Es regnete.
Dicke schwere Regentropfen prasselten auf die Stadt nieder, bildeten dichte Schleier, die alles, was weiter entfernt lag, schluckten Alles glänzte naß, überall große tiefe Pfützen, in denen die unzählige Tropfen ständig neue Muster aus Kreisen bildeten. Das gleichmäßige Rauschen des strömenden Regens übertönte alle anderen Geräusche.
Die Straßen waren nahezu menschenleer, nur hin und wieder lief jemand, versteckt unter einem bunten Regenschirm, durch den Regen, bestrebt so schnell wie möglich nach hause zu kommen.
Daher bemerkte auch niemand die Gestalt, die bewegungslos an einer Straßenecke stand.
Ein großer schlanker Mann in dunkler Kleidung. Kurzes schwarzes Haar umrahmte das Gesicht mit den dunklen Augen, die konzentriert auf einen bestimmten Punkt blickten.
Er beobachtete.
Der Regen...
Der Regen berührte den Mann nicht. Sobald die Regentropfen in seine Nähe kamen, schienen sie sich einfach aufzulösen, als würden sie eine Berührung mit ihm scheuen.
Die Bibliothek war hell erleuchtet. Die langen Regale waren in warmes gelb-weißes Licht getaucht, dass fast vergessen ließ, daß es draußen in Strömen goß.
Es war still in dem großen Gebäude, denn bei diesem Wetter blieben die Menschen lieber daheim.
Eine junge dunkelhaarige Frau schlenderte langsam durch die Regalreihen und betrachtete nachdenklich die Buchrücken.
Von Zeit zu Zeit drangen muntere Stimmen zu ihr herüber, dazu das Geräusch von Büchern, die hin und her gerückt wurden und das Klingeln des Telefons.
Die Frau sah durch eine Lücke in den Buchreihen zu einem jungen Mädchen hinüber, dass sich konzentriert über ein Buch beugte und sich ab und zu Notizen machte.
Langsam ging die Frau weiter durch das Licht und die Stille.
Der schwarzhaarige Mann trat einen Schritt vor.
Es war die erste Bewegung seit mehr als einer Stunde und wieder wich der Regen vor ihm zurück.
Gebannt blickte er auf den großen hell erleuchteten Eingang auf der anderen Straßenseite.
Ein junges Mädchen trat aus der Bibliothek.
Kaum hatte sich die Tür hinter ihr geschlossen, öffnete sie sich abermals und eine zierliche junge Frau mit langen rotbraunen Haaren kam aus dem Gebäude.
Der Mann hob den Arm, als wolle er ihn nach ihr ausstrecken, zog ihn dann aber hastig wieder zurück.
Das Mädchen lief durch den prasselnden Regen die Straße hinunter.
Die junge Frau wartete einen Moment und folgte ihr dann. Schon nach wenigen Schritten war sie vollkommen durchnäßt, die Kleider kalten am schlanken Körper, doch so wie sie lief...
Fließende leichte Bewegungen, wie ein Tanz im Regen.
Der Mann ging los.
Eine kleine Menschenmenge hatte sich versammelt, umringte das auf der Straße liegende Mädchen und das Auto.
Das Gemurmel der Schaulustigen ging fast unter im stetigen Rauschen des Regens, aber in der Ferne erklang klar und deutlich die Sirene des Krankenwagens.
Die Frau stand etwas abseits und lächelte traurig.
Ihr Lächeln...
Er konnte einfach nicht den Blick abwenden.
So unendlich traurig.
Der Mann ballte wütend die Fäuste.
Warum mußte ausgerechnet sie sich um solche Dinge kümmern?
Vor allem dann, wenn er...
Ein leises Knurren klang aus seiner Kehle.
Der Krankenwagen fuhr davon und die Menschen gingen wieder ihrer Wege.
Nur die Frau stand noch am Straßenrand und sah dem Wagen nach.
Noch immer das traurige Lächeln.
Nur zögernd wandte sie sich um und...verschwand.
Der Dunkelhaarige schien einen Moment zu lauschen und verschwand ebenfalls.
Ungehindert stürzte sich der Regen auf die nun freie Stelle.
Eine weiße und eine schwarze Feder trieben auf einer Pfütze, stießen zusammen.
Weit entfernt und doch ganz nah lag die Wiese im strahlenden Sonnenschein. Unzählige Blumen ragten aus dem hellen grün des Grases, leuchteten in allen Farben und verbreiteten einen süßen klaren Duft.
Sie kam immer hierher nachdem sie ein Kind begleitet hatte.
Leise seufzend ließ sie sich ins Gras sinken und schloß die Augen.
Plötzlich fiel ein Schatten auf ihr Gesicht.
Sie öffnete die Augen.
In wunderschönes leuchtendes Lächeln erschien auf ihren Lippen. Freudig setzte sie sich auf und schlang die Arme um den Hals des schwarzhaarigen Mannes.
Seine dunkle Erscheinung wirkte seltsam fremd an diesem Ort, doch der Ausdruck in seinen schwarzen Augen, als er sie umarmte war unendlich warm und zärtlich.
Er konnte es nicht ertragen, wenn sie so litt.
Er wollte sie beschützen, sie gehörte ihm.
Aber sie wollte es so und so lange sie nicht wußte, dass er den Blick des Fahrers abgelenkt hatte...
Er zog sie fester in seine Arme und sie schmiegte sich näher an ihn.
Gemeinsam saßen sie auf der blühenden Wiese, hinter ihnen erstreckten sich ihre Schatten mit den beiden Paaren weiter Schwingen, die einen weiß und hell, die anderen dunkel und schwarz, beide grau im Schatten.