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Dämonenseelen

von

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Abschied für immer?

Erst mal ein riesengroßes Sorry an alle, dass es solange gedauert hat. Aber wenn ihr anfangt zu lesen, dann seht ihr warum, ist ziemlich viel geworden, mein längstes Kapitel seit dem Anfang. Natürlich möchte ich mich wieder bei den ganzen Kommischreibern bedanken, und komme natürlich gleich der Aufforderung nach, bei diesem Mal ein paar Taschentücher beizulegen, denn einmal werdet ihr sie noch brauchen. So und jetzt überlass ich euch das Feld, muss meine Finger kühlen, sind die nächsten Tage erst mal gebrauchsunfähig (stöhn).
 

6. Kapitel: Abschied für immer?
 

Seit fast zwei Stunden harrte die alte Kaede nun schon vor ihrer Hütte aus und wartete geduldig auf die Rückkehr derer, die sie zur Suche Kagomes in den Wald geschickt hatte. Aus dem Inneren ihres Heimes vernahm man das aufgeregte Blubbern einer Suppe, die sie für die jungen Leute zubereitete, denn sie würden mit Sicherheit sehr hungrig sein, wenn sie sich alle hier wieder eingefunden hatten. Wenn alle kamen ... .

Die alte Frau seufzte und verschränkte nachdenklich die Hände hinter dem Rücken. Niemals hätte sie eine solche Situation, in der sie sich nun alle befanden, für möglich gehalten. Über dem Dorf lag eine gespenstische Stille, die ihr reichlich Anlass zum Nachdenken gab. Jeder, der an ihrer Hütte vorbeikam, erkundigte sich nach Kagomes Befinden. Kaede unterrichtete daraufhin jeden von ihnen, daß es dem Mädchen den Umständen entsprechend gut ginge. Sie konnte ja schließlich schlecht mit der Wahrheit ans Licht treten. So nickte sie den fragenden Dorfbewohnern nur höflich zu, gab Antwort und wünschte noch einen guten Tag. Nach einer Weile fiel der alten Miko auf, daß es nicht nur die Stille war, die sie bedrückte, sondern auch das ganze Umfeld, was ihr Sorgen bereitete. Sonst tollten zu dieser Zeit die Kinder durch das Dorf, die Frauen unterhielten sich angeregt über den neuesten Klatsch vor ihren Hütten und die Männer machten sich auf den Weg zu den Feldern, um zu arbeiten. Doch heute konnte man davon nichts sehen geschweige denn hören. Diejenigen, die den Weg vor ihre Hütte gefunden hatten, schlurften mit hängenden Schultern durch das Dorf, blieben ab und zu stehen und musterten Kaedes Hütte oder fanden sich vor dem Tempel ein, um ein stilles Gebet für jemanden zu sprechen, den sie erst jetzt nach dessen Tod zu schätzen gelernt hatten. Wenn man es nicht besser wüsste, könnte man annehmen, daß mit dem Tod des Hanyous auch das Leben aus diesem Dorf gewichen war.

Gedankenverloren sah Kaede zum Himmel und stellte fest, daß es schon fast Mittag sein musste. Wo blieben sie nur solange?

"Hoffentlich", so dachte die alte Frau, "ist Kagome wohlauf."

Sie würde es sich niemals verzeihen können, wenn dem Mädchen etwas zugestoßen wäre. Vielleicht hätte sie Sango und Shippo doch gewähren lassen sollen, als sie Kagome folgen wollten. Die Stimme einer jungen Frau riss sie aus ihren Gedanken.

"Kaede-sama, ich hoffe, ich habe euch nicht erschreckt."

Ihrem Gegenüber war es nicht entgangen, daß sie zusammengezuckt war. Die alte Frau lächelte beschwichtigend und winkte ab.

"Nein, nein, mein Kind. Ich habe nur gerade über etwas nachgedacht und dich nicht kommen hören. Aber sprich, was kann ich für dich tun?"

Die Blicke der beiden trafen sich für den Bruchteil einer Sekunde, doch die junge Frau senkte schnell den Kopf. Als sie antwortete, klang ihren Stimme traurig.

"Ich ... soll euch darüber unterrichten, daß der .... Junge für seinen bevorstehenden Abschied hergerichtet wurde. Die Frauen des Tempels warten auf eure weiteren Anweisungen."

Kaede verstand. Es war also schon soweit. Aber es ging noch nicht. Sie musste Kagomes Rückkehr abwarten. So wandte sie sich erneut an die junge Frau.

"Gib den Frauen im Tempel Bescheid, daß ich gleich bei ihnen sein werde und mit ihnen dann alles weitere bespreche."

Die junge Frau nickte gehorsam und machte sich auf den Weg.

Das fröhliche Blubbern der Suppe ließ Kaede aufhorchen. Eilig betrat sie ihre Hütte und nahm den kleinen Kessel vom Feuer, bevor ihr vorbereitetes Mahl anbrannte, denn es würde etwas dauern, bis sie sich wieder hier einfand und eine angebrannte Suppe wollte sie ihren jungen Schützlingen nun wirklich nicht vorsetzen. Die alte Miko stellte den Kessel beiseite und löschte das Feuer. Dann erhob sie sich langsam, um den Weg zum Tempel einzuschlagen. Während sie durch ihr Heimatdorf schritt, fühlte sie, wie sich mehrere Augenpaare an sie hefteten. Das Geflüster der Leute drang an ihre Ohren, denn obwohl sie schon eine alte Frau war, besaß sie ein Gehör, daß einer Katze gleichkam. Und so verstand sie auch jedes einzelne Wort, was sie sprachen, ließ sich jedoch nichts anmerken. Nicht, daß die Menschen dieses Dorfes etwas Schlechtes hinter ihrem Rücken redeten, nein, sie hatten immer hinter den Entscheidungen der Miko gestanden, es wunderte Kaede nur, was sie sagten.

"Der arme Junge, hoffentlich hat er nicht zu sehr gelitten, als er starb. Um das Mädchen tut es mir auch leid, soweit ich weiß, haben die beiden sich sehr nahe gestanden. Und jetzt das."

"Richtig, das hat er nicht verdient, auch wenn er ein Halbblut ist und die Schuld am Tod unserer damaligen Miko trägt."

Kaede zuckte unwillkürlich zusammen. Was sagten sie da? Er trug die Schuld am Tod ihrer Schwester? Wussten sie denn nicht, daß ...? Nein, natürlich nicht! Sie konnten es ja nicht wissen. Der Name Narakus war ihnen fremd, nie hatten die Dorfbewohner etwas von ihm gehört, also kannten sie auch nicht die andere Seite der Medaille, die Wahrheit über den Tod Kikyos. Auch sie hatte jahrelang nicht gewusst, was sich damals wirklich zugetragen hatte, bis Kagome auftauchte und den Stein ins Rollen brachte.

Den Blick nach vorne gerichtet, betrat sie schweigend den Tempel. Die beiden Tempelwächter, die sie schon erwartet hatten, verneigten sich vor ihr und wiesen ihr den Weg. Kaede folgten ihnen durch die abgedunkelten Gänge, die nur ab und zu von Kerzen erhellt wurden, die in Haltern an der Wand steckten. Die Schatten, die durch das flackernde Licht an die Wände geworfen wurden, erschienen der Miko riesig und irgendwie unwirklich. Sie hielt sich nicht gerne in diesem Gebäude auf. Warum wusste sie nicht. Aber ..., vielleicht doch. Vielleicht, weil hier alle Dinge ihren Anfang und ihr Ende hatten. In diesem Tempel wurde ihre Schwester zur Priesterin geweiht, das Juwel der vier Seelen wurde hier verwahrt, bis zu jenem Tage an dem Inuyasha es entwendet hatte, hier wurde sie nach dem Tode Kikyos zur Priesterin ernannt und hier ..., ja, hier lag nun der Junge, den ihre Schwester geliebt hatte, aufgebahrt und bereit seinen letzten Weg anzutreten. Ihre Schwester ... . Kaede konnte sich noch gut an den Tag erinnern, als Kikyo und der Hanyou sich zum ersten Mal näher gekommen waren. Ihre Schwester war wie ausgewechselt gewesen, hatte mit Kaede gescherzt und gelacht. Obwohl sie damals keine Ahnung davon gehabt hatte, weswegen Kikyo so fröhlich gewesen war, freute sie sich doch mit ihrer Schwester, denn es war das erste Mal seit langem, daß sich auf ihrem Gesicht ein zufriedener und glücklicher Ausdruck zeigte. Nach dem viel zu frühen Tod ihrer Eltern stand es damals um die Schwestern nicht gerade gut. Erst als Kikyo die Ernennung zur Priesterin aufgrund ihrer außergewöhnlichen Fähigkeiten hinter sich gebracht hatte, ging es bergauf für die beiden Mädchen. Allerdings musste ihre ältere Schwester damals aufgrund ihrer Bestimmung und Position auf all die Dinge, von der eine junge Frau ihres Alters träumt, verzichten. Die Treffen mit Inuyasha verliefen daher immer heimlich. Wie gut hatte sie es vor Kaede geheim gehalten. Niemand wusste etwas von ihrer jungen Liebe. Und das war auch gut so, denn wenn es ans Licht gekommen wäre, hätte man Kikyo mit Schimpf und Schande aus dem Dorf verjagt und Kaede gleich dazu. Eine Miko und ein Hanyou. Das war schier unmöglich. Einer Hüterin des Lichts war es strengstens untersagt, sich mit den Wesen der Schatten einzulassen und dann auch noch mit einem Halbblut.

Eine Hand legte sich plötzlich auf die Schulter der alten Frau, um sie auf etwas vor ihr aufmerksam zu machen. Ihre Erinnerungen verblassten in dem Moment wie das Licht eines sich dem Ende zuneigenden Tages. Sie befand sich direkt vor einem Raum, dessen Türe noch verschlossen war. Die Tempelwächter bauten sich rechts und links von ihr auf und sorgten für den Einlass der Miko. Danach verneigten sie sich respektvoll vor ihr, bevor sie den Blick ins Innere freigaben und sich langsam entfernten. Mit angehaltenem Atem trat Kaede ein. Ihr Augenmerk fiel sofort auf den in der Mitte des Raumes aufgebahrten Jungen. Die Frauen des Tempels hatten ihn gewaschen, seine Wunden versorgt und ihn in ein schneeweißes Gewand gekleidet. Das warme Licht der Kerzen, die man um seinen leblosen Körper herum aufgestellt hatte, spiegelte sich auf seinem blassen Gesicht wieder. Die alte Frau spürte, wie sich ein dicker Kloß in ihrem Hals bildete. Nur mit Mühe konnte sie die Tränen zurückhalten. Was war das? Sie hatte zum letzten Mal geweint, als ihre Schwester gestorben war. Und nun ... . Dabei hatte sie den Hanyou jahrelang gehasst, war sie doch felsenfest davon überzeugt gewesen, daß er die Schuld am Tod ihrer Schwester trug. Den Beweis dafür hatte sie erhalten, als sie Zeuge des kurzen Dialoges zwischen Kikyo und Inuyasha gewesen war, nachdem ihre Schwester den Hanyou an den heiligen Baum gebannt hatte. Anschließend war sie schwer verletzt zusammengebrochen und mit dem Wunsch auf den Lippen, sie zusammen mit dem Juwel der vier Seelen zu verbrennen, gestorben. Doch viele Jahre später war Kaede von dem Halbdämon eines besseren belehrt worden, beteuerte er ihr gegenüber doch, daß er Kikyo niemals ein Leid hätte zufügen können, selbst in dem Moment, als die falsche Kikyo auf ihn geschossen hatte, wäre er niemals auf den Gedanken gekommen, ihr etwas anzutun. Deswegen hatte er sich auf seine eigene Art und Weise an ihr gerächt, in dem er das Juwel der vier Seelen an sich nahm. Allerdings waren Inuyasha und Kaede später zu der richtigen Vermutung gelangt, daß er und ihre Schwester die Opfer einer gemeinen Intrige Narakus geworden waren. Und nun lag er hier und würde sich für das, was ihm damals widerfahren war, nicht einmal mehr rächen können.

Kaede schluckte schwer und trat näher an den jungen Hanyou heran. Sie musste unbedingt etwas überprüfen. Die alte Miko konnte sich gut daran erinnern, daß der Junge schon viel schwerer verletzt zu ihr gebracht worden war, als es jetzt den Anschein hatte. Deswegen musste sie sich sicher sein. Vorsichtig drückte sie sein Gewand auseinander, so daß sein Oberkörper frei lag. Behutsam löste sie seine Verbände, die man ihm angelegt hatte. Als sie den letzten zur Seite legte, zog sie scharf die Luft ein. Wie sie vermutet hatte ... . Plötzlich vernahm sie Geräusche außerhalb des Raumes, in dem sie sich befand. Vom Gang her näherten sich rasch Schritte. Aufgeregte Stimmen drangen an ihr Ohr. Hastig legte sie dem Hanyou die Verbände wieder an und verschloss sein Gewand. Sie hörte, wie die Tempelwächter demjenigen, der den Gang entlanggestürmt war, den Zutritt zu ihr verwehrten.

"Hab Respekt! Das hier ist ein geheiligter Ort, an dem gebetet und der Toten gedacht wird. Wir können dich unmöglich einlassen!"

"Aber, ... ich muss sofort die Miko Kaede sprechen! Es ist furchtbar wichtig! Es geht um das junge Mädchen, was mit dem Hanyou ... ."

Weiter kam er nicht. Die Tür wurde schwungvoll zur Seite geschoben und Kaede erschien unter dem Türbogen. Die Tempelwächter verneigten sich sogleich respektvoll vor ihr und deuteten auf den Mann, der sie so sehr zu sprechen wünschte.

"Verzeiht, Kaede-sama. Wir konnten ihn nicht davon abbringen, bis hierher vorzudringen. Er besteht unbedingt darauf, euch zu ... ."

Kaede unterbrach die beiden ungeduldig mit einer Handbewegung.

"Es ist schon in Ordnung. Ich werde ihm Gehör schenken. Allerdings nicht hier, da muss ich euch Recht geben." Sie wandte sich dem Mann zu. "Komm. Wir gehen in den Vorraum des Tempels. Dort stören wir die Ruhe der Toten nicht und auch nicht die der Betenden."

Auf ihren Wink hin folgte er ihr mit einem schüchternen Blick in Richtung der Tempelwächter, die wieder ihren Platz eingenommen hatten. Als sie den Vorraum erreicht hatten, richtete sie sofort ihre Frage an ihn, die ihr seit seinem Eintreffen auf den Lippen brannte.

"Also, was ist so wichtig, daß du mich bei meiner Toten-Andacht störst?"

Der Mann schreckte etwas unter ihrem Tonfall zusammen, bevor er stockend antwortete.

"Die ... die ... jungen Leute wünschen euch ...schnell- ... schnellstens zu sprechen. Sie haben sich vor eurer Hütte eingefunden."

Kaede spürte, wie ihr Herz vor Aufregung schneller schlug.

"Wer? Wer ist alles dort?! Schnell, sag es mir!"

Erstaunt über die Reaktion der Miko antwortete der Mann rasch.

"Sie sind alle dort. Der Mönch, die Dämonenjägerin, der kleine Fuchsyoukai und das junge Mädchen in der seltsamen Kleidung, Kagome heißt sie doch, glaube ich, oder, Kaede-sama?"

Der alten Frau fiel ein Stein in der Größe eines Kirchturms vom Herzen. Kagome. Sie hatten sie gefunden und wieder hergebracht.

"Ist sie wohlauf? Unverletzt? Was hat sie für einen Eindruck auf dich gemacht?"

Sie musste es sofort wissen. Der Mann sah sie allerdings mit wachsender Verwirrung an.

"Natürlich ist sie wohlauf. Warum auch nicht? Sie erfreuen sich alle bester Gesundheit. Aber ich verstehe nicht ganz, Kaede-sama. Ich dachte, das Mädchen wäre die ganze Zeit über in eurer Hütte gewesen, um sich von dem Schock zu erholen."

Die Miko zog ertappt die Augenbrauen hoch. Natürlich hatte diese Tatsache den Mann stutzig gemacht und das mit Sicherheit nicht nur ihn. Aber für lange Erklärungen war jetzt keine Zeit.

"Den Grund dafür werde ich dir und den anderen Leuten ein anderes Mal erklären. Ich muss jetzt schnellstens zu ihnen."

Mit diesen Worten wandte sie sich von ihm ab, um aus dem Tempel zu eilen, als eine aufgeregte Frauenstimme sie zurückhielt.

"Kaede-sama! Ich habe schon überall nach euch gesucht! Die Tempelwächter sagten mir, daß ich euch hier finden könnte. Wir müssen doch noch über die bevorstehende Zeremonie sprechen!"

Kaede hätte sich am liebsten geohrfeigt. Natürlich, das war doch eigentlich auch der Grund gewesen, weswegen sie den Weg hierher eingeschlagen hatte. Etwas zerknirscht wandte sie sich der jungen Frau zu.

"Es tut mir leid, wir werden es wohl später besprechen müssen. Jemand wartet vor meiner Hütte auf mich."

Damit drehte sie den beiden nun endgültig den Rücken zu und verließ eiligen Schrittes den Tempel. Zurück blieben zwei reichlich verdutzte Menschen, die nur ratlos mit den Schultern zuckten und der Miko kopfschüttelnd hinterher sahen.

Diese rannte, so schnell sie ihre alten Füße trugen, in Richtung ihres Heimes.

Dort wurde sie schon ungeduldig von ihren jungen Freunden erwartet, die sich derweil die Zeit mit irgendwelchen Kindereien vertrieben. Zur Abwechslung ärgerte Miroku mal Shippo, Sango stand schimpfend und mit erhobenem Zeigefinger daneben und Kagome musste wider Willen über dieses allzu komische Bild lachen. Der junge Mönch und die Dämonenjägerin starrten sie verblüfft an, während der kleine Kitsune den Moment der Ablenkung nutzte, um sich den Apfel wiederzuholen, den Miroku ihm weggenommen hatte. Kagomes heiteres Lachen erstarb, als sie in die Gesichter ihrer Freunde blickte.

"Wa- ... was habt ihr denn?"

Sango fand als Erstes die Sprache wieder.

"Kagome-chan, du ... du hast ja gelacht."

Nun war es an dem Mädchen aus der Zukunft ihre Freunde seltsam zu mustern.

"Ja, und ... war da was falsch dran?"

Sango trat einen Schritt auf sie zu und schüttelte den Kopf.

"Nein, nein, überhaupt nicht., wir hatten nur die Befürchtung, daß wir das bei dir lange Zeit nicht mehr sehen werden, deswegen."

Kagome verstand. Die Drei hatten sich Sorgen darüber gemacht, daß sie nach Inuyashas Tod in eine Art Lethargie verfallen würde.

"Nein", dachte sie. "Er hat gesagt, es ist nicht meine Schuld und ich weiß, daß er immer bei mir sein wird. Er würde nicht wollen, wenn ich für den Rest meines Lebens traurig wäre."

Sie wandte sich lächelnd wieder ihren Freunden zu.

"Macht euch keine Sorgen, mit mir ist alles in Ordnung. Mich hat eure kleine Auseinandersetzung von eben nur an etwas erinnert. Deswegen musste ich lachen."

Miroku, Sango und Shippo wussten, was sie meinte. Wie oft hatte Inuyasha den kleinen Kitsune aus irgendeinem Grund geärgert, wie oft hatte Kagome ihn dafür mit einem "Osuwari" zu Boden geschickt, wie oft hatten Sango und Miroku darüber geschmunzelt ... .

Sie wussten alle, daß die große Lücke, die nach seinem Tod entstanden war, kein anderer füllen konnte.

Plötzlich vernahmen sie eilige Schritte und das dazugehörige Schnauben und Prusten einer alten Frau, die eigentlich in ihrem Alter lieber nicht mehr so schnell laufen sollte.

Ob sie ihr wohl verzeihen würde? Kagome sah der Miko zweifelnd entgegen, die vernünftigerweise ihre Schritte verlangsamt hatte und den Rest des Weges gehend und nicht laufend zurücklegte. Miroku versetzte Kagome einen sanften Stoß in den Rücken, so daß sie der alten Miko ungeschickt entgegen stolperte. Um einen drohenden Zusammenstoß mit Kaede zu vermeiden, fing sich das Mädchen in allerletzter Sekunde ab und sah der Frau schuldbewusst in die Augen. Zuerst konnte sie die Gefühle der Priesterin nicht deuten, doch dann bildete sich ein freundliches Lächeln in dem von Falten zerfurchten Gesicht. All die Sorgen und Ängste verschwanden mit einem Male aus dem Herzen des Mädchens wie ein dunkler Schatten, der von den ersten Sonnenstrahlen des Tages getilgt wurde. Ohne Vorwarnung fiel sie der verdutzten Kaede in die Arme und stammelte schluchzend eine Entschuldigung nach der anderen, bis die alte Frau sich vorsichtig aus der Umarmung löste und ihr beruhigend über die Wange strich, auf der sich noch ein paar Tränen der Erleichterung ihren Weg suchten.

"Aber, aber, Kagome. Mein Kind, niemand macht dir einen Vorwurf. Egal, was du gesagt oder getan hast, das warst in diesen Momenten nicht du selbst. Etwas hat von dir Besitz ergriffen und dich vollkommen in seine Gewalt gebracht. Es hat dir Dinge vorgegaukelt, die gar nicht geschehen sind, hat dich Sachen glauben lassen, die nicht der Wahrheit entsprachen. Warum sollte ich dir böse sein? Ich bin eher diesem Dämon böse, der dir das angetan hat."

Kagome blinzelte ein paar Tränen weg und lächelte zur Antwort schüchtern. Sie wusste nicht, was sie darauf erwidern sollte. Es war wirklich schön zu wissen, daß Kaede und ihre Freunde ihr so vorbehaltlos vertrauten.

Sango hatte während dieser rührenden Szene Mirokus Hand genommen und sie zusammen mit der ihren fest an ihre Brust gedrückt. Der kleine Kitsune musterte die beiden komplett verdattert, vor allem, weil die junge Dämonenjägerin wohl gar nicht mitbekam, was sie da gerade tat. Miroku aber umso mehr. Seine Hand wanderte derweil langsam aber stetig in Richtung des Körperteils, welches ihn bei Sango am meisten reizte: ihren Po. Shippo schüttelte warnend den Kopf, doch umsonst. Der Mönch schwebte auf Wolke Sieben und schon war es geschehen. Kaum daß seine Hand ihren Po berührt hatte, bekam er auch sofort die Konsequenzen seines unüberlegten Verhaltens zu spüren. Eine ihm wohlbekannte zarte Hand flog heran und nur einen Sekundenbruchteil später zierte mal wieder ein unverkennbarer Handabdruck seine Wange. Verwirrt sah er zu ihr hinüber, doch sie starrte ihn nur wütend und aufgebracht an.

"Houshi-sama! Was denkst du dir dabei?!"

Hilfesuchend sah er zu Shippo hinunter, der die kleinen Ärmchen vor dem Körper verschränkt hatte und ihn mit einem "Ich hab dich doch gewarnt" Blick musterte.

"Ich ... äh ... ich hab gedacht, daß du es wolltest, weil du meine Hand ... ."

Sie fuhr ihm wie ein Sturm über die Lippen.

"Das ist doch noch lange kein Grund zu denken, daß ..., aaaahhhhhhh! Ich werde einfach nicht schlau aus dir!"

Sie fuchtelte aufgeregt mit den Armen vor seinem Gesicht herum, während er zerknirscht versuchte, sie zu beruhigen, doch dadurch machte er sie nur noch wütender. Kagome und Kaede, die ein paar Schritte von ihnen entfernt standen, beobachteten die Szene amüsiert und mussten lachen. Daraufhin hielten Sango und Miroku in ihrer kleinen Auseinandersetzung inne und starrten sie peinlich berührt an.

"Ihr Zwei werdet euch auch nie ändern", bemerkte die alte Miko und ging zusammen mit Kagome auf ihre Behausung zu.

"So, und jetzt will ich von euch alles genau wissen, was sich zugetragen hat. Und da es sich mit leerem Magen schlecht erzählen lässt, erwartet euch in meinem bescheidenen Heim eine leckere Stärkung."

Das ließ sich von ihnen natürlich keiner ein zweites Mal sagen, zudem sie jetzt alle ihren Hunger bemerkten und so folgten sie Kaede einer nach dem anderen in ihre Hütte. Nur Kirara hielt vor dem Heim der Miko noch kurz inne, um sich zu kratzen und dann genüsslich zu strecken. Mit einem zufriedenen Miauen trippelte sie nun den Menschen hinterher, da sie verständlicherweise nicht leer ausgehen wollte. Nur einen hatte sie dabei draußen vergessen. Myoga war bei der Kratzattacke der kleinen Dämonenkatze im hohen Bogen von ihrem schützenden Fell ins hohe Gras befördert worden, wo er sich benommen wieder aufrappelte. Er bekam gerade noch mit, wie das Mädchen, welches seinem verstorbenen Herrn das Wichtigste auf dieser Welt gewesen war, in der Hütte der Miko Kaede verschwand. Mit einem protestierenden "Kagome-sama" sprang er hinterher und landete sicher an ihrem Kragen, wo er sich in den weichen Stoff kuschelte und sofort einschlief.
 

Genau das tat auch ein kleines Mädchen meilenweit entfernt von ihnen, allerdings unter den wachsamen Augen eines mächtiges Dämons und seines kleinen, eher mürrisch dreinblickenden Dieners, der sich im Gras niedergelassen hatte. Die Kleine selbst lag unter einem großen, schattenspendenden Baum und döste friedlich vor sich hin. Ihr großer Beschützer musterte sie einen Moment nachdenklich und wandte sich anschließend wieder den Dingen zu, die ihm seit dem vorigen Abend keine Ruhe mehr gönnten. Jaken spürte die Angespanntheit seines Herrn und machte sich langsam Sorgen. Was war nur geschehen, daß ihn so aus der Fassung gebracht hatte? Sesshomaru wusste es selbst nicht einmal genau. Nur was eins betraf, war er sich vollkommen sicher. Mit Inuyasha musste irgendetwas geschehen sein. Und zwar nichts Gutes. Diesen Schmerz, den er in den gestrigen Abendstunden verspürt hatte, war das Schlimmste gewesen, woran er sich erinnern konnte. Er kannte zwar körperlichen Schmerz, dem man sich nach Verletzungen entgegenstellen musste, so etwas war für ihn eine der leichtesten Übungen als Youkai. Doch das ..., das war etwas vollkommen Neues und Erschreckendes gewesen. Seine Gedanken schweiften zu jener Nacht zurück, in der er seinen Vater das letzte Mal gesehen und gesprochen hatte. Der damalige Youkai-Lord war in dieser schicksalsträchtigen Nacht aufgebrochen, um seine Frau und den gemeinsamen neugeborenen Sohn zu retten. Doch vorher musste er seinen Erstgeborenen Sesshomaru noch in wichtige Dinge einweihen, die das Überleben seines kleinen Sohnes sichern sollten. Sesshomaru erinnerte sich noch genau an die Worte. Was damals mit grausamer Sicherheit schnell ans Tageslicht kam, war, daß jenes das letzte Mal gewesen sein sollte, daß sein Vater so vor ihm stand. Die Worte hallten noch lange in seinem Kopf wieder, auch noch, als sein Vater sich schon längst in seiner wahren Form auf den Weg gemacht hatte.

"Sesshomaru, du und dein Halbbruder, ihr teilt etwas ganz Besonderes. Ihr seid durch ein unsichtbares Band miteinander verbunden. Solange er noch klein ist und sich nicht selbst verteidigen kann, spürst du es, sobald er sich in Gefahr befindet. Ich erwarte natürlich dann von dir, daß du ihm zur Hilfe eilst. Er ist und bleibt dein Bruder, auch wenn er in deinen Augen nur ein "Bastard" ist, so fließt doch in euren Adern dasselbe Blut, mein Blut. Wenn er alt genug ist, um zu kämpfen, bleibt das unsichtbare Band zwischen euch noch immer bestehen. Sollte einer von euch getötet werden, spürt der andere es sofort und kann sich auf die bevorstehende Rache vorbereiten. Der Tod eines Hundeyoukai bleibt niemals ungesühnt, merk dir das, Sesshomaru. Du besitzt als einziger das Recht, deinen Bruder zu töten und umgekehrt. Leb wohl, Sohn."

Danach war Sesshomaru noch lange nachdenklich an dieser Stelle verharrt, bis Myoga mit der Nachricht vom Tod seines Vaters eintraf und mit der Bitte an ihn, die nächste Zeit ein Auge auf das Menschenweib und den kleinen Bastard zu haben, was er widerwillig tat.

"Sesshomaru-sama!"

Die Stimme seines Dieners riss ihn buchstäblich aus seinen Gedanken. Fragend sah er sich um und registrierte schockiert, daß sie schon seit einiger Zeit wieder unterwegs sein mussten. Wieso hatte er das nicht bemerkt? Jaken zeigte mit seinem Stab auf das schlafende Mädchen, daß es sich auf Ah-Un bequem gemacht hatte, nun aber langsam Gefahr lief vom Rücken des zweiköpfigen Drachen herunterzurutschen. Sesshomaru war zutiefst bestürzt. Seit dem letzten Sonnenuntergang war er nicht mehr derselbe, bekam kaum noch richtig mit, was um ihn herum geschah. Dieses Gefühl hatte ihn in tiefste Verwirrung gestürzt. Wenn sein Vater wirklich Recht hatte und daran zweifelte er keineswegs, dann ... . Er musste unbedingt herausfinden, was geschehen war. Er musste wissen, ob sein Bruder tatsächlich den Tod gefunden hatte und zwar schnell, sonst würde er noch den Verstand verlieren, wenn das so weitergehen sollte.

"Jaken?!"

Sein froschgesichtiger Diener äugte vorsichtig zu ihm hinüber.

"Ja, Herr?"

"Wir werden einen anderen Weg einschlagen. Unser Ziel ist das Dorf, in dem die Miko Kikyo gelebt hat."

"Ja- ... Jawohl, Herr", stammelte Jaken und ging zu Rin hinüber, um das kleine Mädchen zu wecken, damit sie nicht am Ende doch noch vom Rücken des Drachens rutschte. Langsam setzte sie sich auf und rieb sich verschlafen die Augen.

"Sesshomaru-sama, wohin gehen wir?"

Der Youkai sah hinauf zur Sonne, die nun schon hoch am Himmel stand.

"An einen Ort, an dem die Wahrheit ruht."
 

An genau diesem Ort bereitete die Miko Kaede ihre jungen Freunde, insbesondere Kagome, behutsam auf die bevorstehende Beisetzung des Hanyous vor. Nachdem alles soweit besprochen war und sie gespeist hatten, legten sich Miroku, Sango und Shippo noch etwas zur Ruhe. Die alte Frau bedeutete Kagome mit vor ihre Hütte zu kommen. Sie wusste, für das Mädchen würde dieser Tag wohl einer der schwersten ihres noch so jungen Lebens werden. Draußen angekommen zögerte sie nicht lange mit dem, was ihr Gemüt belastete.

"Kagome ... wenn du ... ihn noch mal sehen möchtest, dann wäre jetzt der richtige Zeitpunkt dafür."

Die Angesprochene fühlte, wie sich bei Kaedes Worten schon wieder Tränen in ihren Augenwinkeln bildeten. Zu groß war noch der Schmerz und er würde ihr Herz wahrscheinlich nie wieder gänzlich verlassen. Trotzdem nickte sie und gab der Miko so zu verstehen, daß sie bereit war. Kaede sah an ihr vorbei in Richtung des Tempels.

"Gut. Dann folge mir."

Unbemerkt von beiden hielt sich Myoga unter Kagomes Kragen versteckt. Selbstverständlich wollte er sich ebenfalls von seinem jungen Herrn verabschieden. Darüber nachgedacht, daß das Mädchen mit dem Hanyou vielleicht lieber allein sein wollte, hatte er nicht.

Während des Ganges zum Tempel überlegte Kagome, wie sie Inuyasha wohl vorfinden mochte. Friedlich schlafend, wie sie ihn schon einmal gesehen hatte, oder etwa genau das Gegenteil von dem? Sie schüttelte den Kopf, um den schrecklichen Gedanken zu vertreiben. Aber dann fiel ihr wieder ein, was ihr Opa ihrer Mutter vor einiger Zeit erzählt hatte. Nur zufällig war sie Zeuge dieses Gespräches geworden. Ihr Opa berichtete, daß Menschen, nachdem sie entschlafen sind, manchmal wunderschön aussehen, so, als sei der Tod eine Art Erlösung für sie gewesen und andere wiederum sähen sehr schlimm aus, als hätten sie während des Todeskampfes noch furchtbare Qualen erleiden müssen. Ihr kleiner Bruder Souta war in dem Moment dazu gekommen und ihre Mutter hatte Opa schnell die Hand vor den Mund gehalten und ihm verboten vor dem Jungen weiterzusprechen. Aber daß Kagome alles hinter der Tür mit angehört hatte, das wussten sie nicht.

Das Mädchen war sich nun gar nicht mehr so sicher, ob sie ihren Hanyou wirklich noch mal sehen wollte, andererseits, hätte Kaede es sonst befürwortet? Und ... schließlich hatte sie ihm noch soviel zu sagen.

Kurz bevor sie den Tempel erreichten, hielt Kaede mit einem Male inne und zwar so abrupt, daß Kagome, die hinter ihr ging, fast in sie hineingelaufen wäre. Fragend sah sie der alten Miko, die sich nun zu ihr gewandt hatte, ins Gesicht. Die seufzte tief und ergriff Kagomes Hand. Das Mädchen fühlte, wie die Frau etwas in ihre Hand legte und ihr dann mit einem Blick darauf zunickte. Neugierig betrachtete sie das Objekt und bekam große Augen. Es war ein vergoldetes Amulett mit dazugehöriger Kette, was Kaede ihr da gegeben hatte. Stirnrunzelnd hielt sie die Kette vor ihr eigenes Gesicht und besah sich nachdenklich den herzförmigen Anhänger.

"Was ... für wen ist das? Warum ...?"

Kaede zeigte auf das Amulett, welches von Kagomes Hand baumelte.

"Es ist deins. Mach es auf."

Kagome verstand nun gar nichts mehr. Sie wollte doch zum Tempel, zu Inuyasha. Und jetzt gab die alte Priesterin ihr auf einmal diese Kette, dessen goldenes Herzamulett sie nun öffnen sollte? Aber bis jetzt hatte ja alles immer einen Sinn ergeben, worum die Miko sie gebeten hatte. Nun gut, sie würde es öffnen.

"Seltsam", dachte Kagome, als sie das Amulett und den Öffnungsmechanismus an der Seite genauer untersuchte, "das ist doch Schmuck aus meiner Epoche. So etwas wie das hier gab es doch damals noch gar nicht."

Mit einem leisen Klick sprang das Herz auf und Kagome blieb fast das Herz stehen, als sie hineinsah. Im Inneren war ein kleines Foto eingebettet und auf diesem Foto ..., das ... das ... war doch ... Inuyasha? Das Mädchen aus der Zukunft spürte, wie ein paar Tränen ihre Wangen hinunterliefen. So schön wie auf diesem Bild hatte sie ihn noch nie lächeln sehen. Es musste ein freudiger Anlass gewesen sein, zu dem er dieses Amulett samt Kette erworben hatte. Unwillkürlich erwiderte sie sein Lächeln. Tränen tropften auf das Bild.

"Er wollte es dir zum Geburtstag schenken, Kagome."

Kaede war neben sie getreten und musterte das Amulett in Kagomes Hand.

"Er bat mich darum, die Halskette bis zu deinem Ehrentag aufzubewahren, aus Angst, er könne sie verlieren. Sollte ihm allerdings etwas zustoßen, so sagte er mir, sollte ich sie dir trotzdem geben, auf das du sie in der Nähe deines Herzens tragen kannst. So wird er immer bei dir sein. Das war seine letzte Bitte an mich."

Die soeben gesprochenen Worte Kaedes gingen in Kagomes nicht enden wollenden Schluchzern unter, denn nun konnte sie ihre Trauer nicht länger zurückhalten. Sie hätte nie daran gedacht, daß er ihr etwas zum Geburtstag schenken wollte. Hatte sie sich denn so in ihm getäuscht? Nun verstand sie auch, warum er so grantig zu ihr gewesen war, als sie ihm eröffnet hatte, daß sie wegen ihres Geburtstages für ein paar Tage in ihre Zeit wollte. Und wie hatte sie es ihm gedankt, daß er sie aufhalten wollte, um ihr das Geschenk pünktlich an jenem Tag zu überreichen, der nun in drei Wochen sein sollte? Mit unendlich vielen "Osuwari"-Wutausbrüchen. Ein wenig fühlte sie sich schon schuldig, daß sie ihm kein Gehör hatte schenken wollen, weswegen er sie hier behalten wollte. Obwohl man ja so ein Geschenk auch nachträglich überreichen konnte ... . Oder wähnte er sich da in solcher Ungewissheit, daß es danach nicht mehr dasselbe sein könnte? Nein, dachte sie. Unsinnig, sich darüber den Kopf zu zerbrechen. Andere Zeiten, andere Sitten. Vielleicht war es in dieser Epoche so üblich, Geschenke nur direkt am Geburtstag eines Menschen zu überreichen, weil es sich danach nicht mehr gehörte. Unbeholfen wischte sie sich mit dem Handrücken die Tränen aus dem Gesicht.

"Meinst du, du schaffst das, Kagome? Ich hätte Verständnis dafür, wenn du es nicht könntest."

Doch das Mädchen trat entschlossen an ihre Seite.

"Ich will ihn sehen, Kaede. Jetzt noch mehr als vorhin. Das bin ich ihm schuldig. Wenigstens das möchte ich noch für ihn tun."

Die Priesterin lächelte ihr angesichts dieser Worte aufmunternd zu.

"Nun gut. So sei es. Nur noch ein paar Schritte, dann sind wir da."

Sie deutete mit dem Finger auf ein Gebäude, das nur wenige Meter vor ihnen aufragte. Kagomes Kopf fuhr hoch. Aufmerksam betrachtete sie den Tempel, an dessen Tor zwei Männer postiert waren, die eine eigenartige Mischung aus Priestergewand und Rüstung trugen. In ihren schlichten Gürteln steckten reich verzierte Kurzschwerter, die sie wahrscheinlich auch einsetzen würden, wenn nötig.

"Die Tempelwächter werden dich bis zu Inuyasha begleiten. Ich warte hier solange."

Die alte Miko nickte den beiden Wächtern zu, die sich gehorsam verneigten und dann das Mädchen in ihre Mitte nahmen. Gemäßigten Schrittes durchquerten sie den Innenhof des Tempels, bis sie den Eingang erreichten. Schlagartig schwand das Licht, als sie das Gebäude betraten, nur die Kerzen in dem endlosen Gang sorgten für etwas Helligkeit. Schweigend folgte Kagome den beiden Männern, die nun voran gingen und ihr den Weg wiesen. Nervös umklammerte sie ihr Amulett, daß ihr nun am Hals baumelte. Der Kloß, der sich langsam in ihrem Hals bildete, wurde allmählich unerträglich. Angestrengt versuchte sie zu schlucken. Es tat höllisch weh. Die Tempelwächter horchten auf. Ihnen war nicht entgangen, wie Kagome sich fühlte. Einer von ihnen wandte sich aus diesem Grunde an das Mädchen.

"Geht es euch gut, Kagome-sama?" Sie behandelten sie mit dem gleichen Respekt wie Kaede, schließlich war auch sie eine Priesterin.

Die Angesprochene nickte hastig.

"J- ... Ja. Mit ist nur etwas komisch zumute."

Der Wächter sah sie verständnisvoll an.

"Das können wir gut nachvollziehen. Es ist ja auch kein leichter Gang, den ihr hier tut. Wir sind allerdings auch gleich da."

Er zeigte auf eine Tür am Ende des Ganges, vor der links und rechts je eine Kerze stand. Unsicher bleib sie davor stehen und knetete nervös mit der einen Hand die andere. Sie wusste, was hinter dieser Tür auf sie wartete und gleichzeitig wusste sie es aber auch nicht. Ihre Hände begannen unkontrolliert zu zittern, als sie die Tür beiseite schieben wollte. Einer der Tempelwächter trat an ihre Seite, um für sie den Durchgang zu öffnen. Anschließend verneigten sich die beiden vor ihr und bezogen schweigend ihre Position. Nachdem Kagome eingetreten war, hörte sie, wie die Tür hinter ihr zugeschoben wurde. Ihre Augen wanderten sofort zu dem Hanyou, der vor ihr aufgebahrt lag, sein Körper erhellt vom Schein der Kerzen. Als sie an ihn herantrat, begannen sie bedrohlich zu flackern. Es schien nicht mehr lange zu dauern, bis sie endgültig ausgingen. Dann, so hatte Kaede es ihr erklärt, sei es an der Zeit seinen Körper dem Feuer und der Erde zu übergeben. So war es für jeden Dahingeschiedenen bestimmt, erlischt das Licht der Kerzen, so ist es an der Zeit, den letzten Weg anzutreten. Und für Inuyasha schien es jetzt bald soweit zu sein. Kagome hatte sich fest vorgenommen, nicht zu weinen, doch sie fühlte, daß sie dieses Versprechen ihr selbst gegenüber nicht einhalten konnte. Eine Träne tropfte auf Inuyashas blasses Gesicht. Vorsichtig wischte sie die Träne weg und erschrak. Er war kalt, so schrecklich kalt. Die Wärme hatte seinen Körper gänzlich verlassen. Ansonsten sah er wunderschön aus. Wie ein Engel, dachte Kagome. Das schneeweiße Gewand verstärkte noch den Eindruck. Sanft strich sie ihm die Haare aus dem Gesicht.

"Inuyasha", wisperte sie, "wieso hast du das bloß gemacht?"

Noch mehr Tränen fielen auf das Gesicht des Hanyous.

"Du denkst, du hast mein Leben gerettet, doch das stimmt nicht. Du hast es mitgenommen an einem mir unbekannten Ort."

Bei diesen Worten begannen die Kerzen erneut gefährlich zu flackern. Kagome sah erschrocken zu ihnen hinüber. Heute Abend, dachte sie, heute Abend wird es soweit sein. Dann kommen sie dich holen und ich sehe dich nie ... nie wieder.

Ein Geräusch ließ sie plötzlich herumfahren. Es klang sehr nah an ihrem Ohr, doch sie konnte rundherum nichts entdecken, was das Geräusch verursacht haben könnte. Sie lauschte angestrengt in die Stille der Raumes hinein, doch da war nichts. Hatte sie es sich nur eingebildet? Schweigend wandte sie sich wieder dem Hanyou zu und nahm seine Hand in die ihre. Sie fühlte sich genauso eiskalt an wie sein Gesicht. Sorgsam streichelte Kagome Inuyashas Hand, fast so, als wolle sie wieder Leben in den reglosen Körper bringen. Soviel hatte sie ihn noch fragen wollen, sowenig wusste sie über ihn. Er hingegen hatte ihre Familie kennen gelernt, ihr Zuhause und ihre Art zu leben. Gut, seinem älteren Halbbruder waren sie des öfteren begegnet, doch diese Treffen waren nicht so harmonisch verlaufen wie Familienfeiern. Im Gegenteil. Auch über seine verstorbenen Eltern wusste sie nicht viel, nur das bisschen, was sie aus Inuyasha herausbekommen hatte. In dieser Hinsicht war er nicht gerade redselig gewesen, obwohl sie das natürlich bestens verstehen konnte. Schließlich hatte er seinen Vater niemals kennen gelernt, seine Mutter war früh von ihm gegangen und sein Leben danach war nicht gerade einfach verlaufen. Nur Kikyo hatte ihm etwas von der Liebe, die er davor nur von seiner Mutter erfahren hatte, wiedergegeben. Kikyo ... . Wie sie wohl reagieren würde, wenn sie vom Tode Inuyashas erfuhr? Kagome wollte es gar nicht wissen. Im Moment zählte für sie nur der Augenblick. Vorsichtig führte sie mit ihrer Hand die seine an ihr Gesicht und drückte sie an sich. Wie gern hätte sie es noch einmal gespürt, wie er ihr über die Wange strich, wie gern hätte sie noch einmal in seine bernsteinfarbenen Augen geblickt, in denen sich Freude, Wut, aber auch oft Traurigkeit wiedergespiegelt hatten. Erst jetzt wurde ihr all das auf grausame Art und Weise bewusst. Diese Endgültigkeit, die der Tod mit sich brachte, war einfach schlichtweg niederschmetternd. Am liebsten würde sie die Zeit anhalten, um so noch länger neben ihm zu verweilen. Erneut fiel ihr Blick auf die Kerzen. Nur ein jämmerlicher Rest von ihnen thronte noch auf den Haltern. Nicht einmal eine Stunde gab sie ihnen noch.

"So schnell, das geht mir alles viel zu schnell. Ich kann mich doch nicht so von jemandem verabschieden, der mir", ihre Gedanken gerieten ins Stocken, "soviel bedeutet hat."

Ein Schluchzen direkt neben ihrem Ohr vertrieb ihre Gedanken so wie der Wind im Spätherbst die Blätter von den Bäumen.

"Inuyasha-sama", wimmerte ein Stimmchen, das von ihrer Schulter her zu kommen schien. Vorsichtig wanderte ihre Hand zu der Stelle hinauf, von der sie das Stimmchen vernommen hatte. Sie fühlte, wie etwas Kleines in ihre Handfläche hineinsprang und dort verharrte, Langsam bewegte sie ihre Hand wieder hinunter und sah einen kleinen schwarzen Punkt auf Inuyashas Körper zuspringen.

"Myoga-jiji", entfuhr es ihr erstaunt, "was ... was machst du hier?"

Doch der kleine Flohgeist war kaum in der Lage zu antworten. Dicke Tränen kullerten ununterbrochen seine Wangen hinunter und tropften auf das Gewand des Hanyous, während sein Mund pausenlos irgendwelche Sätze formte, die für Kagome keinen Sinn ergaben. Es tat ihr fast in der Seele weh, ihn so zu sehen.

"Myoga-jiji", begann sie behutsam, "ich ... ."

Ja, was sollte sie sagen? Daß es sie genauso schmerzte, ihren geliebten Hanyou hier so liegen zu sehen? Als ob das was bringen würde, dachte sie. Doch Myoga schien dieses Mal ihre Stimme vernommen zu haben, denn er sah aus tränenverschleierten Augen zu ihr hoch.

"Es ist alles meine Schuld", schluchzte er, "wenn ich nicht so feige gewesen wäre und ihn nicht ständig im Stich gelassen hätte, dann ... , dann ... ."

Seine Stimme versagte. Traurig blickte er zu seinem jungen Herrn hinüber, der bald nur noch als Erinnerung in den Herzen derer, die ihn gekannt und geliebt hatten, existieren würde.

"Vielleicht", so begann er erneut und diesmal mit etwas festerer Stimme, "vielleicht hätte ich noch etwas tun können, wenn ich bei ihm gewesen wäre, ich hätte ihn warnen können, oder was auch immer. So habe ich nun meinen Schwur gegenüber seinem Vater gebrochen. Diese Schande wird mich bis an mein Lebensende verfolgen."

Mit einem Schniefen unterstrich er die ausweglose Situation.

"Schwur?" Kagome hatte davon noch nie etwas gehört.

Myogas Augen begannen sonderbar zu leuchten, als Erinnerungen aus längst vergangenen Zeiten wieder wach wurden.

"Inuyasha-samas werter Vater, der mächtige Youkai-Lord des Westens, Inu no Taishou, hatte mich mit der ehrenvollen Aufgabe vertraut gemacht, nach seinem Ableben ein Auge auf seinen jüngsten Sohn zu haben", er nickte in Richtung des Hanyous, bevor sein Blick wieder fest wurde und er fortfuhr. "Auf dem Weg zur Rettung von Inuyasha-sama und seiner Mutter bat er mich darum und ich habe sein Vertrauen in mich enttäuscht. Was wird er nur von mir halten, wenn er das im Reich der Toten erfährt?"

Kopfschüttelnd und noch immer schniefend wanderte er auf Inuyashas Brust hin und her.

Kagome sah ihn verblüfft an. Konnte es tatsächlich sein, daß Inuyashas Vater gewusst hatte, daß seine Frau einen Jungen erwartete? Nun gut, musste er wohl, dachte sie, sonst hätte er Myoga den Befehl nicht in dem soeben genannten Wortlaut erteilen können. Und was Hundeyoukai betraf, so versetzten diese Wesen sie doch immer wieder in Erstaunen. Sie wollte Myoga gerade eine Frage diesbezüglich stellen, als das Licht in dem Raum endgültig erlosch.

Der Schrei eines Mädchens ließ die beiden Tempelwächter, die draußen vor dem Raum der ewigen Ruhe warteten, aufhorchen. Alarmiert sahen sie sich an, schoben ohne zu zögern die Tür auf und griffen nach ihren Schwertern, ließen sie allerdings sofort wieder sinken, als sie bemerkten, daß im Inneren des Raumes vollkommende Dunkelheit herrschte. Einer von ihnen griff nach der Kerze, die draußen vor der Tür gestanden hatte und leuchtete hinein.

"Kagome-sama?! Ist euch etwas geschehen?"

Er sah, wie das Mädchen mit vor Schreck geweiteten Augen vor dem Hanyou kniete und sich vor lauter Angst an seinem Gewand festkrallte.

"M- m- mir geht es gut. Ich ... habe mich nur so erschrocken, als die Kerzen ausgingen."

Die Kerzen! Oh nein! War es denn schon soweit? Noch einmal wollte sie ihm wenigstens ins Gesicht sehen, ihm lebe wohl sagen und ... . Langsam beugte sich ihr Oberkörper hinunter zu ihm. Myoga, der noch immer auf Inuyashas Brust hockte, bekam untertassengroße Augen. Ihr langes Haar fiel auf sein Gesicht; diese ebenmäßig feinen Züge, die sie so liebte. Immer näher kamen ihre Lippen den seinen, bis sie miteinander verschmolzen. Sie waren ebenfalls kalt wie die Nacht, doch das war Kagome egal. Myogas Gesichtsfarbe hatte angesichts dieses einzigartigen Momentes einen leichten Rot-Ton angenommen, genauso wie die Wangen der Tempelwächter, die sich peinlich berührt wegdrehten. Die Sicherheit in ihren Stimmen war etwas verflogen, als sie das Mädchen darauf aufmerksam machten, daß der Moment gekommen sei.

"Äh, Kagome-sama, wenn ihr nun bereit seid? Wir müssen die Tempeldienerinnen informieren, damit sie alles vorbereiten."

Zögernd stand Kagome auf und wartete darauf, daß Myoga ihr folgte. Doch der Flohgeist rührte sich kein bisschen, sondern saß reglos da und starrte in das leblose Antlitz seines Herrn. So kniete das Mädchen sich wieder hin und sprach ihn an.

"Myoga, wir müssen jetzt gehen. Es ist Zeit."

Doch der tat so, als würde er sie nicht hören. Er verschränkte sogar noch provozierend seine kleinen Ärmchen ineinander, um ihr nachhaltig zu verdeutlichen, daß er nichts von ihrem Vorschlag hielt. Verdutzt sah das Mädchen ihn an.

"Myoga, was soll das?" wisperte sie. Wieder keine Reaktion. Die Tempelwächter musterten Kagome etwas irritiert. Mit wem redete sie da?

"Nun gut", seufzte sie, "wenn es auf diese Art nicht klappt, dann muss ich wohl handgreiflich werden."

Myogas Kopf ruckte zur Seite, als er bemerkte, wie eine von Kagomes Händen sich ihm näherte. Mit einem Satz sprang er nach vorne, doch sie erwischte ihn noch hinten an seinem Wams. Aus lauter Protest schrie er auf und ruderte wie wild mit seinen vielen Ärmchen. Er bekam Inuyashas Gewand zu fassen und krallte sich daran fest, um es am besten nie wieder los zu lassen.

"Nein, nein, nein", schrie er, " lasst mich ... lasst mich los, Kagome-sama! Ich will bei ihm bleiben! Ich will mit ihm ins Jenseits gehen, um meine Schuld zu tilgen!"

Die Tempelwächter fuhren erschrocken zusammen. Da war ja doch jemand ... .

"Red keinen Blödsinn, Myoga. Du wirst nicht mit ihm gehen, sondern mit mir."

Der alte Flohgeist hörte auf, sich wie ein Wilder zu gebären und drehte sich erstaunt zu ihr um.

"Wie ... wie meint ihr das, Kagome-sama?"

Das Mädchen schenkte ihm ein warmes Lächeln.

"Na, ganz einfach und zwar, daß du von nun an ein Auge auf mich haben wirst. Das hätte Inuyasha mit Sicherheit auch so gewollt."

Das Gesicht des kleinen Flohgeistes hellte sich schlagartig auf. Mit einem fröhlichen "Kagome-sama" auf den Lippen sprang er auf ihre Nase und - batsch - segelte er auch sofort weiter in ihre aufgehaltene Hand.

"Ich habe gesagt ein Auge auf mich haben und nichts anderes, verstanden?"

Die Vögelchen, die um seinen Kopf herumschwebten, verscheuchend, rappelte er sich auf und brabbelte etwas Unverständliches, was sich mit ganz viel Fantasie so anhörte wie ein "Ja, Kagome-sama".

"Na gut, dann verstehen wir uns ja bestens."

Mit einem Ruck stand sie auf und begab sich zu den Tempelwächtern, die noch immer an der Tür auf sie warteten.

"Es ist alles in Ordnung. Ihr könnt nun mit den Vorbereitungen beginnen. Ich habe nur einen Wunsch, der mir sehr am Herzen liegt. Ich bitte euch, es zu veranlassen, daß die Prozession am Goshinboku, dem heiligen Baum, an den Inuyasha fünfzig Jahre lang gebannt war, endet. Ich möchte, daß dort die Beisetzung stattfindet."

Die Tempelwächter verneigten sich gehorsam vor ihr.

"Wie ihr wünscht, Kagome-sama. Ihr habt ihm am nächsten gestanden, so trefft ihr auch die Entscheidung darüber, was das angeht. Folgt uns nun."

Sie wandten sich um und verließen den Raum. Bevor Kagome es ihnen gleichtat, drehte sie sich noch einmal zu Inuyasha um, dessen Körper nun nur noch von einem schwachen Lichtschein außerhalb des Raumes erleuchtet wurde.

"Lebe wohl", hauchte sie ihm zu. "Auf das es dir dort, wo du jetzt bist, besser ergeht als hier und du keine Schmerzen mehr erleiden musst."

Mit diesen Worten wandte sie sich ebenfalls um und folgte den Tempelwächtern nach draußen, die schon den Tempeldienerinnen Bescheid gegeben hatten. Hektisch liefen die Frauen an ihr vorbei in Richtung des Raumes, in dem Inuyashas Körper ruhte. Sie durchquerte eilig den Innenhof des Tempels und traf auf Kaede, die geduldig draußen vor dem Torbogen gewartet hatte. Auf ihren fragenden Blick hin schüttelte Kagome nur abwehrend den Kopf. Die alte Priesterin verstand. Das Mädchen brauchte etwas Zeit und Ruhe, um die soeben erlebten Dinge zu verarbeiten. So nickte sie ihr nur verständnisvoll zu und begleitete sie zurück zu ihrer Hütte. Dort angekommen erwarteten ihre Freunde sie schon ungeduldig. Freudig sprang ihr der kleine Kitsune in die Arme, doch Kagome lächelte ihn nur traurig an, setzte ihn wieder ab und ging zur Rückseite der Hütte. Fragend sah Shippo ihr hinterher, doch Miroku und Sango hielten ihn davon ab, ihr zu folgen. Sie hatten Kaedes Kopfschütteln aufgefangen und egal, was Kagome in dem Tempel widerfahren war, sie brauchte Zeit, um darüber hinwegzukommen.

Kagome lehnte sich mit einem Seufzen an die hölzerne Wand von Kaedes Behausung und sah hoch zum Himmel. Er war noch immer tiefblau, aber die Sonne stand längst nicht mehr so hoch wie am Mittag, es musste bereits später Nachmittag sein. Sie war sich gar nicht im Klaren darüber gewesen, wie lange sie neben seinem leblosen Körper gekniet hatte. Gedankenverloren hörte sie den Vögeln bei ihren Liedchen zu und in ihrem Kopf entstand ein Text zu der traurigen Melodie.....
 

I don't care anymore if I let you down

I believe that I need to be free

I'm so used to my life with you around

I don't know anymore the real me
 

And I thought that I found myself today

And I thought that I had control

All the change in my life just fell away

For a moment I didn't need you
 

All these tears that I've cried you

Must be tired of taking care of me but

It's what you do best and I'm a liar

Cuz really it's what I need
 

And I thought that I found myself today

And I thought that I had control

All the change in my life just fell away

For a moment I didn't need you
 

Someone like you

Someone like me

Maybe it's change

That sets you free

Free
 

And I thought that I found myself today

And I thought that I had control

All the change in my life just fell away

For a moment I didn't need you
 

(Finding myself - Smile empty soul)
 

Sie wusste nicht, wie viel Zeit vergangen war, als sie merkte, wie jemand an sie herantrat. Ein Räuspern veranlasste sie, sich umzudrehen. Es war Miroku. Sein Blick verriet ihr, daß es wohl soweit sein musste.

"Kagome-sama", begann er, " die Prozession hat bereits begonnen. Sie kommen in den nächsten Augenblicken hier an Kaedes Hütte vorbei. Wir werden uns ihnen dann anschließen. Was ist mit dir? Hast du die Kraft uns zu begleiten?"

Die Stimme des Mönches verriet, daß er sich Sorgen um den Gefühlszustand des Mädchens machte. Trotzdem irritierte sie seine Frage. Hatten sie wirklich alle angenommen, sie würde hier bleiben? Nach allem, was passiert war?

"Natürlich werde ich dabei sein", ihre Stimme klang fest. "Hast du etwa daran gezweifelt?"

Miroku lächelte. Nein, dachte er, habe ich nicht. Er war erleichtert. Kagome hatte trotz allem nichts von ihrer inneren Stärke verloren. So schüttelte er ihr gegenüber verneinend den Kopf und machte einen einladende Geste mit seiner Hand.

"Dann folge mir."

Mit einem Ruck stieß sie sich von der Holzwand ab und folgte ihm. Miroku hatte nicht übertrieben. Vor der Hütte der alten Miko warteten bereits ihre Freunde auf sie. Wie auf Befehl drehten sie alle gleichzeitig ihre Köpfe in Richtung des Mädchens und des jungen Mönches, als die beiden erschienen. Keiner sagte etwas. Sango und Kaede nickten Kagome nur aufmunternd zu und lächelten, während Shippo ihr vor die Füße sprang und ihr fragend ins Gesicht sah.

"Na, komm schon her, du kleiner Racker."

Kagome breitete einladend ihre Arme aus und der kleine Kitsune sprang mit einem vergnügten Kiekser hinein. Zufrieden kuschelte er sich an sie. Miroku atmete auf. Man konnte förmlich spüren, wie die Anspannung, die noch eben auf der ganzen Gruppe lastete, nun von allen abfiel. Einen Augenblick später ergriff Kaede das Wort und richtete es an ihre jungen Freunde, vor allem Kagome sah sie dabei an.

"Nun, gleich wird es soweit sein, daß wir uns von jemandem verabschieden müssen, den wir in der letzten Zeit mehr als schätzen gelernt haben."

Alle senkten ergriffen die Köpfe, als sie ihrer kleinen Rede lauschten. Nach einer kleinen Pause sprach sie weiter.

"Der Trauerzug wird jeden Moment hier vorbeikommen. Nachdem wir uns ihm dann angeschlossen haben, zieht er weiter in Richtung des Goshinboku, des heiligen Baumes, so, wie du es gewünscht hast, Kagome, wird Inuyasha dort den Flammen übergeben und begraben. Sollte jemand von euch dann dort noch etwas sagen wollen, so möge er es tun."

Ihr Blick wanderte von einem zum anderen.

"Seid ihr dann bereit?"

Ihre jungen Freunde nickten bedrückt und sahen zu Boden, außer Kagome, die plötzlich den Kopf hob, da sie hörte, wie langsam etwas näher kam. Auch die anderen vernahmen mit einem Mal Laute, die ihnen so seltsam fremd und doch auf bizarre Weise vertraut erschienen. An- und abschwellende Gesänge mit Wehklagen vermischt ließen sie in die Richtung sehen, aus der die Prozession sich gemächlich auf sie zu bewegte. Viele der Männer und Frauen, die sich angeschlossen hatten, hielten Fackeln in den Händen. Kagome lief ein Schauer nach dem anderen über den Rücken, als sie die für sie noch immer kaum zu begreifende Szenerie beobachtete. In ihrem Magen bildete sich ein widerliches Gefühl, daß sie sonst nur vor Klassenarbeiten verspürte. Der kleine Fuchsdämon, den sie in ihren Armen hielt, sah besorgt zu ihr auf. Er spürte die Anspannung des Mädchens und wie unruhig ihr Herz schlug. Als er seine Aufmerksamkeit wieder auf die Prozession richtete, wusste er auch warum. Kagome hatte Inuyasha inmitten der Männer und Frauen entdeckt. Er lag in demselben weißen Gewand, in das man ihn während der Verweildauer im Tempel gekleidet hatte, auf einer großen Bahre in einem Meer aus Kirschblüten, getragen von vier Männern des Dorfes, die ihre Traglast in Schulterhöhe hochgestemmt hatten. Durch den gleichmäßigen Gang der Männer bewegte sich sein Körper leicht hin und her. Der allmählich aufkommende Abendwind fuhr ihm sanft durch das helle Haar und wirbelte einige der Kirschblüten durch die milde Frühlingsluft. Kagome hätte sich am liebsten von all dem abgewandt, aber sie konnte es nicht. Der Anblick, der sich ihr bot, war wunderschön und schrecklich zugleich. Miroku und Sango hatten bemerkt, wie der Blick des Mädchens an dem Hanyou festhielt. Es schmerzte die beiden selbst ungemein, ihren Freund so zu sehen, aber für Kagome musste es kaum auszuhalten sein. So nahmen sie ihre Freundin mitfühlend in die Mitte und schlossen sich dem Trauerzug an, der nun langsam an Kaedes Hütte vorbeizog. Die Miko hatte sich bereits an die Spitze gesetzt und führte die Menschen an den Ort der Bestattung. Auf dem Weg dorthin schossen Kagome tausend Dinge durch den Kopf. Sie war noch nie auf einer richtigen Beerdigung gewesen; wie verhielt man sich dort? Und was kam danach? Wie ging es dann weiter? Wie würde ihre Familie darauf reagieren, wenn sie erfuhr, was mit Inuyasha geschehen war? Was würde ihr kleiner Bruder Souta sagen, wenn sie ihm erzählte, daß sein geliebter Inu-onii-chan sie nie wieder besuchen würde? Er hatte sich immer einen großen Bruder gewünscht und hatte in dem Hanyou genau das gesehen. Und jetzt ... jetzt was das alles vorbei. Eine einzige Sekunde hatte über das Leben des Halbdämons entschieden und das Schicksal den Tod gewählt. Kagome fühlte sich so hilflos. Wie hätte sie auch ahnen können, daß der Beistand, den sie Inuyasha in dem Kampf leisten wollte, zu so einem schrecklichen Ende führen konnte. Und das alles nur, weil er sie hatte beschützen wollen. Mit einem Male fuhr sie vor Schreck zusammen. Eine Hand hatte sich unbemerkt auf ihre Schulter gelegt. Als Kagome sich umsah, bemerkte sie, daß sie ihr Ziel bereits erreicht hatten. Der Goshinboku, der heilige Götterbaum, ragte als stummer Zeuge der Trauergesellschaft stolz und mächtig vor ihnen auf. Die untergehende Sonne schickte ihre letzten Strahlen durch die massiven und in alle Himmelsrichtungen gewachsenen Äste. Der Wind, der durch die unzähligen Blätter des Baumes fuhr, sang ein stilles Lied der Trauer. An einer Stelle auf der Lichtung hatten die Dorfbewohner bereits Holz zusammengetragen und dies zu einem großen Haufen aufgeschichtet. Genau darauf betteten die Träger die Bahre, auf welcher der Körper des Hanyous ruhte. Schweigend bildeten alle Anwesenden einen Halbkreis um den zu Betrauernden, nur Kaede löste sich aus der Menge und trat an Inuyashas Seite. Während sie die typischen Worte einer Beerdigung an ihre Mitmenschen richtete, fühlte Kagome, wie die Verzweiflung in ihrem Herzen wuchs und es mit Dunkelheit füllte. Nein, dachte sie, ich muss dagegen ankämpfen. Ich darf nicht zulassen, daß es mich beherrscht. Sie schloss die Augen, ballte ihre Hände zu Fäusten und kämpfte mit den Tränen. Verbissen zwang sie sich an Dinge zu erinnern, die sie fröhlich gestimmt hatten, Dinge, die sie mit Inuyasha erlebt hatte, glückliche Momente, von denen es zwar nicht so viele gab, die sie aber jedoch für immer in ihrem Herzen trug. Sie dachte an den Tag zurück, an dem er ihr zum ersten Mal den Grund genannt hatte, weswegen er es so hasste, wenn sie durch den Brunnen in ihre Zeit ging, ganz einfach, weil er sie brauchte, nicht als Juwelendetektor, nein, sondern weil er sich in ihrer Gegenwart wohl fühlte. Es war eines der schönsten Dinge gewesen, die er Kagome jemals anvertraut hatte. Und an dieser wunderschönen Erinnerung hielt sie fest, schloss diese in ihre Gedanken ein, auf daß es sie niemals wieder verlassen würde. Und gleichzeitig spürte sie, wie der Schatten, der ihr Herz zu verschlingen drohte, langsam verschwand. Ein erleichtertes Aufatmen ging durch ihren Körper. Als sie die Augen wieder öffnete, stand Kaede plötzlich vor ihr und musterte sie fragend. Dann seufzte die alte Miko, schüttelte den Kopf und sah Kagome mitfühlend an.

"Du hättest doch nicht mitkommen sollen, mein Kind. Du quälst dich doch nur."

Kagome machte den Mund auf und wollte etwas darauf erwidern, doch sie wusste nicht was. Die Priesterin hatte ja auf irgendeine Art und Weise recht, doch sie wollte wenigstens dabei sein, wenn der Hanyou seine letzte Reise antrat. Myoga, der die ganze Zeit über auf Kaedes Schulter gesessen hatte und nun wieder einigermaßen gefasst wirkte, ergriff nun das Wort.

"Wenn einer von euch noch einige Dinge an Inuyasha-sama richten möchte, so möge er das jetzt tun, bevor die Fackel erhoben wird."

Ohne lange zu zögern machte Miroku den Anfang und trat an den Hanyou heran. Mit geschlossenen Augen und einem gemurmelten Gebet auf den Lippen verweilte er einen Moment neben ihm. Bevor er sich umwandte, um wieder zu gehen, drückte er fest Inuyashas Hand und sagte: "Danke, daß du mich dabei unterstützt hast, Naraku zu suchen, damit ich diesen Fluch endlich loswerde." Als er wieder zu seinen Freunden zurückkehrte, glaubte Sango, die sich als nächstes verabschieden wollte, Tränen in den Augen des jungen Mönches glitzern zu sehen. Sie hatte ihn während der ganzen Zeit nie weinen sehen, aber nun merkte sie, daß auch er seine Trauer nicht mehr zurückhalten konnte, was sie durchaus verstehen konnte. Die letzten vierundzwanzig Stunden war er für sie da gewesen hatte sie getröstet, ihr Mut zugesprochen und sie in den Arm genommen. Nun schien es so, als bräuchte er jetzt jemanden, an dessen Schulter er sich lehnen konnte.

Nachdem sich Miroku wieder in den Halbkreis neben Sango eingereiht hatte, senkte er den Kopf und sah zur Seite. Auf keinen Fall sollte sie sehen, daß die Tränen, die ungewollt hervorgetreten waren, sich nun ihren Weg über seine Wangen bahnten und unaufhaltsam zu Boden tropften.

"Houshi-sama", sagte die junge Dämonenjägerin betroffen.

Doch der erhob nur die Hand und winkte ab.

"Ist schon gut. Geh du nun. Es wird schon dunkel. Wir dürfen nicht zuviel Zeit verstreichen lassen."

Ihre Augen wanderten gen Himmel, an dem sich schon die ersten Sterne zeigten. Die Sonne hatte sich schon fast vom Abendhimmel verabschiedet, nur ein paar wärmende Strahlen schienen ihr noch ins Gesicht und warfen lange Schatten auf den Waldboden. Zögernd ging sie auf Inuyasha zu. Sie hatte schon viele Tote gesehen, sie betrauert und bestattet, doch es fiel ihr jedes Mal unendlich schwer, jemanden zu Grabe zu tragen, der ihr nahegestanden hatte. Ungewollt erinnerte sie all das an ihre Familie und an die Leute ihres Dorfes. Damals hatte sie sich gewünscht, so etwas nie wieder erleben zu müssen. Doch aussuchen konnte man sich so etwas nun mal nicht. Solche Dinge würden, das war ihr bewusst, sie noch öfter in ihrem Leben begleiten, als ihr lieb war. Vorsichtig legte sie ihre Hand auf die des Hanyous. Sie erinnerte sich an jenen schicksalhaften Moment, in dem er sie davor bewahrt hatte, ihren eigenen Bruder zu töten. Wäre er nicht gewesen ... , sie mochte sich gar nicht ausmalen, was dann geschehen wäre.

"Du warst zwar oft ein sturer Hitzkopf und hast meist ohne zu überlegen gehandelt, doch ... du hast ... immer auf dein Herz gehört. Und du hast mit der Überzeugung gelebt, daß es eine Möglichkeit gibt, Kohaku zu retten. Dafür danke ich dir."

Sie stockte.

"Du ... wirst mir fehlen."

Der Wind trug die gesprochenen Worte zu ihren Freunden hinüber, die erstaunt und zugleich bewegt aufsahen. Kagome hätte von Sango so etwas gar nicht erwartet, doch konnte sie gut verstehen, warum ihre Freundin so fühlte. Sie alle stellen eine Art Familienersatz für Sango dar und nun drohte diese Familie auseinander zu brechen. Unweigerlich musste Kagome an Shippo denken, den sie noch immer im Arm hielt. Ob es ihm wohl genauso ging wie der Dämonenjägerin? Nein, daß alle ihrer Wege gingen, kam überhaupt nicht in Frage, dachte sie. Gerade jetzt war es wichtig, daß sie zusammenhielten. Allein konnte niemand von ihnen Naraku besiegen. Nur als Gemeinschaft waren sie stark. Kirara maunzte traurig und sprang Sango in die Arme, als diese zurückkam. Schnurrend kuschelte sie sich an ihre Freundin, um ihr etwas Trost zu spenden. Die Dämonenjägerin streichelte gedankenverloren das weiche Fell der Katze und drückte sie fest an sich.

"Kagome-sama?"

Der kleine Flohgeist war auf ihre Schulter gehüpft und wartete auf eine Reaktion ihrerseits. Sie verstand sofort, was er von ihr wollte. Nur sie war noch übrig. Schweigend bückte sie sich, um den kleinen Kitsune abzusetzen, doch der wehrte sich protestierend dagegen und krallte sich an ihrer Bluse fest. Verblüfft sah Kagome den Kleinen an.

"Ich will doch auch mitkommen", bettelte Shippo, als er den fragenden Ausdruck im Gesicht des Mädchens bemerkte.

"Nimm ihn ruhig mit, Kagome-sama", flüsterte ihr Miroku zu, als sie sich wieder aufgerichtet hatte, "er verkraftet das schon. Schließlich hat er bereits mehr gesehen und erlebt als andere Kinder seines Alters."

Da musste Kagome ihm wohl Recht geben. So seufzte sie zur Antwort und hob den kleinen Fuchsdämon wieder hoch in ihre Arme. Er lächelte ihr dankbar zu und versprach auch ganz tapfer zu sein. Allerdings merkte sie dann mit jedem Schritt, den sie in Richtung ihres geliebten Hanyous machte, daß ihm das wohl doch nicht so leicht fiel, denn seine kleinen Händchen klammerten sich immer fester an ihre Kleidung. Ob das eine so gute Idee war, dachte sie. Der Kitsune schluckte erst einmal schwer, als sie vor Inuyasha standen. Nur die Fackeln der Dorfleute, die ringsherum versammelt standen, erhellten noch seinen Körper. Die Nacht hatte sich bereits wie eine schwere schwarze Decke über das Land gelegt und alles Licht der Sonne getilgt. Shippo betrachtete den Hanyou, der so aussah, als würde er nur schlafen. In diesem Moment wünschte er sich nichts sehnlicher, als das Inuyasha aufstehen würde und ihm erst mal ein paar vernünftige Kopfnüsse verpasste. Warum konnte nicht alles wieder wie früher sein? Wieso musste dieser dämliche Youkai gerade ihren Weg kreuzen und nicht den eines anderen? Wieso?! Zornig ballte er seine kleinen Fäustchen und weinte still und heimlich ein paar Tränen, die von Kagome jedoch nicht ganz unbemerkt blieben, da sie auf ihre Arme tropften. Beruhigend strich sie ihm über den Kopf. Dann beugte sie sich leicht vor und hauchte Inuyasha einen sanften Kuss auf die Stirn. Noch einmal strich sie durch sein langes weiches Haar, ein letztes Mal. Myoga, der noch immer auf ihrer Schulter saß, sah schweigend zu. Er hatte nun eine wichtige Aufgabe zu erfüllen: Kagome-sama zu beschützen, um seine Schuld zu begleichen und seine Ehre wieder zu erlangen. Kagome fiel es derweil unendlich schwer, sich von dem Hanyou zu trennen, doch ihr war bewusst, daß es nun wirklich an der Zeit war, zurückzutreten, damit die Bestattung fortgeführt werden konnte. Nachdem sie Inuyasha den Rücken zugekehrt hatte und zu ihren Freunden zurückging, hörte sie bereits das Knacken und Knistern der Flammen, die sich langsam aber sicher in Richtung des Hanyous hoch fraßen. Alles in ihr schrie danach, sich umzudrehen und den Körper ihres Freundes dort hinunterzureißen und ihn in ihre schützenden Arme zu schließen. Nur mit Mühe konnte sie sich beherrschen, es nicht zu tun. Lautlos tropften die Tränen, die sie nun wirklich nicht mehr zurückhalten konnte, auf den Kopf des kleinen Kitsune, der traurig vor sich hinstarrte. Sango lief ihnen entgegen. Weinend fielen sich die beiden Mädchen in die Arme. Mit versteinerter Miene starrte der junge Mönch in das hochlodernde Feuer, welches den Körper des Hanyous nun schon komplett eingehüllt hatte. Der Flammenschein erhellte die Dunkelheit, die sie nun alle umgab und ließ die Luft vor Hitze flirren. Ein paar ältere Frauen des Dorfes, welche die Prozession begleitet hatten, stimmten ein Klagelied an, das erst wieder ein Ende fand, bis von den scheinbar bis zum Himmel lodernden Flammen nur noch ein schwaches Glimmen der Glut übrig geblieben war. Zwei Männer traten aus der Trauergemeinschaft vor. Einer von ihnen trug eine Urne, die er vor das niedergebrannte Feuer stellte. Schweigend verfolgten die Freunde, wie die Männer das Gefäß mit der Asche Inuyashas füllten. Nachdem sie ihre Arbeit getan hatten, erhoben sie sich und gingen zu Kaede, die sich sogleich an Kagome wandte.

"Mein Kind., du sollst nun entscheiden, wo er seine Ruhe finden darf."

Kagomes Blick wanderte zu dem Ort hinüber, an dem sie und Inuyasha sich zum ersten Mal trafen. Sie hob den Arm und zeigte mit dem Finger auf den uralten Baum.

"Ich möchte, daß er dort begraben wird. Mit diesem Platz verbinde ich etwas ganz Besonderes", sie sah hoch zu der mächtigen Baumkrone des Goshinboku, durch dessen üppiges Blattwerk die Sterne funkelten, " an diesen Baum wurde er gebannt, hier wurde er wiedererweckt und das hier soll nun auch seine letzte Ruhestätte werden. Der Götterbaum existiert auch noch in meiner Epoche. Vielleicht sind wir so auf immer miteinander verbunden."

Automatisch griff ihre Hand nach dem Amulett an ihrem Hals. Eine angenehme Wärme durchströmte ihren Körper, als sie es fest mit der Linken umschloss. Du hast einen Teil deiner Liebe in dieses Amulett gesteckt, das spüre ich, Inuyasha, dachte sie.

Man hatte bereits ein Loch an der vorgegeben Stelle gegraben, in das man nun die Urne hinunterließ. Als das Erdreich über dem gefüllten Loch wieder geglättet wurde, zauberte Sango mit einem Male ein Holzkreuz hinter ihrem Rücken hervor. Kagome riss erstaunt die Augen auf.

"Wo ... wo hast du denn das her?" stammelte sie.

Die Dämonenjägerin überreichte ihrer Freundin das schlichte Kreuz, in dessen Holz kunstvoll der Name des Hanyous eingeritzt war.

"Ich habe es vorhin angefertigt, als du bei Inuyasha im Tempel warst. Mir fiel ein, daß wir doch noch gar keins für ihn hatten und ohne Kreuz ist es doch keine richtige Begräbnisstätte."

Kagome nahm es dankbar an und nahm die junge Frau dafür in den Arm.

"Danke, Sango-chan, danke", flüsterte sie, "ihr seid wirklich die besten Freunde, die man sich wünschen kann."

Anschließend nahm sie das Kreuz und steckte es ins lockere Erdreich genau über die Urne. Einige der Frauen legten Blumen auf das Grab, verharrten einen Moment und beteten, bevor sie sich vor Kagome verbeugten und den Weg zurück ins Dorf antraten. Das Mädchen verbeugte sich ebenfalls, zollte sie den Dorfleuten doch eine Menge Dankbarkeit. Sie hatten ihn in ihrem Tempel aufbahren lassen, ihn für die Zeremonie hergerichtet, an ihr teilgehabt und sich sogar von ihm verabschiedet. Das hatte es wohl noch nie gegeben, daß Menschen einem Hanyou ein so ehrenvolles Begräbnis bereiteten. Immer mehr der Dorbewohner entfernten sich nun vom Ort der Trauer.

"Ich denke, wir sollten auch langsam aufbrechen."

Miroku musterte seine beiden Begleiterinnen, die schon sichtlich erschöpft wirkten. Ein Knurren ließ sie alle herumfahren. Shippo, der etwas rot angelaufen war, hielt sich seinen knurrenden Magen.

"Ich hab Hunger", maulte er.

Ein extra langes Aufstöhnen ging durch die Gruppe, um den kleinen Kitsune zu ärgern und sie alle taten so, als würden sie ihn nicht beachten. Der begann zu schimpfen wie ein Rohrspatz und fing an, vor ihren Nasen auf und ab zu hüpfen. Kagome zeigte irgendwann Erbarmen und kramte aus ihrem Rocktasche einen Lutscher hervor.

"Hier, nimm den. Das sollte erst mal reichen, bis wir im Dorf angelangt sind."

Mit einem Juchzer sprang der Fuchsdämon an ihr hoch und nahm die Süßigkeit in Empfang.

"Juhu! Lecker, danke! Du bist die Beste, Kagome!"

Die Angesprochene lächelte und wuschelte ihm zärtlich durchs Haar. Dann sah sie sich um. Es war schon stockfinster.

"Ich gebe Miroku recht. Wir sollten jetzt wirklich machen, daß wir zurück ins Dorf kommen. Kaede ist auch schon vorgegangen. Los, kommt! Sonst macht sie sich noch unnötig Sorgen."

Ihre Freunde nickten zustimmend.

"Wo ist eigentlich Myoga?" Sango sah sich suchend um.

Grinsend deutete Kagome auf ihre Schulter, von der ein leises Schnarchen erklang. Miroku legte einen Finger an die Lippen und gab den anderen ein Zeichen, ihm zu folgen. Kagomes Blick fiel noch einmal auf das Grab Inuyashas.

"Ich werde dich niemals vergessen und auch nicht all die Dinge, die du für mich getan hast. Du sollst nicht umsonst gestorben sein. Deswegen werden wir unseren Kampf um die Shikon-Splitter fortsetzen, das verspreche ich dir."

Ein paar Tränen fielen zu Boden, als sie sich umwandte und ihren Freunden folgte. Nur Shippo blieb unbemerkt von allen zurück. Seine großen traurigen Fuchsaugen fixierten das Holzkreuz vor ihm. Plötzlich nahm er den Lutscher aus seinem Mund und steckte ihn in die frische Erde des Grabes direkt vor das Kreuz.

"Der ist für dich. Damit du da, wo du jetzt bist, was Leckeres hast. Wir ... haben uns ja immer etwas schwer damit getan, was das Teilen betraf."

Eine Eule schrie in der Dunkelheit. Schippo schauderte. Unsicher sah er sich um. Seine Freunde waren schon ein gutes Stück gegangen. Scheinbar hatten sie noch gar nicht bemerkt, daß er fehlte. Noch einmal wandte er sich dem Grab des Hanyous zu und versuchte das, was er fühlte, in Worte zu fassen.

"Inuyasha, ich weiß, wir hatten uns oft in der Wolle und ich hab dir auch ne Menge Kopfnüsse zu verdanken, aber ... , aber wenn es drauf ankam, dann hast du mir immer geholfen. Weißt du, ... ich hab mir immer einen großen Bruder gewünscht und ... und wenn ich ehrlich sein soll, dann hätte er sein müssen wie du ... onii-chan."

Die Blätter des Goshinboku raschelten über ihm zur Antwort im Wind.

"Shippo! Wo bleibst du denn?!" erschall es von weiter weg.

Sein Kopf fuhr herum. Kagome war stehen geblieben und winkte ihm von weitem zu.

"Na dann, ... mach's gut", und zu seinen Freunden gewandt, " Wartet! Ich komme ja schon!"

Schnell flitzte er hinter ihnen her und sprang in Kagomes Arme. Das Mädchen musterte ihren kleinen Freund etwas besorgt.

"Ist alles in Ordnung?"

Der Kitsune zwang sich ein Lächeln auf die Lippen, um sie zu beruhigen. Dann kuschelte er sich wie zur Bestätigung an sie und sah über ihre Schulter hinweg in Richtung des Grabes, das in der Ferne immer kleiner wurde, bis es gänzlich verschwand.
 

Früh am nächsten Morgen fand sich eine bunt gewürfelte kleine Reisegruppe an der Begräbnisstätte ein: Ein hochgewachsener junger, stattlich aussehender Mann, an dem das lange weiße Haar, die Rüstung und die Schwerter, die er trug, doch mehr an einen hochrangigen Youkai denken ließen, als an einen Menschen, ein kleinwüchsiger Kröterich mit einem seltsam aussehenden Stab in der Hand, auf dessen Spitze zwei Köpfe, einer männlich und einer weiblich, thronten, ein kleines aufgewecktes Mädchen, was kein Youkai zu sein schien und ein zweiköpfiger Drache, der ein Reitgeschirr trug. Jeder, der in diesem Moment vorbeigekommen wäre, hätte sich wahrscheinlich ungläubig die Augen gerieben und geschworen, in der nächsten Zeit etwas mehr Abstand vom Sake zu nehmen.

Sesshomaru beäugte nun schon seit zehn Minuten das schlichte Holzkreuz, welches vor seinen Füßen stand, ohne dabei auch nur ein einziges Wort zu sagen. Jaken, sein froschgesichtiger Diener, stand etwas ratlos dreinblickend neben ihm und seufzte. Dafür fing er sich in der nächsten Sekunde einen bitterbösen Blick seines Herrn ein, der ihn vor Schreck erstarren ließ. Als ob das nicht schon genug wäre, krabbelte Rin plötzlich durch die Beine des Youkais hindurch und musterte neugierig den seltsamen Stiel mit dem bunten, süßlich riechenden Kügelchen obendrauf, der vor dem Kreuz in der Erde steckte. Schon grabschten ihre kleinen Händchen danach, um es genauer zu untersuchen, als Jaken, der es erst jetzt bemerkt hatte, mit einem erschrockenen Quieken herumfuhr und das Mädchen an den Beinen zurückzog. Verwirrt richtete das Menschenkind sich auf und musterte den Youkai fragend.

"Bist du verrückt geworden, Rin?" zischte er sie an. "Du kannst doch nicht einfach das Grab des Bruders Sesshomaru-samas entweihen!"

Sich ihrer Schuld bewusst spielte die Kleine unbeholfen mit ein paar Strähnen ihrer Haare und sah zu Boden.

"Entschuldige", murmelte sie, "ich wollte nur wissen, was das ist. Ich habe so etwas noch nie gesehen und deswegen ... ."

Jaken rümpfte die Nase, so, wie er es immer tat, wenn ihm etwas nicht gefiel.

"Ungezogenes Ding", schimpfte er, "hab gefälligst etwas mehr Respekt vor den Toten! Das, was du da gerade an dich nehmen wolltest, ist als Geschenk an den Verstorbenen gedacht, was auch immer es sein mag. Also, lass gefälligst deine Finger davon!"

Rin schniefte. So gemein war Jaken doch sonst nicht zu ihr. Er hatte vielleicht Recht damit, was er sagte, aber ... . Hilfesuchend sah sie hoch zu ihrem Sesshomaru-sama, doch der schien von der kleinen Standpauke nichts mitbekommen zu haben. Etwas enttäuscht ließ sie sich auf den vom Morgentau noch feuchten Waldboden plumpsen und zog die Beine an. Schweigend wartete sie darauf, was weiter geschehen würde. Seit dem vorletzten Abend, dass war ihr aufgefallen, benahm sich der mächtige Youkai irgendwie eigenartig. Er schien seitdem in seiner eigenen Welt zu leben und nahm äußere Einflüsse kaum noch wahr. Und Jaken war auch nicht besser gestimmt. Egal, was sie auch tat, er reagierte ständig überreizt und genervt. Aber vielleicht, so dachte sie, macht ihm das seltsame Verhalten Sesshomaru-samas genauso zu schaffen wie mir. Und nun hatten sie sich hier alle vor diesem Grab eingefunden, von dem sie nicht einmal wusste, wer dort begraben lag. Das hieß ... doch, sie wusste es. Jetzt fiel es ihr wieder ein. Hatte Jaken nicht gesagt, es wäre das Grab von Sesshomaru-samas Bruder? Benahm er sich deswegen so eigenartig? Trauerte er etwa? Aber ..., sie hatte immer gedacht, dass er seinen jüngeren Bruder nicht ausstehen konnte. Was war nur geschehen? Ihre Gedanken begannen sich allmählich zu überschlagen. Ganz ruhig, dachte sie, einer von uns muss ja noch klar im Kopf bleiben, sonst passiert noch etwas Schlimmes. So blieb sie sitzen und wartete einfach ab. Sesshomaru starrte derweil noch immer mit unbewegtem Blick den kunstvollen Schriftzug an, der in das Kreuz eingearbeitet war. Hunderte Male hatte er ihn bis jetzt gelesen und noch immer konnte er es nicht wirklich glauben, geschweige denn akzeptieren. Wieder und wieder fuhren ihm die Worte durch den Kopf bis zu seinem Herzen und richteten dort ein Chaos an, was man nicht beschreiben konnte.

"Hier ruht Inuyasha. In Liebe, deine Freunde."

Sein Bruder war tatsächlich tot. Nun hatte er die Gewissheit, die er sich hatte verschaffen wollen, doch besser ging es ihm dadurch auch nicht. Irgendwie fühlte er sich schuldig, warum, wusste er auch nicht. Inuyasha war alt genug gewesen, um auf sich selbst aufzupassen. Es waren vielmehr die Worte seines Vaters, die ihm seit dem verhängnisvollen Abend nicht mehr aus dem Kopf gingen.

"Pass auf ihn auf. Er ist trotz allem dein Bruder. Hilf ihm, wenn er in Schwierigkeiten steckt."

Und noch etwas war da. Etwas, was ihm keine Ruhe mehr gönnte und der Grund für sein eigenartiges Verhalten war. Er hatte im Moment des Todes die Seele seines jüngeren Bruders aufschreien hören ... und sie hatte nach ihm, nach Sesshomaru geschrieen.
 

Ein Tag verging. Am darauffolgenden Morgen saßen drei junge Leute und ein kleiner Fuchsdämon in Kaedes Hütte und stocherten lustlos in ihrem Frühstück herum. Als die alte Miko, die gerade von ihrem Morgenspaziergang zurückkehrte, eintrat und sich ihr dieses Bild bot, seufzte sie erst einmal laut auf. Wie lange sollte das denn noch so weitergehen? Den ganzen Tag über hockten die Vier in ihrer Hütte und schwiegen sich an. Sicher, es war noch nicht lange her, dass sie Inuyasha zu Grabe getragen hatten, aber so langsam sollten sich die jungen Leute mal Gedanken darüber machen, wie es in Zukunft weiterging. Sie räusperte sich hörbar. Acht Augenpaare blickten plötzlich in ihre Richtung.

"Kinder", begann sie, "ich weiß, was ihr fühlt und respektiere das auch, aber ich finde, ihr solltet euch so bald wie nur irgendwie möglich zusammensetzten und beraten, wie es weitergeht."

Eine Welle von Hilflosigkeit schlug ihr nach diesen gutgemeinten Worten entgegen. Sango hob den Kopf und sah der Miko in die Augen.

"Uns ist bewusst, dass es an der Zeit ist, was zu tun, Kaede. Aber es fällt uns so wahnsinnig schwer. Das Loch, das innerhalb unserer Gruppe entstanden ist, ist zu groß, um es einfach wieder zusammen zu flicken."

Miroku nickte der Dämonenjägerin zustimmend zu.

"Wir wissen nicht, ob wir genug Kraft besitzen, um bis zum Ende durchzuhalten. Zu Fünft war es schon schwer genug gegen Naraku zu bestehen, jetzt sind wir nur zu Viert."

Kagome, die bis jetzt nur schweigend zugehört hatte, stand mit einem Male so hastig auf, dass Shippo vor Schreck von ihrem Schoß purzelte.

"Dann müssen wir es eben versuchen! Woher sollen wir wissen, ob wir es schaffen oder nicht, wenn wir es nicht wenigstens probieren?"

Miroku und Sango sahen das Mädchen erstaunt an. Kaede lächelte geheimnisvoll. Sie hatte gewusst, dass Kagome das nicht einfach so auf sich beruhen lassen würde.

"Ich habe Inuyasha geschworen, dass wir weiterkämpfen werden. Und ich gehöre nicht zu den Menschen, die ihren Schwur so mir nichts dir nichts wieder brechen!"

Herausfordernd sah sie ihre Freunde an. In Sango erwachte langsam wieder der Kampfgeist. Sie gesellte sich an die Seite ihrer Freundin und legte den Arm um sie.

"Du hast recht, Kagome. Wie konnte ich nur so dumm sein? Wir tun Inuyasha keinen Gefallen damit, wenn wir hier herumsitzen und Trübsal blasen. Also, was ist?"

Damit meinte sie Miroku und Shippo, die noch immer etwas verklärt auf dem Boden saßen. Doch für den kleinen Fuchsdämon war sofort klar, was er wollte. Mit einem Satz klebte er an Kagomes Bein und schaute zu ihr hinauf.

"Ich geh dahin, wo Kagome hingeht. Mit mir könnt ihr rechnen. Wann soll's denn losgehen?"

Die beiden Mädchen konnten sich ein Lachen nicht verkneifen, woraufhin der kleine Kitsune sie giftig anstarrte. Nun erhob sich auch Miroku und ging zu Kagome und Sango hinüber.

"Hach ja, nun, ich kann ja zwei so hübsche Geschöpfe wie euch nicht alleine auf diese gefährliche Reise schicken."

Dabei wanderte seine Hand mal wieder an eine Stelle, von der er besser die Finger hätte lassen wollen. Sangos Gesicht wurde schlagartig puterrot und sie ließ ihr Hiraikotsu für sich sprechen. Die anderen kniffen die Augen zusammen, als sie es heruntersausen ließ und Kaede hoffte inständig, dass gerade niemand an ihrer Hütte vorbei kam und die Schmerzenslaute des Mönches falsch deutete. Als sie ihre Augen wieder öffneten, lag dieser etwas mehr als nur verbeult am Boden. Die Dämonenjägerin stand zufrieden daneben und klopfte sich die Hände an ihrer Kleidung ab.

"So, wo waren wir stehen geblieben?"
 

Dreimal war die Sonne wieder auf- und untergegangen, seit Sesshomaru das Grab seines Bruders entdeckt hatte. Solange wanderten er, Jaken und Rin nun auch schon ziellos in der Gegend umher. Sein Diener hatte ihn seitdem mehrmals angesprochen, doch Sesshomaru war nicht zum Reden zumute. Er wusste auch nicht, wohin ihn seine Füße trugen, er hatte kein Ziel vor Augen, er wollte einfach nur weiterlaufen, egal wohin, denn solange er etwas tat, konnte er wenigstens dieses grausame Gefühl verdrängen, was ihn so sehr belastete. So gelangten sie gegen Abend an den Rand eines Dorfes, von dem sie aber soviel Abstand nahmen, dass sie den Menschen dort nicht auffielen. Jaken ließ sich seufzend ins Gras plumpsen, während Rin einem bunten Schmetterling hinterher jagte. Sesshomaru hing seinen Gedanken nach, bis er seinen Diener plötzlich laut aufschreien hörte.

"Rin! Wo ist Rin?! Verdammt, sie ist doch gerade noch hier gewesen!"

Panisch lief er dabei die ganze Zeit im Kreis herum und brabbelte dabei in seinen nicht vorhandenen Bart, was Sesshomaru wohl nun mit ihm anstellen würde, wenn er das erführe. Doch dieser stand bereits vor ihm und sah ihn drohend an.

"Was soll das heißen, sie ist nicht mehr hier?!"

Vor Schreck fiel Jaken auf den Hintern, aber mehr, weil Sesshomaru seine Stimme wiedergefunden hatte, als vor lauter Angst, was ihn nun erwarten würde.

"Ich ... , sie ist ... ."

Rumms, plong, bäng!!!

" ... da lang gelaufen, Sesshomaru-sama. Danke, dass ich euch helfen konnte."

Etwas demoliert sank er zu Boden und zeigte in die Richtung, in die Rin verschwunden war. Sesshomaru lief kopfschüttelnd den vorgegeben Weg entlang.

"Alles muss man hier selber machen."

Nach einer Weile entdeckte er das Mädchen, welches hinter ein paar Büschen in Deckung gegangen war und etwas vergnügt verfolgte. Er wollte sie gerade zurechtweisen, als er ihrem etwas sehnsüchtigen Blick folgte. Ein paar Kinder tollten auf den Feldern vor dem Dorf ausgelassen durch das hohe Gras. Rin betrachtete das mit einem glücklichen und zugleich auch traurigem Ausdruck im Gesicht. Zu gerne würde sie dort mitspielen. Aber das würde heißen, dass sie Sesshomaru-sama allein lassen musste und das wollte sie auch nicht. Plötzlich vernahmen die beiden einen Schrei und schreckten zusammen. Die Kinder begannen zu kreischen und suchten fluchtartig das Weite. Sesshomarus Hand wanderte alarmiert an den Schwertgriff Tokijins, während Rin zu seiner Verwunderung begeistert in die Hände klatschte. Die untergehende Sonne warf mit einem Male eines riesigen Schatten auf den Hügel, vor dem die Kinder vor wenigen Augenblicken noch sorglos gespielt hatten. Irgendetwas Bedrohliches kam den Hang hinaufgelaufen. Sesshomarus Körper spannte sich. Zu Verteidigung bereit umschloss seine Hand nun vollkommen den Griff Tokijins. Wenn dieses Etwas, was da auf sie zukam, die Kinder angriff, würde es mit Sicherheit auch nicht vor ihm, Rin und Jaken halt machen, der sich nun zu ihnen gesellt hatte und die Szenerie angespannt beobachtete. Das Mädchen an ihrer Seite starrte den Youkai sichtlich irritiert an. Was ihn ebenfalls wunderte, war die Tatsache, dass er keinerlei dämonische Aura spürte, die von dem Wesen, dessen Schatten immer weiter wuchs, doch eigentlich hätte ausgehen müssen. Allerdings war er sich nun auch nicht mehr so sicher, ob es sich um einen Youkai handelte. Verdammt, dachte er, hat mich das denn alles so verwirrt, dass ich nicht einmal mehr das spüren kann? Dann ertönte wieder ein Schrei, nun sehr viel näher und lauter als zuvor.

"Uaaaah! Wartet nur, bis ich euch habe! Dann fress ich euch mit Haut und Haaren!"

Die Gestalt, die zu der Stimme gehörte, stürmte nun behände den Hügel hinauf. Und Sesshomaru erstarrte. Es war ein Junge. Der aufkommende Wind zerrte agressiv an seinem roten Gewand und auch an den langen nachtschwarzen Haaren, die ihm bis zu den Hüften reichten. Er rannte brüllend und wild mit den Armen wedelnd auf die Kinder zu, die vergnügt quietschend und kreischend wie eine Schafherde auseinander stoben. Rin sah sehnsüchtig zu ihnen hinüber. Wie gerne wäre sie dabei gewesen. Jaken trat an die Seite seines Herrn, da ihm aufgefallen war, dass der Youkai irgendetwas intensiv in der Ferne betrachtete. Als er seinem Blick folgte, fiel ihm vor lauter Fassungslosigkeit die Kinnlade herunter.

"Das ..., das ist doch ...", stammelte er ungläubig.

Sein Herr beendete den Satz.

"Inuyasha ...", kam es tonlos über dessen Lippen.

Der Junge, der dort so ausgelassen und sorglos mit den Kindern spielte, war niemand anderes als sein Bruder!
 

Tjaha, da staunt ihr, was? Nun, ich hoffe, ich habe euch jetzt einiges beantwortet, womit ihr mir vorher Löcher in den Bauch gefragt habt, aber auch gleichzeitig wieder neue Fragen aufgeworfen. Wenn ihr weiter am Ball bleibt, werdet ihr natürlich Antworten darauf finden, wenn nicht, na ja, der ist selbst Schuld. Und weil ihr alle so lieb seid, gibt es wieder eine kleine Vorschau für das nächste Mal:

Sesshomaru informiert Kagome und Co über seine Entdeckung. Wie werden sie darauf reagieren? Und was ist mit Inuyasha los? Vermisst er seine Freunde gar nicht?

All das beim nächsten Mal!

Hab euch alle lieb.

Eure Mariko



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Kommentare zu diesem Kapitel (17)
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Von: abgemeldet
2005-10-22T17:16:08+00:00 22.10.2005 19:16
Flenn.. omg, och hab die eben in einem Rutsch durchgelesen und heule wie ein Schlosshund. Wenn ich so weitermache, dann trockne ich noch aus. (:
Eine wunderschöne FF, ich lese noch weiter *gg*
Von: abgemeldet
2005-07-22T20:41:42+00:00 22.07.2005 22:41
Jetzt bin ich dran.
Ich habe deine FF bis hierhin in einem Zug durchgelesen. Leider hat es eine Weile gedauert, weil ich nichts mehr sehen konnte. Die Tränen haben meinen Blick verschleiert und auch jetzt bin ich noch ziemlich erschüttert.
Du hast eine Art zu schreiben, die einem die Bilder so realistisch vor die Augen zaubern, das es schon fast unheimlich ist. Durch deine Wortwahl wurde ich von der Geschichte einfach eingefangen und wurde nicht mehr losgelassen. Da habe ich bis jetzt sehr selten erlebt. Es war einfach wunderbar, sich mitreißen zu lassen.
Von der Geschichte selbst bin ich auch sehr beeindruckt. Inuyasha ist tot, seine Freunde leiden unter seinem Verlust, sein Bruder kann es noch gar nicht richtig fassen und doch sieht es so aus, als ob du uns einen Strohhalm der Hoffnung reichst. Ist es wirklich der echte Inuyasha? Wie wird es weitergehen?
Es sind im Verlauf der Story ein paar Fragen aufgetaucht, die bis jetzt unbeantwortet sind. Doch ich hoffe, das diese im Verlauf der Geschichte noch geklärt werden.

Sooo, ich muß mich jetzt beruhigen gehen, sonst kann ich Nachts nicht schlafen. Des weiteren brauche ich eine neue Packung Taschentücher, denn die erste ist irgendwie schnell verbraucht gewesen.
Ich freue mich auf eine Fortsetzung der FF. Bis bald.
inyu1
Von:  Mondvogel
2005-07-08T16:12:51+00:00 08.07.2005 18:12
So. Auf deine Bitte hin habe ich sofort in deiner Fanfiction rumgeschnüffelt...

Waaaaaaaaaahhhhhhhhh Inuyasha!!!!
Ich konnte kaum glauben, dass er tot ist. Und Kagome ist so was von fertig. Sie tut mir echt leid.
Aber sie hat das alles erstaunlich gut verkraftet.
Tja... das hätte ich wohl nicht so gut hingekriegt.

Deine Geschichte lest sich echt gut und mir gefällt es, wie du alles so gut beschreibst. Da wird man in das Geschehene richtig mit hineingerissen.
*begeistert in die Hände klatscht*

Der Schluss des letzten Kapitels hat mich wirklich neugierig gemacht. Ist das der kleine Inuyasha, also als Kind, den Sesshomaru da sieht, oder ist es der große?
Denn wenn er mit den anderen Kindern spielt stelle ich ihn mir auch als Kind vor. Aber das wird sich schon im nächsten Kapitel aufklären, denke ich.
Ich will dich hier ja auch nicht mit Fragen bombardieren.
Eine hätte ich allerdings noch:
Du hast oft Myoga- jiji geschrieben. Was ist das für eine Anrede?
Wäre echt nett wenn du mir das erklären könntest.

Man sieh sich!
Von:  Haniel
2005-06-27T11:25:00+00:00 27.06.2005 13:25
es zahlt sich doch aus, ab und zu neue ff's anzuklicken *gg* deine ff hat mir mehrmals die tränen in die augen getrieben, ich liebe deine art zu schreiben und zu schildern, einfach schön. nur mit dem kreuz bin ich etwas verwirrt, wurde er nicht in einem tempel bestattet?? wusste gar nicht das es im buddismus (oder schintoismus) kreuze gab. und wie konnte inu yasha auferstehen, wo er doch verbrannt worden war. und wieso hat sesshoumaru ihn mit tenseiga nicht wiedererweckt, wenn ihm der tod seines bruders so nahe gegangen ist??
Von: abgemeldet
2005-06-26T20:05:18+00:00 26.06.2005 22:05
Schnief ... sehr schön geschrieben, aber so traurig! Aber immerhin gibts ja einen kleinen Hoffnungsschimmer ... kanns gar nicht abwarten, das nächste Kapital zu lesen ...
Super, deine Story (muss jetzt nochmal kräftig ins Taschentuch schneuzen)
Ciao!
Von:  Lizard
2005-04-25T19:22:09+00:00 25.04.2005 21:22
Meine Güte, was für eine schöne FF!
Jede Gefühlsregung kommt sehr echt und ergreifend rüber.
Ob es Kagomes Trauer, ihr "Wahnsinn" nach dem Traum, ihr Mut weiterzumachen oder ihre Hoffnung ist, alles ist sehr wirklichkeitsnah beschrieben. Und natürlich extrem traurig.
Besonders gut hat mir die Sache mit der goldenen Halskette gefallen. Das hätte sehr leicht kitschig werden können, ist es aber nicht. Großes Lob!
Auch Sesshomaru kommt gut rüber, nicht zu übertrieben und glaubhaft.
Und die Szenen zwischen Rin und Jaken sowie die Szenen mit Shippo sind einfach süß.
Tja, und der Cliffhanger zum Schluss, ja der könnte spannender wohl nicht sein... Alles wird auf den Kopf gestellt. Als Leser kann ich da nur sagen: wann bitte geht es weiter?!?
MfG
Von: abgemeldet
2005-04-20T18:03:15+00:00 20.04.2005 20:03
Oh Gott!! Warum macht Sessy nix??? Wozu hat der bitte TENSAIGA?? Oder hat sein Hirn nen Kurzschluss??? Jedenfalls das Begrägnis is ur supi geschieldert und ur traurig!! Und du lasst mir ja nicht Inu-chan abkratzen, ok???!!!
Ich freu mich auf die weiteren Kapitel!!!!! schnell weita schreiben!!! *gespannt wie ein Flitzebogen bin*
Machs gut! Kiara-_-_-chan
Von: abgemeldet
2005-04-15T16:56:19+00:00 15.04.2005 18:56
wow... einfach beeindruckend!!!*schnif*
also.. schreib bloß weiter...
bis zum nächtesn kapi *g*

Kago0815 =)
Von: abgemeldet
2005-04-14T20:39:10+00:00 14.04.2005 22:39
Danke für die Taschentücher, die waren echt nötig.
Also die Beerdigung war echt gut beschrieben, mehr kann ich dazu nicht sagen. Bloß warum hat Kaede so an Inuyasha rumgefummelt (ihn untersucht). Hab ich nicht so ganz verstanden. Hast du das noch erklärt? Wenn ja hab ich es vielleicht durch die ganze Heulerei überlesen.
Und Sesshoumaru so sehr geschockt das sein ach so verhasster Halbbruder tot ist, das kann man kaum glauben.
Aber sag mal was war denn das ganz am Schluß? Inuyasha lebt?
Wie geht denn das jetzt. Naja bis es die Erklärung gibt heißt es wohl aufs nächste Kapitel warten.

Danke nochmal für die ENS, freu mich ja wenn du mich nicht vergißt.
by Himmel77
Von: abgemeldet
2005-04-14T18:07:19+00:00 14.04.2005 20:07
*snief* Das war ja schon wieder so traurig..*taschentücher dankend annehm* Und so ein schön langes Kapitel..
Aber was hat es damit auf sich, dass Sesshoumarou Inu Yasha am Ende des Kapitels sieht? Bin schon gespannt aufs nächste Kpitel.
Jin-Jin


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