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Kimi no te no naka de...

In deiner Hand...
von

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Kindheitsträume

~~~~~~~~~ Fröhlich schlenkerte ich beim Gehen mit den Armen, strahlte nur so vor Stolz, während ich den Briefumschlag, den ich zur Post bringen sollte, gut festhielt. Dass _ich_ von der freundlichen Leiterin des Tôkyôter Waisenheims, in dem ich lebte, ausgewählt worden war, um zur Post zu gehen, sah ich als eine wahre Ehre und den Beweis ihres Vertrauens in mich an.

Auch, wenn ich nicht immer so brav war, wie ich sein sollte, wusste sie doch, dass ich immer aufrichtig und ehrlich und vor allem dazu bereit war, Verantwortung zu übernehmen. Und schließlich war ich vor einem Monat sechs Jahre alt geworden!

Mit stolz geschwellter Brust lief ich über den Gehweg an all den Erwachsenen vorbei, die seltsamerweise jederzeit in Eile zu sein schienen, als ob es irgendwo eine nette ältere Dame gäbe, die Süßigkeiten verschenkte, und sie befürchteten, nichts mehr abzukriegen. Schulterzuckend blieb ich an der Bordsteinkante stehen und blickte aufmerksam in beide Fahrtrichtungen, genauso wie es mir die Erzieher immer und immer wieder ernst aufgetragen hatten. Ich wusste, wenn ich nicht aufpasste, würde es ein ganz schreckliches Aua-Aua geben und das wollte ich nicht. Ich heulte zwar nicht so schnell wie der Kleine Daisuke, aber Aua-Auas mochte ich trotzdem ganz und gar nicht.

Ich erblickte ein schnell herannahendes dunkelblaues Auto und wackelte ungeduldig mit dem Kopf. Ich hätte es ganz bestimmt noch geschafft, wenn ich sofort losgegangen wäre und nicht getrödelt hätte, aber es hatte gestern sehr stark geregnet, sodass die Straßen noch immer feucht und von Pfützen übersät waren, und ich wollte verhindern, dass der Brief durch aufspritzendes Schlammwasser schmutzig würde, also wartete ich, sah einen Moment abwesend zur Seite um die vorbeihastenden Passanten zu beobachten.

Ich beobachtete sehr gerne Leute, auch wenn mir die Erzieher immer wieder zu erklären versuchten, das es unhöflich sei, jemanden sehr lange und genau anzustarren, ihm dabei womöglich noch in die Augen zu blicken. Es war einfach ein Teil von mir, die Neugier vielleicht, und auch wenn die Erwachsenen das nicht einsehen wollten, oft auch sehr nützlich, denn so wusste ich immer genau, wie ich mich ihnen gegenüber zu verhalten hatte, wenn ich etwas von ihnen wollte oder umgedreht.

Jäh tauchte aus der Menschenmenge ein gehetzt und ängstlich wirkender, vielleicht zwei, drei Jahre älterer Junge auf, rannte auf mich zu und an mir vorbei. Ich wusste nicht genau, was mit mir geschah, doch etwas in mir machte KLICK, ich erinnerte mich innerhalb von Sekundenbruchteilen an das Auto und an das was mir die Erwachsenen immer wieder eingebläut hatten und dann war da noch etwas an den Augen dieses Jungen, dass mich...

Ohne nachzudenken folgte ich meiner inneren Stimme, rannte dem Jungen nach und schmiss mich gegen ihn, um ihn von der Straße runterzubringen, rollte instinktiv ab, so wie ich es bei einem Oberschüler aus dem Heim gesehen hatte, der gerne mit seinen Karateübungen angab - und war nicht schnell genug.

Die Rolle gelang mir zwar recht gut, doch mein Hemdsärmel blieb an irgendetwas hängen, während mein restlicher Körper vom Schwung weitergerissen wurde und zwei schwarze Reifen kurz hintereinander über meinen linken Arm fuhren. Ein fürchterliches Geräusch durchfuhr meinen Körper, glich einem harten Peitschenschlag, und übertönte das schrille Quietschen jäh blockierender Räder. Über mir schlug eine Welle der Übelkeit zusammen - und hielt mich doch nicht davon ab, mühsam zur Seite und neben den erstarrten Jungen zu kriechen.

Die Erwachsenen hatten nicht gelogen, wie sie es manchmal taten, damit man ihnen gehorchte: Es _tat_ weh, doch merkwürdigerweise empfand ich ihn als etwas, das nicht zu mir gehörte, sodass es erträglich blieb und ich mich dem erschrockenen kleinen Fremden neben mir widmen konnte.

"Alles in Ordnung? Hast du dir wehgetan?", wollte ich besorgt wissen, zupfte mit der Rechten leicht an seinem Ärmel, als er nicht gleich antwortete, noch immer fest die Augen zusammenpresste, während um uns herum Erwachsene anfingen, irgendetwas zu schreien.

Zaghaft hoben sich die Lider, ein scheues, aber nichts desto trotz... _unbeschreibliches_ Blaugrün schlug mir entgegen und er schüttelte verschüchtert den Kopf, sodass sein nachtschwarzer Schopf gründlich durcheinandergewirbelt wurde.

"Du hast wirklich blaue Augen", stellte ich mit schiefgelegtem Kopf überrascht fest, schüttelte diesen gleich darauf, um mich wieder auf die wichtigen Dinge zu besinnen, denn irgendwie fühlte ich, dass ich diesen unbekannten Jungen mochte. "Gut, dass dir nichts passiert ist! Aber hör mal, hat dir deine Mami nicht gesagt, dass man nicht über die Straße-"

Unerwartet zuckte er heftig zusammen, sah sich wieder so sonderbar gehetzt um, murmelte mir ein ängstlich-entschuldigendes "Ich muss weg..." zu und stand hastig auf. Enttäuscht sah ich, wie er versuchte, sich zwischen all den Erwachsenen, die sich um uns angesammelt hatten und aufgeregt herumriefen, hindurchzuzwängen.

Dabei hatte ich ihn doch fragen wollen, ob wir Freunde werden könnten und wie er überhaupt hieß!

"Wie ist dein Name?", fragte mich eine Frau.

Ich erkannte meine Chance und rief so laut "Ayumi Kishu!", dass sie erschrocken zusammenzuckte. Doch ich bemerkte ebenso zufrieden, dass der Junge stockte und noch einmal kurz den Kopf nach mir umwandte, um mir einen letzten verstörten aber auch dankbaren Blick zuzuwerfen, bevor er verschwand.
 

"Ayumi-kun, wach auf!"

Blinzelnd sah ich zu der Krankenschwester, die am meisten für mich sorgte und mir kurz durch die Haare fuhr, bevor sie lächelnd erklärte: "Du hast wieder Besuch, Ayumi-kun!"

"Wirklich?", rief ich aufgeregt und rieb mir hastig den Schlafsand aus den Augen. "Wer ist es, Nakamura-san?"

"Ein kleiner Junge und sein Vater, aber sieh selbst", erwiderte sie unbestimmt, lächelte mir noch einmal freundlich zu und öffnete dann die Tür für meine Besucher und ging selbst heraus.

Ich kannte den Mann nicht, aber den Jungen kannte ich sehr wohl.

"DU!", rief ich freudig und richtete mich in meinem Bett auf so gut ich konnte.

Er selbst sah schüchtern und fragend zu seinem Vater auf, der überhaupt keine Ähnlichkeit mit seinem Sohn hatte, ihn aber aufmunternd in meine Richtung schob. "Nun geh schon, ich werde solange auf dich warten!"

"Guten Tag, Kishu-kun", begrüßte mich der Blauäugige sichtlich verunsichert aber höflich, nachdem die selbstschließende Tür wieder ins Schloss gefallen war.

"Hallo!", rief ich zurück und schüttelte begeistert seine Hand wie ich es in einem Film gesehen hatte, der angeblich aus einem fernen Land namens "Deutschland" stammte.

Irritiert blinzelte er mich an, bevor er leicht nickte.

"Wie heißt du?", fragte ich endlich und blickte ihn erwartungsvoll an.

"Muriel Ichiyo", nuschelte er leise, als hätte er Angst, jemand außer mir könne es hören.

"Müüüriijellll", wiederholte ich unbeholfen, weil meine Zunge die fremden Laute nicht gleich nachahmen konnte. "So einen Namen habe ich noch nie gehört!", befand ich verwirrt, aber er zuckte nur hilflos mit den Achseln.

"Tut... tut es sehr weh?", fragte er plötzlich und berührte unsicher meinen eingegipsten Arm.

Ich schüttelte strahlend den Kopf. "Gar nicht! Ich merke nicht einmal, dass er dran ist!", erzählte ich heiter und schwenkte ihn beweisend durch die Luft, wurde jedoch von dem Jungen namens Muriel erschrocken davon abgehalten.

"Ist schon gut", sagte ich großspurig. "Das tut wirklich nicht weh! Nur in meinem Kopf ist mir immer schwindelig und manchmal ist mir auch gar nicht gut und ich werde müde, kann aber trotzdem nicht einschlafen!"

"Wenn ich aufgepasst hätte, wärest du jetzt nicht hier", hauchte er bedrückt.

Erstaunt hielt ich inne, schüttelte dann heftig den Kopf. "Aber dann hätte ich dich ja auch nicht kennen gelernt und wir könnten gar nicht Freunde werden!"

Die blauen Augen weiteten sich überrascht. "F-Freunde?", flüsterte er verunsichert, doch ich ließ ihm nicht lange Zeit dazu, unsicher zu sein, sah ihn ganz direkt an und bettelte mit flehenden Augen: "Jaa! Ich will, dass wir Freunde werden. Biiiiittttee!"

Einen Moment lang schien es ihm die Sprache verschlagen zu haben, dann tat er zum ersten Mal etwas, dass mich sehr froh machte und in meinem Vorhaben, sein Freund zu werden, noch bekräftigte: Er lächelte.~~~~~~~~~
 

Und mit einem Lächeln erwachte ich am nächsten Morgen in Muriels Armen.

Fünfzehn Jahre war unser erstes Aufeinandertreffen nun her und doch erinnerte ich mich mit so ungewöhnlich klarer Schärfe daran, dass es einem beinahe Angst einjagen konnte. Es war, als hätte man mir diese Erinnerungen in meine Seele eingebrannt, damit ich sie auch bestimmt niemals vergessen würde.

Zufrieden drängte ich mich in Muriels wärmende Umarmung, der mich besitzergreifend festhielt, und gähnte leicht.

"Du siehst so glücklich aus... als hättest du von mir geträumt, mein Liebling", scherzte mein großer Bruder und hauchte mir einen Guten-Morgen-Kuss auf die Stirn.

"Ja", lächelte ich. "Habe ich auch."

Mein weißhaariger Geliebter blinzelte verdutzt, dann lachte er leise. "Du bist süß..."

"Mhh, du nicht", gab ich grinsend zurück und fügte auf seinen vorwurfsvollen Blick noch schnell hinzu: "Du schmeckst mehr wie Wasabi[1]. Einfach nur scharf..."

Muriel verdrehte nur die Augen, dann verschloss er meinen Mund mit seiner Zunge und holte sich hungrig sein Frühstück bei mir ab.

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[1] Grüner Meerrettich zu einer Paste verarbeitet, die in Japan gerne zu Sushi aber auch anderen Dingen gereicht wird. Die originale Wasabi-Paste hat sogar noch vor Chili und Co. den Ruf, die schärfste Soße der Welt zu sein!



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