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Miracles

von

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Autor: CatherineMiller

Titel: Miracles

Fandom: Original

Teil: 3/?

Pairings: muahaha wäre doch doof, wenn ichs jetzt schon verrate, oder?

Warnungen: noch keine

Danksagung: Vielen Dank an mein Betas Corry, Cap und Kariri, die sich fleißig durch meine tausend Tippfehler mühen!

Disclaimer: Alles meins, mal ausnahmweise XDD Naja ok, die Stadt München gehört nicht mir ^^

Sonstiges: Hat lange gedauert, aber ich gelobe Besserung... und hoffe es halten zu können ^^
 

ANGEBOT: Bei mehr als zehn Kommentaren pro Kapitel gibt's beim nächsten Update zwei neue Kapitel auf einmal!
 

Kommentare:
 

@Kiki1966d: Freut mich, dass ich so glaubhaft rübergekommen bin... ich war mir erst unsicher, ob ich mit Marc und Chris nicht twas übertreibe, aber ich bin mir ziemlich sicher, dass es Gewalt und Hörig- bzw. Abhängigkeit sowohl in hetero- wie auch homosexuellen Beziehungen gibt... ^^ Viel Spaß beim Weiterlesen!

@Asagao: Dann ist mir die Überraschung ja geglückt XD Um ehrlich zu sein, es war auch erst geplant, dass Chris Mikes Vater ist, aber das war mir dann doch zu absehbar... Ich hoffe, Leon gefällt dir auch ^^

@Kannako: Lange hats gedauert, aber ich bin wieder da! Ich hoff mal, mein Stil hat sich nicht verändert ^^

@erdschlange: Ich bemüh mich, den stil auch weiterhin bezubehalten ^^ Nichts finde ich selbst schlimmer, als wenn irgendwas hastig oder nicht gut begründet abgehandelt wird ^^ Bis zum nächsten Mal!
 


 

Leon Varnhagen faltete die Blätter, die er in den Händen hielt, sauber zusammen, steckte sie in einen vorbereiteten Umschlag und klebt ihn zu, legte ihn dann auf den Stapel mit der ausgehenden Post. Er lehnte sich in seinem hohen, dunklen Ledersessel zurück und sah sich zufrieden um.
 

Mit einer eleganten Bewegung strich er sich eine schwarze Strähne, die ihm vorwitzig in die Stirn gerutscht war, nach hinten und nahm dann die Lesebrille ab, legte das Gestell auf die helle Schreibunterlage. Müde rieb er sich über die Augen.

Seit zwei Wochen war er jetzt in München und die Kanzlei lief wie geschmiert. Seine Klienten waren pünktlich, er bekam ohne Probleme Gerichtstermine, zwei Fälle waren bereits so gut wie gewonnen. Wenn das so weiterging würde er bald mindestens einen Kollegen einstellen müssen, die Kunden rannten ihm jetzt schon fast die Tür ein. Es war ihm gelegentlich direkt peinlich und langsam konnte er wirklich keine Lobeshymnen auf sein Engagement und seine Zielstrebigkeit mehr hören. Eine Zeitlang war das ja ganz nett, aber dann...
 

Eigentlich sprach rein gar nichts dagegen, sich einen weiteren Anwalt einzustellen oder gar zum Geschäftspartner machen. Sicher, er musste sorgfältig auswählen, er lebte schließlich von seinem guten Ruf, aber in einer Großstadt wie dieser gab es mehr als genug junge, durchsetzungsfähige und verlässliche Juristen, die nur auf eine Chance wie diese warteten. Doch noch wollte er sich nicht dazu durchringen, sich jemanden zu suchen, der ihm etwas Arbeit abnahm, er konnte sich noch nicht an den Gedanken gewöhnen, einen Teil der Verantwortung abzugeben, die er ja für seine Klienten unumstrittenermaßen hatte.

Er würde deshalb vorerst abwarten, wie sich die ganze Situation entwickelte, bevor er irgendwelche Schritte unternahm, die er womöglich später bereuen würde.
 

Im Moment jedenfalls war er etwas misstrauisch, weil alles so gut lief. Zu gut. Manchmal fragte er sich, ob sein übereifriger Vater nicht rein zufällig doch irgendwo ein paar Anrufe getätigt hatte, ohne das Wissen seines Sohnes, der solche Aktionen sicher nicht gutgeheißen hätte.

Es war doch irgendwo nicht normal, dass er gleich solchen Anklang fand, dass er nach so kurzer Zeit schon beinahe in Arbeit erstickte und gut noch das Dreifache hätte annehmen können, wenn er nur wollte. Aber er wollte seinem Vater nichts unterstellen, das würde dann doch zu weit führen, denn normalerweise respektierte der Ältere die Wünsche seines Sohnes und hielt sich im Großen und Ganzen zurück, auch wenn er es immer mit allem nur gut meinte.
 

Eigentlich war genau das mit der Grund für Leon gewesen, Berlin zu verlassen und das wusste sein alter Herr ziemlich genau. Nicht etwa, dass er mit Varnhagen Senior nicht gut auskam, ganz im Gegenteil, er und sein Vater hatten immer ein ausgesprochen gutes Verhältnis gehabt, aber der Schwarzhaarige wollte sich sein eigenes Leben aufbauen, ohne finanzielle Unterstützung von Raphael.
 

Leon lächelte leicht. Sein Dad war wirklich ein wunderbarer Mensch, aber von Zeit zu Zeit übertrieb er es ein klein wenig. Und für seinen Geschmack war das Maß vor etwa einem halben Jahr endgültig zu voll geworden, so dass er sich entschieden hatte, nach Süddeutschland zu ziehen und hier sein Glück zu versuchen.

Sicher, auch hier kannte man den Namen Varnhagen, nicht nur Raphaels, auch seinen, aber er war fest entschlossen, seinen Kundenstamm durch harte und gute Arbeit zu gewinnen, nicht durch die Beziehungen seines Vaters.
 

Er war schon in der Schule und später an der Universität durch extremen Ehrgeiz aufgefallen, zusammen mit dem Biss, alles durchzuziehen, was er sich vorgenommen hatte. Ja, er hatte immer bekommen, was er wollte, aber nicht, weil Daddy im Hintergrund mit der Brieftasche wedelte, sondern weil er sich selbst dafür abgerackert hatte. Er wollte keine Sonderbehandlung oder -rechte, nur Anerkennung dessen, was er leistete.

Und das war wirklich nicht wenig gewesen, sein Abitur hatte er mit einem exzellenten Schnitt bekommen, nur ein einziger Schüler war besser gewesen als er selbst und an der Uni hatte er sich dadurch ausgezeichnet, dass er das Jurastudium in wahrer Rekordzeit hinter sich gebracht hatte.
 

Die ersten zwei Jahre danach waren schnell verflogen, er hatte sich praktisch in die Arbeit gestürzt und sich inzwischen einen gewissen Ruf aufgebaut, auf den er nicht selten stolz war.

Und doch war ihm in Berlin einfach alles zu viel geworden. Nicht nur sein Vater hatte ihn unbewusst und sicher völlig unabsichtlich eingeengt, auch die gesellschaftlichen Zwänge, denen er sich immer mehr hatte unterwerfen müssen, waren ihm schlicht zu viel geworden.
 

Er stützte kurz den Kopf in die Hände und fixierte einen imaginären Punkt an der gegenüberliegenden Wand.

Wem machte er hier eigentlich etwas vor? Sicher, er hatte sich etwas Eigenes aufbauen wollen, schon immer, aber war das wirklich der Grund für seine... Flucht?

Er wusste es selbst nicht und wenn doch, dann WOLLTE er es nicht wissen. Er hatte weder Zeit noch Lust, sich eingehender mit seinem Gefühlsleben zu beschäftigen, das hatte die Presse schon zur Genüge für ihn übernommen.
 

Herrgott noch mal, ja, er hatte sich von seinem Freund getrennt, na und? Dass er schwul war, war schon immer bekannt, daraus hatte er niemals einen Hehl gemacht, auch wenn es nicht gerade in die Öffentlichkeit getragen worden war, so hatte er doch niemals gelogen, wenn es auf dieses Thema kam. Und es war erstaunlicherweise akzeptiert worden.

Nicht von allen natürlich, Himmel, seine eigene Mutter hielt ihn ja für abartig und krank, aber zumindest war es niemals zu offensichtlichen Anfeindungen gekommen.

Bis zu der Sache mit Michael.
 

Er hätte sich wohl niemals darauf einlassen, auf seine Freunde hören sollen. Doch er hatte sich geweigert, den Tatsachen ins Auge zu sehen, er hatte es nicht sehen wollen, was für ein kleines Miststück der Medizinstudent gewesen war, dazu war er einfach zu verliebt gewesen, bis über beide Ohren.

Nun, er hatte aus seinen Fehlern gelernt, so etwas würde ihm niemals wieder passieren. Wenn er nur daran dachte, wie nahe er daran gewesen war, den Kerl zu HEIRATEN, wurde ihm schon schlecht. Wäre da nicht dieses kleine, dumme Etwas namens Zufall gewesen, er hätte sicherlich niemals herausgefunden, dass Michael nur hinter seinem Geld her war, zumindest nicht, bis es zu spät gewesen wäre.
 

Aber so hatte er die linke Bazille auf den Mond schießen können, als noch Gelegenheit dazu war und es war zumindest kein materieller Schaden entstanden.

Sechs Monate... sechs verdammte Monate war es jetzt her, dass Michael aus ihrer gemeinsamen Wohnung ausgezogen war, nein, dass Leon ihn vor die Tür gesetzt hatte. Es war ihm egal, was aus dem Anderen wurde, sollte er doch zu seiner geliebten Freundin gehen, ihm war es gleich, solange er ihm nicht wieder unter die Augen kam, denn sonst hätte er sicher für nichts mehr garantieren können.

Es wollte ihm immer noch nicht recht in den Kopf, wie krank ein Mann sein musste, freiwillig mit einem Anderen die Wohnung, das Bett, den Tisch, das Leben, ALLES zu teilen, sich sogar in der Öffentlichkeit als schwul hinstellen zu lassen, nur um an Geld zu kommen.
 

Ein schmerzhafter Stich durchfuhr seine Brust, als er sich an ihr letztes... Gespräch erinnerte. Welch angeekelte Worte Michael ihm ins Gesicht geschleudert hatte, wie sehr er sich immer hatte überwinden müssen, mit ihm zu schlafen, Leon überhaupt in seiner Nähe zu ertragen.

Ein bitterer Geschmack breitete sich auf der Zunge des Dunkelhaarigen auf, so dass er sich rasch erhob und ein Glas Wasser eingoß, das er mit einem Zug hinunterspülte.

Es war eine Lüge, das wusste er ganz genau. Männer konnten ihre Erregung nicht verbergen, Frauen, na schön, das war eine andere Sache - nahm er zumindest an, da hatte er keine Erfahrung - aber bei seinen Geschlechtsgenossen funktionierte das einfach nicht, basta.

Und doch bohrte sich der Stachel in seinem Herzen noch ein ganzes Stück tiefer.

Ein kleiner Teil seines Bewusstseins fragte sich, ob es wirklich jemals aufhören würde, weh zu tun, so wie sich die Presse nach einiger Zeit wieder beruhigt hatte. ,Zeit heilte alle Wunden' hieß es doch, oder? Wenn ja, dann war eindeutig noch nicht genug vergangen.
 

Kurz warf er einen Blick in den Spiegel über der Kommode, die an einer Wand als Abstellfläche diente. Er hatte sich verändert. Seine Augen waren kälter geworden, ein bitterer Zug lag um seinen Mund und auf seiner Stirn deuteten sich die ersten Fältchen an, für die er eigentlich noch viel zu jung war.

Leon schnaubte leise. Wen interessierte das schon? Er wurde nächsten Monat dreißig, er sah eben nicht mehr aus wie mit 18, das war der Lauf der Dinge. Allerdings kam es ihm sehr zu gute, dass er weder rauchte, noch häufig Alkohol konsumierte, wie ihm die Aufmerksamkeit der ihn umschwärmenden Personen immer wieder bewies.
 

Bei Männern verstand er das ja noch irgendwie, er war nicht unvermögend, mit seinen schwarzen Haaren und dunkelblauen Augen eine recht attraktive Erscheinung. Was ihn nur extrem störte, waren die Weiber, die immer und immer wieder versuchten, ihn ,auf den rechten Pfad zurückzuführen', wie sie es oft so schön ausdrückten.

Verdammt, er war nun mal schwul. Homosexuell. Vom anderen Ufer, ein warmer Bruder, wie auch immer man es ausdrücken wollte, jedenfalls hatte er keinerlei sexuelles Interesse am anderen Geschlecht und Punkt. Er war es leid, das andauernd betonen zu müssen.
 

Er wandte sich vom Spiegel ab und blickte über seinen sauber aufgeräumten Schreibtisch. Alles war dort, wo es sein sollte, alle Arbeit war für heute erledigt.

Er hatte zwar keine große Lust, nach Hause in seine große, leere Wohnung zu fahren, wo ihn ohnehin nur sein kleiner Kater erwartete, aber noch länger hierzubleiben wäre einfach unsinnig, weil es für den Augenblick absolut nichts zu tun gab. Alles, was noch anstand, musste erst abgetippt werden und damit war Angelika im Vorzimmer schon fleißig beschäftigt.
 

Also packte er sich seine Aktentasche, schob noch ein paar Papiere hinein, falls er Zuhause noch etwas nachsehen wollte und verließ dann das große Büro.

Als er am Empfangstresen vorbei zur Garderobe marschierte, wünschte er der Sekretärin einen schönen Abend. Die ältere Frau sah kurz von ihrem Computer auf, schielte ihn über ihre tiefsitzende Brille einen Moment lang abschätzend an, erwiderte den Gruß dann mit einem würdevollen Neigen ihres ergrauten Kopfes, dessen Haare sie zu einem strengen Knoten zurückgebunden hatte.

Leon lächelte in sich hinein. Er mochte sie, ganz eindeutig. Sie war eine exzellente Sekretärin, arbeitete effektiv und zielgerichtet, machte so gut wie nie überflüssige Worte, schmachtete ihn nicht an, war kühl aber höflich zu den Klienten, telefonierte nicht auf seine Kosten und feilte sich keine Fingernägel während der Arbeitszeit. Er bezweifelte sogar, dass sie sie überhaupt jemals feilte. Oh ja, er mochte sie sogar sehr.
 

Er nahm sich seine Jacke und den Schal, zog sich an und streifte sich die ledernen Handschuhe über die Finger, bevor er das Vorzimmer in Richtung Fahrstuhl verließ und von dort aus in die Tiefgarage fuhr. Wehmütig betrachtete er den Sportwagen, der auf seinem Parkplatz stand.

Wie sehr hatte er seinen alten, kleinen Golf geliebt. Vielleicht sollte er sich wieder einen anschaffen? Aber von einem Mann seines Kapitals und Rufs wurde nun einmal verlangt, dass er ein Auto seinem Prestige entsprechend fuhr. Und deswegen hatte er sich halt schweren Herzens einen dunkelblauen Mercedes angeschafft und das Auto vom ersten Moment an gehasst. Er fand es hässlich, unglaublich unpraktisch, weil es fast keinen Kofferraum hatte und überhaupt zu protzig. Aber was machte man nicht alles, damit die Kanzlei lief... beschissene Klischees!
 

Er drückte auf die kleine Erhebung seines Schlüssels und die Zentralverriegelung öffnete mit einem leisen Klicken. Die Aktentasche landete auf dem Beifahrersitz und Leon stieg ein, stieß sich dabei kräftig den Kopf an. Scheißkarre! Warum musste das blöde Ding auch so niedrig sein? Jedes verfluchte Mal, wenn er etwas in Gedanken war, passierte ihm das, jedes Mal! Konnten die nicht normal hohe Dächer bauen?

Er hatte sich schon überlegt, wie er das ganze, blaue Ding am Besten und Unauffälligsten loswerden könnte, aber das Resultat wäre ja nur, dass er sich ein neues, wahrscheinlich noch hässlicheres Auto anschaffen musste und dafür war er ganz einfach zu sparsam. Er hielt es für Verschwendung, Geld einfach so für irgendwelches, dummes Zeug auszugeben, wenn man es auch sinnvoller anlegen konnte. Wenn er daran dachte, wie oft er hätte in die Oper oder ins Theater gehen können mit den Scheinen, die er für die Luxuskarosse hingeblättert hatte, wurde ihm schon schlecht.
 

Froh, von seinen Gedanken an die Vergangenheit, vor allem an Michael, abgelenkt zu sein, lenkte er den Wagen aus der Tiefgarage und steuerte ihn in Richtung Heimat. Vielleicht sollte er unterwegs noch einkaufen gehen, sein Kühlschrank dürfte ziemlich leer sein und Alex brauchte Futter. Der kleine Kerl war so unglaublich geduldig mit seinem ungeschickten Herrchen, da musste er ihn nicht noch hungern lassen, wenn er schon dauernd über das rote Katerchen stolperte oder irgendwas auf ihn fallen ließ.
 

Er fuhr also zum nächsten Supermarkt, parkte das Auto und stieg aus, schnappte sich dann einen Einkaufswagen und steuerte auf den Eingang zu.

Eigentlich ging er nicht gerne einkaufen, vor allem nicht, wenn er sich, wie heute, keine Liste gemacht hatte. Die vielen Menschen auf einem Haufen sagten ihm nicht unbedingt zu, aber was sein musste, musste eben sein.

Als erstes war die Obst- und Gemüsetheke dran. Stirnrunzelnd stand er davor und überlegte, was er denn nehmen sollte, als plötzlich ein kleines Geschoss rechts von ihm auftauchte und schnurgerade in ihn hineinlief.
 

Leon taumelte einen halben Schritt zurück und sah überrascht nach unten. Da saß ein vielleicht fünfjähriger Junge auf dem Boden, den der Zusammenprall offensichtlich von den Füßen gerissen hatte. Große, blaue Augen sahen unter weichen, blonden Strähnen zu ihm auf, füllten sich langsam aber sicher mit Tränen und die volle, kindliche Unterlippe begann deutlich zu zittern. Hilflos sah Leon auf das Kind hinunter, nicht so recht wissend, was er tun sollte.

Vorsichtig ging er in die Hocke und streckte eine Hand nach dem Kleinen aus. "Na komm, ist ja nichts passiert, ich helf' dir, ja?"

Doch anstatt die große Hand zu ergreifen, sah der Junge Leon nur beinahe entsetzt an, die Unterlippe schob sich noch etwas weiter vor und die Tränen begannen, über die runden Wangen zu kullern, während die ersten, leisen Schluchzer aus dem kleinen Mund kamen, schnell lauter wurden.
 

Na toll, jetzt würde sicher gleich eine besorgte Mutter angerannt kommen und ihn anschreien, was er da mit ihrem Kind machte. Leicht verzweifelt sah er sich um, ob der Kleine zu irgendjemandem gehörte, er konnte den Jungen ja auch nicht einfach hier so sitzen lassen. Von Sekunde zu Sekunde fühlte er sich hilfloser. Es war ja nicht so, dass er Kinder nicht mochte oder so, aber ganz offensichtlich konnte er nicht mit ihnen umgehen und dieses hier schien ganz besonders etwas gegen ihn zu haben.
 

"Danny? Danny, was hast du denn wieder gemacht?", ertönte da plötzlich eine männliche Stimme hinter ihm. Leon fuhr herum und erhob sich halb und erblickte einen schlanken, blonden Mann, nicht besonders groß, der auf sie zusteuerte. Aus dem Augenwinkel sah er, wie sich das Kind neben ihm leicht auf die Unterlippe biss und die runden Augen noch etwas größer wurden.

"Daddy...", wimmerte der Kleine herzzerreißend, während der Blonde seinen halb gefüllten Einkaufswagen im Stich ließ und an Leon vorbei auf den Kleinen zuging.

"Danny, was ist denn passiert? Ich hab dir doch so oft gesagt, du sollst nicht durch die Gänge rennen!", tadelte er sanft aber bestimmt und griff unter die ausgestreckten Ärmchen, um den Kleinen sanft wieder auf die Füße zu stellen und ihm etwas den Hintern abzuklopfen.
 

"Danny, hast du wieder Unsinn gemacht? Daddy hat doch gesagt, du sollst nicht rennen! Warum hörst du auch nie auf Daddy!" Leon traute seinen Augen kaum und konnte nur mit offenem Mund die Szenerie betrachten, als sich zu den beiden - offensichtlich Vater und Sohn - eine weitere, kleine Gestalt hinzugesellte, die Händchen in die Hüften stemmend und den immer noch schniefenden Jungen sehr missbilligend ansehend. Das Erstaunlichste war allerdings, dass die beiden Kinder einander ähnelte wie ein Ei dem anderen. Zwillinge.
 

Er war so in die Betrachtung der Jungen vertieft, dass er erst wieder herausgerissen wurde, als sich auf einmal eine schmale Hand unter seine Nase schob. Verwirrt blickte er auf und sah den Vater der beiden, der ihm offensichtlich aufhelfen wollte und ihn nachsichtig lächelnd ansah.

"Entschuldigen Sie bitte die Umstände, Danny ist manchmal etwas ungeschickt..." Leon konnte im ersten Moment nur fassungslos in dieses perfekte Gesicht blicken. Feine Züge, ebenmäßig wie aus Porzellan gearbeitet, dunkelgrüne Augen, die ihn lächelnd ansahen, volle Lippen, die geradezu einluden, sie zu küssen. Wo hatte er dieses Gesicht schon mal gesehen?

Der junge Anwalt schluckte heftig und ergriff nun endlich die angebotene Hand. Das fing ja an, schon peinlich zu werden, er sollte schleunigst machen, dass er sich wieder in den Griff bekam.
 

"Ist schon gut, ist ja nichts passiert..." Seine Stimme klang in seinen eigenen Ohren etwas heiser und er räusperte sich schnell. "Ich kann nur nicht besonders gut mit weinenden Kindern umgehen, fürchte ich...", entschuldigte er sich verlegen, konnte seinen Blick aber nicht aus dem Gesicht seines Gegenübers wenden. Er war fasziniert und zugleich über seine heftige Reaktion erschrocken. Sonst warf ihn doch auch nichts so leicht aus der Bahn!
 

Schnell wandte er sich ab und sah zu den beiden Jungen hinüber, von denen der eine immer noch leise schniefte und sich über die Augen wischte, der andere immer noch auf ihn einschimpfte. Und die zwei waren wirklich gleich alt? Offensichtlich, bei dem Aussehen.
 

Der blonde Mann lachte leise und Leon drehte sich fragend wieder zu ihm.

"Sie denken vermutlich dasselbe wie jeder, der sie zum ersten Mal erlebt... Jesse ist ziemlich forsch und schon sehr weit für sein Alter, Danny dagegen ist sehr zurückgezogen und sensibel und im Moment fremdelt er mal wieder, also denken Sie sich bitte nichts dabei, dass er eben zu weinen angefangen hat..."
 

Chris musste noch immer über die offensichtliche Verwirrung des Dunkelhaarigen lächeln, der ihn sehr überfahren anblickte. Irgendwie niedlich, so ein großer Kerl und dann so hilflos, wenn es um etwas Simples wie ein weinendes Kind ging. Obwohl niedlich eigentlich für solch einen Mann nicht gerade das richtige Adjektiv war. Groß, breite Schultern, schwarze Haare und dunkelblaue Augen und wirkte trotzdem mit diesem herrlich verwirrten Gesichtsausdruck fast ein bisschen kindlich. Es war schwer, sein Alter zu schätzen, vielleicht Anfang dreißig, älter aber wohl nicht und Chris hätte schwören mögen, dass er dieses Gesicht schon mal irgendwo gesehen hatte
 

Leon winkte leicht ab. "Kein Problem, ich war nur etwas verwirrt und hatte die Befürchtung, dass im nächsten Moment irgendeine wütende Mutter angelaufen kommt und mich mit einem Stangenbaguette verprügelt, weil ich ihren Sohn zum Weinen gebracht habe..."
 

Nun lachte der Blonde leise und die winzigen Fältchen um seine Augen vertieften sich etwas. Leon fragte sich unwillkürlich, wie alt sein Gegenüber wohl sein mochte. Sicher nicht älter als er selbst.
 

"Keine Sorge, verprügeln würde ich Sie deswegen nicht, ich kenne meine Rabauken ja..." Chris klang ehrlich amüsiert und für einen Moment vergaß er sogar, dass er eigentlich schnell wieder nach Hause wollte, weil Mike nicht so lange allein sein sollte. Der dunkelhaarige Fremde hatte etwas an sich, dass ihm so seltsam bekannt vorkam, auch wenn er immer noch nicht so genau wusste, woher.
 

Etwas zupfte leicht an seiner Hose und als er sich nach unten wandte, konnte er in zwei Paar große, blaue Augen sehen, die ihn bettelnd anblickten. "Daaaddyyyy, kriegen wir nachher ein Eis?" Danny hatte sich offenbar von seinem Schreck erholt und Jesse zeigte nun, dass er genauso kindlich wie sein Bruder sein konnte, wenn er nur wollte. Chris runzelte leicht die Stirn, wollte etwas sagen, doch da mischte sich Leon wieder ein.
 

"Wie wäre es, wenn ich Ihnen auf den Schreck draußen im Stehcafé einen Kaffee ausgebe? Da kriegen die zwei auch sicher ein Eis..." Zwei paar Kinderaugen richteten sich ehrfürchtig auf ihn und in diesem Moment erkannte er das beste Mittel, um mit kleinen Kindern umzugehen: Bestechung.

Gleichzeitig ohrfeigte er sich innerlich für diese Schnapsidee. Er war gerade dabei, mit einem offensichtlich nicht schwulen Mann zu flirten, ihn auf einen Kaffee einzuladen. Wie bescheuert war er eigentlich? Hatte er eigentlich nichts gelernt? Oder war er schon nach sechs Monaten dermaßen einsam? Er sollte wirklich mal wieder ausgehen und etwas Spaß haben. Sicher, der Fremde sah unverschämt gut aus, wenn er auch eigentlich nicht seinem üblichen Beuteschema entsprach, aber er faszinierte Leon schon nach diesen wenigen Minuten wie selten ein Mann zuvor.

Der Anwalt war geradezu wild darauf, mehr über den Anderen zu erfahren und vor allem, zu ergründen, warum der ihm so bekannt vorkam. Er überlegte schon die ganze Zeit angestrengt, aber der Gedanke entglitt ihm immer wieder, sobald er danach greifen wollte. Es lag ihm praktisch auf der Zunge, doch er kam und kam nicht darauf.
 

Chris schien einen Moment zu überlegen. Einerseits sollte er schnellstmöglich wieder nach Hause und außerdem war er verheiratet, da ging man nicht mit anderen Männern einfach so Kaffee trinken, das gehörte sich nicht. Aber wer sagte denn, dass der Dunkelhaarige überhaupt schwul war und es auf ihn abgesehen hatte? Sicher, er hatte ihn so seltsam gemusterte, aber das passierte ihm eigentlich ziemlich häufig, sowohl bei Männern, als auch bei Frauen, also nichts, worüber er sich großartig Gedanken machen müsste. Und außerdem, es war nur ein Kaffee, was sollte dabei schon schief gehen? Er wollte ja schließlich nur reden und der Dunkelhaarige war ihm sofort sympathisch gewesen und er war neugierig herauszufinden, ob sie sich nicht wirklich schon mal irgendwo begegnet waren.

Schnell schob er den Gedanken beiseite, wie sehr Marc ausrasten würde, wenn er davon Wind bekam und sagte mit einem kleinen Lächeln zu. Er fühlte sich irgendwie schlecht dabei, doch zugleich regte sich auch Widerspruch in ihm. Marc war nicht hier und er wollte ja nicht mit dem Fremden anbändeln oder so was.
 

"Warum nicht? Mein Name ist übrigens Chris Whiteman. Jesse und Daniel kennen Sie ja bereits..."

Leon blinzelte leicht überrascht, denn er hatte eigentlich eine deutliche Abfuhr erwartet. Zwei Männer gingen nun mal nicht einfach Kaffee trinken. Umso erstaunter war er, dass Chris einfach zusagte. Moment mal... Chris... da klingelte doch irgendwas bei ihm. Er nahm das Gesicht des Anderen noch mal deutlicher unter die Lupe. Hm, seltsam, sein Verdacht, dass sie sich irgendwoher kannten, erhärtete sich noch zusehends, aber wenn er jetzt danach fragte, klang das wohl mehr wie eine schlechte Anmache. Also eben warten.

Aber Moment mal, der Nachname! Seine Augen verschmälerten sich etwas. Whiteman kannte er, war nicht persönlich, aber er war über seine Gegner informiert. Doch wenn er sich recht erinnerte, hieß der Anwalt nicht Chris, sondern Marc.

"DER Whiteman?", erkundigte er sich deshalb etwas kühler und musterte die schmale Gestalt. Er las keine Klatschpresse, sonst hätte er sicher schon ein Bild von Whiteman gesehen, der hier bekannt war, wie ein bunter Hund, aber wenn das DER Whiteman war, dann hatte er sich einen Staranwalt immer anders vorgestellt.

Das Lächeln schwand etwas aus dem Gesicht seines Gegenübers und ein leises Seufzen kam über die weichen Lippen.

"Nein, das ist Marc Whiteman...", stellte Chris richtig und hob etwas die Schultern. "Sie sind wohl nicht besonders gut auf meinen Mann zu sprechen?", versuchte er die abgekühlte Stimmung mit einem kleinen Scherz wieder aufzulockern. Zwar konnte es gut sein, dass er sich damit jetzt voll in die Nesseln setzte, aber das musste er eben in Kauf nehmen.
 

Leon runzelte die Stirn. Mann? So wie Ehemann? Na gut, wenigstens wusste er nun, dass sein Gegenüber ebenfalls schwul war, nur brachte ihm das rein gar nichts, weil er erstens von Vergebenen die Finger ließ und der hübsche Kerl ausgerechnet noch mit dem Mann verheiratet sein musste, dem man nachsagte, dass er in seinem Job absolut skrupellos vorging und nur aufs Geld schaute. Allerdings war es einfach nicht Leons Art, Menschen nach ihrer Verwandtschaft zu beurteilen und wer sagte denn, dass dieser Whiteman privat nicht ein ganz netter Kerl war?

"Leon Varnhagen, sehr erfreut...", stellte er sich rasch vor, bevor die entstandene Pause noch peinlicher wurde und konnte beobachten, wie sich Chris deutlich entspannte und wieder lächelte. Kurve noch mal bekommen.
 

Die beiden Kinder, die bis jetzt geduldig und sehr wohlerzogen neben den Erwachsenen gewartet hatte, wurde die Zeit jetzt aber doch zu lang. "Daddy...", fing Jesse leise an zu quengeln und Daniel sah aus, als wolle er jeden Moment mitmachen.

Chris entschuldigte sich rasch und die beiden Männer verabredeten sich zu einem Treffen in dem kleinen Stehcafé am Ausgang des Supermarktes nach dem Einkauf. Dann schlugen sie unterschiedliche Richtungen ein, Chris zur Frischwursttheke, Leon zum Katzenfutter.
 

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Es war schon beinahe Abend, als Mike sich endlich überwand und aus der weichen, warmen Decke schälte. Das Bett war so furchtbar gemütlich, er wollte nicht aufstehen und sich wieder der kalten Wirklichkeit stellen. Na gut, so kalt war sie gar nicht mehr, aber trotzdem war der Gedanke, sich nie wieder von der bequemen Matratze zu erheben mehr als verlockend.
 

Der Junge seufzte leise und strich sich durch die wild abstehenden, schwarzen Haare. Wach war er schon seit ein paar Stunden. Er hatte einfach nur dagelegen, an die weiße Decke gestarrt und verträumt mit den Fingerspitzen über das kuschelige Material der Zudecke gestreichelt. Im ersten Moment hatte er geglaubt, noch zu träumen und im nächsten Moment wieder auf der kalten Straße in irgendeiner Ecke aufzuwachen.
 

Aber die Minuten waren verstrichen und er blieb dort, wo er gerade war. Durfte er darauf vertrauen? Durfte er glauben, was Chris ihm gestern Abend erzählt hatte? Sie hatten noch lange geredet, der Blonde hatte geduldig all seine Fragen beantwortet, bis Mike beim besten Willen seine Augen nicht mehr offen halten konnte.

Sein Onkel hatte ihn in ein wunderhübsch eingerichtetes Gästezimmer gebracht, ihn ins Bett gesteckt und ihm eine gute Nacht gewünscht, dann noch die Vorhänge zugezogen, damit ihn das gerade einsetzende Dämmerlicht nicht störte und dann das Zimmer verlassen.
 

Mike war fast sofort eingeschlafen, das Gefühl, zum ersten Mal in einem eigenen, weichen, sauberen Bett zu liegen war einfach zu fantastisch gewesen und er hatte sich hineinfallen lassen, mit dem festen Vorsatz, erst morgen über alles nachzudenken.

Und jetzt war morgen, er war wach, aber denken wollte er eigentlich nicht wirklich. Viel lieber wollte er diesen herrlichen Traum weiterträumen, dass sein reicher Onkel ihn zu sich geholt hatte, sich nun um ihn kümmern würde, dass er nie wieder auf den Strich gehen musste, sich nie wieder von irgendwelchen alten, perversen Säcken antatschen und befingern lassen musste, nie wieder auf der Straße nächtigen oder Hunger haben.
 

Apropos Hunger, sein Magen meldete schon seit einer Weile, dass er seit beinahe zwölf Stunden nichts mehr gegessen hatte und es langsam wieder an der Zeit wäre, ihn zu füllen. Grummelnd stellte Mike sich also auf die Füße, schlüpfte erst mal in die Sachen, die ihm Chris am Vorabend gegeben hatte, da er nicht wusste, was er sonst anziehen sollte. Und er konnte ja nicht gut in Shorts durch das fremde Haus marschieren.
 

Er verließ das Zimmer und sah sich suchend auf dem leeren Gang um. Nichts zu sehen, nur von unten irgendwo tönte leise Musik nach oben, irgendwelche Schlager oder so was. Der Junge war neugierig, was sich in den angrenzenden Zimmern befand und da Chris gesagt hatte, er solle sich nur in Ruhe umsehen, wenn er wach war und er außerdem mal dringend ins Bad musste, entschloß er sich, die Etage zu erkunden.
 

Er wanderte ans letzte Zimmer des Ganges links von der großen Treppe und öffnete die erste Tür. Überrascht fand er sich in einem riesigen Kinderzimmer mit zwei Betten wieder. Ach ja, Chris hatte was von Zwillingen erzählt. Seine... Cousins? Da fragte er lieber noch mal nach. Er erinnerte sich daran, dass die beiden fünf Jahre alt waren und Jesse und Daniel hießen. Na schön, alles weitere würde sich finden.

Die nächste Tür führte in ein geräumiges Schlafzimmer, helle Möbel und Farben, deren Stil er auch schon im unteren Stockwerk gesehen hatte. Es war offensichtlich bewohnt, wie der weinrote Morgenmantel am Bettende bewies, also nahm er einfach mal an, dass es sich um Chris' persönliche Räumlichkeiten handelte. Was ihn eher wunderte, war dass auf dem breiten Bett bloß eine Garnitur Bettwäsche zu finden war. Sein Onkel war doch verheiratet, schliefen die beiden denn nicht zusammen?
 

Mike zuckte die Schultern. Das war wohl etwas, was ihn zum jetzigen Zeitpunkt noch absolut nichts anging. Er konnte doch nicht einfach irgendwo reinplatzen und sofort sehr private Fragen stellen. Für ihn war es seltsam genug, dass zwei Männer freiwillig zusammenlebten und sogar das Bett teilten, denn Sex mit einem Kerl war für ihn nur mit Schmerzen, Erniedrigung und Blut verbunden. War das nicht immer so? Aber besser, er hielt seine Neugierde in diesem Punkt deutlich zurück, sonst würde sein Talent, in Fettnäpfchen zu treten sich wieder bemerkbar machen.
 

Er schloss die Tür wieder und fand sich bei der nächsten in dem ihm schon bekannten Bad wieder, dessen Toilette er eilig und erleichtert benutzte. Sorgsam wusch er sich die Hände und machte sich dann daran, seine Erkundungstour fortzuführen, doch in diesem Gang fand sich außer seinem nur noch ein weiteres Gästezimmer und eine Art großer Wandschrank mit Putzutensilien.
 

Blieb also noch der andere Gang zu erkunden. Das Erste, was ihm auffiel, war, dass offensichtlich hier weniger gern gewohnt wurde, als im gegenüberliegenden Teil des Hauses. Die Einrichtung wirkte steriler, weniger liebevoll ausgesucht, irgendwie klinisch, teuer zwar aber ohne die Gemütlichkeit, die er bisher empfunden hatte. Ein leichtes Frösteln durchfuhr ihn, doch er setzte seinen Weg unbeirrt fort, seine Neugierde war geweckt.

Als Erstes traf er auf ein Bad, in kalten Weiß gehalten, sauber aber unwohnlich, wenn auch offenbar benutzt, wie die Handtücher an der Wand und das Rasierzeug unter dem Spiegel bewiesen. Achselzuckend ging er weiter und fand ein Arbeitszimmer, ganz mit dunklen Möbeln voll gestellt, die so erdrückend und düster wirkten, dass Mike unwillkürlich ein beklemmendes Gefühl in der Kehle aufstieg. Was für ein Mensch konnte sich hier drin denn wohl fühlen?

Kopfschüttelnd machte er die Tür schnell wieder zu und öffnete die letzte Tür, die in ein Schlafzimmer führte, dessen Besitzer wohl auch der Inhaber des ,gemütlichen' Arbeitszimmers war, denn auch hier herrschten die wuchtigen, dunklen Möbel vor. Das riesige, schwarze Bett wirkte ungastlich und bedrohlich, dominierte den Großteil des Raumes. Die dunkelgrauen Vorhänge an den Fenstern hüllten das Zimmer in ein schummriges Halbdunkel, das alles andere als einladend wirkte.

Schnell verließ der Junge das Schlafzimmer wieder, hier wollte er sich beim besten Willen nicht länger aufhalten. Er beschloss, dass er eigentlich gar nicht wissen wollte, wer mit gutem Gefühl in solchen Räumen wohnte und arbeitete, denn persönlicher Geschmack hin oder her, aber das war ja schon sehr seltsam.
 

Er wählte den Weg die Treppe hinunter und fand sich in der Eingangshalle wieder. Es wurde ihm wieder so richtig bewusst, WIE groß dieses Haus sein musste, bei den vielen Zimmern, die dazu noch sehr groß waren. Allein der Raum, in dem er geschlafen hatte, war so groß wie das ganze Wohn- und Esszimmer seiner Pflegefamilie. Ihm schwindelte bei der Vorstellung, was es kostete, solch einen Palast zu unterhalten. Lieber nicht darüber nachdenken, sonst würden ihm nur ziemlich viele Gründe einfallen, warum er gar nicht hierher gehörte.
 

Schnuppernd bewegte er sich weiter vorwärts und erreichte bald die Küche, in der Maria schon wieder rumwerkelte und irgendetwas fabelhaft Duftendes kochte. Schon wieder warmes Essen? Ihm lief das Wasser im Mund zusammen bei dem Gedanken daran, wie gut die Spaghetti gestern Abend geschmeckt hatten. Ob die Frau immer so göttlich arbeitete? Wenn ja, dann liebte er sie schon jetzt.
 

Er räusperte sich leise, um auf sich aufmerksam zu machen und Maria fuhr erschrocken herum, griff sich an die Brust. "Du lieber Himmel, ihr kommt wirklich aus derselben Familie, Christian schleicht sich auch immer so an!", tadelte sie gutmütig lächelnd, als sie Mike im Türrahmen entdeckte, der sehr erschrocken dreinschaute, denn das hatte er nun wirklich nicht gewollt. Er stammelte irgendwelche Entschuldigungen und wollte sich eben verkrümeln, als die ältere Frau nur abwinkte.
 

"Schon gut, Junge, komm rein, ich bin wohl nur eine schreckhafte, alte Schachtel, mach dir mal keine Sorgen... komm schon, komm, setz dich, du musst ja am Verhungern sein! Hast du gut geschlafen? Lange genug ja auf jeden Fall, es ist schon fast sieben!"

Mike sah erstaunt auf die Küchenuhr. Hatte er sich wirklich so lange im oberen Stock herumgetrieben? Anscheinend. Aber jetzt meldete sich sein Magen, der jetzt endlich was zu tun bekommen wollte, noch bevor er überhaupt etwas sagen konnte.

Beschämt errötete er, die Haushälterin musste ihn ja für wahnsinnig verfressen halten, bisher war er immer mit knurrendem Magen hier aufgetaucht.
 

Doch die Frau lächelte nur noch breiter, wobei sich ihr ganzes Gesicht in tiefes, sympathisch wirkendes Runzeln legte. Mike konnte nicht anders, er musste es einfach erwidern, wenn auch sehr schüchtern und zurückhaltend. Er war es nicht gewöhnt, so viel zu lächeln, so entspannt zu sein. Bei seiner Pflegefamilie war er immer auf dem Sprung gewesen, falls befunden wurde, dass er mal wieder etwas falsch gemacht hatte und auf der Straße hatte er noch viel weniger zu lachen gehabt.

Es war seltsam, hier an dem Tisch zu sitzen, zu lächeln, keine Angst zu haben, dass im nächsten Moment etwas Schlimmes passierte, dass er geschlagen wurde für Dinge, die er nicht getan hatte. Er spürte, dass er Maria und auch Chris vertrauen konnte, aber er wagte noch nicht, sich wirklich darauf zu verlassen, er wollte nicht wieder enttäuscht werden, nie wieder.
 

Maria ließ ihm ein wenig Zeit, sich wieder zu fangen und rührte in einem Topf herum, obwohl es eigentlich nicht mehr nötig war. Der Junge wirkte so hilflos, so verwirrt, dass sie ihn am liebsten in die Arme genommen und an ihre Brust gedrückt hätte, doch sie konnte sich denken, dass der Kleine auf engen Körperkontakt nicht unbedingt positiv reagierte. Nach allem, was sie wusste und was Christian ihr erzählt hatte, konnte sie es ihm auch wirklich nicht verdenken. Also wartete sie geduldig, bis die dürre Gestalt sich wieder entspannte.

Es würde ein hartes Stück Arbeit werden, den mickrigen Kerl wieder aufzupäppeln, damit er etwas Fleisch auf die Knochen bekam. Er war ein hübscher Junge, aber viel zu dünn. Gut, bei seinem Leben auch irgendwo kein Wunder. Wie konnte man ein Kind nur derart vernachlässigen?

Ihre Finger krampften sich um den großen Kochlöffel, doch sie fragte nicht. Erstens war es an dieser Stelle unangebracht und zweitens war das nicht ihre Aufgabe, sondern die ihres Arbeitgebers.

"Möchtest du was essen, oder lieber warten bis Christian und die Jungs wieder da sind?", fragte sie nach einer Weile freundlich nach. Sie hatte das Magenknurren sehr wohl gehört und war schon mal den Kühlschrank durchgegangen, was sie Mike wohl alles vorsetzen könnte.
 

Der Junge zögerte. War es zu vermessen, schon vorher etwas zu essen? Aber sonst hätte Maria wohl nicht nachgefragt, also war es wohl ok, oder? Er hoffte es einfach mal.

"Ja... ich hätte gerne... ein bisschen was..." Er klang stockend, war es nicht gewöhnt, nach etwas gefragt zu werden, dass ihm guttun sollte. Es war auch ungewohnt, überhaupt soviel zu reden. Seine Pflegefamilie hatte ihn zumeist ignoriert oder angeschrien, seine Freier auch keinen besonders großen Wert auf Konversation gelegt. Aber er wollte auf keinen Fall unhöflich erscheinen.
 

"Kein Problem, Junge, dazu bin ich ja da! Du musst nur fragen, oder dir selber was nehmen, sonst verhungerst du hier am Ende noch vorm vollen Kühlschrank und das wollen wir doch nicht..." Die rundliche Frau wuselte durch die Küche zu dem großen Kühlschrank, der in einer Ecke aufgebaut war. "Na dann wollen wir mal..."

Damit begann sie, das Essen vor Mike praktisch zu stapeln. Dem Jungen gingen fast die Augen über vor so viel Reichhaltigkeit. Hier gab es fast alles, was er sonst nur immer im Schaufenster oder in den Auslagen hatte betrachten können. Vorsichtig fing er an, zuzugreifen, konnte noch immer nicht so ganz verstehen, dass das alles nur für ihn sein sollte.

"Danke schön...", murmelte er rasch, hätte es über dem guten Essen beinahe vergessen. Eine warme Hand, die ihm über die Haare streichelte, belohnte ihn dafür. Eine angenehme, weiche Berührung, die ihn einen Moment die Augen schließen ließ. Ob man sich so fühlte, wenn man glücklich war? Wenn ja, dann war es das Schönste, was man fühlen konnte.

Er war glücklich.



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Kommentare zu diesem Kapitel (2)

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Von:  chrishe
2009-01-08T19:20:59+00:00 08.01.2009 20:20
Ja hallo? Wo kann man diese tolle Geschichte weiter lesen?
Und sage nicht dir sind die Ideen ausgangen. Ist doch wohl klar, dass Leon und Chris zusammen kommen müssen und vorher tut Marc aber Mike und/oder Chris noch was Schlimmes an. In dieser Situation ist dann Leon der Retter in der Not oder auch nur derjenige, der die Familie auffängt. Auch mit den Zwillingen lässt sich noch manch lustige Situation deichseln, die Leon und Chris näher bringen könnte.
Ach komm schon, deine fanfic hat nur einen Makel, nämlich zu wenig Reviews. Bring sie mit einem neuem Kapitel einfach wieder ins Spiel. Heutzutage werden mehr Kommentare geschrieben. (Hoffe ich jedenfalls^_O)Bitte!!!!!!!!! LG
Von:  Silverdarshan
2007-02-04T18:47:17+00:00 04.02.2007 19:47
eine wirklich gelungene geschichte!
ich hoffe du machst weiter?

grüßelchen
Hieads_Angel


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