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Distel

von

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Distel

Manchmal, in Momenten wie diesem, wo das schwache erste Licht des Tages anbricht und ich nicht schlafen kann, denke ich darüber nach, was ich gerne wäre.

Ich suche eine Metapher für das, was ich sein will, weil es einfach ausgedrückt zu profan klingen würde.

Und wenn ich so das milchige Grau des Himmels sehe, die Lichter der Autos auf dem Autbahnzubringer, die Laterne im Garten meiner Vermieter, dann fallen mir Dinge ein, viele Dinge. Und jetzt gerade unter anderem auch eine Metapher für das, was ich darstellen will. Ich will eine Distel sein, eine Distel.
 

Warum? Eine gute Frage. Disteln wachsen sogar auf felsigem Boden, sie trotzen den vielen Unliebsamkeiten der Welt. Sie haben fiese Stacheln, um sich zu wehren, sie schmecken nicht, sind bitter und dornig. Sie sind unbequem und sie werden nicht von jedem gemocht.

Aber ich mag Disteln. Trotz der vielen Dinge, die sie unangenehm machen, sind sie toll, sie sind stark. Und wenn sie blühen, dann tun sie das mit einer Zartheit und Schönheit, die einfach wundervoll ist. Aus dem dornigen Stiel mit den stacheligen Blätter erhebt sich eine Blüte, in einem glänzenden Lila, zusammengesetzt aus vielen kleinen Teilen, viele Facetten, die in ihrer Winzigkeit mit allen anderen eine Einheit bilden, eine wunderschöne Blüte bilden, weich sind und verletztlich.

Und so strahlt in unwegsamen Gelände, trotz aller Härte, eine kräftige, schöne Farbe. Insekten kommen und nehmen von der Distel, die bereitwillig gibt. Ja, die Kleinen wissen, dass die Distel schön ist, auch dort Futter bietet, wo sämtliche Zierpflanzen, die ganzen Rosen und Tulpen, alle noch so wunderschönen Pflanzen verdorren. Und der Honig der Distel ist süß und dennoch herb, schmeckt wie etwas ganz eigenes, wo anderer Honig immer gleich schmeckt.

Sie hält viel aus, die Distel. Eine Distel, wie ich sie gestern auf dem Grünstreifen der Stadtautobahn gesehen habe. In all dem Grau-Braun blühte sie, mitten im Winter, trotz der Kälte, trotz des Windes, trotz der Leere, den Autogasen, trotz allem. Ich möchte so sein, wie diese Distel: Unbequem, aber auch ein Farbkleks im Winter, im Tristen, der bei wenigstens einem Menschen das Herz ein bißchen schneller schlagen lässt, ihm eine Freude schenkt für einen Augenblick, so wie mir diese Distel mitten in den Autos das Herz erfreut hat.
 

Ja, eine Distel möchte ich sein, blühend und unbequem, ich glaube, das wäre das Richtige für mich.



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Kommentare zu diesem Kapitel (2)

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Von: abgemeldet
2005-01-05T16:09:23+00:00 05.01.2005 17:09
Hey Süße, ich...ich weiß gar nicht, was ich sagen soll, ich....wow, das ist toll. Wirklich. Ich weiß, wer es geschrieben hat und ich weiß, was es für dich bedeutet und...es ist wunderschön. Ich weiß, was du an der Distel findest und ich weiß, dass du so bist - stark und unbequem, du machst es nicht jedem Recht und willst nicht allen gefallen, aber gleichzeitig blühst du schön und kräftig und das auch auf unwegsamem Terrain. Dich hat noch nichts zu Fall gebracht und je härter es wurde, desto mehr bist du gewachsen. Für mich blühst du schöner und kräftiger als alle anderen, du bist für mich die Distel in dem Grau der verdreckten Stadt :). Und dieser Gedankengang ist einer der schönsten, die ich seit langem lesen durfte *schnief*. Wirklich schön...
Von: abgemeldet
2005-01-05T06:24:27+00:00 05.01.2005 07:24
Mir hat dieser "Gedankengang" sehr gefallen.
Er ist zwar etwas zu tiefsinnig für mich um halb 8 ;-), aber ich fand es schön und gut nachzuvolziehen.


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