CONTACT III
Vorsichtig ließ er den Jüngeren auf sein bis auf die Dekorkissen völlig in
schwarzen Satin gehülltes Bett nieder, das mithilfe von Armlehnen- und
Rückenpolstern tagsüber zu einer gemütlichen Couch wurde, während die Bettwäsche
wohl im Bettkasten darunter verborgen wurde.
Er war ganz ehrlich enttäuscht, den Kleinen wieder loslassen zu müssen, hatte er
die Wärme des anderen doch so sehr genossen.
"Danke", wiederholte der Braunäugige schüchtern, während er sich aus seiner
Jacke befreite und den flauschigen Schal vom Hals wickelte.
Damian lächelte nur belustigt und nahm Leon die Jacke ab, um sie zusammen mit
seiner in dem kleinen Vorraum aufzuhängen, von dem alle anderen drei Räume,
nämlich Küche, Bad und Wohn- bzw. Schlafzimmer, der Einzimmerwohnung abgingen.
Der Blonde hatte inzwischen natürlich nicht still sitzen können, war stattdessen
zum Fenster gehumpelt um die Heizung noch ein wenig höher zu drehen, welche er
auf der zweiten Stufe gelassen hatte, wohl damit er keinen Kälteschock erlitt,
wenn er zurückkam. In Damians Wohnung war es jedenfalls merkwürdigerweise immer
noch ein kleines bisschen kälter als draußen...
Dann drehte und drückte er kurz an den Knöpfen seiner kleinen aber voll
funktionstüchtigen Stereoanlage und einige Sekunden später erklang leise die
Stimme eines Radio-DJs, der ein Lied ankündigte, das im nächsten Moment
abgespielt wurde.
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.
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When love is knocking on your door
Just don't be too shy to let her in
You don't want to be alone anymore
And you should know - love is not a shameful sin
You will _not_ breathe shame
If you're in love involved
But it's not a simple game
With so many riddles to solve
When love is knocking on your door
Just don't be too shy to let her in
You don't want to be alone anymore
And you do know - love is a beautiful sin
.
.
.
"Gemütlich hast du's hier", bemerkte der größere Student ehrlich. Die Wohnung
war wie seine eigene ein bisschen größer als die gewöhnlichen Studentenbuden,
wenn auch noch immer sehr klein. Während Damian mit seiner Wohnung jedoch tun
konnte, was er wollte und sie ihn regelmäßig nach zu langem ununterbrochenen
Aufenthalt in den Wahnsinn trieb, hatte Leon es geschafft, seine Räumlichkeiten
schlicht aber so gemütlich einzurichten, dass man eigentlich nie wieder an einem
anderen Ort sein wollte. Besonders nicht, wenn sie einen so entzückenden
Bewohner vorweisen konnten...
Das blonde Engelchen auf dem Couchbett strahlte ihn freudig an. "Ich habe mir
auch große Mühe gegeben!"
"Das sieht man", erwiderte er lächelnd und setzte sich auf das Bett, sah den am
Fenster stehenden jungen Mann, der sorgfältig einen schönen Strauß Windröschen
in seiner Vase richtete, abwartend aber völlig ruhig an, als er sich ein wenig
unbeholfen neben ihn setzte und offenbar verzweifelt nach einem guten
Gesprächseinstieg suchte. Doch Damian war die Stille zwischen ihnen nicht
peinlich oder gar unangenehm. Er hätte tagelang so dasitzen und selbstvergessen
einfach nur den Jüngeren betrachten können.
Doch in genau diesem Moment verlangte es June wieder nach Aufmerksamkeit und sie
sprang auf Leons Schoß, wo sie sich zufrieden schnurrend nieder ließ.
Der Braunäugige blickte sie dagegen hin- und hergerissen an.
"Du kannst sie ruhig streicheln", lächelte Damian, wurde jedoch von einem
verlegenen Kopfschütteln überrascht.
"Kannst du sie bitte nehmen?", hauchte der rote Mund zaghaft.
"Natürlich..." Verwundert nahm er sein Kätzchen vom Schoß des ihm gegenüber
Sitzenden und kraulte sie beruhigend hinter den Ohren, sodass ihre Proteste
wegen des Ortwechsels schnell in ein behagliches Schnurren übergingen. "Aber du
brauchst wirklich keine Angst zu haben. Sie ist doch nur eine junge Katze. June
tut dir bestimmt nichts."
Der Germanistikstudent lächelte nur sehr gequält, doch Damian wagte einen
weiteren Vorstoß: "Darf ich fragen, wieso du dich so sehr vor Katzen fürchtest?"
Leon schaute zögernd in die vollkommen aufrichtig blickenden grünen Edelsteine
vor sich, nickte dann schüchtern.
Der Größere würde es bestimmt lächerlich finden, aber er wollte auch nicht, dass
jener dachte, dass er vielleicht etwas gegen seine Katze im Speziellen hatte.
Schließlich war sie auch diejenige gewesen, die ihn getröstet hatte und außerdem
die erste Katze seit dem "Unfall" damals, die er nicht sofort ängstlich quiekend
wegscheuchte oder vor der er selbst die Flucht ergriff.
"Meine Großtante hatte auch einen Kater... Er war ganz schwarz und wirklich
riesig... fast wie ein junger Panther...", begann er zaudernd und erzählte dann
die ganze Geschichte, ohne einmal von dem aufmerksam Lauschenden unterbrochen zu
werden.
"Na ja... und deswegen kriege ich in der Gegenwart von Katzen immer Panik und
dann passieren mir solche Sachen wie vorhin...", schloss er und zupfte nervös an
einer wallend lockig fallenden Strähne seines honigblonden, weichen Haares auf
das er sehr stolz war, stockte mit angehaltenem Atem als sich eine große,
zärtliche Männerhand an seinem Haar vorbeischob und behutsam über die beiden nie
völlig verblassten kreisrunden Wundmale strich.
"Jetzt verstehe ich... Dass muss wirklich sehr schlimm für dich gewesen
sein...", wisperte der Schwarzhaarige und sah ihn mit seinen glänzenden Augen
voller Mitgefühl an.
"Uhm... Nea ich bin eben ein Tollpatsch... Mir passiert ständig irgendetwas...",
sprach er leise, konnte ein leichtes aufgewühltes Zittern in seiner Stimme nicht
mehr ganz unterdrücken, zu sehr schlugen ihn diese Augen in ihren Bann, die sich
in diesem Moment forschend in seine Seele gruben. "Dann solltest du schnell den
Menschen finden, der dich ein Leben lang beschützen wird...", befand der andere
ernst aber trotzdem mit einem leichten Lächeln und ließ seine Katze von seinem
Schoß, die sofort neugierig begann durch die Wohnung zu pirschen.
Leon riss überrascht die Augen auf, senkte hastig den Blick, als er merkte, wie
er rot wurde, weil er in Gedanken fragte: /Warum kann ich ihn nicht schon längst
gefunden haben? Warum kannst _du_ nicht dieser Mensch für mich sein?/
Hilflos erschauerte Leon, konnte sich selbst mit aller in ihm aufspürbaren Kraft
nicht davon abhalten, sich noch etwas näher an die warmen Finger zu schmiegen,
die nun sachte mit ihren Rücken über jene eine Stelle bei seiner Halsschlagader
strichen und dort ein angenehmes Kitzeln verursachten, bis er leise kichern
musste.
Damian blinzelte verdutzt.
"Tut mir Leid, ich... bin kitzelig", gluckste der Jüngere heiter.
"So? Gut zu wissen", entgegnete der andere und startete völlig unerwartet einen
Überraschungsangriff.
Leon japste erstickt. "Damian!", ächzte er, fing gleichzeitig an zu lachen und
sich unter den frechen Fingern zu winden.
"Das ist mein Name", lachte der andere, machte aber trotzdem weiter.
"Hör... auf!!", keuchte der Blondschopf Lachtränen weinend und tatsächlich hielt
der Größere inne, sah ihn nachdenklich an, bevor er fies grinsend ein genüsslich
betontes "Nö!" zurück gab und einfach weitermachte.
"Bitte! Ich... gebe... auf!", bettelte Leon nach einer Weile lachend, versuchte
den anderen mit seinen Händen und strampelnden Beinen zurückzuhalten, aber der
Journalistikstudent war viel stärker als er.
In diesem Moment traf er jedoch mit seinem verletzten Fuß unversehens auf die
weichen aber eher unnachgiebigen Polster und verzog scharf zischend das Gesicht,
als ein Blitz heißen Schmerzes durch seinen Fuß schoss.
Erschrocken hörte Damian auf ihn zu martern. "Sehr schlimm?", fragte er reumütig
und Leon schüttelte natürlich sofort den Kopf, doch aus irgendeinem Grund nahm
ihm sein Gegenüber das - zu Recht - nicht so wirklich ab.
"Du solltest deinen Fuß mit einem Verband festigen, ich glaube du hast ihn dir
richtig fies verstaucht... Hast du was da?"
Leon nickte und wies auf sein Medizinschränkchen. Eindringlich drückte der
Schwarzhaarige ihn in die Matratze, bedeutete ihm so, liegen zu bleiben, bevor
er wortlos aufstand, alles nötige zusammensuchte und ihm dann innerhalb weniger
Minuten einen tadellosen Stützverband anlegte.
"So... ich hoffe das reicht", sagte Damian besorgt. Der Fuß war dick
angeschwollen und er hatte zwar keine Knochensplitter oder einen gebrochenen
Knochen ertasten können, aber er hatte ja auch nur sehr vorsichtig über die Haut
gestrichen und Arzt oder wenigstens Medizinstudent war er auch nicht.
"Geht schon, danke", bedankte sich der Kleine mit geröteten Wangen, was so
niedlich aussah, dass er lächeln musste.
"Oje, dass sieht aber gar nicht gut aus", murmelte Leon plötzlich, schaute aber
nicht auf seinen Fuß sondern an Damians Kopf vorbei. Mit fragendem Blick drehte
er sich um und begann ungläubig zu blinzeln. Der Schnee fiel inzwischen so
dicht, dass er im Grunde genommen nur noch eine bewegte weiße Wand sah.
Unwillkürlich fröstelte er, als er daran dachte, dass er da heute noch mal durch
musste.
"Allerdings", schluckte er und warf dem Unwetter draußen einen leidenden Blick
zu.
Und in eben diesem Augenblick durchzuckte es ihn wie ein Strom sanftwarmen
Lebens, als der Jüngere zaghaft seine Hand berührte, um seine Aufmerksamkeit
zurückzugewinnen. Fragend aber innerlich Freudensprünge bis zur Venus machend
blickte er wie gewünscht in die wunderschönen braunen Augen.
"Du Damian...", Leon stockte, schien nicht zu wissen, ob er weitersprechen
sollte.
Der Angesprochene lächelte sanft. "Ja, Leon?"
"Ich na ja also... wenn du willst, dann..."
"Dann?", wiederholte der Schwarzhaarige gespannt.
"Uhm... du... du könntest auch hier übernachten, wenn du magst!", platzte der
andere heraus und für einen Moment erstarrte Damian vor Unglauben zur Salzsäure.
Dann flüsterte er leise: "Wirklich?"
Der blonde Student nickte unsicher und Damian fragte sich kurz, wo er überhaupt
schlafen sollte, da der blonde Engel vor ihm ja keine zweite Couch oder etwas
dergleichen hatte, aber Damian hätte alles getan, von ihm aus auch in der
Badewanne übernachtet, nur eines hätte er niemals gemacht: Leons Angebot
auszuschlagen. "Ich habe keine Lust, Weihnachten allein zu verbringen und... ich
mag dich..."
"Danke!" Spontan zog er den Jüngeren in eine Umarmung und wuschelte jenem mit
einem breiten Lächeln durch die wundervoll weichen Haare, hätte diese Berührung
am liebsten nie wieder enden lassen, löste sich aber trotzdem nach einigen
Sekunden wieder von dem anderen.
"Das ist wirklich sehr, sehr nett von dir!"
Heißes Blut schoss ihm in die Wangen, ließ diese unheimlich niedlich erröten.
"Ist doch nichts besonderes", stotterte der andere hastig.
Damians rechte Augenbraue zuckte steil nach oben und er sah den Jüngeren an, als
wäre er verrückt geworden, was er in diesem Moment wirklich ernsthaft in
Betracht zog. "Nichts... NICHTS BESONDERES?", echote er mit ungläubig
aufgerissenen Augen. "Sag mal, hast du sie noch alle? Du bietest einem fast
völlig fremden Typen an, bei dir zu übernachten und das nennst du "nichts
besonderes"??"
"Aber du bist doch nicht fremd! Ich kenne dich doch aus dem Café und aus der
Uni!", protestierte der Kleine und jagte dem Schwarzhaarigen mit seinen Worten
angenehme Schauer über den Rücken.
Er seufzte kapitulierend (auch wenn er sich natürlich riesig darüber freute,
dass er Leon so sympathisch war...), musste dann aber doch leise lachen. "Du
bist schon ein lustiges kleines Kerlchen. Und niedlich auch."
"Niedlich?" Zwei große braune Augen sahen ihn überrascht glitzernd an.
"Niedlich!", grinste Damian bestätigend und wuschelte ihm noch einmal durch das
goldene Haar.