Zum Inhalt der Seite

"Benedictio Diaboli" - Blutrosen

von

.
.
.
.
.
.
.
.
.
.

Seite 1 / 1   Schriftgröße:   [xx]   [xx]   [xx]

Zwei Rotmäntel ketteten den zusammengeschlagenen Mann an die rechte Wand des kleinen, nach Verwesung und Pestilenz stinkenden Raums. Raffael kannte den bedauernswerten Mann. Es war der Betrunkene, der ihn in den Straßen Elburums angegriffen hatte. Farviriol saß ihm in unmittelbarer Nähe, in einem teuren, goldbeschlagenen Sessel aus exotischem Mohaghoniholz gegenüber, in einer Hand einen Becher Wein. Zu Füßen des Elfen kniete ein etwa dreißig Jahre alter Mann ,wie einer jener Schoßhunde, die sich der Adel zu seinem Vergnügen hielt. Farviriols andere Hand ruhte auf seinen kurzen, dunkelbraunen Haaren.

Neben dem jungen Mann lag der reglose Körper eines Mädchens. Es war Marie. Ihre Brust hob und senkte sich gleichmäßig und sie schien unverletzt zu sein.

An der gegenüberliegenden Wand entdeckte er zu seiner Freude seinen Stab.

Raffael stand in einem der Gänge des unterirdischen Gewölbes. Er versuchte sich, so gut es ging, im Schatten der nach innen aufgehenden Tür zu halten, damit er nicht entdeckt werden würde. Nachdem die zwei Gardisten ihre Arbeit vollendet hatten, bewegten sie sich in Richtung der halb geöffneten Tür, hinter der sich der Hexer versteckte. Raffael suchte schleunigst das Weite. Er lief zu der kleinen Nische in der linken Gangwand, die er entdeckt hatte, drückte sich an die Rückwand und ging vorsichtig in die Hocke. Er atmete hektisch. Neben dem Gassenschläger war sicher noch ein Plätzchen an der Wand frei, wenn sie ihn erwischten.

Die beiden Männer gingen lachend an ihm vorbei. Sie witzelten darüber, was ihr Hauptmann jetzt anstellen würde. Raffael drückte sich noch etwas fester an die Wand, damit der Schein der Fackeln der zwei, ihn nicht erreichte. Als ihre Stimmen leiser wurden und ihre Schritte auf dem kalten Steinboden nur noch aus der Entfernung zu hören waren, atmete Raffael erleichtert auf.

"Ich hätte nicht aufstehen sollen" sagte er leise zu sich selbst. Mit Grauen dachte er an das, was er in diesem Gewölbe gesehen hatte.
 

Der Morgen nach dem ereignisreichen Tag in Elburum, war noch nicht angebrochen, da hatte schwacher Fackelschein den Hexer geweckt. Schlaftrunken war er aufgestanden und hatte vom Balkon aus beobachtet, wie Farviriols Männer ein wimmerndes, Blut verschmiertes Bündel zwischen sich, mühevoll ins Haus schleppten. Raffael war ihnen heimlich gefolgt. Sie hatten den Mann durch eine unauffällige Holztür im Erdgeschoss, eine Treppe hinunter geführt. Bei seinem Rundgang durch das weitläufige Anwesen war Raffael diese Tür nicht aufgefallen. Es war eigenartig, aber er meinte, sich daran zu erinnern, sie überhaupt nicht gesehen zu haben. Er war sich sogar sicher, dass sich an dieser Stelle eigentlich eine Wand aus Stein befinden müsste.

Das Haus war vollkommen still. Nur die nächtlichen Geräusche der Natur waren zu hören. Der Hexer versicherte sich, dass niemand ihn beobachtete und trat dann durch die Tür. Die Fackel, die er aus der Küche geholt hatte, erhellte ihm den Weg allerdings nur schrittweise. Vorsichtig setzte Raffael einen Fuß vor den anderen. Das morsche Holz der Treppe knarzte und ächzte unter seinem Gewicht. Er tastete sich an der Wand entlang in die Tiefe. Sie fühlte sich kalt und feucht an.

Am Fuß der Treppe blieb er stehen und leuchtete mit seiner minimalen Lichtquelle den Raum aus, um sich zu orientieren. Es befand sich in einem in Stein gehauenem Gewölbe. Große, ockerfarbene Steinquader reihten sich aneinander und bildeten zwei Gänge die tiefer in die Erde hinein reichten. Dicke Spinnweben hingen von der Decke. Einige der Krabbeltiere waren emsig dabei, die unvorsichtige Beute, die sich in ihren Netzten verfangen hatte, in einen undurchdringlichen Kokon einzuwickeln. Der ganze Raum strahlte einen stechenden Geruch nach Verfall und Moder ab.

"Welchen nun?" fragte sich der Hexer unentschlossen.

Raffael ging in die Hocke und hielt seine Fackel über den Boden. Da der Mann schwer verletzt war und stark blutete, musste er zwangsläufig Spuren hinterlassen haben. Raffael behielt Recht. Auf dem linken Gangboden entdeckte er winzige, rote Tropfen. Er fuhr mit seinem Finger über die Flüssigkeit und roch daran. "Na bitte"

Mit sorgenvollem Gesicht richtete er sich wieder auf und folgte dem Gang. Ein kalter Luftzug ließ ihn erschauern. Leise suchten Wassertropfen sich ihren Weg von der Decke nach unten. Raffael schlug das Herz bis zum Hals. Dieser Ort machte ihm Angst. Er konnte nicht genau sagen, woran es lag, aber in seinem Bauch wurde das ungute Gefühl stärker, mit jedem Meter, den er weiter in das Gewölbe eindrang.

Etwas stimmte nicht. Feuchte Keller jagten einem erwachsenen Mann normalerweise keine Angst ein. Aber dieser hier war anders. Dieser Ort war nicht so, wie er sein müsste. Aus jeder einzelnen Pore drang der Gestank nach Gefahr. Raffael bahnte sich langsam seinen Weg weiter und nach einigen Minuten zweigte der Gang erneut nach links und rechts ab. Der Hexer suchte erneut den Boden nach der roten Spur des Lebens ab. Kein Blut. Raffael entschied sich für den rechten Weg. Das Atmen fiel ihm hier unten ungeahnt schwer. Er war nur etwa vierzig Schritt gegangen. Raffael konnte es sich nicht erklären, was ihm derart zu schaffen machte. Zugegeben, er war nicht der eifrigste wenn es um Bewegung ging, aber untrainiert war er dennoch nicht. Die paar Schritt durften ihm nicht solche Mühe bereiten.

Die Fackel züngelte aufgeregt bei jedem Luftzug, als wolle sie schnellstens davon laufen. Als hinge ihr Leben davon ab.

Raffael ging weiter.

Nach wenigen Metern stand er vor einer Tür. Sie war stabil und hatte ein großes Schloss, das jedem noch so guten Dieb große Schwierigkeiten bereitet hätte. Der Hexer legte seinen Kopf an die Tür und lauschte nach Stimmen oder anderen Geräuschen. Auf der anderen Seite tat sich nichts. Raffaels Nerven waren zum zerreißen gespannt. In ihm schrie förmlich eine Stimme diese Tür nicht zu öffnen. Dennoch suchte er nach dem Griff und drückte ihn nach unten. Die Tür war nicht verschlossen. Die Scharniere verrieten quietschend ihr Alter, doch in Raffaels Ohren klang es wie das drohende Schreien eines Wächters, dessen Verbot diese Tür zu passieren ignoriert wurde.

Der Hexer drückte die schwere Tür langsam ein Stück nach innen auf. Wie die Faust eines wütenden Trolls, traf ihn ein unbeschreiblicher Schwall von Verwesungsgestank.

Raffael wurde schlecht. Schwer atmend stolperte er ein Stück zurück und lehnte sich an die Gangwand. Er sah angstvoll zur Tür. Das Licht der Fackel war zu schwach, um in den Raum dahinter zu sehen, aber der Hexer wusste dennoch, was sich darin befand. Er hatte es die ganze Zeit über unbewusst geahnt. Sein ungutes Gefühl kam durch den Geruch. Jetzt merkte er das. Es roch in diesem Gewölbe nicht einfach nur nach verrottetem Holz und Moder, wie in jedem anderen alten Keller. Dieser Keller stank nach Tod. Raffael hatte die Verbindung zwischen seiner Angst und diesem Ort nicht herstellen können. Doch jetzt, war diese Verbindung überdeutlich vorhanden.

Der Hexer trat von der Wand weg, umklammerte krampfhaft sein Licht, als wolle er mit ihm verschmelzen, dass der Tod nicht nach ihm greifen konnte, und ging auf die Tür zu. Er wollte nicht hinein sehen, aber er musste sich davon überzeugen, dass ein lebendes Wesen zu einem solchen Grauen fähig war, das er in diesem Raum vermutete. Raffael atmete noch einmal tief ein, drückte die Tür restlos auf und leuchtete in den Raum.

Was er erblickte, hatte er sich in seinen schlimmsten Träumen nicht vorzustellen vermocht. Vor seinen Augen erstreckten sich Farviriols sogenannten Kunstwerke. Dutzende, Hunderte von Exponaten standen nebeneinander. Unzählige Regale waren beladen mit Tontöpfen und Glasgefäßen. Der Geruch von Alkohol und Leichen strömte aus ihnen.

Raffael betrat widerwillig den Raum. Ein eisiger Griff legte sich um sein Herz. Seine Hände begannen zu zittern. Zum Glück erstreckte sich der Lichtschein nur über eine geringe Distanz. Der Hexer ging langsam weiter. Es war widerlich. Auf Raffaels gesamten Körper bildete sich eine Gänsehaut des Ekels. Er sah nicht nach rechts oder links. Gebannt starrte der Hexer auf das Zentrum des Raumes. Auf den steinernen Altar, an dessen Seiten die Spuren von getrocknetem Blut zu sehen waren. Auf der großen Steinplatte lag die entkleidete Leiche einer Frau. Sie war noch keine vier Wochen tot. Der Verwesungsprozess hatte erst einzelne Spuren hinterlassen.

Raffael trat näher an sie heran. Ihr entstelltes Gesicht bekam den rosigen Hauch eines jungen Mädchens, das seine ersten zärtlichen Erfahrungen gemacht hatte. Ihr langes, dunkles Haar erstrahlte in neuem Glanz. Doch der Eindruck des zurückgekehrten Lebens würde augenblicklich verschwinden, wenn Raffael die Fackel herunternähme. Denn nur der Fackelschein verschaffte den erloschenen Augen der Frau neues Leben. Aus ihren weit aufgerissenen Augen blickte Raffael der Wahn an.

"Was hat dir dieses Monster angetan!" sagte der Hexer erstickt. Sein Blick wanderte über den zerschundenen Körper der Frau. Farviriol hatte sie gequält. Sie musste über mehrere Monate durchgehalten haben, denn unzählige verheilte Narben übersäten Arme, Beine und den Oberkörper der Frau. Raffael leuchtete über ihren Unterkörper. Tränen stiegen ihm in die Augen.

Ihre Arme waren im Halbkreis um ihre geöffnete Bauchdecke gelegt. Die liebevolle Haltung einer Mutter, die das beschützte, was ihr im Leben am meisten bedeutete. Bereit für das entstehende Leben in ihrem Leib zu kämpfen. Doch hier kam diese Haltung einer Verspottung gleich.

Er konnte den Anblick nicht länger Er riss sich ertragen.los von dem grausamen Bild, das sich ihm bot und stürmte aus dem Raum. Hinter sich zog er die Tür mit einem gewaltigen Knall zu. Die massive Tür bebte für einen Moment in ihren Angeln, als bitte sie um Vergebung, für das was Raffael gesehen hatte.

Der Hexer ließ sich langsam mit dem Rücken an der Türe hinabsinken. Er hatte das Gefühl nicht mehr stehen zu können. Er begann leise zu lachen, die Tränen strömten ihm in Sturzbächen die Wangen hinab. Sein Lachen wurde lauter, jenes verzweifelte Lachen, wenn einem Menschen nichts anderes mehr übrig blieb als zu lachen, um nicht zu zerbrechen. Der Hexer hatte geglaubt, dass er das Schlimmste schon gesehen hatte, seit er in dieser Stadt war. Aber es gab immer eine Steigerung. Er legte die Fackel beiseite und barg sein nasses Gesicht in seinen Händen. Sein Lachen wurde zu einem stillen, anhaltenden Weinen.

Als er sich beruhigt hatte, wischte er sich die Tränen aus den Augen, nahm die Fackel und stand entschlossen auf.

Eine dunkle Stimme regte sich in seiner Seele. Erst leise, dann immer lauter. Ihm wurde bewusst, welch großen Fehler er begangen hatte. Farviriol hatte kein Recht zu leben. Er hätte es vor einigen Stunden beenden können. Er hätte es beenden müssen. Er würde den Tod von so vielen rächen. Und er würde dafür sorgen, dass Farviriol büßte, für das was er der Frau angetan hatte. Und ihrem ungeborenen Kind.

Raffael war nach seiner Entdeckung den anderen Gang entlang gerannt. Er war entschlossen gewesen seinen Fehler wieder gutzumachen. Grabesstille schwebte über dem Gewölbe. Nicht weit vor ihm hatte der Weg eine Linksbiegung gemacht. Der Hexer hatte sein Schritttempo verlangsamt und war um die Biegung geschlichen. Nach weiteren dreißig Schritt hatte Raffael mehrere Stimmen gehört. Seine Fackel hatte er gelöscht und einige Schritt vor ihm eine offene Tür mit Licht im Inneren eines Raumes entdeckt.
 

Jetzt stand er in dieser Nische. Raffael sah vorsichtig aus seinem Unterschlupf. Farviriols Männer waren nicht mehr zu hören.

Der Hexer trat aus seinem Versteck, schlich sich zur Tür zurück, ging in ihrem Schatten in die Hocke und schaute vorsichtig durch einen Spalt im Holz hinein. Der Raum war erhellt von mehreren Fackeln, die an den Wänden befestigt waren. Der angekettete Mann war schwer verletzt. Von seiner Stirn lief Blut, ebenso aus seinen Mundwinkeln und den Ohren. Es war ein Wunder, dass er noch lebte.

"Bi...tte... lasst mich gehen" wimmerte er.

Raffael sah auf den weißen Haarschopf in dem Sessel. Farviriol saß einfach da. Er rührte sich nicht. Die einzige Bewegung war das anhaltende Streicheln auf dem Kopf des Mannes zu seinen Füßen.

Raffael hörte Farviriol leise vor sich hin murmeln. Er verstand die Worte nicht. Ein kalter Wind füllte den Raum. Raffael blickte erschrocken in die geweiteten Augen des Mannes. Er konnte seine Angst beinahe spüren, aber bis auf den Elfen gab es nichts in diesem Raum. Und dennoch, etwas stimmte nicht. Er hatte dieses Gefühl ebenfalls verspürt, als er Farviriol das erste Mal im Zirkus gesehen hatte und kurz darauf das Hochseil gerissen war. In den nächsten Sekunden würde etwas passieren.

"Nein, fass mich nicht an, bitte, nein!" schrie der Mann mit erbärmlicher Stimme.

Farviriol saß immer noch in seinem Sessel, er hatte sich keinen Zentimeter bewegt. Und trotzdem schrie der Mann an der Wand, als würde jemand nach ihm greifen. Doch der Hexer sah nichts.

Mit einem Mal veränderte sich der Ausdruck im Gesicht des Mannes. Tiefe Falten erschienen auf seiner Stirn. Die blonden Haare des Mannes wurden dünn und ergrauten, bis sie schließlich Strähne für Strähne ausfielen. Raffael hielt den Atem an. Erschrocken fuhr seine Hand zu seinem Mund. Er glaubte nicht, was er sah.

"Nein, lasst mich leben!" bettelte er verzweifelt. Seine Stimme klang eigenartig rauh und dumpf.

Seine stattliche Statur wurde klein und gebrechlich. Die Hände wurden zu knochigen Krallen und die Haut war nicht mehr jugendlich frisch, sondern runzelig und porös wie altes Pergament.

In wenigen Sekunden wurde aus einem Mann in den besten Jahren ein gebeugter kleiner Achtzigjähriger.

Die Stimme des Mannes wurde leiser, bis sie erstarb. Der Körper des Mannes war jetzt nicht mehr als vertrocknetes Obst. Das Leben wich aus ihm, bis nichts mehr übrig war, als graue, zerfallende Haut auf den Gebeinen eines Toten. Das ausgedorrte Skelett zerbröselte. Von dem jungen Mann blieb nur ein Häufchen Staub inmitten seiner Kleider übrig.

Raffael meinte einen Luftzug zu spüren und für einen Moment glaubte er, die Gestalt einer durchsichtigen, dunkelhäutigen Frau zu sehen. Dann war sie verschwunden.

"Komm herein!" durchbrach die Stimme des Elfen die Stille. "Ich weiss, dass du da bist."

Raffael zuckte zusammen. Wie konnte Farviriol wissen, dass er da war? Die Tür hätte nicht einmal ein Mitglied des Elfenvolkes über diese Distanz gehört. Und gesehen haben konnte er ihn nicht. Er stand hinter der halboffenen Tür.

Der Hexer blickte durch den Holzspalt. Der braunhaarige Mann zu Farviriols Füßen sah in seine Richtung. Er hatte tiefblaue Augen, fast wie Saphire, doch sie waren müde und ausdruckslos. Seine Haut wies einen dunkleren Ton auf, als Raffaels. Er stammte scheinbar aus der Gegend, denn er hatte das exotische Flair der Aranier. Auch dieser Mann war übersät von Narben, besonders im Gesicht und auf seinem Oberkörper. Von der Statur war er kräftiger als der Hexer, aber ein ganzes Stück kleiner. Raffael betrachtete seine Hände. Sie waren mit einer Schicht Hornhaut überzogen, er arbeitete also körperlich. Er konnte daher kein Gelehrter sein. Vermutlich hatte er als Feldsklave gearbeitet, oder war einmal Handwerker gewesen, schätzte Raffael.

"Du solltest gehorchen, deine kleine Schlampe wird es ansonsten bereuen" knurrte der Elf. Er verharrte immer noch in der selben Position.

Raffael wusste nicht, wie er jetzt reagieren sollte. Er riss seinen Blick von dem Unbekannten los und sah zu Marie. Sie schlief immer noch auf dem Boden des Kellerraums. Eine kleine Ewigkeit überlegte er und entschied sich schließlich, zum des Wohl des Mädchens zu tun, was der Elf verlangte.

Raffael erhob sich, stieß die Tür restlos auf und trat ein. Das Kleine Zimmer hatte an der linken Wand eine weitere Tür. Raffael hatte sie von außerhalb des Raumes nicht sehen können.

"Erstaunlich" sagte Raffael lauernd. Er sah sich um. Der Raum war eine wahre Folterkammer. Mehrere Varianten von Sklaventods hingen an den Wänden, dazu einige Peitschen und zu seiner Überraschung gab es sogar einen Rosenstrauch. Es handelte sich um die selbe Art von Rosen, wie die aus Farviriols Zelt. Einigen Gegenstände konnte er keine Bedeutung beimessen. Aber mit Sicherheit waren sie zur Folter gedacht. Der Hexer wanderte durch den Raum.

"Woher wusstest du, dass ich hier bin? Ich habe eigentlich versucht leise zu sein" sagte er provozierend.

Farviriol lachte leise, stellte den Becher zu Boden und stand auf.

Raffael nahm vorsichtig eine der Waffen von der Wand. Sie war schwer zu handhaben. Man bräuchte eine erkleckliche Körperkraft um sie nicht tölpelhaft zu führen. Aber es standen keine anderen zur Verfügung.

Der Elf wandte sich dem Hexer zu. Raffael erkannte, dass er seine alte Stärke wieder hatte. Die Kraftlosigkeit in seinen Augen war verschwunden und auch seine Gesichtszüge hatten ihre Entspanntheit zurück gewonnen.

"Jetzt kommst du, um zu kämpfen? Jetzt, wo du chancenlos bist?" fragte Farviriol erstaunt. Er trat von dem Sessel weg. Raffael konnte nun eine Kette an Farviriols Handgelenk sehen, die zum Hals des Mannes führte, der immer noch auf dem Boden saß. Er verfolgte das Geschehen teilnahmslos. Raffael sah zurück zu dem Weißhaarigen.

"Ob ich chancenlos bin, wird sich zeigen" sagte er hochmütig. "Ich habe dein Gruselkabinett gefunden" offenbarte er böse. Wieder wisperte eine Stimme in seinem Kopf, der Elf habe kein Recht zu leben.

"Ah, ich sehe" erwiderte der Elf. "Ich nehme an, es hat dir nicht gefallen, und in deiner Wut bist du hierher gestürmt, um mich zu bestrafen?!" folgerte Farvririol.

Raffael überging den bissigen Kommentar.

"Was macht das Mädchen hier?" fragte er vorsichtig. Er lies den Elfen nicht aus den Augen.

"Ich denke, du hast kein Interesse an verbrauchten Frauen?" erwiderte er sarkastisch. Farviriol wirkte verärgert. "Aber gut. Sie hat mir als Kraftspeicher gedient. Ich habe soviel von ihr genommen, dass sie gerade noch am Leben bleibt. Ob das kleine Miststück sich allerdings über ihr Leben freuen wird, bezweifle ich" Farviriol grinste den Hexer vielsagend an. "Sie wird für ihre Untat bestraft werden!"

Raffael sah zu der schlafenden Gestalt. Was hatte das Mädchen verbrochen, um den Zorn des Elfen auf sich zu ziehen? Raffael hatte keine Erklärung. Seine Aufmerksamkeit kehrte zu Farviriol zurück. Er war beängstigend schön.

"Woher wusstest du, dass ich hinter der Tür war?" wiederholte Raffael seine Frage.

Farviriol löste die Kette von seinem Arm.

"Geh Salil!" befahl er dem Braunhaarigen mit einer herrischen Handbewegung. Der junge Mann verschwand schnell durch die andere Tür des Raums. Farviriols kalter Blick kehrte zu Raffael zurück. Der Hexer sah in den Augen des Elfen eine unbändige Wut und noch etwas anderes: Verletzte Eitelkeit.

"Wer war dieser Mann?" fragte er.

"Eifersüchtig?" witzelte der Elf. Er lächelte Raffael böse an. Dieser reagierte nicht darauf. "Wohl kaum" stellte Farviriol dann enttäuscht fest.

Er ging einen Schritt in die Richtung des Hexers. Raffael trat zwei Schritte zurück und fixierte ihn mit festem Blick. Er würde keine Angst zeigen.

"Er war nur eine meiner Freuden. Für eine Weile vertrieb er mir die Zeit. Aber ich bin seiner überdrüssig geworden." antwortete er schließlich kalt. "Aber um auf deine andere Frage zurück zukommen: Ich habe dich gespürt!" sagte Farviriol mit leuchtenden Augen.

"Sag mir, wie!" forderte der Hexer.

"Du hast meine Präsenz doch auch bemerkt. Leugne nicht!" grollte der Elf.

Raffael ging schrittweise rückwärts in Richtung der Tür, durch die er den Raum betreten hatte. Er sah ungläubig zu Farviriol. Dieser folgte ihm gelassen.

"Du hast wirklich keine Ahnung?" fragte der Elf. Er schüttelte den Kopf. "Dann bist du unwissender, als ich dachte."

"Sprich nicht in Rätseln. Es ist wahr, dass ich in deiner Gegenwart manchmal ein eigenartiges Gefühl bekomme" gab Raffael zu. "Aber woran das liegt, weiss ich nicht."

"Du spürst die Magie. Wir beide tun das" erklärte Farviriol. "Du bist das einzig andere Wesen in diesem Haus, das in Lage ist, Magie zu wirken. Ich erkenne deine Aura. Daher wusste ich, dass du in der Nähe bist."

Raffael konnte mit diesen Worten nichts anfangen. Magie spüren? So ein Blödsinn. Dann hätte er auch immer Pawla oder Fadime spüren müssen. Und dem war nicht so.

"Wenn das so ist, dann hätte ich auch in der Gasse deine Aura, oder was auch immer, wahrnehmen müssen. Und das habe ich nicht" erklärte der Hexer bissig.

Farviriol überlegte. Dann lächelte er, als hätte er eine Antwort.

"Wie es aussieht kannst du nur die dämonische Komponente wahrnehmen. Du hast vorher das kleine Schauspiel verfolgen können?" fragte er.

Sie umkreisten sich jetzt, wie zwei Tiere, die bereit waren zum Sprung und nur auf den passenden Augenblick zum zuschlagen warteten.

Raffael nickte stumm. Auf dem Gesicht des Elfen erschien ein zufriedenes Grinsen.

"Ich habe vorher eine Laraanji beschworen, eine niedere Dämonin. Sie hat unserem Freund hier, die Lebensenergie ausgesaugt." Farviriol deutete mit einem Kopfnicken auf das Häufchen Staub hinter sich.

"War das die Frau mit der dunklen Haut?" hakte Raffael nach.

"Du hast sie gesehen?" fragte er überrascht. "Normalerweise hat sie keinen Laib. Ich bin beeindruckt." meinte der Elf aufrichtig.

"Dann hast du damals im Zirkuszelt auch einen Dämonen beschworen, um das Seil zum Reißen zu bringen!" stellte der Hexer fest.

"Du denkst ja langsam mit" beleidigte er Raffael. Farviriol provozierte ihn. Er wollte ihn dazu verleiten gedankenlos anzugreifen. Für den Elfen war diese Situation nicht mehr als ein Spiel. In ihren beiden anderen Kämpfen war Farviriol als Sieger hervorgegangen und auch dieser war mehr als aussichtslos. Doch er würde es versuchen. Und vielleicht hatte er Glück.

"Bist du bereit?" fragte ihn der Elf lauernd.

Raffael umklammerte nun auch mit der zweiten Hand den Griff des Sklaventods, stellte einen Fuß vor den anderen und nahm einen festen Stand ein. Die Waffe war schwer und musste mit zwei Händen geführt werden. Dadurch schränkte sich seine Bewegungsfreiheit enorm ein.

Noch während Raffael sich Gedanken darüber machte, wie er die Waffe am besten händelte, griff Farviriol an. Erschrocken zog Raffael reflexartig den Sklaventod höher. Der Elf krachte mit voller Wucht in den Hexer. Raffael musste nach hinten ausweichen, damit ihn die Wucht nicht von den Beinen holte. Mit bloßer Hand griff Farviriol nach der Klinge und drückte sie zur Seite. Das Schneiden von Fleisch war zu hören. Blut tropfte auf Raffaels Schuhe. Er blickte entsetzt in das Gesicht des Elfen. Obwohl Farviriol gerade verletzt wurde, schien es ihn nicht zu kümmern. Er lächelte den Hexer immer noch ungerührt an.

Raffael drückte mit beiden Händen gegen den Griff der Waffe, damit sie ihm nicht entglitt. Es bereitete ihm große Mühe, sie in der Hand zu behalten. Mit einem Aufschrei rammte der Hexer seine Schulter in das Gesicht des Elfen. Er hörte das Knacken einer brechenden Nase. Farviriol ließ die Klinge los und taumelte einige Schritte zurück. Raffael setzte ihm unverzüglich nach und stürzte sich auf den Elfen. Farviriol sprang zur Seite. Der schlecht geführte Schlag verfehlte ihn um Haaresbreite. Der Sklaventod krachte in den Boden und zog eine tiefe Schneise durch den Stein. Funken sprühten. Raffael hob erneut die Waffe um einen weiteren Schlag gegen das hassenswerte Geschöpf zu führen. Die Chance, siegreich aus diesem Selbstmordkommando hervorzugehen, war unendlich klein. Als der Hexer sich aufrichtete flog der goldbeschlagene Sessel mit voller Wucht in seine Richtung. Er warf sich erschrocken zu Boden, wodurch er die Klinge loslassen musste. Das schwere Möbelstück zerschlug an der Wand hinter ihm in tausend Stücke. Raffael schützte seine Augen vor den herum fliegenden Holzteilen. Einige Splitter landeten in seinem Haar. Entsetzt sah er zu Marie. Sie war nicht getroffen worden. Er atmete auf.

Noch bevor Raffael sich wieder dem Elfen zuwandte, war Farviriol bei ihm, packte ihn an seiner Kleidung und drückte ihn mit einer Hand roh auf den Rücken. Mit seiner anderen Hand richtete er sich den Bruch seiner Nase. Raffael stellten sich die Nackenhaare bei dem Geräusch.

"Das hat weh getan" knurrte Farviriol gespielt verärgert.

Der Hexer lag schwer atmend auf dem Boden. Er versuchte die Aufmerksamkeit des Elfen auf sein Gesicht zu lenken. Mit seiner rechten Hand tastete er nach dem Sklaventod.

"Ich dachte, ihr Oronis mögt Schmerzen" Raffael hob unschuldig die Augenbrauen.

"Ja, aber für gewöhnlich bereiten wir dieses Vergnügen" Farviriol beugte sich über Raffael und musterte ihn von oben bis unten. "Du bist wirklich schön" hauchte er. "Und du wehrst dich mehr, als jeder Andere. Mein Aussehen und mein Charisma wirken nicht auf dich. Deine Seele zu verderben wird mein Meisterstück!" Er streichelte zärtlich durch das lange Haar des Hexers.

Raffael musste sich beeilen. Er suchte weiter nach der Waffe. Irgendwo musste sie doch liegen.

Farviriol zog einen kleinen Dolch unter seinem roten Mantel hervor.

"Ich wollte eigentlich warten, bis du dich hier eingelebt hast, aber du bettelst geradezu darum, von mir geliebt zu werden" Seine Stimme klang heiser. Der Elf führte den Dolch an Raffaels Gesicht. Der Hexer hielt die Luft an. Nervös tastete er weiter nach der Waffe und stieß mit seinen Fingerkuppen gegen etwas Metallenes. Ein innerer Triumph machte sich in ihm breit. Er lächelte Farviriol an. Mit seiner freien Hand griff er nach den feinen Haaren des Elfen und zog ihn ein Stück zu sich herunter. Dann drückte er Farviriols Dolch so weit in seine Haut, bis ein einzelner Blutstropfen die schmale Klinge herunter lief.

"Nur zu" forderte er ihn gespielt auf und lächelte ihn verführerisch an. Farviriol schien begeistert von seiner Sinneswandlung. Er ritzte einen tiefen Schnitt in die Wange des Hexers.

Raffael schob den Schmerz in den hinteren Teil seines Bewusstseins.

"Ich dachte nicht, dass du dich so schnell fügen würdest" sagte er misstrauisch.

Raffael zog den Elfen noch ein Stück weiter zu sich herunter, bis sich ihre Lippen fast berührten und blickte ihm fest in seine grünen Augen.

Raffael umfasste den Griff des Sklaventods.

"Ich auch nicht" sagte er zitternd und rammte die lange Klinge tief in die Seite des Elfen. Farviriol sprang mit einem Aufschrei von ihm weg und ließ den Dolch fallen. Raffael war binnen eines Augenblicks ebenfalls auf den Beinen und hechtete hinterher.

Mit aller Kraft, und all seiner Wut hob er die Waffe an und schlug Farviriol den eins fünfzig Schritt langen Sklaventod über den Schädel. Er hatte keine Chance auszuweichen. Der Angriff kam zu schnell selbst für ihn. Raffael spaltete seinen Kopf förmlich in zwei Hälften und blieb dann mit der Waffe stecken. Ein gellender Schrei hallte durch den Raum. Literweise lief das Blut über seine rote Kleidung und auch seine silberweißen Haare tränkten sich.

Farviriol schlug in seinem Schmerz nach dem Hexer und schleuderte ihn mit nur einer Handbewegung gegen die Wand. Hart krachte er gegen den kalten Stein und sank zu Boden. In seinen Beinen explodierte der Schmerz. Raffael rappelte sich mit großer Mühe auf. Er musste sich etwas gebrochen haben. Der Hexer humpelte keuchend zu dem Elfen hinüber, griff nach seiner Waffe und wollte es ein für alle Mal beenden.

"Diesmal..." keuchte er "hast du..." Raffael zog mit einem kräftigen Ruck die Waffe aus Farviriols Kopf. Der Elf ging mit vor Schmerz verzerrtem Gesicht in die Knie, hob aber seinen Blick und starrte Raffael in die Augen. Für einen Moment glaubte der Hexer Angst in den grünen Augen zu sehen, dann änderte sich ihr Ausdruck. Farviriol lächelte ihn allwissend unter all dem Blut an. Er schien etwas erkannt zu haben.

Wie ein wütender Berserker ohne jede Selbstkontrolle stand Raffael über dem Elfen. Er musste einen furchteinflößenden Anblick bieten.

"Verloren!" Der Hexer hob die Waffe an, holte aus, um dieses hassenswerte Geschöpf vom Angesicht Deres zu tilgen. Ja, er hasste dieses Monster abgrundtief. Bis auf den Grund seiner Seele. Und er wollte Rache nehmen für all die Unschuldigen, die unter Qualen gestorben waren. Raffael hatte noch nie getötet. Trotz einiger Raufereien, war er nie für Gewalt gewesen. Doch jetzt wollte er töten, wollte sich rächen. Die dunkle Stimme tief in seiner Seele lechzte nach dem Blut des Elfen und befahl ihm seiner Rache nachzugeben. Sie hielt ihm vor Augen was Farviriol alles getan hatte. Vor seinem inneren Auge brannten Zelte, starb ein kleiner Junge mit furchtlosen und unschuldigen Augen , erschien eine Mutter mit ihrem ungeborenem Kind. Der Hexer gab der dunklen Stimme in seinem Inneren Recht. Farviriol hatte kein Recht zu existieren.

Sein Arm sauste herunter. Die Stimme der Rache in seinem Inneren stieß einen triumphierenden Schrei aus. Doch es mischte sich auch eine leise, fast nicht hörbare, gütige Stimme hinzu. Es war dieselbe Stimme, während des Gesprächs im Schlafzimmer zwischen ihm und dem Elfen.

"Tu es nicht" bat sie traurig. "Weil du kein Monster werden sollst!"

Kurz bevor die tödliche Klinge Farviriols Hals erreichte, stoppte der Angriff. Raffael zitterte am ganzen Körper. Die dunkle Stimme in seinem Inneren brüllte auf, weil sie um ihren Sieg gebracht wurde.

Der Hexer bemerkte, wie seine Wangen feucht wurden. Mit dem Knauf des Sklaventods gab er dem Elfen eins über den Schädel. Farviriol sank bewusstlos zu Boden. Raffael ließ die Waffe fallen und hörte in sich hinein. Die Bestie in ihm tobte noch immer, wurde aber überdeckt von seinem Gefühl für Güte und Gnade.

Er wandte sich um und kroch zu Marie hinüber, ignorierte den beißenden Schmerz in seinen Beinen und nahm sie auf die Arme. Er musste sich beeilen. Lange würde der Elf nicht bewusstlos bleiben. Raffael humpelte zu seinem Stab, der immer noch an der Wand lehnte, klemmte ihn zwischen die Beine und erhob sich in die Luft. Er positionierte Marie vor sich auf dem Stab und lehnte sie an seine Brust. Der Wanderstab gewann nur sehr langsam an Höhe, wurde dann aber schneller. Im Vorbeifliegen griff Raffael nach einer Fackel und verließ den Raum. Dabei schrammte er am Türrahmen entlang. Raffael musste fast blind fliegen, da der Lichtkegel der Fackel begrenzt war. Zusätzlich hatte er eine weitere Person auf dem Stab dabei. Er flog durch den Gang, versuchte sich zu erinnern nach wie vielen Metern die Biegung kam und wann die nächste Kreuzung. Einige Male schätzte er die Deckenhöhe falsch ein, streifte mit seinem Rücken an ihr entlang und verlor beinahe das Gleichgewicht. Der Hexer biss die Zähne zusammen. Wenn er jetzt dem Schmerz nachgab, würde er hier nicht lebend raus kommen, von dem Mädchen ganz zu schweigen. Seine zerzausten Haare wehten ihm ins Gesicht. Er drückte Marie fest an sich. Sie war immer noch nicht aufgewacht.

Raffael fand zur Treppe zurück. Er sprang ab und umklammerte das Mädchen, damit es nicht stürzte. Er ließ die Fackel fallen und trug Marie, sowie seinem Stab die morsche Treppe hinauf. Mehrere Treppenbretter drohten zu brechen, doch sie hielten. Er sah sich nach Farviriol um, konnte den Elfen aber nicht sehen.

Das Brodeln in seinem Inneren wurde leiser, bis es schließlich verstummte.

Raffael lief in den Hof. Der Schmerz in seinen Beinen wurde mit jedem Schritt schlimmer. Fast stürzte er über eine gelockerte Bodenplatte. Auch die Kraft seiner Arme verbrauchte sich zunehmend. Marie war zwar zierlich, aber lange würde er sie nicht mehr tragen können. Der Schweiß lief ihm in Strömen das Gesicht runter. Raffael verschnaufte einen Moment, positionierte Marie erneut vor sich auf seinem Stab und hob ab. Diesmal gewann er schneller an Höhe und Geschwindigkeit. Er schwebte bis über das Dach des Hauses und flog dann in Richtung Stadtmauer.

Der Tag dämmerte mittlerweile und in die Stadt kam neue Bewegung, wobei Raffael bezweifelte, dass sie jemals geruht hatte. Auf seinem Stab konnte er sich etwas erholen. Fliegen war praktisch seine favorisierte Art der Fortbewegung, auch wenn es schwierig war das Gleichgewicht zu halten mit einer weiteren Person. Der Stab gewann an Geschwindigkeit. Ohne Probleme passierte er die Stadtmauer. Auch wenn Farviriol bereits im Haus sein würde und nach ihm suchte, ihn jetzt noch einzuholen wäre unmöglich. Raffael atmete tief durch. Das Stechen in den Beinen wurde fast unerträglich. Er tastete seine Knöchel ab und stellte fest, dass der rechte dick angeschwollen war. Mit dem Bruch hatte er sich jedoch götterlob geirrt.

Der Hexer flog etwa zwei Stunden lang weiter in eine unbestimmte Richtung bis die Sonne aufgegangen war. Er kannte sich nicht aus, aber Hauptsache sie waren weit weg von Elburum. Dann musste er landen, da seine Kraft verbraucht war. Zudem war es gefährlich am Tag weiter zu fliegen. Sie würde zu leicht entdeckt werden. Raffael flog in die Nähe eines kleinen Wäldchens, verlangsamte seine Geschwindigkeit und schwebte zu Boden. Er umfasste Maries Oberkörper mit einem Arm und stieg vorsichtig von seinem Stab ab. Er ließ ihn neben sich ins Gras fallen und bettete den Körper des Mädchens sorgfältig unter einen Baum.

Dann gaben auch seine Beine nach. Der Hexer sank neben Marie zu Boden und atmete heftig ein und aus. Entsetzt dachte er an die Stimme, die zu ihm voller Hass gesprochen hatte. So kannte er sich nicht. Zugegeben, er löste seine Probleme nicht immer mit Verstand, aber dass er so hassen konnte machte ihm Angst.

Als sein Körper zur Ruhe kam, brachte er sich in eine sitzende Position und untersuchte seinen Fuß. Diesmal ausgiebiger. Die Farben seines Knöchels variierten von blau bis grün. Raffael gab einen knurrenden Laut von sich, als er seinen Fuß abtastete. Auch die schlimmen Schürfwunden auf seinem Rücken brannten entsetzlich.

Nach einer Weile regte sich neben ihm Marie. Der Hexer betrachtete sie ausgiebig. Sie war bleicher als ein Leichentuch. Raffael strich ihr fürsorglich über die Stirn. Plötzlich schlug sie die Augen auf und sah ihn an.

"Wo... is..t er?" waren ihre ersten Worte.

"In Elburum, schätze ich." antwortete Raffael mit beruhigendem Lächeln. "Vielleicht ist er ja auch tot." log er.

Maries Augen weiteten sich. Sie versuchte sich aufzusetzen. Raffael reichte ihr seine Hand und half ihr dabei.

"Aber wie?" fragte sie benommen. "Man kann ihn nicht töten. Ich habe gesehen, dass die schlimmsten Wunden einfach wieder heilten."

"Na ja, ich hab ihm ein Schwert über den Schädel gezogen und seinen Kopf gespalten. Überlebt er so etwas auch?" Raffael versuchte ein Grinsen aufzusetzen. Er war nie ein guter Lügner gewesen.

"Hat er dir was getan?" fragte er vorsichtig.

"Ich weiss nicht. Der Herr kam mitten in der Nacht zu mir ins Zimmer. Ich habe mich furchtbar erschreckt, weil er mich so seltsam angesehen hat. Er hat sich zu mir aufs Bett gesetzt und mich dann geküsst. Was danach passierte daran erinnere ich mich nicht mehr. Aber ich fühlte mich nicht schlecht. Im Gegenteil" Marie überlegte angestrengt. "Ich habe geträumt, glaube ich" sagte sie zögernd. "Ich... ich... habe dich gesehen!" rief sie aus und errötete.

Raffael verfolgte gespannt ihre Worte. "Sprich weiter!" bat er sie.

"Na ja" sagte Marie verlegen, "wir haben... das ist mir so peinlich!" Sie schlug die Hände vors Gesicht und zog die Beine an den Körper.

Raffael war irritiert, grinste dann aber breit. Er kratzte sich seinen nicht vorhandenen Bart. "Viele Mädchen haben schon von mir geträumt. Das muss dir nicht peinlich sein."

"Ist es aber!" beharrte sie. "Ich kenne dich doch gar nicht. Solche Gedanken sollte ein anständiges Mädchen nicht haben"

"Für seine Gefühle sollte niemand sich schämen müssen" versuchte Raffael sie aufzubauen.

Mit einem Mal wurde er aber wieder ernst. Er blickte nach vorn.

"Du weißt schon, dass ich das nicht gewesen bin?" fragte Raffael bitter.

"Ich weiss" sagte sie traurig. Sie wandte den Blick zu Boden. Dann sagte sie mit einem breiten Grinsen: "Ist aber nicht so schlimm, denn er sah aus wie du!" Maries Augen glitzerten und eine feine Spur von salzigem Wasser zierten ihre Wangen. Sie versuchte tapfer zu sein, doch der Hexer konnte nachempfinden, wie es in ihr drin aussehen musste.

Raffael empfand eine tiefe Zuneigung zu dieser Frau. Sie trug ihr Schicksal mit solch einer Würde, die einer Königin zu Gesicht reichte. Obwohl sie genau wusste, was Farviriol mit ihr gemacht hatte, kam kein böses Wort über ihre Lippen und sie versuchte etwas Gutes in jeder Situation zu sehen.

Jetzt verstand Raffael auch, warum Farviriol einen Groll gegen das Mädchen hegte. Durch ihre seelische Verbindung während des Sikharyanraubs musste der Elf herausgefunden haben, wie es um sie stand. Marie hatte sich in ihn verguckt und für den Elfen reichte das aus, um in ungerechten Zorn zu verfallen.

Raffael legte tröstend seinen Arm um ihre Schulter und drückte sie an sich. Marie weinte still in seinen dreckigen, blauen Kaftan. Er streichelte sanft über ihre kurzen Haare. Raffael liebte dieses Mädchen nicht. Nicht wie ein Mann eine Frau liebt, aber sie war ihm in der kurzen Zeit, die er sie kannte, lieb und teuer geworden.

Raffael suchte in seinem Inneren nach der dunklen Stimme. Sie war verstummt. Aber sie war da. Er spürte es deutlich.
 

"Au" knurrte Raffael. "Ich bin doch kein Sauerteig! Für ein Mädchen bist du ganz schön grob!"

"Wenn du nicht dauernd zappeln würdest, dann würde es auch nicht so weh tun!" grollte Marie zurück und klatschte einen weiteren Umschlag auf Raffaels Rücken. Für die nassen Umschläge hatte Marie einen Großteil ihrer durchsichtigen Weste geopfert.

Raffael hatte sich auf den Bauch ins Gras gelegt. Marie saß auf seinem nackten Unterkörper und wusch die Schürfwunden seines Rückens mit Wasser aus dem Bach des kleinen Wäldchens, in dem der Hexer gelandet war. Nachdem das Mädchen sich ein bis zwei Stunden lang erholt hatte, hatte sie mit Raffael darum gestritten, ihn versorgen zu dürfen. Er hatte sich mit Händen und Füßen dagegen gewehrt, von Marie behandelt zu werden. Immerhin hatte er sich vor dem Mädchen ausziehen müssen. Im Nachhinein gab er ihr aber Recht. Sein Rücken fühlte sich wesentlich besser an. Der Schnitt auf seiner Wange hatte aufgehört zu bluten und begann zu verschorfen.

In dem kleinen Wäldchen zwitscherten die aus dem Süden zurück gekehrten Singvögel über ihren Köpfen und im hohen Gras der Lichtung, auf der sie sich befanden sprangen die Grashüpfer von Halm zu Halm.

"Sag mal, ist dir das nicht unangenehm, so ganz ohne Oberteil herumzulaufen?" fragte Raffael in das grüne Gras.

"Nein" antwortete das Mädchen. "Ich bin es gewohnt. Außerdem haben wir für Scham keine Zeit!"

Marie stieg von seinem Rücken und drehte sich um. "Du kannst dich jetzt wieder anziehen" räusperte sie sich. Sie ging ein paar Schritte näher an den Bach und starrte gedankenverloren ins Wasser.

Raffael stand auf, griff nach seinem abgewetzten Gewand und streifte es sich über.

"Du kannst dich jetzt wieder umdrehen" meinte er und klopfte den Staub aus seinem Kaftan.

Marie rührte sich nicht.

"Wir sollten herausfinden, wo wir eigentlich gelandet sind und dann den kürzesten Weg über die Landesgrenze suchen" Der Hexer zupfte sich seine Kleidung zurecht. "Farviriol hat erwähnt, dass es vom Dornrosenwall bis nach Elburum etwa drei Tage zu Pferd seien. Mit dem Stab dürften wir mit Pausen die gleiche Zeit benötigen"

fuhr er fort. Raffael sah zu Marie, die sich noch immer von ihm abwandte.

"Was hast du?" fragte der Hexer irritiert.

"Ich komme nicht mit" eröffnete sie. Wie eine Statue stand sie vor ihm. Der Morgenwind streichelte durch ihr kurzes, rötliches Haar und über ihren nackten Rücken.

"Aber natürlich kommst du mit. Ich lass dich doch hier nicht zurück!" widersprach er.

"Versteh mich nicht falsch. Ich würde gerne mitkommen, aber ich kann nicht" sagte sie traurig.

Raffael verstand nichts mehr. Er ging zu Marie und legte eine Hand auf ihre Schulter. Mit sanfter Gewalt drehte er sie zu sich um und lächelte sie freundlich an. Marie sah zu Boden.

"Wieso kannst du nicht mit?" fragte er.

"Er ruft mich" antwortete sie erstickt. "Ich höre seine Stimme schon eine geraume Weile" Sie hob ihre himmelblauen Augen, um Raffael voll anzublicken.

"Der Herr. Er lebt. Und er ruft nach mir. Er befielt, dass ich zurückkehre."

"Aber wie kann das sein?" wunderte sich der Hexer.

"Ich kann es nicht erklären, aber es war früher schon so. Ich habe einmal versucht wegzulaufen" erzählte sie. "Dann habe ich seine Stimme in meinem Kopf gehört. Zuerst nur leise. Und dann immer lauter." Marie griff sich an die Schläfe.

"Es sticht so. Ich will nicht zurück. Ich versuche mich dagegen zu wehren, aber es tut weh! So weh!" schluchzte sie. Aus ihrer Nase floss ein dünner Strahl roten Bluts.

Raffael nahm geschockt seine Hand von ihrer Schulter und wischte zitternd das Blut von ihrer Oberlippe.

"Aber wie?" fragte er entsetzt.

"Das weiss ich nicht. Geh ohne mich" bat sie inständig. "Er wird bald hier sein. Ich spüre seine Gegenwart" Sie griff nach den Händen des Hexers. Die zierlichen Hände des Mädchens waren kälter als Eis. "Du musst hier weg sein, bevor er kommt"

Raffael fühlte sich vollkommen hilflos. Er kannte den Einfluss eines Lamijahs auf sein Opfer nicht. Er verstand nichts von diesen Dingen. Aber seiner Vermutung nach würden die Schmerzen, die Marie hatte, schlimmer werden, wenn sie sich Farviriol widersetzte. Zurücklassen wollte er sie nicht aber auch nicht. Die Lage war verzwickt.

"Und wenn wir dich in einen Tempel bringen?" fragte Raffael. "Er kann ihn als Paktierer nicht betreten, oder?" Er hatte immer noch die Hoffnung das Mädchen mitnehmen zu können.

"Wir wissen doch nicht einmal wo wir sind. Und Tempel sind hier rar gesät!" sagte Marie weinerlich. "Du MUSST ohne mich gehen! .. Ahuh.." Das Mädchen klappte zusammen. Raffael fing sie auf. Der Blutfluss aus Maries Nase wurde stärker.

"Marie!" schrie Raffael.

"Er... ist.. hier in der Nähe" brachte sie qualvoll hervor. "Ich... kann..mi...ich nicht mehr ... wehren." Das Blut quoll ihr mittlerweile auch aus dem Mund.

Raffael überkam wieder dieses eigenartige Gefühl der Beklemmnis. Der Elf musste tatsächlich in der Nähe sein und er hatte eine dämonische Wesenheit dabei, wenn Farviriol die Wahrheit gesagt hatte und es zutraf, dass der Hexer dämonische Magie wahrnehmen konnte.

Raffael suchte mit den Augen den kleinen Wald und die Lichtung mit dem Bach ab. Er lauschte angestrengt nach irgendwelchen Geräuschen, die nicht hierher gehörten. Aber er konnte nichts auffälliges feststellen. Er hörte nur das Rauschen der Bäume und das Plätschern des Wassers. Ansonsten herrschte unheimliche Stille.

Raffaels Gefühl wurde stärker. Etwas kam. Aber woher?

Mit einem Mal wurde es ihm schlagartig klar: >>Keine Vögel!<< dachte er. Raffael sah nach oben, schützte seine Augen vor der Sonne und entdeckte am Himmel einen großen, dunklen Schatten.

Kaum hatte er ihn gesehen, preschte er zu Boden. Raffael reagierte noch rechtzeitig.

"Pass auf!" schrie er Marie an und stieß sie von sich weg. Das Mädchen stolperte benommen zurück und kniete benommen auf dem Boden. Ihre Augen wurden schal.

Der Schatten landete mit einem donnernden Schlag auf der Erde, so dass sie unter dem Druck erzitterte.

Auch der Hexer verlor das Gleichgewicht und knickte mit seinem verletzten Knöchel um. Er knallte auf den Hosenboden. Für einen Moment schloss er die Augen und drängte den Schmerz beiseite.

Als er sie wieder öffnete, bereute er, es getan zu haben. Er schaute direkt in das geifernde, Raubtierzähne besetzte, blutrote Maul eines zwei Schritt hohen pferdeähnlichen Wesens. Das vielgehörnte schwarze Untier stierte den Hexer aus blutroten, boshaft leuchtenden Augen an. Aus den breiten Schultern sprossen mächtige Flügel, die das Tier jetzt anlegte. Die Hufe dieses dämonischen Pferdes waren reine Mordinstrumente. Sie hinterließen tiefe Abdrücke im Boden und durchschnitten das Gras fein säuberlich, wo sie es berührten.

Raffael starrte mit aufgerissenen Augen auf das weit offen stehende Maul. Das Entsetzten war ihm ins Gesicht geschrieben. Er wagte es nicht einmal zu atmen, aus Furcht es könnte jeden Moment zuschnappen.

Aus der Entfernung kamen Schritte näher. Raffael sah aus den Augenwinkeln wie zwei Männer in roten Uniformen, Aufstellung bei Marie bezogen. Sie griffen unter ihre Arme um sie in eine stehende Position zu bringen. Dann führten die Männer sie an Raffael vorbei und blieben hinter ihmstehen. Er konnte erkennen, dass sie bei Bewusstsein war und dass das Blut begonnen hatte zu gerinnen.

Der Hexer sah wieder nach vorn. Dass dämonische Ross wich einen Schritt zurück.

Raffael atmete merkbar auf.

"Sehr weit seit ihr ja nicht gekommen" erklang eine Stimme vom Rücken des Pferdes.

Raffael schloss die Augen für einen Moment und wisperte in Gedanken >>verdammt!<< Dann blickte er zu der Stimme.

"Aber eines muss man dir lassen" sagte die blutverschmierte Gestalt mit den grünen Augen, die sich jetzt langsam vom Rücken des Pferdes hinabsinken ließ. "Ich habe eine Weile gebraucht, bis ich euch gefunden habe. Ich hatte nicht einmal die Gelegenheit mich umzuziehen!" Farviriol trat lächelnd auf Raffael zu. "Ich glaube, ich stelle dir die Kosten für meine Kleidung langsam in Rechnung. Du kostest mich ein Vermögen!" sagte er mit gespieltem Ernst.

Der Hexer war unfähig zu antworten. Für ihn und Marie ging es um ihre Existenz und vielleicht auch um ihre Seelen und Farviriol hatte keine anderen Sorgen als seine Kleidung! Es war lächerlich. Raffael senkte das Haupt und grinste vor sich ihn. Es war einfach nur lächerlich.

"Aber ich verzeihe dir" fuhr der Elf fort. "Du hast dein Versprechen gebrochen. Aber seis drum. Dafür weiss ich jetzt, warum es mir so schwer fällt, dich zu meinem Sklaven zu machen und du es immer wieder schaffst dich meinem Einfluss zu entziehen" sagte Farviriol zufrieden. Raffael hob seinen Kopf und schaute in diese schönen, immergrünen Augen. Im Moment wirkte der Elf allerdings mit seinen verklebten Haaren und seiner dreckigen Kleidung eher wie ein schleimiges Tatzelwurmjunges. Der Elf trat näher an Raffael heran und ging vor ihm in die Hocke. Sein geronnenes Blut verschmierte sein Gesicht, aber die Haut darunter war verheilt.

"Und dafür danke ich dir!" sagte Farviriol gefährlich.

"Lass mir raten, als Belohnung für deine Erkenntnis erhalten das Mädchen und ich freies Geleit?!" fragte der Hexer ironisch.

Farviriol lachte laut und knuffte Raffael in den Arm.

"Du bist wirklich sehr unterhaltsam!" lachte er schallend.

Raffael schüttelte den Kopf. Die Stimmungsschwankungen des Elfen machten ihm beinahe mehr Angst als sein Zorn.

"Aber genug der Späße" sagte er laut. "Leg das an!" Farviriol holte aus seinem Mantel ein kleines tönernes Gefäß und reichte es dem Hexer.

"Was ist das?" fragte er misstrauisch.

"Etwas, das mir sichert, dass du nicht wieder versuchst mit Magie zu entkommen. Was auch deinen Stab einschließt" Farviriol nahm den Deckel des Töpfchens ab. "Leg ihn um deinen Hals"

Raffael sah hinein. In dem Gefäß wand sich ein fingerdicker, schwarzer Wurm mit dünnen Tentakeln am ganzen Körper.

Der Hexer sah den Elfen zögernd an. "Ich will das nicht!" protestierte er.

"Du hast keine Wahl" sagte Farviriol grinsend. Er nickte seinen Männern zu.

Daraufhin zogen sie ihre Waffen und hielten sie Marie an den Hals.

"Nein, tu das nicht!" rief Raffael und mit ruhigerem Ton fuhr er fort: "Ich tue, was du verlangst!"

Er sah Farviriol an. Dieser erwiderte seinen Blick mit einem fast freundlichen Lächeln. Raffael griff in das kleine Gefäß und nahm den Wurm auf seine Hand. Er fühlte sich so widerlich an, wie er aussah. Die langen Tentakel tasteten die Handflächen des Hexers ab. Raffael schluckte trocken. Er sah wieder den Elfen an.

"Na los" winkte der Elf mit seiner Hand. Er stützte einen Arm auf sein Knie und legte seinen Kopf in die Handfläche. Mit leuchtenden Augen und gespannt wie ein kleines Kind überwachte er die Szene.

Raffael führte seine Hand zu seinem Hals. Kaum hatte der Wurm die Haut des Hexers berührt, stieß er mit einer unvorstellbaren Geschwindigkeit seine Tentakel tief in das Fleisch des Hexers.

Raffael schrie auf. Die vielen Tentakel gruben sich in seinen Hals und mit einem Mal spürte er in seinem Kopf eine neue Präsenz. Der Wurmdämon erforschte seine Gedanken und kein noch so geheimer Winkel blieb verschont.

Der Hexer zerrte am Körper des Wurmes. Mit beiden Händen versuchte er ihn wieder von sich zu reißen.

"Das würde ich an deiner Stelle bleiben lassen" sagte Farviriol. Er griff nach Raffaels Händen und hielt sie in seinen gefangen. "Wenn du ihn mit Gewalt entfernst, stirbst du und deine Seele fährt unweigerlich in die Niederhöllen. Also überleg es dir gut!" Farviriol stand auf.

"Was ist das?" schrie Raffael. In seinem Kopf dröhnte der Schmerz.

"Das?" fragte Farviriol schulterzuckend. "Das ist ein Gurgurlum. Da ich dich ja nicht immer überwachen kann, wird er das für mich übernehmen. Wenn du auch nur an den Gebrauch von Magie denken solltest, wird er dich bestrafen. Es funktioniert ähnlich wie, wenn ich Marie in Gedanken rufe und sie sich weigert zu gehorchen. Aber das Beste an unserem kleinen Freund hier ist, dass du keinen Tempel mehr betreten kannst" erklärte er. "Und was deinen Stab angeht" Farviriol bückte sich nach Raffaels wertvollstem Besitz und der einzigen Möglichkeit aus Oron zu entkommen. "Den Fehler ihn zu behalten, werde ich korrigieren!" sagte er "Ein wirklich schöner Stab. Es ist schade um ein solches Artefakt" Der Elf betrachtete noch einmal das geschnitzte Holz und zerbrach dann den Stab mit kräftigem Druck über seinem Knie.

"Nein!" brüllte der Hexer. "Was... hast du... getan?" stotterte er. Raffael nahm die zwei Hälften seines Stabes in die Hand. Viele Erinnerungen hingen daran. Er hatte ihn von seiner Lehrmeisterin bekommen. Pawla hatte ihm geholfen ihn zu fertigen und ihn dann an Raffael zu binden. Für einen neuen Stab müsste er zu einem Hexenzirkel gehen und darum bitten. Aber um an die geheimen Orte der Schwesternschaften zu kommen, benötigte er seinen Stab!

"Genug der Sentimentalität!" Farviriol griff grob Raffaels linken Arm und zog ihn in die Höhe. "Wir haben heute noch etwas vor!"

Der Hexer sah den Elfen mit drohendem Blick an. Wieder regte sich in seinem Inneren die dunkle Stimme. Farviriol hatte gerade das letzte Bindeglied zwischen Raffael und seiner Familie, das ihm geblieben war, zerstört. Dem Elfen entging dies nicht.

"Sieh mal einer an, der Hass regt sich wieder in dir" meinte er amüsiert. Er atmete tief durch "Wahrlich, es wird ein Wettlauf gegen die Zeit werden, dich für mich zu gewinnen"

Raffael war perplex. Seine Gedanken an Rache waren so schnell gegangen, wie sie gekommen waren.

"Was meinst du damit?" fragte er nervös. Farviriol brach erneut in Gelächter aus.

"Du bist mir ja einer" Er griff nach Raffaels Gesicht und zwang ihn, ihm in die Augen zu sehen. "Du hältst dich selbst für so gut und rein und bemerkst nicht einmal, wie jemand anderer dabei ist Kontrolle über dich zu erlangen."

Raffael drehte seinen Kopf zur Seite. >> Dummes Geschwätz<< dachte er.

Farviriol schob Raffael zu dem schwarzen Ross. Das Dämonenpferd starrte den Hexer immer noch gierig an.

"Steig auf!" befahl der Elf.

Raffael berührte vorsichtig das Tier. Es schnaubte durch die Nüstern und teilte seinen Unwillen mit, aber ein einziger Blick Farviriols genügte und es gehorchte. Der Hexer hatte Mühe mit seinem verletzten Bein aufs Pferd zu kommen. Der Elf musste ihm dabei helfen.

"Und was wird aus Marie?" hakte Raffael nach.

"Meine Männer werden sie mitnehmen. Sie werden nachkommen."

Mit einem gewaltigen Satz stieß sich das Untier vom Boden ab und breitete seine majestätischen Schwingen aus. Raffael krallte sich in die Mähne des Tiers, um nicht herunterzufallen. Farviriol umgriff von hinten seine Taille, um ihn zu stabilisieren und drückte ihn fest an sich, bis es weh tat.

Raffael spürte Farviriols Erregung und roch wieder den süßen Duft nach Rosen. In der Luft konnte er sich dem Zugriff des Elfen nicht entziehen. Der Elf begann Raffaels Hals zu liebkosen und verweilte an seinem Ohr. Fast zärtlich biss er hinein. Der Hexer zuckte unter dem Liebesbiss zusammen.

"Was.. hast du ... vorher gemeint, als du sagtest, jemand.... würde die Kontrolle über mich erlangen?" versuchte Raffael Farviriol abzulenken. Zudem wollte er es tatsächlich wissen.

Der Elf verweilte mit seinem Mund im zerzausten Zopf des Hexers.

Das Pferd schlug kräftig und gleichmäßig mit den Flügeln. Es bedurfte keiner Führung des Tieres. Es kannte den Weg zurück nach Elburum.

"Deine Seele scheint sehr begehrt zu sein." Farviriol löste das Band aus Raffaels Haaren und schob sie zur Seite. Der Hexer saß versteinert auf dem Pferderücken, unfähig sich zu bewegen.

"Noch jemand anderer erhebt Anspruch auf sie. Ich habe es erkannt, als du mich voller Rachegelüste erschlagen wolltest. Er scheint dich auch davor zu bewahren von mir gezwungen zu werden, dich mir hinzugeben" sagte er erstickt.

"Und wer?" fragte Raffael kalt.

Farviriol kicherte leise und küsste den Nacken des Hexers.

"Blakharaz. Der Herr der Rache!"



Fanfic-Anzeigeoptionen

Kommentare zu diesem Kapitel (2)

Kommentar schreiben
Bitte keine Beleidigungen oder Flames! Falls Ihr Kritik habt, formuliert sie bitte konstruktiv.
Von: abgemeldet
2005-11-07T20:47:40+00:00 07.11.2005 21:47
Woa... was soll ich sagen ??? Ziemlich hart das Chappy !!! Du hast die Schmerzen so gut beschrieben, dass ich beim lesen Bilder von dem gefolterten Raffael vor den Augen hatte !! Also dieses Kapitel hat wirklich alles übertroffen... schade dass du nicht noch mehr geschrieben hast ;(
... jetzt mal ganz ehrlich.. du hast echt das Talent zum schreiben ! Ich hänge beim lesen schon fast am Flachbildschirm ^^
Ich hab da ne Frage... weiß Farviriol eigentlich, dass dieser Blakharaz Raffael "Besuche" abstattet?? Ich glaub nicht, oder etwa doch?? Auf Maries Entstellung bist du auch nicht eingegangen... dabei wüsste ich gerne, was er ihr angetan hat.
Aus Farviriols Verhalten werd ich sowieso nicht schlauer... ich muss aber zugeben, dass ich ihn auch nicht hasse, obwohl der so nen ding abzieht ! Einerseits ist er voll schrecklich -selbst zu Raffael- andererseits verhaltet er sich so.... ja fast schon zärtlich !! Oh mein Gott ich dreh gleich durch ^^
So dass waren eigentlich alle Punkte die mir aufgefallen sind. Andeutungen hab ich auch keine gefunden, obwohl ich es mir zwei mal durchgelesen habe ...

So dann will ich jetzt nicht länger nerven ..

cu Arzu
Von: abgemeldet
2005-10-31T15:29:10+00:00 31.10.2005 16:29
Hallöchen !
Hach du übertriffst dich jedes Mal aufs Neue!! Dieses
Chappy war echt der Hammer! Ziemlich viel Gewalt... ich meine dass mit dem
Kopf durchschneiden und so...echt heftig muss ich zugeben! Da ich mir alles beim
Lesen auch noch bildlich vorstellen kann verdoppelt sich die Wirkung immer ^^
Farviriol ist also eifersüchtig, weil Marie sich in Raffael verschossen hat? Ist ja interessant
... man könnte es ja schon fast als seine Schwäche bezeichnen.
Ich habe soeben eine Verbindung zwischen dem letzten Satz den ich dir zitiert hatte und diesem hier geknüpft:

""Deine Seele scheint sehr begehrt zu sein." Farviriol löste das Band aus
Raffaels Haaren und schob sie zur Seite. Der Hexer saß versteinert auf dem
Pferderücken, unfähig sich zu bewegen. "Noch jemand anderer erhebt Anspruch auf sie "

Ich denke mal dass mit ,sie' Raffael gemeint ist.... Kann es sein, dass dann Raffael Farviriol zum bekämpfen des "Blakharaz. Der Herr der Rache!" brauchen wird?!?!?!

Hallo? Warum wollen denn alle was von dem armen ...der tut mir jetzt voll leid ^^

Nya wie gesagt, dass Chappy war echt genial ! Ich finde deine Story einfach Klasse ;) Schreib büdde schnell weiter und wehe du vergisst mir bescheid zu geben, wenn du ein neues Wunder vollbringst ;)

So dass war's denn soweit von mir

Byeee und LG


Zurück