser überlegte kurz. „Wir sollen uns doch um unsere Schützlinge kümmern und Yohji ist eben Schuldigs Schützling. Ich könnte bestimmt, aber ich weiß nicht, ob ich das darf.“

„Du hilfst doch Aya damit, indem du Balinese ein bisschen unterstützt“, meinte Brad sachlich. „So muss er sich nicht so abmühen ihn wieder auf festen Boden zu bringen. Und außerdem ... denk doch mal nach. Wenn Yohji stirbt, hilft das keinem von uns. Also mach es einfach. Michael wird da Verständnis für haben.“

„Also gut. Aber wenn es deswegen Ärger gibt, dann nehme ich nicht die ganze Schuld alleine auf mich“, meinte der braunhaarige Japaner und blickte seine Kollegen kurz scharf an.

Da diese zustimmend nickten, griff er Weiß unter die Arme, hob Yohji aus dem Wasser heraus und legte ihn vorsichtig auf die Eisdecke ab. „Ich glaube, den Rest sollten sie alleine schaffen.“

Der Playboy war froh, endlich aus dem Wasser heraus zu sein, allerdings wich die erbärmliche Kälte nicht aus seinen Gliedern, sondern wurde scheinbar trotzdem immer schlimmer. Warum musste ihr Einsatzort auch unbedingt mitten im Winter in den Bergen liegen? Erschöpft blieb er einen Moment auf dem Eis liegen, da seine Freunde auch aufgehört hatten, an dem Seil zu ziehen. Seine nasse Kleidung begann schon nach wenigen Augenblicken fest zu frieren und Yohji versuchte sich wieder hoch zu drücken, um auf allen Vieren an Land zu kriechen. Er stemmte sich auf die Knie und ein leises, knarzendes Geräusch ließ ihn inne halten. Als er die Quelle ausmachen wollte, bemerkte er wie sich in der Eisdecke ein weiterer Riss bildete. „Scheiße! Holt mich hier runter!“

Auch Schuldig blieb dieser neue Umstand nicht verborgen, es war nur eine Frage der Zeit, bis sein Schützling wieder einbrechen würde und jede Bewegung brachte ihn diesem Punkt näher. Sofort drehte er den Kopf zu Nagi und rief: „Heb ihn an! Nur ein paar Millimeter, aber es darf kein Gewicht auf dem Eis liegen!“

Nagi leistete dem Befehl sofort folge, weiter Komplikationen mussten nun wirklich nicht sein. Er hob den honigblonden Mann gerade soweit an, dass es nicht weiter auffiel und Weiß ihn an Land ziehen konnten, was diese auch sofort taten.
 

Wenige Augenblicke später war Yohji wieder bei seinen Freunden und die beiden Jüngsten halfen ihm auf, während Aya sein Handy aus der Tasche zog und Birmans Nummer wählte. Sie musste über diesen Vorfall informiert werden, außerdem war es besser, wenn Yohji schnellstmöglich ärztliche Hilfe bekam.

„Hältst du bis zur Berghütte durch?“, fragte Ken besorgt. „Dort kannst du dich wieder aufwärmen und ein heißes Bad nehmen.“

Yohji nickte schwach. „Klar“, presste er gequält hervor und sagte sonst nicht, ihm war viel zu kalt um zu reden.

„Bist du wahnsinnig, Ken-kun?“, fragte Omi empört. „Ein heißes Bad ist das Allerletzte, was er jetzt nehmen darf.“

Von seinen Freunden mehr getragen als gestützt wurde er zu dem gemieteten Jeep gebracht und auf die Rückbank gelegt. Er sollte sich so wenig wie möglich bewegen, damit das kalte Blut aus seinen Extremitäten nicht in den Körperkern zurück fließen konnte. Omi hatte eine Decke im Wagen gefunden und breitete sie nun aus, um sie um den Älteren zu wickeln.

„Du musst deine Sachen ausziehen, Yohji-kun. Sieh doch mal, die sind in der Kälte schon ganz steif gefroren. Raus aus den Klamotten oder du holst dir den Tod.“

Der Rotschopf beendete sein Telefonat und nickte zustimmend. „Tu was Omi sagt. Wir müssen dich schnell wieder aufwärmen.“ Mit diesen Worten nahm er auch schon auf dem Fahrersitz Platz und startete dem Motor, um gleich darauf die Heizung auf Höchstleistung zu bringen.

„Ich kann nicht“, sagte der Playboy schwach, seine Stimme war kaum mehr als ein heiseres Flüstern. Seine Arme und Beine waren bereits so sehr unterkühlt, dass sie sich taub anfühlten und er sie kaum mehr bewegen konnte. Er hatte das Gefühl, zu einem Eisklotz zu gefrieren. Ungefähr so musste sich wohl Aya immer fühlen, dachte er und war froh darüber, dass er zumindest noch gehässige Kommentare denken konnte. Also konnte es ihm noch gar nicht besonders schlecht gehen. Der Meinung war auch Schuldig, er blieb die ganze Zeit über in den Gedanken seines Schützlings, um seinen Zustand besser kontrollieren und abschätzen zu können.

„Dann müssen wir dir die Klamotten vom Leib schneiden“; stellte der blonde Junge fest und sah Ken an. „Würdest du bitte?“

„Woher weißt du so etwas?“, fragte dieser und fuhr seine Krallen an den Bugnuks aus.

„Na vom Erste-Hilfe-Kurs“, erklärte Omi. „Den musste ich doch für die Fahrschule machen. Hast du denn keinen gemacht?“ Der blonde Junge wunderte sich, dass sein Freund diese Dinge nicht wusste, schließlich hatte er immerhin einen Motorradführerschein und dafür brauchte man schließlich auch einen Lehrgang über Erste Hilfe. Außerdem sollten wohl gerade Auftragskiller wie sie in der Lage sein, sich selbst zu versorgen.

„Hallo?“, versuchte der honigblonde Mann dürftig auf sich und seine missliche Lage aufmerksam zu machen.

Der ehemalige Torwart zerschnitt vorsichtig mit seinen Krallen die vereiste Kleidung. Als erstes trennte er behutsam die Ärmel und Hosenbeine ab, danach befreite er mit Omis Hilfe den Rumpf von dem kalten Stoff. Die freigelegte Haut schimmerte bereits bläulich, ebenso wie Yohjis zitternde Lippen. Dann wickelten sie ihn in die Decke und zogen ihre Jacken aus, um diese ebenfalls über dem unterkühlten Körper ihres Freundes auszubreiten.

Aya fuhr so schnell es der Allradantrieb und der schneebedeckte Hang zuließ zurück zu der kleinen Berghütte, die für diese Mission ihrer Basis gewesen war.
 

Yohji fror am ganzen Leib, die Kälte kroch durch jede Faser seines Körpers und er fühlte, wie sie dort, wo sie sich ausbreitete langsam das Leben aus seinen Zellen vertrieb. Die Stimmen um ihn herum, die immer noch auf ihn einredeten, um ihn wach zu halten, nahm er kaum noch wahr, sie bildeten eine immer leiser werden Geräuschkulisse, aus der er nicht einmal mehr einzelne Wortfetzen heraus hören konnte. Seine Lider wurden schwerer und senkten sich über seine Augen. Dunkelheit und Stille umfingen den Playboy, als er erneut das Bewusstsein verlor.

Mittlerweile waren Weiß wieder an der Berghütte angekommen und Aya parkte genau vor dem Eingang.

„Wie geht es ihm?“, erkundigte er sich knapp und stellte den Motor aus. „Bringen wir ihn rein. Birman muss jeden Augenblick hier sein, sie wollte sofort kommen.“

„Er hat das Bewusstsein verloren“, informierte Ken ihren Leader, stieg aus dem Wagen und half Omi ebenfalls heraus. Schnell brachen die Drei ihren Freund ins Haus und überprüften dort nochmals seinen Zustand.

„Sein Puls und seine Atmung haben ausgesetzt!“, rief Omi voller Entsetzen. Kurzerhand streckte er Yohjis Kopf nach hinten, so dass seine Atemwege eine gerade Linie bildeten. Er überprüfte zur Kontrolle nochmals die Atmung und den Puls des anderen Mannes, konnte jedoch keinerlei Regung feststellen.

„Wann kommt Birman bloß?“, fragte Ken mehr sich selbst, aber dennoch so laut, dass die anderen es hörten. Auch wenn er oft mit Yohji stritt, so konnte er doch nicht einfach tatenlos dabei zusehen, wie er starb.

Der blonde Junge allerdings sah nicht ein sich damit abzufinden und einfach nur zuzusehen. Mit Daumen und Zeigefinger drückte er Yohjis Nase zu, mit der anderen Hand öffnete er seinen Kiefer. Dann senkte er seinen Mund auf den des Bewusstlosen und fing an ihn zu beatmen, wobei er den Blick zum Brustkorb wandte, um zu sehen ob dieser sich hob und senkte. Da dies der Fall war, beatmete Omi seinen Freund ein zweites Mal.

Aya kniete sich währenddessen auf die andere Seite neben den langsam erkaltenden Körper und fuhr mit den Fingerspitzen den Rippenbogen entlang, als suche er etwas. Nachdem er die Mitte ertastet hatte maß er noch mit den Fingern etwas ab und setzte dann den Handballen ein Stück unter den Rippenbögen auf Yohjis Brust an. Auf ein Nicken das blonden Jungen hin begann er mit der Herzmassage und drückte in gleichmäßigen Abständen fünfzehn Mal zu.

Nach dieser Prozedur fühlte Omi nochmals nach dem Puls des Mannes, doch noch regte sich nichts.

Nahtoderlebnis

Wir sind keine Engel
 

Kapitel 11: Nahtoderlebnis
 

„Verdammt!“, fluchte Schuldig, als er sah, dass sein Schützling sich nicht mehr rührte. Er konnte nicht einfach zulassen, dass er den anderen Weiß unter den Händen weg starb, schließlich war er für ihn verantwortlich. Außerdem wollte er nicht riskieren, dass Schwarz durch seine Unfähigkeit geschlossen zur Hölle fuhr. „So ein Mist! Krepiere jetzt bloß nicht, Yohji!“

Für den Deutschen schien es nur noch einen Weg zu geben, das Schlimmste zu verhindern. Er musste all seine Kräfte aufwenden und in das Unterbewusstsein des honigblonden Assassin eindringen, um zu verhindern, dass sein Bewusstsein den Körper verließ und nur noch als leblose Hülle zurück ließ. Eben diese Überlegung setzte er augenblicklich in die Tat um, es galt keine Zeit zu verlieren, denn je länger er zögerte, um so schneller wich das Leben aus dem reglosen Leib.

Schuldig tauchte in den Geist seines Schützlings ein, formte dort ein Abbild seines Selbst und versuchte das geistige Selbst des anderen anzusprechen.

„Yohji? Kannst du mich hören?“, fragte er zaghaft und hoffte auf eine Reaktion des anderen. Dass dieser ihn hören konnte stand für ihn außer Frage, schließlich befand er sich direkt in seinen Gedanken, die im Moment allerdings träge und zähflüssig wie Honig dahin zu fließen schienen.

Nach scheinbar einer Ewigkeit erhielt er eine Antwort. „Es ist zu spät.“

Der Deutsche folgte der mentalen Stimme und hatte das Gefühl von Dunkelheit eingeschlossen zu werden, bis er das Abbild Yohjis mit angezogenen Beinen auf einem imaginären Boden hocken sah. In einiger Entfernung blieb er stehen und betrachtete den zitternden Leib.

„Es ist nicht zu spät. Du musst nur aufstehen, Yohji. Fang wieder an zu atmen und lass dein Herz schlagen. Dann ist es nicht zu spät.“

Der Angesprochene schüttelte kaum merklich den Kopf. „Ich kann nicht. Mir ist so kalt.“

„Ich weiß, dass du frierst“, sagte Schuldig verständnisvoll und versuchte sich dem honigblonden Mann zu nähern. „Aber wenn du nicht aufstehst, dann erfrierst du.“

„Das bin ich schon“, antwortete der sonst so lebenslustige und zuversichtliche Playboy mit einem Anflug von Traurigkeit in der Stimme. „Sonst wäre es nicht so kalt. Und es wird immer kälter, mit jeder Sekunde. Ich glaube so fühlt sich sterben an.“

„Nein, das bist du nicht. Aber du wirst es, wenn du es zulässt. Und ich denke nicht, dass du sterben willst“, entgegnete der Deutsche und blieb einige Schritte vor der am Boden sitzenden Gestalt stehen.

Nur sehr leise und zögerlich kam Yohjis Antwort. „Was würde es für einen Unterschied machen? Ich könnte doch jederzeit bei einer Mission sterben, da kann ich es auch jetzt tun und hätte dieses elende Leben hinter mir. Es ist sowieso nichts wert. Geh weg und lass mich erfrieren.“

„Du hast doch nicht etwa schon aufgegeben, oder?“ Schuldig verkrampfte sich leicht. Wenn Yohji tatsächlich sterben wollte, würde er ihn nur sehr schwer vom Gegenteil überzeugen können, was bestimmt noch sehr viel mehr Zeit in Anspruch genommen hätte. Und die Zeit drängte sowieso bereits. „Wir beide wissen genau, dass du nicht sterben willst. Dazu hängst du zu sehr am Leben und hast deinen Spaß daran.“

„Woher willst du wissen, was ich will?“ Erst jetzt betrachtete der Playboy sein Gegenüber genauer und diese Person kam ihm wage bekannt vor. „Das weiß ich ja manchmal selbst nicht“, fügte er dann leise hinzu. „Ich fühle mich manchmal so leer und wenn ich jemanden brauche, ist niemand da. Jetzt ist mir genau so kalt, wie ich mich manchmal fühle, wenn ich alleine bin.“

„Ich weiß es, weil ich in deinen Gedanken bin“, erklärte der Deutsche ruhig. „Du hast doch Omi, Aya und Ken. Die Drei sind deine Freunde und sie versuchen dir gerade das Leben zu retten. Du bist nicht alleine.“

Langsam dämmerte es Yohji und er erkannte Schuldig, was ihn im ersten Augenblick zurückschrecken ließ. „Was machst du in meinem Kopf, Mastermind? Lass mich und die anderen zufrieden.“

„Ich versuche dir nur genauso das Leben zu retten wie deine Freunde, nur eben auf meine Weise, mehr nicht.“

„Warum solltest du so etwas tun? Wir sind Feinde.“ Der honigblonde Mann wirkte sichtlich irritiert. „Geh weg, lass mich einfach alleine. Ich hab keine Lust, mich mit dir anzulegen, dazu ist mir viel zu kalt.“

Der Deutsche schüttelte den Kopf. „Das werde ich nicht tun.“ Er beugte sich hinunter und sank neben Yohji auf die Knie. „Wir sind keine Feinde mehr und ich werde dich nicht alleine lassen, nie mehr. Ich werde immer für dich da sein, auch wenn du es nicht bemerkst.“ Vorsichtig legte er die Arme um seinen Schützling, drückte ihn leicht an sich und fuhr im Flüsterton fort: „Ich werde nicht zulassen, dass du stirbst.“

Vollkommen überrumpelt fand sich das Weiß-Mitglied in den Armen des anderen Mannes wieder. Er wusste nicht, wie er reagieren sollte, das alles war so verwirrend. Im ersten Moment verspürte er den Drang ihn wegzustoßen, aber als er die Wärme spürte, die er verströmte, war dieser Gedanke bereits vergessen. Er legte seinerseits die Arme um Schuldig, versuchte sich an ihm zu wärmen und die Geborgenheit, die er in dieser Umarmung fühlte, ganz in sich aufzunehmen und in sein Herz einzuschließen.

Während die Zeit zuvor scheinbar still gestanden hatte, schien jetzt alles ganz schnell zu gehen. Yohji fühlte ein Zucken durch seinen Oberkörper gehen und es regte sich träge etwas in seiner Brust.

„Was ist das?“, fragte er verwundert und spürte gleich darauf dasselbe Zucken noch einmal.

„Es ist an der Zeit, wieder zu dir zu kommen“, flüsterte der Deutsche. „Aber vergiss nicht, ich werde immer bei dir sein und auf dich aufpassen. Und jetzt wach auf, Yohji.“
 

„Verdammt noch mal, wach auf, Yohji!“, schrie Omi mittlerweile vollkommen verzweifelt und Ken musste ihn festhalten, damit er nicht auch noch zusammenbrach oder die Rettungskräfte bei ihrer Arbeit behinderte. Es war doch immer wieder erstaunlich, wie nur ein paar Minuten einem wie eine Ewigkeit vorkamen und dass selbst schnelle und routinierte Arbeit zu langsam und wenig erfolgversprechend zu sein schien.

Der Notarzt, der zusammen mit Birman in einem Hubschrauber vor nur wenigen Augenblicken angekommen war, setzte den Defibrillator wieder an Yohjis Brust an und jagte erneut einen Stromstoß durch seinen Körper, der ihn sich zuckend erheben und wieder senken ließ.

Nur langsam kam der Playboy wieder zu Bewusstsein. Träge öffnete er die Augen und nahm seine Umgebung nur verschwommen war. Ich war tot, war das Erste, was ihm in den Sinn kam. Dann brach die Geräuschkulisse des ihn umgebenden Stimmengewirrs über ihn herein und erschwerte es ihm zusätzlich seine ohnehin vernebelten Gedanken zu ordnen.

Das Nächste, was er mitbekam war, wie jemand erst sein eines und dann das andere Auge weiter aufzog und ihn mit einem hellen Licht blendete, vermutlich eine Taschenlampe, um die Reaktion zu testen. Langsam klärte sich seine Wahrnehmung wieder und er nahm, wenn auch noch etwas verschwommen, wahr, was um ihn herum passierte.

„Wir haben ihn“, verkündete der Rettungssanitäter und kontrollierte den nun stetigen, aber schwachen Puls. „Er sollte transportfähig sein.“

„Yohji-kun“, brachte Omi leise hervor und Yohji konnte die Tränen erkennen, die sich ihren Weg über seine Wangen bahnten.

Bei dem Versuch eine Hand nach seinem jüngeren Freund auszustrecken, scheiterte der Playboy allerdings kläglich. Er konnte im Augenblick nicht einmal genau bestimmen, ob sich dort überhaupt noch eine Hand befand, wo sie von Mutter Natur vorgesehen war. Sein Körper fühlte sich einfach nur noch taub, kalt und unendlich müde an, so dass er die Augen wieder schloss, um Ruhe zu finden.

Birman nickte. „Dann fliegen wir jetzt ins Krankenhaus. Im Helikopter ist leider nicht so viel Platz, dass wir euch alle mitnehmen können. Ihr müsst mit eurem Wagen nachkommen.“

„Wohin bringt ihr ihn?“, fragte Aya mit einem ungeahnten Unterton von Sorge in der Stimme.

„Es ist das gleiche Krankenhaus, in dem auch deine Schwester lag. Wir haben dort einige Leute, wie du weißt, das ist am sichersten“, erklärte sie noch kurz und warf dann einen besorgten Blick auf Yohji. Es gefiel ihr nicht, dass seine Augen schon wieder geschlossen waren, es hatte den Anschein, als hätte er wieder das Bewusstsein verloren. „Können wir ihm etwas geben, damit er wach bleibt? Wir müssen ihn auch irgendwie schnell wieder aufwärmen.“

Bei diesen Worten öffnete der Playboy wieder einen Spalt weit die Augen und sah die neben ihm stehende Frau mit der Andeutung eines schwachen Lächelns an. „Wie wäre es mit einer heißen Braut wie dir, Birman?“, brachte er gequält und kaum hörbar hervor.

„Gut, dass du wach bist“, sagte die braunhaarige Frau, beugte sich zu dem Verunglückten herunter, um ihm einige nasse Strähnen aus dem Gesicht zu wischen und lächelte erleichtert. „Dir scheint es ja wieder blendend zu gehen. In ein paar Tagen bist du wieder auf den Beinen.“

Gleich darauf wurde Yohji auf einer Trage in den Helikopter gehoben, wo sich der Notarzt weiter um ihn kümmerte. Als Birman ebenfalls eingestiegen war und die Türen verschlossen hatte, gab sie dem Piloten ein Zeichen, damit er los flog.

Die anderen drei Weiß-Mitglieder blieben allein zurück und blickten dem Krankentransport hinterher.

„Fahren wir zum Krankenhaus“, fand Omi als erster die Sprache wieder und wandte sich zum Jeep, um auf die Rückbank zu klettern.

Ken und Aya folgten ihm wortlos und ebenso schweigend brachten sie den langen Weg zurück in die Stadt hinter sich.
 

Im Krankenhaus angekommen wurde Yohji sofort in die Notaufnahme gebracht. Dank der Mittelsmänner von Kritiker gab es keinerlei störende Formalitäten oder Papierkram für Birman zu erledigen. Manx wartete bereits auf sie, nahm die andere Frau bei Seite und begrüßte sie mit einem flüchtigen Kuss, während der verunglückte Mann behandelt wurde.

„Wie geht es ihm?“, erkundigte sie sich aufrichtig besorgt. Sie kannte Yohji nun schon so lange und hatte ihn und die anderen jungen Männer schon mehrfach in brenzligen Situationen erlebt, doch so wie es sich am Telefon angehört hatte, schien es dieses Mal noch ein wenig schlimmer zu sein.

Die braunhaarige Frau schüttelte leicht den Kopf. „Ich würde sagen ziemlich schlecht. Es war gut, dass Aya sofort angerufen hat. Yohji hatte einen Herz- und einen Atemstillstand und ohne ärztliche Hilfe weiß ich nicht, ob er das durchgestanden hätte.“

„Hoffen wir das Beste für ihn. Jetzt können wir erst einmal nur warten.“

Die beiden Frauen suchten gemeinsam den nächsten Aufenthaltsraum auf und setzten sich dort um zu warten auf ein bequemes Sofa. Doch bereits nach einigen Minuten stand Manx wieder auf und ging unruhig einige Schritte auf und ab. Dann sah sie sich einmal genauer in dem Raum um und entdeckte einen Kaffeeautomaten. Sie ging zu der Maschine hinüber und wandte sich dann nochmals an Birman.

„Möchtest du auch einen Kaffee?“, fragte sie leise.

„Nein, danke“, antwortete die andere Frau kopfschüttelnd. „Davon werde ich nur noch aufgedrehter. Lieber einen Tee, das würde dir auch gut tun.“

„Du hast Recht, Tee wird besser sein“, stimmte Manx zu und schaute erst einmal nach, ob es das Gewünschte überhaupt an dem Automaten gab. Da man auch Tee bekommen konnte, holte sie ein wenig Kleingeld aus einer Tasche hervor und warf es in die Maschine ein.

Nach wenigen Augenblicken kehrte sie mit zwei Tassen voll dampfender Flüssigkeit wieder zu Birman zurück und setzte sich zu ihr auf das Sofa. Eine Tasse schob sie der anderen Frau hinüber, wofür diese sich leise bedankte und nippte dann an ihrer eigenen.

„Vielleicht hätten wir doch einmal mit ihm ausgehen sollen“, meinte Birman nach einiger Zeit in die Stille hinein.

„Nein, das denke ich nicht. Ich glaube, das hätte ihn dann richtig enttäuscht, wenn er das mit uns beiden herausbekommen hätte“, sagte die rothaarige Frau und lächelte dabei leicht. Bisher hatten sie und Birman ihr kleines Geheimnis für sich behalten können, ohne dass irgendjemand auch nur etwas vermutet hätte. Eine Beziehung bot eine zu große Angriffsfläche, als dass man es riskieren konnte, sie offen zu legen.
 

Nach einiger Zeit betrat eine Krankenschwester den Aufenthaltsraum und lächelte die beiden Frauen an. „Die ersten Untersuchungen sind abgeschlossen und es geht dem jungen Mann wieder etwas besser. Wenn Sie möchten, können Sie jetzt zu ihm.“

„Ja, danke“, sagte Manx und erhob sich.

Sie und Birman verließen den Aufenthaltsraum und wurden von der Krankenschwester zu dem Zimmer gebracht, in dem Yohji jetzt lag. Ein Arzt stand noch neben dem Bett und machte sich einige Notizen auf dem Krankenblatt.

Die beiden Frauen traten ebenfalls ans Bett und betrachteten den jungen Mann, der darin lag. Er war sehr blass und sein Kopf sowie sein Oberkörper waren teilweise verbunden.

„Hallo, Yohji“, begrüßte die rothaarige Frau ihn. „Wie geht es dir?“

Der Playboy rang sich ein schwaches Lächeln ab und antwortete leise, was durch die Atemmaske über seinem Mund und der Nase noch gedämpft wurde: „Frag das den Doc.“ Er selbst hatte noch keine Diagnose mitgeteilt bekommen, so dass er seinen Zustand bestenfalls mit dem Wort ‘schlecht‘ beschreiben konnte.

Der Arzt ergriff daraufhin das Wort. „Ihr junger Freund hier hat ziemlich Glück gehabt. Er ist aus circa zehn bis fünfzehn Metern Höhe gestürzt und durch einige Zentimeter dickes Eis gebrochen. Von dem Sturz hat er bloß eine Platzwunde am Kopf, eine Gehirnerschütterung und einige weitere Prellungen am Oberkörper und am Schulterbereich davon getragen. Er hat Glück gehabt, dass nicht noch Schlimmeres passiert ist und er sich nichts gebrochen hat. Mit der Unterkühlung sollte es auch keine Probleme mehr geben, wir haben den Körperkern wieder auf normale Temperatur bringen können und erwärmen langsam die Extremitäten. Außerdem hat er sich die rechte Schulter ausgekugelt, wobei wir hier mit dem einrenken noch warten wollen, bis die gesamte Körpertemperatur wieder einen akzeptablen Wert erreicht.“

„Ja, das mit dem Sturz wissen wir“, erklärte Birman. „Ich war dabei, als er hergebracht wurde.“

„Ist er also bald wieder auf den Beinen?“, fragte Manx hoffnungsvoll. Sehr kritisch schien Yohjis Zustand nach den Erläuterungen nicht zu sein.

„Ganz genau kann ich Ihnen das leider noch nicht sagen“, gab der Mann in dem weißen Kittel zu. „Wir warten noch auf einige Untersuchungsergebnisse, aber es sollte nichts Schlimmeres mehr zu befürchten geben.“

Yohji hörte all dem schweigend zu, zum einen fühlte er sich zu schwach und zu müde, um zu reden und zum anderen hatte er auch nichts dazu zu sagen. Die Ärzte wussten schon was sie taten, schließlich war es ihr Job. Im Augenblick wollte er einfach nur noch seine Ruhe haben und schlafen.

Schuldig hielt die ganze Zeit über eine Verbindung mit Yohjis Gedanken aufrecht, um seinen Zustand besser unter Kontrolle zu haben und beurteilen zu können. So wurde ihm auch sein Wunsch nach Ruhe sofort bewusst und er veranlasste den Arzt, diesen Wunsch auch zu erfüllen, indem er ihn telepathisch manipulierte.

„Jetzt braucht der Patient aber seine Ruhe“, meinte der Mann in dem weißen Kittel daraufhin. „Sie können ihn später wieder besuchen kommen. Sie müssen sich keine Sorgen machen, mit diesen Geräten haben wir ihn jederzeit im Auge.“

Die Drei verließen gemeinsam das Krankenzimmer und der Arzt kümmerte sich um die noch fehlenden Untersuchungsergebnisse. Manx und Birman setzten sich wieder in den Aufenthaltsraum und warteten, es konnte nicht mehr allzu lange dauern, bis die anderen drei Weiß-Mitglieder ebenfalls im Krankenhaus eintrafen.
 

Yohji schloss die Augen und genoss die Ruhe um ihn herum, einzig das Summen und Piepsen der Geräte neben seinem Bett störte ihn. Langsam versank er in einen Dämmerzustand zwischen schlafen und wachen, die Geräusche vom geschäftigen Treiben auf dem Flur nahm er längst nicht mehr wahr.

Schuldig saß am Bettrand und betrachtete seinen Schützling besorgt, so elend hatte er wirklich noch nie ausgesehen. Vorsichtig strich er ihm eine Haarsträhne aus dem Gesicht, die über dem Verband hervor lugte.

„Bald bist du wieder so fit wie eh und je“, sagte er dabei leise. „Ich werde dir dabei helfen. Ich wünschte nur, ich hätte besser auf dich acht geben können und du wärst erst gar nicht verletzt worden.“

Die ganze Zeit über saß der Deutsche auf dem Bettrand und wachte über seinen Schützling. Die Ärzte hielt er vorerst absichtlich von dem Krankenzimmer fern, damit Yohji sich wieder etwas erholen konnte. Aber er spürte, dass sich die Entspannung nicht einstellen wollte und der Verstand des Assassins weiterhin fieberhaft arbeitete. Einerseits war er versucht, dieses zu unterbinden, andererseits wollte er Yohji nicht noch mehr beeinflussen, als er es ohnehin schon tat. Wer wusste, wie viel gut für ihn war oder von höherer, himmlischer Stelle geduldet wurde?
 

Als der Playboy nach einer knappen Stunde wieder die Augen öffnete, ließ er seinen Blick suchend durch den Raum schweifen.

„Du bist hier, oder?“, flüsterte er leise. „Du hast gesagt, du bist bei mir, auch wenn ich dich nicht bemerke. Warum? Bist du in meinem Kopf? Willst du mich wahnsinnig machen, Mastermind?“ Der Gedanke ließ ihn einfach nicht zur Ruhe kommen. Es war definitiv der deutsche Rotschopf gewesen, den er gesehen und mit dem er gesprochen hatte, während er bewusstlos gewesen war. Hatte sein Erzfeind ihn tatsächlich aus den kalten Klauen des Todes gerissen? Wenn er dies wirklich getan hatte, so stellte Yohji sich immer wieder die Frage nach dem Warum. Auch Schuldigs Versicherung, dass sie keine Feinde mehr seien, beruhigte ihn nicht. Die Fähigkeiten des Telepathen waren nicht zu unterschätzen und vielleicht war alles nur ein Trick, um Weiß zu unterwandern. Andererseits bildete er sich die ganze Angelegenheit möglicherweise nur ein und er wurde mittlerweile genau so paranoid wie Aya.

„Natürlich bin ich hier, so wie ich es gesagt habe. Vielleicht solltest du aber auch einfach bloß für einen Moment zu denken aufhören und wieder einen klaren Kopf bekommen, Kätzchen“, meinte Schuldig in die Stille des Raumes hinein und schüttelte ein wenig verständnislos den Kopf. „Davon bekommt man ja Kopfschmerzen. Du solltest dir wirklich weniger Gedanken darüber machen. Ich hab dir dein Leben gerettet, lass es doch einfach gut damit sein. Hätte ich das getan, wenn wirklich alles noch so wäre wie vor einem halben Jahr?“

Yohji zog leicht die Stirn kraus, er glaubte, etwas gehört zu haben, etwas anderes als die Geräusche, die vom Flur oder von den Maschinen herrührten. Rastlos suchten seine Augen das helle Zimmer ab, aber da war nichts anderes als zuvor, nur weiße Wände, weiße Möbel, weiße Maschinen, eine weiße Tür und ein Fenster mit weißen Gardinen. Erst jetzt fiel ihm auf, wie scheußlich er diese Farbe eigentlich fand, alles wirkte so steril und unterkühlt. Und an Unterkühlung wollte er ganz gewiss nicht mehr denken.

„Du hast mich doch nicht etwa gerade gehört, oder?“, fragte Schuldig ein wenig irritiert, als er die Reaktion seines Schützlings bemerkte. „Das geht doch überhaupt nicht, ihr habt uns doch bisher nicht bemerkt, egal wie laut wir waren.“ Vielleicht lag es aber auch an der mentale Verbindung zu Yohjis Unterbewusstsein, die er dann wohl besser unterbrechen sollte. Scheinbar funktionierte der Kontakt ungewollt in beide Richtungen, so dass der Playboy seine Gedankengänge auffing. Andererseits war es auf diese Weise für den Deutschen viel einfacher den anderen zu überwachen. Trotzdem zog er sich vorsichtshalber aus dessen Unterbewusstsein zurück, schließlich waren Schwarz oft genug ermahnt worden, sich unauffällig zu verhalten und darauf zu achten, nicht bemerkt zu werden.

Gleich darauf meinte der honigblonde Mann zu fühlen, wie etwas von ihm abfiel, als wäre sein Geist befreit und wieder klarer. „Hirngespinste“, murmelte er sehr leise vor sich hin. Er beschloss, vorerst weder den Ärzten noch seinen Freunden etwas von diesen eigenartigen Vorkommnissen zu erzählen, vermutlich würden sie ihn lediglich für vollkommen geistesgestört erklären.

Andererseits konnte er darüber später noch genügend nachdenken, im Augenblick verlangte sein Körper nach Schlaf, den er ihm nicht verwehren konnte, da seine Augen bereits wieder zu fielen.
 

Mittlerweile waren auch die anderen drei Weiß-Mitglieder im Krankenhaus angekommen und fragten sich bis zu Yohjis Zimmer durch. Da man ihnen den Eintritt allerdings verwehrte, gesellten sie sich zu Manx und Birman in den Aufenthaltsraum.

„Hallo“, begrüßte die rothaarige Frau sie und lächelte dabei müde. „Wie geht es euch? Ich hoffe, ihr habt nicht auch etwas abbekommen.“

Aya schüttelte den Kopf. „Nein, von uns ist niemand verletzt, uns geht es gut.“

„Wie geht es Yohji-kun?“, fragte Omi und setzte sich neben Manx auf das Sofa. „Die Krankenschwester wollte uns nicht in sein Zimmer lassen. Sie hat gesagt, er schläft gerade und braucht jetzt Ruhe.“

„Hat der Arzt denn schon etwas gesagt?“, wollte Ken wissen und nahm auf einem Stuhl platz.

Birman nickte. „Ja, wir durften kurz zu ihm und seine Verletzungen scheinen, so wie es der Arzt geschildert hat, nicht all zu schlimm zu sein. Allerdings wollte er wohl zunächst noch einige Untersuchungsergebnisse abwarten.“

„Man wird uns schon Bescheid geben, wie es jetzt um ihn steht und wann wir wieder zu ihm können“, meinte Manx und lehnte sich zurück. Sie fühlte sich unglaublich erschöpft und müde, was angesichts ihres langen Arbeitstages und diesem Notfall nicht verwunderlich war.

„Du siehst müde aus“, bemerkte auch der Weiß-Leader. „Vielleicht solltest du dich von Birman nach Hause bringen lassen und ein wenig schlafen. Wir sind ja jetzt hier.“
 

Die drei Schwarz-Mitglieder ließen sich ebenfalls nieder, blieben aber immer in der Nähe ihrer Schützlinge. Im Augenblick gab es auch für sie nichts weiter zu tun, als zu warten und der Dinge zu harren, die da noch kommen mochten.

„Was glaubt ihr, wie es ihm geht?“, fragte Nagi leise. „Ich habe ihn wohl doch nicht rechtzeitig aus dem Eiswasser herausgeholt.“

Brad schüttelte den Kopf. „Wenn es doch schlecht um Yohji stehen sollte, dann ist das nicht deine Schuld, Nagi. Du hast getan, was du konntest, genauso wie Schuldig.“

„Ja“, stimmte Farfarello zu. „Ich glaube nicht, dass er lange hier bleiben muss. Weiß sind zäh, das haben sie oft genug bewiesen.“

„Ganz genau“, bekräftigte der Amerikaner. „Sie haben sich doch bisher von Nichts und Niemandem fertig machen lassen. Glaubst du, da wird Balinese sich jetzt von einer Unterkühlung in die Knie zwingen lassen?“

„Ja, schon“, stammelte der junge Japaner. „Aber er war tot. Das ist doch etwas vollkommen anderes.“

Der einäugige Mann schüttelte den Kopf. „Du bist zu pessimistisch, Nagi. Wegen der Unterkühlung haben zwar sein Puls und seine Atmung ausgesetzt, aber wenn der Kreislauf wieder angeregt wird, kann die betroffene Person in einem solchen Fall auch noch nach längerer Zeit wieder reanimiert werden. Das ist der Vorteil, wenn man tiefgekühlt ist. Ich hab darüber letztens einen Artikel in einer Zeitung gelesen, die bei Ken im Zimmer lag.“

„Ken liest Zeitung?“ Brad hob erstaunt eine Augenbraue. So viel intellektuelle Lektüre hätte er diesem Sportfanatiker gar nicht zugetraut.

Farfarello nickte. „Manchmal tut er das, obwohl es in diesem Fall für ihn eigentlich nur um einen Artikel über die Jugendfußballmannschaft ging, die er trainiert.“

Nagi musste leise schmunzeln, ungefähr genau so etwas hatte er von dem Weiß erwartet. Wenigstens half es seine Laune wieder aus dem Kellerloch zu holen, in das sie immer weiter abgesunken war. Er wollte es auf keinen Fall schuld sein, wenn ein Mitglied von Weiß starb. Ebenso wollte er nicht verantwortlich dafür sein, wenn Schwarz letztendlich doch ihre zweite Chance vermasselten und sprichwörtlich zur Hölle fuhren.
 

Nur wenig später, nachdem Yohji wieder aufgewacht war, betrat ein Arzt das Zimmer und stellte sich neben das Bett.

„Wie fühlen Sie sich, Herr Kudou?“, verlangte er zu wissen und musterte seinen Patienten kurz.

„Wollen Sie eine höfliche oder eine ehrliche Antwort?“, fragte der Playboy mit einem Hauch von Ironie in der Stimme.

Der Mann in dem weißen Kittel zog eine Augenbraue nach oben. „Eine ehrliche selbstverständlich, sonst hätte es wohl keinen Sinn danach zu fragen.“

„Beschissen.“

„Das hätte man aber auch höflich formulieren können“, meinte der Arzt und lächelte leicht.

Yohji lächelte schief. „Sie wollten ja keine höfliche Antwort.“

Die Krankenschwester, die ebenfalls das Zimmer betreten hatte, überprüfte währenddessen die Anzeigen auf den Instrumenten und erneuerte die Infusion. Sie notierte einige Dinge auf dem Krankenblatt, das auf einem Klemmbrett am Bett hing und gab es dann dem Arzt.

„Rein medizinisch betrachtet geht es Ihnen allerdings schon viel besser, wenn ich mir hier die Werte so ansehe“, fuhr er nach einem prüfenden Blick auf die Datenblätter fort. „Wir werden jetzt noch Ihre ausgekugelte Schulter wieder einrenken und damit hätten wir alles getan, was wir tun können. Das kann noch ein wenig schmerzhaft sein, da wir Ihnen nur ein leichtes Schmerzmittel verabreicht haben. Allerdings werden sie dafür gleich direkt entschädigt, draußen wartet Besuch für Sie.“
 

Der Arzt trat gefolgt von einer Krankenschwester aus Yohjis Zimmer, zog die Tür hinter sich zu und steuerte den Aufenthaltsraum an, in dem die drei jungen Männer die ganze Zeit über gewartet hatten.

Der Jüngste von ihnen sprang von seinem Stuhl auf, als er den Mann in dem weißen Kittel bemerkte, und trat direkt auf ihn zu. „Wie geht es ihm?“, fragte er besorgt.

„Er hat ein wenig geschlafen und ich habe gerade noch mal alle Werte überprüft. Es geht ihm gut und sein Zustand ist stabil“, sagte der Arzt in beruhigendem Tonfall. „Wenn Sie möchten, können Sie jetzt zu ihm.“

Omi seufzte erleichtert auf und seine Miene erhellte sich schlagartig, er und die beiden anderen Weiß-Mitglieder hatten schon das Schlimmste befürchtet. Die Nachricht, dass es ihrem Freund gut ging, ließ ihm einen Stein vom Herzen fallen. Sofort wandte er sich von den anderen ab und betrat dicht gefolgt von Ken das Krankenzimmer.

Aya blieb noch einen Augenblick allein mit dem Arzt auf dem Flur stehen. „Und jetzt sagen Sie mir bitte, was wirklich mit ihm los ist. Wenn Ärzte sagen, dass es einem Patienten gut geht und der Zustand stabil ist, bedeutet das meistens nichts Gutes oder es kommt noch ein gewaltiges ’aber’ hinterher.“

„Du bist aber ziemlich kritisch, Aya“, murmelte Nagi vor sich hin. „Der Mann ist Arzt, der wird schon Ahnung von seinem Job haben, sonst wäre er wohl längst nicht mehr hier.“

„Sie kennen sich wohl damit aus“, meinte der Mann in dem weißen Kittel und lächelte ein wenig verlegen, gerade so, als sei er ertappt worden. „Es gibt noch einige Dinge, die uns ein wenig Sorgen machen, da sie bei einem solchen Vorfall nur schwer oder erst später einzuschätzen sind. Aber ansonsten ist Ihr Freund so gut wie neu.“
 

„Hallo, Yohji-kun“, trällerte Omi fröhlich, als er den Raum betrat und direkt auf das Bett zustürmte. Am liebsten wäre er dem Älteren einfach vor Freude um den Hals gefallen, doch statt dessen zog er sich einen Stuhl heran und ließ sich darauf nieder, um den anderen zu betrachten.

Um Yohjis Brust und um seinen Kopf wand sich ein weißer Verband, sein rechter Arm befand sich in einer Art Schlinge. In der Ellenbeuge des anderen Armes steckte noch eine gelbe Kanüle, in die der dünne Schlauch des Tropfs, der neben dem Bett stand, führte. Über seinen Mund und die Nase war eine durchsichtige Atemmaske gestülpt und neben dem Bett stand eine Maschine, in die einige Kabel und Schläuche führten und die ein konstantes Piepsen von sich gab. Jetzt sah Omi auch mehrere Elektroden, die auf kleinen, freien Hautstellen auf Yohjis Brust klebten.

Der Playboy drehte den Kopf zu seinen beiden Besuchern und lächelte schwach und müde. „Hey, Omi. Hey, Ken. Wo habt ihr Aya gelassen?”

„Der redet, glaube ich, gerade noch mit dem behandelnden Arzt, kommt aber sicher auch jeden Moment rein“, erklärte der braunhaarige Mann. „Wie geht es dir denn so?“

Der blonde Junge nickte zustimmend, ihr Leader war kritisch, was Ärzte und ihre Diagnosen anbelangte. „Warum hängst du an dieser Maschine?“

„Mir geht’s ganz gut, denke ich. Und die Maschine ist nur zur Kontrolle der Atmung und des Pulses. Die Krankenschwester sagte, das wäre Routine.“

Die Tür wurde leise geöffnet und ein rothaariger Mann streckte prüfend den Kopf ins Zimmer, um gleich darauf seinen Körper nachzuschieben und die Tür wieder leise hinter sich zu schließen. Dann trat er ebenfalls ans Bett und betrachtete seinen darin liegenden Freund und Kollegen kurz.

„Ich habe gerade noch mit dem Arzt gesprochen“, rechtfertigte er sein spätes Erscheinen.

„Und was hat er dir gesagt?“, fragte Yohji interessiert. „Etwas anderes als mir?“

Aya zuckte kaum merklich mit den Schultern. „Das weiß ich nicht, das kommt darauf an, was er dir erzählt hat. Als erstes meinte er, sie wollen dich noch mindestens zwei Tage zur Beobachtung hier behalten. An die Maschinen hätten sie dich vorsichtshalber angeschlossen, falls deine Atmung oder dein Herzschlag wieder aussetzen sollte, dann übernehmen die Geräte das.“

„Ist sein Zustand also doch noch kritisch?“, fragte Omi besorgt. „Aber der Arzt hat doch gesagt, es geht ihm gut und alles ist stabil.“

„Kann es sein, dass du mehr weißt als ich? Mir hat man nicht gesagt, wie lange ich noch hier bleiben muss. Ich mag es nicht, wenn man mir etwas verschweigt“, meinte der Playboy und runzelte die Stirn skeptisch. Wenn es doch schlechter als erwartet um ihn stand, dann wollte er das auch wissen.

Der Rotschopf schüttelte den Kopf. „Nein, nicht kritisch. Aber du hast verdammt viel Glück und wohl einen Schutzengel gehabt, Yohji. Du warst drei Minuten lang klinisch tot. Im Moment sieht es nicht so aus, als hätte das zerebrale Schäden zurück gelassen, aber der Arzt meinte, es kann gut sein, dass so etwas irgendwann später noch auftritt, wie zum Beispiel Probleme mit dem Kurzzeitgedächtnis. Allerdings ist das nicht zwingend und es kann genauso gut sein, dass du nie irgendwelche Probleme deswegen kriegst.“

„Und ob er einen Schutzengel hatte“, warf Schuldig in den Raum. „Ich werde schon dafür sorgen, dass er keine weiteren gesundheitlichen Probleme bekommt. Ein paar Tage Krankenhaus und dann auch noch ein bis zwei Wochen zu Hause herumliegen und nichts tun finde ich schon schlimm genug.“

„Sogar mehr als einen Schutzengel“, ergänzte Nagi und lächelte schwach. „Ich glaube, wir sind doch ganz gute Teamworker.“

„Hoffentlich sehen Michael und das jüngste Gericht das auch so“, meinte Farfarello leise. „Vielleicht gibt es ja dann eine Strafmilderung.“

Brad nickte. „Ich denke schon, dass sie es auch so sehen. Und irgendwie hab ich das unbestimmte Gefühl, wir sehen sie schon sehr bald wieder.“

„Warum denn ein Gefühl?“, fragte der Deutsche. „Eine Vision wäre wesentliche nützlicher.“

„Aber die kann ich nun mal leider nicht kontrolliert hervorrufen oder erzwingen.“

Yohji seufzte leise. „Noch zwei Tage. Krankenhäuser sind aber immer so verdammt langweilig.“

„Stell dich nicht so an, wenigstens bist du zu Kens Geburtstag wieder zu Hause.“ Aya fand zwei Tage Krankenhausaufenthalt nun wirklich nicht tragisch. Stattdessen sollte der Ältere lieber froh sein überhaupt noch zu leben.

„Ach, ich glaube, die Zeit wirst du schon gut überbrücken, Yohji-kun. Du findest bestimmt genug nette Krankenschwestern, mit denen du flirten kannst“, meinte Omi lächelnd.

„Genau“, stimmte Ken zu. „In Sachen Zeitvertreib solltest du wohl noch am wenigsten Probleme haben. Also Kopf hoch, wir kommen dich ja auch noch besuchen.“

„Danke, Ken.“ Der Playboy lächelte gerührt. „Es tut mir Leid, dass ich dir deinen Geburtstag ruiniere. Und es tut mir Leid, dass ich dir Weihnachten ruiniere, Omi.“

Die beiden jüngsten Weiß-Mitglieder schüttelten die Köpfe und sagten beinahe gleichzeitig: „Aber das macht doch nichts. Hauptsache, dir geht es gut.“

Der blonde Junge lachte daraufhin laut auf und wurde vom Kichern des ehemaligen Fußballers begleitet. Yohji betrachtete ihre fröhlichen Gesichter und war froh, Menschen wie sie um sich zu haben, so gute Freunde fand man nur selten im Leben. Sogar Aya vermittelte auf seine doch recht kühle und distanzierte Weise ein Gefühl der Vertrautheit.
 

Nach zwei endlos scheinenden Tagen war Yohji mehr als froh darüber gegen Mittag seine Freunde zu sehen, die gekommen waren, um ihn endlich abzuholen und nach Hause zu bringen.

„Hallo“, begrüßte er sie fröhlich. „Ich bin echt froh euch zu sehen.“

Dann stand der Playboy vom Bett auf und trat auf Ken zu, der gerade seine Tasche genommen hatte, die bereits fertig gepackt auf einem Stuhl stand. Da sein rechter Arm immer noch in einer Schlinge steckte, legte er den linken Arm um ihn und drückte ihn freundschaftlich an sich. „Herzlichen Glückwunsch zum Geburtstag. Ich hoffe, die Jungs haben dir noch nicht unser Geschenk gegeben.“

Ken lächelte und schüttelte dabei den Kopf. „Nein, sie wollten warten, bis du zu Hause bist, damit ihr alle zusammen es mir geben könnt. Scheint ja etwas Größeres zu sein. Und in die Küche durfte ich heute auch nur um zu frühstücken. Dann haben mich die Beiden wieder hinaus geworfen.“

„Haben sie also wieder etwas zu verbergen“, meinte Yohji grinsend. „Aber wie ich sie kenne, lohnt es sich dann wenigstens für dich.“

„Aber natürlich tut es das“, warf Omi ein. „Und jetzt lasst uns endlich nach Hause fahren, du warst lange genug hier, Yohji-kun.“

Gemeinsam verließen sie das Krankenzimmer und Aya unterschrieb noch die Entlassungspapiere. Kurze Zeit später befanden sich die vier jungen Männer im Auto auf dem Heimweg.

„Bin ich froh, da endlich raus zu sein“, sagte Schuldig und seufzte erleichtert. „Es ist ja schon langweilig, wenn man nachts ein paar Stunden bei Weiß nichts zu tun hat. Aber da im Krankenhaus war es einfach nur grausam. Da konnte ich ja wirklich rein gar nichts tun und hatte nicht mal euch zum Reden. Ihr könnt einem richtig fehlen, wisst ihr das?“ Sein übliches, höhnisches Grinsen stahl sich auf seine Lippen. Allerdings war er wirklich froh, sich wieder richtig mit jemandem unterhalten zu können.

„Aber du hattest doch Yohji“, meinte Nagi. „Du hattest doch genug damit zu tun, auf ihn auf zu passen. Sollte man jedenfalls meinen.“

Der Deutsche nickte. „Das habe ich ja auch getan, nur hat er eben die meiste Zeit geschlafen, weil ihm genau so langweilig war wie mir. Ich habe aber eine interessante Entdeckung gemacht. Ich glaube, Yohji hat mich reden gehört oder vielleicht auch bloß meine Gedanken aufgeschnappt, als ich in seinem Unterbewusstsein war. Er hatte es erwähnt und wusste auch, dass ich da bin.“

Brad weitete kaum merklich die Augen. „Er hat dich bemerkt? Richtig bemerkt?“

„Ja“, bekräftigte der Mann mit dem flammendorange Haar kopfnickend. „Er hat mit mir gesprochen oder es zumindest versucht. Er hat gemerkt, wenn ich in seinen Gedanken war und wenn ich mich wieder zurückgezogen habe. Ich meine, ich hab ihm zwar gesagt, dass ich jetzt immer bei ihm sein werde, aber hätte nicht wirklich gedacht, dass er es dann auch wahrnimmt.“

„Du hast es ihm gesagt?“, hakte Farfarello nach. „Wann? Und vor allem: Warum? Wir sollen unauffällig sein. Hast du das etwa schon wieder vergessen?“

„Ja, das weiß ich doch. Aber wenn ich es nicht getan hätte, dann wäre er mit Sicherheit gestorben“, begann Schuldig sich zu rechtfertigen. „Nachdem er gestürzt war, war ich die ganze Zeit über in seinem Unterbewusstsein. Hast du schon mal davon gehört, dass Leute die beinahe gestorben wären etwas von einem weißen Licht erzählen? Genau davon hab ich ihn abgehalten, indem ich seinen Geist beschäftigt habe. Mit jemandem, der hirntot ist, kann man nicht mehr viel anfangen.“

Die anderen drei Schwarz-Mitglieder wussten, dass der Deutsche mit dieser Aussage Recht hatte und ließen es dabei bewenden. Sie hofften bloß, dass der Erzengel Michael diese Ansicht teilen würde.
 

Wieder zu Hause bei Weiß angekommen brachte Ken schnell Yohjis Tasche in dessen Zimmer und kam dann wieder nach unten.

„Dann können wir ja Ken jetzt sein Geburtstagsgeschenk geben“, meinte Omi fröhlich und wippte etwas unruhig mit den Füßen auf und ab. Zwar war davon auszugehen, dass seinem Freund das Geschenk gut gefiel, aber trotzdem fand der Junge es immer wieder spannend zu sehen, wie jemand reagierte.

Der Rotschopf schüttelte den Kopf. „Wollen wir nicht erst essen?“

„Au ja, etwas Richtiges zu essen“, sagte Yohji schmachtend. „Krankenhausfraß ist das Allerletzte und absolut ungenießbar.“

„Ich bin zwar schon total neugierig“, gab Ken zu, „aber ich kann ja nicht verantworten, dass Yohji vor Hunger noch vom Fleisch fällt.“

„Also gut, dann machen wir zuerst einmal das Mittagessen“, räumte der blonde Junge ein. „Hast du einen besonderen Wunsch, was du heute essen möchtest, Ken?“

„Wenn du schon so fragst, dann hätte ich gerne ein drei Gänge Menü. Als Vorspeise Okonomiyaki, als Hauptgericht Hühnchen Teriyaki und zum Dessert gebackene Banane.“

Omi nickte. „Ich denke, das geht in Ordnung. Aber zum Dessert gibt es etwas anderes. Hilfst du mir beim Kochen, Aya-kun?“

„Sicher“, stimmte der Rotschopf zu und wandte sich dann an die anderen Beiden. „Ihr könnt euch so lange noch vor den Fernseher setzen oder irgendetwas anderes machen. Wir schaffen das schon alleine.“ Mit diesen Worten schob er sie praktisch aus der Küche hinaus.

Yohji und Ken folgten dem Vorschlag und setzten sich im Wohnzimmer auf das bequeme Sofa. Der Playboy riss sofort die Fernbedienung an sich und blinzelte den anderen Mann dann entschuldigend an.

„Bitte nur einmal durchzappen, danach hast du für heute die Macht. Aber im Krankenhaus haben die es irgendwie nicht geregelt gekriegt, den Fernseher zu programmieren und das Umschalten ist da ein Krampf.“

Das Geburtstagskind musste lachen. „Tu dir keinen Zwang an, zapp ruhig ein wenig hin und her. Aber gleich kommt ein Sportmagazin, was ich mir ansehen wollte.“
 

Wenig später saßen die vier jungen Männer zusammen in der Küche am Tisch und genossen das Menü, das Aya und Omi gezaubert hatten.

Yohji musste notgedrungen mit einer Gabel in der linken Hand vorlieb nehmen, obwohl er auch lieber stilgerecht mit Stäbchen gegessen hätte. Dies konnte er mit der linken Hand allerdings überhaupt nicht und wäre bei dem Versuch wohl tatsächlich noch verhungert.

„Das sieht alles so lecker aus“, meinte Nagi mit einem sehnsüchtigen Blick in die Töpfe. „Da möchte man doch auch endlich mal wieder einen Happen essen.“

Schuldig nickte zustimmend. „Ja, das finde ich auch. Und das riecht auch echt gut. Ich glaube, ich habe Hunger.“

„Du hast keinen Körper, du kannst gar keinen Hunger haben“, warf Farfarello ein.

„Na gut, dann habe ich eben keinen Hunger, sondern Appetit. Fakt ist: Ich will was essen.“

„Ich fürchte, das kannst du vergessen“, sagte Brad trocken und verschränkte die Arme vor der Brust.

„Man wird doch wohl noch träumen dürfen.“ Der Deutsche seufzte leise. Da freute man sich endlich nach Hause zu kommen und wieder jemanden zum reden zu haben und dann durfte man sich so etwas anhören. Gleich darauf wunderte er sich über seine eigenen Gedanken, er bezeichnete den Blumenladen und die dazugehörige Wohnung bereits als sein Zuhause. Vermutlich war es das auch mittlerweile, wenn auch eher unfreiwillig und würde es auch für die nächsten Jahre oder Jahrzehnte sein. Wer wusste das schon?

Nach dem Hautgang räumte Aya den Tisch ab und stellte das schmutzige Geschirr zunächst einmal neben die Spüle. Omi erhob sich ebenfalls von seinem Platz und drehte sich nochmals zu den beiden anderen um.

„Yohji-kun? Kannst du Ken-kun bitte die Augen zu halten?“, fragte er. „Jetzt kommt der Nachtisch.“

Der honigblonde Mann hob daraufhin seine linke Hand und legte sie dem Fußballnarr über die Augen. „Und nicht spicken“, ermahnte er ihn nochmals und fragte sich, warum ihr Jüngster so ein Geheimnis aus der Nachspeise machte, scheinbar hatte er sie schon länger vorbereitet.

Während der Rotschopf den Tisch mit Kuchentellern deckte, holte das jüngste Weißmitglied eine abgedeckte Kuchenplatte hervor. Er stellte den Kuchen auf den Tisch und legte den Deckel beiseite, um einige Kerzen anzuzünden. Auf ein Zeichen hin begann er gemeinsam mit Yohji und Aya, der sich eher unfreiwillig dazu gezwungen fühlte, seinem besten Freund ein Geburtstagsständchen zu singen.

Der Playboy zog seine Hand wieder zurück, so dass Ken ansehen konnte, was nun vor ihm auf dem Küchentisch stand. Omi hatte einen flachen Blechkuchen gebacken, der mit farbigem Zuckerguss verziert war, mit Lebensmittelfarbe ließen sich doch einige Dinge bewerkstelligen. Auf dem Kuchen war ein Fußball mit der Zahl zwanzig in der Mitte zu sehen, darum herum bildeten sich die Worte ’Happy Birthday Ken!’.

„Alles Gute zum Geburtstag, Ken-kun“, sagte Omi, als sie ihr Ständchen beendet hatten und strahlte über das ganze Gesicht.

„Danke, Jungs.“ Der braunhaarige Mann war sichtlich gerührt. „Der Kuchen sieht klasse aus, hoffentlich schmeckt er so gut, wie er aussieht.“

„Aber bestimmt tut er das, Omi hat ihn schließlich gebacken“, meinte Aya und lächelte ebenfalls ganz leicht.

„Na mach schon“, forderte Yohji ihn auf. „Blas' die Kerzen aus und wünsch' dir was.“

Der Angesprochene nickte und tat wie ihm geheißen. Er holte tief Luft und blies in nur einem Zug sämtliche Kerzen aus. Was er sich dabei wünschte, blieb jedoch sein Geheimnis.

Hinter seinem Rücken holte der blonde Junge einen Briefumschlag hervor und überreichte ihn Ken feierlich. „Das ist unser Geschenk für dich. Mach es auf.“

Der ehemalige Torwart nahm den Umschlag entgegen und fragte sich, was darin sein mochte, es schien sehr klein zu sein. Mit den Fingerspitzen riss er das Papier an einer Seite auf und holte eine bunte Geburtstagskarte hervor. Als er diese öffnete, fielen ihm zwei kleinere Papierstücke entgegen. Seine Augen wurden immer größer, je länger er sein Geschenk betrachtete.

„Saisonkarten“, entwich es schließlich seiner Kehle. „Für jedes Spiel von meinem Lieblingsverein, auf den besten Plätzen und dann auch noch zwei Stück.“

„So kannst du noch jemanden mitnehmen, einen Freund zum Beispiel“, meinte Yohji und zwinkerte keck. „Alles Gute zur Volljährigkeit.“

„Danke, das ist echt toll. Ich weiß gar nicht was ich sagen soll“, sagte Ken ergriffen.

„Sag einfach, dass es dir gefällt“, antwortete Aya. „Das reicht.“

Der braunhaarige Mann nickte. „Ja. Ja, es gefällt mir, sehr sogar. Vielen Dank noch mal.“

Um seiner Freude Nachdruck zu verleihen umarmte er seine Freunde einen nach dem anderen. Dann schnitt er den Kuchen an und Weiß machten sich über die Süßigkeit her.

„Warum haben wir uns nie gegenseitig etwas zum Geburtstag geschenkt?“, fragte Nagi und sah die anderen drei Schwarz-Mitglieder forschend an.

Brad zuckte mit den Achseln. „Weil wir es nicht für nötig gehalten haben, schätze ich.“

„Aber wenn man sich das so ansieht, bekommt man schon das Gefühl, dass man etwas verpasst hat“, meinte Schuldig. „Etwas zu schenken kann scheinbar genau so glücklich machen, wie etwas geschenkt zu bekommen.“

Farfarello nickte bloß. „Im nächsten Leben machen wir es anders.“ Er hätte seinem Geliebten zu gerne persönlich gratuliert, mit ihm in holder Zweisamkeit ein wenig gefeiert und sich eine Überraschung für ihn einfallen lassen. Sogar zu einem dieser langweiligen Fußballspiele wäre er mit ihm gegangen, um ihm eine Freude zu machen.

„Wenn es für uns überhaupt ein nächstes Leben gibt“, gab der Jüngste von ihnen zu bedenken.
 

Nachdem alle gesättigt waren, machten sich Aya und Omi daran, das schmutzige Geschirr zu spülen. Den Nachmittag wollten Weiß ebenfalls noch zusammen verbringen und Ken am Abend ins Kino einladen. Der Weiß-Leader war allerdings der Ansicht, dass ihr ältestes Mitglied im Bett besser aufgehoben war.

„Ken? Macht es dir etwas aus, wenn wir Drei alleine gehen? Yohji ist noch lange nicht gesund und er sollte zu Hause bleiben.“

Yohji nickte leicht. „Mir geht es nicht so gut, ich habe Kopfschmerzen, mir ist schwindelig und irgendwie ist mir schlecht. Aber das hat überhaupt nichts mit deinen Kochkünsten zu tun, Omi“, setzte er noch hastig hinterher, um sich nicht noch unbeliebt zu machen.

Der ehemalige Torwart schüttelte den Kopf. „Nein, leg dich ruhig hin, das ist schon in Ordnung. Mit einer Gehirnerschütterung sollte man sowieso nicht so viel unternehmen.“

„Davon kann auch deine Übelkeit kommen“, ergänzte Omi. „Leg dich ins Bett, normalerweise liegt man damit ja auch eine Woche im Krankenhaus.“

„Aber ich würde den Film auch gerne sehen, auch wenn es mir mies geht“, meinte der Playboy, alleine war es ihm einerseits zu langweilig und andererseits wurde er sich dann wieder der Gegenwart Schuldigs vollends bewusst.

Aya schüttelte den Kopf. „Du bleibst hier und ruhst dich aus, du fällst sowieso schon lange genug aus. Wenn du dich auskuriert hast, kannst du ins Kino gehen.“

„Du kannst manchmal so herzlos sein, Aya.“ Yohji verzog schmollend die Lippen und ging dann die Treppen hinauf in sein Zimmer. Der Kinobesuch war bereits vor der letzten Mission beschlossen worden und er konnte schließlich nichts dafür, dass er verunglückt war. Andererseits fühlte er sich wirklich schlecht und konnte ein paar Stunden Schlaf gebrauchen.

Oben angekommen sah er sich nur kurz in seinen eigenen vier Wänden um, es war ein gutes Gefühl, sich wieder in vertrauter und angenehm heimeliger Atmosphäre aufzuhalten. Er schloss die Tür hinter sich und zog dann die Vorhänge am Fenster zu, jetzt musste er immerhin nicht mehr auf kalte, kahle Wände starren, so etwas konnte ziemlich frustrierend sein.

Yohji wandte sich seinem Bett zu und begann seine Kleidung abzulegen, was sich mit einem Arm in einer Schlinge als recht schwieriges Unterfangen herausstellte. Als er es schließlich geschafft hatte, sich bis auf die Shorts zu entkleiden, legte er sich in sein Bett und zog die Decke über sich. Wieder in seinem eigenen Bett zu liegen und den bekannten Duft um sich zu haben, ließ ihn sich sofort entspannen und er schloss die Augen, um zu schlafen.

Nach einigen Minuten drehte sich der Playboy wieder auf den Rücken und starrte an die Decke.

„Schuldig? Du bist hier, habe ich Recht?“, flüsterte er leise und wartete gespannt darauf, ob etwas passierte.

Der Deutsche setzte sich an die Bettkante und betrachtete seinen Schützling lächelnd. „Natürlich bin ich hier. Das hast du doch im Krankenhaus schon festgestellt. Und ich werde auch nicht weggehen.“ Er hob die Hand und strich dem anderen Mann behutsam einige Haarsträhnen aus dem Gesicht. „Weißt du, es hat sich vieles geändert in den letzten paar Wochen.“ Ein leises Seufzen entwand sich seiner Kehle. „Natürlich weißt du es nicht, ihr werdet es nie wissen.“

Yohji drehte den Kopf und sah, ohne es wirklich zu wissen, direkt in Schuldigs Augen, er vermutete bloß, dass er dort saß. Er spürte seine Nähe und die sachte Berührung an seiner Stirn.

„Ja, du bist da“, sagte er lächelnd und fuhr leise fort: „Ich kann es fühlen. Seit der Reanimation fühle ich, dass etwas anders ist als vorher. Darüber habe ich viel nachgedacht, aber das weißt du bestimmt. Ab und zu spüre ich dich in meinen Gedanken. Aber irgendwie wird dieses Gefühl allmählich immer schwächer.“

Auf die Lippen des Deutschen stahl sich ein glückliches Lächeln. Sein Schützling nahm ihn endlich wahr, redete mit ihm. „Du glaubst nicht, wie gut es tut, bemerkt zu werden. So weiß ich, dass ich kein Nichts bin. Und hoffentlich verschwindet deine Wahrnehmung nicht wieder. Aber hören kannst du mich wohl immer noch nicht.“

„Vielleicht bilde ich mir das aber auch alles bloß ein“, flüsterte der Playboy und schloss die Augen. Wahrscheinlich litt er nur unter Wahnvorstellungen, die noch von seinem Beinaheableben und der Gehirnerschütterung herrührten.

„Nein, unter Wahnvorstellungen leidest du ganz bestimmt nicht“, flüsterte Schuldig und beugte sich zu dem anderen Mann herunter.

Für einige Minuten verweilte er so und wartete bis Yohji eingeschlafen war. Dann senkte er sein Haupt noch ein Stück herab und legte seine Lippen federleicht auf die seines Schützlings. In ihm machte sich allmählich der Wunsch breit, endlich mehr zu sein, als nur ein unsichtbarer, ehemaliger Feind. Mit einem schwachen Seufzen setzte er sich wieder auf und betrachtete die ebenmäßigen Gesichtszüge des Schlafenden.
 

Nach einiger Zeit schien die Umgebung sich um jedes der Schwarz-Mitglieder herum zu drehen und sie fühlte sich merkwürdig. Was nun geschah, war für sie mittlerweile nur all zu bekannt, sie nahmen wieder den Express ins Jenseits. Nur einen Augenblick später fanden sie sich zusammen in der altbekannten Umgebung vor dem jüngsten Gericht wieder.

Schwarz blickten sich um und entdeckten die Frau in der Richterrobe und den Erzengel Michael.

„Warum holt ihr uns ausgerechnet jetzt hier her?“, verlangte Schuldig sofort ohne weitere Umschweife zu wissen. „Yohji braucht mich doch jetzt.“ Er war froh im Augenblick so viel mit ihm zu tun zu haben und endlich bemerkt zu werden, so hatte er eine Beschäftigung und weniger Zeit um nachzudenken.

Das jüngste Gericht lächelte. „Es ist schön zu sehen, wie ernst du deine Aufgabe mittlerweile nimmst und wie sehr dir dein Schützling am Herzen liegt. Wir sind sehr erfreut, diese Entwicklung bei euch allen zu sehen. Deshalb haben wir euch wieder einmal zu uns geholt, um euch mitzuteilen, dass wir sehr zufrieden sind.“

„Soll das heißen, es war nicht schlimm, dass ich bei Yohji eingegriffen habe, obwohl er nicht mein Schützling ist?“, fragte Nagi vorsichtig und fürchtete sich fast vor der Antwort, da es genau so gut hätte sein können, dass dieser Umstand noch gar nicht bekannt war.

Der Erzengel Michael schüttelte jedoch den Kopf. „Nein, warum sollte das schlimm gewesen sein? Es zeigt uns, dass ihr durchaus mehr Verantwortung übernehmen könnt und immer besser zusammen arbeitet, immer selbstloser. Ihr wandelt euch.“

„Dann bin ich ja erleichtert“, meinte der kleine Japaner und lächelte.

„Habt ihr uns jetzt nur hier her bestellt, um uns zu loben?“, wollte Farfarello wissen. „Wenn dem so ist, können wir ja jetzt wieder gehen.“ Er mochte die Gegenwart der Beiden nicht besonders.

„Nein, das ist noch nicht alles“, teilte die Frau in der Richterrobe mit. „Wir sind mit euch allen zwar zufrieden, aber uns ist doch noch etwas aufgefallen. Schuldig, dein Schützling hat dich bemerkt.“

Der Deutsche zuckte kurz erschrocken zusammen, sollte diese Tatsache vielleicht jetzt alles, was sie erreicht hatten, zunichte machen? „Ja, das hat er allerdings. Aber es war wirklich keine Absicht, das ist einfach passiert.“

„Wir machen dir keinen Vorwurf“, nahm Michael ihm den ersten Schrecken. „Wir gehen davon aus, dass es nur ein vorübergehender Zustand ist, weil du so lange mit seinem Geist verbunden warst und ihn aus den Klauen des Todes gerettet hast. Darum ist es auch nicht weiter tragisch, auch wenn es euch verboten ist, euch offensichtlich bemerkbar zu machen. Es ist schließlich in Ausübung deiner Pflicht geschehen und nicht zu deinem eigenen Vergnügen.“

„Da bin ich aber erleichtert.“ Schuldig atmete erlöst auf, wenigstens hatte er dieses Mal alles richtig gemacht.

„Wir sind sogar sehr stolz darauf, wie ihr und ganz speziell du, Schuldig, diese Situation gemeistert habt. Darum haben wir beschlossen euch noch einige Kräfte zuzusprechen“, verkündete das jüngste Gericht und lächelte dabei gewohnt milde.

Bevor die vier angenehm überraschten Schwarz-Mitglieder etwas dazu sagen konnte, ergriff der gefiederte Himmelskrieger wieder das Wort. „Eure Kräfte entwickeln sich zwar allmählich weiter, aber wir werden euch noch einige zusätzliche Dinge erlauben. Von nun an könnt ihr euch sichtbar machen und euch Gehör verschaffen, allerdings nicht zu eurem eigenen Spaß, aber das muss ich wohl mittlerweile nicht immer extra erwähnen. Setzt die Fähigkeit nur ein, wenn es notwendig ist, zum Beispiel um anderen Leuten, die euch nicht kennen und mit denen ihr nicht direkt etwas zu tun habt, etwas mitzuteilen und sie von Dingen abzuhalten, die für eure Schützlinge schädlich sind. Von jetzt an müsst ihr auch aufpassen, wenn ihr schreit, da man euch dann hören könnte, wenn ihr es nicht unterbindet.“

„Das hört sich doch prima an“, meinte Nagi fröhlich.

„Aber das bedeutet auch wieder mehr Verantwortung“, bremste Brad die Freude ihres Jüngsten.
 

Yohji wachte auf. Er blinzelte müde und rieb sich verschlafen über die Augen. Was genau ihn geweckt hatte, vermochte er nicht zu sagen, daher vermutete er, dass seine Freunde bereits wieder zu Hause waren und er vom Lärm aufgewacht war. Ein Blick auf seinen Wecker verriet ihm jedoch, dass dies absolut unmöglich war, da die anderen im Moment im Kino sitzen müssten.

Trotzdem hatte der Playboy ein merkwürdiges Gefühl und dann wurde ihm auch klar, was anders war: Irgendetwas fehlte. Das Zimmer fühlte sich leerer an als zuvor, er fühlte sich allein und die Geborgenheit war nicht mehr da.

Schuldig ist fort, fiel es Yohji wie Schuppen von den Augen. Er hatte ihn alleine gelassen, obwohl er versprochen hatte, immer für ihn da zu sein. Was dem Assassin jedoch noch mehr Sorgen machte, als das Verschwinden des Telepathen, war die Tatsache, dass es ihn störte.
 

Die Frau in der Richterrobe nickte. „So ist es, aber wir haben Vertrauen in euch, dass ihr auch damit umgehen könnt. Außerdem dürft ihr euch eine einmalige Sache wünschen, sofern es im Rahmen des Möglichen liegt, also nicht solche Dinge wie wieder Menschen zu sein oder Flügel zu haben.“

„Wir dürfen uns etwas wünschen?“ Die Augen des jungen Japaners begannen zu leuchten, auch wenn es nur eine Kleinigkeit war, die sie haben durften, war es immerhin so etwas wie eine Auszeichnung für gute Arbeit. Außerdem sollte man sich auch über die kleinen Dinge im Leben oder auch Unleben freuen und einen sonderlich großen Wunsch hatte er nicht. „Ich möchte mal wieder Eiscreme essen, ein großes gemischtes Eis mit Sahne und Schokoladensoße. Geht das?“

„Ja, Eiscreme ist in Ordnung, die sollst du bekommen“, bestätigte Michael und sah die anderen erwartungsvoll an. „Wisst ihr auch schon, was ihr möchtet?“

Brad schüttelte den Kopf. „Nein, mir fällt so auf Anhieb leider nichts Bestimmtes ein. Kann ich mir meinen Wunsch auch aufsparen für später und ihn einlösen, wenn ich mir etwas ausgedacht habe?“

Das jüngste Gericht lächelte. „Natürlich kannst du dir auch später noch etwas wünschen.“

„Ich glaube, ich weiß, was ich mir wünsche“, teilte Farfarello mit, während der Deutsche noch nachdachte. Es wollte gut überlegt sein, was man sich wünscht, schließlich bekam man nicht jeden Tag einen Wunsch erfüllt. Der Ire trat nah an den Schreibtisch heran, beugte sich zu der Frau dahinter vor und sprach mit gedämpfter Stimme, damit die anderen ihn nicht hörten. „Ich möchte meinem Freund eine Nachricht schreiben, damit er sich nicht weiter unnötig Sorgen macht. Ich fasse mich auch kurz und werde nichts von alledem hier sagen.“

„Gut, ein paar Zeilen seien dir gestattet“, sagte die Frau und wandte sich dann an Schuldig. „Und hast du dir auch etwas überlegt?“

Der Deutsche nickte kurz. „Ja, ich habe sehr gut darüber nachgedacht, aber es ist etwas sehr persönliches. Kann ich mit Ihnen allein sprechen?“

Das jüngste Gericht war zwar verwundert, stimmte aber zu. Sie wies den Erzengel Michael an sich um die Wünsche der anderen Drei zu kümmern und sie wieder zur Erde zu schicken. Dann wandte sie sich wieder an das verbliebene Schwarz-Mitglied. „Also? Was liegt dir auf der Seele?“, fragte sie und schenkte ihrem Gegenüber ein fürsorgliches, fast mütterliches Lächeln. Natürlich wusste sie bereits, worum es ging, aber sie musste es aus seinem Munde hören.

Dieses Lächeln ließ Schuldig zunächst schwer schlucken, es erinnerte ihn zu sehr an das, worum er bitten wollte. Dann setzte er jedoch an, sein Anliegen vorzubringen.

„Nun ja ... es geht um meine Mutter.“ Er brach ab. Er hatte wirklich die ganze Zeit, seit sie den Wunsch erlaubt bekommen hatten, darüber nachgedacht. Aber wollte er das jetzt wirklich fragen? Konnte er das? Was hatte er für eine Antwort zu erwarten? Das würde er wohl erst wissen, wenn er es endlich über die Lippen brachte.

Die Frau wartete geduldig und machte keine Anstalten, ihn zu etwas zu drängen oder ungeduldig zu werden. Immerhin wusste sie, wie schwer es für den Mann war, jemanden um einen Gefallen oder um Hilfe zu bitten, auch wenn sie es ihm zuvor angeboten hatte.

Schuldig nahm nochmals seinen Mut zusammen. Jetzt oder nie. „Meine Mutter ist schon einige Jahre tot und ... also ich denke halt mal, sie ist im Jenseits, vielleicht im Himmel oder was auch immer sie erwartet hat. Gäbe es ... Besteht ... Ähm ...“

Was war mit ihm los? Er druckste doch sonst nicht so lange bei einer Sache herum. Er fasste sich wieder und fuhr schließlich fort: „Wäre es möglich, dass ich mich mit ihr treffen, sie sehen, mit ihr reden kann?“

Da! Endlich war es raus.

Er war bestimmt kein Muttersöhnchen, ist er nie gewesen, soweit er sich erinnern konnte, immerhin war er weitestgehend ohne sie aufgewachsen. Aber es gab so viel, was er ihr sagen wollte und was er noch wissen musste. Doch vor allen Dingen wollte er ihr sagen, wie Leid es ihm tat, nichts getan zu haben und damals einfach zugelassen zu haben, was passiert war.

Schuldig beobachtete die Reaktion des jüngsten Gerichts aufmerksam. Ihre Lippen kräuselten sich zu einem traurigen Lächeln, das sich in ihren Augen widerspiegelte. Dann schüttelte sie leicht den Kopf. „Nein, das geht leider nicht, es tut mir Leid.“

Der Deutsche war perplex. „Was? Wieso denn nicht?“, fragte er verwirrt. „Wenn das ein zu großer Wunsch ist, dann strenge ich mich noch mehr an, ich werde mir noch mehr Mühe geben, wenn nötig. Aber ich muss unbedingt mit ihr reden, wenn auch nur für fünf Minuten, bitte.“

„Ich weiß, dass du sie wirklich sehr gerne sprechen würdest und ich würde dir diesen Wunsch auch gerne erfüllen, wenn ich könnte. Aber ich kann nicht, es geht wirklich nicht. Das hat allerdings nicht direkt etwas mit dir zu tun, verdient hättest du es dir. Es ist nur so, dass deine Mutter nicht mehr im Jenseits verweilt“, erklärte die Frau ihm einfühlsam.

Diese Erklärung verwirrte ihn allerdings nur noch mehr. „Was soll das denn nun heißen? Sie weilt nicht mehr im Jenseits? Sie ist doch tot, ich war dabei, als sie gestorben ist.“

„Ja, sie ist ja auch gestorben und sie war hier. Aber sie ist mit sich ins Reine gekommen, sie hat deinem Vater vergeben und nie aufgehört dich zu lieben. Sie hat dir nicht im Geringsten die Schuld an dem gegeben, was damals passiert ist, so wie du glaubst. Ihre Seele ist wiedergeboren worden, in einem kleinen Mädchen.“ Sie hielt kurz inne und schien zu überlegen. Dann fuhr sie im gleichen tröstenden Tonfall fort: „Wenn du möchtest, kann ich dich einen kurzen Blick auf sie werfen lassen.“

Schuldig musste schlucken. Einerseits wollte er seine Mutter gerne sehen, einfach wissen, ob es ihr gut ging, andererseits jedoch waren seine Gefühle diesbezüglich mehr als zwiegespalten. Dann nickte er jedoch. „Ja, wenn das geht, dann möchte ich sie sehen.“

„Wenn es nicht ginge, dann böte ich es dir nicht an.“ Sie stand auf und ging um ihren Schreibtisch herum. „Komm ein Stück weit mit mir. Leider kann ich sie dir nur von hier aus zeigen, ein persönliches Treffen ist nicht gestattet, so lange es nicht zufällig ist.“

Mit einer Handbewegung öffnete das jüngste Gericht eine Art Fenster. Dahinter war ein kleines Mädchen von etwa zwei Jahren zu sehen, das mit einigen Plüschtieren spielte. Die Aura des Kindes fühlte sich für den Deutschen vertraut an.

„Das ist sie?“, fragte er trotzdem nochmals leise nach.

Die Frau nickte. „Ja, das ist sie. Und du brauchst dir keine Sorgen zu machen, es geht ihr gut und sie lebt in einer sehr liebevollen Familie.“

Schuldig schluckte und nickte dann ebenfalls verstehend. „Dann bin ich beruhigt. Sie sieht glücklich aus.“

Das jüngste Gericht schloss das Fenster wieder. „Du musst dir wirklich keine Sorgen mehr um sie machen, lasse die Vergangenheit ruhen. Es ist passiert und du kannst es nicht ändern, nur versuchen, es besser zu machen.“

„Vielen Dank, ich glaube, das hilft mir“, meinte der Deutsche und lächelte.

„Und jetzt ist es für dich Zeit zu gehen. Yohji braucht dich doch.“

Die Frau in der Richterrobe lächelte ihn liebevoll an und sandte ihn dann ebenfalls wieder zurück zur Erde.

Neue Erkenntnisse

Wir sind keine Engel
 

Kapitel 12: Neue Erkenntnisse
 

Als die drei Schwarz-Mitglieder wieder zur Erde zurückkehrten, war die Nacht bereits hereingebrochen. Ihre Schützlinge waren von ihrem Kinobesuch bereits wieder zu Hause und lagen schlafend in ihren Betten. So hatten die Schutzengel genug Gelegenheit ihre neuen Kräfte auszuprobieren. Brad und Nagi taten dies beinahe in gleicher Weise, sie stellten sich vor etwas, das spiegelte und machten sich sichtbar.

Farfarello trat zuerst an Kens Bett heran und betrachtete den Schlafenden, was ihm ein Lächeln entlockte. Er holte die kleine Karte hervor, die er geschrieben hatte und legte sie gut sichtbar auf den Schreibtisch. So konnte sein Geliebter sie überhaupt nicht übersehen, sondern direkt nach dem Aufstehen lesen. Wenn allerdings jemand herein kam, um ihn zu wecken, so würde diese Person die Karte natürlich ebenfalls sehen. Der Ire beschloss daher, sie doch an einem anderen Ort zu drapieren. Er sah sich kurz um und entschied sich dann für den Kleiderschrank, schließlich war frische Kleidung anzuziehen mit eines der ersten Dinge, die Ken am Tag tat. Leise öffnete der Mann mit der Augenklappe die Schranktür und legte die Karte in das Unterwäschefach auf die oberste Shorts, hier musste sein Geliebter die Nachricht einfach finden.
 

Schuldig kehrte kurze Zeit nach den anderen wieder zu Weiß zurück und befand sich direkt in Yohjis Schlafzimmer. Wie erwartet lag dieser immer noch in seinem Bett und der Deutsche prüfte, ob er auch noch genauso friedlich schlief wie zu dem Zeitpunkt, als er ihn verlassen hatte. Die Augen des Playboys waren geschlossen und seine Brust hob und senkte sich gleichmäßig, was den Schutzengel darauf schließen ließ, dass er im Land der Träume verweilte.

Seine Annahme wurde jedoch revidiert, als Yohji ihn leise, aber deutlich ansprach. „Du bist weggegangen und hast mich doch alleine gelassen. Warum kommst du jetzt wieder? Ich habe die ganze Zeit darüber nachgedacht, ob ich mir vielleicht doch alles nur eingebildet habe. Aber dem ist nicht so, ich fühle ganz deutlich deine Gegenwart.“

„Du hast gespürt, dass ich fort war?“, fragte Schuldig verwundert und setzte sich an den Bettrand. „Es tut mir Leid, Yohji, aber ich hatte keine andere Wahl. Außerdem ist es nur zu deinem Wohl geschehen.“

Der Playboy drehte sich auf die andere Seite und sah wieder durch seinen Schutzengel hindurch. „Warum kann ich dich nicht mehr sehen oder hören? Ich konnte es doch nach meinem Sturz. Oder war das nur, als ich tot war?“ Er runzelte nachdenklich die Stirn.

Der Deutsche seufzte leise. „Jetzt könnte ich mich für dich auch sichtbar und hörbar machen, aber das darf ich leider nicht leichtfertig tun. Ich kann nur noch einmal wiederholen, dass es mir Leid tut. Und es hat sich schließlich auch alles nur in deinem Kopf abgespielt. Was danach im Krankenhaus passiert ist, war wohl nur reiner Zufall, weil ich zu lange deine Gedanken belagert habe.“

Yohji dachte noch einen Moment lang nach und murmelte dann wieder leise vor sich hin. „Wenn ich dich nur gesehen habe, als ich tot war, bedeutet das dann, dass du auch tot bist? Das würde natürlich erklären, warum wir so lange nichts von euch gehört haben. Vielleicht sucht ihr alle uns ja jetzt heim, ohne dass wir es wissen.“ Er lächelte ein wenig über sich selbst, anstatt die ganze Zeit nachzudenken, hätte er wohl doch besser schlafen sollen.

„Oh Yohji, Yohji. Du weißt ja gar nicht, wie Recht du hast. Da kommt wohl mal wieder der kleine Detektiv in dir durch“, meinte Schuldig und schmunzelte. „Aber jetzt solltest du wieder schlafen. Warst du etwa die ganze Zeit über wach und hast auf mich gewartet?“ Er war gerührt, das hatte noch nie jemand getan, die ganze Nacht wach gelegen, nur weil er nicht da war. Vorsichtig strich er die Haarsträhnen zur Seite, die dem anderen ins Gesicht fielen, woraufhin dieser wieder die Augen schloss und sich beinahe gegen diese Geste schmiegte.

Bald darauf war Yohji auch endlich wieder eingeschlafen, die Gegenwart von Schuldig oder was auch immer es für ein Wesen sein mochte, beruhigte ihn auf seltsame Weise.
 

Am nächsten Morgen erwachte Ken durch das Klingeln seines Weckers und rieb sich müde über die Augen, nachdem er das Gerät zum Schweigen gebracht hatte. Er stieg aus dem Bett und streckte sich ausgiebig, um gleich darauf seinen Kleiderschrank zu öffnen und frische Kleidung heraus zu nehmen. Als er nach einer Shorts griff, stutzte er, da dort zu oberst eine Karte, wie man sie vielleicht zum Valentinstag verschenken würde, lag. Er nahm sie an sich, klappte die auf und las aufmerksam den Text, der darin in einer ihm sehr vertrauten Handschrift geschrieben stand: ‘Ken, mach dir bitte keine Sorgen um mich, ich musste unerwartet auf unbestimmte Zeit fort. Ich liebe dich, Jay‘.

Der Assassin war den Tränen nahe, als er die wenigen Zeilen immer wieder las. Sein Farfarello, sein Jay hatte ihn also doch nicht vergessen und musste sich wohl am Vorabend, während sie im Kino waren und Yohji geschlafen hatte, oder in der Nacht in sein Zimmer geschlichen und die Nachricht dort platziert haben. Er klappte die Karte wieder zusammen und drückte sie leicht an sich, während er seine Augen schloss und zwei einzelne Freudentränen über seine Wangen rannen. Dies war das schönste Geburtstags- oder auch Weihnachtsgeschenk, je nachdem wie man es betrachten wollte, dass er bekommen hatte oder überhaupt bekommen konnte.

Farfarello beobachtete diese Szene mit gemischten Gefühlen, er konnte spüren, wie scheinbar eine große Last von Kens Schultern fiel und seine Seele um ein vielfaches erleichterte. Einerseits freute er sich ebenfalls darüber, aber andererseits hätte er ihn am liebsten in die Arme geschlossen und ihm gesagt, dass er doch die ganze Zeit über bei ihm war. Aber ihm war klar, dass er es nicht durfte, auch wenn er es jetzt mit den neuen Kräften Problemlos bewerkstelligen konnte. Stattdessen strich er sehr vorsichtig mit den Fingerspitzen durch den braunen Haarschopf des anderen und federleicht über dessen Wange.

Ken spürte die Berührung und den dadurch verursachten, kühlen Luftzug auf seiner Haut. Er öffnete seine Augen wieder und sah zum Fenster, da dieses allerdings geschlossen war, konnte er nicht ausmachen, weshalb es ihn für einen Augenblick leicht, wenn auch nicht unangenehm, fröstelte. Mit einem erneuten Blick auf die Karte schlich sich ein neuerliches glückliches Lächeln auf seine Lippen und er wandte sich von seinem Kleiderschrank ab. Er beugte sich zu seinem Nachttisch herunter und öffnete die Schublade, um etwas darin zu suchen. Nach einem kurzen Augenblick nahm er das Foto seines Geliebten, das er darin aufbewahrte, an sich und legte es in die Karte. Beides versteckte er dann wieder in der Schublade unter einigem Kleinkram, die anderen sollten von dieser Sache nichts erfahren. Es reichte, dass Omi ihm bereits auf die Schliche gekommen war, aber er konnte seinem Freund vertrauen, er hielt seine Versprechen immer.

Dann griff er nach seiner Kleidung, verließ sein Zimmer und verschwand ins Badezimmer.
 

Während Ken, Aya und Omi den Vormittag über im Blumenladen arbeiteten, schlief Yohji sich aus, was die anderen ausnahmsweise zuließen, schließlich hatte der Arzt gesagt, er sollte sich noch die nächsten ein bis zwei Wochen schonen. Da er deshalb sowieso nicht mitarbeiten konnte, konnten sie ihn genauso gut schlafen lassen, ausgehen würde er schließlich auch nicht können.

Schuldig saß immer noch an Yohjis Bett und beobachtete ihn mittlerweile etwas gelangweilt.

„Kannst du nicht endlich mal aufstehen? Wenn du nach unten gehst, kann ich mich wenigstens mit den anderen unterhalten.“

Diesen Gefallen tat der Schlafende dem Deutschen jedoch nicht. Da er die halbe Nacht wach gelegen und mit nachdenken verbracht hatte, war er noch viel zu erschöpft und müde.

Erst als es Zeit für das Mittagessen wurde klopfte es an der Zimmertür und kurz darauf streckte Omi seinen Kopf ins Zimmer.

„Yohji-kun? Willst du nicht aufstehen und mitessen? Es gibt Nudelsuppe“, fragte er nur mit wenig Hoffnung, sofort eine Antwort zu bekommen.

Da diese wie erwartet ausblieb, betrat er das Zimmer ganz und ging zum Bett hinüber. Zunächst rüttelte er seinen Freund vorsichtig an der linken Schulter und verstärke seine Bemühungen, als die gewünschte Reaktion wiederum ausblieb. Erst dann regte sich der Playboy und blinzelte den blonden Jungen verschlafen an.

„Morgen, Omi“, nuschelte er und rieb sich über die Augen. „Was ist denn los? Ist was passiert, weshalb du mich weckst?“

„Guten Morgen? Es ist bereits Mittag“, teilte der Jüngere fröhlich mit. „Und passiert ist nichts. Ich wollte nur fragen, ob du Hunger hast und zum essen herunter kommen willst. Aya hat Nudelsuppe gekocht.“

Yohji wog ab, ob er nun aufstehen oder liegen bleiben sollte. Ayas Kochkünste waren nicht zu verachten, aber andererseits fühlte er sich noch müde und ausgelaugt. Das Knurren seines Magens überzeugte ihn jedoch davon, ersteres zu tun.

„Gib mir eine viertel bis eine halbe Stunde, um mich anzuziehen, mit dem kaputten Arm dauert das etwas länger“, erklärte der honigblonde Mann dann und setzte sich auf.

„Ich sag den anderen Bescheid, dass sie mit dem Essen auf dich warten sollen“, sagte Omi und verließ dann das Zimmer wieder.

Der zurückgelassene Assassin gähnte ausgiebig und erhob sich von seinem Bett. Er ging zu seinem Fenster und schob die Vorhänge beiseite, um der kargen Wintersonne Einlass in seine vier Wände zu gewähren. Einen Moment lang beobachtete er die Autos und die Menschen auf der Straße, dann wandte er sich ab und lehnte sich gegen das Fensterbrett.

„Guten morgen übrigens, Schuldig“, sagte er leise und sah sich suchend im Raum um. „Du bist also immer da und beobachtest mich bei allem, was ich tue. Man könnte dich demnach praktisch als Spanner bezeichnen.“

Schuldig musste laut loslachen, sein Schützling hatte ja prinzipiell Recht. Da dieser gewöhnlich nackt schlief, stand er nun wieder einmal vollkommen entblößt vor ihm und gewährte pikante Einblicke, die sonst nur seinen Liebschaften vorbehalten waren. „Was du zu bieten hast, ist zwar nicht zu verachten, aber leider bringt mir das nichts. Die Devise lautet leider: angucken, aber nicht anfassen. Damit müssen wir beide klar kommen.“

Yohji seufzte leise. „Wenn mich einer von den anderen so hört, erklären sie mich für verrückt. Und vielleicht haben sie sogar Recht damit.“

Er beschloss, nicht mehr mit jemandem zu reden, der wahrscheinlich überhaupt nicht da, sondern nur blanke Einbildung war. Dieses seltsame Gefühl der letzten Nacht schob er auf die Nachwirkungen der Medikamente, die er im Krankenhaus bekommen hatte. Wenn dieser Zustand anhielt, musste er wohl oder übel mit seinen Freunden darüber reden, auch auf die Gefahr hin, dass sie ihn für einen Deserteur hielten, wenn er von Schwarz phantasierte. Wahrscheinlicher schien ihm jedoch, dass es sich einfach nur um besagte Nachwirkungen oder erst später bemerkbare Probleme handelte, die sein behandelnder Arzt angesprochen hatte.

In einer geschmeidigen Bewegung stieß sich der Playboy vom Fensterbrett ab und ging hinüber zu seinem Kleiderschrank, um sich anzuziehen. Nachdem er dies, dank seiner immer noch schmerzenden Schulter mit einigen Mühen, erledigt hatte, zog er seine Armschlinge ebenfalls an und ging zu den anderen hinunter in die Küche.
 

Die anderen Weiß-Mitglieder warteten bereits ungeduldig und spielten mit dem Gedanken, schon ohne Yohji mit dem Essen anzufangen. Wenn er unbedingt kalte Nudelsuppe wollte, konnte er die alleine essen, sie mochten ihr Mittagessen lieber warm.

Gerade als Aya verlauten ließ, dass die versprochene viertel Stunde bereits vergangen war und sie schließlich nicht ewig warten konnte, bis der Playboy sich hinunter bequemte, erschien dieser in der Küche.

„Guten morgen“, begrüßte er seine Freunde und setzte sich auf seinen Platz. „Ich hoffe, ihr musstet nicht zu lange warten. Aber ich bin im Moment eben reichlich gehandicapt und da müsst ihr ein bisschen Rücksicht auf mich nehmen. Also lasst uns nicht streiten, sondern endlich essen, ihr habt doch bestimmt Hunger.“

„Hallo zusammen“, säuselte Schuldig zur Begrüßung, als er hinter seinem Schützling in die Küche schwebte. „Ist das schön mal wieder mit jemandem reden zu können, der auch antwortet.“

Ken verzog leicht angesäuert das Gesicht, jetzt hatte Yohji auch noch eine gute und berechtigte Ausrede fürs zu spät kommen.

Nagi schaute von Aya zu den beiden Männern, die den Raum betreten hatten. „Das ist ja mal etwas ganz Neues, dass du dich so freust uns zu sehen. Wie war es beim jüngsten Gericht? Was hast du dir gewünscht?“

„Hier gibt es wohl immer wieder neue Dinge, zum Beispiel auch, dass du dich für mich betreffende Dinge interessierst“, zog der Deutsche ihn grinsend auf. „Sind eure Wünsche eigentlich in Erfüllung gegangen?“

Der kleine Japaner nickte eifrig. „Ja, es war einfach toll, mal wieder so ein richtig großes Eis hemmungslos in sich hineinzustopfen.“

Auch Farfarello nickte zustimmend. „Ich habe auch bekommen, was ich wollte.“ Bei diesen Worten wandte er seinen Blick lächelnd zu seinem Schützling, den anderen hatte er bisher immer noch nicht gesagt, was er sich gewünscht hatte und er hatte auch nicht vor, sie darüber zu informieren. Schließlich hatte auch er seine Privatsphäre, es reichte, dass Brad von ihm und Ken wusste.

Eben dieser schüttelte im Augenblick verständnislos den Kopf. „Ich begreife immer noch nicht, wieso man einen Wunsch für so etwas Banales wie ein Eis verschwenden kann. Da hat er die Chance sich etwas richtig Großes zu wünschen und was tut er? Er will ein Eis!“

„Und?“, fragte Nagi desinteressiert. „Es war mein Wunsch und ich konnte damit machen, was ich wollte. Also hab ich mir etwas Schönes gegönnt, von dem ich auch im Moment etwas habe. Was hätte ich mir denn sonst deiner Meinung nach wünschen sollen? Den größten Soft- und Hardware Konzern der Welt zu besitzen?“, fuhr er leicht spöttisch fort. „Was sollte ich denn damit? Ich bin tot und kann damit schließlich nichts mehr anfangen. Du denkst wahrscheinlich darüber nach, wie du deinen Wunsch am gewinnbringendsten investieren kannst, zum Beispiel in Aktien oder einen anderen, für uns doch mittlerweile irrelevanten, Unsinn.“

„Du verbringt zu viel Zeit mit Schuldig“, stellte der Amerikaner trocken fest und beschloss, nicht weiter darauf einzugehen. Stattdessen wandte er sich an den Deutschen. „Und was hast du dir nun geheimnisvolles gewünscht?“

Schuldig setzte sein übliches, süffisantes Lächeln auf. „Wie du schon sagtest, Brad: das ist mein Geheimnis. Aber von meinen Schultern wurde ein Teil meiner Last genommen und meine eigene Hölle ist jetzt, denke ich, ein Stückchen kleiner geworden.“

„Mit anderen Worten: Du hast das jüngste Gericht reingelegt“, bemerkte der Ire trocken.

„Nein, das habe ich nicht“, rechtfertigte sich der Langhaarige. „Ich habe nur etwas aus meiner Vergangenheit geklärt. Schlimm genug ist sie trotzdem noch. Und mehr möchte ich euch nicht dazu sagen, ansonsten hätte ich wohl nicht darum gebeten, das alleine zu regeln.“

Brad nickte. „Das ist doch in Ordnung, wir respektieren deine Privatsphäre.“
 

Nach dem Essen räumte Omi den Tisch ab und Ken ließ Wasser ins Spülbecken.

Yohji stand von seinem Platz auf und seufzte theatralisch. „Ich würde euch ja liebend gerne helfen, aber ich kann zu meinem Bedauern nicht. Mit der linken Hand kann ich so wenig machen und dann mach ich euch im Endeffekt bestimmt nur mehr Arbeit als nötig.“ Mit einem Grinsen im Gesicht wandte er sich zum Gehen. „Ich bin dann im Wohnzimmer.“

Die drei anderen Weiß-Mitglieder sahen ihm leicht kopfschüttelnd nach.

„Warum muss er immer bloß so eine Show abziehen?“, frage Ken verständnislos und griff nach dem Spülschwamm.

Aya zuckte mit den Schultern. „Weil er eben so ist. Aber wenn er anders wäre, könnte er sich wohl eine Menge Ärger ersparen.“

„Und dann wäre er nicht mehr Yohji“, gab Omi zu bedenken. „Braucht ihr mich noch? Oder kann ich auch fernsehen gehen?“

„Nein, geh ruhig“, stimmte der Rotschopf zu und schenkte ihrem Jüngsten ein leichtes, aber liebevolles Lächeln, welches dessen Herz wieder höher schlagen ließ.
 

„Ken und ich fahren einkaufen“, meinte Aya, als er nach dem Abwasch den Kopf ins Wohnzimmer steckte. „Wir brauchen noch einige Sachen. Meinst du, du schaffst es so lange allein auf unser Riesenbaby aufzupassen, Omi?“

„Aber klar doch, Aya-kun“, sagte der blonde Junge fröhlich und grinste in Yohjis Richtung, der sich mit einem mürrischen Blick zu dem Rotschopf umgedreht hatte.

„Ich bin kein Riesenbaby“, nörgelte er. „Ich bin Invalide. Das ist was vollkommen anderes.“

„Ihr werdet die Zeit schon irgendwie herum kriegen und euch irgendwie beschäftigen“, meinte der Weiß-Leader bloß, die letzte Bemerkung ignorierend, und wandte sich dann ab. „Ich denke, wir sind in spätestens zwei Stunden wieder zurück.“

„Bis später, Aya-kun.“

Yohji seufzte leise und sah wieder zum Fernseher. „Und? Sollen wir irgendwas machen? Im Fernsehen kommt nichts Gescheites. Nur Soaps, Game- und Talkshows. Und das will ich mir nun wirklich nicht antun im Moment.“

„Also ich habe ein paar Filme runter geladen. Wenn du willst, können wir uns davon etwas ansehen“, schlug der Jüngere vor und stand von seinem Sessel auf. „Mit der Playstation spielen scheidet wohl aus, weil du dafür beide Hände brauchst.“

„Danke, dass du mich daran erinnerst, ohne dich hätte ich das beinahe vergessen“, seufzte der Playboy leise. Er hasste es einfach nur krank oder gehandicapt zu sein, dann langweilte er sich zu Hause beinahe zu Tode und die Decke fiel ihm auf dem Kopf, weil er schließlich nicht weg konnte, um sich Luft zu machen. Ein paar Filme anzusehen war allerdings immer noch besser, als herum zu sitzen und absolut gar nichts zu tun. „Was sind das denn für Filme?“

„Komm mit nach oben, dann kannst du dir etwas aussuchen.“ Omi nahm die linke Hand seines Freundes und zog ihn auf die Beine. „Jetzt stell dich nicht auch noch so an, als könntest du nicht laufen. Es ist doch bloß deine Schulter, die du schonen musst.“

Gemeinsam gingen die beiden jungen Männer in den ersten Stock in Omis Zimmer und setzten sich vor den Computer, um die Liste an Filmen durchzugehen, die der blonde Junge mittlerweile anzubieten hatte.

„Also was haben wir da?“, fragte Yohji und überflog die Liste kurz.

„Wie wäre es mit ’Mulan’, ’Ice Age’ oder ’Findet Nemo’?“, schlug der Angesprochene vor und erntete dafür einen sehr skeptischen Blick von seinem Gegenüber. „Ich hab auch schon alle drei Teile von ’Herr der Ringe’. Oder hast du vielleicht einen bestimmten Wunsch? Vielleicht kann ich dir ja damit dienen.“

„Du hast nur so ein Zeug, oder? Lädst du dir keine Pornos runter? Vielleicht irgendetwas, was sogar auf dem Index ist?“, fragte der Playboy nicht ganz ernst und grinste dabei keck.

Omis Gesicht verfärbte sich rötlich und er sah den Älteren vorwurfsvoll an. „Yohji-kun! So etwas lade ich nicht runter, das sehe ich mir nicht an.“

Verständnisloses Kopfschütteln folgte als Antwort. „Du bist, glaube ich, der einzige pubertierende Teenager, der sich nicht für so ein Zeug interessiert. Wir sollten da vielleicht mal Abhilfe schaffen.“

„Nein, da brauch man keine Abhilfe schaffen“, sagte der blonde Junge mit vehementem Kopfschütteln. „Und wage es bloß nicht, mir einen Porno zum Geburtstag zu schenken.“

Yohji seufzte leise. „Okay, ich versuche mir etwas anderes einfallen zu lassen. Aber ich garantiere für nichts. Also was sehen wir uns an? Ice Age?“

„Den habe ich schon ein paar Mal gesehen. Das ist zwar ein guter Film, aber man sollte es ja nicht übertreiben.“

„Du hast ihn doch vorgeschlagen“, protestierte der Playboy. „Warum schlägst du was vor, was du eh nicht sehen willst? Meinetwegen können wir dann auch ’Findet Nemo’ ansehen, den kenne ich auch noch nicht.“

Omi nickte. „Dann schauen wir den an. Gehen wir runter, auf dem großen Fernseher ist das besser, als zu zweit vor dem Monitor zu hocken.“

Er nahm die CD und ging mit dem anderen wieder hinunter, wo er im Wohnzimmer den Film sofort in den DVD-Player einlegte.

Yohji sah sich noch kurz in der Küche nach etwas zu knabbern um. Zwar hatten sie gerade erst gegessen, aber Filme ohne etwas zu knabbern ansehen war eben nicht dasselbe wie mit. Seine Suche blieb jedoch erfolglos und enttäuscht begab er sich wieder ins Wohnzimmer, um sich neben seinen jüngeren Freund auf das Sofa zu setzen.

„Wir haben gar keine Chips und keine Schokolade mehr“, beschwerte er sich und wurde gleich darauf von Omi zum Schweigen gebracht, da der Film anfing.
 

Yohji und Omi amüsierten sich bei dem Film königlich, ebenso wie Schuldig, der über den Film ebenso lachte, wie über die Kommentare der Beiden. Nur Brad schien nach einiger Zeit nicht mehr amüsiert zu sein, zum wiederholten Male fragte er sich, ob er so etwas wirklich verdient hatte. Zwar musste er anerkennen, dass es zahlreiche komische Situationen, über die man lachen konnte, gab, war aber der Meinung, dass es bei diesem Lacher bleiben sollte und Szenen nachplappern nicht witzig war.

Gegen Ende des Filmes legte sich eine leichte Melancholie über Schuldigs Gemüt, was dem Amerikaner sofort auffiel und er ihn darauf ansprach.

„Es muss toll sein, so einen Vater zu haben“, meinte der Deutsche daraufhin und lächelte verbittert. „Wäre schön gewesen, wenn meiner nur ein kleines bisschen davon gehabt hätte.“

Freundschaftlich klopfte Brad ihm auf den Rücken. „Wir alle wünschen uns manchmal andere Eltern, aber jeder muss mit dem auskommen, was ihm sozusagen vorgesetzt wird. War es auch das, worüber du mit dem jüngsten Gericht allein sprechen wolltest? Dein Vater?“

„Nein“, antwortete der langhaarige Mann kopfschüttelnd. „Nein, zumindest ging es nicht direkt um meinen Vater, sondern um meine Mutter. Sag es aber nicht Nagi und Farfarello.“

„Versprochen, ich sage ihnen nichts“, entgegnete der Brillenträger und fragte sich, wie viele Geheimnisse er noch würde hüten müssen und was Nagi ihm vielleicht noch offenbaren mochte.
 

Wie angekündigt kamen Ken und Aya nach etwa zwei Stunden wieder vom Einkaufen zurück. Sie teilten nur kurz mit, dass sie wieder im Haus waren und trugen dann die Einkaufstaschen in die Küche, um diese auszupacken und die Vorratsschränke wieder zu füllen.

„Hey, Dudes!“, trällerten Omi und Yohji im Chor den Beiden fröhlich entgegen, als sie die Köpfe zur Küchentür herein streckten. Sie setzten sich an den Küchentisch und inspizierten die Tüten.

Der Playboy griff nach einer Tüte Chips, die Aya ebenfalls gerade nehmen und wegräumen wollte und zwitscherte gut gelaunt: „Meins! Meins!“

„Nein, das ist nicht nur für dich. Wehe dir, du isst wieder die ganze Tüte alleine auf“, ermahnte ihn der Rotschopf und holte zwei weitere Tüten Chips aus einer Einkaufstasche.

Auch diese Tüten waren vor Yohji nicht sicher und er griff danach. „Meins! Meins!“

Der blonde Junge stöberte ebenfalls zwischen den Einkäufen und entdeckte zwischen Nudeln und Reis seine geliebte Schokolade. Mit leuchtenden Augen zog er die Tafeln aus der Tasche und quietschte vergnügt: „Meins! Meins!“

Ken sah nur verständnislos zwischen den beiden scheinbar ins Kleinkindstadium zurückversetzten Assassins hin und her. Bei ihrem Playboy wunderte ihn dieses Verhalten eigentlich längst nicht mehr wirklich, aber er schien heute ihren sonst so vernünftigen Omi angesteckt zu haben. Ein wenig beneidete er sie fast darum, dass sie trotz ihrer Vergangenheit und ihres Lebens bei Weiß noch immer ihr heiteres Gemüt bewahrt hatten. Kopfschüttelnd machte er sich eilig daran, die Lebensmittel in die Vorratsschränke einzuräumen, damit die Beiden nicht noch mehr Chaos veranstalten konnten.

Nachdem Yohji und Omi genügend Leckereien an sich gerissen hatten, tauschten sie schelmische Blicke.

„Hey, Aya. Weißt du was?“, wandte sich der Älteste frech grinsend an ihren Leader. „Wir können jetzt Walisch.“

Der Rotschopf zog leicht irritiert eine Augenbraue nach oben. „Du meinst sicher Walisisch und das lernt man nicht mal eben so in zwei Stunden.“

„Nein, ich meine Walisch.“ Sogleich fing er damit an, zu demonstrieren, was er meinte. Er erzählte, was er und Omi den Nachmittag über getan hatten, wobei er jedes Wort besonders lang zog und hohe wie tiefe Laute vertauschte und übertrieben hervorhob.

„Jetzt hat er endgültig den Verstand verloren“, meinte Nagi entgeistert.

„Und könnt ihr euch vorstellen, dass ich mir das die ganze Zeit anhören musste?“, beschwerte sich Brad und schaute ein wenig leidend drein.

Schuldig grinste. „Jetzt stell dich nicht so an, es war doch lustig. Sogar du musstest mal lachen.“

Der Amerikaner rollte leicht genervt mit den Augen. „Ja, schon. Sogar ich habe so etwas wie Humor. Aber die meisten Sachen sind nur ein Mal lustig und dann nerven sie einfach nur noch.“

„Sei doch nicht immer so ein Spielverderber“, meinte der Deutsche. „Omi und Yohji hatten schließlich eine menge Spaß. Und ich eigentlich auch.“

„Sieh es doch mal so, Brad, du hattest ein wenig Abwechslung“, warf Farfarello ein, der gerade Ken davon abhielt, sich an einer scharfen Papierkante einer Verpackung zu schneiden. „Und schließlich hast du es doch überlebt.“ Er hielt abrupt inne, als er realisierte, was er da überhaupt gesagt hatte.

Das jüngste Schwarz-Mitglied lachte leise auf. „Nein, anders. Keine Folter ist schlimm genug, als das du noch einmal davon sterben könntest.“

„Ihr versteht es wirklich, jemanden wieder aufzubauen“, feixte Brad etwas angesäuert, es passte ihm überhaupt nicht, dass sich die anderen scheinbar wieder auf seine Kosten amüsierten.

Omi ergänzte den Redeschwall des honigblonden Mannes in der gleichen Art und Weise und hatte sichtlich Spaß daran.

„Könnt ihr vielleicht endlich damit aufhören und wieder normal sprechen? Man versteht euch erstens nicht und zweitens könnte man meinen, euch ist etwas zu Kopf gestiegen oder ihr habt irgendetwas eingenommen“, ermahnte Aya sie und nahm ihnen daraufhin die Süßigkeiten weg, um seinen Worten Nachdruck zu verleihen und zu zeigen, dass er es ernst meinte, wie alles, was er tat. Er fragte sich zum wiederholten Male, wie ein erwachsener Mann wie Yohji nur so hoffnungslos albern sein konnte. Dass Omi sich davon so leicht anstecken ließ, bewies zwar wieder einmal, dass er trotz allem noch ein halbes Kind war, aber wenigstens ihr Playboy konnte endlich mal erwachsen werden.

„Anstatt herum zu albern, hättet ihr uns ruhig beim auspacken helfen können“, ergänzte Ken. „Wir haben noch ein paar Sachen im Auto, die wir auch noch auspacken müssen.“

„Es tut mir Leid, Aya-kun“, entschuldigte sich der blonde Junge und half dabei, die restlichen Einkäufe an ihren vorbestimmten Platz zu räumen. „Aber wir hatten eben viel Spaß und waren noch so aufgedreht. Lass uns doch auch ab und zu ein bisschen normal sein.“

Yohji nickte bloß zustimmend, viel mehr hatte er dazu auch nicht zu sagen. Er fand, ihr Leader betrachtete die Dinge meistens viel zu sachlich und zu ernst. Wofür lohnte es sich denn sonst noch zu leben, wenn nicht dafür, es zu genießen und sich dabei zu vergnügen?

Der Rotschopf sah ihren Jüngsten einen Augenblick an. Seine letzte Bemerkung hatte gesessen und hätte treffender nicht sein können. Genau das war es doch, was sie sich alle insgeheim wünschten: Normalität. Auch wenn er diesen Aspekt für sich bereits seit langem aufgegeben hatte, so sollte er wenigstens so fair sein und ihn den anderen gönnen. Ein beinahe entschuldigendes Lächeln huschte über seine Lippen.

„Nein, mir sollte es Leid tun. Immerhin haben wir jetzt ein paar Tage frei und sollten das wohl besser genießen“, versuchte er nachträglich die Wogen ein wenig zu glätten. Sie waren bei ihrer letzten Mission glimpflich davon gekommen, den Blumenladen hatten sie bis ins neue Jahr geschlossen, die Schule fiel aus und sogar Manx hatte ihnen mitgeteilt, dass in der nächsten Zeit vorerst keine Aufträge zu erwarten waren. Die Beiden hatten allen Grund dazu, sich so aufzuführen.

Mit einem leisen Räuspern zog der ehemalige Torwart wieder die Aufmerksamkeit auf sich, um die Lage wieder etwas zu entspannen, so schlimm war es immerhin auch nicht gewesen. „Aya, hilfst du mir noch mit den restlichen Sachen?“, fragte er und verschwand gleich darauf aus der Küche.

„Ja, sicher“, entgegnete der Angesprochene und folgte ihm, dankbar dafür, nicht weiter diskutieren zu müssen, darauf hatte er es er heute schließlich eigentlich nicht angelegt.

Yohji sah den Beiden leise seufzend hinterher und wandte dann seinen Blick zu Omi. „Habe ich schon wieder so übertrieben, dass sie Grund haben sauer zu sein?“

„Nein“, antwortete der blonde Junge mit einem Kopfschütteln. „Ist doch nicht schlimm ab und zu Blödsinn zu machen, außerdem hab ich doch mitgemacht. Aya-kun ist eben leider ein wenig zu verkniffen.“ Aber ich würde ihn gerne ein wenig aus sich heraus locken, setzte er lächelnd in Gedanken hinzu.
 

Nachdem die Beiden noch die leeren Einkaufstüten weggeräumt hatten, gingen sie wieder gemeinsam ins Wohnzimmer. Kurz danach betraten auch Ken und Aya schwer beladen den Raum. Omi drehte zu ihnen um und bekam leuchtende Augen, als er sah, mit was sie sich dort abmühten.

„Ein Weihnachtsbaum!“, jubelte er und sprang vom Sofa auf, um den beiden Älteren um den Hals zu fallen. „Ihr habt tatsächlich einen gekauft! Danke, Aya-kun. Danke, Ken-kun. Ich freue mich so.“

Sie ließen Omis Ansturm über sich ergehen und stellten den Baum vor dem Fenster ab. Während der Braunhaarige ihn festhielt, brachte der Weiß-Leader die Halterung an, damit die Pflanze nicht umfiel.

„Ich würde sagen, im Moment ist es noch eine ziemlich ordinäre Tanne“, meinte der Rotschopf, als er sich wieder aufrappelte. „Aber wie wäre es denn, wenn du daraus für uns einen schönen Weihnachtsbaum machst, Omi?“, fragte er weiter und hielt dem Jüngeren eine Einkaufstüte entgegen.

Der blonde Junge nahm sie entgegen und spähte hinein. „Baumschmuck! Ihr habt wirklich an alles gedacht.“

„Hoffentlich reicht der Kram auch aus“, warf Ken ein. „Wir wussten nicht genau, wie viel Schmuck man für so eine Tanne braucht. Das ist schließlich unser erster Weihnachtsbaum.“

„Es wird schon reichen. Und wenn nicht, dann hängen wir noch andere Dinge daran“, meinte Omi fröhlich, während er die vielen, bunten Packungen öffnete und mit deren Inhalt begann, den Baum zu schmücken.
 

Als die vier jungen Männer noch spät abends gemeinsam einen Film im Fernsehen ansahen, betraten Manx und Birman das Wohnzimmer. Ihr plötzliches Erscheinen wunderte niemanden, da sie es bereits gewohnt waren und die Beiden schließlich einen Wohnungsschlüssel besaßen.

„Hallo, Jungs“, begrüßten die Frauen sie.

„Oh, ihr feiert Weihnachten“, bemerkte Birman lächelnd und setzte sich auf Armlehne des Sofas.

Ken nickte und begann zu erklären. „Das war Omis Idee. Wir haben uns gedacht, schaden kann es schließlich nichts.“

„Was für ein hübscher Einfall“, meinte Manx und wandte sich dann an Yohji. „Und wie fühlst du dich? Geht es dir mittlerweile wieder besser? Oder hast du noch Schmerzen?“

Ob der ihm entgegen gebrachten Fürsorge musste der Playboy lächeln. „Bis auf gelegentliche Kopfschmerzen und leichte Übelkeit dank der Gehirnerschütterung geht es mir wieder besser. Schmerzen hab ich kaum noch, außer wenn ich die Schulter falsch bewege und an Prellungen bin ich ja mittlerweile gewöhnt.“

„Dann bist du ja bald wieder ganz gesund. Schön das zu hören.“ Die braunhaarige Frau war ehrlich erleichtert darüber.

„Euch führt doch nicht bloß ein reiner Höflichkeitsbesuch her“, stelle Aya fest. „Was gibt es?“

„Das hört sich fast so an, als wolltest du uns schnellst möglich wieder loswerden“, sagte die rothaarige Frau und musste leise darüber lachen. So war der Weiß-Leader nun einmal, direkt und sachlich. „Natürlich hast du Recht und wir müssen etwas besprechen. Aber Sorgen haben wir uns trotzdem um euch gemacht.“

„Was denn besprechen?“, erkundigte sich Omi neugierig.

„Es geht um die vier Männer, die ihr bereits zum zweiten Mal bei einer eurer Missionen gesehen habt“, erklärte Birman und zog eine sehr dünne Akte aus ihrer Tasche. „Leider konnten wir mit den Beschreibungen, die wir von euch bekommen haben, nicht viel herausfinden. Eigentlich gar nichts. Einige unserer Leute haben Phantombilder angefertigt und am Computer versucht die Gesichter zu rekonstruieren. Schaut sie euch bitte an.“

Ken nahm die Akte entgegen und schlug sie auf, außer den Personenbeschreibungen und ein paar Bildern war nichts weiter darin enthalten. Ein Bild behielt er und verteilte die anderen an seine Freunde.

„Sehen sie in etwa so aus?“, fragte Manx hoffnungsvoll. Einige Kritiker-Mitglieder hatten sich in den letzten Tagen sehr viel Mühe gegeben, die Bilder gemäß den Beschreibungen anzufertigen.

Die vier jungen Männer betrachteten eingehend die Porträtzeichnungen und Computergrafiken. Einiges deckte sich mit ihrer Erinnerung an die vier Fremden, anderes schien Grundfalsch zu sein.

„Ich glaube, den hier habe ich auch schon einmal woanders gesehen“, meldete sich Omi zu Wort und hielt das Bild eines weißhaarigen Jungen hoch.

Aya musterte das Bild kritisch. „Den habe ich nur bei unserer vorletzten Mission kurz gesehen. Ob er vor ein paar Tagen dabei war, weiß ich gar nicht.“

„Doch, da war er auch dabei“, bekräftigte der blonde Junge. „Ich habe ihn kurz am Fenster stehen sehen, als ihr Yohji aus dem Wasser gezogen habt. Zusammen mit dem Mann mit den grünen Haaren.“

„Aber das war ziemlich weit weg“, gab Ken zu bedenken. „Wir können nicht sicher wissen, dass es derselbe Mann war.“

„Die anderen Drei waren aber die gleichen, also ist sehr stark anzunehmen, dass der Kleine auch dort war. Schließlich scheinen sie zusammen zu gehören“, warf Yohji ein. „Ich möchte bloß wissen, wer die sind und was die von uns wollen.“

„Was sie wollen, dürfte offensichtlich sein: uns umbringen“, meinte der Weiß-Leader trocken und etwas unterkühlt. „Wahrscheinlich gehören sie zu Schwarz.“

„Nein, das tun sie nicht“, erhob Schuldig Einspruch. „Mit solchen Typen geben wir uns doch nicht ab.“

„Wie sollten wir auch?“, fragte Nagi sarkastisch. „Wir sind tot, schon vergessen? Vielleicht ist das ein Ersatz für uns.“

„Wer sollte uns denn ersetzen wollen? Schließlich haben wir nicht mehr für Eszett gearbeitet, sondern gegen sie.“ Farfarello war nicht der Ansicht, dass diese Theorie besonders sinnvoll war.

Brad nickte. „Aber vielleicht ist genau das der springende Punkt. Vielleicht gibt es sie halt genau deshalb, weil wir nicht mehr für Eszett gearbeitet haben. Vielleicht brauchten sie Ersatz. Oder vielleicht ist es mittlerweile einfach bloß schick, seinen eigenen, privaten Killertrupp zu haben.“

„Wir schließen nicht aus, dass sie zu Schwarz oder Eszett gehören“, gestand die rothaarige Frau ein. „Aber wir wissen zu wenig über sie, wir haben ja nicht einmal richtige Bilder, geschweige denn Namen. Und wir haben seit geraumer Zeit weder von Eszett noch von Schwarz etwas gehört. Es sieht so aus, als hätten sie sich, nachdem ihr vor Monaten diese Zeremonie vereitelt habt, zurückgezogen. Vielleicht sind sie sogar tot.“

„Das ist nicht ganz richtig“, protestierte Ken. „Schwarz haben wir schließlich danach noch auf einigen Missionen gesehen. Vielleicht sind sie einfach nur aus Japan verschwunden, weil es hier für sie nichts mehr gibt.“ Er musste aufpassen, was er sagte, ihm durfte nicht aus versehen herausrutschen, dass er schließlich eine Nachricht von Jay bekommen hatte.

Omi seufzte leise und lehnte sich zurück. „Können wir das vielleicht ein anderes Mal besprechen? Ich hatte mich auf besinnliche Weihnachtstage, ein schönes Neujahrsfest und vor allem auf die Erholung während unseren freien Tagen gefreut. Ich glaube nicht, dass wir einen von diesen seltsamen Typen oder von Schwarz zu Gesicht bekommen, solange wir nicht auf einer Mission sind.“

„Genau“, musste Yohji ihm beipflichten. „Und du hast selbst gesagt, dass du innerhalb der nächsten paar Wochen keine Aufträge für uns hast.“

Birman nickte. „Ja, das ist auch richtig. Und du fällst ja sowieso erst mal ein oder zwei Wochen aus, Yohji.“ Mit einem Blick auf ihre Vorgesetzte und Geliebte fuhr sie fort: „Ich glaube, wir können ihnen ruhig etwas Urlaub gönnen, den haben sie sich redlich verdient.“

Manx lächelte geschlagen und stimmte zu. „Also gut, aber vor eurer nächsten Mission müssen wir uns wirklich dringend mit diesem Thema auseinander setzen. Mit etwas Glück finden unsere Agenten noch ein paar Strohhalme, nach denen sie greifen können. Vielleicht hat unser Undercovermitarbeiter, der das Herrenhaus ausspioniert hat, noch ein paar Informationen, die uns bisher zu unwichtig erschienen, um ihnen weiter nach zu gehen.“

Die beiden Frauen erhoben sich und wandten sich zur Tür, um zu gehen. Die rothaarige Frau drehte sich nochmals lächelnd zu den vier jungen Männern um.

„Genießt euren Urlaub, wenn ihr möchtet, fahrt ruhig ein paar Tage weg. Aber sagt uns dann bitte Bescheid, wo ihr seid, damit wir euch im Notfall erreichen können.“ Mit diesen Worten war sie auch schon verschwunden.

Weiß verbrachten den Abend noch gemütlich gemeinsam und obwohl Yohji seinen Verabredungen, die er notgedrungen hatte absagen müssen noch, hinterher trauerte, genoss auch er es mit seinen Freunden noch bis in die Nacht hinein vor dem Fernseher zu sitzen.
 

Obwohl es bereits später Vormittag war, wollte Phuong nicht aufstehen. Unter seiner Bettdecke war es kuschelig warm und gemütlich, draußen war es bloß kalt. In den letzten Tagen hatte er zwar sehr viel geschlafen, fühlte sich aber dennoch müde und ausgelaugt. Der lange Einsatz seiner Fähigkeiten war kraftraubend und anstrengend, obwohl er bereits seit vielen Jahren trainierte.

Das wiederholte Knurren seines Magens brachte den jungen Vietnamesen allerdings nach einiger Zeit doch dazu, sein gemütliches Nest zu verlassen, um sich auf Essenssuche zu begeben. Widerwillig kroch er aus seinem Bett, zog sich an und ging ins Erdgeschoss des Hauses, welches er mit den anderen drei Männern bewohnte, und steuerte die Küche an.

„Morgen, Phu. Auch endlich ausgeschlafen?“, begrüßte Xen ihn, der nur kurz von seiner Schüssel Cornflakes aufsah und sich diesen dann wieder widmete.

„Ausgeschlafen würde ich das nicht nennen“, meinte er leise und nahm sich ebenfalls eine Schüssel aus dem Schrank, nur um gleich darauf festzustellen, dass die Packung Frühstücksflocken bereits leer war. „Du könntest uns auch ab und zu etwas Essbares übrig lassen.“

„Da ist noch Toast im Schrank, also beschwere dich nicht. Außerdem muss ich viel essen, ich habe einen sehr arbeitsamen Stoffwechsel und dadurch einen hohen Energiebedarf“, verteidigte sich der grünhaarige Mann.

Phuong schüttelte den Kopf. „Den hast nicht nur du, falls ich dich daran erinnern darf. Es gibt auch noch andere Leute in diesem Haus, die einen etwas anderen und anspruchsvolleren Organismus haben.“

Missmutig suchte er nach dem Toast und fand tatsächlich noch eine halbvolle Packung. Dann suchte er im Kühlschrank nach Marmelade und Schokocreme und schmierte sich daraufhin einige Brote. Genüsslich biss er von seiner ersten Scheibe ab und fragte zwischen dem Kauen mit halbvollem Mund: „Sind Yukio und Pay nicht da?“

Xen schüttelte den Kopf. „Die sind einkaufen gefahren, so weit ich weiß.“

„Ach so“, kam die knappe Antwort des langhaarigen Jungen. „Hoffentlich bringen sie neue Cornflakes mit.“

Während er weiter seinen Toast aß, bemerkte Phuong aus dem Augenwinkel, wie der andere versuchte seinen Löffel mit sehr zittrigen Händen ruhig zu halten. Stirnrunzelnd sah er sich das Schauspiel für einen Moment an.

„Hast du deine Medikamente nicht genommen?“, fragte er mit einem Anflug von Besorgnis in der Stimme.

Der Ältere hob den Blick und sah direkt in die violetten Augen seines Gegenübers. „Doch, habe ich. Aber nur die halbe Dosis, ich habe keine Tabletten mehr und eine Injektion wollte ich mir nicht setzen. Darum bin ich jetzt auch gleich weg und besorge mir Neue.“

„Soll ich vielleicht mitkommen? Bist du sicher, dass du in dem Zustand fahren kannst?“

„Du musst nicht mitkommen, ich schaffe das schon alleine“, wehrte Xen ab und stand von seinem Stuhl auf. Seiner Meinung nach benötigte er keine Hilfe und kam sehr gut alleine zurecht. Er stapfte aus der Küche und zog sich seine Schuhe und eine Jacke an. „Ich bin dann weg. Mach nicht zu viel Unsinn, Kleiner.“

Phuong blickte seinem Kollegen wortlos hinterher und lauschte auf das Geräusch der zuschlagenden Haustür. „So ein sturer Esel“, murmelte er. „Und außerdem bin ich nicht klein, ich bin bloß noch nicht ausgewachsen.“
 

Yukio und Payakootha erledigten ihre Einkäufe und machten sich wieder auf den Heimweg. Der Ältere konzentrierte sich auf den Straßenverkehr und beobachtete aufmerksam die anderen Autos sowie die rote Ampel, an der sie nun warten mussten.

„Warum sind ausgerechnet dann alle Leute dieser Stadt unterwegs, wenn wir mal einkaufen müssen?“, murrte er in einem Anflug von schlechter Laune. „Haben die alle kein zu Hause?“

Der braunhaarige Mann löste seinen Blick von den anderen Autos und blickte zu der Person auf dem Fahrersitz. „Es ist doch immer so, vor den Feiertagen gehen halt alle Leute auf einmal einkaufen, weil sie Angst haben, nichts mehr abzubekommen.“

„Grauenhaft, das ist so lästig“, beschwerte sich der Ungare. „Xen hätte ruhig auch mal einkaufen fahren können. Der ist sowieso zu faul und macht nie irgendetwas.“

Payakootha seufzte leise. „Ändern kannst du es aber nicht, also reg dich nicht auf, das ist schlecht für den Blutdruck. Sollen wir zur Aufmunterung noch schnell bei Weiß vorbei fahren und schauen, was sie so machen?“

„Bei Weiß vorbei?“ Ein diabolisches Grinsen breitete sich auf Yukios Gesicht aus, das versprach doch zumindest wieder einmal etwas Abwechslung. „Gut, dann statten wir ihnen einen Besuch ab.“

Sie wichen von ihrem Heimweg ab und standen kurz darauf vor dem Blumenladen, der Weiß als Tarnung diente. Die beiden Mißgunst-Mitglieder stiegen aus dem schwarzen Porsche und mussten feststellen, dass der Laden geschlossen war, als sie davor standen.

„Schau mal, die machen ja richtig lange Urlaub“, bemerkte der Braunhaarige und las das Türschild vor. „’Unser Geschäft bleibt vom zwanzigsten Dezember bis einschließlich vierten Januar geschlossen. Wir bitten um Ihr Verständnis.’ Ganze zwei Wochen Erholung?“

„Was sind das denn für Schlaffis?“, spöttelte Yukio. „So etwas käme bei uns gar nicht in Frage. Und die sollen ernst zu nehmende Gegner sein, wenn sie zwei Wochen brauchen, um ihre paar Kratzer von der letzten Mission auszukurieren?“

„Kaum zu glauben, dass Schwarz es nicht geschafft haben sie umzubringen“, ergänzte Payakootha und schüttelte verständnislos den Kopf. „Vielleicht fahren sie sogar für die Zeit irgendwo hin, um sich zu entspannen.“

Der schwarzhaarige Mann dachte einen Augenblick nach und runzelte dann skeptisch die Stirn. „Oder sie bereiten etwas vor. Wir gehen rein und schauen nach.“ Wenn er eine Sache nicht mochte, dann war es Ungewissheit.

Das ungleiche Paar schlich zur Wohnungstür. Auf ein Zeichen Yukios, welches signalisierte, das er für die Wohnung die Zeit angehalten hatte, öffnete Payakootha das Türschloss und beide schlüpften geräuschlos in den Hausflur.
 

Schwarz sahen sich gegenseitig verwundert an. Irgendetwas stimmte ganz offensichtlich nicht, an dem Bild, das sich ihnen bot. Gerade hatten sie noch zugehört, wie Weiß sich angeregt unterhielten und nun saßen ihre Schützlinge stocksteif in ihren Regungen verharrend vor ihnen am Küchentisch. Sogar das Essen hatte aufgehört zu dampfen.

„Sieht so aus, als würden wir Besuch bekommen“, bemerkte Schuldig und blickte seine Kollegen einen nach dem anderen an.

Brad nickte zustimmend. „Ja, so sieht es aus. Dieses Phänomen kommt mir doch sehr bekannt vor.“

Vom Flur her drangen gedämpfte Schritte zu ihnen und kurz darauf traten zwei ihnen mittlerweile wohl bekannte Männer in die Küche.

Payakootha trat an den Tisch heran und musterte die dort sitzenden Auftragskiller. „Na mal sehen, was sie uns interessantes zu erzählen haben.“

„Beeile dich aber, wir haben nicht viel Zeit“, ermahnte Yukio ihn und lehnte sich mit vor der Brust verschränkten Armen gegen den Türrahmen.

Bereits nach einigen Augenblicken hatte der Telepath alle für ihn möglicherweise relevanten Gedanken sondiert. „Sie bleiben die ganze Zeit über hier und haben nicht vor weg zu fahren. Ich glaube aus Rücksicht auf Balinese, weil der immer noch verletzt ist und sogar von den Toten aufgeweckt wurde.“

„Wie sieht es mit neuen Missionen aus? Wissen sie mittlerweile etwas über uns?“

„Nein, für die nächsten zwei oder drei Wochen haben sie keine Aufträge“, erklärte der Jüngere sachlich. „Nach der letzten Aktion wurden Phantombilder von uns angefertigt, mehr haben sie nicht von uns. Kritiker hat die Vermutung, dass wir etwas mit Schwarz zu tun haben.“

„Der ist mindestens so gut wie du, Schuldig“, stellte Nagi trocken fest.

Der Angesprochene schüttelte vehement den Kopf. „Nein, ich bin besser. Und zwar ...“

„Ruhe, ich will das mitkriegen, das ist wichtig“, schnitt Farfarello ihm das Wort zischend ab und brachte die anderen so zum Schweigen.

Der schwarzhaarige Mann musste unwillkürlich lachen. „Wissen sie denn immer noch nichts von Schwarz’ tragischem Ableben? Wie schlecht organisiert sind die eigentlich?“

„Scheinbar wissen sie es nicht, obwohl ihnen ihre Abwesenheit natürlich ein Rätsel aufgibt“, erklärte Payakootha und blickte dann stirnrunzelnd zu Ken. „Hey, der glaubt ziemlich fest daran, dass Schwarz noch leben, besonders einer. Angeblich hat er einen Brief von Farfarello bekommen.“

Diese Tatsache machte die beiden Mißgunst-Mitglieder stutzig und der Telepath rannte sofort aus der Küche heraus und hinauf in Kens Zimmer, um sie nachzuprüfen.

„Du hast Ken einen Brief geschrieben?“, fragte das jüngste Schwarz-Mitglied.

Der Ire schüttelte den Kopf. „Nein, keinen ganzen Brief. Nur ein paar Zeilen, damit er aufhört immer über etwas nachzudenken, was ihn nicht weiter bringt.“

„Und weshalb solltest du so etwas tun?“, wollte nun auch der Deutsche wissen.

„Das ist doch im Moment irrelevant, es ist seine Privatangelegenheit“, mischte sich Brad ein. „Außerdem scheint es diese Leute sehr zu verunsichern. Vielleicht ist das ein Vorteil für Weiß und für uns.“

Mit einigen geschickten Handgriffen suchte Payakootha in Kens Nachttisch nach der Karte und blickte ungläubig auf die Zeilen. Sein erster Gedanke war, dass es jemand anders geschrieben haben musste. Da ihm nicht mehr viel Zeit blieb, räumte er wieder alle Sachen so ein, wie er sie vorgefunden hatte und eilte zurück zu seinem Kollegen.

„Da bist du ja endlich“, maulte Yukio. „Jetzt komm raus hier. Oder willst du von ihnen gesehen werden?“

Die Männer verließen hastig das Haus und fuhren nach Hause.
 

Kurz darauf lief auch die Zeit für Weiß weiter. Sie setzen ihre Unterhaltung fort, als sei nichts gewesen und als hätte sie nichts gestört.

Schwarz beobachteten die Szene eine Weile, bis Farfarello etwas Merkwürdiges auffiel. „Schaut mal auf die Uhr.“

„Was soll damit sein?“, fragte der Mann mit dem flammend orange Haar nach einem flüchtigen Blick darauf.

„Sieh doch mal genau hin, sie geht zu schnell“, erklärte der Einäugige. „Zähl mal die Sekunden mit und schau dabei auf die Uhr.

Brad betrachtete kurz die sich zu schnell bewegenden Zeiger und dachte darüber nach. „Er kann die Zeit nur begrenzt beeinflussen, denke ich. Die paar Minuten, die er anhält, müssen wieder aufgeholt werden.“

„Die gestoppte Zeit ist räumlich begrenzt und muss sich wieder der restlichen Zeit anpassen“, führte Nagi diesen Gedankengang fort. „Ich habe draußen nämlich ein paar Vögel vorbei fliegen sehen. Er kann nur einen gewissen Radius beeinflussen.“

„Das ist trotzdem eine sehr gefährliche Fähigkeit“, warf der Ire ein und blickte besorgt zu seinem Schützling.

Schuldig verschränkte die Arme vor der Brust. „Dass sie gefährlich sind, wissen wir ja schon. Wollt ihr jetzt eigentlich wissen, warum dieser Bengel nicht besser ist als ich?“

„Wenn wir ’Nein’ sagen, erzählst du es uns ja trotzdem“, stichelte das jüngste Schwarz-Mitglied. „Also sag schon.“

„Ich weiß, wie sie heißen und wo sie wohnen“, meinte der Deutsche triumphierend. „Und sie haben nicht einmal bemerkt, dass ich in ihren Gedanken herum gestöbert habe.“

Das Orakel nickte zufrieden. „Jetzt müssen wir das nur noch irgendwie unauffällig Weiß mitteilen. Nagi? Kannst du dich nicht mal bei Kritiker in die Datenbanken reinhacken und entsprechende Hinweise hinterlassen? Wenn du die Bilder ihren Originalen noch etwas ähnlicher sehen lassen könntest, wäre das optimal.“

„Bei Kritiker reinkommen wird nicht das Problem sein, ich müsste nur mal irgendwo an einen Computer heran kommen. Das mit den Bildern ist aufwendiger, dafür müsste ich die Grafiken freihändig in einem entsprechenden Programm bearbeiten. Aber ich denke schon, dass ich das hinbekomme.“

Farfarello nickt dazu nur ungerührt. „So haben Weiß vielleicht endlich etwas in der Hand, zumindest wird es mehr sein, als sie jetzt haben. Sobald sich eine Gelegenheit ergibt, setzt du dich an Omis Computer. Direkt dürfen wir es ihnen ja nicht sagen.“
 

Da der Fernseher viel zu laut eingestellt war, hörte Phuong nicht, wie die Haustür geöffnet wurde und seine Team-Kollegen vom Einkaufen heim kamen. Erst als Payakootha im Türrahmen erschien und zielstrebig die Fernbedienung ansteuerte, um diese an sich zu nehmen und den Fernseher zum Schweigen zu bringen, bemerkte er, dass er nicht mehr allein war.

„Schon zurück?“, fragte er wenig überrascht. „Ich hoffe, ihr habt Cornflakes mitgebracht, Xen hat wieder alles alleine aufgegessen.“

Der Mann indianischer Abstammung nickte. „Ja, haben wir mitgebracht. Aber was viel wichtiger ist: es gibt Arbeit für dich, du musst unbedingt etwas recherchieren.“

Der Jüngere seufzte leise, er hatte im Augenblick überhaupt keine Lust zu arbeiten. „Was soll ich denn machen? Ich dachte ich kann mal etwas entspannen.“

„Wir waren bei Weiß und haben dort etwas Interessantes entdeckt. Sie glauben, dass Schwarz noch leben und einer hat so wie es aussieht vor kurzem einen Brief von einem von ihnen bekommen. Kannst du bitte nachprüfen, ob es innerhalb der letzten paar Monate irgendwelche Aktionen von ihnen gegeben hat? Vielleicht Reisen ins Ausland? Und dann prüfe auch bitte nach, wie viele Leichen tatsächlich nach dem Hauseinsturz im August gefunden und identifiziert wurden. Ich weiß, das ist viel Arbeit.“ Mit einem Lächeln setzt er noch hinzu: „Wenn du wieder auf deiner Tastatur einschläfst, massiere ich dir dafür die Verspannungen weg.“

„Aber das habe ich doch alles schon mal nachgeprüft“, seufzte der Junge und erhob sich aus dem Sessel. „Na wenigstens ein kleiner Lichtblick, dann muss ich mich nicht mit meinen Nackenschmerzen plagen. Ich bin dann an meinem Computer.“

Mit diesen Worten verließ er das Wohnzimmer und setzte sich in seinem Zimmer sofort an den Computer. Den Tod von Schwarz hatte er zwar schon mehrmals überprüft, aber wenn es neue Zweifel gab, prüfte er eben alles noch einmal und suchte nach Hinweisen, die er bisher möglicherweise übersehen hatte.
 

Xen fuhr zu einem etwas außerhalb von Tokyo gelegenen Grundstück eines Pharmakonzerns, um seine Medikamente abzuholen. In einer gewöhnlichen Apotheke würde er nicht einmal annähernd ein Mittel bekommen, was seine Beschwerden linderte. Das Grundstück war umzäunt und bewacht und erst als der Assassin einen speziellen Ausweis vorzeigte, öffnete sich die Schranke und er konnte das Wachhäuschen passieren. Er fuhr auf einen Parkplatz für Mitarbeiter und stellte seine schwarze Corvette in eine freie Parkbox, ohne darauf zu achten, für wen sie eigentlich reserviert war.

Nachdem er aus seinem Wagen gestiegen und ihn mit zittrigen Händen abgeschlossen hatte, betrat er das Gebäude durch den Haupteingang. Ohne sich lange orientieren oder umschauen zu müssen, suchte er ein Büro in der ersten Etage auf. Er stieß einfach die Tür auf, anklopfen hielt er für vollkommen überflüssig, und betrat den Raum.

Hinter einem massiven Schreibtisch saß ein bebrillter, dunkelhaariger Mann mittleren Alters, der von seinem unerwarteten Besuch überrascht war und erschrocken zusammenzuckte.

„Schon einmal etwas von anklopfen gehört?“, fragte er leicht genervt. „Was wollen Sie?“ Offensichtlich war er nicht besonders erfreut darüber, das Mißgunst-Mitglied in seinem Büro zu sehen.

Xen ließ sich unbeeindruckt von der Reaktion in den Stuhl auf der anderen Seite des Schreibtisches fallen, so dass er dem anderen Mann nun gegenüber saß.

„Medikamente“, antwortete er knapp und legte die Füße auf den Tisch.

„Haben Sie Ihre schon verbraucht?“, fragte der Forscher überrascht. „Die Ration sollte nach unseren Berechnungen eigentlich viel länger ausreichen. Und nehmen Sie bitte die Füße von dem Tisch. Erstens ist das unhöflich und zweitens ist das echtes Teakholz, was Sie da gerade beschädigen.“

Ein belustigtes Lachen war die Antwort auf diesen Vorwurf. „Sie können nicht glauben, wie egal mir das ist. Und auf Ihre Berechnungen scheiß ich. Injektionen hab ich noch genug, aber die benutze ich nur, wenn es nicht mehr anders geht, ich benötige hauptsächlich die Kapseln. Also wären Sie bitte so gut und geben mir, was ich brauche? Oder muss ich mich selbst bedienen?“

„Ist ja schon gut“, seufzte der andere Mann, hob abwehrend die Hände und stand auf. „Wenn Sie mir dann bitte folgen würden.“

Gefolgt von Xen verließ er das Büro und fuhr mit ihm in einem Aufzug in eines der unterirdischen Geschosse. In einem Laborkomplex führte er ihn durch einige Gänge, von denen man durch Panzerglasfenster in verschiedene Räume Einblick erhielt. An einem Fenster blieb der Assassin stehen und betrachtete die dahinterliegenden Säulen mit Nährstofflösung. Nur in Zweien schienen sich lebendige, menschliche Organismen zu befinden, die ihm ähnlich sahen, die anderen Säulen waren leer. Ungerührt wandte er sich ab und folgte dem anderen Mann in den nächsten Raum.

„Wir haben versucht das Mittel zur Stabilisierung der Molekularstruktur zu verbessern und zuverlässiger zu machen“, erklärte der Forscher und öffnete dabei einen großen Metallschrank.

Der grünhaarige Mann runzelte skeptisch die Stirn. „Was heißt ’versucht’? Wollen Sie damit sagen, bei dem Versuch ist es geblieben und Sie haben es nicht geschafft? Oder heißt das, ich darf jetzt als Versuchskaninchen herhalten?“

„Das tun Sie doch schon Ihr ganzes Leben, also sollte es Sie doch nicht weiter stören“, meinte der andere kühl und holte einige von Hand beschriftete Dosen hervor. „Aber keine Sorge, Sie bekommen ein Medikament, dass erfolgreich verbessert wurde und die Testphase bereits bestanden hat. Sehr wahrscheinlich müssen die Kapseln jetzt anders dosiert werden.“

Xen nahm die kleinen Behälter entgegen, schraubte einen davon auf, entnahm eine der weißen Pillen und schluckte sie einfach. „Wenn mich das umbringt, können Sie ja eine von Ihren Dollys an meiner Stelle auf die Menschheit loslassen.“

„Wobei wir bei einem Thema wären, auf das ich sowieso noch hinaus wollte. Ein Organismus ist heute Morgen abgestorben und wir möchten nicht auf nur einen zurückgreifen müssen“, erklärte der Forscher und holte eine leere Ampulle aus einer Schublade hervor. „Ich muss Ihnen etwas Blut abnehmen, damit wir weiter machen können.“

Mit einem leisen Seufzen krempelte der Assassin einen Ärmel hoch und ließ diese Prozedur über sich ergehen. Es gefiel ihm nicht, aber ohne diese Forschung würde er sich nicht mehr unter Kontrolle halten können und eher früher als später an den Folgen seiner Fähigkeit sterben. Andererseits dachte er oft darüber nach, ob es ihm auch so ergehen würde, wenn seine Kindheit anders verlaufen wäre. Diese Gedanken verwarf er dann allerdings schnell wieder und schimpfte sich töricht, da er keine Antwort darauf bekommen würde.

Nachdem die Ampulle mit seinem dunkelroten Lebenssaft gefüllt war, wandte Xen sich wortlos ab und verließ das Gebäude wieder. Die Wirkung des Medikamentes hatte bereits angeschlagen und das Zittern und die Zuckungen, die seinen Körper noch vor wenigen Minuten durchzogen hatten, waren wie weggeblasen.

Mitarbeiter des Monats

Wir sind keine Engel
 

Kapitel 13: Mitarbeiter des Monats
 

Phuong verbrachte die folgenden Tage beinahe ausschließlich vor seinem Computer und verließ das Zimmer nur, wenn es sich nicht vermeiden ließ. Er schlief kaum und sogar das Essen musste Payakootha ihm bringen, da er es sonst vergessen hätte. So brachte er auch an diesem Abend dem Jüngeren ein Tablett ins Zimmer.

„Willst du nicht mal eine Pause machen?“, fragte er, als er es neben dem Computer abstellte.

Der Junge mit dem langen Haar blickte von seinem Monitor auf und streckte sich. „Wollen würde ich schon, aber Yukio lässt mich immer noch Phantomen nachjagen.“

„Hast du noch nichts Neues über Schwarz herausgefunden?“ Der Shawnee runzelte skeptisch die Stirn, er konnte sich ein Versagen bei dem anderen beim besten Willen nicht vorstellen.

„Ich habe absolut alles noch einmal aufgerollt und bin zu dem gleichen Ergebnis gekommen, das wir auch schon vorher hatten. Alle Unterlagen, neue wie alte, habe ich unserem ehrenwerten Chefchen gegeben, aber es scheint ihn nicht zufrieden gestellt zu haben. Sein einziger Kommentar dazu war: Such weiter!“ Der Sechzehnjährige seufzte leise niedergeschlagen. „Kann man es dem Mann überhaupt mal Recht machen?“

Der Ältere lächelte aufmunternd. „Der kriegt sich auch schon wieder ein. Du hast also keine Beweise dafür gefunden, dass Schwarz noch leben?“

Ein erneutes Seufzen folgte als Antwort. „Das habe ich doch gerade gesagt. In den Gebäudetrümmern wurden die Überreste von vier männlichen, unidentifizierbaren Personen gefunden. Nicht einmal anhand der Gebisse konnte mehr über sie herausgefunden werden als ihr Alter und ihr Verhältnis zur Zahnpflege, keine Daten bei irgendeinem Zahnarzt. Ganz zu schweigen von DNA-Proben. Und diese vier Leichen, wenn man das überhaupt noch so nennen kann, können daher niemand anders als Schwarz gewesen sein. Weiß leben schließlich noch und es gibt nur sehr wenige Personen wie sie und uns, die praktisch für die Gesellschaft nicht existent sind. Bestenfalls kämen noch ziemlich abgestürzte Obdachlose in Frage, aber das war ein Hochsicherheitsgebäude, was da hochgegangen ist, in dem kaum Wachmänner benötigt wurden, ich glaube daher nicht, dass solche Leute sich dort aufgehalten haben.“

„Gehen wir aber mal von dieser minimalen Chance aus, dass es doch andere Personen waren“, setzte Payakootha an. „Hast du irgendwelche Aktivitäten verzeichnen können, die vermuten lassen, dass Schwarz vielleicht doch noch leben?“

„Nein.“ Phuong schüttelte den Kopf. „In ihrer ehemaligen Villa liegt eine dicke Staubschicht, der Garten wuchert wild, der Briefkasten quillt so sehr von Werbeprospekten über, dass schon seit Wochen keine Neuen mehr dazugekommen sind, im Kühlschrank und im Vorratsschrank gab es noch verdorbene Nahrungsmittel. Ich war Vorgestern dort und habe alles unter die Lupe genommen, dieses Haus hat seit fünf Monaten definitiv niemand mehr betreten. Ich kenne einige Decknamen und Deckkonten mit denen sie gearbeitet haben und auch hierüber ist seither keine Transaktion mehr gelaufen. Und glaube mir: Brad Crawford würde niemals sein Vermögen zurücklassen.“

Der braunhaarige Mann setzte sich auf das Bett. „Dann verstehe ich aber nicht, wie Siberian erst kürzlich eine Nachricht von Berserker bekommen konnte, in der er schreibt, dass er weg musste. Übrigens wird dein Essen kalt.“

„Oh, danke, das hätte ich fast vergessen.“ Der Vietnamese zog das Tablett zu sich und nahm die Essstäbchen zur Hand. „Soba, lecker. Wer hat gekocht? Und um noch mal auf die Nachricht zurück zu kommen, vielleicht hat sie ja auch jemand anders hinterlassen, der von der Liebelei zwischen den Beiden wusste und ihn einfach nur beruhigen wollte.“

„Xen“, antwortete der Shawnee knapp und lächelte dabei. „Und es ist sogar genießbar, ich habe auch schon gegessen. Aber eigentlich isst man diese Nudeln erst Neujahr und nicht an Silvester, hab ich mir sagen lassen. Deine Theorie klingt übrigens auch gar nicht so abwegig, vielleicht sollten wir uns in dieser Richtung mal umschauen.“

„Diese Richtung ist aber deine Aufgabe. Viel Spaß dabei sämtliche Gedanken von Kens Bekannten zu durchforsten“, meinte Phuong und widmete sich dann seinen Buchweizennudeln.

Payakootha nickte. „Das werde ich dann wohl tun müssen.“ Er sah dem anderen eine Weile beim Essen zu und fuhr dann fort: „Willst du dir mit mir das Neujahrsfeuerwerk ansehen, wenn du fertig bist?“

„Ich werde noch lange nicht damit fertig sein, eine Nadel im Heuhaufen zu finden“, entgegnete der Jüngere leise und etwas frustriert.

Der Braunhaarige lachte leise. „Ich meine doch nach dem Essen.“
 

Die freien Tage vergingen für Weiß viel zu schnell, Weihnachten und Neujahr zogen förmlich unaufhaltsam an ihnen vorbei. Yohji hatte während dieser Zeit versucht Schuldig weitestgehend zu ignorieren und kein Wort über die jüngsten Vorkommnisse zu verlieren, damit man ihn nicht für wahnsinnig hielt. In der ersten Januarwoche war es für Omi wieder an der Zeit die Schule zu besuchen und die anderen Weiß-Mitglieder mussten sich wieder um den Blumenladen kümmern.

Da das älteste Weiß-Mitglied wieder vollkommen wohlauf war und erst am Nachmittag einen Kontrolltermin beim Arzt hatte, schonte Aya ihn nicht und weckte ihn pünktlich zum Schichtbeginn. Er betrat sein Zimmer und zog erbarmungslos die Vorhänge zur Seite, um der Sonne Einlass zu gewähren.

„Aufstehen, Yohji! Deine Schonzeit ist vorbei“, sagte er kühl und zog diesem die Decke unsanft weg. „Dir geht es wieder gut genug, dass du im Geschäft mithelfen kannst. Und ausgeschlafen genug solltest du eigentlich auch sein nach zwei Wochen Faulenzen.“

Der Playboy gähnte ausgiebig. „Ob ich wieder fit bin oder nicht, solltest du den Arzt entscheiden lassen. Heute Nachmittag habe ich doch einen Termin.“

„Nichts da!“, meinte der Weiß-Leader streng in einem Tonfall, der keinen Widerspruch zuließ. „Raus aus den Federn. In einer halben Stunde bist du unten im Laden.“

Mit diesen Worten verließ Aya das Zimmer und ließ einen schlaftrunkenen Morgenmuffel zurück. Yohji rieb sich über die Augen, kämpfte sich aus dem Bett und durchstöberte seinen Kleiderschrank. Bewaffnet mit einer schwarzen Jeans und einem violetten Pullover, für bauchfreie Shirts war es einfach zu kalt, begab er sich ins Badezimmer, um sich zurechtzumachen. Um Aya nicht unnötig zu verärgern, beeilte er sich sogar und zog, in der Hoffnung nicht all zu schwer arbeiten zu müssen, auch seine Armschlinge wieder an. Danach ging er hinunter in die Küche und genehmigte sich zuerst einmal eine Tasse Kaffee.

„Du hast lange gebraucht“, stellte der Rotschopf trocken fest, als der Ältere endlich den Blumenladen betrat und seine Schürze umband.

„Ich habe mich ja schon beeilt.“

Ken überlegte, ob er den Playboy ausnahmsweise in Schutz nehmen sollte und entschied sich dafür. „Sei nicht so hart, Aya. Immerhin war er schneller als sonst. Außerdem wird er wohl wegen seiner Schulter im Moment noch etwas vorsichtiger mit dem sein, was er tut.“

Yohji lächelte dankbar für die Schützenhilfe und war froh über das Klingeln des Telefons, weil sie nun nicht weiter über das ewige, leidige Thema diskutieren mussten. Da er am nächsten an dem Fernsprechapparat stand, streckte er den Arm aus und nahm den Hörer von der Gabel. In geübt fröhlichem und zuvorkommendem Tonfall meldete er sich.

„Irgendwie ist Aya ja schon ziemlich gemein“, meinte Schuldig und lehnte sich neben seinem Schützling gegen die Wand. „Er könnte ja ruhig damit warten ihn zu piesacken, bis der Arzt ihn wieder für gesund erklärt hat. Bis dahin sind es ja bloß noch ein paar Stunden. Außerdem waren die letzten zwei Wochen für Yohji schließlich nicht besonders lustig, da haben sie endlich mal Urlaub und ausgerechnet dann ist er krank.“

Nagi zuckte etwas desinteressiert mit den Schultern. „Wahrscheinlich will er nur verhindern, dass er es sich zu gut gehen lässt und meint sich alles Mögliche erlauben zu können.“

„Brad würde vermutlich dasselbe tun, wenn einer von uns in dieser Situation wäre“, meinte Farfarello trocken und achtete weiter darauf, dass Ken sich nicht beim Blumen anschneiden aus versehen in die Finger schnitt.

„Da hast du sehr wahrscheinlich sogar Recht“, musste der Deutsche zugeben und seufzte leise.
 

Der Vormittag verging wie im Fluge, da die drei jungen Männer genug damit zu tun hatten, ihren Blumenladen wieder auf Vordermann zu bringen. Immerhin hatten sie zwei Wochen lang nichts darin getan, außer die Blumen zu gießen.

Nach der Mittagspause kam auch Omi wieder von der Schule zurück und gesellte sich zu seinen Freunden in den Laden. Er begrüßte sie und band sich dann seine Schürze um, die Hausaufgaben mussten bis zum Abend warten, schließlich war am ersten geschäftsoffenen Tag des neuen Jahres ein großer Ansturm an Kunden und vor allem an liebeskranken Schulmädchen zu erwarten.

Ihre Vermutung sollte bestätigt werden, denn nach Schulschluss war der Andrang am Größten und das Geschäft füllte sich sehr schnell mit uniformierten Mädchen, die wie gewohnt durcheinander redeten, so dass man kaum ein Wort verstand.

„Endlich haben sie wieder geöffnet.“

„Ich war schon ganz krank vor Sehnsucht.“

„Wirklich eine Schande, dass wir sie so lange nicht sehen konnten.“

„Den Urlaub hatten sie sich aber auch verdient.“

„Wer so hart arbeitet braucht auch mal seine Ruhe.“

„Für uns ist das aber ein Nachteil.“

„Fotos würden uns wenigstens über die abstinente Zeit hinweg trösten.“

Aya konnte sich dieses unsinnige Geplapper nicht mehr länger anhören. Weshalb diese Gören so viel Theater um sie machten wie um Filmstars, würde er wohl niemals verstehen. Er stellte sich in seiner gewohnt abweisenden Art vor die Meute, verschränkte die Arme vor der Brust und meinte unfreundlich: „Wer nichts kauft, raus! Ihr behindert die zahlende Kundschaft.“

Der Geräuschpegel sank merklich, aber das Getuschel der Mädchen blieb.

„Warum ist Aya bloß immer so schroff?“, war die Frage, die sich der Großteil der nicht zahlenden und bloß gaffenden Kundschaft stellte.

„Wahrscheinlich ist er es eben nicht anders gewohnt.“

„Aber wenn jemand so gut aussieht, kann man ihm schon mal solche Ausrutscher verzeihen.“

Farfarello besah sich das Schauspiel kopfschüttelnd. „Wenn ich hier zu Lebzeiten hätte arbeiten müssen, wäre ich vermutlich durchgedreht und Amok gelaufen.“

„Nicht nur du“, pflichtete Schuldig ihm bei. „Das ist doch wirklich nicht mehr normal, oder? Vielleicht hätten wir damals netter zu Weiß sein sollen, schon allein aus Mitleid, weil sie so schon schlimm genug dran sind.“

Nagi kicherte. „Mitleid? Das Wort ist aber ganz neu in deinem Wortschatz.“

„Ja.“ Der Deutsche nickte grinsend. „Das hat sich so während der letzten Monate eingeschlichen. Aber bestimmt nicht nur bei mir.“
 

„Wisst ihr, was ich vor einiger Zeit in dem Café an der Straßenecke gesehen habe?“, fragte eines der Schulmädchen ihre Freundinnen.

Auf die neugierigen Nachfragen fuhr sie fort: „Dort haben sie von den Kunden den Mitarbeiter des Monats wählen lassen. Sie haben Fotos aufgehängt, man konnte dann seine Stimme für seinen Favoriten abgeben und auch ein Foto mitnehmen.“

„Und wozu ist so eine Wahl gut?“

„Na ist doch ganz klar! So weiß die Geschäftsleitung, wer bei den Kunden am beliebtesten ist. Ich habe gehört, der Gewinner hat eine satte Prämie bekommen. Für den Rest gab es wohl weitere Schulungen und Motivationstraining.“

„Mich interessiert eher der Aspekt mit den Fotos.“

„Ja, es wäre doch toll, wenn Aya und die anderen Jungs auch so etwas machen würden.“

„Dann hätte ich auch endlich ein Foto von meinem Schwarm.“

„Ich wüsste aber gar nicht, für wen ich mich entscheiden sollte.“

„Das stimmt allerdings. Bei so gut aussehenden Typen fällt einem die Wahl sehr schwer.“

Durch Zufall hörte Ken das Gespräch mit an. Aus dem Weg hätte er dem auch gar nicht gehen können, da er gerade in der Nähe der kleinen Gruppe einige Blumen für einen Strauß aus den verschiedenen Kübeln zusammensuchte. Er verlangsamte seine Arbeit und hörte interessiert zu, die Idee einer kleinen Auszeichnung der Mitarbeiter fand er überhaupt nicht schlecht. Mit den gesammelten Blumen ging er zur Theke, wo seine Kundin bereits ein wenig ungeduldig wartete und band einen hübschen Blumenstrauß für sie.

Als die Frau gezahlt hatte und aus dem Laden gegangen war, wandte sich der ehemalige Torwart an seine Freunde, die gerade erfolgreich einige der gaffenden Schuldmädchen aus dem Verkaufsraum gewiesen hatten. „Hey Leute, ich habe da gerade etwas Interessantes gehört.“

Aya runzelte skeptisch die Stirn und meinte kühl: „Was könnte man von diesen Hühnern schon interessantes hören? Sie sagen doch immer das Gleiche, wie toll sie uns finden und wie verliebt sie doch sind. Dabei kennen sie uns doch überhaupt nicht.“

„Da muss ich Aya ausnahmsweise Recht geben“, meinte Yohji und setzte grinsend hinzu: „Obwohl ich mir ja immer gerne Komplimente anhöre.“

„Lasst ihn doch einfach mal ausreden“, warf Omi ein und setzte sich auf die Theke, um ein wenig zu verschnaufen.

„Danke, Omi. Also ich habe gehört wie sich ein paar Mädchen darüber unterhalten haben, dass in einem Café am Ende der Straße wohl öfter eine Wahl zum Mitarbeiter des Monats stattfindet“, erklärte der Braunhaarige. „Ich dachte, wir könnten das vielleicht auch mal machen. Ihr wisst schon, Kundennähe und all dieses Zeug.“

„Nein, so einen Unfug brauchen wir nicht“, wehrte der Rotschopf sofort ab. „Außerdem muss ich Yohji zum Arzt fahren und wir müssen jetzt los.“

„Ich finde die Idee gut“, sagte der blonde Junge und wandte seinen Blick zu dem älteren Mann, den er so bewunderte. „Wir können ja heute Abend noch einmal darüber reden, Aya-kun, wenn ihr wieder hier seid.“

Der Playboy nickte zustimmend. „Ja, wir können das ja später noch ausdiskutieren. Ehrlich gesagt finde ich das aber auch nicht schlecht, es ist mal etwas anderes. Aber jetzt müssen wir wirklich los.“

Mit diesen Worten zog er seine grüne Schürze aus und hängte sie an den dafür vorgesehenen Platz. Der Weiß-Leader tat es ihm gleich und die beiden verließen den Blumenladen, um gleich darauf in den in der Einfahrt geparkten, weißen Porsche einzusteigen und zum Arzt zu fahren.
 

Erst am Abend kehrten die beiden jungen Männer wieder zu ihrer Wohngemeinschaft zurück, als Ken und Omi gerade die Rollläden schlossen.

„Wir sind wieder da“, kündigte Yohji sie an und winkte mit seinem rechten Arm zu den beiden anderen hinüber.

„Ja, wir sehen es“, meinte der Braunhaarige lachend. „Schließlich sind wir nicht blind.“

„Du hast ja deine Armschlinge gar nicht mehr, Yohji-kun“, stellte der blonde Junge fest, als sie gemeinsam in die Wohnung gingen.

Der Playboy nickte eifrig. „Ich brauch sie nicht mehr tragen und kann wieder alles machen, was ich will. Und das bedeutet, dass ich heute Abend ausgehen werde, ich habe viel nachzuholen. Also wenn ihr mich dann entschuldigt, ich muss mich fertig machen, duschen, umziehen und so weiter.“

„Wenn du schon wieder weggehen kannst, dann kannst du ja auch wieder voll im Laden mithelfen“, meinte Aya kühl und betrat dicht gefolgt von seinen Freunden das Wohnzimmer.

Bei dieser Bemerkung schüttelte der honigblonde Mann jedoch vehement den Kopf. „Nein, das kann ich leider nicht. Du weißt doch, was der Arzt gesagt hat, ich soll den Arm erst langsam wieder an schwere Lasten gewöhnen. Kübel schleppen kann ich also nicht.“

„Ärzte sich eben immer sehr vorsichtig, was den Genesungsprozess angeht“, meinte der ehemalige Torwart schulterzuckend. „Was aber nicht heißt, dass sie damit auch immer Recht haben. Meistens ist man schon viel früher wieder voll einsatzfähig. Können wir dann jetzt vielleicht noch einmal über die Sache von heute Nachmittag sprechen?“

Omi nickte zustimmend. „So lange wirst du nicht mehr ausfallen, Yohji-kun. Und ihr habt gesagt, über Ken-kuns Vorschlag reden wir, wenn ihr wieder hier seid. Das wäre dann also jetzt. Wie genau stellst du dir das eigentlich vor, Ken-kun?“

Der honigblonde Mann ließ sich in den Sessel fallen, so dass ein Bein über die Armlehne baumelte. „Gut dann schieß' mal los Ken-Ken. Aber fasse dich kurz, ich bin bestimmt aus der Übung und brauche deswegen länger, um mich herauszuputzen.“

„Also es geht um folgendes“, begann der ehemalige Torwart seine Erklärung. „Wir könnten doch auch mal eine Wahl zum Mitarbeiter des Monats machen, einfach so aus Spaß. Wir hängen im Laden unsere Fotos auf und darunter eine Liste, in der die Kunden ihre Stimmen eintragen können. Jeder kann nur ein Mal abstimmen und wir kennen ja mittlerweile fast alle die in unseren Laden kommen namentlich.“

„Was hätte das für einen Nutzen für uns?“, fragte der Rotschopf skeptisch. „Dann hätten wir nur noch mehr Schulmädchen die ganze Zeit im Laden herumstehen, die andere Kunden verscheuchen.“ Nach einer kurzen Pause setzte er hinzu: „Wir könnten es natürlich so machen, dass nur zahlende Kunden auch eine Stimme abgeben dürfen.“

„Du hast natürlich direkt wieder das Geschäft im Blick“, kicherte das jüngste Weiß-Mitglied. „Aber eigentlich ist die Idee nicht verkehrt, wenn wir das verbinden, musst du dich nicht immer über die Mädchen aufregen, die dich nur anschmachten, aber nichts kaufen wollen.“

Yohji überlegte ebenfalls kurz und nickte dann zustimmend. „Ayas Vorschlag finde ich auch nicht übel. Dann fällt die Bewertung vielleicht nicht bloß so oberflächlich nach Aussehen und Beliebtheit aus, sondern auch nach Kompetenz und Freundlichkeit. Und genau darum geht es glaube ich auch bei Mitarbeiterbewertungen.“

„Und da willst ausgerechnet du eine faire Bewertung haben?“, spöttelte Ken grinsend. „Dann schneidest du doch ganz schlecht ab, so verschlafen und mürrisch wie du morgens bist.“

„Außerdem halten ein paar Mädchen dich für ziemlich ordinär“, fügte Omi lachend hinzu.

„Ach, da stehe ich drüber“, meinte der Playboy gelassen und winkte ab. „Mit diesen Kindern kann ich doch sowieso nichts anfangen.“

Aya war zwar bereits einverstanden, hatte allerdings noch eine Frage. „Wir machen meinetwegen diese Wahl zum Mitarbeiter des Monats. Soll das dann auch irgendwelche Konsequenzen haben? So etwas verfolgt schließlich auch immer einen Sinn. Soll der Gewinner etwas bekommen? Oder der Verlierer etwas Bestimmtes machen?“

„Also ich wäre für beides“, meinte der Fußballfanatiker. „Der Verlierer könnte vielleicht eine Woche lang alle Hausarbeiten vom Gewinner übernehmen.“

Ungläubig zog Yohji eine Augenbraue nach oben. „Was wollt ihr bitte machen, wenn ich verliere? Verhungern? Ihr wisst, dass ich nicht kochen kann, also könnte ich das schon einmal nicht für jemanden übernehmen.“

„Du gehst also schon davon aus, dass du verlierst?“, fragte der blonde Junge. „Du hast doch sonst nicht so eine schlechte Meinung von dir, eher ganz im Gegenteil. Für dich können wir ja in Sachen Kochen eine Ausnahmeregelung treffen. Wenn du verlierst übernimmst du alle Hausarbeiten vom Gewinner, außer das Kochen, das muss eben der Vorletzte machen und du dafür dann eine Aufgabe von demjenigen. Das ist doch fair, oder?“

„Ja, ich glaube, das ist fair“, stimmte der Playboy zu. „Seid ihr auch damit einverstanden? Es ist dann noch ein kleiner Ansporn für uns dabei.“

„Gut, so machen wir es“, segnete der Weiß-Leader schließlich das Vorhaben ab. Vielleicht trug so eine Wahl zum Mitarbeiter des Monats auch etwas effektiver dazu bei, Yohji zum Arbeiten zu motivieren, als seine bisher erfolglosen Predigten.

Schuldig hatte irgendwann während des Gespräches zwischen den vier Auftragskillern angefangen zu Kichern und mittlerweile war dieses Kichern zu einem schallenden Lachen angeschwollen. Er hatte Mühe sich wieder zu beruhigen, denn eigentlich wollte er eine sarkastische Bemerkung über diese Unterhaltung loswerden.

Der Amerikaner warf ihm mittlerweile immer öfter immer genervtere Blicke zu. „Ich verstehe nicht, was du so lustig findest. Kannst du dich bitte wieder unter Kontrolle kriegen? Das lenkt ab.“

„Also, die Situation hat eine Gewisse Komik an sich“, meinte Nagi und grinste mittlerweile ebenfalls über das ganze Gesicht. „Das musst du doch zugeben, Brad.“

Unterdessen hatte sich der Deutsche auch wieder soweit im Griff, dass er wieder in der Lage war zu sprechen, glücklicherweise hatte er ja in seiner jetzigen Daseinsform keine Probleme wie Atemnot mehr. „Fällt dir da wirklich nichts auf, Braddy? Die reden über so etwas Harmloses, was ihren Blumenladen angeht, als ginge es um eine Mission, die gut vorbereitet sein muss.“

Daraufhin fing er sich einen bitterbösen Blick seines Leaders ein. „Erstens: Nenn mich nicht Braddy! Und zweitens finde ich das überhaupt nicht verkehrt, dass Weiß auch ordentlich über geschäftliche Belange diskutieren. Aber von Geschäftsführung verstehst du wohl sowieso nicht viel.“

„Ich muss davon ja auch nichts verstehen“, verteidigte sich der langhaarige Mann. „Und du musst auch nicht so tun, als wenn du immer alles wüsstest. Du hast noch nie in deinem Leben ein Geschäft geführt. Das Einzige, was du tust, ist ständig diese Wirtschaftsmagazine zu lesen. Aber praktische Erfahrung hast du auch nicht.“

„Da hat er Recht“, stimmte Farfarello ungerührt zu.

Der junge Japaner mit den kurzen braunen Haaren schüttelte verständnislos den Kopf, manchmal stritten seine wesentlich älteren Kollegen sich wie kleine Kinder. „Ist doch egal. Schuldig und ich finden es eben lustig, Brad. Ach übrigens Schuldig: Dein Schützling ist grade dabei das Wohnzimmer zu verlassen, falls du das noch nicht gemerkt haben solltest.“

„Oh, ihr entschuldigt mich bitte“, meinte der Angesprochene hastig und eilte sofort Yohji hinterher, der bereits auf dem Weg ins Badezimmer war. Die anderen Weiß-Mitglieder hielten ihn nun nicht länger davon ab, sich zurechtzumachen, damit er ausgehen konnte, schließlich hatten sie nun alles nötige besprochen.

„Ach, Nagi?“, fragte der Amerikaner dann noch einmal nach. „Hast du dich endlich mal bei Kritiker reinhacken können? Wir sollten nicht so viel Zeit verplempern.“

Der soeben Angesprochene schüttelte etwas niedergeschlagen den Kopf. „Nein, leider konnte ich bisher nichts tun. Aya war den ganzen Tag im Blumenladen und nicht mal in der Nähe irgendeines Computers. Ich kann ihn ja schließlich nicht einfach alleine lassen. Und wie du ja selbst weißt, sind Aya und Omi kaum im selben Raum, wenn er im Internet surft oder ein neues Spiel ausprobiert. Außerdem würde er es schließlich merken, wenn ich ihm dazwischen funke.“

„So kommen wir wirklich nicht weiter, da hast du ja Recht“, gestand der Schwarzhaarige ein und schob seine Brille zurecht. „Aber so langsam sollten wir etwas unternehmen, wer weiß was diese Kerle vor haben.“ Er überlegte kurz und fasste dann einen Entschluss. „Sobald sich eine Gelegenheit bietet, versuchst du es einfach, wenn es sein muss, dann tauschen wir für diese Zeit unsere Plätze. Ich denke, bei dieser Sache dürfte das jüngste Gericht nichts dagegen haben, schließlich geht es um die Sicherheit des ganzen Teams.“

Der Jüngere nickte zustimmend. „Hoffentlich bekommen wir auch bald eine Gelegenheit, vielleicht haben wir ja Glück und Manx kommt mit einer neuen Mission vorbei.“

Bevor auch Omi sich in sein Zimmer zurückzog, wandte er sich jedoch noch einmal an die anderen verbliebenen Weiß-Mitglieder. „Ich komme morgen vielleicht etwas später von der Schule. Wir sehen und mit der Klasse den Umzug der Feuerwehr zur Neujahrszeremonie am Chuo-dori Harumi an.“

Dann verschwand er ebenfalls, um seine Digitalkamera zu suchen, schließlich mussten ein paar aktuelle Fotos von ihm und seinen Freunden her.
 

Nachdem Yohji das Badezimmer nach stundenlanger Besetzung wieder freigab, suchte er noch wichtige Accessoires, wie seine Geldbörse, die obligatorische Sonnenbrille sowie seine Zigaretten, zusammen und ging noch in den Blumenladen, um einen kleinen Strauß mitzunehmen. Dann verließ er das Haus und brüllte wie immer im hinausgehen: „Bin weg! Wartet nicht auf mich!“

Als er in seinem Auto saß und den Motor startete, genoss er zunächst einen Moment lang das Geräusch des schnurrenden Motors, auf seltsame Weise hatte er es fast vermisst.

„Also, wo geht es heute hin, Herr Kudou?“, fragte Schuldig, wobei er es sich schon fast denken konnte.

Sein Schützling schlug zunächst wieder den Weg, den er nach den letzten Missionen, die sie gemeinsam bestritten hatten, ein und parkte letztendlich wieder vor dem altbekannten Friedhof. Nachdem der Motor verstummt war, warf der Japaner einen Blick auf den Beifahrersitz, als würde er das dort befindliche, geisterhafte Wesen sehen können. Allerdings hatte er für sich beschlossen, die fremde Anwesenheit zwar zu akzeptieren und hinzunehmen, jedoch nicht weiter von sich aus darauf einzugehen, zu groß war seine Angst, doch noch für wahnsinnig gehalten zu werden.

Yohji stieg aus seinem Wagen, nahm den Blumenstrauß mit und schloss seinen Mantel bis unter das Kinn. Es war doch kälter, als er gedacht hatte. Mit schnellen Schritten ging er auf den Friedhof und suchte Asukas Grab auf.

„Tut mir Leid, dass ich so spät bin“, flüsterte er kaum hörbar, während er den Blumenstrauß niederlegte und wie immer ein Räucherstäbchen anzündete, um still ein kurzes Gebet zu sprechen. Er war zwar nie besonders gläubig gewesen, doch liebe Verstorbene verdienten dennoch die Aufmerksamkeit der Hinterbliebenen. Seinen Freunden hatte er zwar nie gesagt, wo er hinging, wenn er nicht gerade Tokyos Nachtleben aufmischte, aber er war sich sicher, dass sie es nicht anders hielten, schließlich hatten auch sie liebe Menschen verloren.

Den heutigen Friedhofsbesuch hielt der Playboy relativ kurz, gerade mal eine halbe Stunde hielt er es in der winterlichen Kälte aus.

Eilig ging er zu seinem Wagen zurück und fuhr schließlich in Richtung Innenstadt. Auf einem Parkplatz vor einem seiner Lieblingsclubs stellte er sein Auto ab und reihte sich in die Schlange der auf Einlass wartenden Besucher ein. Da er den Türsteher kannte, wurde er jedoch schnell ins Innere des Gebäudes gelassen, wo die Luft so stickig und verqualmt war, dass sie jedem, der nicht daran gewöhnt war, in den Augen brannte. Yohji machte das allerdings nichts aus und er ging zielstrebig zur Bar.

„Ich hoffe, du trinkst nicht zu viel“, meinte Schuldig, als er sich neben seinen Schützling gegen die schmierige Holztheke lehnte. „Du bist mit dem Auto hier, denk daran.“

Der honigblonde Mann hatte an diesem Abend jedoch nicht vor, sich sinnlos zu betrinken, viel eher wollte er ein gewisses Verlangen befriedigen, dem er in letzter Zeit dank seinem Unfall viel zu wenig Aufmerksamkeit geschenkt hatte. Er bestellte sich einen Drink mit niedrigem Alkoholgehalt und ließ, während er ihn trank, seinen Blick suchend über die Menge schweifen. Als er gefunden hatte, wonach er suchte, stahl sich ein verspieltes Grinsen auf seine Lippen.

Stirnrunzelnd folgte der Deutsche dem Blick und las währenddessen die dazugehörigen Gedanken. Er staunte nicht schlecht, als auch er die gleiche Fleischbeschau vollzog und den durchaus gut gebauten jungen Mann von etwa Mitte zwanzig mit den über Schulter langen, dunklen Haaren eingehend betrachtete. Ohne Frage musste er zugeben, dass sein Schützling durchaus einen guten Geschmack besaß. Und dass er auch Männern und nicht nur Frauen, wie die allgemein gängige Meinung über den stadtbekannten Playboy war, seine Aufwartung machte wunderte ihn seit den ersten, nächtlichen Streifzügen nicht mehr. Außerdem war er sehr wählerisch bei der Auslese seiner Gefährten, was er sich durchaus erlauben konnte. Nicht selten hatte Schuldig mit dem Gedanken gespielt, einfach die mentale Kontrolle über einen von Yohjis Auserwählten zu übernehmen und aktiv an seinem Vergnügen teil zu haben, statt nur schmachtend dabei zu zusehen. Genau diesen Gedanken nahm er sich heute Nacht vor in die Tat umzusetzen.

Zielstrebig, dennoch unauffällig und katzenhaft, bewegte sich der Playboy auf das Objekt seiner Begierde zu. Wie zufällig tanzte er den jungen Mann an und verwickelte ihn sogleich in einen heißen Flirt.

Schuldig ergriff sofort die Gelegenheit und drängte den Geist seines Opfers mit seinem eigenen zurück, er wollte verhindern, dass Yohji sich wieder nach jemand Neuem umschauen musste. Auf diese Weise konnte er zumindest indirekt die Nacht in intimer Zweisamkeit mit seinem Schützling verbringen.
 

Als Omi am nächsten Tag wie angekündigt erst spät aus der Schule kam, grüßte er seine Freunde nur kurz und rannte dann in sein Zimmer. Seine Schultasche ließ er neben den Schreibtisch fallen, öffnete diese dann und kramte die erst vor einigen Minuten gekauften Batterien hervor. Seine Digitalkamera hatte er am Vorabend zwar gefunden, konnte jedoch nicht ausprobieren, ob sie überhaupt noch funktionierte, da der Akkumulator kaputt war. Also mussten für heute normale Batterien ausreichen, der neue Akku würde einige Zeit benötigen, um vollständig aufgeladen zu werden. Die Anzeigen und das Display leuchteten auf und das Testfoto, welches er einfach geknipst hatte, war auch zufriedenstellend.

Bewaffnet mit dem zigarettenschachtelgroßen High-Tech-Gerät betrat er wieder gut gelaunt den Blumenladen und verkündete: „Zeit für Fotos!“

„Da haben wir jetzt keine Zeit für, Omi“, protestierte Aya. Er war Kamerascheu und hasste Fotos von sich. Zu den wenigen Gruppenfotos, die von Weiß existierten, hatte er sich nur widerwillig überreden lassen. „Wir haben Hochbetrieb, jetzt ist ein denkbar schlechter Zeitpunkt.“

„Was wäre denn besser geeignet, als Bilder aus dem Laden während der Arbeit?“ Ken war in dieser Hinsicht anderer Meinung als ihr Leader und winkte seinen jüngeren Freund zu sich herüber. „Knips ruhig ein paar Bilder. Die Gelegenheit ist doch perfekt.“

Yohji runzelte skeptisch die Stirn und war eher weniger glücklich über das unangekündigte Fotoshooting. „Vielleicht sollten wir das wirklich auf später verschieben. Erstens habe ich dunkle Ringe unter den Augen und zweitens kannst du mich unmöglich in diesen Klamotten ablichten. Wie sieht das denn aus?“

„Würdest du früher ins Bett gehen, hättest du auch keine Augenringe, Yohji-kun“, zog ihn der blonde Junge auf und schoss ohne Vorwarnung einige Fotos von ihm, um ihn zu ärgern.

Der Rotschopf nickte zustimmend. „Wie spät war es dieses Mal? Oder sollte ich besser sagen: wie früh? Fünf oder Sechs Uhr?“

„Auch du, mein Sohn, Brutus?!“, jammerte der honigblonde Mann übertrieben und schlug sich in einer theatralischen Geste den Handrücken vor die Augen. „Von jedem hätte ich es erwartet, aber wie kannst ausgerechnet du mir nur so in den Rücken fallen, Omi, der du mir wie mein eigener Bruder, wie ein eigener Sohn warst?“

Der ehemalige Torwart brach bei der Vorstellung in schallendes Gelächter aus. „Oh Gott, Yohji! Du musst immer übertreiben.“

Abgesehen davon, dass Schuldig an diesem Tag wieder einmal die ganze Zeit über ein selbstgerechtes, zufriedenes Lächeln auf den Lippen trug, musste auch er bei diesem Anblick lachen und steckte Farfarello und Nagi sogar ein wenig damit an.

„Dein Schützling ist total verrückt“, stellte Nagi wieder einmal fest und war froh, nicht die ganze Zeit mit ihm verbringen zu müssen. „Oder er hat gestern Abend irgend etwas eingeschmissen, was sich immer noch auf ihn auswirkt.“

Farfarello schüttelte den Kopf. „Nein, der ist immer so, falls dir das noch nicht aufgefallen sein sollte.“

„Das weiß ich doch“, meckerte der kleine Japaner und schob seine Unterlippe ein kleines Stückchen beleidigt nach vorne. Ein gehässiges Grinsen breitete sich dann jedoch auf seinem Gesicht aus. „Vielleicht ist er aber auch als Kind in einen Kessel mit Zaubertrank gefallen und ist deswegen so.“

„Und du solltest nicht so viel fernsehen“, bestimmte Brad. Dann wandte er seinen Blick zu dem Deutschen, der bisher noch keinen sinnfreien Kommentar in diese unnötige Diskussion hatte mit einfließen lassen, was für ihn vollkommen untypisch war. „Was ist eigentlich mit dir los, Schuldig? Du grinst nur vor dich hin, ohne etwas zu sagen. Du heckst doch irgendetwas aus.“

„Er grinst schon den ganzen Tag so vor sich hin“, erklärte der Ire und zuckte mit den Schultern. „Wir vermuten, es hat etwas mit dem gestrigen Abend zu tun, aber er will uns nichts erzählen.“

„Es geht euch ja auch nichts an“, meinte der Mann mit dem flammend orange Haar trocken. „Lasst mich einfach grinsen so viel ich will. Wir hatten gestern halt einfach Spaß daran, wieder einmal weg zu gehen und unter Leute zu kommen.“ Dabei breitete sich wieder ein geradezu gossenartig dreckiges Grinsen auf seinem Gesicht aus, er liebte Wortspiele und vor allen Dingen Zweideutigkeiten.

Mittlerweile hatte sich auch die Unruhe im Blumenladen wieder gelegt, obgleich immer noch zahllose Schuldmädchen um ihre Angebeteten herumschwirrten.

Omi machte noch einige Fotos von seinen Freunden und versuchte einige Schnappschüsse zu ergattern. Ohne Vorwarnung wurde ihm jedoch plötzlich die Kamera entrissen und Yohji grinste ihn hämisch an.

„Von dir brauchen wir auch noch Bilder, ich werde einige machen, also arbeite ruhig ein bisschen.“

„Weißt du denn überhaupt, wie das funktioniert?“, erkundigte sich der blonde Junge zweifelnd.

Ein vorwurfsvolles Kopfschütteln war die Antwort. „Natürlich weiß ich das. Das ist schließlich nicht die erste Kamera, die ich in den Händen halte.“

„Okay, aber mach sie nicht kaputt, Yohji-kun.“

So schoss der Playboy noch einige Fotos von seinen jüngeren Kollegen und legte die Digitalkamera nach einigen von Ayas unzähligen, entnervten Blicken und Ermahnung bei Seite. Der Verkaufsraum wurde langsam immer leerer und zu ihrer gewohnten Uhrzeit schlossen Weiß ihren Laden.
 

„Ich möchte noch ein paar anständige Fotos machen“, kündigte Omi nach dem Abendessen an.

„Hast du nicht schon genug?“, fragte Aya mit leichtem Unbehagen. „Du hast doch schon so viele gemacht, ist die Kamera nicht bald voll?“

Der blonde Junge schüttelte den Kopf. „Ich glaube, da passen so um die dreihundert bis vierhundert Bilder auf die Speicherkarte. Und je mehr Fotos ich mache, umso größer ist die Auswahl. Die Bilder, die nichts geworden sind, kann ich ja direkt wieder löschen.“

„Warte damit, bis ich mich umgezogen habe, dann kannst du so viele Bilder knipsen, wie du willst“, meinte Yohji und war auch schon aus der Küche verschwunden.

Die anderen drei Weiß-Mitglieder gingen währenddessen ins Wohnzimmer und der Jüngste von ihnen suchte nach einem passenden Hintergrund. Da er jedoch in seinen Augen nichts Geeignetes fand, wies er Ken an, es sich einfach auf dem Sofa bequem zu machen. Farfarello trat rein aus Gewohnheit einige Schritte beiseite, um das Bild nicht zu ruinieren, wobei ihm jedoch im gleichen Moment einfiel, dass sie als Schutzengel unsichtbar waren.

„Und jetzt lächeln, Ken-kun“, sagte er, als er auf den Auslöser drückte. Als er danach das Bild im Display der Kamera betrachtete, runzelte er skeptisch sie Stirn. „Du wirkst etwas verkrampft, versuch einfach natürlich auszusehen.“

Interessiert betrachtete auch Nagi das Bild und lachte leise. „Verkrampft ist untertrieben, ich nenne das einfach ein dämliches Grinsen.“

„Er grinst nicht dämlich“, protestierte der Ire. „Eigentlich hat er ein sehr schönes Lächeln.“

„Dann sieh dir das doch einmal an, Farf. Vielleicht änderst du dann deine Meinung darüber.“ Nagi kicherte immer noch darüber, dass der Assassin vergeblich versuchte entspannt und natürlich zu wirken.

Der Einäugige folgte dieser Aufforderung und konnte noch einen kurzen Blick auf das Display erhaschen, bevor Omi weiter fotografierte. Er musste seinem jüngeren Kollegen eingestehen, dass der Blick wirklich nicht gerade der intelligenteste war, ebenso wie das aufgesetzte Grinsen. „Er ist eben aufgeregt, weil er gut aussehen will. Im Laden sah er ja auch normal aus.“

„Da hat dieser selbsternannte Pseudofotograf ja auch ohne Ankündigung drauflos geknipst. Selbstverständlich ist man da entspannter“, warf Brad ein.

„Und in Sachen gutes Aussehen sollte er sich lieber einmal an jemanden wenden, der etwas davon versteht, zum Beispiel an mich oder an Yohji“, war Schuldigs Stimme von der Wohnzimmertür her zu hören. Dort lehnte er mit einem selbstgefälligen Grinsen im Gesicht gegen den Türrahmen und trat dann seinem Schützling folgend ganz in den Raum ein.

„Jetzt kannst du so viele Fotos machen wie du willst, Kleiner“, meinte der Playboy während er sich auf dem Sessel niederließ.

„Das mache ich sowieso schon die ganze Zeit“, erklärte der blonde Junge. „Und nenn mich nicht Kleiner!“

„Könnten wir das hier bitte endlich schnell hinter uns bringen?“, fragte Aya und verschränkte die Arme vor der Brust.

Omi nickte und meinte lächelnd: „Sicher, Aya-kun. Aber es sollen ja auch gute Fotos werden.“

Daraufhin machte er noch einige Fotos von seinen Freunden und musste den Playboy einige Male davon abhalten, sich bei Gruppenbildern nicht immer in den Vordergrund zu drängen.

„Hey Schuldig, du solltest vielleicht da weg kommen und ihnen nicht immer im Weg herum stehen“, meinte Nagi.

Schuldig zuckte desinteressiert mit den Schultern. „Warum denn nicht? Wir sind tot und unsichtbar. Schon vergessen? Also ist es egal. Außerdem muss ich auf meinen Schützling acht geben und das tut ihr doch auch, du stehst ja auch immer bei Aya herum und Farfarello bei Ken. Ich könnte ihnen sogar so viele dämliche Fratzen schneiden wie ich will und es würde keinen interessieren. Andererseits hat das daher auch wenig Sinn. Es gibt keinen der sich nachher darüber aufregen kann.“

Er blieb einfach neben Yohji stehen und bewegte sich nicht vom Fleck. Nagi rollte mit den Augen, jetzt musste der Ältere auch noch anfangen Grimassen zu schneiden und Faxen zu machen. Sein Teamkollege konnte manchmal so unglaublich kindisch sein.

Nach einiger Zeit nahm der honigblonde Mann dem jüngsten Weiß-Mitglied die Digitalkamera aus der Hand. „Von dir brauchen wir auch noch ein paar hübsche Fotos.“ Er beugte sich leicht zu ihm herunter und flüsterte so leise, dass die anderen beiden lebenden Anwesenden es nicht hören konnten, in sein Ohr: „Außerdem kann ich dann ein paar hübsche Fotos von dir und Aya zusammen machen.“ Mit einem Augenzwinkern schob er den Kleineren auch schon zu dem letztgenannten Mann hinüber. „Und jetzt: Bitte recht freundlich!“

Der Rotschopf war zunächst ein wenig beschämt darüber, dass Omi ihm beinahe in die Arme taumelte und der Teamälteste eben diese Szene sofort fotografieren musste. Noch unangenehmer war ihm allerdings die Röte, die er seine Wangen überziehen spürte. Er zwang sich zur Ruhe und machte es sich noch ein wenig bequemer auf dem Sofa.

Diese Gelegenheit ergriff der blonde Junge und setzte sich direkt neben ihn, nur um gleich darauf wieder ein Stück zur Seite zu rutschen und seinen Kopf wieder auf Ayas Oberschenkel zu betten.

„Du hast doch nichts dagegen, oder Aya-kun?“, fragte er mit einem unschuldigen Lächeln und kuschelte sich noch etwas mehr an den Älteren, so dass jeder Widerspruch zwecklos war.

Widerspruch wollte der Weiß-Leader auch überhaupt nicht leisten, er hatte den talentierten Jungen gerne in seiner Nähe und mochte es, wenn er diese geradezu suchte. „Es ist schon in Ordnung so, wenn du gerne so ein Bild von mir haben willst.“

„Ihr seht genau so aus wie in der Berghütte“, bemerkte Yohji und schoss noch einige Bilder.

„Diese Bilder bleiben aber unter Verschluss, diese aufdringlichen Schulmädchen sollen nicht noch mehr Stoff zum tratschen bekommen. Außerdem werde ich aussuchen, welche Fotos wir in den Laden hängen und welche nicht“, bestimmte der Rotschopf kühl und schob Omi wieder sanft aber bestimmt von sich weg. Zuviel des Guten konnte seinem Image schaden.

„Wir suchen die Fotos alle gemeinsam aus. Das ist nur fair“, entgegnete der Abgewiesene und stand auf, damit er noch einige Male allein abgelichtet werden konnte.

„Wir sollten auch unbedingt ein paar Gruppenfotos machen, wo wir alle drauf sind“, schlug Ken vor, woraufhin der blonde Junge eifrig zustimmend nickte.

„Das finde ich auch. Das Bild, das auf dem Fernseher steht ist zwar ganz hübsch, aber immerhin auch schon wieder über ein Jahr alt.“

Der Weiß-Leader blickte seine Freunde skeptisch an. „Aber irgendjemand muss das Bild machen und außer uns ist niemand hier. Ich glaube kaum, dass Manx oder Birman uns jetzt unerwartet einen Besuch abstatten.“

„Wir brauchen niemanden, Aya-kun“, klärte Omi ihn auf. „Die Kamera hat einen Selbstauslöser, ich muss sie nur richtig platzieren.“

„Ich schlage vor, wir setzen uns alle auf die Couch“, sagte der ehemalige Torwart und besetzte auch schon einen Platz und zog den Rothaarigen in die Mitte der Sitzgelegenheit, woraufhin dieser zunächst protestierte.

„Was soll das, Ken?“

Dieser lächelte entschuldigend und erklärte: „Setz dich in die Mitte, das bildet einen besseren Kontrast.“

„Das würde ich auch sagen, mit deinen roten Haaren stichst du schön hervor und das wirkt nicht richtig, wenn du am Rand sitzt. Die Idee hätte eigentlich auch von mir sein können“, stimmte der Playboy zu und setzte sich auf die andere Seite des Sofas, so dass ihr Leader keine andere Wahl hatte. „Die Kamera können wir ja auf den Fernseher stellen, von der Höhe her dürfte das passen.“

„Stimmt. Macht es euch bequem“, wies der blonde Junge sie an und stellte die Kamera auf dem Fernseher ab. Über das Display beobachtete er, wie die anderen Männer zusammenrückten. „Ich werde mehrere Fotos machen, immer im Abstand von ein paar Sekunden, damit wir uns auch anders hinsetzen können. Ist das in Ordnung für euch?“

„Wir müssen also nicht die ganze Zeit stocksteif dasitzen?“, fragte Ken und runzelte skeptisch die Stirn.

„Nein, das müsst ihr natürlich nicht. Zu hastig dürft ihr euch aber auch nicht bewegen“, erklärte er, stellte den Selbstauslöser ein und war mit einigen schnellen Schritten am Sofa angelangt.

Omi entschied sich kurzerhand dazu, sich einfach auf Ayas Schoß zu setzen. Er lehnte sich zurück, griff nach den Händen des verblüfft wirkenden Rotschopfes und legte diese um sich, als auch schon das erste Blitzlicht aufflackerte.
 

Nachdem laut einstimmiger Meinung genug Fotos geschossen wurden, setzten sich die vier jungen Männer gemeinsam vor Omis Computer, um passende Bilder auszusuchen. Das jüngste Weißmitglied lud die gespeicherten Daten auf seine Festplatte und öffnete dann das erste Bild.

„Was ist das?“, fragte Ken sofort ein wenig verwirrt.

Der blonde Junge grinste entschuldigend. „Mein Schreibtisch, das sieht man doch. Ich musste erst ein Testfoto machen und habe vergessen es zu löschen.“

Diese Versäumnis holte er sofort nach und blätterte die Bilder langsam durch. Zuerst betrachteten sie die Fotos aus dem Blumenladen, auf denen außer den Weiß-Mitgliedern noch viele Schulmädchen zu sehen waren.

Yohji runzelte skeptisch die Stirn. Hatte er nicht gerade am Bildrand einen langen, rötlichen Haarschopf gesehen? Er kannte eigentlich nur eine Person, zu der diese Haarpracht passte und er konnte sich nicht daran erinnern an diesem Tag eine Person mit vergleichbarem Haar im Laden gesehen zu haben.

Die anderen schienen nichts bemerkt zu haben und blätterten weiter, wobei Omi die Nummern der Bilder auf einen Zettel schrieb, die in die engere Auswahl kamen.

„Stop mal bitte!“, rief Aya auf einmal aus. „Blätter bitte noch einmal zurück. Auf dem vorherigen Bild war etwas.“

Zwar wusste noch niemand, was der Rotschopf mit diesem etwas meinte, aber sie betrachteten das letzte Bild noch einmal eingehend. Der Weiß-Leader zeigte mit dem Finger auf eine bestimmte Stelle des Bildes, einige Schritte neben Ken, hinter einigen Schuldmädchen. Dort konnte man ziemlich blass und etwas verschwommen ein Gesicht ausmachen, welches dort nicht hingehörte.

„Berserker!“, entfuhr es Weiß und Schwarz gemeinschaftlich reichlich erstaunt. Ohne Zweifel war dieses Gesicht dem Iren zuzuordnen, das helle Haar und die Augenklappe waren verräterische und unverwechselbare Merkmale.

„Was macht der auf dem Bild?“, fragte Aya gereizt und konnte sich nicht erklären, wie das möglich war. Schwarz hatten sie schon seit Monaten nicht mehr gesehen und in ihrem Blumenladen waren sie an diesem Tag definitiv nicht gewesen. „Druck das aus.“

Schwarz waren offensichtlich nicht minder verwirrt und starrten ungläubig auf den Bildschirm.

„Wie ist das möglich?“ Schuldig sah seine Kollegen einen nach dem anderen an. „Wir sind tot, wir sind unsichtbar. Wir waren auch nicht auf Überwachungsvideos zu sehen. Warum auf Digitalfotos?“

„Vielleicht hat es etwas mit unserem letzten Besuch beim jüngsten Gericht zu tun“, mutmaßte Nagi und kratzte sich nachdenklich an der Wange.

Weiß sahen sich derweil die folgenden Bilder umso aufmerksamer an. Jedes Foto, auf dem eine Silhouette oder ein Schatten auch nur annähernd jemandem von der verfeindeten Gruppe glich, wurde ausgedruckt. War nur ein Weiß-Mitglied zu sehen, so war meist auch nur ein Schwarz mit auf dem Bild, bei den Gruppenbildern waren auch alle Gegner vertreten. Ein ganzer Stapel von Ausdrucken hatte sich mittlerweile in dem Ausgabefach des Druckers gesammelt, als sie endlich alle Bilder durchgegangen waren.

„Fällt euch da etwas auf?“, fragte Omi, als er einen Teil der Blätter betrachtete.

„Ja, es sind Personen drauf, die dort nichts zu suchen haben“, entgegnete Aya schroff.

Der blonde Junge schüttelte den Kopf. „Das meine ich nicht. Mir ist aufgefallen, dass es so etwas wie ein System hinter dem Ganzen gibt. Seht euch das doch mal an, auf den Bildern von Ken ist Berserker mit drauf, auf denen von Yohji sieht man manchmal Mastermind, auf Ayas ist Prodigy und auf meinen Oracle.“

„Ich frag mich, was das soll“, meinte Ken und sah sich ein Bild eingehend an. „Schwarz waren doch gar nicht im Laden. Wie kommen sie also auf die Fotos? Außerdem sind sie sehr unscharf und irgendwie durchsichtig.“

„Vielleicht hat sich Prodigy bei dir eingehackt und es ist ein schlechter Scherz oder eine Drohung“, mutmaßte der Rotschopf. „Wäre das möglich?“

„Im Prinzip könnte er das tun, ich hab den Computer gerade angelassen, weil ich noch etwas heruntergeladen habe. Aber die Daten aus der Kamera waren ja erst ein paar Minuten auf meiner Festplatte, als wir sie uns angesehen haben. Er müsste dann wirklich wahnsinnig schnell gewesen sein, um die Fotos zu bearbeiten. Beängstigend schnell.“

Nagi lachte leise. „Ich bin zwar schnell, aber für die Menge an Bildern hätte sogar ich viel länger gebraucht.“

„Da siehst du mal, was die für eine hohe Meinung von dir haben“, meinte Schuldig grinsend.

Farfarello blickte ihn aus den Augenwinkeln an und stichelte gewohnt trocken: „Und ihre Meinung von dir dürfte jetzt noch tiefer gesunken sein, nachdem sie deine Grimassen gesehen haben.“

„Hört auf euch zu streiten“, sagte Brad in herrischem Tonfall, der keine Widerrede zuließ. „Wir haben im Moment wirklich andere Probleme als eure kindischen Streitereien. Weiß können uns auf diesen Bildern sehen, obwohl sie das nicht dürfen, was wiederum bedeutet wir haben enorm Scheiße gebaut und kriegen unheimlich Ärger vom jüngsten Gericht.“

Betreten schauten sich die vier Schutzengel an, wahrscheinlich hatte ihr Leader Recht und dieser Vorfall zog noch einige unangenehme Konsequenzen nach sich.

Yohji hatte während der ganzen Zeit kein Wort dazu gesagt. Er hatte still in seinem Stuhl gesessen und war immer blasser geworden, während er sich die Bilder ansah.

„Yohji-kun? Ist alles in Ordnung mit dir?“, fragte Omi besorgt. „Du siehst aus, als hättest du einen Geist gesehen.“

„Vielleicht habe ich das auch“, antwortete der Playboy leise und ungewohnt unsicher.

Ken sah ihn fragend an. „Wie meinst du das?“ Auch ihm kam es seltsam vor, die anderen Auftragskiller auf den Bildern zu sehen, aber andererseits hatte er so endlich ein gemeinsames Bild von Farfarello und ihm. Ob Nagi nun seine Finger im Spiel und es bloß getan hatte, um sie herauszufordern, war vollkommen nebensächlich.

„Das würde ich auch gerne wissen“, stimmte der Rotschopf zu und heftete seinen kritischen Blick auf den Älteren.

Dieser druckste zunächst etwas zögerlich herum. „Es ist wegen diesen Bildern, das ist irgendwie beängstigend. Bei unserer letzten Mission, als ich praktisch tot war ...“ Er hielt inne. Sollte er wirklich darüber reden? Bisher hatte er seine vermeintlichen Wahnvorstellungen für sich behalten und den anderen war schließlich nichts an ihm aufgefallen. Vielleicht hatte das eine ja nichts mit dem anderen zu tun.

„Was war da?“, hakte der Weiß-Leader unerbittlich nach. „Hat es etwas hiermit zu tun? Oder generell mit Schwarz? Wenn ja, dann ist es wichtig.“

„Du kannst es uns ruhig erzählen, Yohji-kun“, meinte der blonde Junge beruhigend und lächelte aufmunternd.

Der Playboy nickte langsam. „Ich weiß nicht, ob es etwas miteinander zu tun hat, Aya. Und vielleicht hört sich das, was ich sagen werde, ziemlich bescheuert und unglaubhaft an, aber es ist wahr. Als ich klinisch tot war, hat Schuldig mir sehr wahrscheinlich das Leben gerettet. Er hat mit mir geredet und versucht mich dazu zu bringen, um mein Leben zu kämpfen. Ich weiß nicht, ob die Ärzte es alleine geschafft hätten, mich wieder ins Leben zu holen. Im Nachhinein fand ich es irgendwie unheimlich, dass ausgerechnet er es war, den ich gesehen habe. Man hat ja schon von Leuten gehört die ein grelles Licht am Ende eines Tunnels sehen und von bereits Verstorbenen begleitet werden, aber ich habe eigentlich nie an so einen Humbug geglaubt.“

„Da hast du vollkommen Recht, das ist absoluter Humbug.“ Aya klang etwas erbost, für ihn hörte sich diese Erzählung wie ein Lügenmärchen an, mit dem sie der Älteste wieder einmal foppen wollte.

Der braunhaarige Japaner runzelte die Stirn. „Willst du damit etwa sagen, Schwarz sind tot? Aber das macht keinen Sinn, du hast gesagt, Schuldig hat dir das Leben gerettet und nicht, dass er dich in den Tod geleitet hat.“ Hinzu kam, dass er schließlich eine Karte von Jay bekommen hatte, was er seinen Freunden allerdings nicht sagen konnte.

„Ich habe doch gewusst, dass ihr mir das nicht glauben werdet“, sagte Yohji und schüttelte enttäuscht den Kopf. „Also erzähle ich erst gar nicht weiter, es hätte sowieso keinen Zweck.“

„Doch, rede weiter, Yohji-kun. Wenn es noch etwas gibt, sollten wir das wissen, vielleicht ist es doch wichtig“, versuchte Omi ihn zum weiter sprechen bewegen. „Und ihr solltet ihm zuhören anstatt ihm von vornherein nicht zu glauben.“

Der Playboy lächelte schwach. „Danke, Omi. Also ich gehe davon aus, dass es Schuldig war, der mir das Leben gerettet hat und nicht die Ärzte alleine. Er hat mit mir gesprochen, ich weiß nicht mehr genau worüber, aber er hat definitiv gesagt, er ist immer bei mir und lässt mich nicht alleine.“

„Warum sollte er das tun?“, fragte der Weiß-Leader skeptisch.

„Das weiß ich doch nicht. Und es wäre nett, wenn du mich ausreden ließest.“ Der Gedanke, dass es eine schlechte Idee war über diese Angelegenheit zu sprechen, drängte sich ihm immer mehr auf. „Danach habe ich halt irgendwie immer eine Anwesenheit gespürt. Ihr kennt doch dieses Gefühl, wenn man die Augen zu hat und trotzdem merkt, dass jemand da ist, obwohl man ihn nicht sieht. Anfangs hatte ich auch zeitweise den Eindruck seine Stimme wie ein leises Echo in meinem Kopf zu hören. Ich hab es auf den Sturz und die Gehirnerschütterung geschoben, weil es halt nach ein paar Tagen auch aufgehört hat. Die Anwesenheit ist aber immer noch da, zwischendurch war es weg und das hat mich auf eigenartige Art und Weise sogar etwas gestört.“ Er atmete tief durch und schaute seine Freunde nacheinander an. „Ich habe euch bisher nichts davon erzählt, weil ich Angst hatte, dass ihr mich für vollkommen wahnsinnig oder sogar für einen Verräter haltet. Und ich bin weder das eine noch das andere.“ Yohji griff in den Stapel von Bildern und holte ein Gruppenfoto hervor auf dem auch Schwarz komplett zu sehen war und es beinahe so aussah, als umarmte Schuldig ihn von hinten. „Seht euch das doch mal an.“

Die drei anderen Weiß-Mitglieder betrachteten das Bild nochmals und Ken sah den Ältesten dann besorgt an. „Vielleicht ist das alles nur ein Trick von Schwarz. Schuldig beeinflusst dich vielleicht mental mit der Absicht dich in den Wahnsinn zu treiben oder dich auf ihre Seite zu ziehen. Und Nagi hat die Fotos gefälscht, um das ganze noch zu unterstützen.“

Aya nickte zustimmend. „Das klingt schon eher plausibel. Bisher konnten Schwarz uns nicht aus dem Weg räumen, wahrscheinlich versuchen sie so uns auseinander zu reißen, damit sie leichtes Spiel haben.“

„Wenn es so ist, dürfen wir das auf keinen Fall zulassen“, sagte Omi mit fester Stimme. „Wir werden zusammenhalten und uns nicht unterkriegen lassen, egal was sie versuchen.“

„Genau so ist es. Ich werde mein Team von niemandem kaputt machen lassen.“ Der Weiß-Leader klang entschlossen, seine Freunde, seine neue Familie, würde er sich von niemandem mehr nehmen lassen.

Der ehemalige Torwart dachte über die Angelegenheit nach. Vielleicht sollte er wieder intensiver versuchen mit Jay Kontakt aufzunehmen, möglicherweise konnte er ihm sagen, was Schuldig von Yohji wollte, wenn er ihn davon überzeugte, dass es wichtig war und diese Information ihn nicht in Schwierigkeiten brachte.

„Und ihr haltet mich nicht für einen Verräter?“, fragte der honigblonde Mann hoffnungsvoll. Davor hatte er am meisten Angst, dass er ihr nach der Angelegenheit mit Schreiend erst mühsam wieder aufgebautes Vertrauen nochmals verlor.

„Natürlich nicht, Yohji-kun.“ Das jüngste Weiß-Mitglied lächelte ihn aufmunternd an. „Dir ist es offenbar selber unangenehm und ich denke, wenn du ein Verräter wärst, würdest du es uns nicht erzählen.“

„Oder gerade deshalb“, warf der Rotschopf trocken ein und zuckte mit den Schultern. „Wie dem auch sei, darüber zu debattieren hilft uns nicht weiter. Omi, du versuchst herauszufinden, ob Prodigy sich auf deinen Rechner geschlichen hat. Mehr können wir denke ich im Augenblick nicht tun.“

Du meinst wohl, mehr kann ich nicht tun, dachte Omi und seufzte innerlich. Manchmal war es eben eine schwere Bürde, der Computercrack in der Gruppe zu sein. „Das hatte ich sowieso vor, Aya-kun.“

„Was die jetzt von uns denken“, seufzte Nagi.

„Sie denken halt noch genauso von uns, wie vor einem halben Jahr“, meinte Brad kühl. „Und das ist ihnen ja auch nicht zu verdenken, schließlich wissen sie nicht, was wir für sie tun. Nur natürlich, dass sie dann das Schlimmste annehmen.“

„Aber das ist nicht fair.“ Schuldig fühlte sich irgendwie gekränkt und verletzt, diese Gefühle hatte er jahrelang tief in sich begraben, aber diese Situation versetzte ihm einen Stich. Er hoffte nur, sein Schützling begann nicht genauso zu denken, wie die anderen Weiß-Mitglieder. Noch sah er zumindest keine Anzeichen dafür in seinen Gedanken, nur ein wenig Unsicherheit.

Farfarello schüttelte den Kopf. „Ändern können wir es aber nicht, nicht mehr. Darauf haben wir schließlich lange genug hingearbeitet, dass sie nur das Schlechteste von uns erwarten.“
 

Weiß suchten einige ihrer Meinung nach unverfälschte Bilder aus und schnitten sie zurecht, so dass sie diese am nächsten Tag mit entsprechenden Stimmlisten im Blumenladen aufhängen konnten.

Dann ließen sie Omi allein in seinem Zimmer zurück, damit dieser sich um seinen Computer kümmern konnte, was er auch sogleich tat. Er rief das Protokoll auf und überprüfte die Zugriffe, fand darin allerdings keinen Hinweise auf einen Eingriff von außen oder eine Bearbeitung der Bilder. Bei dieser ersten erfolglosen und zugegebenermaßen ziemlich simplen Kontrolle dachte der blonde Junge sich noch nichts dabei. Nagi war schließlich kein Anfänger und hatte seine Spuren gewiss gut verwischt.

Also machte er sich weiter daran, alles nach Spuren zu durchforsten.

Währenddessen zogen sich die anderen drei Männer wieder in ihre Zimmer zurück. Yohji hatte eines der Bilder, auf dem er und Schuldig zu sehen waren mitgenommen und betrachtete es, als er es sich auf seinem Bett gemütlich machte. Die Lust auszugehen war ihm vergangen.

„Was soll das alles bloß?“, murmelte er versunken in Überlegungen vor sich hin. „Ich habe nicht das Gefühl, dass es etwas Schlimmes zu bedeuten hat.“

„Ich wünschte, ich könnte dir alles sagen, Yohji“, meinte Schuldig, seufzte leise und setzte sich neben seinen Schützling. Vorsichtig strich er ihm mit den Fingerspitzen durch das Haar. „Aber das darf ich leider nicht. Vielleicht kann ich dich aber trotzdem irgendwie beruhigen.“

Aya legte sich auf sein Bett und nahm das Buch zur Hand, welches auf dem Nachttisch lag. Er schlug die mit einem Lesezeichen markierte Seite auf und las an dieser Stelle weiter. Nach einer Weile stand er jedoch wieder auf und tigerte einen Moment lang unschlüssig in seinem Zimmer umher. Der Gedanke, dass einer seiner Freunde von dem verfeindeten Telepathen kontrolliert wurde ließ ihm keine Ruhe. Er verließ sein Zimmer wieder und klopfte an Kens Tür.

„Ja, bitte?“, kam es gedämpft aus dem Raum.

Der Rotschopf öffnete die Tür und trat ein. Nachdem er diese hinter sich geschlossen hatte, fragte er: „Kann ich kurz mit dir reden?“

Sein jüngerer Freund wollte anscheinend gerade ins Bett gehen, da er bereits seinen Pyjama trug. Aber er nickte und deutete dem anderen an, sich zu setzen. „Worum geht es denn?“

„Um Yohji“, antwortete der Weiß-Leader knapp und setzte sich zu Ken auf das Bett. „Ich mache mir Sorgen um ihn. Mastermind scheint schließlich schon seit längerem Einfluss auf seine Gedanken zu nehmen. Vielleicht bringt er ihn langsam aber sicher dazu, unbewusst Schwarz in die Hände zu spielen. Er könnte sich selbst und uns in große Gefahr bringen.“

Der ehemalige Torwart nickte verstehend. „Und was willst du dagegen tun? Ihn in seinem Zimmer einsperren?“

Aya schüttelte den Kopf, er wusste selbst, dass eben dies nicht ging. „Einsperren können wir ihn nicht, aber ihn beobachten. Sein Verhalten könnte sich schleichend verändern, ohne dass es uns auffällt, wenn wir nicht darauf achten. Wir werden ihn ab jetzt nicht mehr alleine lassen, wenn er aus dem Haus geht, geht entweder jemand mit oder folgt ihm.“

„Du willst ihn beschatten? Das würde ihm sicher auffallen“, gab der Braunhaarige zu bedenken.

„Ja, es muss sein, auch wenn ich es selber nur ungern tue. Es ist ja nicht so, dass ich Yohji nicht vertraue, aber Mastermind ist absolut alles zuzumuten.“

Ken nickte. „In Ordnung, behalten wir ihn einfach unauffällig im Auge.“
 

Sie unterhielten sich noch eine Weile und bemerkten kaum wie die Zeit verging. Erst als beide vor Müdigkeit gähnten, wurde ihnen bewusst, wie lange sie bereits zusammensaßen und beschlossen endlich schlafen zu gehen, schließlich mussten sie am nächsten Tag wieder arbeiten.

Aya verließ Kens Räumlichkeiten und ging die paar Schritte über den Flur zum Badezimmer. In der Dunkelheit sah er durch den Spalt unter Omis Zimmertür noch Licht hervor dringen. Schwarz hin oder her, der Junge musste schließlich auch wieder früh aufstehen und zur Schule gehen, daher beschloss er ihn ebenfalls ins Bett zu schicken.

Leise klopfte er an die Tür und öffnete diese nach einem Augenblick, als er keine Antwort erhielt. Bei einem Blick in das Zimmer erkannte er auch, weshalb. Das jüngste Weiß-Mitglied lag mit verschränkten Armen auf seinem Keyboard und war offensichtlich während der Arbeit eingeschlafen.

Mißgunst

Wir sind keine Engel
 

Kapitel 14: Mißgunst
 

Aya trat leise und darauf bedacht ihn nicht unnötig aufzuwecken an Omi heran. Langsam löste er den schmalen Oberkörper aus der zusammengekauerten Position und schlang dann einen Arm um diesen. Den anderen Arm schob er unter die Kniekehlen und hob den blonden Jungen vorsichtig an, um ihn zum Bett zu tragen.

„Das ist deine Gelegenheit“, meinte Brad und schob Nagi an Omis Computer heran. „Beeile dich, du hast vielleicht nur ein paar Minuten.“

„Ja, ich weiß“, entgegnete der Kleinere und setzte sich sofort auf den angewärmten Drehstuhl. Er hielt eine Hand über die Tastatur, woraufhin sich die kleinen Knöpfe schneller hoben und senkten, als es mit der herkömmlichen Art zu tippen möglich gewesen wäre. Seine telekinetischen Fähigkeiten erlaubten ihm, seine Gedanken viel schneller auf das Keyboard zu übertragen, als seine Finger es gekonnt hätten.

Hoch konzentriert schlich er sich in das Computernetzwerk von Kritiker ein. Da er dies schließlich nicht zum ersten Mal tat, hatte er kaum Probleme damit. Der junge Japaner suchte nach den provisorisch angefertigten Bildern der unbekannten Männer und lud diese auf Omis Computer.

Da der rothaarige Mann dem Bildschirm den Rücken zuwandte, bekam er davon im Augenblick nichts mit. An dem Bett angelangt legte er Omi vorsichtig darauf ab.

Der Jüngere öffnete träge die Augen, als er spürte, wie er sachte durchgeschaukelt wurde.

„Aya-kun“, murmelte er schläfrig und rieb sich mit einer Hand über die Augen.

„Schlaf ruhig weiter“, flüsterte der Weiß-Leader lächelnd.

Omi unterdrückte ein Gähnen und schüttelte schlaftrunken den Kopf. „Aber ich habe noch so viel zu tun. Prodigy verwischt seine Spuren wirklich gut, ich habe noch nichts gefunden.“

„Du kannst morgen weiter machen, wenn du aus der Schule kommst. Im Laden brauchst du uns dann nicht helfen“, versicherte der Rotschopf ihm und zog ihm kurzerhand die Socken aus. „Ich helfe dir noch beim Ausziehen, selbst dafür scheinst du zu müde zu sein. Und dann wird geschlafen.“

Bei diesen Worten schlich sich ein verträumtes Lächeln auf das Gesicht des blonden Jungen. Sein Aya wollte ihn ausziehen und das würde er sich nur allzu gern gefallen lassen. Mit geschlossenen Augen genoss er, wie die starken Hände vorsichtig den Pullover abstreiften und ihn wieder sanft ins Kissen drückten. Als die geschickten Finger sich daran machten, auch die Jeans zu entfernen, spürte Omi, wie Schamesröte langsam seine Wangen überzog. Langsam öffnete das jüngste Weiß-Mitglied wieder die Augen und sah, dass es dem anderen Mann nicht anders ging und ein blasser Rotschimmer die Partie um seine Nase und Wangenknochen zierte.

„Also dann, gute Nacht“, sagte der Weiß-Leader zaghaft und breitete die Decke über den vor ihm liegenden, entblößten Körper aus.

Er wollte sich gerade zum Gehen wenden, als schmale aber kräftige Finger an seinem Handgelenk ihn daran hinderten.

„Aya-kun?“, kam es zögerlich aus dem Munde des blonden Jungen. „Bleibst du noch ein bisschen hier? Damit ich nicht so alleine bin?“

Der Angesprochene war zunächst ein wenig verwundert, nickte dann jedoch und setzte sich an den Bettrand. „Natürlich bleibe ich noch etwas, wenn du das möchtest.“ Er hob seine Hand und strich dem Liegenden sanft durchs Haar.

Unter den zärtlichen Berührungen schloss Omi die Augen und döste allmählich wieder ein. Sobald der andere jedoch mit seinen Streicheleinheiten inne hielt, gab er ein missmutiges Brummen von sich. Gerne hätte er den sonst so unnahbaren Rotschopf neben sich liegen gehabt, gespürt wie die Matratze unter seinem Gewicht ein Stück nach unten sackte. Aber er traute sich nicht, diesen Wunsch auch laut auszusprechen. Noch nicht.

„Wie weit bist du?“, fragte Brad und schaut über Nagis Schulter hinweg auf den Bildschirm.

„Bildbearbeitung braucht ein wenig Fingerspitzengefühl, schließlich ist es ja nicht so, dass ich schon vorhandene Bilder zusammensetzen kann“, erklärte der kleine Japaner und gab sich alle Mühe, den grünhaarigen Mann auf dem Monitor wie Xen aussehen zu lassen.

Der Schwarz-Leader überlegte kurz. „Schuldig hat dir doch die Namen gegeben, oder? Kannst du nicht darüber mal suchen, ob sie irgendwo verzeichnet sind?“

„Wie stellst du dir das bitte vor, Brad? Wenn ich die Angelegenheit richtig verstehe, sind diese Leute ebenso Killer wie Weiß und wir. Und das bedeutet für die Gesellschaft nicht existent. Im Übrigen glaube ich auch nicht, dass es ihre richtigen Namen sind, unter denen sie jetzt leben. Zumindest bei diesem Xen und diesem Yukio ist das ziemlich unwahrscheinlich, von denen gibt es nicht mal eine Art Nachname. Und letzterer scheint kein Japaner zu sein, was in Verbindung mit dem Namen auch nicht ins Bild passt.“ Der Jüngste im Raum beendete seine weit schweifende Erklärung und widmete sich wieder seiner Arbeit.

„Was ist mit den anderen Beiden? Von denen hast du vollständige Namen. Einen Versuch wäre es zumindest wert, dann sparst du dir einiges an Arbeit.“ Der Amerikaner überlegte einen Augenblick und hatte dann eine Idee. „Die beiden sahen ziemlich jung aus, vielleicht gehen sie hier irgendwo zur Schule, das tut Omi schließlich auch, obwohl er es nicht mehr wirklich nötig hätte.“

„Schule?“ Nagi zog skeptisch eine Augenbraue nach oben. „Ich glaube, diese Typen entsprechen eher unserem Kaliber, sie haben übernatürliche Fähigkeiten und würden allein dadurch auffallen. Ich denke weniger, dass ich auch nur einen von ihnen an irgendeiner Schule finde. Weißt du eigentlich, wie viele Schulen es in Tokyo gibt? Mehr als genug und ich würde länger brauchen mich überall eingehend umzusehen, als für die manuelle Bildbearbeitung.“

Brad zuckte mit den Schultern. „Omi hat doch auf diesem Computer bestimmt auch einige Hackertools, die dir diese Arbeit abnehmen können.“

„Vielleicht, normalerweise benutzt er ja für solche Dinge den Rechner im Missionsraum“, entgegnete der Schwarz-Hacker und durchforstete Omis Festplatte nach brauchbaren Programmen, die ihm Arbeit abnehmen konnten. Er wurde fündig und ließ die Tools sämtliche Schulen in Tokyo nach den Namen Shawn Payakootha Brigham und Phuong Van Nguyen durchsuchen. Während die Programme im Hintergrund arbeiteten, bemühte er sich Yukio so originalgetreu wie möglich darzustellen.

„Fujimiya bleibt heute die ganze Nacht hier“, teilte Crawford mit und deutete zum Bett. „Er ist ziemlich müde und legt sich gleich mit ins Bett, um hier zu schlafen.“

Der kleine Japaner winkte bloß ab. „Warum kannst du nicht mal früher brauchbare Visionen haben? Dann hätte ich mich nicht so überschlagen brauchen. Aber jetzt habe ich ja genug Zeit, alles noch einmal ordentlich zu bearbeiten. Lass mich einfach weiter arbeiten.“ Und eben dieses tat er.

Aya bemerkte das Geschehen an dem Computer hinter sich nicht. Er strich Omi immer wieder durch den blonden Haarschopf und kraulte ihn zeitweise im Nacken, wofür er ein wohliges Schnurren erntete. Mittlerweile bemerkte er jedoch, wie sich die Müdigkeit wieder seiner bemächtigte und er konnte nur noch schwerlich die Augen offen halten. Er entschied sich, den Jüngeren jetzt endlich alleine zu lassen, schließlich schlief er scheinbar schon längst, und erhob sich vorsichtig vom Bett.

„Aya-kun?“, war ein schläfriges Gemurmel vom Bett aus zu vernehmen.

„Schlaf ruhig weiter, Omi“, flüsterte der Rotschopf. „Ich geh jetzt auch schlafen.“

„Du kannst hier schlafen, ich mache mich auch ganz dünn“, schlug das jüngste Weiß-Mitglied vor und rutschte bereits zur Seite, um dem anderen Platz zu machen. „Ich mag heute nicht alleine sein.“

Für einen Moment lang rang der Rotschopf mit sich und wog ab, ob es ratsam war den Rest der Nacht mit seinem jüngeren Freund zu verbringen. Letztendlich schob er seine Zweifel jedoch beiseite. Ob ratsam oder nicht war vollkommen irrelevant, Omi brauchte ihn aus irgendeinem Grund jetzt in seiner Nähe.

„Gut, ich bleibe hier. Aber nur heute, das hier ist eine Ausnahme“, mahnte der Weiß-Leader und legte sich dann ebenfalls in das Bett. Er rutschte, so weit wie es möglich war, ohne aus dem Bett zu fallen, an die Bettkante und zog die Decke nur zu einem kleinen Teil über sich, um sie dem blonden Jungen nicht wegzunehmen.

Omi fand, dass der andere viel zu weit von ihm weg lag und rutschte Zentimeterweise zu ihm hinüber. Auch der Rotschopf musste sich eingestehen, dass seine jetzige Lage alles andere als bequem war und er allmählich anfing zu frieren. Auch er rutschte, jedoch eher unbewusst, ein wenig weiter in die Bettmitte.

Als Nagi einigermaßen zufrieden mit seinem Retuschierergebnis von Yukio war, machte er sich daran, das Bild von Xen auszubessern. Zwar war es nicht perfekt, schließlich war er kein Grafiker, aber es würde seinen Zweck zumindest besser erfüllen, als die ungenauen Phantombilder von Kritiker.

Nach einiger Zeit gab eines der Suchprogramme eine Meldung von sich, einer der angegebenen Namen wurde in einer Datenbank entdeckt.

„Bingo!“, entfuhr es dem braunhaarigen Japaner erfreut. „Sieh mal hier, ich habe etwas über diesen Phuong gefunden. Kaum zu fassen, er geht auf die gleiche Schule wie Omi.“

Der Amerikaner betrachtete ungläubig die Angaben auf dem Bildschirm. „Ich habe ihn dort aber noch nie gesehen. Und wenn Omi ihn kennen würde, dann hätte er ihn doch bestimmt wieder erkannt.“

„Vermutlich kennt er ihn nur flüchtig. Vielleicht vom kurzen Sehen auf dem Schulhof“, mutmaßte der Jüngere und lud die gefundene Datei zuerst einmal auf den Computer herunter. „Aber das ist auch vollkommen egal, ob er ihn kennt oder nicht. Wir haben jetzt alle Informationen aus der Schülerkartei und das sollte wohl mehr als genug für Kritiker sein, um alleine weiterzukommen.“

„Das stimmt allerdings. Hast du auch über den Telepathen etwas gefunden?“, hakte Brad nochmals nach.

Nagi schüttelte verneinend den Kopf. „Nichts. Wobei so ein ungewöhnlicher Name hier doch sehr auffällig ist und einen geradezu anspringen müsste. Der Rest der Gruppe hält sich wahrscheinlich ebenso bedeckt, wie wir es getan haben.“

Die beiden im Halbschlaf befindlichen Weiß-Mitglieder spürten die Nähe des anderen allmählich deutlicher. Omi hob die Decke ein Stück hoch und bedeckte Aya damit vollständig, was dieser ein wenig schamvoll zur Kenntnis nahm und murmelte einige unverständliche Worte des Dankes. Langsam glitten beide jedoch endgültig ins Land der Träume.

Die nächsten Stunden bis zum Morgengrauen verbrachte der Schwarz-Hacker damit, die Portraits bis zur Vollendung zu bearbeiten und die Dateien entsprechend sorgfältig, mit allen ihnen Dank Schuldig zur Verfügung stehenden Angaben, für Kritiker zusammenzustellen. Dem Brillenträger blieb wie unzählige Nächte zuvor nichts weiter zu tun, als auf den nächsten Tag zu warten.
 

Am nächsten Morgen wurden Aya und Omi vom Klingeln des Weckers aufgeweckt. Schlaftrunken wollte der Rotschopf danach greifen, um ihn auszustellen. Erst dabei wurde ihm wieder klar, dass er sich gar nicht in seinem Zimmer, in seinem eigenen Bett befand, sondern bei dem jüngsten Weiß-Mitglied geschlafen hatte. Das penetrante Klingeln riss ihn auch aus der letzten Phase seines Dämmerzustandes, obwohl er versuchte, noch ein paar Minuten in diesem angenehmen Zwischenstadium zu verweilen.

Die kuschelige Wärmequelle neben ihm bewegte sich auf einmal. Als der Weiß-Leader unwillig die Augen öffnete, bemerkte er, dass Omi in seinen Armen lag und sich die Decke über den Kopf zog, um das störende Geräusch zu dämpfen. Aya spürte, wie ihm das Blut in den Kopf schoss und seine Wangen rot verfärbte.

„Guten morgen, Omi“, murmelte er, löste sich von dem anderen und schob ihn sachte von sich weg, um gleich darauf endlich den Wecker abzuschalten.

Der blonde Junge streckte den Kopf unter der Decke hervor, blinzelte müde und gähnte erst einmal herzhaft. „Guten morgen, Aya-kun.“ Er rieb sich den Schlaf aus den Augen und fuhr sich durch die zerzausten Haare.

Nagi saß rittlings auf dem Drehstuhl, hatte die Ellenbogen auf die Lehne gestützt und betrachtete mit einem versonnenen Lächeln das sich ihm darbietende Bild. „Irgendwie niedlich die Beiden.“

„Niedlich?“ Brad warf ihm einen etwas verwunderten Blick zu. „So etwas aus deinem Munde? Es geschehen tatsächlich noch Zeichen und Wunder.“

Der Jüngere wandte ihm den Kopf zu und verzog seine Lippen beinahe zu etwas ähnlichem wie einen Schmollmund. „Von wegen Zeichen und Wunder. Es gibt eben Dinge von mir, die du nicht weißt. Außerdem liegt es wahrscheinlich sowieso viel mehr an der Tatsache, dass wir tot sind und auf die Schnelle noch bessere Menschen werden müssen.“

Er beobachtete weiter ihre verschlafenen Schützlinge und seufzte innerlich, da es ihm bewusst machte, wie sehr diese Nähe und Vertrautheit in seinem eigenen Leben fehlte und an Stelle dessen nur Leere und Einsamkeit standen. Gerne hätte er mit einem von ihnen getauscht und sei es nur, um sich wenigstens ein Mal nicht alleine fühlen zu müssen. Andererseits war die Wahrscheinlichkeit sehr hoch, dass er sich danach noch einsamer fühlte und die Geborgenheit noch mehr vermisste, als wenn er sie überhaupt nicht richtig kennen lernte. Zwar gaben sich die anderen Schwarz-Mitglieder viel Mühe, seit für sie die Ewigkeit auf dem Spiel stand, aber trotzdem wirkte diese Aufmerksamkeit noch recht kühl und unbeholfen.

„Das ist wohl wahr“, stimmte der Amerikaner zu und betrachtete seinen nachdenklich wirkenden Freund eine Weile.

Aya schlug die Decke zurück und vermied es den jungen Auftragskiller anzusehen. „Wir sollten aufstehen, du kommst sonst zu spät zur Schule.“

Omi gähnte herzhaft, zog die Decke wieder nach oben und den Rotschopf wieder zu sich, um sich wiederum an ihn zu kuscheln. „Nur noch fünf Minuten, Aya-kun. Ich fühle mich grade so wohl.“

Der Weiß-Leader seufzte geschlagen, er konnte nicht leugnen, dass es verlockend war einfach noch liegen zu bleiben. Vor allem da die Nähe des anderen Wärme und Geborgenheit ausstrahlte. „In Ordnung, aber wirklich nur fünf Minuten. Nicht länger.“

Der blonde Junge hörte diese Worte schon gar nicht mehr, er war bereits wieder eingedöst und vergrub sein Gesicht an dem Oberkörper des Älteren. Die sich gleichmäßig hebende und wieder senkende Brust hatte eine beruhigende Wirkung auf ihn und er verfluchte den Wecker ebenso wie die Tatsache, dass nicht Sonntag war. Wäre beides anders gewesen, hätten sie einfach noch so lange sie wollten im Bett liegen können und niemand hätte sich daran gestört. Viel zu viele ’hätten’, ging es Omi träge durch den Kopf.

Aya lehnte sich noch einige Minuten entspannt zurück und ließ seine Finger zu Omis Kopf wandern. Gedankenversunken strich er langsam durch den zerzausten Haarschopf und kraulte bisweilen des anderen Hinterkopf und Nacken.

„Irgendwie vermisse ich dieses im Halbschlaf im Bett herumliegen ein bisschen, auch wenn ich immer bloß alleine im Bett lag. Mehr Platz für mich“, meinte Nagi beiläufig, während er sich von dem Stuhl erhob und sich streckte.

„Es gibt wohl einiges, was du vermisst“, mutmaßte Brad und musterte den Kleineren abschätzend. „Aber da bist du nicht alleine. Eigentlich hing ich an meinem Leben.“

Der kleine Japaner musste aus einem unerfindlichen Grund lächeln. „Wie wir so oft schon festgestellt haben: Wir können es nicht ändern, machen wir das Beste daraus. Es bringt doch wirklich nichts, darüber zu lamentieren.“

„Sie stehen endlich auf, ich fasse es ja nicht“, sagte der Amerikaner auf einmal völlig aus dem Zusammenhang gegriffen.

„Die liegen doch noch im Bett.“ Nagi sah ihn mit einem leichten Anflug von Verwirrung an. „Ach, schon gut, eine Vision. Man sollte meinen, dass mich so etwas mittlerweile nicht mehr überrascht.“

Im nächsten Augenblick schob Aya auch schon Omi von sich und setzte sich auf. „Die fünf Minuten sind vorbei, jetzt wird aufgestanden. Ich will nicht schuld daran sein, dass du zu spät zur Schule kommst.“ Er schwang die Beine über den Bettrand, stand auf und zog dem blonden Jungen erbarmungslos die Decke fort. „Raus aus den Federn.“

„Eines muss man ja mal sagen, in Sachen Aufstehen kennt er keine Gnade“, kommentierte der braunhaarige Japaner die Szene und setzte lachend hinzu: „Bei Yohji ist er noch gemeiner, mit dem kuschelt er nicht noch erst.“

„Ich glaube, auch sonst ist Gnade kein häufig benutzter Begriff in seinem Wortschatz“, warf der Brillenträger belustigt ein.

Omi rollte sich widerwillig zusammen, als ihm die Decke und damit die gemütliche Wärme grausam entrissen wurde. Er gab ein noch ein kurzes, missmutiges Brummen von sich, setzte sich dann jedoch ebenfalls im Bett auf und streckte sich ausgiebig.

„Zieh dich an, ich geh schon einmal Frühstück machen“, sagte der Rotschopf und verließ das Zimmer.

Nachdem er die Tür hinter sich geschlossen hatte, lehnte er sich kurz dagegen und schaute nach unten auf die leichte Ausbuchtung zwischen seinen Beinen. Ein Mal mehr war er froh darüber, dass die Hose dieses Pyjamas weit genug war, um das Meiste zu kaschieren. Er hoffte bloß inständig, dass Omi nichts gesehen oder anderweitig bemerkt hatte, denn das wäre ihm furchtbar peinlich und er hätte den Jüngeren wohl kaum noch ansehen können, ohne sofort rot anzulaufen.

In diesen Überlegungen versunken eilte er ins Badezimmer, wusch sich und sorgte mit ein wenig kaltem Wasser dafür, dass seine Männlichkeit wieder auf ihre Ausgangsgröße zusammenschrumpfte. Zwar war ihm selbst nicht entgangen, dass ihr jüngstes Mitglied in letzter Zeit mehr Interesse an ihm zeigte und oft seine Nähe suchte, die letzte Nacht war schließlich das beste Beispiel dafür, aber Aya war sich einfach nicht sicher genug, woran er war. Immerhin konnte es genauso gut lediglich brüderliche Zuneigung sein.

Nicht ahnend, dass der blonde Junge beinahe das gleiche dachte, wie er selbst, ging der Weiß-Leader hinunter in die Küche, um das Frühstück vorzubereiten. Er deckte für alle den Küchentisch und stellte die Kaffeemaschine an, heute war ihm auch nach einer Tasse der schwarzen Brühe, obwohl er ansonsten lieber Tee trank.
 

Ein paar Minuten später betrat Omi angezogen die Küche und setzte sich auf seinen Platz am Küchentisch. Aya blätterte in der Tageszeitung und trank dabei seinen Kaffee.

„Dein Essen für die Pausen steht schon fertig auf der Anrichte“, meinte er beiläufig und blätterte eine Seite weiter.

Der blonde Junge schluckte den gerade in den Mund gesteckten Bissen hinunter. „Danke, Aya-kun. Ich habe heute auch keine Fahrstunde und bin deshalb wieder pünktlich zu Hause.“

„In Ordnung“, entgegnete der Rotschopf und setzte nach einer kleinen Pause hinzu: „Sollen wir die Bilder und Stimmlisten für diese Wahl schon fertig machen und aufhängen? Oder sollten wir lieber bis heute Nachmittag, bis du wieder da bist, warten?“

„Nein, ihr müsst nicht warten. Hängt die Sachen ruhig schon im Laden auf. Und ihr könnt auch an meinem Computer noch ein paar Fotos ausdrucken, es ist ja nicht überall Schwarz drauf zu sehen. Übrigens habe ich gestern nichts mehr gefunden, was auf einen Zugriff von außen hinweist. Ich werde mich heute Abend noch einmal damit beschäftigen“, versicherte das jüngste Weiß-Mitglied.

Er stand von seinem Platz auf und räumte das schmutzige Geschirr weg. „Ich muss jetzt los, bis später, Aya-kun.“

Mit diesen Worten verschwand er auch schon aus der Küche, um auf dem Flur seine Schuhe und die Winterjacke anzuziehen. Dann schnappte er sich die Schultasche und wollte gerade die Haustür öffnen, als diese ihm bereits entgegen schlug.

Ken betrat die Wohnung und sah Omi zunächst ein wenig verwirrt an. „Guten morgen, Omi. Ist dir was passiert?“

„Guten morgen, Ken-kun“, entgegnete der blonde Junge und schüttelte den Kopf. „Nein, es ist nichts passiert. Aber wenn du mich noch länger aufhältst, komme ich zu spät zur Schule.“

Freundlich, aber bestimmt schob er den braunhaarigen Mann beiseite und schob sich an ihm vorbei ins Freie.

Der ehemalige Torwart schloss die Haustür, zog seine Laufschuhe aus und ging dann in die Küche, um zu frühstücken. Danach gönnte er sich nach seinem allmorgendlichen Training erst einmal eine erfrischende Dusche.
 

Yohji wurde von Aya wieder unsanft aus seinen Träumen gerissen. Am liebsten hätte er seinen Draht genommen und den Weiß-Leader damit irgendwo festgebunden, damit er ihn einfach ihn Ruhe weiterschlafen ließ. Obwohl er am Vorabend entgegen seiner Gewohnheit nicht ausgegangen war, zierten dunkle Ringe seine Augen und sein Körper verlangte noch nach ein paar Stunden erholsamen Schlaf. Dieser war ihm nämlich verwehrt geblieben, da der Playboy noch bis spät in die Nacht seinen Gedanken nachgehangen hatte. Zwar hatten seine Freunde ihn am Vorabend nicht angeprangert, aber die Angst vor dem, was sie in Wirklichkeit von den Geschehnissen mit Schuldig und Schwarz hielten, war allgegenwärtig.

„Hey, Nagi? Ist gestern Abend noch irgendetwas aufregendes passiert?“, fragte Schuldig den anderen Schutzengel. „Verstehen Weiß endlich, dass wir für sie nicht mehr gefährlich, sondern eher das Gegenteil, sind?“

Der kleine Japaner zuckte leicht mit den Schultern. „Ich denke eher nicht. Aber ich habe die Nacht damit verbracht, Kritiker mit allen Informationen zu versorgen, die wir über diese Mißgunst-Leute aufgeschnappt haben. Ich hoffe nur, sie wissen auch etwas damit anzufangen und halten es nicht für eine Falle.“

„Natürlich werden sie es erst einmal für eine Falle halten, wenn sie nicht wissen, woher die Informationen stammen“, gab der Deutsche zu bedenken. „Sie werden natürlich zuerst alles überprüfen, vielleicht beauftragen sie sogar Weiß damit. Dann hätten wir wenigstens auch wieder richtig etwas zu tun.“

„Ja, das ist wohl das Naheliegendste“, stimmte Nagi zu und wandte sich dann ab, um seinem Schützling zu folgen.

Aya überquerte den Flur und betrat sein Zimmer. Er warf einen Blick auf das unbenutzte Bett und musste bei dem Gedanken an die letzte Nacht unweigerlich lächeln, auch wenn ihn ein Blick auf zukünftige Nächte wieder ernüchterte. Nachdem er die Vorhänge geöffnet hatte, nahm er frische Kleidung aus seinem Schrank und zog sich an. Er war den ganzen Morgen in seinem Pyjama herum gelaufen, ganz entgegen seiner Gewohnheit. Es war schon erstaunlich, zu was Omi ihn in der letzten Zeit brachte. Er erlaubte und tat Dinge, die für ihn vor einem halben Jahr noch undenkbar gewesen wären. Er schüttelte den Kopf und damit die Gedanken ab, der Laden musste geöffnet werden und er hatte keine Zeit, weiter herum zu trödeln.

Yohji quälte sich währenddessen aus dem Bett und schlurfte, bewaffnet mit frischer Kleidung, zum Badezimmer, aus dem ihm Ken bereits entgegen kam.

„Guten morgen, Yohji. Schon so früh wach?“, fragte er grinsend. „Warum bist du eigentlich so müde? Du warst doch gestern Abend gar nicht unterwegs.“

„Wach ist anders. Aya hat mich aus dem Bett geworfen“, entgegnete der Playboy gähnend und schlich ins Bad. Bevor er die Tür hinter sich schloss, meinte er noch über die Schulter hinweg: „Ich bin müde, weil ich nicht schlafen konnte. Wie man sieht, hat früh ins Bett gehen für mich überhaupt keinen Sinn.“

„Natürlich macht es Sinn, wenn man dann auch schläft“, meinte der ehemalige Torwart noch, bevor der andere ihm die Tür vor der Nase zuschlug.

Kopfschüttelnd wandte er sich ab und ging hinunter in den Blumenladen, wo Aya bereits die Rollläden öffnete.

„Weißt du, wie lange Yohji noch braucht?“, fragte der Rotschopf, als er sich zu dem Neuankömmling umdrehte.

Dieser schüttelte den Kopf. „Nein, tut mir Leid. Es kann sich aber nur um Stunden handeln, er hat gerade das Badezimmer beschlagnahmt.“

„Es ist doch jedes Mal das Gleiche mit ihm, er wird sich nie ändern. Übrigens meinte Omi, wir sollten schon einmal die Bilder und Stimmlisten aufhängen.“

„Dann machen wir das doch. Am besten irgendwo, wo viel Platz ist“, schlug Ken vor und sah sich suchend um. „Wahrscheinlich werden sich davor Trauben von Schulmädchen bilden, die sich nicht entscheiden können.“

Aya nickte zustimmend. „Um dem ein wenig vorzusorgen, haben wir noch ein großes Schild gemacht, dass man nur, wenn man etwas gekauft hat, auch eine Stimme abgeben darf.“

„Vielleicht hätten wir lieber kleine Wahlurnen machen sollen. Dann hätten wir jedem, der etwas kauft und eine Stimme abgeben will, einen Wahlzettel geben können und einen besseren Überblick“, gab der Braunhaarige zu bedenken und kratzte sich nachdenklich am Kinn.

„So viel Aufwand brauchen wir nun wirklich nicht betreiben“, wehrte der Weiß-Leader den Vorschlag ab und hängte kurzerhand einfach die Fotos und Listen auf. „Wir kennen die meisten unserer Kunden schließlich, es sind immer die gleichen hysterischen Schulmädchen. Die Wahl ist öffentlich und jeder soll einfach seinen Namen auf die Liste schreiben, wem das nicht gefällt, der braucht ja nicht mitmachen.“

„Wer braucht was nicht mitmachen?“, hört die Beiden auf einmal Yohjis Stimme hinter sich.

„Na die Mädchen“, setzte Ken eine Erklärung an. „Wenn sie nicht ihren Namen aufschreiben wollen, dann brauchen sie nicht abstimmen, meint Aya.“

„Hört sich nicht schlecht an“, stimmte der Playboy zu und band sich seine Schürze um. „So haben wir auch einen Überblick über unsere Fans.“

Der Rotschopf nickte. „Schön, dass wir uns mal einig sind.“

Die drei jungen Männer öffneten den Blumenladen und begannen mit ihrer alltäglichen Arbeit.
 

Der Vormittag verflog schnell, war aber auch ab einem gewissen Punkt für Weiß reichlich lästig, denn sie mussten jedem Kunden, der die Stimmlisten sah, erst über die Wahl zum Mitarbeiter des Monats aufklären. Sie waren froh über jede Minute, in der sie zwischendurch ihre Ruhe hatten, vermuteten aber, dass es den ganzen Tag und die darauffolgenden noch so gehen würde.

„Nächste Woche ist übrigens Tag der Volljährigkeit“, meinte Yohji beiläufig. „Geht ihr auch zu ein paar Zeremonien und Partys?“

„Nein“, antwortete Aya sofort, er ging nicht gerne unter Menschen.

„Ich weiß nicht, vielleicht. Ich habe ehrlich gesagt noch nicht darüber nachgedacht“, meinte Ken und zuckte gleichgültig mit den Schultern.

Der Playboy sah seine beiden jüngeren Freunde entsetzt an. „Wie könnt ihr das vielleicht wichtigste Ereignis in eurem Leben abtun, als wäre es das unwichtigste der Welt? Das ist wichtig! Man wird nur ein Mal volljährig. Ich komme auch gerne mit, damit ihr euch nicht so verloren vorkommt. Außerdem weiß ich, wo die richtig guten Partys steigen.“

„Du hattest dein Volljährigkeitsfest voriges Jahr schon“, entgegnete der Rotschopf trocken. „Für dich ist es doch bloß ein willkommener Grund hemmungslos zu feiern. Wir gehen nicht und damit hat es sich.“

„Genau“, stimmte der ehemalige Torwart zu. „Ich kann mich noch gut daran erinnern, so schlimm verkatert warst du noch nie und seit dem auch nicht mehr gewesen. Und ich weiß eben nicht, ob ich weggehe. Das kommt darauf an, ob wir innerhalb der nächsten Tage noch eine Mission bekommen.“

„Ihr seid ja solche Spielverderber“, murrte der honigblonde Mann. „Dann ignoriert halt so ein wichtiges Ereignis. Und ich brauche übrigens keinen Grund oder eine schlechte Ausrede, um wegzugehen und mich zu betrinken. Das kann ich auch so tun. Ich finde nun einmal, dass dieser Tag wichtig und man ihn feiern sollte, so wie jeder andere in diesem Land auch.“

Trotzig wandte er sich ab und ging in das angrenzende Gewächshaus.

„Er ist so ein großes Kind.“ Aya schüttelte verständnislos den Kopf. „Er ist zwar volljährig, aber noch lange nicht erwachsen, eher ziemlich unreif.“

„Aber sonst wäre er halt nicht Yohji“, sagte Ken lächelnd. „So können wir wenigstens sicher sein, dass er immer noch er selbst ist. Ich würde mir erst anfangen Sorgen zu machen, wenn er sich auf einmal für ihn vollkommen untypisch, zum Beispiel erwachsen, verhält.“

„Yohji ist Schuldig wirklich sehr ähnlich, findest du nicht auch, Farfarello?“, fragte Nagi.

Der Ire nickte. „Allerdings. Sie passen als Schutzengel und Schützling wirklich gut zusammen, auch wenn es Schuldig ziemlich ärgert, nicht aktiv an Balineses Leben teilnehmen zu können.“

Der kleine Japaner seufzte. „Mich ärgert es ehrlich gesagt auch irgendwie, aber als Toter hat man eben keine Wahl mehr. Andererseits hätten wir Weiß wohl niemals so kennen gelernt, wenn wir noch lebten. Wir würden wahrscheinlich immer noch versuchen uns gegenseitig umzubringen.“

Der Einäugige nickte langsam, wahrscheinlich wäre es so, obwohl er auch dann alles dafür getan hätte, Ken zu beschützen, das Wertvollste, was er jemals besessen hatte.

„Sag mal, glaubst du wir bekommen noch Ärger wegen den Fotos?“, fuhr Nagi nach einer Weile des Schweigens fort. „Wir sind ja nicht absichtlich da drauf.“

„Ja, ich glaube schon, dass es für uns noch ein Nachspiel hat. Schließlich dürfen wir uns nicht bemerkbar machen, egal wie“, meinte Farfarello und sein Gesichtsausdruck verhärtete sich, er mochte überhaupt nicht daran denken, wie das jüngste Gericht sie für diesen Verstoß bestrafte.

Der braunhaarige Junge biss sich auf die Unterlippe. „Aber wir konnten doch nichts dafür. Wenn sie uns gesagt hätten, dass wir noch mehr aufpassen und uns richtig konzentrieren müssen, um vollkommen unsichtbar zu sein, wäre das vielleicht nicht passiert. Außerdem hat Schuldig sich doch auch schon bei Yohji bemerkbar gemacht und das war in Ordnung.“

„Da hat er ihm aber das Leben gerettet und es war deswegen eine Ausnahme“, vermutete der Ire. „Warten wir einfach ab, von uns aus können wir sowieso nicht ins Jenseits wechseln und fragen wie der Stand der Dinge ist. Wenn sie uns bestrafen wollen, werden sie das noch früh genug tun.“

„Darauf kann ich ehrlich gesagt verzichten“, meinte Nagi und widmete sich wieder seinem Schützling.
 

Es klopfte zwei Mal gedämpft an der Tür und auf Geheiß hin betrat die braunhaarige Frau das Büro.

„Manx? Da ist etwas, was du dir unbedingt ansehen solltest.“

Die rothaarige Frau blickte von ihrem Bildschirm auf und sah Birman fragend an. „Was gibt es denn? Ist etwas passiert?“

„Das könnte man so sagen“, entgegnete die andere Frau. „Wir haben ein paar neue Daten über die Männer, auf die Weiß schon einige Male gestoßen sind.“

„Sehr gut“, meinte Manx und lächelte gewinnend. „Wer hat da Neues ausgegraben? Wo liegen die Informationen, damit ich sie mir ansehen kann.“

„Das ist es ja gerade. Niemand von uns hat diese Daten gesammelt, sie waren heute Morgen einfach da“, erklärte die braunhaarige Frau weiter. „Du solltest vielleicht mitkommen, damit wir sie zusammen mit den anderen durchgehen können. Ein paar unserer Leute sind schon ein paar Stunden damit beschäftigt herauszufinden, wie die Dateien auf unseren Server gelangt sind. Bisher ohne Erfolg.“

„In Ordnung.“ Die Frau, die seit dem Tode Persers dessen Stellung innehatte, erhob sich und verließ mit ihrer Kollegin und Geliebten ihr Büro.

Gemeinsam gingen sie durch die Korridore zu einem Großraumbüro, in dem an den Computern einige Mitarbeiter fieberhaft arbeiteten und gebannt auf ihre Monitore starrten. Die beiden Frauen gesellten sich zu einer kleinen Gruppe, die sich vor ein paar nebeneinander stehenden Rechnern gebildet hatte.

„Habt ihr schon etwas herausbekommen?“, fragte Birman und sah die kopfschüttelnden Männer fragend an.

„Es ist, als wäre es einfach da gewesen“, meldete sich einer von ihnen zu Wort und deutete auf den Bildschirm. „Heute Nacht sind diese Dateien hier aufgespielt worden, Erstellungsdatum und Änderungsdatum zwischen null und sechs Uhr morgens. Allerdings keine Hinweise auf den Verfasser oder Ursprung. Wir haben sehr detaillierte Angaben über die vier Männer, von denen wir Phantombilder angefertigt haben, sogar genauere Bilder.“

„Aber wer sollte uns solche Informationen zukommen lassen?“, überlegte die rothaarige Frau.

Ein anderer Mann zuckte ratlos mit den Schultern. „Wer immer das getan hat, wusste genau, wonach wir gerade recherchieren, hatte Zugriff auf diese Informationen und wusste sehr genau, wie er auf unser Netzwerk zugreifen und seine Spuren verwischen muss.“

„Vielleicht Prodigy?“, mutmaßte die braunhaarige Frau. „Aber warum sollte er so etwas tun?“

Manx schüttelte den Kopf. „Nein, ich glaube kaum, dass es irgendjemand von Schwarz war. Von denen wurden schon lange keine Aktivitäten mehr verzeichnet. Seit etwa einem halben Jahr nicht, als ein simpler Auftrag von Weiß beinahe in einer Katastrophe endete. Mittlerweile gehen wir davon aus, dass die vier unidentifizierten Leichen aus dem eingestürzten Gebäude Schwarz sind.“

„Aber dafür haben wir keinen definitiven Beweis“, gab einer der Männer zu bedenken. „Vielleicht haben sie sich nur zeitweise zurückgezogen und schlagen jetzt wieder zu. Vielleicht stecken sie mit diesen Typen sogar unter einer Decke. Sie nennen sich übrigens Mißgunst, wenn die Angaben korrekt sind.“

Birman runzelte die Stirn. „Und genau da können wir nicht sicher sein. Entweder möchte uns da jemand helfen oder uns eine Falle stellen, wobei ich denke, dass letzteres wahrscheinlicher ist. Überprüft die Daten, geht allen Anhaltspunkten nach.“

„Macht mir Akten mit allem, was wir über diese Männer haben, fertig“, wies die rothaarige Frau die Kritiker-Agenten an. „Weiß sollen es auch ihrerseits überprüfen, vielleicht findet Omi etwas.“
 

Die folgenden Tage im Hause Weiß verliefen im Großen und Ganzen wie jeder andere Arbeitstag im Blumenladen, nur mit dem kleinen Unterschied, dass sie jedem Kunden erst einmal erklären mussten, was es mit der Wahl zum Mitarbeiter des Monats auf sich hatte.

Omi hatte während dieser Zeit vergeblich versucht herauszufinden, wie die Schwarz-Mitglieder auf die Bilder gekommen sein konnten. Daher beschlossen die jungen Männer mehr oder weniger, dass Nagi die Fotos einfach sehr geschickt und sehr schnell manipuliert haben musste, anders konnten sie es sich einfach nicht erklären.

Yohji konnte immer noch nicht nachvollziehen, wie Aya und Ken den Tag der Volljährigkeit als unwichtiges Ereignis abtun konnten und nicht an einer einzigen Feier teilgenommen hatten. Stattdessen war der Rotschopf zu Hause geblieben und Ken zum Fußballtraining mit der Kindermannschaft gegangen. Zumindest er selbst wollte den Abend nicht ungenutzt lassen, immerhin war es eine perfekte Gelegenheit sich wieder einmal auszutoben.

Tags darauf tauchte Manx in der Mittagspause bei Weiß in der Küche auf, die gerade dabei waren das Essen zuzubereiten, beziehungsweise im Falle Yohjis, den Tisch zu decken.

„Hallo Jungs“, begrüßte die rothaarige Frau sie. „Ist Omi noch in der Schule?“

Der Playboy hob den Kopf und lächelte charmant. „Welch seltener Glanz in unserer bescheidenen Hütte. Das heißt, es geht um etwas Wichtiges, denn krank ist ja im Moment niemand. Und Omi hat glaube ich nach der Schule heute noch eine Fahrstunde.“

„Übertreibe doch nicht immer so maßlos, Yohji.“ Aya verdrehte leicht die Augen. „Also? Worum geht es, Manx?“

„Wie ihr ja schon erraten habt ist es in der Tat wichtig“, meinte die Frau und umklammerte den Henkel ihres Aktenkoffers. „Schließt den Laden für heute Nachmittag. Esst erst einmal und kommt dann bitte hinunter in den Missionsraum, ich bereite alles vor und warte dann auf euch. Wenn Omi dann noch nicht da sein sollte, fangen wir ohne ihn an. Er kann die Unterlagen dann später sichten, muss es sogar.“

Mit diesen Worten wandte sie sich ab und verließ die Küche. Die drei zurückbleibenden jungen Männer schauten sich kurz gegenseitig an, fuhren dann jedoch in ihren Tätigkeiten fort.

„Siehst du, Yohji?“, begann Ken. „Gut, dass wir gestern Abend nicht weg waren und bis in die frühen Morgenstunden gefeiert haben.“

„Ja, ja“, entgegnete der honigblonde Mann bloß, setzte sich an den Tisch und fischte die Schachtel Zigaretten aus seiner Hosentasche.

Bevor er jedoch eine Zigarette anzünden konnte, gebot die scharfe Stimme des Rotschopfes ihm Einhalt. „Hier wird nicht geraucht, wenn gekocht und gegessen wird.“

Yohji ließ die Zigarette und das Feuerzeug sinken. „Willst du mir jetzt auch das Rauchen in der Küche verbieten? Du hast schon den Rest der ganze Wohnung zu einer Tabuzone erklärt.“

„Nein, nur während des Kochens und Essens darfst du hier nicht rauchen“, korrigierte der Weiß-Leader ihn. „Wenn du deiner Sucht unbedingt frönen musst, dann geh nach draußen vor die Tür oder in dein Zimmer. Da stört es niemand anderen.“

„Nach draußen?“, fragte der Playboy entsetzt. „Da ist es im Moment verdammt kalt, ich werde mich da nicht hinstellen und mir die Finger abfrieren lassen. Von Kälte habe ich erst einmal genug. Ich bin dann in meinem Zimmer, ruft mich bitte, wenn das Essen fertig ist.“

Er erhob sich wieder und verließ ebenfalls die Küche, begab sich allerdings nach oben und betrat sein Schlafzimmer. Die Tür ließ er hinter sich ins Schloss fallen und ging zielstrebig auf das Fenster zu. Dort setzte er sich auf die Fensterbank und zündete endlich seinen Glimmstängel an. Den Blick ließ der honigblonde Mann über die vorbeifahrenden Autos schweifen, beobachtete die Passanten oder starrte einfach bloß verträumt oder gedankenverloren in den grauen Januarhimmel.
 

Als Phuong von der Schule nach Hause kam, wartete Yukio bereits in der Küche auf ihn. Der junge Vietnamese begrüßte ihn kurz und erwärmte dann seine Portion des Mittagessens in der Mikrowelle.

Während er am Küchentisch saß und schweigend seine Mahlzeit aß, beobachtete der Ältere ihn aufmerksam. Nach einer Weile fragte dieser unvermittelt: „Bist du eigentlich mittlerweile in Sachen Schwarz weiter gekommen?“

Der Essende sah von seinem Teller auf, blinzelte kurz verwirrt und realisierte erst dann, was der andere überhaupt von ihm wollte. „Nein, über Schwarz gibt es nichts Neues. Nichts, was ich dir nicht Neujahr schon gegeben habe. Sie sind immer noch tot, zumindest gibt es keinen gegenteiligen Beweis. Und Pay hat, soweit ich weiß, auch nichts über diese ominöse Karte von Berserker herausbekommen. Du lässt uns im Moment Phantomen nachjagen.“

„Es scheint also wirklich so, als wären Schwarz ausgelöscht“, meinte der Ungare und erhob sich von seinem Platz.

Phuong sah ihm nach. „Natürlich sind sie das. Warum sollten sie das nicht sein? Schließlich sind wir keine Anfänger und den meisten Gruppen in unserer Konstellation überlegen.“

Der Schwarzhaarige drehte sich noch einmal zu ihm um. „Das weiß ich selbst. Aber ich will alles ganz genau wissen und gebe immer zweihundert Prozent. Genau das erwarte ich auch von euch. Nehmt nicht einfach alles so hin, wie man es euch vorsetzt, hinterfragt mehr. Oder glaubst du wirklich, dass Eszett uns alles mitteilt?“

„Aber das tun wir doch genauso, wir versuchen auch unseren Job so gut zu machen, wie möglich und immer unser Bestes zu geben. Das weißt du doch, Yukio“, verteidigte sich der Junge mit dem langen, beinahe weißen Haar. Er hatte wieder einmal das Gefühl, als hielte sein Leader ihn für faul und unproduktiv. „Wenn du schon so fragst, dann tun sie das bestimmt nicht, sondern halt immer nur soviel, wie sie glauben, dass wir an Informationen brauchen.“

„Das Beste ist eben manchmal nicht gut genug. Und auf seinen Lorbeeren sollte man sich nicht ausruhen. Was dann nämlich passieren kann sieht man ja wohl sehr gut am Beispiel Schwarz.“ Der Ältere winkte ab. „Aber eigentlich wollte ich mich jetzt auch nicht mit dir darüber streiten. Wir haben drei Wochen nach etwas gesucht, was scheinbar wirklich nicht da ist. Ich weiß ja auch, wie sehr du dich anstrengst und manchmal sogar an deinem Computer einschläfst. Ich will dir ganz bestimmt keinen Vorwurf machen, dass du deine Arbeit nicht ernst nimmst.“

Mit diesen Worten drehte er sich um und verließ die Küche. Trotz seiner letzten Aussage fühlte sich Phuong jedoch genau so, obwohl er mittlerweile recht gut wusste, dass man es dem Ungarn so gut wie nie Recht machen konnte. Vielleicht meinte er es auch nicht so, aber seine Art konnte schon verletzend sein.

Der junge Vietnamese stellte sein schmutziges Geschirr in die Geschirrspülmaschine und folgte seinem Leader in dessen Büro. „Yukio?“

Dieser schaute zur Tür zurück und schenkte dem anderen einen fragenden Blick.

„Weißt du, ob wir in nächster Zeit einen Einsatz haben? Der Schuldirektor hat nämlich bald seinen fünfzigsten Geburtstag und zu dieser Gelegenheit wird ein Schulfest veranstaltet. Unser Musikkurs soll dabei auch etwas spielen und ich müsste noch üben.“

„Du kannst doch auch ruhig üben. Es ist schließlich für die Schule und genauso wichtig wie Hausaufgaben“, entgegnete der Mißgunst-Leader und ließ sich auf seinen Drehstuhl sinken.

„Das heißt aber, ich komme demnächst immer etwas später von der Schule. Der Musiklehrer meinte, gemeinsam üben wäre effektiver, schließlich müsse man auch auf die anderen Instrumente hören“, erklärte Phuong. „Wahrscheinlich werde ich aber auch ein Solo spielen, dass kann ich dann hier zu Hause üben, wenn dir das lieber ist.“

Yukio winkte ab. „Nein, nein. Das ist in Ordnung, wenn du länger in der Schule bleibst. Außerdem müssen wir uns dann nicht deine Katzenmusik anhören.“

„Danke vielmals“, entgegnete der Junge eingeschnappt. „Zu deiner Information: Es gibt Menschen auf dieser Welt, die meinen, dass ich sehr musikalisch veranlagt bin.“

„Das weiß ich doch. Aber man kann dich immer gut aufziehen und du springst auch noch jedes Mal darauf an“, meinte der schwarzhaarige Mann trocken. „Und jetzt geh deine Hausaufgaben machen.“

Das jüngste Mißgunst-Mitglied presste die Lippen aufeinander. Yukio hatte eine sehr seltsame Art von Humor, sofern man das überhaupt so nennen konnte. Er drehte sich um, verließ das Büro und ging in sein eigenes Zimmer. Dort setzte er sich an seinen Schreibtisch, schaltete den Computer ein und widmete sich seinen Hausaufgaben. Eigentlich fand er es beinahe lächerlich, dass jemand wie er immer noch die Schule besuchen musste, um den Schein zu wahren. Andererseits konnte man ja nie wissen wofür ein ordentlicher Schulabschluss noch zu gebrauchen war. Payakootha hatte seinen schließlich auch gemacht und sie waren zu seiner Anfangszeit in London sogar auf die gleiche Schule gegangen.
 

Nach dem Mittagessen versammelten sich Aya, Ken und Yohji bei Manx im Missionsraum. Sie hatte bereits das Licht verlöscht und der große Bildschirm an der Wand zeigte die Bilder von vier jungen Männern.

„Hey, das sind doch diese Mistkäfer von der letzten Mission“, meinte der Playboy und ließ sich auf das Sofa fallen. „Da scheint ihr ja sehr fleißig gewesen zu sein, diese Bilder sind viel genauer, als die Phantombilder, die du uns zuerst gegeben hast.“

„Das hast du wirklich gut hingekriegt“, meinte Schuldig. „Das muss ich dir ausnahmsweise neidlos anerkennen.“

„Ja, kniet nieder vor dem Meister“, sagte Nagi lachend und hob huldvoll die Hände.

Farfarello zog abschätzend eine Augenbraue noch oben. „Jetzt werde aber mal nicht übermütig. Ich glaube nicht, dass sie deine Gabe einfach so hinnehmen. Kritiker sind von Natur aus skeptisch.“

Der Deutsche nickte. „Wie der Name schon sagt ...“

Die rothaarige Frau nickte. „Um diese Männer geht es. Und ich muss dich leider enttäuschen, Yohji. Wir haben zwar sehr viele detaillierte Daten über diese Personen, wissen aber nicht woher sie stammen. Keiner von unseren Agenten war an der Beschaffung beteiligt. Es war heute Nacht einfach da.“

„Wie kann etwas einfach da sein?“, fragte Aya misstrauisch. „Dass Daten dank Viren einfach verschwinden habe ich ja schon gehört, aber das einfach welche da sind? Und dann auch noch ausgerechnet welche, die man braucht?“

Auch Ken schüttelte den Kopf. „Eher unwahrscheinlich. Irgendjemand muss doch dafür verantwortlich sein.“

„Genau das ist im Moment eines unserer Probleme“, gestand Manx ein. „Wir wissen nicht, woher die Daten stammen, geschweige denn, wer sich so geschickt von Außen in unser Netzwerk einklinken kann, ohne dass es jemandem auffällt oder Spuren zurück bleiben.“

„Schwarz!“, schlussfolgerte der Weiß-Leader und sein Gesichtsausdruck verhärtete sich zu einer steinernen Maske. „Wir hatten vor kurzem genau das gleiche Phänomen. Prodigy hat sich vermutlich bei Omis Computer eingehackt und dort einige Bilder manipuliert.“ Er wandte sich an Ken. „Kannst du die bitte holen, Ken? Sie liegen noch neben dem Drucker.“

Der ehemalige Torwart tat wie ihm geheißen und eilte hinauf in Omis Zimmer, um die Ausdrucke zu holen. Einige Minuten später kehrte er bereits wieder zurück und überreichte der Frau die Bilder.

„Da ist ja überall jemand von Schwarz mit drauf“, stellte sie beim Durchblättern fest. „Zwar ein bisschen unscharf, aber man kann sie dennoch eindeutig erkennen.“

„Aber warum sollten Schwarz das tun?“, gab Yohji zu bedenken. „Sie haben bisher immer gegen uns gearbeitet und sind seit Monaten nicht aufgetaucht. Ich glaube nicht an einen plötzlichen Sinneswandel. Und wer sagt, dass die Daten bei Kritiker von außen in das Netzwerk gelangt sind? Vielleicht hat sie jemand eingeschleust und dort direkt aufgespielt.“

„Ach? An einen plötzlichen Sinneswandel glaubst du nicht?“, fragte Aya und wurde dabei um einige Dezibel lauter. „Wie war das noch? Mastermind hat dir höchstwahrscheinlich das Leben gerettet! Warum sollte er das auf einmal tun? Dieser Mann hat immer einen Grund für das, was er tut, auch wenn du meinst, dass er dich vielleicht nicht beeinflusst und dir hilft. Was auch immer das zu bedeuten hat, Uneigennützigkeit hat sicherlich nichts damit zu tun.“

Die rothaarige Frau horchte auf. „Mal langsam, bitte. Mastermind hat Yohji das Leben gerettet? Habe ich das gerade richtig verstanden? Yohji?“

Der honigblonde Mann nickte. „Ja, davon gehe ich aus. Er hat mit mir gesprochen, als ich beinahe gestorben wäre. Gesehen habe ich ihn natürlich nicht eindeutig und seine Stimme hatte ich schließlich nur als Gedanken direkt in meinem Kopf. Aber ich kenne keine andere Person, die diese Fähigkeit besitzt. Darum liegt für mich der Schluss nahe, dass es sich um ihn handelt.“

„Hey! Den kenne ich!“, wurde er in seinen Ausführungen unterbrochen, als Omi die Wendeltreppe hinunter hastete.

„Wen kennst du?“, fragte Ken und schaute ihn irritiert an. „Und warum bist du schon so früh hier? Hast du nicht Fahrstunden?“

„Mein Fahrlehrer ist krank, er hat die Grippe und darum fallen für diese Woche meine Fahrstunden aus“, erklärte der blonde Junge und trat an den Bildschirm heran, wo er auf den Jungen mit den langen, weißblonden Haaren deutete. „Ich kenne diesen Jungen, zumindest vom Sehen her. Der ist bei mir auf der Schule, in einer der Abschlussklassen, er hat ein paar Klassen übersprungen, wenn ich das richtig mitbekommen habe.“

Manx nickte, holte vier Akten aus ihrem Koffer hervor und überreichte eine davon Omi. „Das passt hervorragend ins Puzzle. Genau diese Information haben wir auch bekommen. Zumindest ein Teil der Angaben scheinen auf jeden Fall schon einmal zu stimmen. Deswegen bin ich auch eigentlich hier. Ich möchte, dass ihr diese Personen überprüft. Dabei solltet ihr aber möglichst vorsichtig vorgehen, das könnte eine Falle sein.“

„Mit anderen Worten: Omi, setz dich an deinen Computer und sieh zu, was du rauskriegst“, meinte dieser selbstironisch und durchblätterte die Akte. „Ich habe einmal gelesen, diese Strahlung ist überhaupt nicht gut für Teenager in meinem Alter, die hemmt das Wachstum.“

„Ach, solange es nur das Wachstum ist und nichts anderes wichtiges“, zog der Playboy ihn grinsend auf.“

Das jüngste Weiß-Mitglied lief prompt rot an, da bei dem anderen bei solchen Bemerkungen immer unmissverständlich war, was er meinte. „Yohji-kun!“

Den Rest des Tages verbrachte Weiß damit, die Akten über ihre scheinbaren, neuen Feinde zu sichten und Omi machte sich sofort daran, Nachforschungen übers Internet anzustellen.
 

Am nächsten Morgen ging Omi wie gewohnt zur Schule und wie so oft, war er wieder einmal zu spät. Durchgearbeitete Nächte machten sich eben immer sehr schnell bemerkbar, er hatte ewig gebraucht, um aus dem Bett zu kommen. Vielleicht wäre es schneller gegangen, wenn Aya bei ihm gewesen wäre. Er wischte diesen Gedanken jedoch fort, als sein Klassenlehrer ihn ermahnte, dass noch einige Entschuldigungen für Verspätungen aus Dezember nachzureichen waren.

Brad langweilte sich in der Schule immerzu, hier gab es absolut nichts Interessantes für ihn. Der durchgenommene Lehrstoff bot ihm auch keine Abwechslung, da er bereits fast alles, was behandelt wurde, kannte. Hinzu kam, dass der blonde Junge nicht einmal mit dem Stuhl kippte und so keinerlei Gefahr für einen Unfall bestand. Er war froh, als es endlich zur großen Pause schellte, so gab es wenigstens eine Unterbrechung der Langeweile.

Omi ging zusammen mit seinen Klassenkameraden auf den Schulhof und von dort aus zum Schutz vor der Kälte in die überfüllte Pausenhalle. Die kleine Gruppe ergatterte noch eine Sitzbank an der Fensterfront, von der aus sie die wenigen Schüler, die draußen ausharrten, beobachten konnten. So erhaschte der blonde Junge auch einen Blick auf eine ihm wage bekannte Gestalt auf einer Bank unter einigen kahlen Bäumen. Der dort sitzende Junge war allein und schien auch auf niemanden zu warten, offensichtlich war er es gewohnt.

„Hey, Omi“, riss die Stimme eines Freundes ihn wieder zurück in die Realität. „Wen starrst du da so an?“

Das jüngste Weiß-Mitglied wirkte perplex. „Ich? Ich starre doch niemanden an.“

„Du beobachtest Nguyen Van Phuong“, stellte ein Mädchen fest und sah ebenfalls nach draußen. „Er bleibt lieber für sich alleine und sitzt eigentlich immer auf dieser Bank dort, schon ein seltsamer Typ manchmal.“

„Das ist mir bisher irgendwie noch nie aufgefallen“, gestand Omi ein. „Woher kennst du ihn?“

Das Mädchen lächelte versonnen. „Da merkt man mal wieder, dass außer Computern alles unwichtig für dich ist, Omi. Die Musikkurse wurden doch zusammengelegt, um für das Schulfest ein kleines Orchester zu organisieren. Er spielt Violine und das sogar sehr gut. So gut, dass er wahrscheinlich ein Solo spielen darf.“

„Ein Solo spielen darf?“, wiederholte ein anderer Junge. „Das klingt für mich eher wie eine Strafe.“

„Du spielst ja auch keine Violine, sondern Basketball. Außerdem hat er ein paar Klassen übersprungen, aber das weiß doch nun so ziemlich jeder hier. Schließlich wird einem, wenn man faul ist immer ein so außerordentliches Lernverhalten unter die Nase gerieben.“

Der blonde Junge lauschte den Ausführungen und nickte. „Dass er wohl schon in diesem Jahr seinen Abschluss an dieser Schule macht, habe ich auch gehört, er muss ein hochintelligenter Junge sein.“

„Wirst du etwa neidisch, Omi-kun?“

„Nein, nein. Ich doch nicht“, wehrte das jüngste Weiß-Mitglied ab. Neidisch war er gewiss nicht, eher besorgt über die Gefahr, die von diesem ungewöhnlichen Jungen herrührte.

Das Mädchen aus dem Musikkurs hakte sich bei ihm ein und schenkte ihm ein strahlendes Lächeln. „Ich habe eine Idee, Omi-kun. Was hältst du davon, uns heute nach der Schule bei den Proben zuzuhören? Unser Lehrer hat bestimmt nichts dagegen.“

Omi fühlte sich in die Ecke gedrängt. „Es tut mir ja wirklich Leid, aber ich glaube nicht, dass ich dafür Zeit habe. Ich muss doch im Blumenladen arbeiten.“

„Ach, sei doch nicht so. Eine Stunde wirst du doch bestimmt erübrigen können. Wäre dein Fahrlehrer nicht krank, würdest du schließlich auch später zur Arbeit kommen. Komm doch bitte mit. Ich kaufe dann auch etwas bei euch und gebe für dich meine Stimme ab.“

Brad hörte sich das alles interessiert an. Pausen konnten wirklich viel lehrreicher sein, als man vermutete. Ausgehend von den Fähigkeiten, die von den anderen Schülern beschrieben wurden, bestätigte sich Schuldigs Annahme, dass Phuong innerhalb der neuen Gruppe die gleiche Funktion erfüllte wie Nagi und Omi bei Schwarz und Weiß: als Hacker.

Das jüngste Weiß-Mitglied konnte es nicht fassen, jetzt wurde er auch noch erpresst, von seiner eigenen Mitschülerin. Und das alles nur, weil er zu lange auf die blasse Gestalt unter den Bäumen gestarrt hatte. Unauffällig ließ er seinen Blick wieder an besagten Ort wandern und musste feststellen, dass der Vietnamese bereits nicht mehr dort saß. Vermutlich war auch ihm mittlerweile viel zu kalt geworden.
 

Nach dem regulären Unterricht begleitete Omi einige seiner Mitschüler in den großen Musiksaal, wo die Probe stattfand. Er hatte sich dazu breitschlagen lassen, zumindest eine halbe Stunde lang zuzuhören und setzte sich neben die Tür, um niemandem im Weg zu sein. Auch Phuong war anwesend und saß am anderen Ende des Raumes inmitten einer Gruppe von Streichern, die der Musiklehrer zunächst einmal neu sortierte.

Der blonde Junge war erstaunt, wie gut die Proben bereits funktionierten und wie harmonisch die Musik klang, obwohl er für gewöhnlich nicht allzu sehr für Klassisches zu begeistern war. Zwischendurch warf er immer wieder einen Blick auf die Uhr und entschied sich, nach einer halben Stunde endlich nach Hause zu gehen. Er nahm seine Schultasche und verließ leise den Raum, um die anderen nicht zu stören.

Auf dem Korridor begegnete er dem langhaarigen Vietnamesen, der mit dem Rücken zu einem geöffneten Fenster stand und ihn unverhohlen anstarrte. Omi stutzt im ersten Moment, denn er hatte überhaupt nicht bemerkt, wie der andere Junge vor ihm den Saal verlassen hatte.

„Verfolgst du mich etwa?“, fragte Phuong leise und musterte sein Gegenüber dabei weiter.

Das jüngste Weiß-Mitglied schüttelte den Kopf. „Nein, das tue ich nicht. Warum sollte ich auch?“

Der andere zeigte keinerlei Regung. „Du beobachtest mich schon den ganzen Tag und folgst mir. Warum solltest du sonst bei der Musikprobe sein? Du spielst nicht einmal ein Instrument oder hast etwas mit der organisatorischen Leitung zu schaffen.“

„Das war bloß Zufall“, wehrte der blonde Junge die Anschuldigungen ab. „Eine Freundin hat mir nur in der Pause von der Probe für das Schulfest erzählt und mich gebeten mitzukommen. Nicht mehr und nicht weniger.“

Der Vietnamese stieß sich von der Wand ab und schloss das Fenster wieder. Dann ging er zu dem älteren Jungen hinüber und blieb knapp vor ihm stehen, damit nur dieser seine geflüsterten Worte hören konnte. „Hör zu, Bombay. Ich habe keine Lust mich in der Schule mit dir anzulegen, was obendrein für dich viel ungesünder wäre als für mich. Das ist praktisch meine Freizeit und ich bin nicht ’im Dienst’. Ich vermute einfach einmal, bei dir ist es das Gleiche. Also gehen wir uns einfach gegenseitig aus dem Weg.“

Mit diesen Worten ging er an Omi vorbei und zurück in den Musiksaal.

Der junge Weiß blieb alleine auf dem Flur zurück und starrte noch einen Moment lang auf die sich schließende Tür. Dann schüttelte er den Kopf und machte sich auf den Heimweg.
 

„Er hat mir gedroht“, versicherte der kleine Japaner, als er seinen Freunden von dem Zwischenfall in der Schule erzählte. „Ich bin Phuong heute zufällig über den Weg gelaufen und er hat gedacht, ich verfolge ihn. Oder wie würdet ihr das sonst bezeichnen? Er hat gesagt, dass es für mich ungesünder wäre, als für ihn, wenn wir uns in der Schule miteinander anlegen würden.“

„Geh ihm aus dem Weg. Versuch nicht auf diese Weise mehr über ihn zu erfahren“, wies Aya ihn an. „Aber so wie es sich anhört, hat er kein wirkliches Interesse daran, dir in der Schule etwas anzutun. Dort bist du also zumindest schon einmal sicher.“

„Aber es ist trotzdem irgendwie unangenehm zu wissen, im selben Gebäude zu sein, wie jemand, der einen vermutlich umbringen will oder soll“, meinte Omi und ließ sich auf das Sofa fallen.

Ken nickte zustimmend. „Das kann ich mir gut vorstellen. Tu am Besten, was Aya sagt.“

„Ihr müsst das auch mal von der Seite betrachten: wenigstens wissen wir schon einmal, dass der Großteil der Angaben in dieser Mappe stimmen“, sagte Yohji und wedelte dabei mit der braunen Akte herum. „Immerhin hätte es auch ein Schwindel sein können, der unseren Verdacht auf einen harmlosen Schüler lenken sollte. Hätte er keinen guten Grund, dann hätte er das Alles schließlich nicht gesagt.“

„Warum zum Teufel glauben die nicht einfach was auf dem Papier steht?“, motzte Schuldig und verschränkte schmollend die Arme vor der Brust. „Glauben die etwa, ich denke mir das alles aus? Wer ist hier eigentlich der Telepath? Das bin ja wohl ich.“

Nagi klopfte dem Rotschopf freundschaftlich auf die Schulter. „Mach dir doch nichts daraus. Sie wissen eben nur nicht, wo die Informationen herstammen. Und wenn sie es wüssten, dann gingen sie vermutlich noch skeptischer an die Sache heran, weil du wohl noch weniger für eine vertrauenswürdige Quelle gehalten würdest. Für mich ist das übrigens auch ganz schön deprimierend, dass niemand meine gute Arbeit würdigt.“ Dabei ließ er seinen Blick herausfordernd über die kleine Gruppe schweifen, schließlich hatten die anderen Schwarz-Mitglieder bislang kaum seinen Einsatz gewürdigt. Andererseits erwartete er das auch schon gar nicht mehr, er kannte sie mittlerweile lange genug um zu wissen, dass es nicht ihr Stil war.

„Könnt ihr eigentlich auch etwas anderes, als euch immerzu beschweren?“, sprach Brad aus, was Farfarello ebenfalls dachte.

„Es ist eben so unbefriedigend“, verteidigte der Deutsche sich und den kleinen Japaner. „Meinst du, ich wüsste nicht, dass ihr euch im Prinzip genauso fühlt?“

Der Mann mit der Augenklappe schüttelte den Kopf. „Das ist doch im Augenblick vollkommen egal. Ich denke, es ist viel wichtiger, dass ihr mit diesen Aktionen den Patzer mit den Bildern wahrscheinlich wieder aufgewiegelt habt. Zumindest denken sie wie es aussieht im Augenblick mehr über diese Gruppe nach, die zurzeit offensichtlicher für sie Gefahr bedeutet. Da man von uns seit einer Ewigkeit nichts gehört hat, sind wir auf Platz zwei der ernstzunehmenden Feinde verwiesen worden.“

Der Amerikaner beschloss nichts mehr zu diesem Thema zu sagen und auch seine Team-Kollegen zum Schweigen zu bringen. Immerhin hatte der Ire in gewisser Weise Recht. Mittlerweile ging es für sie nur noch um das Pfadfinderprinzip: Jeden Tag eine gute Tat.
 

Nach der Orchesterprobe kehrte auch Phuong wieder nach Hause zurück, das Mißgunst-Hauptquartier. Er stellte seine Schultasche im Flur ab und betrat dann die Küche, um nach etwas Essbarem zu suchen. In der Mikrowelle wurde er fündig, dort stand ein abgedeckter Teller mit seinem Mittagessen, den vermutlich Payakootha vor dem Nimmersatt namens Xen gerettet hatte.

Er war gerade fertig mir dem Essen und spülte seinen Teller ab, als Yukio die Küche betrat, um sich ein Glas Wasser zu holen.

„Wie war die Probe?“, fragte er beiläufig, während er dabei zusah, wie die farblose Flüssigkeit aus der Flasche lief.

Der Vietnamese zuckte gleichgültig mit den Schultern. „Auch nicht anders als im Musikunterricht. Die Lehrer haben halt nur aus allen Musikklassen die Besten herausgesucht und so praktisch ein schuleigenes Orchester auf die Beine gestellt.“

„Und sonst? Nichts Aufregendes passiert in der Schule?“, hakte der Ungare weiter nach, wobei er eher etwas desinteressiert wirkte, wovon man sich keinesfalls in die Irre führen lassen sollte, es war nun einmal seine Art.

„Und sonst? Es interessiert dich doch sonst nicht, wie es so in der Schule läuft. Hauptsache, meine Noten sind in Ordnung und ich mache keinen Ärger, damit du nicht als Vormund zum Direktor zitiert wirst“, entgegnete der Junge und stellte sein nun sauberes Geschirr zurück in den Schrank.

Der Mißgunst-Leader setzte zu einer Antwort an, wurde aber von dem lauten Zuschlagen der Haustür und dem darauffolgenden Schrei daran gehindert, etwas zu sagen.

„Ich bin wieder da!“, plärrte Payakootha durch das Haus und streckte den Kopf in die Küche. „Hallo ihr beiden.“

Kurz darauf war vom Flur her ein erneuter Schrei zu vernehmen. „Hey! Der Köter tropft den ganzen Flur voll!“

Ebenso schnell wie der Shawnee in der Küche erschienen war, verschwand er auch wieder, um Xen zu Recht zu weisen. „Also erstens ist das ein Hund und kein Köter. Und zweitens hat dieser Hund auch einen Namen! Penegashea! Merk dir das doch endlich mal, so schwer ist das nicht.“

„Es ist mir ziemlich egal, wie der Köter heißt“, entgegnete der grünhaarige Mann kühl mit einem süffisanten Lächeln auf den Lippen. „Die Sauerei machst du alleine weg. Wieso ist der überhaupt so nass? Es regnet nicht einmal.“

„Reg dich nicht so auf, es ist doch bloß Wasser. Er ist im Park in den See gesprungen, weil ein Kind einen Stock geworfen hat. Ich wische es ja gleich weg“, entgegnete Payakootha und kehrte, dicht gefolgt von seinem älteren Kollegen, in die Küche zurück, um unter der Spüle nach einem Aufnehmer zu suchen.

„Hack' nicht immer so auf Pen-Pen herum“, meinte Phuong. Er hatte dem Dalmatiner diesen Spitznamen gegeben, weil er den indianischen Namen nicht richtig aussprechen konnte. „Er kann doch nichts dafür, dass du keine Hunde leiden kannst.“

Yukio trank einen Schluck aus seinem Glas und ließ seinen Blick auf dem Jüngsten im Raum ruhen. „Du hast meine Frage noch nicht beantwortet. Mich interessiert von Zeit zu Zeit nun einmal, was meine Leute so machen und wie es ihnen geht. Das nennt man Fürsorge.“

Xen musste sich beherrschen, um nicht gleich laut loszulachen. Er schlug sich eine Hand vor Mund und Nase und prustete gedämpft über diese Aussage.

Der Vietnamese rollte kaum merklich mit den Augen. „Und sonst war halt alles wie immer. Lernen, Pause, Lernen, Vokabeltest, Pause, Orchesterprobe. Dann bin ich noch kurz Bombay über den Weg gelaufen und dann nach Hause gegangen.“

„Du triffst Bombay und meinst, uns nichts davon erzählen zu müssen?“, hakte der Mißgunst-Leader skeptisch nach. „Ist da vielleicht etwas Wichtiges vorgefallen?“

„Wir gehen auf dieselbe Schule. Da ist es nur eine Frage der Zeit, wann man praktisch gezwungenermaßen aufeinander trifft“, erklärte der Junge mit den weißblonden Haaren. „Da ist nichts Wichtiges vorgefallen. Ich habe ihm bloß gesagt, dass er mich in Ruhe lassen soll, wenn ihm seine Gesundheit wichtig ist. Irgendwie hatte ich nämlich den ganzen Tag das Gefühl von ihm beobachtet zu werden. Allerdings denke ich, dass er nicht scharf darauf ist herauszufinden, was ich alles mit ihm anstellen kann und er mir hilflos ausgeliefert ist.“

Payakootha angelte einen Aufnehmer und einige Küchenhandtücher aus dem Schrank hervor. „Das ist auch besser so. Solange wir noch Verwendung für Weiß haben, wäre es eine Verschwendung einen von ihnen zu liquidieren.“

Mit diesen Worten verschwand er wieder auf dem Flur, um die Wasserpfützen zu beseitigen und sein Haustier abzutrocknen.

Verräter wie wir

Wir sind keine Engel
 

Kapitel 15: Verräter wie wir
 

Weiß saßen den ganzen Abend über noch zusammen und stellten Überlegungen über die jüngsten Ereignisse an. Diese ominösen Bilder und fragwürdigen Dateien gaben ihnen wirklich Rätsel auf.

„Fest steht, dass wir es hier mit einer weiteren Gruppe von Killern zu tun haben“, schloss Aya nochmals nach bereits scheinbar endlosen Vermutungen, die sie sowieso nicht weiter brachten. „Und das ist das Einzige, was wir definitiv wissen.“

„Und genau darum müssen wir unbedingt mehr heraus finden“, entgegnete Omi zum wiederholten Male. „Aber ich weiß im Augenblick nicht wie, das Internet bringt mich nicht weiter. Es ist, als ob ich eine Nadel im Heuhaufen suche.“

Yohji seufzte leise. „Wenn wir wenigstens wüssten, in welcher Beziehung Mißgunst und Schwarz zueinander stehen. Irgendwie ergibt das Alles noch keinen Sinn. Ich meine, einerseits könnte man ja annehmen, dass beide Gruppen zusammen gegen uns arbeiten. Aber andererseits wäre es auch ganz plausibel, wenn Prodigy Kritiker die Informationen zugespielt hat.“

„Um uns vielleicht auf ihre Feinde anzusetzen, damit sie sich selbst nicht die Finger schmutzig machen müssen“, führte Ken diesen Gedanken fort. „Man könnte ebenso davon ausgehen, dass sie verfeindet sind.“

Der blonde Junge dachte kurz darüber nach. „Im Prinzip wäre beides denkbar. Dann könnte es auch einer von Mißgunst gewesen sein, der die Fotos aus der Digitalkamera manipuliert hat.“

„Unseen ist dafür zuständig, wenn die Daten korrekt sind. Der Junge aus deiner Schule“, warf der Rotschopf ein und durchblätterte immer wieder die braunen Mappen.

„Er müsste dann ungefähr Nagis und mein Kaliber sein. Wenn wir Pech haben, sogar noch besser, um das derart eindrucksvoll hinzubekommen.“ Dieser Gedanken behagte dem jüngsten Weiß-Mitglied allerdings überhaupt nicht, er beängstigte ihn sogar ein wenig.

Der Playboy seufzte leise. „Egal wie wir es drehen und wenden, wir treten auf der Stelle. Irgendetwas muss es doch geben, was wir tun können. Schließlich können wir nicht einfach darauf warten, dass sie uns praktisch überrennen.“

„Ich glaube, das ist uns allen mehr als klar, Yohji“, meinte Aya mittlerweile leicht angesäuert und verschränkte die Arme vor der Brust. Er hasste es, über bestimmte Informationen und Situationen einfach keine Kontrolle zu haben. Und in genau einer solchen Lage befand er sich jetzt, wenn sie nicht bald Licht in dieses Dunkel brachten, konnte es vermutlich sehr gefährlich für sein Team werden.

„Sag mal, was haltet ihr davon, wenn wir Überwachungskameras im Laden installieren? Und vielleicht auch an der Haustür und im Flur“, schlug der ehemalige Torwart vor.

Omi schüttelte leicht den Kopf. „Nur weil Schwarz auf den Bildern waren, muss es nicht gleich heißen, dass sie auch hier im Haus waren. Wenn sie auf elektronischem Wege manipuliert wurden, wirst du auf einem einfachen Videoband absolut nichts Abnormales feststellen können.“

„Ich finde die Idee aber gar nicht mal so dumm“, sagte der honigblonde Mann. „Vielleicht hat einer von egal welcher Gruppe uns schon einmal einen Besuch abgestattet und wir wissen es halt nur nicht. Und auch wenn dem nicht so sein sollte, dann wären wir damit trotzdem für die Zukunft besser abgesichert.“

„Natürlich waren diese Mißgünstlinge schon einmal hier“, plapperte Schuldig drauf los. „Aber das konntet ihr ja nicht mitbekommen, weil ihr steif wie Salzsäulen wart. Und selbst mit den Kameras bin ich mir nicht sicher, ob man da was gesehen hätte oder ob die Bänder auch einfach so angehalten hätten wie die Uhr.“

Nagi nickte zustimmend. „Ich vermute, mit den Kameras würde schlicht und ergreifend genau dasselbe passieren. Außerdem wären solche Kameras nur noch schlechter für uns, dann müssten wir wirklich immer aufpassen vollkommen unsichtbar zu sein und dürften kein bisschen schludern.“

„Allerdings“, pflichtete Brad ihm bei. „Und ich weiß nicht, ob sich der ganze Aufwand überhaupt lohnt. Ich meine für diesen Unseen müssten sie schon mindestens Infrarotkameras oder Bewegungsmelder haben.“

Auf dem Gesicht des Deutschen breitete sich ein Grinsen aus. „Also das sollte kein Problem sein. Ich sag Yohji einfach, dass er diese Dinge mal anmerken sollte.“

Der Weiß-Leader war diesem Vorschlag gegenüber auch nicht abgeneigt. „Eventuell wäre das gar keine schlechte Idee. Ich meine, irgendwie ist es ja schon beinahe ein wenig leichtsinnig von uns, so gar keine Sicherheitsvorkehrungen zu haben. Aber wenn wir Kameras installieren, dann so unauffällig, dass sie keinem auffallen, auch der Kundschaft nicht.“

Der blonde Junge nickte zustimmend. „Wir sollten bei der Anbringung sehr diskret vorgehen. Ich rufe dann gleich Manx an und frage, was sie uns alles zur Verfügung stellen kann. Vorher sollten wir aber unbedingt die ganze Wohnung gründlich nach Wanzen durchsuchen. Wobei es schätzungsweise dann jetzt wohl sowieso schon zu spät sein wird sie zu entfernen, wenn es welche gibt. Wenn wir abgehört werden, dann weiß derjenige natürlich jetzt auch, was wir vorhaben.“

Der Playboy fühlte, wie jemand in seine Gedanken eingriff und ihm etwas mitteilte. Dieses Gefühl kannte er mittlerweile recht gut und er hatte auch nichts mehr dagegen, so spürte er Schuldigs Gegenwart und es beruhigte ihn auf eine seltsame Weise. Für einen kurzen Moment schloss er die Augen und sah dann wieder in die Runde. „Ich glaube nicht, dass Schwarz hier Wanzen oder so etwas installiert haben. Glaubt ihr nicht auch, Schuldig könnte uns auch ohne Technik überwachen, wenn er wollte? Und Mißgunst haben auch einen Telepathen in der Gruppe, ob der allerdings auch dazu in der Lage wäre, wissen wir ja leider nicht. Vielleicht sollten wir dann doch besser alles absuchen, da hast du Recht, Omi. Und ich denke, wenn wir ein Sicherheitssystem installieren sollte es auch alle möglichen Formen der Überwachung abdecken. Zum Beispiel Digital- und Spiegelreflexkameras, Infrarot und Bewegungssensoren.“

„Woher willst du wissen, dass Schwarz uns nicht auf diese Weise beschattet?“, fragte der Rotschopf skeptisch. Er schloss die Tatsache, dass Mastermind seinen Freund kontrollierte und gegen sein Team ausspielte immer noch nicht aus. „Dieser verfluchte Telepath kann schließlich auch nicht alles auf einmal.“

„Ich sage ja nicht, dass ich es weiß“, verteidigte sich Yohji kopfschüttelnd. „Es ist bloß eine Vermutung, mehr nicht. Bei Schwarz wissen wir schließlich immerhin einigermaßen, woran wir sind.“

Ken blickte zwischen den Beiden hin und her, meldete sich dann jedoch auch zu Wort. „Ist es nicht vollkommen egal, wer uns bespitzeln könnte? Suchen wir halt alles ab und stellen die Wohnung auf den Kopf. Wo ist das Problem? Wenn wir verwanzt sind, ist es doch sowieso längst zu spät, etwas daran zu ändern. Es sind beides feindliche Gruppen, vor denen wir uns in Acht nehmen müssen.“

„Wir treten mit dieser Sache ganz schön auf der Stelle, wenn ich das noch einmal erwähnen darf“, ging Omi dazwischen. Ein handfester Streit zwischen seinen Freunden war jetzt das Allerletzte, was er und das gesamte Team gebrauchen konnten. „Gehen wir die Sache doch jetzt direkt an. Ich würde sagen, jeder nimmt sich ein Zimmer vor und sucht es gründlich ab. Ich fange mit dem Missionsraum an. Vorsichtshalber sollten wir eventuell auch alle technischen Geräte auseinander bauen, um nach Fremdkörpern zu suchen.“

Dieser Vorschlag wurde letzten Endes von allen angenommen, da sie ebenfalls wussten, dass Diskussionen und Streitereien die geplante Arbeit schließlich nicht von selbst übernahmen.
 

Während Weiß mit eher mäßigem Erfolg ihre gesamte Wohnung nach versteckten Wanzen und anderen Überwachungsgeräten absuchten, gingen Schwarz ihnen dabei mehr oder minder gelangweilt zur Hand. Von sich wussten sie schließlich, dass sie keine derartigen Geräte in diesem Haushalt versteckt hatten. Und da sie die neue Gruppe bereits in Aktion erlebt hatten, gingen sie auch nicht davon aus, dass diese zu solchen Mitteln griffen. Ihnen standen weitaus andere Möglichkeiten zu Verfügung.

Nachdem die vier jungen Männer alle Räume gründlich durchsucht hatten, nahm Aya nochmals die Räume unter die Lupe, für die Yohji zuständig gewesen war, was diesen wie ein harter Schlag ins Gesicht traf. Zusammen mit Ken und Omi setzte er sich noch eine Weile vor den Fernseher.

„Er wird nichts finden, egal wie gründlich er sucht, es ist nun einmal nichts da“, meinte der Playboy leicht verbittert und starrte mit hart aufeinander gebissenen Kiefern auf den Fernseher.

Der blonde Junge seufzte leise und legte versöhnlich eine Hand auf die Schulter des Ältesten, um beruhigend auf ihn einzureden. „Du musst aber auch Aya-kuns Standpunkt verstehen, Yohji-kun. Er macht sich nun einmal Sorgen um das Team. Außerdem ist es ja nicht so, dass er dir nicht vertraut. Aber er traut Mastermind eben nicht.“

„Nein, er vertraut mir nicht. Und das nur, weil ich euch von diesen Erlebnissen erzählt habe. Wäre es ihm oder euch vielleicht lieber gewesen, ich hätte weiterhin den Mund gehalten und ihr könntet euch bloß über mein merkwürdiges Verhalten wundern?“ Kopfschüttelnd stand der honigblonde Mann von seinem Platz auf. „Aya vertraut mir nicht. Ich habe Weiß schon einmal unbeabsichtigt verraten, hintergangen und beinahe vernichtet. Das ist für ihn Grund genug mir zu misstrauen. Wahrscheinlich wäre es besser, wenn ich gehe, um keinen Risikofaktor mehr darzustellen.“

Mit diesen Worten wandte er sich von den anderen ab und verließ den Raum. Im Flur zog er sich seine Schuhe und den Mantel an, schnappte sich seine Papiere, die Autoschlüssel und seine heißgeliebte Sonnenbrille und verließ ohne ein weiteres Wort das Haus. Die Fragen, die Aya, der gerade den Flur betreten hatte, ihm stellte, nahm er bereits überhaupt nicht mehr wahr. Yohji setzte sich in sein Auto und fuhr davon, ins Nachtleben Tokyos.

„Was ist denn jetzt schon wieder passiert?“, verlangte der Weiß-Leader zu wissen, als er das Wohnzimmer betrat und seine Freunde ein wenig perplex vorfand. „Warum geht Yohji weg? Wo fährt er hin?“

„Was los ist, Aya-kun?“, stellte Omi ihm eine Gegenfrage. Zwar unterstützte er seinen Angebeteten bei fast allem, was er tat, aber diese Angelegenheit ging zu weit. Mit seinem Verhalten hatte er das älteste Weiß-Mitglied tief verletzt. „Yohji-kun ist gegangen, weil du ihm gegenüber unfair bist. Du hast ihm wehgetan. Und jetzt glaubt er, dass es besser ist, wenn er nicht mehr bei uns ist, damit du ihn nicht mehr für einen Verräter hältst.“

Der Rotschopf schüttelte den Kopf und hob abwehrend die Hände. „Aber das ist doch nur zu unserem und zu seinem Schutz. Ich halte ihn nicht für einen Verräter, aber die Möglichkeit, dass er unter Masterminds Kontrolle steht, ist einfach zu groß. Du weißt doch selbst, was er gesagt hat und Yohji lässt sich, fürchte ich, leicht beeinflussen.“

„Ach und du findest einem Freund nicht mehr zu vertrauen, alles was er ist und macht in Frage zu stellen und ihn zu kontrollieren, kommt nicht der Behandlung gleich, die man einem Verräter zuteil werden lässt? Was würdest du denn tun, wenn Mastermind Ken-kun oder mir das Leben gerettet hätte? Würdest du genauso reagieren? Oder reagierst du bei ihm nur wegen dieser Sache mit Schreiend und Asuka so? Aya, ihm tut dieser Vorfall Leid und er hat wirklich alles dafür getan, es wieder gut zu machen. Du behandelst ihn ungerecht und tust ihm weh, merkst du das denn nicht?“ Das jüngste Weiß-Mitglied stand mit geballten Fäusten vor seinem Leader und schluckte hart. Er wollte ihn eigentlich nicht so angehen, aber er konnte auch diese Ungerechtigkeit nicht ertragen.

Ken hielt sich schweigend aus dieser Angelegenheit heraus. Er konnte sich gut vorstellen, wie Yohji sich jetzt fühlen musste. Auch er war schließlich ständiger Angst ausgesetzt, dass Aya hinter sein Geheimnis kommen konnte und ihn für einen Verräter hielt. Was ohne Zweifel in seinem Fall wohl noch dramatischere Ausmaße angenommen hätte, immerhin ging es dabei um eine handfeste Beziehung und engen Kontakt mit dem Gegner. Glücklicherweise hatte Omi bisher darüber geschwiegen, wie er ihn in seinem Zimmer praktisch auf frischer Tat ertappt hatte. Allerdings fragte er sich, wie lange dies unter diesen Umständen noch so bleiben würde.

Aya dachte kurz über die Worte nach und seufzte dann leise. „Ja, vielleicht hast du Recht. Vielleicht beurteile ich die Situation aufgrund vergangener Vorkommnisse ein wenig zu kritisch und bin deswegen übervorsichtig. Es war bestimmt nicht meine Absicht irgendjemanden dadurch zu verletzen, Omi, glaube mir. Wenn ich es doch tue, merke ich das auch manchmal selber nicht sofort. Ob ich bei euch anders gehandelt hätte, weiß ich leider nicht, immerhin betrifft es euch ja auch nicht. Ich will doch immer nur das tun, was für unser Team am Besten ist und das ist leider nicht immer einfach.“

„Das wissen wir doch, Aya“, meldete sich der ehemalige Torwart nun doch einmal zu Wort. „Aber wie man sieht ist es für die einzelnen Personen vielleicht nicht immer gut oder sie verstehen es anders.“

„Vielleicht sollten wir uns noch einmal ganz in Ruhe zusammensetzen und darüber reden“, schlug der blonde Junge vor. „Wenn Yohji-kun sagt, er steht nicht unter der Kontrolle von irgendjemandem, dann glaube ich ihm das. Und würde er kontrolliert, dann hätte Mastermind wohl kaum zugelassen, dass sein Spion einfach so abrauscht und Weiß den Rücken kehren will.“

„Ja“, der Rotschopf nickte zustimmend, diese Aussage klang logisch. „Weiß denn von euch jemand, wo Yohji hin wollte? Nicht das er noch irgendetwas Dummes anstellt.“

Die beiden anderen schüttelten simultan die Köpfe und Ken meinte: „Vielleicht ist er in die Stadt gefahren, um sich in irgendeinem Club abzureagieren. Da gibt es viele Möglichkeiten. Ich kann ihm ja hinterherfahren.“

Omi schüttelte den Kopf. „Ich glaube nicht, dass er sich nur abregen will. Das hörte sich ziemlich ernst an, was er da gerade gesagt hat. Und selbst wenn, es gibt unzählige Clubs und Discos in dieser Stadt, wie soll man ihn da finden?“

„Wenn ich mich jetzt beeile, erwische ich ihn vielleicht noch. Vielleicht hat er Pech mit den Ampeln und immer rot, dann kann ich ihn noch einholen. Ich habe so eine Idee, wo er hinfährt“, meinte der ehemalige Torwart und verließ auch schon das Wohnzimmer. Er zog sich an, eilte in die Garage und fuhr mit seinem Motorrad in die Nacht hinaus.
 

„Das ist eine Katastrophe“, stellte Michael fest, als er Weiß vom Jenseits aus beobachtete.

„Ja, so könnte man es bezeichnen“, stimmte das jüngste Gericht zu und wischte mit einer Handbewegung die Bilder fort. „Wir müssen Schwarz umgehend hierher zitieren. Ich hätte mich schon viel früher um diese Angelegenheit kümmern sollen.“

Die Umgebung wurde für einige Sekunden in helles Licht getaucht und als es wieder verschwand standen die vier jungen Männer vor dem großen Mahagonischreibtisch.

Schuldig sah sich kurz um und wandte sich dann direkt an die Frau in der Richterrobe. „Das ist gerade ein ganz schlechter Zeitpunkt. Yohji ist wütend und mit dem Auto unterwegs, ihm könnte weiß Gott was passieren.“

„Ganz richtig: Gott weiß es. Und ihm wird schon nichts zustoßen in nächster Zeit, sonst hätten wir euch nicht sofort hier her geholt“, erklärte der Erzengel und baute sich mit vor der Brust verschränkten Armen vor den Neuankömmlingen auf. „Was habt ihr euch eigentlich dabei gedacht? Sofern ihr denn überhaupt etwas gedacht habt.“

„Wobei denn?“, fragte Farfarello ehrlich erstaunt. „Wir haben nichts getan, was gegen die Regeln verstößt.“

„Meint ihr vielleicht wegen den Bildern, auf denen wir drauf zu sehen sind?“, fragte Nagi zaghaft. „Das war doch keine Absicht. Wir konnten ja nicht wissen, dass wir seit unserem letzten Besuch hier darauf zu sehen sein würden. Wir sind eben davon ausgegangen, dass wir immer noch unsichtbar und unhörbar sind wie zuvor und uns dann eben nur entsprechend bemerkbar machen können, wenn wir das wollen.“

„Genau diese Bilder meinen wir“, bejahte das jüngste Gericht. „Wir haben befürchtet, dass diese Sache noch Ärger verursachen würde, aber einerseits hatte ich zu viel zu tun, um mich sofort darum zu kümmern und andererseits habe ich die Gelegenheit genutzt um zu sehen, wie es sich weiter entwickelt. Ihr wart unvorsichtig und habt euch einen Spaß daraus gemacht mit vor der Kamera zu posieren, das ist absolut inakzeptabel. Wir haben euch eure neuen Kräfte erklärt und mehr Macht bedeutet mehr Verantwortung. Und das ist etwas, was ihr leider immer noch recht mangelhaft an den Tag legt.“

Der Deutsche schüttelte vehement den Kopf. „Aber so war es doch überhaupt nicht. Wir sind nicht absichtlich mit auf die Bilder gekommen, immerhin konnten wir doch nicht wissen, dass dieses neue sichtbar machen können solche Auswirkungen hat und wir uns eben darauf konzentrieren müssen, vollkommen unsichtbar zu sein. Ein wenig Training im Umgang damit wäre für uns sehr hilfreich gewesen oder zumindest ein kleiner Hinweis darauf, wie wir uns zu verhalten haben.“

„Willst du damit sagen, dass es unsere Schuld ist?“, fragte Michael gereizt. „Wir dachten, wir können euch soviel zutrauen, dass ihr selbst auf die Idee kommt, etwas vorsichtiger zu sein. Stattdessen haben diese Bilder eine Katastrophe ausgelöst, Weiß sind zerstritten und trauen sich gegenseitig nicht mehr über den Weg. Genau dasselbe ist es mit den Daten über Mißgunst, von denen niemand weiß woher sie stammen und ob es eine Falle ist. Das macht sie noch sehr viel skeptischer und bringt alles aus den Bahnen.“

„Aber das haben wir doch nur gut gemeint“, mischte sich der kleine Japaner ein. „Wir wollten doch Kritiker und Weiß mit diesen Informationen nur helfen, schließlich haben wir diese Leute schon richtig zu Gesicht bekommen und Schuldig hat ihre Gedanken gelesen. Damit wollten wir nur den Fehler mit den Bildern wieder ausbügeln. Es lag ganz bestimmt nicht in unserem Interesse Weiß dadurch auseinander zu bringen.“

Nagi befürchtete das Schlimmste und war beinahe den Tränen nah, was den anderen Anwesenden natürlich nicht verborgen blieb. Schuldig und sogar Farfarello legten dem Jüngsten tröstlich eine Hand auf die Schulter.

Die Frau in der Richterrobe nickte verstehend. „Euren guten Willen in allen Ehren, aber leider hat diese Aktion genau das Gegenteil zur Folge gehabt. Und führt uns leider nur eure Untauglichkeit als Schutzengel vor Augen. Ihr gefährdet eure Schützlinge im Moment, anstatt ihnen zu helfen.“

„Hilfe, genau das ist es doch, was die Vier im Moment brauchen“, protestierte der Mann mit dem flammend orange Haar. „Sie brauchen genau jetzt unseren Beistand und ihr holt uns hierher. Es ist doch so, wie Nagi es gesagt hat. Die Informationen haben wir ihnen gegeben, damit sie sich besser auf die neue Bedrohung vorbereiten können. Immerhin ist diese Gruppe bereits bei mehreren Missionen an Ort und Stelle gewesen und sie hätten sie bei der Letzten beinahe getötet. Sie sollten doch nur wissen, mit wem und was sie es zu tun haben. Dass wir sie damit und mit den Bildern durcheinander gebracht haben, tut mir aufrichtig Leid und ich denke den anderen ebenso. Andererseits hat Yohji auch einige Bilder, auf denen wir zusammen zu sehen sind, aufgehoben.“

„Das hat Ken auch getan“, meldete sich der Ire zu Wort. „Ich glaube, die Beiden suchen gar nicht so sehr nach dem Wenn und Aber wie Aya. Für sie bedeutet es etwas anderes.“

Der kleine Japaner sah den Einäugigen fragend an. „Warum hat Ken denn die Bilder aufgehoben?“

„Ich hätte euch das vielleicht schon viel früher sagen sollen“, räumte Farfarello ein, „aber es war anfangs eben nur eine Spielerei. Ich konnte ja nicht wissen, dass sich mehr daraus entwickelt.“

Schuldig sah ihn ungläubig an. „Willst du damit etwa sagen ... Du und Siberian?“

„Ja, genau das will er“, unterbrach der Erzengel ungeduldig diese private Unterhaltung. „Das ist aber jetzt absolut irrelevant. Tatsache ist, dass ihr immer noch vollkommen gedankenlos und verantwortungslos seid und diese Angelegenheit bereinigt werden muss. Vielleicht haben wir auch zu viele Hoffnungen in euch gesetzt und ihr werdet euch niemals ändern.“

„Michael hat vorgeschlagen, euch eure Kräfte zu entziehen und noch einmal von vorne anfangen zu lassen“, erklärte das jüngste Gericht. „Zwar entwickelt ihr euch weiter und es sind schon einige gute Ansätze zu sehen, aber ich bin jedoch der Ansicht, dass ihr immer wieder die gleichen Fehler machen werdet, ohne wirklich etwas daraus zu lernen.“

„Heißt das ... ?“ Nagi konnte die Frage kaum zu Ende formulieren, da seine Stimme brach.

Die Frau nickte. „Ja, genau das heißt es. Oder habt ihr vielleicht einen Vorschlag zu machen, wie sich die Fugen wieder einigermaßen glätten lassen könnten?“ Sie blickte in die Runde und dabei in Gesichter am Rande der Verzweiflung.

„Eventuell habe ich da eine Idee“, meldete sich Brad zu Wort, der zuvor die ganze Zeit schweigsam zugehört hatte. „Ich möchte meinen Wunsch einlösen. Ihr habt doch gesagt, ich kann mir alles wünschen, was ich will, solange niemand stirbt oder zu Schaden kommt.“

Schuldig sah den Älteren verständnislos an. „Wie kannst du jetzt an deinen noch ausstehenden Wunsch denken? Ich glaube, wir haben grade ziemlich ernste Probleme.“

„Lass ihn bitte ausreden“, schnitt das jüngste Gericht ihm das Wort ab. „Das ist richtig, du kannst dir alles wünschen, was du willst. Was hast du im Sinn?“

Der Amerikaner überlegte kurz, wie er seine Bitte formulieren sollte. „Mein Wunsch besteht darin, dass wir nicht mehr auf den Bildern, die Omi geschossen hat, zu sehen sind und Weiß sich nicht an diesen Vorfall erinnert, sondern nur an das Geständnis von Yohji. Außerdem sollen Kritiker und Weiß der Überzeugung sein, dass ein Kritikeragent die Informationen über Mißgunst beschafft hat und sie daher absolut glaubwürdig sind. Damit haben sie immer noch Gründe dafür, ihre Wohnung nach Wanzen und ähnlichem zu durchsuchen, da diese Gruppe von den Missionen wusste, und Yohji wegen Schuldigs Rettung für einen Verräter zu halten. Aber ich glaube, wenn wir diese Hauptreizfaktoren ausschalten können, wird sich der entstandene Streit etwas einfacher schlichten lassen und sie wissen damit auch nicht, dass wir ihre Schutzengel sind.“

„Aber für Ken und Yohji sind diese Bilder wichtig“, warf Farfarello ein. „Damit nimmst du ihnen ein kleines Stück Glück.“

Der Deutsche stimmte ihm zu. „Ihnen bedeutet es etwas. Etwas anderes als Aya oder Omi, für die es nur Misstrauen und Verrat bedeutet. Das kannst du doch nicht kaputt machen.“

Die Frau in der Richterrobe dachte einen Moment lang über den Vorschlag nach und nickte dann. „Ich denke, diesen Wunsch können wir dir gewähren. Und du kannst stolz auf dich sein, ihn nicht selbstsüchtig verschwendet, sondern auf Ruhm verzichtet und ihn für einen guten Zweck verwendet zu haben. Das zeugt von Größe, vielleicht haben wir euch doch etwas vorschnell beurteilt.“

„Ihr lasst uns also noch einmal mit einem blauen Auge davon kommen?“, fragte Nagi hoffnungsvoll.

Michael nickte. „Ja, das tun wir, wenn Brad seinen Wunsch wirklich so einlösen will.“

Dieser nickte ebenfalls. „Genauso, wie ich es gesagt habe, möchte ich meinen Wunsch einlösen. Es tut mir zwar Leid für euch und eure Schützlinge, dass euch diese kleine Verbundenheit genommen wird, aber es ist für die Gesamtsituation das Beste.“

„So sei es also“, sagte das jüngste Gericht zufrieden. „Dann könnt ihr wieder zur Erde und eure Aufgabe fortführen.“

Nachdem Schwarz wieder verschwunden waren, sahen sich die beiden himmlischen Geschöpfe an und Michael konnte sich ein Grinsen nicht verkneifen.

„Na, was denn?“, fragte die Frau. „Ist doch alles hervorragend gelaufen.“

„Allerdings“, stimmte der Erzengel zu. „Aus denen wird vielleicht doch noch etwas.“
 

Yohji fuhr währenddessen durch die, trotz der späten Abendstunde, überfüllten Straßen. Er war aufgebracht und durcheinander, konnte sich deswegen kaum auf den Verkehr konzentrieren und blieb nachdenklich an einer Ampel stehen, obwohl diese längst auf grün gesprungen war, was ihm ein lautes Hupkonzert hinter sich einbrachte. Jetzt zusätzlich noch leicht genervt setzte er seinen Weg fort und fuhr in Richtung Theater. Dort stellte er seinen Wagen in einer freien Parklücke ab und überprüfte, ob das Verdeck auch wirklich richtig geschlossen war. Dann steckte er die Hände in die Manteltaschen und ging mit gesenktem Blick den Bürgersteig entlang. Er musste nicht oft aufsehen, um seinen Weg zu finden. Er war ihn schon öfter gegangen und er führte ihn in die gleiche Gegend, wo er zusammen mit Ken die Kostüme für ihre Tarnung auf dem venezianischen Maskenball des Yakuza Inagawa besorgt hatte.

Nach wenigen Minuten fand sich Yohji vor der Tür des Hintereinganges zum Elysium wieder. Er klopfte einige Male und wartete auf eine Antwort.

Ein Mann in einem legeren Anzug öffnete die Tür und betrachtete den Störenfried skeptisch. „Was willst du? Der Eingang ist auf der anderen Seite.“

„Ja, ich weiß“, entgegnete der honigblonde Mann nickend. „Ich will aber nicht in den Club. Ich will nur wissen, ob Hijiri da ist und ob ich mit ihm sprechen kann.“

Der Mann nickte, bedeutete dem Auftragskiller einzutreten und führte ihn in ein Hinterzimmer, wo Hijiri gerade ein Kostüm für eine der auftretenden Dragqueens ausbesserte.

„Hier ist jemand, der dich sprechen möchte“, erklärte der Türsteher nur kurz und ließ die beiden Männer dann alleine.

Der Mann mittleren Alters richtete seinen Blick auf den anderen und lächelte. Dann erhob er sich, um seinen Freund zu begrüßen, nahm seine Hände und sah ihm ins Gesicht. Anstatt ihn jedoch herzlich zu begrüßen, verschwand das Lächeln wieder aus seinem Gesicht und er meinte: „Schätzchen? Was hast du nur gemacht? Du siehst furchtbar aus.“

„Danke, du bist ja manchmal so einfühlsam“, entgegnete Yohji und seufzte. „Wir haben nur ein wenig Streit in unserer Wohngemeinschaft und ich musste deswegen einfach mal da raus. Kann ich heute vielleicht bei dir bleiben?“

„Natürlich, gar kein Problem.“ Hijiri fischte einen Schlüssel aus seiner Hosentasche und gab ihn dem anderen. „Geh ruhig nach oben, du kennst dich ja, hoffe ich, hier noch aus. Ich komme später nach und dann können wir reden. Aber zuerst muss ich das Kostüm reparieren, Yume ist damit hängen geblieben und hat ein Loch hineingerissen.“

Der Playboy nahm die Schlüssel dankend entgegen. „Danke, ich wüsste nicht, was ich ohne dich tun würde.“

„Verzweifeln nehme ich an. Und jetzt beweg' deinen Hintern nach oben, du störst mich bei der Arbeit“, neckte sein Freund ihn und widmete sich dann wieder dem beschädigten Kostüm.

Yohji verließ das Zimmer und folgte dem Korridor bis zum Treppenhaus, dort ging er in den ersten Stock und schloss die Wohnungstür, die zu dem Schlüssel passte, auf. Als er den Flur betrat, schaltete er das Licht ein und schloss die Tür hinter sich. Nachdem er sich seiner Schuhe und des Mantels entledigt hatte, setzte er seinen Weg fort ins Wohnzimmer, wo er ebenfalls zunächst das Licht einschaltete und dann zu den Fenstern hinüber ging, um die Jalousien zu schließen.
 

Ken hatte es geschafft, Yohjis Auto in dem dichten Verkehr auszumachen und war ihm bis zum Theater gefolgt. Bereits dort konnte er sich denken, wo das Ziel seines Freundes lag. Sein Motorrad stellte er ebenfalls, jedoch in einiger Entfernung, auf einem Parkplatz ab und folgte dem anderen Assassin dann unauffällig. Als er an die Hintertür des Elysiums klopfte, blieb Ken zunächst auf der anderen Straßenseite stehen und beobachtete, was passierte. Schon nach wenigen Augenblicken war der Playboy in das Gebäude eingetreten und der ehemalige Torwart beschloss, eine Weile zu warten und zu beobachten, was geschah.

Nach einigen weiteren Minuten gingen in den Fenstern schräg über dem Nachtclub die Lichter an und Ken konnte dort eine Gestalt beobachten, die auffallend viel Ähnlichkeit mit Yohji hatte. Vermutlich suchte er hier Zuflucht und es sah nicht so aus, als würde er das Gebäude so schnell wieder verlassen.

Unentschlossen blieb der junge Mann auf der anderen Straßenseite stehen. Ebenso selbstverständlich wie sein Freund konnte er wohl nicht so einfach durch den Hintereingang hineinspazieren. Daher spielte er mit dem Gedanken durch den Haupteingang zu gehen und sich dann einfach durchzufragen. Angestrengt versuchte sich Ken an den Namen des Mannes zu erinnern, der ihre Kostüme geschneidert hatte.

Als er ihm wieder eingefallen war, sammelte er all seinen Mut zusammen und ging zielstrebig auf den Eingang des Elysiums zu. Ein wenig mulmig war es dem ehemaligen Torwart schon zumute, da er selbst noch niemals in einem solchen Etablissement eingekehrt war und daher nicht genau wusste, was ihn erwartete. Er nahm an ein bunteres und schrilleres Ambiente vorzufinden, als es die Hinterzimmer und Garderobe bereits dargeboten hatten.

Der dezent als Portier in das Bild der edlen Fassade eingelassene Türsteher musterte den neuen Gast zunächst kritisch, öffnete ihm dann jedoch Einlass gewährend die Tür und Ken sah sich im Inneren des Clubs staunend um. Eigentlich war es stilvoller, als er es sich vorgestellt hatte. Zwar war das Licht gedämpft und schuf im Einklang mit der größtenteils in dunkelrot, dunkelgrün und Brauntönen gehaltenen Einrichtung eine schummrige Atmosphäre, doch es entbehrte nicht eines gewissen, ansprechenden Stils. Diesen ersten Eindruck bescherte ihm jedoch nur ein kleines Eingangsfoyer, wo die Garderobe für die Gäste untergebracht war und ein junger Mann in einem modern geschnittenen, schwarzen Anzug hinter einem Tresen ihn fragte, ob er seine Jacke nicht abgeben wollte.

Der ehemalige Torwart lehnte dankend ab. „Ich suche nur jemanden. Wissen Sie vielleicht, wo ich Hijiri finde?“

„Nein, tut mir Leid, das weiß ich leider nicht“, sagte der Garderobier. „Wahrscheinlich ist er drinnen und sorgt dafür, dass die Bühnenshow glatt läuft. Wenn Sie hinein möchten, kostet das allerdings Eintritt, gehen Sie dafür doch bitte dort drüben an die Kasse.“

Ken blickte sich kurz suchend im Raum um und entdeckte dann die stilvoll ins Ambiente eingepasste Kasse. „Oh ja, danke sehr. Damit haben Sie mir schon einmal weiter geholfen. Ich wünsche noch einen schönen Abend.“

Mit diesen Worten wandte er sich ab, ging zur Kasse und bezahlte seinen Eintritt für die laufende Show, von dem er allerdings nicht gedacht hätte, dass er so hoch ausfallen würde. Daraufhin betrat er den gezeigten Raum und sah sich dort um. Gegenüber dem Eingang befand sich eine große Bühne, von der aus ein Mittelsteg in den Raum hinein führte, die rechte und linke Wand waren jeweils gesäumt von einer langen Bar und der Raum dazwischen war gefüllt mit runden Tischen, an denen ein bunt gemischtes Publikum saß und die Darbietungen genoss. Kens Blick wanderte zu den leicht aber äußerst extravagant bekleideten Tänzern auf der Bühne und die Schamesröte stieg ihm in die Wangen. Schnell schaute er sich weiter um und entdeckte rechts neben der Bühne eine Tür, sie musste wohl in die Garderoben der Darsteller führen.

Der Weiß-Assassin fasste sich ein Herz und durchquerte den Raum bis zu der rechts gelegenen Bar. Dort fragte er den Barkeeper wieder nach Hijiri und er wurde tatsächlich auf die soeben entdeckte Tür verwiesen. Bevor sich der ehemalige Torwart jedoch alleine dorthin begeben konnte, rief der Barkeeper einen Kellner zu sich und bedeutete ihm mitzugehen.

Der Kellner führte den braunhaarigen Mann hinter die Bühne und in einen Raum, wo der Gesuchte gerade das Kostüm fertig repariert hatte und noch kleine Änderungen daran vornahm, als Yume es bereits trug.

„Hijiri?“, unterbrach der Kellner die Anprobe. „Besuch für dich, er sagt, ihr kennt euch und es wäre dringend.“

Der Angesprochene drehte sich zu den Neuankömmlingen um und musterte das Weiß-Mitglied kurz stirnrunzelnd. Dann fiel ihm jedoch wieder ein, wer er war und er schickte den Kellner fort. „Das ist schon in Ordnung, wir kennen uns. Du kannst wieder gehen.“

Daraufhin verschwand der Kellner wieder und schloss die Tür hinter sich.

„Guten Abend, entschuldigen Sie bitte die Störung“, begann Ken ein wenig unbeholfen und wusste nicht recht, wohin er schauen sollte, damit er nicht den bunt kostümierten Mann anstarren musste.

„Ja, ja. Ich weiß schon Bescheid“, nahm Hijiri ihm jegliche weitere Erklärungsversuche ab. „Du bist Ken und du bist wegen Yohji hier, ihr habt euch gestritten. Er ist oben und wir können gleich zusammen hochgehen, aber erst muss ich das hier fertig machen. Die Show muss weiter gehen, schließlich wollen die Leute etwas sehen für ihr Geld. Setze dich einfach da irgendwo hin.“ Er deutete auf ein dunkelrotes Sofa an der Wand und widmete sich dann wieder der Ausbesserung und Anpassung des schrillen Kostüms.

Der ehemalige Torwart setzte sich wie angewiesen hin und wartete schweigend, während er eingehend die Hände in seinem Schoß musterte. Es war bereits unhöflich genug, einfach zu stören, da wollte er nicht noch durch neugieriges Starren auffallen.

So merkte er auch nicht, dass die beiden anderen Männer schon nach wenigen Minuten fertig waren und Hijiri vor ihn trat. „Sollen wir hoch gehen? Oder willst du vielleicht lieber erst mit jemand anderem reden?“

Verwirrt sah der braunhaarige Mann auf. „Wieso mit jemand anderem reden?“

„Ihr habt euch doch gestritten, das hat Yohji zumindest gesagt“, erklärte der Mann mittleren Alters und setzte sich ebenfalls auf das Sofa. „Darum wollte er heute hier bleiben.“

Ken dachte einen Augenblick nach und schüttelte dann vehement den Kopf, scheinbar hatte dieser Mann einen völlig falschen Eindruck von der Situation. „Nein, nicht Yohji und ich haben einen Streit, nicht direkt. Es betrifft uns alle vier und ich glaube vor allem eine Meinungsverschiedenheit mit Aya, so etwas kommt eben in Wohngemeinschaften schon einmal vor. Also es ist keine Beziehungskrise, falls Sie das denken, definitiv nicht. Und ich bin nur hier, um Yohji wieder mit nach Hause zu nehmen.“

Hijiri nickte verstehend. „Ich habe auch nicht erwartet, dass es um eine Beziehungskrise geht. Aber es schien eben etwas recht ernstes zu sein. Yohji sah nicht gut aus, so niedergeschlagen habe ich ihn selten erlebt. Und ich dachte bloß, es hilft vielleicht manchmal, mit einem Unbeteiligten darüber zu reden, der einem vielleicht auch einen Rat geben kann.“

„Das ist wirklich sehr nett gemeint, aber ich glaube diese Angelegenheit sollten Yohji und ich besser unter vier Augen besprechen.“ Das Weiß-Mitglied lächelte dankbar und stand auf. „Könnte ich dann bitte zu ihm?“

„Ja, natürlich. Ich bringe dich nach oben.“ Mit diesen Worten stand er auf und gemeinsam gingen sie zu der Wohnung.
 

Hijiri schloss die Tür mit seinem Zweitschlüssel auf, betrat den Flur und ging weiter ins Wohnzimmer. Die Jalousien waren geschlossen, das Licht gedämmt und der Fernseher flackerte. Auf dem Sofa lag Yohji, er hatte den Blick starr auf den Fernseher gerichtet und kümmerte sich scheinbar überhaupt nicht daran, dass jemand die Wohnung betreten hatte. Vor ihm auf dem Wohnzimmertisch stand eine geöffnete Sektflasche und ein Glas.

„Warum hast du den Prosecco aufgemacht?“, fragte Hijiri und drehte am Dimmer das Licht heller.

„Weil du weder Whiskey noch Bier hattest. Darum“, entgegnete der Playboy trocken.

Kopfschüttelnd verschränkte der Ältere die Arme vor der Brust. „Eine tolle Begründung. Warum versuchst du eigentlich ständig, sämtliche Probleme in Alkohol zu ertränken?“

„Versuche ich doch überhaupt nicht“, meinte der honigblonde Mann mit einem angedeuteten Achselzucken. „Ich habe herausgefunden, das die Mistviecher schwimmen können, die lassen sich leider nicht ertränken. Könntest du das Licht bitte wieder dunkler machen?“

Hijiri seufzte und stellte leise fest: „Auf jeden Fall trinkst du zu viel.“ Dann fuhr er lauter fort: „Das Licht bleibt an. Und steh auf, du hast Besuch.“

Yohji schaute bei der letzten Bemerkung auf und setzte sich. „Besuch?“ Sein Blick verfinsterte sich, er konnte sich bereits beinahe denken, wer ihn aufsuchte. Dass es einer von Weiß war, stand schon einmal fest, er hoffte nur, dass es sich nicht um Aya handelte.

In diesem Augenblick schob sich Ken an dem älteren Mann vorbei in den Raum. „Hallo. Können wir reden?“

„Was gibt es denn?“ Der Playboy seufzte leicht angenervt. „Ich habe nichts zu sagen. Fahr zu Aya zurück und richte ihm aus, dass er sich meinetwegen keine Gedanken mehr zu machen braucht. Ich werde nur noch meine Sachen abholen und danach seht ihr mich nie wieder.“

„Ich habe aber einiges zu sagen“, entgegnete der ehemalige Torwart und wandte sich dann an Hijiri. „Danke für das Herbringen. Kann ich jetzt bitte mit ihm alleine sprechen?“

Der Mann mittleren Alters nickte und verließ die Wohnung. „Wenn etwas ist, ich bin unten.“

Nachdem er die Wohnungstür hinter sich geschlossen hatte, setzte sich Ken seinem Freund gegenüber in einen Sessel. „Ich kann sehr gut verstehen, dass du sauer und gekränkt bist. Aya kann ziemlich unsensibel sein.“

„Was weißt du denn schon davon, wie ich mich fühle?“, fragte der honigblonde Mann gereizt. „Dich hält schließlich niemand für einen Verräter. Der loyale und aufrichtige Siberian wäre zu so etwas doch niemals imstande.“

„Vielleicht weiß ich mehr, als du glaubst. Und vielleicht irrst du dich mit deiner Meinung über mich“, sagte der Jüngere gelassen. „Ich bin ganz bestimmt nicht hier, um dir eine Predigt zu halten, dazu habe ich nicht das Recht. Du hättest Omi gerade erleben sollen, wie er Aya die Meinung gesagt hat. Er findet es auch nicht richtig, wie er dich in letzter Zeit behandelt hat. Genauso wie ich und darüber möchte ich eigentlich mit dir sprechen. Ich halte dich nicht für einen Verräter. Im Grunde müsste ich sonst selbst einer sein. Erinnerst du dich an den Freund, von dem ich dir erzählt habe?“

Yohji war froh zu hören, dass die anderen doch nicht genauso dachten, wie ihr Leader. Bei der letzten Frage nickte er zögerlich. „Ja, das ist schon etwas länger her. Was hat das denn jetzt hiermit zu tun? Hast du endlich etwas von ihm gehört?“

„Dieser Freund hat eine Menge damit zu tun“, begann der braunhaarige Mann seine Erklärung und überlegte, wie er fortfahren sollte. Bevor er jedoch erneut ansetzen konnte, bot sein Freund ihm einer erhobenen Hand Einhalt und sah sich stirnrunzelnd um. „Was hast du denn?“, fragte er stattdessen.
 

Schwarz kamen wieder aus dem Jenseits auf die Erde zurück und das bedeutete, Schuldig und Farfarello in Hijiris Wohnung.

„Scheint ja einiges los gewesen zu sein, während wir weg waren“, meinte der Deutsche, als er sich umsah.

Der Ire nickte zustimmend. „So sieht es aus.“

„Hast du gerade irgendetwas Merkwürdiges gespürt?“, fragte Yohji und sah seinen Freund forschend an.

Der schüttelte den Kopf. „Nein, habe ich nicht. Sollte ich denn?“

„Ich weiß es nicht. Es ist, als ob jemand da wäre. Dieses Gefühl habe ich seit der letzten Mission und ich glaube, es ist Schuldigs Anwesenheit in meinem Kopf“, erklärte der Playboy. „Genau deswegen hält Aya mich doch für einen Verräter. Und dieses Gefühl war eigentlich weg, als ich von zu Hause weggefahren bin, jetzt ist es wieder da. Sehr wahrscheinlich hat Aya doch Recht.“

Ken schüttelte abermals den Kopf. „Auch wenn es Schuldig ist, glaube ich nicht daran, dass du uns hintergehst. Ich werde dir auch sagen warum. Bei dem Freund, von dem ich gesprochen habe, handelt es sich um Jay, um Farfarello. Ich habe etwa seit dem Frühjahr letzten Jahres eine Beziehung mit ihm und habe ihn seit August nicht mehr gesehen.“ Er schwieg einen Augenblick, um dem anderen Zeit zu geben, diesen Schock erst einmal zu verdauen. „Wir haben es geheim gehalten, vor beiden Seiten und das aus gutem Grund. Wie du siehst, wäre ich ebenso ein Verräter, wenn nicht sogar noch sehr viel schlimmer. An meinem Geburtstag habe ich eine Nachricht von ihm erhalten, ich habe sie erst am nächsten Morgen gefunden und habe bis heute keine Ahnung, wie er es geschafft hat, sie zu hinterlegen. Schwarz sind, so wie ich es verstanden habe, außer Landes. Wörtlich stand dort ’auf unbestimmte Zeit fort’.“

Der Playboy schaute ihn nach dieser Offenbarung lange an, ebenso tat es Schuldig bei Farfarello.

„Warum habe ich davon nie etwas mitbekommen?“, verlangte der Mann mit dem flammend orange Haar zu wissen. „So etwas kann man doch schwerlich so lange geheim halten. Das müsste voraussetzen, dass Ken cleverer ist, als er aussieht.“

„Es vor dir zu verheimlichen war gar nicht schwer“, entgegnete der Einäugige achselzuckend. „Du hältst Ken für stinklangweilig und mich für zu verrückt, als dass du dich freiwillig bei einem von uns in die Gedanken einklinken würdest. Brad hat uns viel mehr Sorgen gemacht.“

Der Deutsche seufzte. „Auch wieder wahr. Und weiß Brad es jetzt?“

„Ja, jetzt weiß er es. Und Omi weiß es auch, sie sind letztens irgendwann einfach in Kens Zimmer geplatzt, als er mit einem Bild von mir beschäftigt war“, erklärte der Ire. Das blutige Messer ließ er allerdings bei dieser Gelegenheit weg.

„Also sind nur noch Aya und Nagi ahnungslos“, fasste Schuldig zusammen. Er mochte es nicht, solche interessanten Dinge fast als Letzter zu erfahren. „Wie Yohji das wohl aufnimmt?“

Die Antwort auf diese Frage sollte er sofort bekommen.

„Du verarschst mich doch!“, platzte es nach einem Moment des Schweigens aus dem honigblonden Mann heraus. „Das sagst du nur, damit ich mich besser fühle.“

Ken sah den anderen Mann fest an. „Nein, das ist mein voller Ernst. Ich schwöre dir bei allem, was mir heilig ist, dass es der Wahrheit entspricht. Du weißt, dass ich nicht lüge. Bisher konnte ich es euch nur nicht sagen und ich denke, vor Aya werde ich es auch weiterhin verheimlichen müssen. Tatsache ist, dass uns vor Schwarz im Augenblick keine Gefahr droht, ich denke nämlich nicht, dass Jay sich von den anderen getrennt hat.“

„Und warum fühle ich dann Mastermind in meinem Kopf?“, fragte der Playboy beinahe hilflos. „Und warum hat er mir dann das Leben gerettet, wenn sie gar nicht hier sind?“

„Jay würde mich nicht anlügen“, bemerkte der ehemalige Torwart beruhigend. „Vielleicht waren sie nur kurz in Tokyo zu der Zeit unserer letzten Mission. Denk an die Nachricht an meinem Geburtstag, an diesem Tag bist du aus dem Krankenhaus entlassen worden. Ich denke, es ist durchaus realistisch, wenn sie für einige Tage in der Stadt waren und dann wieder weiß der Teufel wohin verschwunden sind. Mastermind bleibt vielleicht nur auf Stippvisite in deinem Bewusstsein, damit sie trotzdem mitbekommen, was hier alles vorgeht. Es gibt viele mögliche Gründe. Aber es steht fest, dass wir uns im Augenblick mehr Sorgen um diese Mißgunst machen sollten, genügend Informationen haben wir schließlich von Kritiker bekommen.“

„Aber wie machen wir das Aya klar? Er glaubt nun einmal, ich werde kontrolliert und spioniere euch aus. Er wird wohl kaum auf so etwas wie ’wir wissen aus zuverlässiger Quelle’ hören, sondern will diese Quelle wissen“, gab Yohji zu bedenken, seufzte niedergeschlagen und lehnte sich zurück. „Wir müssten irgendeinen Beweis haben, dass Schwarz tatsächlich außer Landes sind. Aber Omi hat gesucht wie ein Weltmeister und nichts gefunden.“ Er dachte kurz nach und hatte dann eine Idee. „Aber andererseits weiß Omi ja von deinem Verhältnis mit Farfarello. Wenn du ihm sagst, dass der dir gesagt hat, dass sie vorerst nicht hier sind, dann kann Omi vielleicht einen Flugbeleg fälschen, den wir Aya zeigen können. Dann wäre es vorerst egal, ob Schuldig sich in meinem Kopf herumtreibt oder nicht. Informationen, die er durch mich bekäme, nützten ihm dann im Augenblick sowieso nichts.“

Der braunhaarige Mann betrachtete seinen Freund kritisch. „Aber dann würden wir Aya wissentlich hintergehen und das wäre Verrat. Wir wollen ihn doch aber vom Gegenteil überzeugen, dass du eben kein Verräter bist. Ich halte das für keine gute Idee.“

„Wir können ja zunächst mit Omi darüber sprechen, vielleicht weiß er Rat. Ich weiß nämlich wirklich nicht, was ich machen soll. Es macht mir selber irgendwie Angst“, gestand der Ältere ein.

„Vielleicht hat Omi unseren starrköpfigen Leader auch schon etwas besänftigt und das Alles ist überhaupt nicht nötig. Wie schon erwähnt hat er ihm ziemlich die Meinung gesagt. Mit etwas Glück renkt sich vielleicht alles mit der Zeit von selbst wieder ein.“ Ken lächelte aufmunternd. „Also fahren wir beiden Pseudoverräter jetzt wieder nach Hause?“

Der Playboy schüttelte den Kopf. „Ich kann nicht, ich habe schon ein Glas Sekt getrunken. Alkoholisiert fahre ich kein Auto. Morgen muss ich Hijiri auch erst einmal eine neue Flasche kaufen. Und dass Omi Aya den Kopf gewaschen hat, kann ich mir irgendwie schwer vorstellen. Andererseits ist er wohl der Einzige, der sich so etwas herausnehmen darf und ungestraft davon kommt. Ich meine, man muss sich die Beiden ja bloß mal genauer anschauen. Wie die um einander herumschwänzeln merkt doch sogar ein Blinder, dass da noch mehr ist als bloße Kollegialität oder Freundschaft.“

„Ich kann dich ja auch auf meinem Motorrad mitnehmen“, bot der ehemalige Tor wart an. „Wie meinst du das wegen Aya und Omi?“

„Ist das so schwer zu verstehen?“, fragte der Ältere und schmunzelte leicht. „Ich meine, das muss doch sogar dir aufgefallen sein. Stell dich nicht dümmer, als du bist, immerhin hast du es ein Dreiviertel Jahr geschafft eine Beziehung zu einem von Schwarz vor uns zu verheimlichen. Und vor allem vor mir, bisher dachte ich eigentlich, bei solchen Sachen recht sensibel zu reagieren.“

„Meinst du etwa...?“ Der braunhaarige Mann stutzte und sah sein Gegenüber groß an. „Aber wenn ich so näher darüber nachdenke... Omi hat sich in letzter zeit wirklich auffallend viel herausnehmen dürfen Aya gegenüber und sie suchen ja regelrecht immerzu die Nähe des anderen. Und dass du die Sache mit Jay nicht mitbekommen hast, sollte dich nicht wundern. Wenn selbst Schuldig und Crawford es nicht gemerkt haben, wie solltest du das dann merken?“

Yohji nickte grinsend. „Vielleicht hast du da Recht. Und ja, genau das meine ich. Die Beiden sind scheinbar zu schüchtern, um von sich aus auf den anderen zu zugehen und einmal Klartext zu reden. Findest du nicht auch, da sollte man vielleicht eine kleine Hilfestellung geben? Also was hältst du davon, wenn wir ein bisschen Cupido spielen? Das heißt natürlich nur, wenn Aya mir nicht sofort den Kopf abreißt, wenn ich wieder nach Hause komme.“

„Was meinst du mit 'Cupido spielen'?“ Ken sah ihn fragend an. „Ich hab von Cupido noch nie etwas gehört.“

Der honigblonde Mann schaute auf diese Frage hin sehr ungläubig drein. „Du willst mir doch nicht ernsthaft erzählen, dass du nicht weißt, wer Cupido ist, oder? Hast du in der Schule nie aufgepasst? Das ist die Bezeichnung für den Gott der Liebe, wohl eher unter der dem Namen Amor bekannt. Na, klingelt es jetzt?“

„Amor kenne ich“, antwortete der ehemalige Torwart und grinste verlegen. „Wieso sagst du das denn nicht gleich so? Und was genau hast du vor? Willst du versuchen, Aya und Omi zusammenzubringen? Wenn Aya das rauskriegen sollte, sind wir beide tot.“

„Wir sind auch tot, wenn Aya das mit dir und Farfarello herauskriegt, mit dem kleinen Unterschied, dass unser Tod dann noch viel schrecklicher sein wird. Und natürlich werden wir sie nicht sofort so offensichtlich verkuppeln. Wir sollten erst mal beide diskret fragen, was sie vom jeweils anderen halten. Aya wird rot anlaufen und alles abstreiten, was dann so viel bedeutet wie, er hat Omi viel lieber als er glaubt, dass es gut ist.“

„So meinst du das also.“ Der Braunhaarige zuckte kurz mit den Schultern und lächelte schief. „Warum nicht, wir können es ja mal versuchen. Und dann, wenn Omi Aya so richtig um den Finger gewickelt hat, kann ich ihm auch das mit Jay erzählen.“

Der Playboy schüttelte den Kopf. „Wenn du so wenig an deinem Leben hängst, kannst du ihm das natürlich brühwarm erzählen. Ich halte das für eine ziemlich schlechte Idee, weil du so nur seinen Zorn auf dich ziehst. Was glaubst du, würde er machen, wenn du ihm das beichtest? Er ist schon wegen mir gereizt genug, hält mich für einen Verräter und überwacht mich auf Schritt und Tritt. Ich bin im Moment praktisch für ihn gleich zu setzen mit dem Erzfeind Nummer eins, weil Schuldig mir im Kopf herumspukt.“

„Ich hatte ja auch nicht vor heute ins Haus zu gehen und zu sagen: Yohji ist übrigens kein Verräter, sondern ich, ich bin schon ewig mit Farfarello zusammen!“ Mit einem schiefen Grinsen fuhr er fort: „Das kommt später, vielleicht ist ein guter Zeitpunkt, wenn er und Omi endlich zusammen sind und er kann es ihm dann schonend beibringen. Und wir beide verhalten uns einfach die ganze Zeit unauffällig.“

„Wir sollten gar nichts darüber sagen“, fand der Ältere. „Vielleicht ergibt sich irgendwann eine passende Gelegenheit. Bis dahin hält Aya nur mich für einen Verräter. Wenn wir Glück haben, können wir ihm aber irgendwie plausibel erklären, dass Schwarz im Moment überhaupt nicht hier sind und etwas Besseres zu tun haben, als uns zu ärgern. Da reden wir aber erst mit Omi drüber, wie wir das anstellen. Ich glaube nämlich auch nicht daran, dass Farfarello dich anlügt, sonst hätte er sich nicht solche Mühe gemacht.“

Sein Freund nickte zustimmend. „Mit Omi sollten wir sowieso zuerst reden. Der ist um einiges verständnisvoller, als Aya es je sein könnte.“

„Ja, das denke ich auch, genau das hatte ich ja auch vor.“ Yohji seufzte leise. „Und du willst mich wirklich jetzt mit dem Motorrad mit nach Hause nehmen? Reicht es nicht, wenn ich morgen wieder da bin?“

„Wenn du noch mehr Probleme mit Aya willst, reicht das“, entgegnete Ken achselzuckend. „Ansonsten nehme ich dich jetzt mit.“

„Du kannst manchmal genauso bestechend sein wie er. Da kann man ja kaum nein sagen.“ Der Playboy rappelte sich auf und streckte sich kurz. „Dann musst du aber morgen mit mir noch einmal herfahren, um meinen Wagen abzuholen.“

„Fahr doch mit der U-Bahn“, meinte der ehemalige Torwart und grinste frech. „Nur ein Scherz, klar fahr ich dich morgen noch einmal her.“

Der honigblonde Mann nickte. „In Ordnung. Verabschieden wir uns nur noch von Hijiri.“

„Gut, gehen wir runter“, stimmte der Jüngere zu, erhob sich ebenfalls von seinem Platz und sah seinen Freund noch einmal neugierig an. „Darf ich dir noch einmal eine indiskrete Frage stellen? Läuft da etwas zwischen dir und Hijiri?“

Yohji blickte kurz entgeistert drein, dann fing er lauthals an zu lachen und benötigte eine Weile, um sich wieder unter Kontrolle zu kriegen. „Nein, nein. Zwischen mir und Hijiri läuft absolut nichts. Wir sind bloß gut befreundet, bei ihm kann ich mich halt ausweinen kommen. Ich kenne ihn schon ziemlich lange, ich ging noch zur Schule, in die Oberstufe, als ich ihn kennen gelernt habe. Damals gab es hier am Theater ein Vorsprechen für ein paar kleinere Rollen, die noch für ein Stück besetzt werden mussten. Hijiri war für die Kostüme und die Requisite verantwortlich und macht das auch heute noch. Er hat mich getröstet, als der Regisseur mich verbal auseinander genommen hat für meine schlechte Darbietung und ich natürlich keine Rolle bekam. Mittlerweile bin ich ein sehr viel besserer Schauspieler.“

„Das bist du allerdings. Hoffen wir, dass dein Talent auch weiterhin ausreicht, um Aya nicht auf gewisse Dinge aufmerksam zu machen.“

Die beiden jungen Männer bedankten sich noch bei Hijiri dafür, dass sie sich in seiner Wohnung aussprechen durften, verabschiedeten sich und fuhren dann mit Kens Motorrad zurück zum Blumenladen.
 

Im Wohnzimmer brannte noch Licht, als die Beiden wieder nach Hause kamen. Aya hatte die ganze Zeit auf sie gewartet und schaute von seinem Buch auf, als sie den Raum betraten.

„Da seid ihr ja endlich. Wir haben uns Sorgen gemacht, wo ihr solange steckt.“

„Wir haben lange geredet“, erklärte Ken. „Ist Omi schon im Bett?“

Der Rotschopf nickte. „Er hat morgen Schule und ich habe beschlossen, dass wir den Laden erst nachmittags öffnen. Ich kann mir denken, worüber ihr geredet habt. Ich habe mich auch noch lange mit Omi unterhalten. Es war vielleicht nicht richtig vor mir, dir sofort so zu misstrauen und dich zu kontrollieren, Yohji. Aufgrund schlechter Erfahrungen bin ich wahrscheinlich etwas zu übervorsichtig. Aber alles was ich mache ist doch nur zu eurem Besten und es ist manchmal nicht einfach, es da jedem Recht zu machen.“

„Heißt das, du hältst mich nicht für einen Verräter?“, fragte Yohji vorsichtshalber nach. „Außerdem solltest du mittlerweile wissen, dass man es nie jedem Recht machen kann. Ich weiß zu schätzen, was du tust. Es tut mir Leid, dass ich gerade einfach abgehauen bin, wir hätten vielleicht sofort darüber reden sollen.“

„Vielleicht war das aber auch ganz gut so“, gestand der Weiß-Leader ein. Diese Unterhaltung fiel ihm offensichtlich nicht leicht. „Ich hätte dich nicht von vornherein für einen Verräter halten sollen. Aber du kannst nicht bestreiten, dass die Tatsache, dass Mastermind dir anscheinend das Leben gerettet hat und sich auch weiterhin in deinem Bewusstsein aufhält, besorgniserregend ist. Es ist nun einmal eine große Gefahr, du weißt selbst, zu was dieser Mann imstande ist.“ Er holte tief Luft und schluckte hart, dann fuhr er kleinlaut fort. „Ich mache mir deswegen doch nur Sorgen um dich, Yohji, um uns alle.“

„Wie lange wollen die eigentlich noch reden?“, fragte Schuldig und rollte genervt mit den Augen. „Als wäre das Gesülze zwischen Ken und Yohji vorhin nicht schon genug gewesen. Wie lange kann man eigentlich auf ein und demselben Thema herumreiten?“

„Solange, bis für alle eine akzeptable Lösung gefunden wurde“, antwortete Nagi kühl. „Omi und Aya haben sich auch nicht gerade wenig unterhalten. Wie es aussieht, hat der Kleine es ja sogar geschafft, den furchtlosen Leader auf seine Fehler hinzuweisen. Das war so interessant, dass ich beinahe eingeschlafen bin.“

Farfarello nickte. „Diese Unterhaltung wird auch morgen oder in den nächsten Tagen noch zu genüge fortgesetzt, denke ich. Vielleicht wendet sich aber auch alles endlich in eine positivere Richtung. Ken und Yohji wollen mit Omi reden und dann gemeinsam versuchen, Aya davon zu überzeugen, dass Yohji, oder besser gesagt Schuldig, im Augenblick keine Gefahr ist.“

„Hoffentlich klappt das auch alles, wie sie sich das vorstellen“, meinte der Deutsche.

Der kleine Japaner nickte. „Ich denke schon. Brads Wunsch ist so in Erfüllung gegangen, wie er ihn geäußert hat. Wir sind auf den Bildern nicht mehr zu sehen und Weiß und Kritiker glauben, dass die Informationen über Mißgunst von einem zuverlässigen Agenten beschafft wurden. Damit sind schon einmal ein paar Probleme aus dem Weg geräumt.“

„Das dürfte die Situation in der Tat etwas entschärfen“, meinte der Einäugige. „Immerhin gibt es jetzt nur noch einen Streitpunkt.“

„Ja“, seufzte der Mann mit dem flammend orange Haar gequält. „Und der bin ich.“

Ken fühlte sich im Augenblick ein wenig fehl am Platze und beschloss daher, ebenfalls ins Bett zu gehen. „Ich gehe dann mal schlafen. Gute Nacht.“

„Gute Nacht, Ken“, antworteten die beiden anderen Weiß-Mitglieder beinahe synchron.

„Wir sollten wohl auch endlich ins Bett gehen“, meinte der Rotschopf. „Es ist schon spät und wir können auch morgen weiter reden, wenn es noch etwas zu bereden gibt.“

Yohji nickte und lächelte leicht. „Eigentlich ist es ja eher früh. Bäcker sollen um diese Uhrzeit ja schon anfangen zu arbeiten. Reden wir morgen weiter, obwohl ich hoffe, dass es nicht mehr so Vieles gibt, was noch diskutiert werden muss. Also gute Nacht, Aya.“

Auch sie verließen das Wohnzimmer und suchten jeweils ihre eigenen vier Wände auf, um sich ihre wohlverdiente Ruhe zu gönnen.
 

Ken legte sich in sein Bett und verlöschte das Licht. Der Schlaf wollte sich allerdings nicht sofort einstellen und er knipste nochmals die Nachttischlampe an. Er griff in die Schublade des kleinen Tisches, auf dem sie stand und holte die Karte und das Foto von Farfarello heraus. Als er sie öffnete, fiel es ihm sofort entgegen, ebenso wie ein gefaltetes Blatt Papier. Zunächst betrachtete der ehemalige Torwart das Foto eingehend und las die Karte noch einige Male aufmerksam durch. Da konnte es eigentlich kein Missverständnis geben. Schwarz waren nicht da, sondern trieben an irgendeinem anderen Ort auf der Welt ihr Unwesen. Wären sie schon zurückgekehrt, dann hätte sich sein Geliebter unter Garantie bereits bei ihm gemeldet.

Dann entfaltete er das Blatt Papier und betrachtete die ausgedruckte Grafik. Es war eines der Bilder, die sie mit der Digitalkamera für die Mitarbeiterwahl im Blumenladen gemacht hatten und darauf waren er und ein verschwommener Farfarello zu erkennen.

Ein bedächtiges Lächeln huschte über das Gesicht des braunhaarigen Mannes. Diesen Ausdruck hatte er eingesteckt, bevor die anderen ihn hatten sehen können. Zwar war ihm bewusst, dass er eine Menge Ärger riskierte, indem er diese Kuriosität seinen Freunden verschwieg, andererseits jedoch hatte er schließlich auch die gesamte Beziehung verheimlicht, da kam es doch auf ein Bild auch nicht mehr an.

Der Ire hockte neben dem Bett und starrte ungläubig auf das Blatt Papier. Sollten sie laut Brads Wunsch nicht von allen Bildern verschwinden? Vielleicht war das jüngste Gericht doch großzügiger, als er gedacht hatte. Aber er nahm sich vor, die anderen am nächsten Tag auf jeden Fall darauf anzusprechen.

Ken legte seine kleinen Schätze wieder zusammen und zurück in die Schublade. Dann löschte er erneut das Licht und schlief bald darauf ein.

Farfarello legte sich neben ihn auf das Bett und strich ihm sanft einige Strähnen aus dem Gesicht. „Ich wünschte, ich könnte noch einmal richtig bei dir sein. Irgendwann werdet ihr erfahren, dass wir tot sind. Hoffentlich verkraftest du es dann.“

Er hauchte dem Schlafenden vorsichtig einen leichten Kuss auf die Wange und betrachtete ihn eingehend.
 

Als Omi am nächsten Tag aus der Schule kam, fing Yohji ihn sofort ab und schob ihn eilig in sein Zimmer, um mit ihm zu reden. Aya und Ken waren in der Küche mit der Zubereitung des Mittagessens beschäftigt und bekamen es daher nicht mit.

„Was ist den so dringend, dass es nicht warten kann, Yohji-kun?“, fragte der blonde Junge und stellte seine Schultasche neben dem Schreibtisch ab, um sich gleich darauf auf den Drehstuhl davor fallen zu lassen.

Der Playboy schloss die Tür und setzte sich auf das Bett. „Es geht um die Sache von gestern. Zuerst einmal muss ich dir wohl danken. Wie ich gehört habe, hast du dich ja ziemlich für mich eingesetzt. Ich habe gestern noch lange mit Ken gesprochen und er hat mir seine Beziehung mit Farfarello gestanden. Dabei hat er mir noch etwas sehr interessantes über Schwarz erzählt, weshalb wir drei uns gleich noch unter sechs Augen unterhalten sollten.“

„Nicht doch“, winkte das jüngste Weiß-Mitglied ab. „Ich hätte das für jeden von euch getan, wenn er ungerecht behandelt würde. Außerdem ist die Sache mit Ken ja wohl noch ein wenig krasser, finde ich. Was gibt es denn über Schwarz dringendes zu bereden und warum soll Aya das nicht mitbekommen? Ich glaube, wir haben im Moment wirklich genug Geheimnisse vor ihm.“

„Schwarz sind nicht in Tokyo und wahrscheinlich nicht einmal in Japan. Aber das erklärt dir Ken wohl gleich besser selber“, meinte der honigblonde Mann lächelnd. „Und jetzt sollten wir runter gehen und den Tisch decken, um Aya keinen neuen Grund zu geben, sauer auf mich zu werden.“
 

Nach dem Abendessen zog sich Aya sofort in sein Zimmer zurück. Er wollte erst einmal gründlich nachdenken, bevor er wieder das leidige Thema aufrollte. Außerdem hatte es ihn viel Mühe gekostet, Yohji keine Ausgangssperre zu erteilen.

Die anderen Weiß-Mitglieder nutzten die Gelegenheit, um in Omis Zimmer Kriegsrat abzuhalten.

„Was ist denn jetzt mit Schwarz?“, fragte Omi neugierig und ließ sich auf sein Bett fallen.

Ken setzte sich dazu. „Schwarz sind nicht in der Stadt und vielleicht auch gar nicht in diesem Land. Dass ich etwas mit Jay habe, ist euch beiden ja jetzt bekannt. Er hat mir eine Nachricht geschrieben und mir so mitgeteilt, dass Schwarz auf unbestimmte Zeit fort sind. Bis jetzt habe ich auch noch keine Rückmeldung von ihm erhalten, was bedeutet, sie sind immer noch weg.“ Um diese Aussage zu belegen, hatte er die Karte mitgenommen und hielt sie nun dem blonden Jungen unter die Nase, damit er sich selbst davon überzeugen konnte.

Dieser las den Text skeptisch. „Wie alt ist die Nachricht? Und wieso bist du so sicher, dass Farfarello sich zurückgemeldet hätte? Vielleicht sind die anderen ihm mittlerweile auf die Schliche gekommen.“

„Sie ist von meinem Geburtstag, also etwa einen Monat alt“, erklärte der ehemalige Torwart. „Glaube mir, ich weiß es einfach. Irgendwie würde er mir sagen, dass er wieder hier ist.“

„Wir haben jetzt nur ein Problem“, meinte der Playboy. „Irgendwie müssen wir Aya plausibel erklären, dass Schwarz uns im Moment keinen Ärger machen werden. Wie sollten sie denn, wenn sie nicht hier sind? Außerdem ist es dann auch nur noch halb so schlimm, dass sich Schuldig in meinen Gedanken herumtreibt. Was hat er davon, wenn er sich sonst wo herumtreibt? Eventuell wollen sie so nur auf dem Laufenden bleiben. Soweit ich weiß, ist er nicht in der Lage eine andere Person über eine große Entfernung zu beherrschen.“

„Woher willst du das denn wissen?“, wollte Schuldig schnippisch wissen. Er mochte es überhaupt nicht, so abgewertet zu werden, auch wenn es der Wahrheit entsprach.

„Er weiß es halt einfach“, meinte Brad trocken. „So etwas soll vorkommen, schließlich sind wir schon lange genug ihre Gegner.“

„Mir ist übrigens etwas aufgefallen. Das jüngste Gericht hat eine kleine Ausnahme bei der Erfüllung deines Wunsches gemacht“, sagte Farfarello völlig aus dem Zusammenhang gerissen. „Ken hat eines der Bilder wo ich mit ihm drauf zu sehen bin in seiner Nachttischschublade.“

Der Deutsche nickte eifrig. „Dann haben sie mindestens zwei Ausnahmen gemacht. Yohji hat auch eines, er hat irgendetwas in seinem Nachttisch gesucht, ich glaube Kopfschmerztabletten, dabei hat er das Bild gefunden und es sehr lange angeschaut. Ich glaube, so ganz vergessen haben sie diesen Vorfall nicht.“

„Das ist wirklich sehr seltsam. Ich habe die anderen Ausdrucke, die noch neben dem Computer lagen alle durchgesehen und wir sind auf keinem der Bilder mehr zu sehen. Sie machen auch nicht den Eindruck, als ob sie sich daran erinnern, dass diese Aktion ziemlich seltsam abgelaufen ist“, meinte der Amerikaner und runzelte die Stirn. „Ich frage mich, warum eure Schützlinge trotzdem so ein Bild haben und sich scheinbar nicht einmal darüber wundern.“

„Vielleicht weil sie uns eben mögen und wir dagegen protestiert haben“, schlug der Mann mit dem flammend orange Haar vor.

„Und was sollen wir eurer Meinung nach Aya-kun erzählen?“, fragte Omi. „Vielleicht sollten wir endlich mit offenen Karten spielen und ihm die ganze Wahrheit sagen. Ich fühle mich nicht wohl dabei, ihn anzulügen.“

Ken schüttelte den Kopf. „Ich kann ihm nicht die Wahrheit über meine Beziehung sagen. Damit würde ich mein Todesurteil unterschreiben. Entweder er würde von sich aus direkt das Katana zücken, weil ich durch diese Sache noch ein viel potentiellerer Verräter bin als Yohji, oder er würde es Kritiker mitteilen und sie würden euch dann möglicherweise die Anweisung geben, mich zu töten.“

„So leid es mir tut, aber Ken hat da Recht. Eine intime Beziehung zum Feind würde auf gar keinen Fall geduldet werden. Es birgt eben ein zu großes Risiko“, warf der honigblonde Mann ein. „Kannst du nicht einen Beleg dafür hervorzaubern, dass Schwarz außer Landes sind? Vielleicht eine Passagierliste eines Flugzeuges?“

„Du glaubst doch nicht ernsthaft, dass Schwarz unter ihren richtigen oder ihren angenommenen Namen einen Flug buchen?“, stellte der blonde Junge eine Gegenfrage und schüttelte den Kopf. „Wenn ich so etwas fälschen würde, wäre das ja noch auffälliger als alles andere. Aber Crawford besitzt doch Aktien und die wahrscheinlich auch auf seinen Namen. Eventuell hat er ja die letzten Transaktionen aus dem Ausland gesteuert. Herrje, das wird eine lange Nacht.“

„Warum wollen die sich ausgerechnet an meinen Aktien vergreifen?“, beschwerte Brad sich. „Können die nicht einen anderen Beweis dafür suchen, dass wir tot oder zumindest nicht hier sind?“

Der ehemalige Torwart lächelte aufmunternd. „Ich werde das auch wieder gut machen. Sag einfach, was du haben möchtest. Wir können an unseren freien Tagen deine Schicht im Laden übernehmen oder den Küchendienst für dich machen.“

„Wer redet denn jetzt auf einmal von ’wir’?“, fragte der Playboy gespielt schockiert. „Aber ich glaube, das ist nur fair. Dann hast du auch endlich einmal Ruhe. Auch wenn es Aya ziemlich wundern wird, dass ich freiwillig arbeite.“

Omi musste bei dieser Bemerkung lachen. „Das stimmt allerdings. Wir können ja dann sagen, dass Schuldig aus dir einen arbeitswütigen Zombie macht. Ken-kun? Versprich mir aber, dass du Aya auf jeden Fall die Wahrheit sagst. Ich verheimliche ihm nicht gerne etwas.“

Der Angesprochene nickte. „Das werde ich ohnehin irgendwann tun müssen, aber ich möchte auf den richtigen Zeitpunkt warten. Irgendwann, wenn er sein Katana nicht in der Nähe hat.“

Offenbarungen

[Dieses Kapitel ist nur Volljährigen zugänglich]

Bloody Valentine

Wir sind keine Engel
 

Kapitel 17: Bloody Valentine
 

Ken war mehr als betrübt über die verlorene Wahl zum Mitarbeiter des Monats. Da er nun für die kommende Woche die doppelte Hausarbeit zu erledigen hatte, musste er das Fußballtraining absagen. Er hatte alle Mitglieder seiner Jugendmannschaft angerufen und sie über den Ausfall informiert, was allerdings bei den Jungen zu großer Enttäuschung geführt hatte.

Omi hingegen freute sich über seinen Sieg, so hatte er endlich wieder einmal genügend Freizeit für sich. Zusätzlich musste er an zwei Tagen nicht im Blumenladen arbeiten, da Ken und Yohji ihr Versprechen einlösten und an ihrem freien Tag die Schicht für ihn übernahmen, schließlich hatte er durch seine Recherchen Aya glaubhaft davon überzeugen können, dass Schwarz momentan keine Problemquelle darstellten. Zunächst einmal hatte er sich vorgenommen ein wenig Schlaf nachzuholen, außerdem konnte er so mit seinen Schulfreunden nach dem Unterricht etwas unternehmen und musste nicht immerzu absagen. Allerdings kam hinzu, dass er noch einige Dinge für die Schule nacharbeiten musste, was ihm zwar missfiel, aber nichtsdestotrotz erledigt werden musste. Wenn er genauer darüber nachdachte, so blieb ihm prinzipiell nicht mehr so viel von der augenscheinlichen Freizeit übrig.

Aya wunderte sich zwar sehr darüber, dass Yohji und Ken im Laden arbeiteten, obwohl sie eigentlich frei hätten und Omi stattdessen nicht anwesend war, aber er gab sich mit der Erklärung zufrieden, dass der blonde Junge sich ein wenig Freizeit verdient hatte, weil er verhältnismäßig mehr arbeitete und so unter größerem Druck stand. Um den beiden anderen bei dieser vermeintlich rein freundschaftlichen Geste nicht nachzustehen, erklärte auch er sich dazu bereit, seinen freien Tag zu opfern. Er hatte ohnehin nicht so viele zeitaufwendige Hobbys, wie die anderen Weiß-Mitglieder und konnte, da zurzeit auch keine Mission mehr Arbeit verursachte, ebenfalls auf diesen Tag verzichten.

Der blauäugige Junge kam gerade aus der Schule und betrat den Blumenladen, um seine Schicht anzutreten, als er verdutzt auf den Rotschopf hinter dem Tresen schaute.

„Du hast doch heute frei, Aya-kun. Was machst du dann hier?“

Der Angesprochene lächelte verhalten. „Ich dachte nur, ich könnte dir damit vielleicht auch etwas Gutes tun, so wie die anderen Beiden. Sie haben schon Recht damit, wenn sie sagen, dass du in letzter Zeit fast nur noch gearbeitet hast. Du hast dir ein bisschen Freizeit verdient. Außerdem bist du dann schön ausgeruht, wenn das Valentinstagsgeschäft anfängt, das wird schließlich immer beliebter.“

Omi musste schmunzeln, es war so typisch für ihren Leader, dass er beinahe jede seiner Entscheidungen mit der Arbeit begründete. Er konnte sich nicht zurückhalten und umarmte den Älteren überschwänglich. „Danke, Aya-kun.“

„Ja, ist schon gut.“ Sanft, aber bestimmt, schob der Rotschopf ihn wieder von sich, er mochte es nicht, von den Kunden begafft zu werden. „Jetzt geh schon und genieße deinen freien Tag, unternimm etwas mit deinen Freunden. Jugendliche in deinem Alter sollten öfters zusammen ihren gemeinsamen Hobbys frönen.“

„Dann würden wir sowieso nur vor dem Computer oder dem Fernseher sitzen“, lachte der blonde Junge. „Zuerst einmal muss ich aber meine Hausaufgaben machen.“

Mit diesen Worten verließ er den Verkaufsraum und eilte in sein Zimmer. Er ließ die Schultasche wie immer neben dem Schreibtisch fallen und schaltete seinen Computer ein. Nachdem er seine E-Mails abgerufen hatte, machte er sich daran die heutigen Hausaufgaben zu erledigen. Wenn er damit fertig war, würde er ein paar Schulfreunde anrufen, um mit ihnen etwas zu unternehmen. Omi freute sich sehr darüber, ausnahmsweise ein paar Tage lang fast so ein Leben zu führen, wie jeder andere gewöhnliche Teenager in seinem Alter.
 

Phuong kochte vor immer noch vor Wut und bohrte seine Fingernägel in das von der Witterung marode gewordene Holz des Zaunes, auf dem er saß. Eigentlich hatte Payakootha ihn mit hinaus vor die Stadt auf die Koppel seines Pferdes genommen, damit er diese verletzende Bemerkung ihrer Chefin endlich vergaß, aber diese beiden Worte hatten sich unerbittlich in sein Hirn gebrannt.

Der Junge indianischer Abstammung konnte dieses Elend kaum noch mit ansehen. Er trieb sein Pinto, welches er ohne Sattel und Zaumzeug ritt, an und kam neben seinem mittlerweile zum Freund gewordenen Teamkollegen zum stehen. „Mach nicht so ein verkniffenes Gesicht. Vielleicht bleibt das so und ich will das nicht immer angucken müssen. Außerdem ruinierst du gerade deine Fingernägel, glaube ich.“

„Ich habe ganz andere Sorgen als mein Gesicht oder meine Nägel“, meinte der Vietnamese mürrisch und starrte weiterhin verärgert ins Gras.

Der Braunhaarige seufzte leise. „Du ärgerst dich immer noch über Takehito-sama, ich weiß. Vergiss es doch einfach, sie weiß nicht, was sie sagt. Du bist nicht dumm und auch kein Kind mehr. Wärst du eins von beidem, würdest du wohl kaum bei Mißgunst sein.“

„Ich ärgere mich aber trotzdem darüber. Diese Frau weiß scheinbar überhaupt nicht, was ich alles für Mißgunst und Eszett tue. Vielleicht kommt sie sogar noch auf die Idee, mich zu ersetzen, weil ich ja nur ein dummes Gör bin. Ein Kind bin ich aber schon lange nicht mehr, meine Kindheit hat man mir erfolgreich genommen.“ Der zornige Tonfall schwenkte zu verbittert.

„Das weiß ich doch“, entgegnete Payakootha. „Ein Grund mehr, sich nicht mehr darüber aufzuregen. Für uns bist du weder das eine noch das andere. Sollte jemals zur Debatte stehen, dich aus unserem Team zu entfernen und uns stattdessen jemand anderen aufzuhalsen, wird Yukio das ganz bestimmt nicht zulassen. Xen fände es bestimmt auch nicht gut, sich schon wieder auf einen Neuen einstellen zu müssen und über Jahre hinweg herauszufinden, wie er ihm am Besten den letzten Nerv rauben kann. Und ich will auch keinen Freund verlieren. Also Kopf hoch! Catahecassa will auch nicht sehen, dass du traurig bist.“

Phuong hob den Kopf und blickte den anderen mit einem leichten Lächeln auf den Lippen an. „Lieb von dir, dass du mich aufheitern willst. Allerdings weiß ich nicht, ob ich mich über Xens Gründe freuen oder dadurch noch gedemütigter fühlen soll.“ Dann zog er fragend eine Augenbraue nach oben. „Woher willst du das wissen?“

Der Shawnee musste lachen. „Weil er es mir gesagt hat. Und jetzt komm her, wir reiten aus.“ Mit diesen Worten packte er den anderen Jungen am Arm und zog ihn hinter sich auf den Pferderücken.

Der Jüngere ließ sich beim Aufsteigen helfen und legte dann die Arme von hinten um die Taille des Braunhaarigen, um sich an ihm festzuhalten. „Ach ja, da war ja was“, murmelte er entschuldigend und fragte dann lauter: „Wo ist denn eigentlich Pen-Pen geblieben? Gerade ist er doch noch hier gewesen.“

„Der rennt hier irgendwo herum“, antwortete Payakootha, steckte sich zwei Finger in den Mund und stieß einen ohrenbetäubenden Pfiff aus.

Kurz darauf rannte ein übermütiger Dalmatinerrüde ungebremst auf sie zu und kam erst kurz vor dem braun und weiß gescheckten Pferd zum stehen, um freudig umher zu springen.

„Ist ja gut, Penegashea, guter Junge“, lobte der Shawnee seinen treuen Freund und beugte sich herab, um ihn belohnend zu kraulen. „Jetzt musst du brav bei uns bleiben, wir reiten aus.“

Mit diesen Worten richtete er sich wieder auf und trieb sein Pinto an. Er hoffte, seinen jüngeren Freund so auf andere Gedanken bringen zu können.
 

In der folgenden Nacht legte sich Schuldig zu seinem Schützling und legte so gut es ging einen Arm um ihn. Mit einem leisen Seufzen verfluchte er zum wiederholten Male keinen Körper zu haben. Die Zeit vertrieb er sich damit, seine Fähigkeiten weiter zu erproben und zu verbessern. Durch den Spiegel am Kleiderschrank beobachtete er sich selbst, wie er abwechseln sichtbar und unsichtbar wurde. Wenn er sich nur genug anstrengte, konnte er vielleicht auch annähernd so etwas wie eine stoffliche Präsenz erreichen. Besessen von diesem Gedanken konzentrierte er sich weiter auf seine Manifestation.

Auf einmal überkam ihn vollkommen unerwartet ein eigenartiges Gefühl. Für einen Augenblick glaubte er schon, seinem Ziel ein Stück näher gekommen zu sein. Als er seine Sinne jedoch wieder gesammelt hatte und sich umsah, bemerkte er, dass er nicht länger in Yohjis Bett lag.

„Wo bin ich denn hier?“, murmelte der Deutsche leise zu sich selbst, während er seinen Blick schweifen ließ.

Er befand sich in einer Art Park, in dem sich weiß gepflasterte Wege durch das saftige Gras wanden und hohe Bäume die Grünfläche säumten. Langsam folgte er dem Weg, fühlte sich dabei beinahe wie Alice im Wunderland und kam sich ein wenig lächerlich bei diesem Gedanken vor. In sein Blickfeld trat nach wenigen Schritten ein kleiner See vor dem auf einer weißen Bank eine Frau saß. Bei näherem hinsehen erkannte er auch, um wen es sich handelte. Das streng zurück gebundene Haar und die Richterrobe verrieten sie sofort.

„Hallo“, begrüßte Schuldig sie unsicher. „Warum bin ich hier? Und dazu ausnahmsweise einmal nicht in Ihrem Büro, falls man das so nennen kann.“

„Ich habe dich schon erwartet“, meinte das jüngste Gericht und deutete auf den Platz neben sich. „Setz' dich bitte. Ich denke, wir müssen miteinander reden.“

Irritiert setzte sich der Telepath auf die Bank. „Aber worüber denn? Über meine Arbeit als Schützengel? Warum ist dann Michael nicht dabei?“

Die Frau nickte. „Ja, genau darüber müssen wir reden. Michael ist nicht dabei, weil das hier inoffiziell ist und er im Moment keine Zeit für solche verhältnismäßigen Kleinigkeiten hat. Du kannst dir doch bestimmt denken, weshalb ich dich herbestellt habe.“

Der Deutsche schluckte schuldbewusst. „Ist es wegen dieser Sache mit dem besetzten Körper? Ich habe ihn ja nicht richtig gestohlen, sondern mehr ausgeliehen und gelenkt. Und ich habe Yohji auch nicht verraten, dass wir nun ihre Schutzengel sind oder auch nur im Geringsten etwas über unseren Tod verraten.“

„Du hast es erfasst, deswegen bist du hier“, stimmte das jüngste Gericht zu. „Ich mache dir keinen Vorwurf, dass du mit Yohji geredet hast, du hast ja wirklich so gut wie nichts verraten. Das kann ich, denke ich, dieses Mal noch durchgehen lassen. Immerhin hast du ihm damit sozusagen eine Freude gemacht und es geht ihm gut, wenn nicht sogar besser. Er scheint dir immer mehr zugetan zu sein. Aber dir ist doch hoffentlich klar, dass diese Beziehung keine Zukunft hat. Ich gönne euch diese Zeit wirklich und Gott ebenfalls, sie hat schließlich auch immer ein Auge auf euch, aber irgendwann werdet ihr zwangsläufig getrennt. Willst du es in Kauf nehmen, ihn unglücklich zu machen und ebenfalls selbst unglücklich darüber zu sein?“

Schuldig war erleichtert, dass er keinen Ärger wegen seiner Aktion bekam. Allerdings brachten ihn die Worte seiner Gesprächspartnerin zum nachdenken. Nickend antwortete er dann: „Es ist mir klar, dass ich ihn wieder verlieren werde. Aber ich möchte die Zeit nutzen, die ich noch mit ihm habe, wenn ich darf. Irgendwie ist das ein seltsames Gefühl, mir hat noch niemals jemand so nahe gestanden, nicht seit dem Tod meiner Mutter. Ich will einfach für ihn da sein.“ Er lachte leise. „Über solche Dinge habe ich noch niemals mit jemandem geredet, das gab es in meinem Leben einfach alles nicht.“

Das jüngste Gericht lächelte. „Es ist dir gestattet, die Zeit zu nutzen. Aber bitte zukünftig auf eine andere Weise. Du darfst dich auf keinen Fall wieder eines anderen Menschen bemächtigen.“ Sie nahm die Hand des jungen Mannes und drückte sie freundschaftlich. „Ist es nicht viel besser so? Glaubst du nicht, dass dein Leben früher, statt voller Hass und Verachtung, mit solchen Gedanken und Gefühlen viel reicher und lebenswerter gewesen wäre?“

„Ich denke schon“, gab der Mann mit dem flammend orange Haar zögerlich zu. „Und ich werde mich nicht mehr eines anderen Menschen bemächtigen, wenn nicht Yohjis Leben davon abhängt, ich verspreche es. Ich weiß ja, dass wir nichts zu unserem eigenen Vergnügen machen dürfen.“

„Das wollte ich hören.“ Die Frau in der Richterrobe lächelte zufrieden, die Strafe zeigte mittlerweile die gewünschte Wirkung. „Halte dich daran und wir müssen nicht so schnell wieder eine solche Unterredung führen. Beim nächsten Mal würde es vielleicht nicht so glimpflich für dich ausgehen. Die anderen müssen nicht unbedingt etwas hiervon wissen, es ist deine Sache, ob du mit ihnen darüber redest. Und jetzt kannst du wieder zurück zu deinem Schützling.“
 

Wenige Tage später stattete Birman Weiß einen Besuch ab. Es war weit nach Ladenschluss und sie betrat durch die Haustür, für die sie einen Schlüssel besaß, die Wohnung. Der Flur war dunkel, jedoch drang aus einem Türspalt vom Wohnzimmer her Licht in den finsteren Gang. Sie steuerte darauf zu und öffnete die Tür.

„Guten Abend, Jungs“, begrüßte sie die beiden vor dem Fernseher sitzenden Auftragskiller, die sich um die Fernbedienung stritten.

Yohji wandte seinen Kopf zur Tür uns setzte ein charmantes Lächeln auf. „Dir auch einen wunderschönen guten Abend, liebste Birman. Was verschafft uns die grandiose Ehre deiner erhabenen Anwesenheit?“

„Bitte lass mich ihm das Maul stopfen“, murmelte Farfarello und rollte mit seinem gesunden Auge. „Warum muss dieser Möchtegerncasanova nur immer so maßlos übertreiben?“

„Du lässt ihn mal schön in Ruhe“, bestimmte Schuldig. „Du kennst ihn nicht, er hat seine Gründe, also lass ihn doch einfach reden, wie er will.“

Der Mann mit der Augenklappe rollte erneut mit seinem Auge. „Ich könnte ihm doch sowieso nichts antun, auch wenn ich es wollte und von dürfen reden wir erst gar nicht. Das liegt aber nicht an dir, sondern daran, dass ich mir diese großartige Gelegenheit Gott richtig zu strafen nicht entgehen lassen will. Also bilde dir mal nichts darauf ein.“

„Dürfen und nicht dürfen. Ich denke, das ist Auslegungssache und wir haben da schon einen recht großen Spielraum mittlerweile. Ansonsten hätten wir schon längst Ärger gekriegt“, plapperte der Deutsche munter drauf los.

„Wieso Ärger gekriegt?“ Der Ire musterte ihn skeptisch. „Was hast du angestellt?“

Erschrocken schlug sich der Mann mit dem flammend orange Haar eine Hand vor den Mund. „Ich soll etwas angestellt haben? Aber nein, ich doch nicht. Ich, ähm, also, ich habe nur ein wenig für das Wohlbefinden meines Schützlings gesorgt. Es ging ihm in den letzten Tagen doch viel besser, das dürftest sogar du bemerkt haben. Und jetzt sollten wir still sein, um mitzubekommen, was die Kritikeragentin hier will. Sie bringt sicher Arbeit.“

Ken dachte in diesem Augenblick etwas Ähnliches wie sein Schutzengel, sprach es allerdings nicht aus. Stattdessen begrüßte er die Frau ebenfalls. „Hallo, Birman.“

Diese musste unweigerlich bei den Worten des Playboys anfangen zu lachen und bekam dadurch die Begrüßung des anderen Mannes kaum mit. „Übertreibe nicht immer so. Außerdem könnt ihr euch ja wohl denken, weshalb ich hier bin. Reine Höflichkeitsbesuche mache ich schließlich nicht.“ Sie winkte mit ihrer kleinen, schwarzen Aktentasche und fragte dann etwas verwundert: „Warum bist du überhaupt hier? Ich habe ehrlich gesagt nicht erwartet, dich ausgerechnet an einem Samstagabend anzutreffen, sondern habe eher damit gerechnet, dass du dich irgendwo herumtreibst.“

„Darf ich nicht auch einmal zu Hause bleiben und ein bisschen ausspannen?“, entgegnete der honigblonde Mann grinsend und stand auf. „Ich hole Aya, der brütet bestimmt wieder über einem dicken Roman.“

„Und bring Omi gleich mit“, rief Birman ihm hinterher und ging dann bereits voraus in den Missionsraum.

Der ehemalige Torwart griff zum Telefon und wählte die Handynummer des blonden Jungen. Wie erwartet nahm er nicht ab und Ken hinterließ ihm eine Nachricht auf der Mailbox. Dann folgte er ihrer Auftragsübermittlerin in den Keller. „Omi ist nicht zu Hause. Er ist mir ein paar Freunden aus seiner Klasse ins Kino gegangen.“

„Ach so, dann wird er wohl erst viel später wieder nach Hause kommen“, folgerte die braunhaarige Frau. „Dann müsst ihr ihn über die Mission in Kenntnis setzen. So viel Arbeit sollte es wohl dieses Mal nicht für Omi sein, wir haben sehr viele Informationen zusammen tragen können.“

Sie wandte sich ab und bereitete den Videorekorder vor. Nachdem sie sämtliche Geräte eingeschaltet hatte, legte sie das Band ein und drehte sich wieder zu dem jungen Assassin. „Wo bleiben bloß Yohji und Aya? Es kann doch nicht so schwer sein und so lange dauern, nur jemandem Bescheid zu sagen, dass er herunter kommen soll.“
 

Währenddessen klopfte der honigblonde Mann an die Tür ihres Leaders und betrat den Raum, ohne auf eine Antwort zu warten.

Der Rotschopf blickte von seinem Buch auf und meinte kühl: „Ich habe dich nicht herein gebeten.“

„Das ist mir im Moment egal. Birman ist da, es gibt eine neue Mission. Also leg deinen Roman weg und komm mit nach unten“, erklärte der Playboy und zuckte mit den Schultern.

Er wandte sich ab und verließ das Zimmer wieder. Aya klappte sein Buch zu, stieg aus dem Bett und folgte ihm in den Keller.

Im Missionsraum setzten sie sich auf ihre Stammplätze und Birman fuhr den kurzen Film zur Einleitung ab. Zu sehen war in gewohnter Manier Perser, der die Mission verkündete.

„Weiß, eure Zielperson ist Hiroshi Kawaguchi, der amtierende Verteidigungsminister. Er ist ein großzügiger Gönner der Überreste von Eszett und maßgeblich am Wiederaufbau der Organisation beteiligt. Staatsgelder werden unterschlagen und zur Fortsetzung der illegalen Forschung und dunklen Machenschaften verwendet. Außerdem besteht ebenfalls ein Bezug zu den Taten von Eiji Yamamoto, eurer letzten Zielperson. Es muss unter allen Umständen verhindert werden, dass Eszett wiederaufersteht und erneut durch vermeintliche Diener des Volkes zu großer Macht in Japan gelangt. Weiß, Jäger des Lichtes, vernichtet den schwarzen Schwarm.“

Während der Ausführungen wurden Bilder der Zielperson eingeblendet. Die braunhaarige Frau schaltet nach Ablauf des Bandes den Videorekorder wieder aus.

„Was sagt ihr? Ihr seid doch hoffentlich wieder alle dabei.“

„Warum müssen es nur immer Politiker sein? Haben die nicht allein durch ihre Position, die sie ja eigentlich zum Wohle des Volkes innehaben, schon genug Macht? Ich fange langsam an, an unserem System zu zweifeln“, murmelte Aya verdrossen. Etwas lauter fuhr er fort: „Ich auf jeden Fall. Hast du noch mehr Angaben für uns?“

Auch die beiden anderen Anwesenden stimmten zu und bekamen eine braune Akte ausgehändigt.

„Natürlich haben wir noch mehr Informationen“, bestätigte Birman. „Kawaguchi hat seinen Hauptwohnsitz nicht in Tokyo, er kommt immer nur zu politischen Anlässen in die Stadt. Während dieser Zeit wohnt er dann für gewöhnlich im Hilton. Er lehnt es ab, sich hier einen Zweitwohnsitz anzuschaffen. Wenn ihr ein wenig die Nachrichten verfolgt habt, dann werdet ihr auch sicherlich mitbekommen haben, dass am vierzehnten Februar eine Tagung im Kongresszentrum stattfindet. Hierfür sind bereits zwei Übernachtungen für Kawaguchi im Hilton gebucht. Am Besten wäre es wohl, wenn ihr dort zuschlagt, fernab der Öffentlichkeit.“

Yohji starrte ihre Auftragsübermittlerin ungläubig mit großen Augen an. „Am Valentinstag? Aber das geht doch nicht! Zum einen ist um diese Zeit im Blumenladen die Hölle los, weil dieser Tag immer beliebter wird und zum anderen habe ich da auch schon ein Date.“

„Also das wüsste ich“, meinte Schuldig mit einem hämischen Grinsen. „Es sei denn, du meinst mit Date, das du ausgehst und willkürlich jemanden aufreißt.“

Nagi legte einen Finger an die Lippen und bedeutete dem Deutschen still zu sein. „Sei leise, ich will das mitbekommen.“

Ken nickte zustimmend. „Mit dem Geschäft hat Yohji ausnahmsweise sogar einmal Recht. Der Andrang wird dann wirklich groß sein und es wird Fragen aufwerfen, wenn wir nicht da sind. In der Vorbereitungszeit für eine Mission sind wir nie im Laden, nur Momoe.“

„Wie ihr dieses Problem handhabt, ist euch überlassen. Ihr werdet die Mission zu diesem Zeitpunkt durchführen, man muss die Gelegenheit beim Schopf packen und nutzen. Alle weiteren Informationen, die wir finden konnten, sind wie immer in der Akte enthalten. Wir gehen davon aus, dass ihr leichtes Spiel habt und daher nicht so viel Zeit mit der Planung verbringen müsst. Informiert bitte auch Omi, sobald er nach Hause kommt.“ Die braunhaarige Frau schloss ihre Aktentasche, nahm diese dann zur Hand und wandte sich zum Gehen. „Viel Glück, Jungs.“

Mit diesen Worten verließ sie den Raum und ließ die drei Auftragskiller allein zurück.

„Ausgerechnet Valentinstag“, murrte der honigblonde Mann und seufzte gequält. „Was für eine ungerechte Welt.“

„Wenn du es nicht tun willst, dann lass es eben. Wir können diese Mission auch ohne dich bestreiten und wenn es sein muss, dann ziehe ich es auch alleine durch“, meinte der Weiß-Leader entschlossen, während er bereits die Akte durchblätterte.

Der ehemalige Torwart meldete sich ebenfalls zu Wort. „Alleine musst du bestimmt nicht gehen, Aya. Ich komme auf jeden Fall mit.“

„Lasst mich ein wenig darüber nachdenken, in Ordnung?“, schlug der Playboy vor und lehnte sich zurück. Eigentlich sprach nichts dagegen, die Mission wie von Birman angeordnet durchzuführen, sein Date war schließlich bloß erfunden, aber dennoch sträubte sich etwas in ihm dagegen.

„Überlege aber nicht zu lange, so viel Zeit bleibt uns schließlich nicht mehr“, ermahnte der Rotschopf ihn. „Wir besprechen die Angelegenheit morgen mit Omi und da ich die Planung schnellstmöglich fertig haben will, solltest du dich dann auch entschieden haben.“

Yohji nickte. „Gut, ich denke, damit kann ich leben.“
 

Mißgunst saßen gemeinschaftlich um den Konferenztisch in Yukios Büro herum versammelt. Vor ihnen ausgebreitet lagen einige Lagepläne, Grundrisse, ein Stadtplan, Skizzen und unzählige Notizen. Auf einem Monitor lief eine Computersimulation ab.

„Ich finde, wir sollten das Ganze vorher einmal in Ruhe durchspielen“, meinte Payakootha und drehte sich mit seinem Bürostuhl nach rechts und links.

„Genau das haben wir doch gerade“, entgegnete Xen, lehnte sich zurück und legte die Füße auf den Tisch.

Das brachte ihm einen bitterbösen Blick von ihrem Leader ein, der um den Tisch herum ging und die Füße wieder herunter stieß. „Füße gehören nicht auf den Tisch. Du hast auch wirklich nicht einmal im Entferntesten so etwas wie Erziehung.“

Der Shawnee schüttelte den Kopf. „Ich meinte doch nicht die Planung an sich. Die habe ich verstanden und wenn alles so reibungslos läuft, ist alles perfekt. Aber was ich meine ist, dass wir es auch mit diesem Politiker absprechen und mal das ganze Szenario direkt an Ort und Stelle nachstellen.“

„Das wird vorerst nicht gehen, nicht solange wir den Dummy nicht haben. Wenn du alles komplett vorher genau durchgehen willst, brauchen wir den dazu“, warf der grünhaarige Mann ein.

„Aber wir können zumindest schon einmal den Ablauf bis zu dem Punkt, an dem wir den Ersatz brauchen, sozusagen proben“, schlug Phuong vor. „Ich denke, die größte Fehlerquelle wird dieser Kawaguchi sein. Einweihen müssen wir ihn auf jeden Fall, damit er uns die Tour nicht vermasselt.“

Der Älteste nickte. „Genau das werden wir auch tun. Ich werde ihn anrufen und dafür sorgen, dass er uns einen kleinen Besuch abstattet. Frau Takehito hat ihn soweit ja bereits informiert, da sollte er Verständnis dafür aufbringen, dass wir alles möglichst perfekt haben wollen.“

„Ich hoffe, er kapiert es beim ersten Mal“, murrte der Japaner und verschränkte die Arme vor der Brust. „Schließlich bleibt der größte Teil der Arbeit an mir hängen und ich habe definitiv keine Lust, mich wegen diesem Typen schon vor der Mission zu verausgaben.“

„Jetzt tu bloß nicht so, als wärst du hier der Einzige, der etwas dazu beiträgt. Wir haben alle genug zu tun“, meinte der kleine Vietnamese trocken. Er konnte nicht nachvollziehen, weshalb der ältere Mann sich so anstellte.

Yukio schloss die Augen und atmete einmal tief durch, um sich zu fassen. „Wir werden das Szenario so lange durchspielen, wie es nötig ist. Allerdings denke ich nicht, dass dieser Mann so schwer von Begriff sein wird, wie ihr befürchtet, schließlich geht es um sein eigenes Leben und er hat nicht besonders viel zu tun. Payakootha, ich will, dass du ein Auge oder besser gesagt ein paar Gedanken auf die Pläne von Weiß hast. Sollten diese von unseren abweichen, dann passe sie entsprechend unseren an. Allerdings glaube ich nicht, dass das nötig sein wird, ihre Vorgehensweise ist sehr berechenbar.“

Der Telepath nickte. „Wird gemacht.“
 

Aya und Omi saßen am nächsten Morgen gemeinsam am Frühstückstisch. Ken war bereits früh aufgestanden, um joggen zu gehen und noch nicht wieder zurückgekehrt. Yohji weilte noch im Land der Träume und da der Blumenladen an diesem Tag geschlossen blieb, ließ der Weiß-Leader ihn auch ausnahmsweise gewähren.

„Birman war gestern Abend hier“, erwähnte der Rotschopf beiläufig, während er seinen Tee trank und einen Blick in die Sonntagszeitung warf.

Der Jüngere sah von seiner Misosuppe auf. „Ja, ich weiß. Ken hat mir auf die Mailbox gesprochen und Bescheid gesagt. Doch als ich nach dem Kino nach Hause gekommen bin, wollte ich euch nicht mehr wecken. In Yohjis Zimmer brannte zwar noch Licht, aber ich dachte mir, es kann auch bis heute warten.“

„Ja, diese Sache wird wohl nicht besonders schwierig. Kritiker haben dieses Mal viel Vorarbeit geleistet“, stimmte Aya zu und faltete die Zeitung wieder zusammen. „Wir sprechen darüber, wenn Ken wieder zurück und Yohji endlich aufgestanden ist, er war sich gestern noch nicht sicher darüber, ob er an der Mission teilnehmen will.“

„Das kann ja noch etwas dauern“, lachte der blonde Junge und verschluckte sich fast an seiner Suppe. Als er sich nach einem kleinen Hustenanfall wieder beruhigt hatte, beendete er sein Frühstück und meinte: „Ich bin dann in meinem Zimmer und lerne Vokabeln, wir schreiben morgen in der Schule einen Englischtest.“

„Wenn du Hilfe beim Lernen brauchst, sag Bescheid. Englisch kann ich eigentlich ganz gut“, meinte der Ältere und lächelte sein Gegenüber dabei leicht an. „Ich kann dich ja später abfragen, wenn du genug gelernt hast.“

Omi erwiderte das Lächeln fröhlich. „Danke, das wäre super, Aya-kun. Wir können uns ja heute Nachmittag zusammensetzen, du kannst mir bestimmt noch bei ein paar anderen Sachen helfen.“

Der Weiß-Leader nickte. „Natürlich, ich helfe dir gerne. Du kannst immer zu mir kommen, wenn du mit etwas Probleme haben solltest, auch außerhalb der Schule. Und jetzt geh lernen, die Schule hat Vorrang, solange du deinen Abschluss noch nicht hast. Sobald Yohji wach und Ken wieder vom Training zurück ist, besprechen wir die Mission. Das sollte nicht all zu lange dauern. Richtig planen können wir später auch noch.“

„Okay, ihr findet mich dann in meinem Zimmer.“

Der kleine Japaner räumte sein Geschirr in die Spüle und lief hinauf in sein Zimmer. Dort setzte er sich an seinen Schreibtisch und holte die Englischbücher hervor. Ein zufriedenes Lächeln breitete sich auf seinen Lippen aus, als er an das Angebot seines Idols dachte. Eigentlich konnte er Englisch selbst gut genug, um nicht durch die Prüfungen zu fallen. Aber wenn der Rotschopf von sich aus anbot, Zeit mit ihm zu verbringen, so würde es dem Jungen nicht im Traum einfallen es abzulehnen. Im Gegenteil, es bot noch viel mehr Gelegenheiten, dem anderen unter einem Vorwand nahe zu sein.
 

Als Yohji sich gegen Mittag endlich aus dem Bett bequemte, musste er zu seinem Bedauern feststellen, dass das Badezimmer bereits von jemand anderem besetzt war. Auf sein ungeduldiges Klopfen hin drang eine leicht erschöpft klingende Stimme durch die Tür.

„Ja, einen Moment noch, ich bin ja bald fertig.“

Ken hatte es offensichtlich ein wenig mit dem Training übertrieben.

Der Playboy lehnte sich gegen die Wand neben der Tür und schlief beinahe im Stehen wieder ein. Eigentlich hatte er genug geschlafen, aber es war mittlerweile zu einem allmorgendlichen Ritual geworden, dass er eine Dusche brauchte, um richtig wach zu werden, ebenso wie eine Tasse Kaffee und eine Zigarette.

Nachdem der ehemalige Torwart den Raum endlich wieder zur Benutzung freigab, huschte der honigblonde Mann hinein und schloss die Tür hinter sich. Seine Shorts ließ er an seinen Beinen hinab auf den Boden gleiten und die frische Kleidung, die er nach dem Duschen anziehen wollte, legte er beiseite. Bei einem Blick in den Spiegel bemerkte er, dass er trotz ausreichend Schlaf dunkle Ränder unter den Augen hatte.

„Die werde ich wohl nie wieder los“, murmelte Yohji und betrachtete sich stirnrunzelnd weiter. Im Flüsterton fuhr er fort: „Schuldig? Wenn du in meinen Gedanken herumspukst, siehst du dann auch, was ich sehe?“

„Ich sehe noch sehr viel mehr, Kätzchen. Und wenn du wüsstest, wobei ich dich alles bespanne, wärst du wohl mittlerweile wieder weniger gut auf mich zu sprechen“, meinte Schuldig grinsend, aber natürlich so, dass sein Schützling es nicht mitbekam. Auf die Frage antwortete er gar nicht. Zu viel Kommunikation sollte er wohl im eigenen und im Interesse seiner Gruppe vermeiden.

Als der Playboy keine Antwort bekam, womit er auch gerechnet hatte, wandte er sich vom Spiegel ab und stieg unter die Dusche. Er drehte den Warmwasserhahn auf und starrte nachdenklich an die Kacheln, während er sich wusch. Von den Ausmaßen der Fähigkeiten des Telepathen hatte er keine Vorstellung, aber irgendwie wurde diese ungewisse Präsenz immer reizvoller für ihn. Aya würde ihn vermutlich umbringen, wenn er von diesen Gedanken und dieser vermeintlich perversen Neigung, es langsam zu genießen, ständig beobachtet zu werden, wüsste. Davon war er überzeugt.

In seinen Gedanken versunken bemerkte das älteste Weiß-Mitglied überhaupt nicht, wie lange es schon unter der Dusche stand. Erst ein lautes Hämmern an der Badezimmertür riss ihn wieder in die Realität zurück.

„Hey, Yohji-kun, beeile dich ein bisschen, ich muss auf die Toilette“, quengelte eine kindliche Stimme von draußen.

„Einen Moment noch, ich bin gleich fertig, Omi.“ Der honigblonde Mann stellte das Wasser ab, stieg aus der Dusche und griff nach seinem Handtuch. Hastig trocknete er sich ab und zog sich an, seine Haare musste er wohl später föhnen oder an der Luft trocknen lassen. Als er die Tür öffnete, huschte der blonde Junge bereits vorbei und schob ihn regelrecht aus dem Raum.

Dem Playboy blieb nichts anderes übrig, als verdutzt auf dem Flur stehen zu bleiben und perplex auf die vor seiner Nase ins Schloss gefallene Tür zu blicken. Da hatte es jemand scheinbar wirklich sehr eilig gehabt.

Mit einem Lächeln und einem Kopfschütteln wandte Yohji sich ab und suchte die Küche auf. Er wünschte den beiden am Tisch sitzenden Männern halbherzig einen guten Morgen und schenkte sich zunächst eine Tasse Kaffee ein, um vollends wach zu werden.

„Es ist bereits Mittag, falls du heute schon auf die Uhr gesehen hast“, korrigierte ihn der Weiß-Leader sachlich.

Ken schüttelte lediglich verständnislos mit dem Kopf. „Wie kann man nur so viel schlafen? Da warst du gestern Abend nicht einmal weg und sogar verhältnismäßig früh im Bett, weil nichts Interessantes im Fernsehen kam und du bist trotzdem noch müde?“

„Mein Körper ist das nun einmal nicht gewohnt“, verteidigte der Älteste sich. „Ich hätte ihn nicht aus seinem gewohnten Rhythmus herausreißen sollen. Keine Sorge, ich habe daraus gelernt und werde wieder regelmäßig durch die Clubs streifen.“

Grinsend setzte er sich mit seiner Tasse an den Küchentisch und zog den Aschenbecher zu sich. Er tastete seine Hosentaschen ab und musste feststellen, dass er keine Zigaretten bei sich hatte, was ihm ein leises Fluchen entlockte. „Ach, verdammt. Ich muss sie oben vergessen haben, weil Omi mich aus dem Bad geschmissen hat.“

„Das schadet dir überhaupt nichts“, meinte Aya nur kühl und recht mitleidslos. „Du rauchst sowieso zu viel. Das Zeug wird dich eines Tages noch umbringen.“

„Wenn einer von Schwarz oder Mißgunst es nicht schon vorher tut, was übrigens sehr viel wahrscheinlicher ist“, entgegnete Yohji grinsend und trank in aller Seelenruhe seinen Kaffee.

Der ehemalige Torwart schüttelte nur den Kopf. „Ans Sterben sollten wir jetzt weniger denken. Sobald Omi wieder herunter kommt, reden wir über die anstehende Mission.“

In diesem Moment erschien das jüngste Weiß-Mitglied auch bereits in der Küchentür. „Sollen wir nach unten gehen, um alles zu besprechen?“

„Ihr Sklaventreiber, ich bin gerade erst aufgestanden“, jammerte der Playboy und füllte seine Kaffeetasse erneut mit der dampfenden Flüssigkeit, bevor er seinen Freunden in den Keller folgte. Zu seiner Freude entdeckte er auf dem niedrigen Tisch eine Schachtel Zigaretten, die sogar noch einige seiner an diesem Morgen bereits viel zu lang entbehrten Glimmstängel enthielt. Behände fischte er eine Zigarette aus der Packung, steckte sie in den Mundwinkel, zündete sie an und lümmelte sich auf dem Sofa zusammen.

Der Rotschopf musterte ihn dabei stirnrunzelnd. „Ich nehme an, das bedeutet du bist dabei.“

„Genau so ist es. Ich habe darüber nachgedacht und eigentlich spricht nichts dagegen, euch etwas unter die Arme zu greifen“, meinte der honigblonde Mann.

„Und was ist mit deinem ominösen Date?“, fragte Ken stichelnd.

Als Antwort erntete er lediglich ein beinahe desinteressiertes Achselzucken. „Ließ sich anders einrichten.“

„Mit anderen Worten: Sie hat dich zum Teufel gejagt“, frotzelte der braunhaarige Japaner und grinste über das ganze Gesicht. „Und jetzt will sie nichts mehr von dir wissen. Habe ich nicht Recht?“

„Ein Playboy hat es eben schwer“, kicherte Omi.

Besagter Mann antwortete erst gar nicht auf die Sticheleien, sondern widmete sich wieder seiner Tasse Kaffee. Er hatte keine Lust dazu, sich schon nach dem Aufstehen provozieren zu lassen.

Der Weiß-Leader beobachtete die Szene missmutig und wandte sich dann direkt an den jungen Hacker, als Stille eingekehrt war. „Unsere Mission betrifft den amtierenden Verteidigungsminister Hiroshi Kawaguchi. Überflüssig zu sagen, dass wir ihn töten sollen. Im Prinzip scheint es dieses Mal einigermaßen einfach zu werden. Am Vierzehnten ist er bei einer Konferenz, die bis zum späten Abend dauern wird, danach wird die Zielperson im Hilton einchecken, wo wir zuschlagen. Kritiker hat sehr viele Informationen gesammelt, so dass du kaum noch etwas erledigen brauchst. Wir benötigen lediglich noch die Zimmernummer.“

„Klingt ausnahmsweise wirklich nicht besonders anspruchsvoll. Wo ist der Haken?“, fragte der blonde Junge misstrauisch. „Wenn etwas so einfach klingt, dann stimmt etwas ganz gewaltig nicht damit.“

„Ob etwas mit der Mission nicht stimmt wissen wir noch nicht. Wir haben es eben noch nicht nachgeprüft“, gestand Aya ein. „Aber ich gehe davon aus, dass die Zielperson besonders geschützt wird. Er ist, nach Kritikers Informationen, ein Geldgeber von Eszett und somit sehr wichtig für den Wiederaufbau der Organisation. Das ist etwas, was wir unbedingt verhindern müssen. Da ist dieser Mann schon einmal ein guter Ansatzpunkt.“

„Vermutlich wird Eszett uns dann ihren hauseigenen Killertrupp Mißgunst auf den Hals schicken“, warf Yohji ein. „Ich fürchte, diese Typen werden uns noch mehr Ärger machen, als Schwarz es getan haben.“

Der ehemalige Fußballspieler nickte zustimmend. „Da könnte Yohji ausnahmsweise einmal Recht haben. Vor allem, weil wir noch nicht so viel mit ihnen zu tun hatten und sie daher nur schwerlich einschätzen können.“

„Wir haben die Daten von Kritiker über sie, das muss reichen“, beendete der Rotschopf diese müßige Diskussion. „Also Omi, ich gehe davon aus, du beteiligst dich ebenfalls an der Mission. Kannst du herausbekommen, welches Zimmer für Kawaguchi reserviert ist?“

Das jüngste Weiß-Mitglied nickte. „Natürlich kann ich das, es sollte nicht besonders schwierig sein, da die Systeme eine Hotels nicht so gut gesichert sind wie andere, die ich schon knacken musste. Da kannst du dich auf mich verlassen, Aya-kun. Aber dass die Mission ausgerechnet am Valentinstag sein muss, finde ich schon ein wenig abstrakt. Nur gut, dass ich nicht bei den Vorbereitungen für das Schulfest mithelfen muss. Das ist im Übrigen am Wochenende darauf. Gehen wir zusammen dahin? Bitte, es würde mir wirklich viel bedeuten, wir wollten doch mehr gemeinsam unternehmen.“

„Ist es denn für Besucher zugelassen?“, fragte der Playboy und stellte seine mittlerweile ausgeleerte Kaffeetasse auf den Tisch.

„Ja. Der Anlass ist zwar der Geburtstag unseres Direktors, aber trotzdem wird daraus so eine Art Tag der offenen Tür gemacht“, erklärte der Hacker. „Außerdem werdet ihr dann vielleicht auch Mißgunst in Zivil begegnen. Ich kann allerdings ehrlich gesagt auch gut darauf verzichten. Mir reichen die bösen Blicke, die ich von Phuong über den Schulhof zugeworfen bekomme.“

„Kümmere dich einfach nicht darum. In der Schule wird er dir schon nichts antun, da bin ich mir ziemlich sicher“, meinte Ken. „Sollen wir schon einmal mit der Planung anfangen?“

Omi lachte leise. „Darüber mache ich mir noch die wenigsten Sorgen, Ken-kun. Aber unangenehm ist es trotzdem. Ihr beide könnt ja ruhig schon damit anfangen, die Unterlagen genau durchzugehen und vielleicht einen Zeitplan zu erstellen. Aya-kun hat versprochen, mit mir Englisch zu lernen und mich abzufragen. Ich schreibe morgen einen wichtigen Test.“

„Lasst euch nicht aufhalten“, sagte der honigblonde Mann grinsend und warf einen vielsagenden Blick zu seinem jungen Freund, der daraufhin leicht errötete.

Der braunhaarige Japaner stimmte ebenfalls zu. „Die Schule hat natürlich dann im Augenblick Vorrang. Wir können ja mal sehen, was wir ohne euch schon hinbekommen, schließlich sind wir ja auch keine Anfänger mehr.“

„Ach bei dir bin ich mir da noch nicht so sicher, Ken-Ken“, spöttelte der Playboy mit einem süffisanten Lächeln im Gesicht, jetzt war es Zeit für eine Retourkutsche. „Manchmal scheinst du dich in die falsche Richtung zu entwickeln und lässt arge Zweifel an deiner Lernfähigkeit.“

Aya und Omi tauschten kopfschüttelnd Blicke und ließen die beiden Streithähne hinter sich, um die Englischaufgaben in Angriff zu nehmen.
 

Die kommenden Tage vergingen schnell und ohne besondere Vorkommnisse. Am Valentinstag waren Weiß nicht im Blumenladen anzutreffen gewesen, was die weibliche Kundschaft mehr als nur bedauerte. Die vier jungen Männer wollten kein Risiko eingehen und ihre Zeitplanung durch unvorhergesehene Zwischenfälle unnötig in Gefahr bringen. Sie starteten ihre Mission einige Zeit vor Beendigung der Parlamentssitzung und bezogen ihre Positionen.

Ken stand mit seinem Motorrad nicht weit vom Kongresszentrum entfernt und hatte so einen Überblick über alle ankommenden und fortgehenden Personen. Er beobachtete den Eingang und versuchte immer einen Blick auf die Gesichter der Menschen zu werfen, da sie zu dieser späten Stunde in ihren dunkeln Anzügen beinahe alle gleich aussahen. Allmählich strömten immer mehr Politiker aus dem Gebäude, selbstverständlich begleitet von ihren Bodyguards. So zeigte sich auch endlich der Verteidigungsminister, der von einem unscheinbaren Mann in ebenfalls dunklem Anzug und mit Sonnenbrille auf der Nase begleitet wurde. Beide Männer stiegen in die schwarze Limousine, die kurz darauf losfuhr.

„Die Zielperson macht sich auf den Weg. Ich werde in sicherem Abstand folgen. Siberian Ende“, teilte der braunhaarige Mann den anderen Weiß-Mitgliedern durch sein Headset mit.

„Verstanden. Alle auf Position“, knisterte Ayas Stimme aus dem Kopfhörer.

Der ehemalige Torwart startete den Motor und folgte dem Luxusvehikel durch den dichten Verkehr.
 

Xen nahm seine Sonnenbrille ab und wandte sich grinsend an Kawaguchi. „An der nächsten Ampel tauschen Sie mit Spirit den Platz. Und vergessen Sie die schicke Chauffeursmütze nicht.“

„Wird das auch niemand mitbekommen?“ fragte der dickliche Mann mit dem lichter werdenden Haar ein wenig ängstlich.

Payakootha beobachtete durch den Rückspiegel lächelnd die Männer hinter sich. „Sie brauchen sich um nichts Sorgen zu machen, vertrauen Sie uns einfach und folgen Sie unseren Anweisungen. So wie wir es besprochen habe. Frau Takehito hat Sie in fürsorgliche und vertrauenswürdige Hände gegeben.“

„Niemand wird den Schwindel bemerken, vor allem Weiß nicht“, bekräftigte der Japaner mit den sonst grünen Haaren die Aussage, im Augenblick trug er seinen Schopf braun und etwa kinnlang. Außerdem war seine Körpergröße wesentlich geringer als normalerweise und seine Augen funkelten sein Gegenüber grün an. Er glich dem jüngeren Auftragskiller hinter dem Steuer aufs Haar genau.

Dieser meldete sich wiederum zu Wort. „Da wir schon von Weiß reden: Einer von ihnen verfolgt uns wie erwartet. Keine Sorge, Herr Kawaguchi, er kann uns durch die getönten Scheiben nicht sehen und der Wagen ist nicht verwanzt. So subtil gehen sie nun auch wieder nicht vor.“

„Woher wussten Sie...?“, begann der Politiker verwirrt, wurde jedoch abrupt von Changeling unterbrochen.

„Überflüssige Frage. Wir sind Profis.“ Dann wandte er sich nochmals dem Fahrer zu. „Fahr etwas langsamer, die Ampel da hinten wird gleich rot und bleibt es sehr lange. Wir haben dann genug Zeit zum tauschen.“

Der Shawnee nickte nur und hielt wenige Augenblicke später vor dem Begrenzungsstreifen. Er stellte den Schaltheber auf Leerlauf, zog die Handbremse an und kletterte über den Sitz nach hinten in die Fahrgastkabine. Daraufhin nahm er seine Mütze vom Kopf und reichte sie dem Verteidigungsminister. „Wenn ich Sie dann bitten dürfte, dort vorne Platz zu nehmen?“

„Ja, natürlich.“ Schwerfällig raffte sich der dickliche Mann auf, nahm die Mütze entgegen und kletterte unbeholfen auf den Fahrersitz.

Xen rollte mit den Augen, als wollte er sagen, dieser Mann sei es nicht Wert einen solchen Aufwand für ihn zu veranstalten. Sein Teamkamerad verstand die Geste und grinste wissend. Wortlos griff er sich die Sonnenbrille, die der andere zuvor noch getragen hatte und setzte sie sich selbst auf.

„Du siehst übrigens wirklich gut aus als ich“, bemerkte er beiläufig. „Aber du hast ein wichtiges Detail vergessen, das nehme ich dir übel.“

Der Japaner hielt in seiner Tätigkeit die kleine Minibar zu durchsuchen inne, überlegte kurz und schaute dann fragend drein. „Was habe ich denn bitte Vergessen? Wenn ich jemanden kopiere, vergesse ich nichts, darf ich nichts vergessen. Aber ich glaube, du hast etwas vergessen. Du solltest für den Notfall meine Medikamente mitnehmen.“

„Ich werde es dir nicht sagen, sonst macht es weniger Spaß, dich damit aufzuziehen“, meinte Payakootha mit einem schelmischen Lächeln auf den Lippen. „Und deine Medikamente habe ich dabei, ich arbeite nämlich im Gegensatz zu gewissen anderen Leuten sehr sorgfältig. Schau dir mal die linke Champagnerflasche an, die ist präpariert und lässt sich aufklappen. Vorsicht ist die Mutter der Porzellankiste, das weißt du doch.“

Changeling griff nach der besagten Flasche, öffnete diese und überzeugte sich von deren Inhalt. Einige Tabletten sowie eine bereits gefüllte Spritze waren darin zu sehen, was ihm ein beruhigtes Lächeln entlockte. Er nahm zwei Tabletten aus der kleinen Dose und holte aus der Minibar noch eine Flasche Wasser hervor. Die kleinen, weißen Pillen würde er vorsorglich zu sich nehmen, da er ansonsten wahrscheinlich nach der Mission eine hohe Dosis der Injektion benötigen und somit erst einmal außer Gefecht gesetzt sein würde. Bevor er die Medikamente jedoch schluckte, machte er sich daran, seinem Decknamen alle Ehre zu machen. Er schloss die Augen und konzentrierte sich für einen Moment lang ausschließlich auf Hiroshi Kawaguchi. Ein kaum merkliches Zucken durchfuhr seinen Körper, die Haut, die Muskeln, die Knochen und sogar die Organe begannen in pulsierendem Wabern zu arbeiten. Millimeterweise veränderte sich das gesamte Aussehen des Auftragskillers, bis er der gewählten Person bis aufs Haar glich. Auch die Kleidung veränderte ihre Form und Farbe, so dass sie wie der Anzug aussah, den der Verteidigungsminister getragen hatte. Mittlerweile trug dieser andere Kleidungsstücke, die das andere Mißgunst-Mitglied ihm gegeben hatte. Zwar wirkte sich Xens Wandlungsfähigkeit selbst nicht auf die Kleider, die er am Leib trug aus, aber durch den speziell für ihn angefertigten Symbionten war auch dies ohne großen Aufwand möglich. Die gesamte Prozedur dauerte nicht länger als einige Augenblicke.

Der Shawnee musterte seinen Kollegen kritisch und nickte dann zufrieden. „Ich denke, das wirkt glaubwürdig genug. Es sind ja nur ein paar Meter, die du so aushalten musst.“

„Und die Kontrolle am Wachhäuschen der Tiefgarage, aber die schaffen wir trotz Weiß locker“, entgegnete der Ältere selbstbewusst. „Nur Kawaguchi muss die Nerven behalten, dann läuft alles glatt.“

Eben dies hoffte der Politiker im Stillen, schließlich hing er an seinem Leben und wollte gerne noch einige Jahre die Früchte seiner Arbeit genießen. Daher hielt er sich an die strikten Anweisungen, die er von den beiden Profikillern bekam.

Die Drei setzten ihren Weg zum Hotel größtenteils schweigend fort. Payakootha kontrollierte zwischendurch die Gedankengänge ihres Verfolgers und informierte seine anderen Teammitglieder über den Kommunikationsfluss von Weiß.
 

In einer Suite in einem der oberen Stockwerke des Hilton hielten sich Omi und Aya für den Einsatz bereit. Dieses Zimmer war für Hiroshi Kawaguchi reserviert, die nette Concierge war förmlich wie Wachs in Yohjis Händen zerflossen und hatte dies nochmals äußerst bereitwillig bestätigt. Ebenso dass aus Rücksichtnahme auf die Privatsphäre der Gäste, die Räume nicht Videoüberwacht wurden.

„Da stimmt etwas nicht“, gab Brad plötzlich zu bedanken und runzelte skeptisch die Stirn.

Nagi warf ihm einen fragenden Blick zu. „Wie meinst du das? Es wäre hilfreich, wenn du mir auch sagen würdest, was genau nicht stimmt. Hattest du eine Vision? Verläuft die Mission nicht so wie geplant?“

„Doch, das ist es ja, was mich verwirrt“, erklärte der Amerikaner. „Ich hatte nur ein paar kurze Visionen, wie kurz notierte Stichpunkte. Darin habe ich gesehen, wie dieser Kawaguchi hier mit seinem Bodyguard eintrifft und Weiß ihn töten. Der Leibwächter kommt auch nicht mit ins Schlafzimmer, er bringt ihn lediglich in den Salon und geht dann wieder. Etwas an diesem Kerl war anders als zu Beginn meiner Vision, ich kann aber nicht erklären, was. Das Ganze war aber ziemlich Bruchstückhaft, nicht besonders klar.“

„Wenn Weiß ihn töten, ist ihre Mission doch erledigt. Wo liegt das Problem?“, fragte der Jüngere weiter.

Der schwarzhaarige Mann schüttelte der Kopf. „Ich weiß es nicht genau. Aber ich habe ein seltsames Gefühl. Vielleicht hat es auch nichts mit der Mission direkt zu tun, vielleicht läuft ihre Flucht schief.“

„Du meinst, sie werden entdeckt?“

„Nein, ich kann es nicht genau sagen“, gestand der Schwarz-Leader ein. „Aber mach dich auf alles Mögliche gefasst.“

Der kleine Japaner nickte. „Wir sollten vielleicht Schuldig Bescheid geben.“
 

Der Deutsche lehnte hinter seinem Schützling, der die Uniform des hauseigenen Sicherheitspersonals trug, an der Wand in dem kleinen Wachhaus am Eingang der Tiefgarage des Hotels. Zwischendurch warf er immer wieder einen Blick auf die Uhr und dachte über die Warnung seiner Freunde nach. Der Bodyguard war zwar größtenteils absolut uninteressant für Weiß, aber er würde ihn sich einmal genauer ansehen. Bis auf die übliche Bewaffnung erwartete er jedoch nichts.

Das Knistern von Yohjis Headset riss ihn aus seinen Gedanken und er beugte sich vor, bis sich ihre Köpfe auf gleicher Höhe befanden und lauschte dem Gespräch.

„Sie haben gerade den Blinker gesetzt und fahren in die Tiefgarage“, informierte Ken ihn. „Ich fahre noch ein Stück weiter, um keinen Verdacht zu erwecken.“

„Verstanden“, bestätigte der Playboy und unterbrach die Verbindung.

Als die schwarze Limousine die Einfahrt hinunterfuhr, erhob er sich von seinem Platz und verließ das kleine Büro. Das Auto war aufgrund des heruntergelassenen Schlagbaumes genötigt anzuhalten und auf ein Klopfen des vermeintlichen Wachmannes hin, wurde das Fenster an der Fahrertüre herunter gelassen.

Der honigblonde Mann musterte den Fahrer kurz und versuchte einen Blick in das Innere des Fahrzeuges zu erlangen. Da die Zwischenscheibe, die Fahrer- und Fahrgastkabine trennte, jedoch hoch gelassen war, wurde ihm dieser verwehrt. „Dürfte ich bitte Ihre Karte sehen, Sir? Oder haben Sie noch nicht eingecheckt und benötigen einen Parkausweis?“

Payakootha beruhigte Kawaguchi, nahm ihm die Nervosität und wies ihn an, die Chipkarte vorzuzeigen, welche auch als Schlüssel für seine Suite fungierte und nun in einem kleinen Fach unter dem Radio lag. Der als Chauffeur getarnte Politiker folgte der Anweisung und übergab das kleine Stück Plastik, das die Form einer Kreditkarte besaß. „Hier ist die Karte. Mein Mitfahrer hat bereits seine Suite bezogen.“

Yohji nahm die Karte entgegen und steckte sie in das Lesegerät, woraufhin sich der Schlagbaum öffnete und auf einem kleinen Kontrollmonitor im Büro eine Meldung erschien, dass der Gast aus Zimmer Nummer 2.316 das Gebäude betrat. Danach gab er das Stück Plastik zusammen mit einem weiteren zurück. „Vielen Dank. Hier haben Sie noch eine Karte für die Ausfahrt. Ich wünsche Ihnen einen angenehmen Aufenthalt und noch einen schönen Abend.“

Wortlos nahm der Verteidigungsminister die Karte entgegen, schloss das Fenster wieder und fuhr in die Tiefgarage hinein.

Das älteste Weiß-Mitglied gab daraufhin den anderen Bescheid, dass ihre Zielperson soeben eingetroffen war und sich in wenigen Minuten ihnen gegenüber befinden würde.
 

„Das ist doch bisher ganz gut gelaufen“, fand Kawaguchi und lächelte zufrieden.

Der Japaner, der seine Gestalt angenommen hatte, lachte leise. „Würden Sie das auch noch behaupten, wenn Sie wüssten, dass Sie sich da gerade mit einem Ihrer potentiellen Mörder unterhalten haben?“

„Das war einer von Weiß“, stimmte der jüngere Assassin zu. „Wir wollten Sie nicht noch mehr unnötig beunruhigen und haben es daher zunächst verschwiegen. Ab jetzt sind Sie in Sicherheit, er hat Sie nicht erkannt.“

Der Politiker nickte. „Gut. Und was soll ich jetzt tun?“

„Halten Sie vor den Aufzügen an, damit wir dort aussteigen können. Sobald wir drin sind und sich die Türen schließen, können Sie wieder nach draußen und direkt zu Frau Takehito fahren. Sie können den Wagen allerdings auch hier abstellen und hier warten bis alles vorbei ist. Es spielt keine Rolle, tun Sie, was immer Ihnen beliebt“, erklärte Xen und zuckte gleichgültig mit den Schultern.

Payakootha beugte sich nach vorne und schaltete das Navigationssystem ein. Nach einigen Knopfdrücken konnte man auf dem kleinen Bildschirm die verdunkelte Suite erkennen. „Sehr gut, sie haben die Kamera nicht gefunden. Hierüber können Sie verfolgen, was passiert. Vielleicht ist es ja interessant für Sie zu sehen, wie Sie umgebracht werden.“

„Ja, ich denke, das werde ich mir mit ansehen. Allerdings in sicherer Entfernung“, meinte der Verteidigungsminister und hielt einige Meter von den Aufzügen entfernt. „Ich wünsche Ihnen beiden viel Glück. Versauen Sie es nicht, das würde Ihrer Vorgesetzten überhaupt nicht gefallen.“

„Keine Sorge, wir wissen sehr genau was wir zu tun haben“, säuselte der sonst grünhaarige Mann und stieg nach seinem jüngeren Teamkollegen aus der Limousine aus.

Gemeinsam gingen sie die wenigen Schritte zu dem Fahrstuhl hinüber und verschwanden darin. Nachdem die Türen sich geschlossen hatten, wendete Kawaguchi den Wagen und fuhr in Richtung Ausfahrt. Durch die Glasscheiben des Wachhauses sah er den jungen Mann, der sie zuvor hineingelassen hatte, vor den Überwachungsgeräten sitzen. In der Uniform und mit dem netten Gesicht sah er für ihn gar nicht aus wie ein Mörder. Aber das Aussehen konnte täuschen, wie er bereits des Öfteren feststellen durfte.

Vor dem Schlagbaum, der die Ausfahrt blockierte, hielt der Politiker an und steckte die zweite Karte, die er von dem vermeintlichen Wachmann bekommen hatte, in ein Lesegerät, welches sie ganz einzog und auch nicht wieder herausgab. Daraufhin öffnete sich die Schranke und die schwarze Limousine verließ die Tiefgarage wieder.

Yohji hatte alles über die Videokameras beobachtet und hielt sein Team über die Geschehnisse auf dem Laufenden.

„Zielperson und Bodyguard fahren jetzt mit dem rechten Aufzug nach oben. Der Chauffeur hat mit der Limousine das Gebäude wieder verlassen. Siberian und ich verschwinden jetzt von der Bildfläche. Viel Glück euch beiden.“

Damit beendete er die Übertragung und verließ seinen Posten.
 

Nachdem sich die Fahrstuhltüren geschlossen hatten nahm Xen wieder seine eigene Gestalt an. „Wie grässlich so einen unförmlichen Körper zu haben. Erinnere mich bitte hieran, wenn ich das nächste Mal die ganzen Chips alleine aufesse.“

„Kein Problem, wird gemacht“, grinste der Junge indianischer Abstammung und deutete auf die kleine Luke in der Decke. „Hebe mich mal bitte hoch, damit ich aufmachen kann.“

„Na aber wenigstens schrumpft man von Chips nicht und die Haare fallen einem nicht aus. Das ist immerhin ein kleiner Trost.“ Er stellte sich unter die Luke und sah nach oben. „Warten wir damit, bis wir angehalten haben, sonst kippen wir um. Außerdem kann Unseen das von außen aufmachen, das ist viel einfacher.“

Als ob diese Aussage das Zeichen gewesen wäre, stoppte der Aufzug auf einmal, wobei die Türen allerdings geschlossen blieben. Dafür öffnete sich die Deckenklappe und Phuongs weißer Haarschopf kam zum Vorschein, der jedoch sofort wieder verschwand, um jemand anderem Platz zu machen. An seine Stelle trat nun der Klon von Hiroshi Kawaguchi und schickte sich an, auf Yukios Geheiß hin, die Luke hinunter zu klettern.

„Vorsichtig!“, wies der grünhaarige Mann ihn an und half ihm unbeschadet zu sich hinunter in die Kabine.

„Also gut, jetzt hätten wir es bald geschafft“, stellte Payakootha fest.

Der Ältere nickte. „Halte unseren Freund hier schön unter Kontrolle und lass dich nicht von Weiß umbringen. Wir zählen auf dich, Kurzer.“

„Nenn' mich nicht so!“, keifte der Braunhaarige beleidigt zurück. „Ich manage das schon alles, keine Sorge. Und jetzt raus mit dir, Time Force kann die Zeit nicht ewig anhalten.“

„Das stimmt allerdings leider“, ertönte eine tiefe Männerstimme von oben. „Würdet ihr euch also bitte beeilen? Wenn ich das Hotel zu lange lahm lege, fällt das auf, vor allem, wenn Weiß Funkkontakt haben sollten.“

„Ist ja gut, ich beeile mich ja“, sagte der Japaner beschwichtigend und kletterte mit Yukios Hilfe aus der Fahrstuhlkabine heraus.

Gemeinsam verschwanden die drei Mißgunst-Mitglieder aus dem Fahrstuhlschacht in den danebenliegenden und benutzten den zweiten Aufzug, als die Zeit wieder weiter lief, um wieder in die Tiefgarage zu gelangen.

Payakootha und der Klon des Verteidigungsministers fuhren währenddessen weiter nach oben. Bereits nach wenigen Augenblicken wurde die Kabine wieder langsamer und hielt an. Mit einem leisen, kurzen Klingeln öffneten sich die Türen und gaben den Blick auf einen breiten, mit teuren Teppichen ausgelegten Flur frei.

Die beiden Männer gingen gemeinsam zu der reservierten Suite und öffneten die Tür mit Hilfe der Chipkarte.

Der als Bodyguard getarnte Shawnee wartete an der Tür, bis der andere zwei Schritte in den Raum hineingegangen war. Dann fragte er ergeben: „Benötigen Sie noch etwas? Kann ich noch etwas für Sie tun, Kawaguchi-sama?“

„Nein, danke“, entgegnete der vermeintliche Politiker. „Sie können dann gehen. Gute Nacht.“

„Ihnen auch eine erholsame Nacht, Kawaguchi-sama. Ich hole Sie dann morgen früh wieder ab.“

Mit diesen Worten wandte sich das Mißgunst-Mitglied ab und hörte nur noch, wie die Tür hinter ihm ins Schloss fiel. Der Rest würde sich von alleine erledigen. Dem Dummy wurde bis ins Detail eingebläut was er zu tun und zu sagen hatte. Also machte sich der junge Mann auf den Weg aus dem Gebäude heraus und zum Rest seines Teams.
 

Die beiden Weiß-Assassins hörten Schritte auf dem Flur und versteckten sich in der Dunkelheit der Suite. Aufmerksam lauschten sie den Geräuschen der sich öffnenden Tür und dem folgenden kurzen Gespräch. Nachdem die Tür wieder geschlossen wurde, war das leise Klicken eines Schalters zu vernehmen und das Licht flackerte auf.

Nun sahen sich die beiden Auftragsmörder ihrer Zielperson entgegen, die nur einige Schritte von ihnen entfernt stehen blieb.

„Wer sind Sie und was wollen Sie?“, verlangte der Klon zu wissen.

„Weiß“, entgegnete Aya schlicht und zog in einer schnellen Bewegung das Katana aus der Scheide, während Omi im gleichen Augenblick einige Dartpfeile hervorholte und sich zum Wurf bereit machte.

Die Irritation seines Gegenübers ausnutzend stürmte der Rotschopf mit einem Satz zu ihm hinüber, erhob seine Waffe und ließ sie mit einem eiskalten: „Shi-ne!“ auf ihn hernieder sausen. Er zog die Klinge vom Halsansatz her nach unten quer durch den Oberkörper des anderen Mannes, so dass diese auf der anderen Körperhälfte wieder austrat und den Torso beinahe in zwei Hälften zerteilte.

Der blonde Junge beobachtete ungerührt, wie der leblose Körper vor seinem Freund zu Boden sackte und steckte seine Giftpfeile wieder ein. Dass er seine eigenen Waffen nicht benötigte, konnte er nur begrüßen, vor allem wegen der Fingerabdrücke, die er so zweifellos hinterlassen hätte. Er hatte nicht daran gezweifelt, dass der Ältere ihr Ziel mit einem Schlag niederstrecken würde, aber es war immer besser für alle Fälle bereit zu sein.

Der Weiß-Leader wischte die blutige Klinge seines Katanas an dem dunklen, besudelten Anzug des Toten ab und steckte es wieder zurück in die Scheide. Die Blutspritzer auf seiner eigenen Kleidung konnte man aufgrund des dunklen Leders seines langen Mantels glücklicherweise nicht gleich erkennen. Sobald sie jedoch zu Hause waren, würde er sie gründlich reinigen müssen.

Gemeinsam verschwanden die beiden Attentäter ungesehen aus dem Hotel und trafen sich auf einem nahen Parkplatz mit Ken und Yohji, die dort bereits warteten. Für den Notfall waren sie in der Nähe geblieben, um schnell eingreifen zu können, wenn etwas nicht wie geplant gelaufen wäre. Die Mission war allerdings ein Erfolg und so machten sich die vier jungen Männer zusammen auf den Heimweg.
 

Hiroshi Kawaguchi hatte dank der durch Phuong in der Suite installierten Videokamera die Aktion von Weiß mit ansehen können. Um dafür die nötige Ruhe zu haben, hatte er die Limousine auf dem Parkplatz eines nahegelegenen, sehr exklusiven Restaurants geparkt, da sie dort am Wenigsten auffallen würde. Er war beeindruckt von dem Rotschopf und dem blonden Jungen, ein präzise eingespieltes Team, schnell und tödlich. Mit ziemlicher Sicherheit wäre er ebenso leblos wie ein nasser Sack zu Boden gegangen, wie sein Klon, wäre er selbst in das Zimmer gegangen. Ein Mal mehr war er sich sicher, Staatsgelder mehr als nur gut angelegt zu haben.

Als die doch recht kurzweilige Vorstellung beendet war, startete der Politiker den Motor erneut und fuhr aus der Stadt.
 

Wieder im Koneko sumu le angekommen zerstreuten sich Weiß wie immer, jetzt benötigten sie jeder einige Zeit für sich alleine. Omi und Ken zogen sich einfach in ihre Zimmer zurück, ebenso wie Yohji. Aya beschäftigte sich erst einmal damit, die Blutspritzer von seiner Kleidung, die er auf jeder Mission trug, zu entfernen.

Nagi saß währenddessen gelangweilt daneben und beobachtete seinen Schützling. Er dachte darüber nach, was Brad über den Bodyguard gesagt hatte. Ihm selbst war nichts Seltsames an dem anderen Mann aufgefallen, dafür hatte er ihn viel zu kurz und bloß im Halbdunkel gesehen. Aber vielleicht war es möglich, dass er die beiden Weiß-Assassins bemerkt hatte. Doch dann hätte er wahrscheinlich eingegriffen, wenn er ein pflichtbewusster Angestellter wäre. Es blieb jedoch auch die Möglichkeit, dass dieser Politiker noch mehr Leuten unbequem geworden war oder er einfach die Polizei verständigt hatte. Dagegen sprach allerdings, dass ihnen keinerlei Sirenengeheul auf dem Heimweg begegnet war.

Der kleine Japaner gab das Grübeln auf, als auch sein Schützling endlich in seinem Zimmer verschwand und sich schlafen legte. Es gab so viele Möglichkeiten, wie die vage Vision seines Leaders gedeutet werden konnte. Im schlimmsten Fall wurden die Vorhersagen langsam aber sicher unzuverlässig. Darüber würden sie baldmöglichst reden müssen, um keine groben Fehler zu begehen.

Nach getaner Arbeit

Wir sind keine Engel
 

Kapitel 18: Nach getaner Arbeit
 

Das durch die Fenster dringende Sonnenlicht kitzelte seine Augenlider und holte ihn langsam aus dem Land der Träume. Mürrisch drehte sich Hiroshi Kawaguchi in dem Bett herum und bemerkte, dass neben ihm noch jemand lag. Er öffnete die Augen und blickte direkt in die unsicher und etwas verängstigt wirkenden Augen eines schwarzhaarigen Jungen von vielleicht dreizehn oder vierzehn Jahren. Langsam kam die Erinnerung zurück, am Vorabend war er noch die lange Strecke bis zu dem Herrenhaus in den Bergen gefahren, in dem Gohan, Samejima und Yamamoto den Tod gefunden hatten. Der Betrieb lief trotz allem weiter, von solchen Kleinigkeiten durfte man sich schließlich nicht aufhalten lassen. Er, als Politiker und Geschäftsmann, wusste das. Da er nach dem anstrengenden Tag und der langen Autofahrt müde war, wollte er nur noch ein Bett und junge, frische, enge Gesellschaft. Eine der Angelegenheiten, weshalb er gerne mit Frau Takehito Geschäfte machte: Man bekam immer genau das, was man wollte. Und er hatte sein Augenmerk auf etwas Neues gelegt, was er unter allen Umständen besitzen wollte, koste es, was es wolle.

Träge setzte er sich im Bett auf und stieß den Jugendlichen aus seinem Bett. „Was machst du noch hier? Los, sieh zu, dass du wegkommst.“

Heftig nickend und ohne ein Wort zu verlieren sammelte der Junge hastig seine Kleidungsstücke zusammen und zog nur seine Hose an. Seine restlichen Sachen trug er lediglich unter dem Arm, verließ eilig das Zimmer und schloss die Tür leise hinter sich.

Als er alleine war, kletterte auch Kawaguchi aus dem großen Bett und streckte sich zunächst einmal ausgiebig. Dann ging er gemütlich ins Badezimmer und genehmigte sich eine erfrischende Dusche. Nebenbei schaltete er das Radio an und lauschte der Musik, die nur Bruchstückhaft zwischen den Geräuschen des plätschernden Wassers zu ihm durchdrang. Ein unzufriedenes Murren entkam seiner Kehle, als eine angenehme Frauenstimme die Musik unterbrach und die halbstündlichen Nachrichten verlas.

Der Politiker streckte seine Hand nach dem kleinen Gerät aus und tastete nach einem Knopf, um den Sender zu wechseln. Er hielt jedoch inne, als er durch das Wasserrauschen hindurch vage etwas von einem Leichenfund im Hilton Hotel vernahm. Statt des Senders stellte er nun rasch den Wasserstrahl ab, um wenigstens noch den Rest der Meldung mitzubekommen.

„... abgesperrt. Weder die Pressesprecher des Hilton noch die Polizei wollen zum jetzigen Zeitpunkt genauere Angaben über den Vorfall machen. Zu einer eindeutigen Identifizierung durch Angehörige oder eine DNA-Analyse sei es bisher noch nicht gekommen.“

Mit einem klickenden Geräusch schaltete der Verteidigungsminister das Radio aus, er hatte genug gehört. Er duschte sich nochmals ab und stieg aus der Kabine, woraufhin er sich abtrocknete und nur einen Morgenmantel anzog. So bekleidet verließ er sein Zimmer, ging die Treppe hinunter und suchte im Erdgeschoss den Speisesaal auf.

Niemand außer ihm hielt sich in dem Raum auf und zu Kawaguchis Bedauern, war das Buffet bereits abgeräumt. Ein verärgertes Brummen entrann seiner Kehle während er sich umdrehte und wieder auf den Flur hinaus stapfte. Von dort aus steuerte er direkt das Büro von Frau Takehito an, welches er ohne vormaliges Klopfen betrat.

„Warum gibt es kein Frühstück?“, fragte er barsch und ließ die Tür geräuschvoll hinter sich ins Schloss fallen.

Die ältere Dame sah von ihrem Computer auf. „Weil es bereits ein Uhr mittags ist, darum. Es gibt gleich Mittagessen, vielleicht möchten Sie damit Vorlieb nehmen? Ich kann natürlich auch einem der Jungen Bescheid sagen, dass man für Sie noch einmal Frühstück machen soll.“

Nach kurzem Überlegen schüttelte der Politiker den Kopf. „Nein, ich denke, dann beginne ich den Tag direkt mit einem guten Mittagessen.“

„Gut. Gibt es noch etwas?“, fragte Takehito und wollte schon wieder an ihre Arbeit gehen.

Der Verteidigungsminister nickte jedoch und setzte sich auf einen Stuhl ihr gegenüber. „In der Tat. Ich habe gerade durch Zufall im Radio etwas in den Nachrichten aufgeschnappt. Haben Sie heute schon Nachrichten gehört oder vielleicht die Zeitung gelesen?“

„Weder noch. Ich habe den Newsflash im Internet gelesen. Man hat ihre Leiche gefunden. Ich gratuliere, Sie sind jetzt offiziell tot, zumindest sobald Sie eindeutig identifiziert wurden“, erklärte die Frau sachlich. „Das sollte allerdings recht schnell gehen. Ihre Familie wird sie identifizieren können, aber ebenso sicher ist eine DNA-Analyse oder ein Gebissabdruck.“

„Sie sind bereits gut informiert, wie ich sehe.“ Der rundliche Mann nickte zufrieden. „Wie lange glauben Sie, dass es dauern wird?“

„Wahrscheinlich nicht besonders lange, immerhin sind Sie ein sehr wichtiger Mann. Spätestens heute Abend hören wir in den Nachrichten von dem grausamen Mord an einem angesehenen Politiker. Noch gibt die Polizei ja keine Auskünfte an die Presse weiter.“

Kawaguchi nickte wiederum. „Man wird nach den Mördern fahnden. Wollen Sie diese Weiß so aus dem Weg räumen? Oder benutzen Sie diese Männer für Ihre Zwecke?“

Frau Takehito lachte beinahe amüsiert auf. „Wenn ich jemanden aus dem Weg räumen will, dann habe ich ganz andere Methoden. Sie erinnern sich doch gewiss an die netten Herren, die ihre Bodyguards waren. Auf sie ist immer Verlass und sie sind sozusagen mein kleiner, privater Schlägertrupp. Noch kann ich Weiß vielleicht gebrauchen, darum werde ich sie nicht in die Hände der Polizei fallen lassen. Stattdessen werden wir behaupten, es war alles inszeniert.“

„Das macht Sinn. Wir geben also alles als unsere Idee aus, um der Öffentlichkeit die Bedeutsamkeit der Genforschung zu demonstrieren. Ich finde Ihr Vorhaben großartig und bin sicher, dass wir damit das Parlament beeindrucken und auf unsere Seite ziehen können. Wann haben Sie vor, mit unserer Version der Wahrheit auf Polizei und Presse zuzugehen?“

„Sie sind ein wichtiger Fürsprecher unserer Sache. Nicht nur das Parlament wird von unserer Demonstration beeindruckt sein, auch die Polizei und das Militär werden sehen, dass durch das Klonen ganz neue Maßstäbe in Hinsicht auf Personenschutz erreicht werden können“, erläuterte die ältere Dame. „Wir werden allerdings noch ein wenig mit unserem in Erscheinung treten abwarten. Schließlich wollen wir den ganzen Rummel doch für uns nutzen. Wo kommt dieses Land denn hin, wenn auf einmal redliche Politiker ermordet werden und sich auch andere Volksvertreter anderer Parteien nicht mehr ihrer Haut sicher sein können? Angst ist ein wichtiges Instrument der Einschüchterung und Überredung.“

Der Verteidigungsminister grinste siegessicher. „Wie ich sehe, haben Sie alles bestens unter Kontrolle und ich kann mich vollends auf Ihre Kompetenzen verlassen. Diese Investition von Staatsgeldern hat sich scheinbar wirklich endlich einmal gelohnt.“

„Es ehrt mich sehr, dass Sie es so sehen, Kawaguchi-sama“, entgegnete die Frau ehrerbietig und fragte sich allmählich, warum ihr Gegenüber nicht endlich aufstand und ging, schließlich hatte sie nicht den ganzen Tag Zeit für Smalltalk. Andererseits musste sie diesen Mann auch wohlwollend und großzügig stimmen, noch brauchte sie ihn. „Gibt es vielleicht noch etwas, was Ihnen am Herzen liegt und ich für Sie tun kann?“

Nachdenklich runzelte der Politiker die Stirn und antwortete dann: „Ja, allerdings, das können Sie. Ich habe mir diese Videoaufnahme von dem Mord in der Hotelsuite einige Male angesehen und ich muss sagen, diese Männer faszinieren mich. Es gibt etwas, um dass ich Sie bitten möchte.“

„Immer frei heraus damit und ich werde sehen, was wir für Sie tun können.“
 

„Kann er nicht endlich damit aufhören?“, jammerte Xen und hielt sich demonstrativ die Ohren zu.

„Du bist gemein“, meinte Payakootha und warf ihm einen tadelnden Blick zu. „Phuong spielt sehr gut auf seiner Violine und so ein wenig klassische Weiterbildung kann selbst dir nicht schaden. Außerdem muss er doch für seinen großen Auftritt auf dem Schulfest üben.“

Yukio nickte zustimmend. „Und die Schule geht nun einmal vor. Wenn es dir nicht passt, dann kannst du ja gehen. Dich hält niemand auf, vorläufig haben wir ja erst einmal keinen Auftrag.“

„Na umso besser“, maulte der grünhaarige Mann und erhob sich aus dem Sessel, um das Haus zu verlassen.

Der Shawnee sah ihm nach und seufzte leise. „So ein sturer Esel.“

„So ist er eben, wie ein kleines Kind und will immer seinen Willen durchsetzen. Mittlerweile solltest du das wissen“, sagte der Schwarzhaarige gleichgültig. „Vielleicht sollten wir Phuong hier im Wohnzimmer üben lassen, vor uns als Publikum.“

„Das ist eine gute Idee, dann kann er sich daran gewöhnen. Es wäre wohl ziemlich blamabel, wenn er auf dem Schulfest vor Aufregung nicht spielen könnte. Gehen wir denn auch mit hin?“, fragte der Jüngere hoffnungsvoll.

Der Ungar schüttelte den Kopf. „Vermutlich werden Weiß auch dort sein und ich möchte keinen unnötigen Ärger provozieren. Das wäre nicht gesund für uns in aller Öffentlichkeit enttarnt zu werden.“

„Na und? Ist doch egal, wenn sie da sind. Auch sie haben viel zu verlieren und werden sich nicht mit uns anlegen. Erstens würden sie das sowieso nicht überleben und zweitens würde auch ihre Tarnung auffliegen, nicht bloß unsere“, sagte Payakootha.

„So kann man es natürlich auch sehen. Gut, meinetwegen gehen wir hin, aber ich glaube nicht, dass Xen sonderlich große Lust hat uns zu begleiten.“

„Dann zwingen wir ihn halt“, beschloss der Junge indianischer Abstammung und sprang von seinem Platz auf. „Ich sage Phuong Bescheid und hole ihn herunter.“

Mit diesen Worten eilte er auch schon aus dem Wohnzimmer und die Treppe hinauf in den ersten Stock. Ohne zu klopfen riss er einfach die Schlafzimmertür des Vietnamesen auf und stürzte in das Zimmer. Vollkommen irritiert hielt dieser in seinem Violinenspiel inne.

„Wir kommen mit zum Schulfest“, verkündete der ältere Junge strahlend. „Und du sollst nach unten kommen, damit du vor Publikum üben kannst, auch wenn wir nur zu zweit sind.“

Phuong lächelte seinen Freund erfreut an. „Schön, dass ihr mitkommt. Aber ihr müsst nicht, wenn ihr nicht wollt, ich bin schließlich kein kleines Kind mehr. Und bei den Proben in der Schule habe ich ja auch schon vor Publikum gespielt.“

„Erstens wollen wir aber und zweitens keine Widerrede, du kommst mit nach unten. Oder Yukio und ich belagern dein Zimmer. Was ist dir lieber?“

„In Ordnung“, lachte der Jüngere. „Ist Xen wieder einmal geflüchtet? So schlecht spiele ich ja nun auch nicht.“

Payakootha nickte seufzend. „Ja, ist er. Kümmere dich aber nicht darum, er ist einfach nur ein Banause der keine Ahnung hat.“

Gemeinsam gingen sie wieder ins Wohnzimmer, wo der langhaarige Junge seinen Notenständer aufstellte. Er konnte das Stück zwar auswendig, allerdings wollte er lieber zur Sicherheit zwischendurch nachschauen können, falls er sich verhaspelte.

„Meine Damen und Herren, verehrte Gäste. Voller Stolz präsentieren wir Ihnen heute Abend die Teufelstriller-Sonate von Giuseppe Tartini in drei Sätzen, interpretiert von Phuong Van Nguyen“, leitete er selbst sein Stück ein und begann mit dem Bogen über die Saiten seiner Violine zu streichen.
 

In Gedanken versunken goss Omi die Blumen im Schaufenster. Er fand es irgendwie lächerlich am nächsten Tag nach der Mission wieder so zu tun, als seien sie vier normale Männer, die ein normales, langweiliges Leben als Blumenverkäufer führten. Was ihn aber eigentlich an diesem Tag störte, waren die unzähligen Schulmädchen, die unaufhörlich nachfragten, wo die Floristen denn am Vortag gewesen seien, schließlich sei doch Valentinstag gewesen.

Auch die anderen Weiß-Mitglieder konnten die andauernden Fragen langsam aber sicher einfach nicht mehr hören und es war schließlich Yohji, der laut genug, so dass es auch alle anderen im Laden hören konnten, einem Mädchen endlich eine Antwort auf die Fragerei gab. „Der Valentinstag ist nicht nur für euch da, sondern für alle Paare, auch wenn er bloß rein kommerziellen Zwecken dient. Aber wir haben auch alle noch ein Leben jenseits des Blumenladens und eben auch jeder eine Verabredung gehabt.“

Aya und Ken wähnten sich schon beinahe in Sicherheit, als der Geräuschpegel auf diese Aussage hin abnahm und die Fragen verstummten. Gedämpftes Getuschel folgte und die jungen Männer machten sich wieder daran ihrer Arbeit nachzugehen und zahlende Kunden zu bedienen.

Schon nach wenigen Minuten schwoll die Lautstärke allerdings erneut an und die Mädchen wollten wissen, wer denn das große Glück hatte, mit einem ihrer Angebeteten ausgehen zu dürfen.

Der blonde Junge schloss seine Hand fester um den Griff der Gießkanne, als er beobachtete, wie ihr Leader weiterhin von einer Schar Kundinnen bedrängt wurde. Den Pulk, der sich um ihn herum gebildet hatte und unaufhörlich auf ihn einredete, nahm er dagegen kaum wahr. Stattdessen beobachtete er weiter den Älteren und fühlte etwas in sich aufkeimen, was er bis jetzt noch niemals gefühlt hatte. Er wusste nicht einzuschätzen, was es war und warum, aber er wusste ganz genau, dass er nicht wollte, dass der andere Assassin in dieser Weise bedrängt wurde. War das Eifersucht?

Energisch stellte er die Gießkanne beiseite und bahnte sich seinen Weg hinüber zu dem Rotschopf. Freundlich, aber bestimmt schob er die ihn umringenden Mädchen von dem größeren Mann weg und umschloss dessen Hand mit seiner. Zunächst blickte Omi ein wenig unsicher in die fragenden Gesichter und schluckte schwer. Dann fasste er sich jedoch ein Herz und meinte: „Aya und ich waren gestern zusammen unterwegs. Wir haben uns den Tag freigenommen und halt mal etwas Zeit zusammen verbracht.“

Schockiertes Schweigen war die Reaktion auf diese Offenbarung. Auch Aya blickte ungläubig auf seinen Freund hinunter. Sogar Ken und Yohji hielten inne und wandten den Blick zu ihrem Jüngsten.

Auf dessen Gesicht breitete sich langsam aber stetig die Schamesröte aus und färbte sein Gesicht bald bis unter die Haarwurzeln dunkelrot. Es schien, als lastete die Stille des Augenblickes schwer auf seinen Schultern. In diesem Moment wünschte er sich nichts mehr, als dass einer seiner Freunde etwas sagte und ihm so zur Hilfe kam.

Der ehemalige Torwart war es, der sich räusperte und Omis Erklärung ergänzte. „Wir haben uns alle frei genommen und zusammen etwas unternommen, weil wir Omi versprochen haben, mehr Zeit miteinander zu verbringen. Eben einfach, um füreinander mehr da zu sein, schließlich leben wir sozusagen als Familie zusammen.“

Die Blicke der Schulmädchen richteten sich daraufhin auf Ken und kurz darauf wurden wieder einige Fragen laut, warum sie so etwas denn ausgerechnet am Valentinstag machen mussten. Yohji konnte sich das Geschnatter nicht länger anhören und wies noch mal auf ihre Privatsphäre hin. Außerdem übernahm er ausnahmsweise einmal Ayas Part und verkündete, dass alle nicht zahlenden Kunden den Laden doch bitte verlassen mögen.

Der Rotschopf hielt seinen Blick indes weiterhin auf Omi geheftet. Nur langsam wanderten seine Augen zu der umklammerten Hand und schauten dann wieder in die tiefblauen Augen des Jungen. Dieser hatte immer noch einen roten Kopf, wirkte nun unsicherer als zuvor und schien sich nicht mehr wohl zu fühlen. Im nächsten Moment riss sich das jüngste Weiß-Mitglied los und hastete aus dem Verkaufsraum durch die Hintertür in die Wohnung.

Für einen Augenblick sah der Weiß-Leader ihm verwirrt hinterher, er konnte sich nicht erklären, was dieser plötzliche Ausbruch zu bedeuten hatte. So hatte er den Jüngeren bisher noch niemals erlebt und er sollte deswegen vielleicht später mit ihm sprechen. Andererseits würde es dem blonden Jungen vielleicht unangenehm sein und Aya spürte Zweifel in sich aufkeimen, als er das Für und Wider gegeneinander abwog.
 

Omi hatte sich in der Zwischenzeit in sein Zimmer zurückgezogen und sich auf das Bett geworfen.

Leise nuschelte er immer wieder in sein Kissen: „Ich bin so dumm, ich bin so dumm. Warum habe ich das bloß gemacht? Ich bin so blöd. Jetzt ist es aus.“

Den leise genuschelten Anschuldigungen gegen sich selbst folgten einige stumme Schluchzer. Der blonde Junge war sich beinahe sicher, dass Aya nie wieder ein Wort mit ihm wechseln würde, schließlich hatte er ihn praktisch vor allen Leuten bloß gestellt. Wahrscheinlich konnte er jetzt auch endgültig das zumindest brüderliche Verhältnis zwischen ihnen abschreiben. Mit der Behauptung, ein gemeinsames Date gehabt zu haben, hatte er wohl weit über das Ziel hinaus geschossen. Auch wenn Ken noch versucht hatte, die Situation zu retten, geholfen hatte es scheinbar überhaupt nichts. Dieser fragende Blick in diesen wundervollen, amethystfarbenen Augen ließ den kleinen Japaner nicht mehr los, da er glaubte außer Verwunderung noch Verachtung und Widerwille darin gelesen zu haben.

Brad besah sich das kleine Häuflein Elend, das sich ihm darbot und seufzte leise. „Irgendwie verstärkt sich mein Gefühl, dass es in diesem Haushalt akut an solchen Dingen wie Selbstwertgefühl mangelt. Der Einzige, der ein wirklich aufgeblasenes Ego zu haben scheint, ist Kudou. Die anderen sollten sich von ihm und Schuldig wohl mal eine Scheibe abschneiden.“

Auch wenn der Amerikaner zu großspurige Menschen zwar nicht wirklich leiden konnte, so mochte er dieses in Selbstmitleid zerfließende, weinerliche Gejammer noch viel weniger. In dieser Weise gab sich der Hacker doch sonst nie, auch wenn er privat nicht so berechnend und effizient war, wie auf Missionen. Ein solches Tief hatte der Schwarz-Leader in seiner Zeit als Schutzengel allerdings noch nicht bei ihm erlebt. Zudem war ihm diese Reaktion absolut unverständlich, wenn man sich Mühe gab genau hinzusehen, dann war dem Rotschopf dieses etwas unglückliche Geständnis nicht zuwider gewesen. Doch Verliebte neigten erfahrungsgemäß zuweilen dazu, Signale falsch zu deuten oder einfach zu übersehen. Sein Schützling schien im Augenblick in eine tiefgreifende Depression zu versinken und er konnte nichts dagegen tun. Sich sichtbar zu machen und mit ihm sprechen zu dürfen, wäre in dieser Situation gewiss sehr hilfreich gewesen.
 

Nach Ladenschluss zog Yohji Ken mit nach draußen, um die Blumenkübel hinein zu tragen. Bevor der andere sich jedoch an die Arbeit machen konnte, hielt der Ältere ihn zurück.

„Ich glaube, wir müssen jetzt dringend etwas in Sachen Omi und Aya unternehmen.“

Der ehemalige Torwart sah ihn verwirrt an. „Warum meinst du das? Nur weil Omi in sein Zimmer gerannt ist? Ach komm schon, er hat sozusagen vor versammelter Mannschaft seine Liebe zu einem Mann gestanden und es waren auch einiger seiner Schulfreunde darunter. Wahrscheinlich ist ihm das nur unangenehm, dass er so reagiert hat und alle es mitbekommen haben.“

„Du verstehst es einfach nicht, Ken“, meinte der Playboy und rollte mit den Augen. „Liebe ist eine kleine, zerbrechliche Pflanze und jede noch so kleine Erschütterung kann sie zerstören, wenn sie noch in den Kinderschuhen steckt. Ich denke, Omi ist froh darüber wenigstens einen kleinen Teil seiner Gefühle endlich offenbart zu haben. Aber hast du dir mal Aya angesehen? Er wirkte ziemlich verwundert und ist danach noch viel stiller und abweisender als sonst gewesen. Vielleicht versteht er das alles falsch und das würde Omi endgültig das Herz brechen.“

Langsam nickend antwortete der Braunhaarige: „Ja, ich verstehe schon, was du meinst. Wir hatten ja bisher noch keine Gelegenheit mit Aya über Omi zu sprechen, obwohl wir es ihm versprochen haben. Die Aktion vorhin kam vielleicht zu überraschend. Hoffentlich ziehen sich die Beiden deswegen nicht in ihr Schneckenhaus zurück, weil es ihnen peinlich ist.“

Der Ältere nickte ebenfalls. „Das hoffe ich auch, allerdings habe ich die Befürchtung, dass genau das passieren wird. Ich meine, mittlerweile wissen wir schließlich, dass zumindest Aya den Hang dazu hat sofort alles abzublocken sobald sich ihm jemand emotional nähern will.“

„Das stimmt allerdings. Wir sollten wohl umso behutsamer an die Sache heran gehen. Vielleicht sollten wir auch vorerst gar nicht mehr über diesen Vorfall reden“, schlug Ken vor und hob einen der Blumenkübel hoch. „Jetzt sollten wir aber den Laden endlich schließen, sonst kriegen wir noch Ärger mit unserem geliebten Leader.“

„Mit unserem Problemkind trifft es wohl eher“, grinste Yohji und ließ die Rollläden herunter. „Aber wenn Aya von sich aus darauf zu sprechen kommt, müssen wir ja irgend etwas antworten. Warten wir einfach erst einmal ab. Wir sollten nur nicht von uns aus mit der Tür ins Haus fallen.“

Nachdem sie auch die restlichen Kübel verstaut und den Verkaufsraum geschlossen hatten, gingen die beiden Männer in die Küche, wo der Rotschopf bereits das Abendessen vorbereitete.

Der Jüngste der drei Anwesenden wusch sich die Hände und machte sich daran, den Tisch zu decken. Wie beiläufig fragte er: „Nächstes Wochenende ist doch Omis Schulfest. Wie wäre es, wenn wir alle zusammen dort hingehen und einfach mal wieder einen Tag genießen?“

Der Playboy hatte sich währenddessen an den Küchentisch gesetzt und sich eine Zigarette angezündet. „Ich finde die Idee eigentlich ganz gut, wir sollten hingehen. Vorausgesetzt natürlich, Omi hat nichts dagegen sich mit uns dort blicken zu lassen.“

„Er erzählt doch auch vor allen Kunden, wir hätten eine Verabredung gehabt. Warum sollte ihm da ein Schulfest unangenehm sein?“, fragte Aya trocken und rührte schon beinahe aggressiv in der Pfanne herum.

„Ich weiß überhaupt nicht, was daran so schlimm war“, versuchte der honigblonde Mann sein Gemüt zu schlichten. „Er wollte doch bloß, dass die nervende Fragerei aufhört und das hat er ja wohl damit geschafft. Außerdem habe ich ja auch mit dem Gerede von Privatleben und Verabredungen angefangen. Ihm ist vielleicht einfach nichts anderes eingefallen, was er hätte stattdessen sagen können. Wäre es dir lieber gewesen, wenn er die Wahrheit gesagt hätte? Entschuldigt bitte, dass wir gestern nicht für euch da waren, aber wir mussten leider einen bedeutenden Politiker töten, weil der leider nicht das tut, wofür er in sein Amt gewählt wurde. Ich bitte dich, Aya, da ist die Variante mit dem Date doch wohl wesentlich angenehmer.“

Farfarello warf einen vorwurfsvollen Blick auf Schuldig und zog dabei eine Augenbraue nach oben. „Nennt der das etwa behutsam vorgehen und nicht mit der Tür ins Haus fallen? Dein Schützling ist manchmal aber auch wirklich zu dämlich.“

„Er wird schon seine Gründe haben“, verteidigte der Deutsche ihn. „Außerdem hat er doch Recht, die Wahrheit können sie nicht in die Welt hinausposaunen, die Wahrheit würde sie doch gar nicht vertragen. Und dazu kommt, dass Aya angefangen hat.“

„Wovon redet ihr überhaupt?“, fragte Nagi irritiert und blickte zwischen den Beiden hin und her.

Der Ire zuckte beinahe gleichgültig mit den Achseln. „Über deinen Schützling, Omi und das, was er im Laden gesagt hat. Sie wollen die beiden schon seit geraumer Zeit endlich richtig miteinander verkuppeln.“

„Mittlerweile sollte es wohl jedem auffallen, dass die Zuneigung auf Gegenseitigkeit beruht“, warf der Mann mit dem flammend orange Haar ein. „Aber irgendwie scheinen die Beiden es einfach nicht zu bemerken oder sie wollen es einfach nicht sehen.“

Der kleine Japaner schüttelte den Kopf. „So hart darfst du auch nicht sein. Immerhin haben Weiß es nicht leicht, genauso wenig wie wir damals. Auch sie haben viele Schicksalsschläge hinnehmen müssen und an einigen davon waren wir auch nicht gerade unschuldig. Ich kann verstehen, wenn sie da mittlerweile lieber auf Nummer sicher gehen und nichts wirklich an sich heran lassen wollen. Yohji und Ken meinen es sicherlich gut, aber ich glaube, sie werden wenig Erfolg haben.“

„Warum traust du ihnen nicht zu, dass sie Liebesboten spielen können?“, fragte Schuldig. „So unbeholfen sind sie nun auch nicht. Ich würde sagen, Yohji weiß Bescheid, wenn es um Gefühle geht. Auch wenn alle Welt ihn für einen hoffnungslosen Playboy hält.“

„Das bestreite ich ja auch überhaupt nicht“, wehrte der braunhaarige Junge ab. „Ich traue es den Beiden schon zu, aber Aya ist niemand, der bei Verkupplungsversuchen mitspielen würde. Mittlerweile hatte ich schließlich genug Zeit ihn zu beobachten und kennen zu lernen. Er kommt mit solchen Dingen einfach noch nicht zurecht, er weiß einfach nichts davon, das muss er erst lernen. Vielleicht wäre Omi daher das Beste, was ihm passieren könnte. Aber solange er das selber nicht einsieht und sich selbst belügt, wird auch niemand anders etwas daran ändern können.“

„Das hört sich wirklich so an, als hättest du dich sehr mit dem Thema auseinandergesetzt“, merkte Farfarello an.

Ein verlegenes Lächeln schlich sich auf Nagis Lippen. „Das bleibt ja nicht aus. Was bleibt mir denn nachts anderes übrig, als seine Schubladen zu durchsuchen und alte Briefe und Karten sowie seine selbst geschriebene Prosa zu lesen?“

„Du schnüffelst in seinen Privatangelegenheiten herum?“, hakte der Deutsche nach. „Ich wusste ja, dass du manchmal neugierig bist. Aber so neugierig? Ich bin stolz auf dich.“

Lachend zerwuschelte er dem Jüngeren die Haare, der das allerdings alles andere als witzig fand.
 

Am späten Abend traf Xen allein in dem Herrenhaus ein und bereits von der Straße aus hatte er gesehen, dass beinahe in allen Fenstern Licht brannte und scheinbar Hochbetrieb herrschte. Ein volles Haus störte ihn nicht weiter, er war bloß hierher gekommen, um nach einem Auftrag zu fragen und sich vielleicht selbst auch ein wenig Spaß zu gönnen.

Mit langen Schritten ging er direkt auf das Büro von Frau Takehito zu, klopfte an und wartete, bis er hereingebeten wurde. Wie er sehen konnte, war die ältere Dame alleine in dem Büro und beschäftigte sich wiedereinmal mit ihrem Computer. Manchmal fragte sich der grünhaarige Mann, ob Leute, die den ganzen Tag vor dem Bildschirm verbrachten, tatsächlich arbeiteten oder ob sie lediglich im Internet surften oder sich die Zeit mit Computerspielen vertrieben. Er konnte sich kaum vorstellen, dass es tatsächlich so viel Arbeit am PC zu erledigen gab, er war eher praktisch veranlagt.

„Was tust du hier?“, fragte die Frau hinter dem Schreibtisch, als sie aufschaute. „Ich habe euch nicht herbestellt.“

„Ich bin ja auch alleine“, entgegnete der junge Mann salopp und ließ sich auf das Sofa an der Wand fallen. „Eigentlich wollte ich nur Unseens Katzenmusik entkommen und dachte mir, ich könnte auch direkt einmal vorbeischauen, ob es Arbeit gibt.“

„Da hättest du auch einfach anrufen oder eine E-Mail schicken können“, entgegnete Takehito trocken. „Aber vielleicht gibt es da wirklich etwas, was du übernehmen kannst. Kawaguchi hat heute Mittag wegen dem Vorfall von gestern mit mir geredet.“

Xen zog eine Augenbraue nach oben. „Was hatte dieser widerwärtige, fette Kerl jetzt wieder daran auszusetzen? Es lief alles nach Plan und wunderbar glatt, perfekter hätte es nicht sein können.“

„Hüte deine Zunge“, ermahnte die ältere Dame ihn. „Noch ist dieser Mann für uns von unschätzbarem Wert. Ohne ihn hätten wir nach dieser Katastrophe direkt einpacken können.“

„Sie konnten diese drei Oberbonzen nicht ausstehen, habe ich Recht?“, feixte der grünhaarige Mann und machte es sich noch ein wenig bequemer. „Ist ja auch verständlich, die haben ziemlich viel Mist gebaut.“

Die Japanerin schüttelte den Kopf. „Du solltest wirklich etwas an deiner Ausdrucksweise feilen. Aber es ist ja wohl kein Geheimnis, dass ich mit den Methoden der ehemaligen Vorsitzenden unserer Organisation nicht einverstanden war. Außerdem war dieser okkulte Humbug nichts weiter als reine Zeit- und Geldverschwendung. Geherrscht wird heutzutage anders. Im Prinzip sollten wir dann Weiß und Schwarz wohl für die Beseitigung dieses Fehlers in gewisser Weise Dankbarkeit zollen. Aber wir wollen es ja auch nicht übertreiben, es reicht vollkommen, wenn sie für uns Mittel zum Zweck sind. Schwarz hat ja bereits die Früchte unserer Dankbarkeit geerntet.“

Ein schallendes Lachen entrann der Kehle des Auftragsmörders. „Das ist wohl wahr. Bei uns bekommt jeder das, was er verdient. Also kommen wir noch mal zu diesem Kawaguchi zurück. Was genau will er denn?“

„Was soll er schon großartig wollen? Weiß natürlich, einer von ihnen hat es ihm angetan“, erklärte Takehito kühl. „Ihr sollt ihn beschaffen. Wie ist mir vollkommen egal, Hauptsache, er ist lebendig, wenn ihr ihn abliefert.“

„Gut, wollen wir das jetzt direkt bereden oder sollen die anderen noch hierher kommen und zur Auftragsbesprechung erscheinen?“, fragte Changeling und betrachtete dabei seine Fingernägel.

„Das ist mir gleich, du kannst ihnen die Order auch überbringen.“

„Noch besser. Also wen sollen wir ihm herbei schaffen? Wo und wann wäre es ihm am liebsten?“, fragte der Mann weiter.

Die ältere Dame verzog die Lippen zu einem kalten, spöttischen Lächeln. „Ihm wäre es wohl sofort am Liebsten. Aber ich habe andere Pläne, ihr könnt euch ruhig ein wenig Zeit lassen und auf eine günstige Gelegenheit warten. Ich habe es nicht nötig, sofort zu springen, wenn er etwas will, auch, wenn er wichtig ist. Allerdings will ich die kommenden Tage und Wochen noch intensiv zur Vorbereitung unserer kleinen Präsentation nutzen und dafür brauche ich ihn. Ablenken mit neuen Spielzeugen kann er sich dann immer noch. Übrigens wird Weiß wohl auch ziemlich in Bedrängnis geraten, wenn die Polizei auf ihre Spur kommen sollte, es könnte amüsant werden, das mitzuverfolgen.“

„Ich denke nicht, dass Weiß sonderliche Probleme mit der Polizei bekommen. Sie gehen sehr professionell und vorsichtig in diesen Dingen um“, gab der grünhaarige Mann zu bedenken. „Aber es macht immer wieder Spaß mit ihnen zu spielen.“

„Warten wir es ab, wir haben schließlich Zeit und die Fäden in der Hand.“
 

Innerhalb der nächsten Tage wurde in allen Medien über den Leichenfund im Hilton Hotel berichtet. Die endgültige Identifizierung der Leiche durch Angehörige und eine DNA-Analyse erfolgte bereits nach einigen Tagen. Schnell verbreitete sich die Nachricht, dass der Verteidigungsminister Hiroshi Kawaguchi ermordet in seinem Hotelzimmer aufgefunden wurde.

„... Die Polizei konnte am Tatort keine Spuren sichern, die auf den oder die Täter hinweisen. Der genaue Tathergang konnte jedoch anhand der Wunde rekonstruiert werden. Bei der Mordwaffe muss...“

Aya schaltete den Fernseher aus uns sah besorgt aus dem Fenster.

„Was hast du denn, Aya-kun?“, fragte Omi vorsichtig nach.

„Du hast es doch gehört. Die Polizei sucht nach uns.“

Der blonde Junge nickte. „Aber das tun sie doch schon seit Jahren. Und haben sie je eine Spur gefunden, die sie zu uns führt? Früher hat Perser zwar alles verwischt, aber seit seinem Tod haben wir doch bisher alles auch gut selbst gemeistert. Mach dir keine Sorgen, ich bin sicher, dass man uns nicht entlarven wird.“

Der Rotschopf seufzte leise. „Hoffentlich hast du Recht.“

Mit diesen Worten verließ er das Wohnzimmer und zog sich in seine eigenen vier Wände zurück. Er konnte Omis Anwesenheit in den letzten Tagen nicht lange ertragen, wenn sie alleine waren. Immer wieder musste er an den Vorfall im Blumenladen denken und war sich einfach nicht sicher darüber, wie er weiter reagieren sollte.
 

Weiß hatten sich letztendlich doch darauf geeinigt gemeinsam das Schulfest zu besuchen, obwohl Aya und Omi sich in den letzten Tagen, wann immer es ging, aus dem Weg gegangen waren. Der blonde Junge entschuldigte es immer damit, dass er noch für seine Führerscheinprüfung oder für die Schule lernen musste. Erstere Ausrede nahm ihm nicht wirklich jemand ab, da er seine Theorieprüfung bereits hinter sich gebracht und fehlerfrei bestanden hatte und man für die praktische Prüfung ohne Auto nur schwerlich lernen konnte. Der Weiß-Leader machte sich nicht einmal die Mühe, Ausreden zu erfinden, von ihm war man es schließlich mittlerweile gewohnt, dass er sich einfach zurückzog und alleine vor sich hin brütete.

Ken und Yohji erhofften sich von diesem Tag, dass die Atmosphäre wieder etwas entspannter wurde und einer von ihnen endlich versuchen konnte, mit dem Rotschopf wegen Omi zu reden. Sie konnten einfach nicht länger mit ansehen, wie er unter der unterkühlten Distanz litt.

Mit Ayas Porsche fuhren die vier jungen Männer zu Omis Schule und sahen sich einer nicht geahnten Parkplatzknappheit gegenüber, die sie zwang eine Viertelstunde um das Gebäude herum zu fahren und die angrenzenden Straßen nach einer freien Parklücke abzusuchen.

„Ich habe doch gesagt, wir hätten früher losfahren sollen“, seufzte Omi und sah dabei zu, wie ein anderes Auto ihnen einen Parkplatz vor der Nase wegschnappte.

„Wir hätten ja auch pünktlich losfahren können“, meinte der Weiß-Leader kühl, „wenn ein gewisser Herr Kudou nicht wieder Stunden im Badezimmer gebraucht hätte.“

Entrüstet zog der Playboy scharf die Luft ein. „Schönheit hat eben ihren Preis. Ich kann ja nichts dafür, dass ihr mich nicht eher geweckt habt. Ihr wisst doch, dass ich von dem Wecker allein nicht wach werde.“

Der braunhaarige Japaner zog eine Augenbraue nach oben. „Ich habe dich eher geweckt. Über eine ganze Stunde etwa neun oder zehn Mal bis du endlich deinen Luxuskörper aus den Kissen bequemt hast.“

„Könnt ihr bitte aufhören zu streiten? Ich kann mich nicht auf den Verkehr konzentrieren“, unterbrach der Rotschopf schneidend diese Unterhaltung und merkte nur noch aus dem Augenwinkel, dass er soeben an einer Parklücke vorbei gefahren war.

„Da hättest du gerade parken können“, gab der ehemalige Fußballer dazu seinen überflüssigen Kommentar ab.

Aya umklammerte das Lenkrad und zischte: „Ja, ich weiß es. Aber ich kann nicht wenden, das ist eine Einbahnstraße und außerdem hat sie uns der Wagen hinter uns schon weggeschnappt.“

Die anderen Drei befanden es für besser, ab jetzt den Mund zu halten, um den Mann mit den amethystfarbenen Augen nicht noch mehr aufzuregen. Sie hofften nur, dass er sich baldmöglichst wieder beruhigte, denn ansonsten war ihr Vorhaben, die angespannte Atmosphäre wieder etwas zu lockern, wohl zum Scheitern verurteilt.

Nach einigen weiteren Minuten hatten sie endlich eine Parkmöglichkeit ergattert und sofort besetzt. Durch dieses kleine Erfolgserlebnis hellte sich auch die Laune des Weiß-Leaders ein wenig auf.

Allerdings murrte er immer noch ein wenig griesgrämig vor sich hin: „Wo kommen bloß diese ganzen Autos her, hier ist es doch sonst nicht so voll. Kaum zu glauben, dass auf einem Schulfest so viele Leute sein sollen.“

„Nun ja, wenn von jedem Schüler mindestens die Eltern und dann wahrscheinlich auch noch die Geschwister mitkommen, kommen da halt schon ziemlich viele Leute zusammen“, meinte der blonde Junge kleinlaut und betrat mit seinen Freunden das Schulgelände.

Ken pfiff zwischen den Zähnen hindurch als er sich umsah, während sie über den Hof spazierten. „Ist ja schon ziemlich viel los hier. Was gibt es denn an diesen vielen Ständen hier?“

„Jede Klasse macht halt etwas für das Schulfest. Ein paar Klassen verkaufen Snacks und Getränke. Bei anderen gibt es dann sogar ein paar kulinarische Spezialitäten, wie zum Beispiel französische Crêpes, deutsche Brezeln oder amerikanische Muffins. Außerdem wurden ein paar Wettbewerbe vorbereitet wie Sackhüpfen, Dreibeinlauf und sogar eine Schulrallye“, erklärte Omi. „Unsere Klasse hat einen Sketch vorbereitet, der zusammen mit einigen anderen Darbietungen in der Aula aufgeführt wird. Ich konnte mich zum Glück darum drücken, weil ich schließlich in einem Blumenladen arbeiten muss, um meinen eigenen Unterhalt zu verdienen und mich auf meine Führerscheinprüfung vorbereiten muss.“

„Wann soll denn dieses ominöse Konzert stattfinden, von dem du uns erzählt hast?“, fragte Yohji und steckte sich eine Zigarette in den Mundwinkel.

„Heute Mittag um zwölf Uhr. Wollen wir uns das zusammen ansehen? Es ist keine Pflicht.“

Der Rotschopf nickte. „Ja, das werden wir. Ein wenig Kultur kann diesen beiden Banausen gar nicht schaden. Außerdem vermute ich, dass die anderen von Mißgunst auch hier sind, wenn dieser Phuong schon hier ist.“

„Wir sind keine Banausen“, wehrte Ken ab. „Zumindest ich bin keiner, mit Yohji könntest du schon Recht haben.“

„Hat er nicht!“, redete der honigblonde Mann dazwischen. „Mit dieser Mißgunstsache allerdings schon. Aber ich glaube kaum, dass wir hier Probleme mit ihnen bekommen werden. Sie können hier wohl schließlich kaum ein Massaker anrichten.“

Der Jüngste der kleinen Gruppe nickte zustimmend. „Davon gehe ich eigentlich auch nicht aus, das entspricht nicht ihrem Stil, zumindest bisher nicht. Aber direkt suchen sollten wir sie nicht, wenn ihr mich fragt. Eine Konfrontation müssen wir ja nun doch nicht unbedingt provozieren.“

„Genau“, pflichtete der ehemalige Torwart bei. „Also lasst uns einfach nicht mehr davon reden, sondern den Tag genießen. Feste sind dazu da, um Spaß zu haben. Wenn wir ihnen über den Weg laufen, dann reagieren wir einfach nicht, sondern tun so, als würden wir sie nicht kennen. Das ist, denke ich, die beste Lösung.“

Da die anderen drei Männer im Grunde genommen derselben Meinung waren, schlenderten sie gemeinsam über das Schulgelände und besahen sich, was alles angeboten wurde.
 

Als es auf die Mittagszeit zuging, strömten immer mehr Menschen in das Schulgebäude und in die Aula. Weiß taten es ihnen gleich und ergatterten noch einige Sitzplätze in der Mitte der Halle.

Mißgunst waren ebenfalls anwesend, saßen allerdings weit vorne, damit sie Phuong gut im Blickfeld hatten. Payakootha jubelte seinem Freund bereits überschwänglich zu und achtete überhaupt nicht auf die tadelnden Blicke der um sie herum sitzenden Personen.

Pünktlich um zwölf Uhr trat der Schülersprecher auf die Bühne und hinter das Standmikrofon in deren Mitte.

„Guten Tag meine Damen und Herren, liebe Mitschüler und Lehrer, verehrtes Publikum“, begrüßte der Junge aus der Oberstufe die Zuhörer.

Daraufhin folgte eine lange Rede über die Notwendigkeit des Lernens, das Engagement des Schuldirektors und das Schulfest zur Feier seines Geburtstages. Nachdem er im Namen aller Schüler und Lehrer nochmals herzlichst gratuliert hatte, kündigte er endlich das eigens für diesen Tag zusammengestellte Orchester und die einzelnen Solisten an. Er verbeugte sich höflich und verließ begleitet von Beifall die Bühne.

Als das Licht gedämmt wurde, verstummten auch die klatschenden Hände und einige Lichtspots wurden auf das Orchester gerichtet. Mit sanften Klängen wurde das Geburtstagsständchen eingeleitet, was bald darauf in ein klassisches Meisterwerk überging und das Publikum in seinen Bann zog.

Xen lehnte sich in seinem, wie er fand sehr unbequemen, Stuhl zurück, schlug die Beine übereinander und verschränkte die Arme vor der Brust. Für diese Art von Musik hatte er eigentlich überhaupt nichts übrig, für gewöhnlich hörte er lieber alles andere was laut war und rhythmische Beats hatte. Weshalb er sich hierzu hatte überreden lassen, konnte er nicht einmal mehr ganz nachvollziehen, wahrscheinlich bloß, um ausnahmsweise einmal noch mehr Ärger mit den anderen Dreien aus dem Weg zu gehen. Immer wieder warf er einen ungeduldigen Blick auf die Uhr und fragte sich, wann diese Tortur endlich vorüber sein würde.

Yukio und Payakootha hingegen genossen die Musik und klatschten begeistert mit den anderen Anwesenden im Saal, als Phuong alleine in die Mitte der Bühne trat und das Rampenlicht nur auf ihn gerichtet wurde.

Der junge Vietnamese legte die Violine an sein Kinn und brachte den Bogen in die Ausgangsstellung. Erst als es wieder ganz still im Publikum wurde, begann er damit, die Sehne kraftvoll über die Saiten zu streichen.
 

Nach dem kleinen Konzert verließen die Gäste den Saal wieder. Nur vereinzelt blieben noch einige Eltern zurück, um ihre Kinder für ihren Auftritt zu loben. Auch Mitschüler gratulierten den Musikern und sprachen ihre Begeisterung aus.

Phuong wurde ebenfalls bereits erwartet und Payakootha umarmte ihn überschwänglich. „Du warst absolute Spitzenklasse, besser als alle anderen.“

„Danke“, meinte der Kleinere. „Aber darum durfte ich ja auch ein Solo spielen.“

„Aber du warst auch besser, als die anderen Solisten“, beteuerte der Junge indianischer Abstammung.

„Sind wir dann hier fertig und können wieder nach Hause gehen?“, unterbrach Xen ungeduldig die Lobsagungen. „Ich fange an mich zu langweilen.“

Yukio schüttelte den Kopf. „Nein, heute bleiben wir ausnahmsweise so lange hier, wie Phuong es möchte. Er hat es sich verdient, heute einmal den Tagesablauf zu bestimmen und du hast versprochen mitzukommen und alles über dich ergehen zu lassen.“

„Versprochen? Gezwungen hast du mich!“, protestierte der grünhaarige Mann energisch.

„Schrei doch noch lauter, auf Hokkaido kann man dich noch nicht hören. Du bist manchmal so peinlich, Xen!“, echauffierte sich der Shawnee und wandte sich dann wieder an den Jüngeren. „Willst du denn noch hier bleiben? Ich habe gesehen, dass draußen noch Wettbewerbe gemacht werden. Sollen wir da nicht mitmachen? Das wird bestimmt lustig.“

Der Kleinste der Gruppe nickte bloß. „Ja, haben wir einfach noch ein bisschen Spaß, so haben wir auch einmal etwas Abwechslung.“

„Klasse!“, jubelte Payakootha, ergriff die Hand seines Freundes und lief mit ihm auf den Schulhof.

Yukio schüttelte den Kopf und folgte ihnen zusammen mit dem Zweitältesten in gemäßigtem Schritt. „Manchmal frage ich mich, wo die Beiden diese Energie und Unbeschwertheit hernehmen.“

„LSD“, kommentierte Xen trocken mit einem breiten Grinsen im Gesicht und steckte die Hände in die Hosentaschen.
 

„Ken-kun?“, fragte der blonde Junge gedehnt und zupfte dem Älteren am Ärmel. „Mach wir bei dem Dreibeinlauf mit? Das macht bestimmt Spaß.“

Der ehemalige Torwart besah sich die Strecke, auf der sich bereits einige andere Besucher abmühten mit zusammengebundenen Beinen im Gleichschritt das Ziel zu erreichen. „Warum fragst du nicht Aya? Mit ihm würdest du das doch bestimmt lieber machen.“

„Schon, aber der würde von Anfang an ‘Nein‘ sagen. Außerdem hat er noch längere Beine als du und würde daher zu große Schritte für mich machen“, erklärte Omi mit einem Lächeln. „Wenn wir zusammen laufen ist die Chance geringer, dass wir ebenso im Matsch landen, wie die anderen Leute.“

„Na gut, melden wir uns für den nächsten Lauf an“, stimmte der braunhaarige Mann zu und lies sich von dem kleineren Japaner mit zu dem Anmeldestand ziehen.

Die beiden anderen Weiß-Mitglieder folgten ihnen und blieben an der Abgrenzung stehen.

„Kann man dabei etwas gewinnen?“, fragte Yohji und hoffte von irgendjemanden eine Antwort zu bekommen.

Der Jüngste von ihnen schüttelte mit dem Kopf. „Nein, hierbei nicht. Das soll lediglich Spaß machen. Aber heute Nachmittag gibt es noch eine Schulrallye quer durch das Schulgebäude und da kann man einen Gutschein vom Computerladen im Einkaufszentrum gewinnen. Ich wollte euch auch noch fragen, ob ihr da mit mir zusammen mitmachen würdet, ich könnte nämlich so langsam einen neuen Monitor gebrauchen.“

„Kann man denn in Gruppen teilnehmen?“, fragte der Rotschopf skeptisch.

„Ja, das geht, aber dann wird der Preis halt geteilt. Ich hatte gehofft, ihr würdet dann auf euren Anteil verzichten, schließlich brauche ich den Monitor ja auch zum Arbeiten“, meinte der blonde Junge und setzte seine geübte Unschuldsmiene auf.

„Aber natürlich kannst du dir dann einen neuen Monitor kaufen“, stimmte Ken voreilig zu. „Vorausgesetzt, der Gutschein deckt den Betrag auch ab.“

„Wenn es nicht reicht, könnt ihr mir den Rest ja zum Geburtstag schenken“, schlug Omi freudestrahlend vor.

Der honigblonde Mann runzelte skeptisch die Stirn. „Und was ist, wenn wir schon etwas anderes für dich haben? Kann man sich dann nur mit einem kleinen Teil beteiligen?“

„Du hast schon ein Geschenk gekauft?“, fragte der ehemalige Torwart neugierig. „Was denn für eins?“

Mit vehementem Kopfschütteln wehrte der Playboy ab. „Das werde ich euch jetzt bestimmt nicht sagen, sonst ist doch die ganze Überraschung hinüber.“ Dann ließ er seinen Blick zu dem Kleinsten von ihnen wandern. „Und komm bloß nicht auf die Idee mein Zimmer danach zu durchsuchen, dort ist es nicht versteckt.“

„Als würde ich so etwas machen. Was denkst du bloß von mir, Yohji-kun?“

Dieser zuckte lediglich mit den Achseln. „Das du manchmal halt neugierig bist. Außerdem denke ich, dass ihr beide jetzt dran seid.“

Mit diesen Worten deutete er auf die Startlinie, wo nur noch ihr Platz frei war und man bereits auf Ken und Omi wartete. Eilig gingen sie auf ihren Platz und eine Schülerin band ihnen mit Paketschnur die Knöchel zusammen. Die Beiden warfen noch einen prüfenden Blick auf ihre Konkurrenten, als auch schon eine Pistole mit Platzpatronen zum Start abgefeuert wurde.

Brad und Farfarello bemühten sich, damit ihre Schützlinge nicht sofort der Länge nach hinfielen und aus dem Rennen ausschieden, was sich allerdings zunächst als schwierig darstellte, da die Beiden Probleme damit hatten, den gleichen Rhythmus zu finden. Nach einigen Schritten war das Gleichgewicht jedoch hergestellt und die Jungen liefen zielstrebig auf die Ziellinie zu.

Die beiden Älteren Weiß-Mitglieder standen hinter der Absperrung und sahen dem Wettrennen zu. Während Yohji seine Freunde lautstark anfeuerte, verschränkte Aya nur die Arme vor der Brust und sah dem Treiben mehr oder minder skeptisch entgegen. Viele der Läufer vielen bereits auf der ersten Hälfte der Rennstrecke mehrmals in den Schmutz und einige von ihnen schafften es trotz aller Anstrengungen nicht, sich wieder dem Rennen anzuschließen. Der Blick des Rotschopfs schweifte wieder zu Omi und Ken, die im Augenblick das Feld anführten. Zwei junge Männer, etwa im gleichen Alter, waren ihnen jedoch dicht auf den Fersen und überholten sogar, so dass sie als erste ins Ziel gelangten.

Der Weiß-Leader versteifte sich und legte eine Hand auf den Arm des älteren Mannes neben sich. „Sieh dir die beiden Gewinner bitte einmal genau an. Kommen sie dir nicht irgendwie bekannt vor?“

Der Playboy tat wie ihm geheißen und musterte die beiden Jungen. Dann nickte er. „Ja, sehr bekannt. Vielleicht können wir sie ja noch ignorieren.“

„Ich hoffe es.“

Die beiden jüngeren Weiß-Mitglieder indes wollten den Gewinnern dieses Rennens gratulieren und reagierten ebenso überrascht wie ihre Teammitglieder. Dieses lange, beinahe weiße Haar war unverwechselbar und eine solche Tätowierung, wie sie der Braunhaarige trug, war ebenfalls nicht alltäglich.

Ohne sich jedoch sein Unbehagen anmerken zu lassen, ging der blonde Junge direkt auf die Beiden zu und strecke ihnen die Hand entgegen. „Herzlichen Glückwunsch zu eurem Sieg, das war ein gutes Rennen.“

Payakootha und Phuong schienen im ersten Augenblick ebenfalls ein wenig verwirrt zu sein. Auch sie hatten nicht wirklich auf die anderen Leute um sie herum geachtet und hauptsächlich kannten sie Weiß schließlich nur in ihrer Arbeitskleidung.

Zögerlich nahm der Vietnamese die angebotene Hand und schüttelte sie langsam. „Ja, scheint so, als hätten wir euch wohl wieder einmal besiegt.“

Farfarello warf einen kurzen, fragenden Blick zu Brad. „Hast du vielleicht irgendeine Vision, wie das hier ausgeht? Einen offenen Kampf werden sie doch hoffentlich vermeiden.“

„Ja, zwischendurch hatte ich eine Vision, aber nicht von einem Kampf, da kann ich dich beruhigen. Allerdings werden Weiß diese Niederlage nicht auf sich sitzen lassen, auch wenn es nur ein Spiel ist. Bei der Schulrallye wollen sie gegeneinander antreten, obwohl ich persönlich das für ziemlich übertrieben halte, das hier hat doch nichts mit ihrer Rivalität auf Missionen zu tun“, meinte der Amerikaner schlicht.

„Solche Worte aus deinem Munde?“, fragte der Einäugige erstaunt. „Ich glaube, du gehörst doch auch zu den Personen, die letztendlich keine Gelegenheit mehr ausgelassen hätten Störenfriede, die sich ungefragt einmischen, aus dem Weg zu räumen.“

Der Schwarz-Leader zuckte gleichgültig mit den Achseln. „Meinungen ändern sich.“

Auch Payakootha ließ sich von den beiden Weiß-Mitgliedern gratulieren und bedankte sich für den fairen Wettkampf.

In diesem Moment bemerkte Brad etwas und es fiel ihm auf einmal wie Schuppen von den Augen, was er bei der letzten Mission übersehen hatte. „Natürlich, die Tätowierung“, murmelte er leise. „Warum habe ich das nicht sofort erkannt?“

„Was erkannt? Was soll mit der Tätowierung von diesem Kerl sein?“, hakte der Ire nach, um herauszubekommen, was der andere meinte.

„Ich hatte bei der letzten Mission einige undeutliche Visionen, ich weiß nicht, warum ich sie nicht genau interpretieren konnte, davon habe ich euch doch erzählt. Aber etwas war mit diesem Bodyguard faul und jetzt weiß ich auch was, es war eindeutig jemand von Mißgunst, vielleicht sogar zwei verschiedene“, erklärte der Brillenträger. „Die Tätowierung von dem Bodyguard, der Kawagushi in der Limousine begleitet hat und von dem Mann, der ihn zu seinem Zimmer gebracht hat, war ein wenig anders. Diese Verzierungen am Hals waren nicht so stark ausgeprägt, was bedeutet, es kann nicht dieselbe Person gewesen sein, obwohl sie ansonsten so aussah.“

Farfarello lauschte den Ausführungen aufmerksam und nickte dann langsam. „Aber du bist dir auf jeden Fall sicher, dass dieser Spirit mit dabei war.“

„Ja, mehr als sicher sogar. Aber ich ärgere mich, weshalb ich das erst jetzt erkenne“, meinte der schwarzhaarige Mann. „Was haben Mißgunst bei der letzten Mission von Weiß zu suchen gehabt? Sie haben nicht angegriffen oder im Entferntesten versucht Weiß an ihrem Vorhaben zu hindern.“

„Vielleicht wollten sie sicher gehen, dass unsere Schützlinge ihren Auftrag auch auf jeden Fall hundertprozentig ausführen“, mutmaßte der Mann mit der Augenklappe. „Vielleicht hatten sie ausnahmsweise das gleiche Ziel.“

Brad schüttelte langsam den Kopf. „Ich weiß es nicht, aber irgendetwas sagt mir, dass mehr dahinter steckt. Warum sollten sie auf halbem Weg in die Suite die Besetzung tauschen? Das ergibt doch irgendwie überhaupt keinen Sinn.“

„Es ergibt eben nicht immer alles Sinn auf dieser Welt, das solltest du wissen“, warf der Ire achselzuckend ein. „Auch Gott macht alles was sie will, nur zu ihrem Vergnügen, das hat keinen tieferen Sinn.“

Ohne sich weiter aneinander aufzuhalten, trennten sich die vier Wettläufer wieder und gingen jeweils zum Rest ihrer Gruppe zurück. Dieser kleine Zwischenfall sollte ihnen nicht den Tag verderben.
 

Am Nachmittag meldete Omi sich zusammen mit seinen Freunden für die Schulrallye an und vor dem Start gab einer der an der Organisation beteiligten Schüler am Haupteingang des Schulgebäudes noch letzte Instruktionen.

„An verschiedenen Orten im Schulgebäude befinden sich jeweils ein Puzzleteil für die Lösung des finalen Rätsels sowie ein Hinweis, wo man das nächste Puzzleteil findet. Die Hinweise sind selbstverständlich verschlüsselt und man muss ein wenig Knobeln, um den Sinn herauszufinden, es soll ja auch nicht zu einfach werden. Die Puzzlestücke bestehen aus lateinischen Buchstaben, die ihr jeweils zusammen mit der Hinweisaufgabe an Tafeln, Flipcharts oder Pinwänden findet. Jeder Teilnehmer bekommt einen Notizblock und einen Stift von uns ausgehändigt, andere Hilfsmittel sind nicht zugelassen. Außerdem bekommen jetzt alle einen Umschlag ausgehändigt, in dem die erste Station beschrieben ist, sowie ein kleines Rätsel zum Aufwärmen, dessen Lösung ihr unseren beiden Türstehern mitteilen müsst, damit ihr überhaupt das Gebäude betreten könnt. Bei einem Mitbewerber lauschen hat übrigens keinen Sinn, da die erste Aufgabe für alle verschieden ist. Bei einer falschen Antwort bekommt der Teilnehmer fünf Strafminuten und muss so lange warten, bis er es noch einmal versuchen darf. Ich hoffe, ihr habt alle viel Spaß bei der Rallye. Die Umschläge dürfen jetzt geöffnet werden.“

Der blonde Junge riss seinen Umschlag auf und holte den Zettel, der darin steckte, hervor. Er hielt ihn so, dass die anderen über seine Schulter mit lesen konnten. Der Klassenraum war benannt und darunter stand ein Rätsel, das Omi noch einmal leise vorlas. „Was geht auf und ab, bewegt sich jedoch nie?“

Die Antwort war schnell gefunden und so teilte das jüngste Weiß-Mitglied dem Schüler, der die Teilnehmer in das Gebäude einließ mit, dass es sich bei ihrer Lösung um eine Treppe handelte. Daraufhin durften Weiß in die Schule hinein und der Jüngste von ihnen rannte sofort vor zum ersten Klassenraum, der noch unverschlüsselt auf der Notiz gestanden hatte. An der Tafel waren wie angekündigt auf der einen Seite ein Puzzleteil aufgemalt, in dem einige lateinische Buchstaben standen und die sofort auf den Block geschrieben wurden. Auf der anderen Seite stand eine mathematische Gleichung, vor der Aya, Ken und Yohji direkt kapitulieren mussten. Der kleinste Japaner hingegen hatte bei dieser Aufgabe noch keine Probleme, sie zu lösen und führte sein Team eilig zum nächsten gesuchten Raum. So verfuhren sie auch mit den weiteren Räumen und hatten sich bald einen großen Vorsprung erarbeitet.

Mißgunst nahmen allerdings auch an dieser Rallye teil, Phuong war ebenfalls der Meinung den Preis sehr gut gebrauchen zu können. Auch sie hatten kaum Probleme mit den gestellten Aufgaben, vermieden es jedoch vorerst, Weiß über den Weg zu laufen. Erst als es nach einer Reihe von Puzzleteilen hieß, dass im nächsten Raum der Schlüssel wartete, schlossen sie zu Weiß auf und betraten kurz nach ihnen den Raum.

„Das soll ein Schlüssel sein?“, fragte Ken gerade, als er das Buchstabengewirr an der Tafel betrachtete.

„Wenn da steht, dass es einer ist, dann wird es auch schon so sein“, frotzelte Payakootha. „Denkt nicht zu lange darüber nach, sonst schlagen wir euch dieses Mal womöglich schon wieder.“

Da der kleine Vietnamese den Text bereits abgeschrieben hatte, verließ seine Gruppe den Raum auch schon wieder. Jetzt musste sogar er erst einmal darüber nachdenken, was er mit diesem Buchstabensalat anfangen sollte.

„Soll ich vielleicht mal bei den anderen Gruppen nachforschen, ob schon jemand die Lösung hat?“, bot der Junge indianischer Abstammung an.

Phuong lehnte allerdings ab. „Nein, wir sollen das ehrlich lösen. Und ich glaube, das bekomme ich schon noch hin. Ich denke, Bombay kommt auch nicht so schnell auf das Ergebnis.“
 

Auch Weiß zogen sich zunächst einmal in eine stille Ecke zurück, um über das Rätsel nach zu denken.

„Vielleicht ist das wieder eine mathematische Gleichung, nur viel komplexer als die anderen“, grübelte Omi laut über die Aufgabe nach. „Eventuell muss man diese kleine Gleichung ’Q-J=7’ in Relation zu den anderen Buchstaben setzen. Was meinst du dazu, Aya-kun?“, fragte er und reichte den Zettel weiter.

„Oder man muss die Buchstaben einfach in eine neue Reihenfolge bringen, bis sie einen Sinn ergeben“, mutmaßte der Weiß-Leader und betrachtete das Stück Papier in seiner Hand.

„Du meinst, wie beim Scrabble?“, hakte der ehemalige Torwart nach. „Darin bin ich überhaupt nicht gut, ihr schlagt mich immer.“

„Was glaubst du, was das zu bedeuten hat, Nagi?“, fragte Schuldig. „Wenn wir die Lösung wissen, kann ich sie an Yohji weiter geben.“

Der kleine Japaner schüttelte allerdings den Kopf. „Es tut mir Leid, aber ich kann damit leider auch nichts anfangen. Es könnte wieder etwas mit Mathematik zu tun haben, so wie Omi schon sagte. Allerdings bin ich mir auch nicht sicher, ich muss noch ein wenig darüber nachdenken.“

„Mir sagt das jetzt auf Anhieb auch nichts“, meinte Brad und rückte seine Brille zurecht. „Ich habe auch schon viele Verschlüsselungen gesehen, aber die meisten dann mit Hilfe von Büchern gelöst. Es gibt so viele Arten von Codes, die kann man überhaupt nicht alle auswendig lernen.“

„Was denn? Mich braucht ihr überhaupt nicht so anzusehen. Ich habe von diesen Dingen noch weniger Ahnung als ihr alle zusammen“, wehrte Farfarello ab, als die Blicke letztlich alle auf ihm ruhten.

„Lasst mich doch auch mal sehen.“ Yohji riss dem Rotschopf den Zettel aus der Hand und schaute sich kurz an, was darauf geschrieben stand. Schon nach einem kurzen Moment hellte sich seine Miene auf und er lachte laut auf. „Das hat überhaupt nichts mit Mathematik zu tun und noch weniger mit Scrabble.“

„Natürlich hat es das“, meinte Ken und deutete auf die Notiz am unteren Rand des Blattes. „Ich finde, dass sich ’Q-J=7’ durchaus nach einer mathematischen Formel anhört.“

Omi nickte. „Ich glaube auch, dass Ken da Recht hat. Wir müssen halt die Formel lösen.“

Der Playboy schüttelte vehement den Kopf. „Nein, es ist keine Formel. Es hat zwar ein bisschen mit Mathematik zu tun, aber es ist ein Code, verschlüsselt durch Kryptographie. Gebt mit mal bitte einen leeren Zettel und einen Stift, dann zeig ich euch, wie man es löst.“

„Da bin ich aber mal gespannt“, meinte der blonde Junge und reichte dem Älteren das Gewünschte.

Sofort fing dieser an das lateinische Alphabet darauf zu schreiben. Darüber nummerierte er die Buchstaben von A bis Z mit den arabischen Ziffern von eins bis sechsundzwanzig. Darunter schrieb er die Zahlen in umgekehrter Reihenfolge von fünfundzwanzig bis null. Dann runzelte er die Stirn und meinte beiläufig: „Ach die unteren Zahlen brauche ich gar nicht, die haben die simple Variante benutzt.“

Die anderen drei Weiß-Mitglieder sahen ihm interessiert über die Schulter, als er anfing die scheinbar vollkommen zusammenhanglos zusammengewürfelten Buchstaben in sinnvolle Worte zu verwandeln.

Stolz präsentierte der honigblonde Mann sein Ergebnis. „Wie ihr seht ergibt ZPTWRHJUXPYQV mit dem Schlüssel GMLBFDACSEEBF durchaus einen Sinn, man zieht es einfach voneinander ab wie in dem Beispiel ’Q-J=7’ und man erhält daraus das Wort ’Schuldirektor’. Zusammen ergibt das dann ’Schuldirekt im Lehrerzimmer’.“

Der Jüngste der kleinen Gruppe schlug sich mit einer Hand vor die Stirn. „Also da wäre ich glaube ich auch noch drauf gekommen, wenn ich noch etwas darüber nachgedacht hätte. Aber so haben wir jetzt vielleicht noch einen etwas größeren Vorsprung vor den anderen. Kommt schnell mit zum Lehrerzimmer.“

Aya blickte zu dem größeren Mann und nickte anerkennend. „Ich wusste gar nicht, dass du so etwas kannst. Wo hast du das gelernt?“

„Ich kenne eben noch ein paar Dinge aus meiner Zeit als Privatdetektiv“, grinste Yohji. „So furchtbar zweitklassig war ich dann doch nicht.“

Schuldig lachte laut auf. „Ich habe es euch doch gesagt, er ist ein verkanntes Genie. Bei manchen Leuten ist die Intelligenz eben ein wenig komplexer, das hat man schon an Einstein gesehen.“

Nagi schlug sich nun ebenfalls kopfschüttelnd die Hand vor sein Gesicht. „Hast du nicht zugehört? Er hat diese Art von Verschlüsselung mal gelernt, das hat nicht wirklich viel mit versteckter Genialität zu tun. Idealisiere deinen Schützling nicht zu sehr.“

„Du hast ja bloß Angst, dass er dir vielleicht irgendwann noch einmal den Rang ablaufen könnte“, feixte der Deutsche grinsend.

Mehr Zeit zum Streiten hatten die Beiden allerdings nicht mehr, da ihre Schützlinge nun im Lehrerzimmer standen. Ein Schüler aus der Oberstufe stand hinter dem Tisch und lächelte freundlich, sagte jedoch nichts. Stattdessen deutete er auch die vor ihm stehende Schatulle, die mit einem Buchstabenschloss versehen war.

Omi lief sofort hinüber und stellte an dem Schloss das Wort Schuldirektor ein, woraufhin die Schatulle aufsprang und der ersehnte Einkaufsgutschein zum Vorschein kam. Er nahm ihn heraus und präsentierte ihn stolz den anderen. „Wir haben gewonnen!“

„Herzlichen Glückwunsch“, sagte nun der Oberschüler und klatschte in die Hände. „Damit ist die Rallye beendet.“

Wenige Minuten später wurde bereits über die Sprechanlage der Schule durchgegeben, dass es einen Gewinner gab und in der Aula noch eine kleine Siegerehrung abgehalten wurde. Alle Teilnehmer wurden herzlich dazu eingeladen.

Phuong blieb mitten auf dem Gang stehen und starrte einen der Lautsprecher ungläubig an. Er hatte gerade die Lösung herausgefunden und ärgerte sich so sehr darüber, von Weiß besiegt worden zu sein, dass er seine Notizen in winzigkleine Stücke zerriss und einfach auf den Boden fallen ließ.

„Ach nimm es nicht so schwer“, versuchte Payakootha ihn zu trösten. „Es ging doch bloß um so einen Gutschein und den haben wir nun wirklich nicht nötig.“

„Genau“, stimmte Yukio zu. „Wenn du neues Equipment für deinen Computer brauchst, bezahlt das doch sowieso die Organisation. Mach dir keine Sorgen darüber.“

Der Vietnamese schüttelte vehement den Kopf. „Es geht mir doch überhaupt nicht um diesen dummen Gutschein. Sie haben uns besiegt und das ärgert mich. Ich wurde von jemandem besiegt, der keine Klassen übersprungen hat und dadurch Klassen unter mir ist und wahrscheinlich einen geringeren IQ hat.“

„Ich kann dich durchaus verstehen“, meinte Xen. „Second is first loser. Das ist schon frustrierend. Aber sieh es doch mal von der anderen Seite, sie werden bei Missionen niemals besser sein als wir. Außerdem hättest du ja Pays Angebot annehmen können, selber schuld, dass du es nicht getan hast. Schließlich hätte er einfach bloß mal ein wenig in die Gedanken der Veranstalter hineinlesen müssen.“

„Willst du trotzdem zu der Siegerehrung gehen?“, fragte der Ungar.

Der Jüngste schüttelte den Kopf. „Nein, das muss ich mir nicht antun. Und ich glaube, ihr wollt hier eigentlich auch nicht länger bleiben. Fahren wir lieber nach Hause.“

Während Mißgunst sich bereits auf den Heimweg machten, überreichte der Schuldirektor noch einmal offiziell Omi seinen errungenen Preis und beglückwünschte ihn zu seiner Scharfsinnigkeit.

Als der Tag sich langsam dem Abend zuneigte, ging auch das Schulfest auf sein Ende zu und Weiß verließen zusammen mit einigen anderen Besuchern das Schulgelände.

„Danke, ohne euch hätte ich diese Rallye wohl nicht geschafft“, meinte der blonde Junge und lächelte dabei Yohji an. „Ganz besonders ohne dich wohl nicht, Yohji-kun.“

Der Playboy winkte ab. „Ach, das war doch gar nichts.“

„Was?!“, unterbrach sie eine ihnen gut bekannte und ungeahnt aufgebrachte Stimme. Aya pflückte den Zettel unter seinem Scheibenwischer hervor und starrte ihn ungläubig an. „Die haben mir doch tatsächlich einen Strafzettel fürs Falschparken ausgestellt.“

Nachdem sie den Rotschopf wieder beruhigt hatten, machten die vier jungen Männer sich endlich auf den Heimweg.


Nachwort zu diesem Kapitel:
Danke an alle Kommi-Schreiber :)

Okay, ich gebs ja zu, meine "Recherchen" über italienische Mafia und die Yakuza sind mehr als schlampig, deswegen geh ich auch nicht sonderlich weit drauf ein (aber ein bisschen hab ich mich schon schlau gemacht). Das Zeug ist teilweise frei erfunden. Aber ich wollte ja darüber auch keine Aufklärungsarbeit leisten ^^;;; sondern nur eine Mission einbringen, in der Schwarz endlich mal was zu tun hat. Komplett anzeigen
Nachwort zu diesem Kapitel:
Tja jetzt fragt ihr euch gewiß: Was sollen denn jetzt bitte diese komischen Typen? Wer zum Teufel sind Time Force, Changeling, Spirit und Unseen? ... Tjaahhaa das wird sich im Laufe der Geschichte noch alles aufklären ^^ in Kapitel 8 gibts schon mal mehr zu ihnen :) Komplett anzeigen
Nachwort zu diesem Kapitel:
Ich bitte viele tausend Male um Entschuldigung für dieses Kapitel -.-
Um ehrlich zu sein bin ich nicht so ganz zufrieden damit *seufz*
Man merkt, wenn ich nicht ganz bei der Sache bin und ein Kapitel schnell hinter mich bringen will -.- es ist ziemlich mies geworden finde ich ;_; Ich hoffe ihr verzeiht mir. Komplett anzeigen
Nachwort zu diesem Kapitel:
Omi in der Fahrschule: Einzelheiten entnehmt bitte der FF "Fahrschule" von Kaos
*Schleichwerbung mach* Komplett anzeigen
Nachwort zu diesem Kapitel:
Erklärung zum Tag der Volljährigkeit: Jungen und Mädchen, die im vorangegangenen Jahr 20 Jahre alt geworden sind, feiern an diesem Tag ihre Volljährigkeit. Dabei werden Schreine besucht, Zeremonien abgehalten und Partys gefeiert. Bis 1999 war dieser Tag festgelegt auf den 15. Januar, seit 2000 wird er am zweiten Montag des Monats gefeiert. Der Tag der Volljährigkeit ist ein gesetzlicher Feiertag. Mit 20 Jahren erhalten die jungen Leute das aktive Wahlrecht, aber auch erst jetzt dürfen sie offiziell rauchen und Alkohol trinken. Den Führerschein dagegen kann man in Japan schon mit 18 Jahren machen. Komplett anzeigen
Nachwort zu diesem Kapitel:
Eigentlich sollte dieses seltsame Schulfest nicht so sehr viel Platz abkriegen, eigentlich wollte ich es nur neben bei erwähnen ^^;;; aber ihr kennt mich ja mittlerweile bla bla bla bla bla *schwafel* ...

Euch allen noch mal ein herzliches Dankeschön für eure lieben Kommentare ^^ Manchmal wüßte ich nicht, wo ich den Antrieb zum weiterschreiben hernehmen sollte, wenn ich nicht solches Feedback bekäme ^^ Komplett anzeigen

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Von:  Lumien
2014-09-28T05:19:17+00:00 28.09.2014 07:19
Moin moin, da ich gerade mal über Lappy eingeloggt bin und mir deine Fanfic morgens auf dem Weg zur Arbeit lese, kann ich nun auch mal ein kleines Feedback hinterlassen!
Ich mag deinen Schreibstil. Nicht zu ausschweifend, trotzdem fesselnd und man kommt sehr gut in die Story rein. Es macht definitiv Lust zum Weiterlesen. ^^ Über Ken muß ich selbst als Fan immer wieder schmunzeln und hau mir manchmal insgeheim den Kopf an die Wand und denk mir nur "Alter... Das is so offensichtlich...". Aber das macht halt seine Art aus.
Vielen vielen Dank das du nach der langen Zeit (gerade gesehen, das 2004 angefangen hast) auch weiterschreibst!! Mach weiter so! Ein Kapitel gönn ich mir jetzt noch und dann lass ich mir noch was für die langweiligen Zugfahrten in Richtung Arbeit. :3

Liebe Grüße!
Antwort von:  Lethtendris
15.10.2014 10:49
Vielen Dank :)
Es freut mich, dass diese Fanfic auch nach so langer Zeit noch jemandem gefällt.
Von:  Silent-voice
2006-09-27T07:44:27+00:00 27.09.2006 09:44
So.... jetzt schreib ich dir mal auch einen Kommi.
Zuerst einmal muss ich mich bedanken.
Ich bin seit kurzem wieder auf meinen Weiß Kreuz Trip gekommen und verbrachte oft meine Zeit damit, etwas interessantes in der Richtung Shonen-Ai zu lesen. Natürlich musste ich so auch früher oder später auf deine FF treffen, welche ich mir dann auch mal zu Gemüte zog.
Ich hatte mich schon anfangs gefragt, was du dir bei dem Thema, gedacht hattest und musste gestehen, dass deine Idee wirklich mal was anderes war. ^^
Es dauerte also nicht lange, bis ich von deinen Erzählungen ergriffen wurde und nicht mehr davon ablassen konnte. Was dazu führte, dass ich lieber in deiner Geschichte versank, als dem Gelaber meiner Dozenten in der Uni zuzuhören. ^^’’’...
Wobei dies eigentlich auch teilweise ganz gut war, da ich sonst umgekommen wäre vor Langeweile oder Kopfschmerzen.
Dabei sollte ich vllt anmerken, dass du es mir manchmal recht schwer gemacht hattest, ruhig auf meinem Platz sitzen zu können und nicht los zu lachen. (Bei diesen Szenen schlug ich mir immer die Hand vor den Mund und bis mir auf die Lippe um keinen Laut von mir zu geben ^^’...)
Wie auch immer.

Jedenfalls habe ich also die letzten Tage damit verbracht, allein deine Geschichte zu lesen, seis morgens beim Frühstück, während de Fahrt zur Uni, während der Vorlesungen, auf der Heimfahrt, beim Abendessen oder kurz vorm Schlafen gehen.... also beinahe rund um die Uhr und das nur, weil mich deine Story so gefesselt hatte. (Das passiert mir nicht bei jeder FF die ich lese ^^....)

Gerade eben jedoch musste ich feststellen, dass auf einmal alles zu Ende war und das mitten in der Handlung. Äußerlich sitze ich gerade ruhig in der Vorlesung während mein Inneres nach mehr schreit, total enttäuscht und viel mehr verzweifelt ist, dass es nicht weiter geht und schlimmer noch, nicht einmal ein Ende hat.
Sollte das aus dem oberen Satz noch nicht deutlich geworden sein, so möchte ich hiermit noch mal deutlich machen, dass ich dich inständig darum bitten möchte, diese Geschichte bitte weiter zu schreiben, oder anders ausgedrückt: „Bitte, ich flehe dich an, tu mir und all den anderen Lesern das nicht an und bricht die Story ab!!! Ich hab zwar gelesen, dass dein PC nicht will, aber das letzte Update war vor einem Jahr und so lang kann es doch nicht dauern? Oo.... Auf jeden Fall: BITTTEEEEEEEEEEE!!!!! *auf die Knie fall und mit gefalteten Händen zu dir aufbet*“...
Ähem.... ähm ja.... jedenfalls wollte ich dir das unbedingt, bzw. musste ich es dir unbedingt mal schreiben.

Und nun noch ein kurzer Kommi zu der eigentlichen Geschichte ^^:

Die Idee mit den Engeln und auch Missgunst war einfach super. Ich lese gerne Shonen-Ai/Yaoi FFs, aber noch lieber lese ich sie, wenn es nicht nur allein um das pairing geht, sondern die Geschichte auch so etwa wie Handlung beinhaltet und das tut deine nur zu genüge und dann auch noch nicht etwas total allgängiges und ausgelutschtes, sondern mal was ganz anderes und frisches. Dafür möchte ich dir ein großes Lob überreichen.
Zum anderen möchte ich mich herzlichst dafür bedanken, dass du Yohji und Schuldig zusammen gebracht hast. Ich liebe dieses pairing und konnte mir bei keiner einzigen Szene mit ihnen ein Grinsen verkneifen. Es war jedes Mal einfach zu göttlich.
Aber du hast uns alle auch ziemlich zappeln lasse, wobei ich das eigentlich durchaus gut finde, da die erhofften Szenen, besonders die, als Schuldig in den fremden Körper eingedrungen war und es Yohji endlich mitteilte, umso intensiver waren.
Allein die Entwicklung war schön zu verfolgen und umso besser konnte man sich in die zwei, aber auch in die anderen hinein versetzen und so die ganze Geschichte viel gebannter mitverfolgen.
Zum anderen pairing muss ich sagen (also Aya x Omi), dass ich eigentlich eher der Typ bin, der Brad x Aya bevorzugt.... aber als ich so die Story gelesen hab, so hab ich es besonders in den Momenten als Aya zu Omi ins Bett gekrabbelt ist oder das Geständnis Omis im Blumenladen, ja da hab ichs ihm wirklich gegöhnt! ^^ .... (Aya du sturer Esel.... *lach*)
Somit bin ich auch gespannt wies hier weiter geht, wobei mir dann Brad und auch Nagi ein wenig leid tun, sie so allein zu sehen. Aber wenns nicht geht, dann geht’s wohl nicht...
Was ich noch schade find ist, dass man wenig aus der Sicht von Farf mitbekommt, schliesslich ist er ja auch bei seinem Geliebten, darf jedoch diesem nicht näher kommen.
Letzten Endes aber bin ich trotzdem mit der ganzen Story sehr zufrieden.
Auch sehr schön ist zu lesen, dass du uns immer wieder einen Einblick bei Missgunst gestattest hast, so, dass man sieht, dass diese auch nur Menschen sind und ein Leben haben.

Auf jeden Fall war ich sehr erfreut solch eine gute Story lesen zu dürfen und würde mich, wie bestimmt auch viele anderen, wenn man mal die Anzahl an Kommentaren sieht, sehr freuen, wenn du diese Geschichte weiter schreiben würdest.
Du bist wirklich begabt darin und es wäre eine Schande, wenn die Story an diesem Zeitpunkt einfach aufhören würde.
Ich mag dich ungern bedrängen oder so, ich würde so was auch nicht wollen, aber ich möchte dich aus ganzem Herzen daran bitten, es dir vllt noch mal zu überlegen (solltest du die Gründe irgendwo erwähnt haben und ich zu blind diese zu lesen, dann tut es mir leid) und doch noch weiter zu schreiben.
Ich wäre auf jeden Fall wieder dabei und wäre ab hier auch eine fleissige Kommischreiberin! ^^....

Ansonsten möchte ich mich ein weiteres Mal bedanken und wünsche dir
noch einen schönen Tag und eine ebenso schöne Woche.
LG

Silent-voice
Von:  Xell
2005-10-24T22:06:13+00:00 25.10.2005 00:06
Du wirst dich jetzt sicher fragen: Warum schreibt mir ein Junge, der auch noch in einem Anti-Yaoi-Zirkel ist, einen Kommentar? Gute Frage... Durch den Titel neugierig geworden, fing ich an mal das erste Kapitel zu lesen. Jetzt hab ich mir alles durchgelesen und finds echt lustig! Es ist doch wirklich sehr ironisch dass ausgerechnet Schwarz die Schutzengel von Weiß sind. *g* Ich fand die Entwicklung von den Schwarzjungs sehr interessant. Zuerst haben sie sich ja ziemlich geweigert auch nur einen Finger krumm zu machen aber dann gaben sie sich Mühe und nahmen die Sache richtig ernst. (das jüngste Gericht hat wirklich ihre Methoden wie man die Jungs überredet...) Was mir auch gefallen hat war dass es hier Shojo-Ai gibt. Leider hast du die Beziehung von Birman und Manx nur am Rande erwähnt. Kannst du vielleicht ihre Beziehung ein bisschen verdeutlichen? Ich würde mich freuen. ^^ Was auch lustig sein wird ist wenn Schwarz sich zu erkennen gibt. *g*

PS: Dein Birman/Manx-Bild war klasse ^^
Von: abgemeldet
2004-12-12T00:27:31+00:00 12.12.2004 01:27
So^^
Schon wieder 5 Kapitel rum, d.h.ein neues, wieder kurzes kommi^^"
Is halt wie immr spät *auf uhr schiel*
Egal, also ich muss sagen, Yotan wird mir von mal zu mal sympathischer X3
Aber irgendwie mag ich Omi net *g* Ich muss dann immer an so n kleinen Streber denken, der alles besser weiß, und noch an Mamis Rockzipfelchen hängt(auch wenn der jetzt keine dazu gehörige Mami mehr hat XD -.- sorry, mein humor is net witzig)
Hmmhmmhmm...ja, gibbets noch irgendwas zu sagen? Glaub net^^
Nachdem man sich reingelesen hat in deine Story, geht das alles richtig flott und man will wissen wies weiter geht.
Sieht man ja daran, dass nich besonders viel Abstand zwischen dem un dem letzten is.
Un da ich nur noch eine Arbeit und zwei Abgabetermine für meine Zeichnungen hab, werde ich auch genug Zeit haben um den Rest regelmäßig lesen zu können.
(ach ja, zu dem kapü: ich bezweifle ja, dass du johji hast sterben lassen XD auch wenn ichs sofort wissen werd, lass ich doch ma meine vermutung da ;) )
Von: abgemeldet
2004-12-07T23:18:14+00:00 08.12.2004 00:18
Kleine Zwischenbilanz^^
Jaa~ ich brauche ewig zum lesen, weil ich fast nie Zeit habe, aber im Moment bin ich ganz eirig dabei ;)
So, nach den ersten fünf Kapiteln, muss ich sagen, dass es mir richtig gut gefällt *g*
Auch wenn ich mich kein bisschen mit weißkreuz auskenne, deswegen kann ich wahrscheinlich auch nicht so viel dazu sagen ;)
Hoffentlich hauts mich nicht vom Hocker, wenn ich mir ma endlich die DVDs von meinem Freund ausleihe XD
Aber da hab ich ganz und gar nicht das Gefühl zu^^
So bald ich wieder Zeit hab (ja..mitten in der Nacht, wie jetz auch -.-), les ich weiter^^

bye
Shisoo
Von: abgemeldet
2004-11-14T13:32:48+00:00 14.11.2004 14:32
Hallihallo!
na meine liebe! *knuddel*
habs fertig gelesen (nach einigen problemen).
diesmal kam mir das kapitel recht ruhig vor.
armer kleiner omi... quäl ihn doch nicht so... (grins, obwohl dass so eigentlich doch ganz gut so ist und die vorfreude auf ihr "zusammenfinden" eindeutig steigt... *grins*)
Ich fan Yohji war mal wieder klasse! (mein Vavo!!! :whee)
ich hoffe in der nächsten zeit erbarmst du dich mir(uns) und gibst mir(uns) noch ne lemon! PLEEEAAASSSEEE!!!!
und wieviele kapitel werdens jetzt noch?? *lechz*
schön weiter schreiben dann gibts ein bienchen! ^.^
Von:  Ai_no_Hikari
2004-10-07T08:34:48+00:00 07.10.2004 10:34
Das Kapitel war auch wieder toll. Freut mich das Weiß die Ralley gewonnen haben. Und das Yohji dazu beigetragen hat find ich richtig gut. Endlich steht er nicht mal als der dumme Playboy da. ^^
Der arme Aya, das er einen Strafzettel bekommen musste ist gemein. *Aya tröst*
Die Szene zwischen Aya und Omi im Laden war ja so süß. Mehr davon! *_*
Bleibt nur noch zu sagen, schreib schnell weiter! *anfeuer* ^_^

aino *knuddel* ^.^
Von:  Ai_no_Hikari
2004-10-07T07:51:03+00:00 07.10.2004 09:51
Wieder ein tolles Kapitel. Du hast die ganzen Abläufe und Handlungen super beschrieben. ^^
Das bekomm ich irgendwie nie so hin. -.-"
(Wegen der Lemon im letzten Kapitel. Mach dir keine Sorgen. Um so öfter du sowas schreibst um so einfacher wird es für dich werden. ^_^)
Ich lese gleich das nächste Kapitel und kommentier es. ^^

aino *knuddel* ^.^
Von:  kohaku_san
2004-10-01T15:22:59+00:00 01.10.2004 17:22
Danke erst mal, für die Benachrichtigung in meinem GB! Das ist wirklich sehr sehr praktisch! Aber ich hoffe, doch nicht nen mega Aufwand für dich oder??
Nun aber zum aktuellen Kapitel: Hmm, was soll ich schreiben?!

Omi tut mir einfach leid hier. Ich meine, ich weiss zwar irgendwie das Aya wirklich nun ein Eisblock ist, aber so zu reagieren, ist schon sehr fies!!! *aya mal kurz böse anguckt* Ausserdem empfindet er ja auch mehr für Omi. *seufz* Aber anscheinend kann man hier ja noch nix machen. *aya du baka*

Ansonsten......auch wenn Missgunst eine eigen Kreation von dir ist, was ich sehr bewundernswert finde, ich kann mich leider nicht wirklich mit ihnen anfreunden. *möp* Ok, mit Paya (tschuldige die Abkürzung *lach*) vielleicht, aber der Rest?! Da sie nun irgendwie die Rolle der 'Bösen' erhalten haben, sehe ich sie halt irgendwie nur als die Bösen. Obwohl, das war bei Schwarz am Anfang ja auch nicht anders. Und mit der Zeit, nachdem ich meist nur noch Schwarz-FF's gelesen habe, sind sie mir ja so ziemlich fest ans Herz gewachsen und ich liebe mittlerweile Brad!!!! *grins* Vielleicht kommt das ja auch noch irgendwann mit Missgunst. Oder du schreibst einfach nach dieser FF (irgendwann halt mal) noch ne andere FF mit Missgunst drinne. *lach*

Hm, was sonst......ah ja....dieser eklige widerliche Politiker ist ja sowas von abartig!!!! *bäh* Ich will gar nicht wissen, welchen Weiss er sich 'ausgewählt' hat und was er alles mit ihm anstellen wird.....*würg*....nein, ich stell's mir nicht vor, ich stell's mir nicht vor!!!!!! *aaargh*

Nyo und zum Schluss freu ich mich einfach wieder auf ein neues Kapitel von dir!!!!! *lächel*

*chu*
ko-chan
Von:  Furia
2004-10-01T05:04:04+00:00 01.10.2004 07:04
Irgendwie hast du zuviel hochgeladen während mein I-net sich vorrübergehend verabschiedet hatte.
Wie soll ich denn mit dem Kommentieren jemals hinterherkommen?
Hier bekommst du allerdings erstmal den Kommi zum aktuellen Kapitel, die vorigen setz ich dann nach und nach rein...je nachdem wie wenig Zeit mir bleibt (diese blöden Tage haben ja immer nur 24h, ich hab meistens noch bis Mitternacht zu tun *jammer*)

Wow, soviel Mißgunst! Phuong und Paya sind ja richtig niedlich zusammen!^^
Yukio kann ich immer noch nicht richtig einschätzen, aber am liebsten mag ich Xen. Sein Kommentar von wegen LSD war echt genial! *Lachtränen aus dem Augenwinkel wisch*

Zu Aya und Omi...*sigh*
Naja, immerhin hat Omi endlich einen ersten Schritt gemacht. Jetzt ist Aya wohl in Zugzwang, was? Ich finde den Eiertanz der beiden gut. Das ist jedenfalls viel realistischer als dass Aya plötzlich aus heiterem Himmel romantisch wird und Omi seine unsterbliche Liebe in einem selbstgeschriebenen Gedicht gesteht...
Mit Nagis Hinweis auf Ayas verborgene literarische Talente, bringst du mich zu der Annahme, dass du uns demnächst eins ,seiner' Werke präsentieren wirst. Wenn ich richtig liege, bin ich schon ziemlich gespannt darauf!

Der Code war echt super! Ich musste das Ganze zwar zwei Mal lesen, um zu kapieren, wies geht, aber beim schreiben, weiß man selbst was gemeint ist, da liest sich das vermutlich auch ganz anders... Oder ich bin einfach begriffsstutziger als ich dachte...-_-

Das Dreibeinrennen finde ich doch etwas peinlich für alle über 14 Jahren, aber soweit weg von meinem Limit sind Ken, Omi, Phuong und Paya ja auch wieder nicht.
Apropos Alter: Wieviele Klassen über Omi ist Phuong denn, wenn er ,einige' Jahre über Omi ist? *etwas verwirrt, weil von einem Jahr ausgegangen bin*

Kawaguchi will Omi, wenn er auf kleine Jungs steht. Das heißt er muss sich wohl auf einen ziemlich stinkigen Aya vorbereiten...*blutrünstig bin* XP
Ich fand die Szene im Blumenladen zwar etwas an den Haaren herbeigezogen (wer sich rechtfertigt forciert nur noch mehr Fragen, ein Assassin lernt eigentlich, wie er sich bei Verhören zu verhalten hat), aber wirklich _wirklich_ zuckersüß!^^
*got hit by the sugar-rush*
^______________^
...
Ich fand es nicht schlimm, dass du das Schulfest so ausgeweitet hast. Es hat mir sogar gefallen, denn langweilig wars nicht. Mißgunst und Weiß hätten ruhig ein wenig mehr miteinander zu tun haben können, aber das hätte vermutlich den Waffenstillstand überstrapaziert...

Die Sache zwischen Aya und dem Parkplatz fand ich auch super! Da verpasst du ihm im letzten Absatz noch einen Strafzettel. *Kopf schüttel und grinse* Also neee. *g*

Das Ken ein paar...naive...Bemerkungen gemacht hat stört mich auch nicht weiter. In meiner derzeitigen Verfassung bin ich ein wenig aggressiver. (Übermüdung+Schularbeiten+Frust-Geld-Nerven=Jähzorn)

Ich denke ich hab alles erwähnt..
Noch ein bissl smalltalk: tja ich heiße wirklich Weiß, aber noch viel besser, meine andere Familienhälfte heißt Schwarz. Ganz im Ernst, wir hatten letzte Woche ein riesen Familientreffen! Als so'n Typ sich mit ,Schwarz' vorstellte und mein Opa mit ,Weiß' antwortete musste ich total animalisch grinsen. Die ham schon alle Angst bekommen...>_>

Ich bezweifle das ich was zeichnen werde...mein Talent fürs zeichnen tendiert gegen 0. Ich kann nur ziemlich gut abzeichnen. Vielleicht raff ich mich mal dazu auf, wenn ich zuviel Zeit habe, aber im Moment siehts eher weniger danach aus. Bisher sind ja auch schon ein paar coole Sachen eingegangen!^^

Oookay. Ich gerate ins Schwafeln. Mach weiter so! Ich bemühe mich zumindest die kommenden Teile so schnell wie möglich zu kommentieren und reiche dann die fehlenden nach. Du hast sie gewollt, ich hab sie versprochen, also kommen sie auch. Nur wohl eher später als früher...*gähn* *hand vorn Mund halte* sorry..^^

*wink*
Bye, Furia


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