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Kimi no te no naka de...

In deiner Hand...
von

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Wenn dir Sonne und Mond lebe wohl sagen....

~~~ Starr blickte ich in die angstgeweiteten Augen der schönen Frau. Es war eine ungewöhnliche Situation, schließlich brachte selbst ein hochangesehener Yakuza[1] und Profikiller wie ich nicht jeden Tag ein international bekanntes Topmodel um.

Doch das war es nicht, was mich daran hinderte, einfach abzudrücken und ihr zielsicher zwei Kugeln in den zerbrechlichen Körper zu jagen. Viel mehr waren es diese... Augen...

/Warum hast du es mir nicht gesagt?/, dachte ich verzweifelt. Ich war nicht vorbereitet gewesen auf _diese_ Augen - nein, trotz des gleichen Namens nicht.

Ich... kannte sie - so oft hatte ich in sie gesehen, mir gewünscht, mich in ihnen aufzulösen.

"Gomen ne[2], Muriel[3]..." Noch während ich dies flüsterte - auch wenn ER in diesem Augenblick in Nagoya weilte und mich natürlich nicht hören konnte -, drehte ich mich weg. Trotzdem wusste ich, dass die schönen Augen nun noch weiter aufgerissen wurden. Die Worte waren nicht für sie bestimmt gewesen, aber Ichiyo-san wusste nun für _wen_ sie bestimmt waren und wusste _wer_ mich geschickt hatte, um sie umzubringen.

Dieses Mal jedoch... Nur dieses Mal konnte ich meinem großen "Bruder" nicht gehorchen, selbst wenn ich wusste, dass dies nicht wirklich jene Augen waren, die ich so liebte, dass ich einer schmerzlichen, vermutlich sogar lebensgefährlichen Täuschung erlag, aus einem Gefühl heraus entstanden, dass ich als professioneller Mörder niemals hätte fühlen dürfen: Liebe...

Der Gedanke war noch nicht zu Ende gedacht, als ein scharfer Luftzug ganz dicht an meiner Schläfe entstand; ein erstickter Schrei, ein unmenschliches Gurgeln folgte. Ein dumpfer Laut, der Aufprall eines weichen Körpers auf festem Holzboden und ich schloss die Augen.

Leise begann ich zu lachen, obwohl mir ganz und gar nicht danach zu Mute war. "Ich hätte wissen müssen, dass du mich gut genug kennst, um mir dieses eine Mal nicht zu vertrauen... mein ewiger Geliebter..."
 

Kalt blickte ich in die Augen meines Kollegen der nun hervortrat, gerade den Schalldämpfer von seiner Pistole schraubte. Ich kannte ihn nicht einmal, also konnte er nicht von Honshû[4] stammen, musste normalerweise auf einer der anderen drei großen Inseln Japans tätig sein. Auch wenn die Art wie er sich bewegte auf Hokkaidô[4] schließen ließ, wo er daher vermutlich geboren war, benahm er sich mehr wie jemand aus Shikoku[4], wo er folglich _arbeiten_ musste. Kyûshû[4] schloss ich aus, denn dies war die Insel von der ich ursprünglich kam und ich wusste sehr genau, wie sich die Leute dort verhielten.

Verächtlich spuckte ich aus. Vermutlich war er gerade wahnsinnig stolz auf sich, etwas vollbracht zu haben, was einer der beiden besten lebenden Yakuza nicht vermocht hatte, doch - man möge mir meine Eitelkeit verzeihen - für mich war er nichts weiter als ein billiger Strassstein, der versuchte sich als Brillant auszugeben: _Mir_ konnte keiner am Gang ablesen, woher ich kam. _Mein_ leopardenhafter Gang verriet nichts, was ich nicht verraten wollte. Mit entsprechender Verkleidung konnte ich mich ebenso gut für einen US-amerikanischen Staatsbürger ausgeben, wie für einen Deutschen, Franzosen, Iraker, Chinesen - was immer mir beliebte.

Noch dazu schien er eine seltsame Vorliebe für Leder zu haben, da seine Bekleidung bis auf das dunkelblaue Hemd und die Socken sowie vermutlich auch die Unterwäsche hauptsächlich aus Leder zu bestehen schien. Einen Moment lang überlegte ich, ob er wohl einer meiner schwulen Kollegen war, die sich auf dieses Material fixiert hatten. Zugegeben, Leder fühlte sich nicht schlecht an, auch nicht beim Sex, besonders wenn es weich und glatt war, aber _meine_ einzige Fixierung blieb die auf Muriel und darüber war ich ganz glücklich, denn es gab einem doch wesentlich mehr Spielraum, als wenn man nur durch bestimmte Situationen oder Dinge befriedigt werden konnte...

Sein Blick begegnete mir fest und geradeheraus, ließ ein diabolisch-verächtliches Lächeln um meine Mundwinkel spielen, denn es dauerte nur Sekundenbruchteile, da fuhr er bereits erschrocken zusammen und machte sich hastig davon.

/Nur ein elender Parasit/, dachte ich schnaubend. Er würde sich vor mir in Sicherheit bringen und dann Muriel Bescheid geben, dass ich das erste Mal in meinem Leben einen Auftrag _nicht_ erfüllt hatte und dass _er_ es gewesen war, der das Ganze schließlich zu Ende gebracht hatte.

Allerdings würde er sein blaues Wunder erleben, wenn er dachte, dass er nun beträchtlich aufsteigen und mindestens nach Honshû versetzt werden würde. Der "Sohn" des Chefs, der gleichzeitig mein großer Bruder war, verachtete Kriecher ebenso sehr wie ich. Sie waren schwach und unverlässlich, wechselhaft und doppelzüngig. Ein Yakuza dagegen, der vom Boss in Honshû eingesetzt worden war, hatte einen Charakter, der nicht eher brach, als dass der _Kamikaze_[5] für immer verlosch.

Als ich mich jedoch umdrehte verließ ein wütendes Knurren meinen Mund: "Chikusho!"[6]

Nicht einmal richtig getroffen hatte dieses elende Stück Dreck! Noch immer kämpfte die Frau um ihr Leben, obwohl ihr klar sein musste, dass es da nichts mehr zu kämpfen gab.

Etwas wie Trauer ergriff mich, als ich ihre letzten Atemzüge beobachtete, ließ mich neben ihr niederknien und ihre Hand greifen.

"O-genki desu ka?[7]", fragte ich leise, einfach um etwas zu sagen, selbst wenn es noch so lächerlich klang.

Überrascht bemerkte ich, wie sie meine Hand drückte, wie sich ein schmales aber warmes Lächeln auf ihre Lippen schlich, das auch ihre Augen erreichte, als sie kraftlos erwiderte: "Genki desu. Arigatou gozaimasu.[8]" Vielleicht war sie einfach froh nicht einsam und allein sterben zu müssen, selbst wenn es ein Yakuza war, der ihre letzten Sekunden begleitete, und hatte weniger Angst vor mir, weil ich es nicht übers Herz gebracht hatte, sie zu töten. Vielleicht glaubte sie wegen diesem Versagen, ich sei anders, im Herzen gar kein Mörder - auch wenn die Realität das ganze Gegenteil bewies, aber das konnte sie ja nicht wissen.

Ein schmerzliches Lachen verließ meine Kehle. /Gott, es tut so weh! Dabei kenne ich diese Frau gar nicht! _Warum_, Muriel? Warum hast du es mir nicht gesagt?/ Respektvoll verbeugte ich mich vor ihr, so tief wie man es sonst nur vor dem Kaiser tun würde. "Sumimasen, Ichiyo-san...[9]"

Wieder lächelte sie, hauchte noch ein "O-genki de![10]", bevor das Leben endlich ihren Körper verließ und ihre Hand langsam aus der meinen gleiten ließ.

"Sumimasen...", wiederholte ich flüsternd, zog die noch warmen Lider über die starr und leblos blickenden Augen, küsste sie sanft auf die Stirn, musste an etwas denken, dass Muriel oft zu den Toten sagte, wenn er ihnen die Augen schloss: ,Schließ die Augen, wenn dir Sonne und Mond lebe wohl sagen...'

Obwohl ich sie vorher nur aus den Medien gekannt hatte, fiel es mir schwer die einsame Träne in meinem linken Auge wegzublinzeln, bevor ich mich lautlos erhob, ungesehen das schöne große Haus und schließlich Kyôto verließ, zurück zu meinem großen Bruder fuhr. ~~~

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[1] Die Yakuza bilden eine Art japanische Mafia. Sie sind in viele einzelne, stärkere und weniger einflussreiche Gruppen oder auch "Clans" gespalten, wovon jede wie eine Familie organisiert ist und sich deshalb auch nicht miteinander verwandte Yakuza, v.a. wenn sie dem gleichen "Clan" zugehörig sind, untereinander mit "Bruder" bzw. "Vater" und "Sohn" ansprechen.

[2] "Gomen ne" jap.: "Tut mir Leid"; informelle Version des höflich-neutralen "Gomen nasai"

[3] Französischer Vorname (sprich: Müri-jel)

[4] Die vier großen Inseln Japans lauten von Norden nach Süden: Hokkaidô, Honshû (mit Tôkyô, Osaka, Kyôto, Nagoya, etc.), Shikoku und Kyûshû.

[5] Jap.: "Götterwind" (kami = hier: Gott; kaze = Wind); Sagenhafter Wind, der von den Göttern gesandt wurde, um Japan, das "Land der Götter" zu schützen. Seine Legende entstand, als zwei mongolische Flotten, die das Land besetzen sollten, 1274 und 1281 von einem Taifun zerstört wurden. Noch heute gibt es viele Japaner, die an ihn glauben, da Japan seit seiner Besiedelung (ca. fünftes Jahrhundert) bis zum Ende des zweiten Weltkrieges fast anderthalb Jahrtausende(!) von "Feinden" unbesetzt blieb. In der westlichen Welt ist er aber eher in Beziehung mit den Kamikaze-Fliegern bekannt, die "mit der Kraft des Kamikaze" Selbstmordkommandos im zweiten Weltkrieg flogen, um ihr Vaterland vor der Besetzung durch die Amerikaner zu schützen.

[6] jap.: "Scheiße" (ziemlich deftig *hust*)

[7] jap.: "Wie geht es Ihnen?"

[8] jap.: "Mir geht es gut. Vielen Dank!"

[9] jap.: "Entschuldigung/ Verzeihung, Frau Ichiyo..."

[10] jap.: "Leben Sie wohl!"



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