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O(h) und A(h) Romanze

von

Vorwort zu diesem Kapitel:
Hallo und herzlich willkommen zu meiner neuen Fanfiction "O(h) und A(h) Romanze" und ich wünsche euch allen viel Spaß beim Lesen. ;-) Und natürlich ein ganz liebes Dankeschön an --Lucy-- für das betalesen dieser FF - das war eine sehr nette Zusammenarbeit. :-)

Liebe Grüße,
Saph_ira Komplett anzeigen
Vorwort zu diesem Kapitel:
In der zweiten Folge ging es hauptsächlich um die Übergabe von Marie Antoinette und deshalb kamen André und Oscar nicht so oft zum Vorschein. Aber ich habe mir trotzdem etwas einfallen lassen und hoffe, es gefällt euch. ^^ Komplett anzeigen
Vorwort zu diesem Kapitel:
Hallo ihr lieben. In diesem Kapitel ist es mir leider nicht so gut gelungen, Oscar und André zusammenzubringen. Aber das liegt vielleicht daran, weil in dieser Folge Hauptsächlich um Rosalie und ihrer Schwester Jeanne ging. Ich hoffe, es gefällt euch trotzdem. :-)
Liebe Grüße,
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Vorwort zu diesem Kapitel:
Hallo ihr Lieben. ;-)
Folge 8 ist einer meiner Lieblingsfolgen im Anime. Schon alleine, weil Oscar sich für André einsetzt und ihn vor der Hinrichtung bewahrt. Für mich persönlich ist es der beste Beweis, dass Oscar schon damals Gefühle für André hatte oder ihn gar liebte, nur aber war sie sich dessen noch nicht bewusst. Ich finde, sie hätten bereits ab dieser Folge ein Paar sein können und deswegen hatte es mir besonders in diesem Kapitel viel Vergnügen bereitet, sie zusammenzubringen. Ich hoffe, es gefällt euch und wünsche euch eine angenehme Lektüre. :-)
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Vorwort zu diesem Kapitel:
Ab diesem Kapitel wird es schwieriger und bei manchen Szenen gar unmöglich, Oscar mit André zusammenzubringen. Denn ab dieser Folge begann Oscar für Graf von Fersen Gefühle zu empfinden und auch gleichzeitig zu bekämpfen. Aber ich finde, es gab trotzdem kleine Momente, in denen Oscar mehr an André dachte und das versuchte ich zu nutzen. Ich hoffe, es ist mir irgendwie gelungen und wünsche euch allen eine angenehme Lektüre. :-)

Liebe Grüße,
Saph_ira Komplett anzeigen
Vorwort zu diesem Kapitel:
Jetzt kommt das schwierige Kapitel, an dem ich sehr zu knabbern hatte ... Denn in dieser Folge war Oscar praktisch unzugänglich, weil sie voll und ganz mit ihren Gefühlen an Graf von Fersen hing, zog sogar extra ein Kleid für ihn an und hatte mit ihm getanzt. Aus diesem Grund gestaltete es sich unmöglich, sie mit André zusammen zu bringen ... Aber ich habe einen Versuch gewagt und es irgendwie trotzdem hingekriegt ... Ich hoffe, es gefällt euch und wünsche euch eine angenehme Lektüre. :-)

Liebe Grüße,
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Vorwort zu diesem Kapitel:
Das ist wieder so ein Kapitel, das mir Kopfzerbrechen bereitet hatte. Denn in der Folge 28 des Anime, brach Oscar nicht nur die Freundschaft zu Graf von Fersen, sondern auch André entließ sie aus ihren Diensten, nachdem sie den Dienst im königlichen Garderegiment quittiert hatte. André wäre über Oscar fast hergefallen und weil das so eine leidvolle Folge war, schien es noch schwieriger zu sein, die beiden zusammenzubringen. Deshalb habe ich mich an den Anfang der Folge, noch vor dem Intro, gehalten und denke, dass da noch etwas machbar wäre, weil Fersen noch nicht zu Besuch bei Oscar war. Ich hoffe, es gefällt euch trotzdem und wünsche eine angenehme Lektüre. ;-) :-)

Liebe Grüße,
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Vorwort zu diesem Kapitel:
Bei diesem Kapitel habe ich mich ein wenig an die ähnliche Szene aus Manga gehalten, wo André sich für Oscar einsetzte, als der General sie umbringen wollte. Ich hoffe aber, dass es euch trotzdem gefällt und wünsche euch eine angenehme Lektüre. :-)

Liebe Grüße,
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Vorwort zu diesem Kapitel:
Weil in dieser Folge Oscar und André sowieso zusammen kommen, hab ich deshalb nicht viel verändert. ;-)

Liebe Grüße,
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Vorwort zu diesem Kapitel:
Nun ist es soweit und das letzte Kapitel ist da. In der Folge 40 stirbt auch Oscar und es scheint alles verloren zu sein. Aber ich habe auch hier eine Überraschung, mit einer kleinen Schleichwerbung, eingebaut und hoffe, es gefällt euch. In dieser Fanfiction ging es ja darum, Oscar und André in jeder Folge des Anime zusammenzubringen und daran hielte ich mich. Also eine angenehme Lektüre euch allen und über eure Anmerkungen, Meinungen und alles was ihr auf dem Herzen zu dem Kapitel habt, werde ich mich sehr freuen. :-)
Liebe Grüße,
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Folge 1 (Das Duell)

Sie sollte mit Girodel duellieren um Kapitän der königlichen Garde zu werden?

Dazu hatte sie aber keine Lust, und vor allem wollte sie nicht auf eine launische Prinzessin aufpassen müssen, die aus Österreich kommen würde um den französischen Thronfolger zu heiraten!
 

Der Frühlingswind frischte auf, die Sonne ging langsam unter und Oscar hörte raschelnde Schritte hinter sich. Sie drehte sich nicht um – sie ahnte bereits wer das sein könnte. „Was willst du, André?“

Ihr Freund seit Kindertagen überhörte den schroffen Unterton in ihrer Stimme gewisslich – er kannte sie ja nicht anders und versuchte ihr mit seiner netten Art entgegenzukommen. „Geht es wieder? Was hat dein Vater von dir gewollt?“ Er hatte ja gesehen, wie der General sie aus dem Zimmer geworfen hatte, so dass sie die Treppe hinuntergestürzt war.
 

Oscar sagte nichts, machte die Sache mit sich selbst aus, aber ihren Freund scheuchte sie auch nicht fort. So standen sie auf dem Hügel und schwiegen. Bis eigenartige Geräusche und rascheln sie aufhorchen ließ. „Was ist das?“ Oscar schaute aufmerksam in Richtung der Bäume des Gartens und glaubte ein Schatten, oder gar zwei gesehen zu haben. Achtsam setzte sie ihre Füße in Bewegung – wie schnell konnte ihre Wut doch nachlassen, wenn sie von etwas anderem abgelenkt wurde. „Lass uns nachsehen, André!“
 

Zwischen den, nicht weit von ihnen stehenden Laubbäumen und Rosensträucher, entdeckten sie ein Dienstmädchen und einen Stallknecht, die auf dem Anwesen arbeiteten. „Was macht er mit ihr?!“ Die Frage verließ kaum hörbar Oscars Lippen. Der Mann drückte die Frau gegen den Baumstamm, griff ihr in ihren Ausschnitt, was diese dadurch stöhnen ließ... „Das kann doch nicht wahr sein!“ Oscar wollte losstürmen, als André sie am Arm fasste und genau das verhinderte. „Nein, warte!“

„Lass mich los!“ Oscar sträubte sich verständnislos. Das Dienstmädchen brauchte Hilfe, das sah man doch deutlich! Wie konnte André sie davon abhalten?! Wusste er denn nicht, was da vor sich ging? „Sie wird von ihm bedrängt!“, schnaufte sie fast wütend.

„Nein, Oscar.“ André lehrte sie jedoch eines besseren. Er wusste ja, was dieses Stöhnen des Dienstmädchens bedeutete – im Gegensatz zu Oscar. Er hatte die beiden schon mal im Stall ertappt und versuchte dies seiner Freundin zu erklären. „Ich denke, das gefällt ihr...“

„Wie bitte?“ Oscar sträubte sich noch mehr in seiner Umklammerung. Woher nahm er diese Dreistigkeit sie festzuhalten und zu verhindern für Gerechtigkeit zu sorgen?! André musste sie gegen den Baum drängen und Oscar fühlte sich immer mehr eingezwängt. „Lass mich los!“, spie sie vor Anstrengung der krampfhaften Versuche, sich von ihm zu befreien.
 

André wusste nicht was er tat, als er urplötzlich seine Lippen auf ihr Mund drückte, um sie zum schweigen zu bringen. Oscar erstarrte. Hinter ihnen hörten sie die Stimmen der beiden: „Hast du das gehört?“, fragte der Stallknecht.

„Das wird nur der Wind gewesen sein.“, erwiderte die Frau. „Mach weiter Geliebter, lass mich nicht länger warten...“

„Gerne, meine Liebste...“, sagte der Mann und raffte ihr langsam die Röcke hoch, streifte dabei ihre entblößten Schenkel mit seinen Fingern und erreichte mit wollüstigen Gurgeln ihren begehrlichen Bereich. Das Dienstmädchen entließ noch mehr von ihren lustvollen Geräuschen und als er sein Ziel erreichte, keuchten alle beide erregt auf.
 

André ließ Oscars Lippen frei und machte einen Schritt von ihr weg. Das Pärchen hinter ihnen war vergessen, beide sahen sich erschrocken an und versuchten zu begreifen, was gerade passiert war. Oscar war die erste, die sich regte. Wortlos stieß sie André zur Seite, marschierte an ihm aufgebracht vorbei und ließ ihn alleine stehen.
 

In der großen Vorhalle des Anwesens hatte Sophie die Blumen vom Tisch geräumt, die ihren Schützling angeblich daran erinnern sollten, dass sie eine Frau war. Oscar nahm das Fehlen der Blumen befriedigend zur Kenntnis und beachtete das geschäftige Treiben der Bediensteten nicht weiter. Sie musste selbst über vieles nachdenken – zum Beispiel über die Tat von André. Was war nur in ihn gefahren? Wie konnte er das nur tun?! Zuerst kamen die Aufforderungen ihres Vaters, dann die Sache im Garten und jetzt auch noch André – von dem sie am allerwenigsten erwartet hätte, dass er sich gegen sie stellte! Was stimmte mit diesem Haus nur nicht?!
 


 

- - -
 


 

Die Ohrfeige ihres Vaters ließ sie zu Boden schleudern und die Pferde im Stall aufschrecken, nach dem er sie nach ihrem Ausritt im Stall aufgesucht hatte. Nur weil sie diesen Girodel außerhalb von Versailles und des Hofes abgepasst und sich mit ihm duelliert hatte!

André kam erst auf Oscar zu, als der General nach seiner Predigt fortging. „Alles in Ordnung?“ Er wollte ihr Trost geben – auch wenn ihm die Sache von gestern Abend zu schaffen machte und ihm dabei mulmig zumute war.

Oscar jedoch sah nur zornig ihrem Vater nach. Wenn sie sich heute Morgen nicht mit dem Grafen außerhalb des Versailles duelliert hätte, wäre es gar nicht zu der Ohrfeige gekommen! Sie spürte die Anwesenheit ihres Freundes und musste unwillkürlich dabei an den gestrigen Abend denken. Wie war das nochmal? Er hatte sie gegen den Baumstamm gedrängt, sie eingezwängt und zu allem Überdruss auch noch seine Lippen auf ihren Mund gepresst! Und entschuldigt hatte er sich immer noch nicht!
 

André erschrak von ihrem vernichtenden Blick, den sie ihm sogleich zuwarf und ihn dabei erdolchte. Das sagte ihm schon alles aus. „Es tut mir leid wegen gestern...“, entschuldigte er sich geknickt: „Ich weiß nicht, was in mich gefahren ist...“

Oscar wusste seine Aufrichtigkeit zu schätzen und nebenbei verübte er eine beruhigende Wirkung auf sie. Sie wollte sich aber jetzt nicht beruhigen! Dennoch strahlten seine grünen Augen eine eigenartige Wärme aus, die zu ihrem Missfallen auch auf sie überging... Nein! Oscar rappelte sich rasch auf die Beine hoch. „Ich vergebe dir...“, knurrte sie verstimmt und eilte augenblicklich aus dem Stall.
 


 

- - -
 


 

André klopfte an der Tür zu ihrem Zimmer, nachdem sie sich dort verschanzt hatte.

„Wenn du es bist, kannst du herein kommen, André.“ Sie hörte, wie sich die Tür öffnete und kurz darauf betrat er ihr Zimmer.

Oscar saß im Stuhl, das Fenster war offen und draußen donnerte es. „Das ist ein Frühlingsgewitter“, meinte sie und schaute zu dem Fenster. Wieder donnerte es, gefolgt vom Blitz und der Regen fiel – zuerst langsam, dann immer stärker. André wollte das Fenster zu machen, als sie ihn davon abhielt. „Lass das Fenster auf.“ Er befolgte ihre Bitte und Oscar wirkte auf einmal nachdenklich. „Wenn ich ganz schnell laufe, ist alles in Ordnung. Doch wenn ich anfange nachzudenken, dann weiß ich auf einmal nicht mehr in welche Richtung ich laufen soll. Verstehst du, was ich sagen will? Ich lege einfach kein Wert darauf, Kapitän der königlichen Garde zu werden! Die Frage ist nur, wie ich es vermeiden kann meinen Vater zu enttäuschen. Ich hasse das alles! Ich will keine launische Prinzessin bewachen müssen!“

„Ist das der einzige Grund?“ André stand am Fenster und sah sie zweifelnd an. „Oder steckt da vielleicht noch mehr dahinter, Oscar?“
 

Sie warf ihm wieder einen messerscharfen Blick zu, wie vor wenigen Stunden im Stall. Nicht schon wieder diese gelassene Art, die er zu ihr immer hervorbrachte und die sie milde stimmen sollte! „Ich will das du gehst, lass mich alleine...“
 

Er schritt an ihr vorbei und verließ ihr Zimmer. Arme Oscar! Er hätte ihr gerne die Entscheidung abgenommen, aber er wollte auch nicht über sie bestimmen. Er dachte an den gestrigen Vorfall und etwas unbekanntes ließ dabei sein Herz schneller schlagen. Er musste sich etwas einfallen lassen. Er konnte doch nicht mitansehen wie sie in Zwiespalt geriet und sich selbst damit quälte!
 

Am nächsten Morgen passte er sie deshalb im Stall ab. „Guten Morgen, Oscar.“

„Du bist früher aufgestanden?“ Das war wirklich überraschend, denn André schlief meistens länger als sie.

„Wollen wir ausreiten?“, lenkte er von ihrer Frage ab. „Vielleicht da runter an den See?“

Nun gut, ein kleiner Ausritt würde schon nicht schaden. Und zu dem wollte sie sowieso noch mit ihm reden – wegen dem Vorfall von vorgestern und wie es zwischen ihnen weitergehen sollte. Dafür hatte sie sich schon in der Nacht den Kopf zerbrochen und eine Entscheidung getroffen!
 


 

Was für ein schöner Ausritt bei dem sonnigen Morgen und dem erfrischenden Frühlingswind nach dem nächtlichen Gewitter! An dem See ließen sie ihre Pferde grasen und setzten sich unter einem alten Baum ins Gras. „Erinnerst du dich, wie du in diesem See beinahe ertrunken wärst?“, begann André.

Was wollte er damit sagen? Aber gut... Oscar milderte ihren Gesichtsausdruck. „Ja, das werde ich nie vergessen. Du warst damals sechs und ich fünf Jahre alt.“

„Wir sind damals viel geschwommen, nicht wahr, Oscar?“
 

Oscar begriff nicht, worauf er hinaus wollte und sagte daher nichts. Sie legte sich rücklings ins Gras, streckte sich in die Länge und wartete ab, bis er endlich zur Sache kam, bevor sie ihn mit ihrer Entscheidung ansprach. André riss dagegen ein Grashalm, legte es an seine Lippen und pfiff darauf. Oscar hielt das nicht mehr aus!„Hör bitte auf mit diesem Geflöte und sei endlich ehrlich zu mir!“
 

„Was meinst du mit ehrlich?“ André tat ahnungslos und Oscar durchschaute ihn. Sofort saß sie auf und schaute ihn eindringlich an. „Bist du sicher, dass du mir nichts zu sagen hast?“ Wie immer direkt und ohne Umschweife kam sie gleich zur Sache, dass André ihr nicht länger widerstehen konnte und nachgab: „Ich wollte deine Entscheidungen nicht beeinflussen. Ich will dass du dein Leben so führst, wie du es für richtig hältst und selbst entscheiden kannst.“

„André...“ Oscar öffnete baff den Mund, ihre Augen weiteten sich – so hatte sie ihren Freund bisher nicht reden hören. Und zugegeben, taten seine Worte ihr sogar gut und erwärmten ihr das Herz. Sie fühlte sich wesentlich wohler. „Wenn ich Kapitän werde, wirst du mich dann begleiten?“, entfuhr es ihr.

„Natürlich!“ Was für eine Frage? Sie waren doch schon seit Kindesbeinen unzertrennlich – wie Pech und Schwefel! Dennoch konnte er nicht verhindern hinzuzufügen: „Aber wenn du das Leben einer Frau führen willst, werde ich das auch respektieren...“
 

„Niemals!“ Oscars Sehnen spannten sich an, Zornesröte überzog ihr Gesicht und ihre blauen Augen funkelten angriffslustig.

André blieb gelassen und lächelte sogar etwas. „Natürlich nicht. Das würde dir gar nicht passen: Eine Frau zu werden und Kleider zu tragen.“

„Da hast du vollkommen recht!“ Oscar verstand, dass ihr deswegen nur ein einziger Weg blieb. Sie beruhigte ihr Gemüt, rückte sich näher an ihren Freund heran und sah auf das Glitzern der Seeoberfläche. „Ich werde den Posten des Kapitäns annehmen und schon heute die Uniform anziehen.“

„Und ich werde immer bei dir sein.“ André legte seinen Arm um sie – eine freundschaftliche Geste, die er manchmal in ihrer Kindheit gemacht hatte und die Oscar immer wohlgesinnter stimmte. Sie lehnte sich an ihn und fühlte sich so geborgen wie früher. Wenn das doch nur immer so bleiben würde! Auf ihn konnte sie immer zählen, sich auf ihn verlassen und war ihm dafür dankbar. André hielt ihre Hand sachte in der seinen und bekräftigte ihr damit seine Aussage. Oscar schaute zu ihm auf, ihre Blicke trafen sich und sie musste an vorgestern denken. Diesmal verspürte sie keine Wut in sich aufsteigen, diesmal fühlte sie sich in dem sanften Grün seiner Augen irgendwie... gefesselt? Gebannt?
 

Auf jeden Fall verübten sie eine magische Anziehungskraft, verursachten in ihr ein heftiges Herzklopfen und ließ sie alles um sich herum nicht mehr wahrnehmen. Kaum merklich, und vielleicht sich selbst nicht bewusst, reckte sie ihren Hals empor, näherte sich seinem Gesicht mit dem ihren und kaum das André sich versah, berührten ihre Lippen schon hauchzart die seine...

Folge 2 (Abschied von Wien)

Oscar hatte sich die Übergabe der österreichischen Kronprinzessin anders vorgestellt. So ein schwieriges Mädchen! Ihre Launen konnten nur alles verderben! Die Übergabe musste wegen der Prinzessin sogar verzögert werden, weil Ihre Hoheit keine Lust hatte zu heiraten!

„Warum machst du ihr solche Vorwürfe?“, lachte André: „Denk dran, du bist manchmal auch ziemlich schwierig.“

„Vergleich mich nicht mit so einer Launischen Person!“ Zugegeben, Oscar musste André doch irgendwie recht geben. Sein unbeschwertes Gemüt erzeugte schon irgendwo eine beruhigende Wirkung auf sie.
 


 

- - -
 


 

Der Tag ging zu Ende, die Übergabe war erfolgreich abgeschlossen und Oscar gönnte sich mit ihrem Freund eine Pause. Auf ihrem Salon saßen sie in gepolsterten Stühlen nebeneinander vor dem Kamin und tranken Wein. Eine Flasche war bereits leer und André hatte gerade eine neue geholt – der Geschmack der roten Flüssigkeit war einfach zu herrlich und süß, um den Genuss abbrechen zu wollen. „Was steht morgen auf dem Plan?“, fragte André.

„Das werden wir sehen, wenn wir in Versailles sind.“ Oscar nahm noch einen Schluck und stellte ihr Glas auf dem kleinen Tisch ab. „Es ist schon wieder leer...“

„Wie auch die Flasche zuvor“, meinte André zweideutig und schenkte ihr die Reste vom Wein ins Glas ein.

Oscar grinste verschwörerisch. „Dann holst du die neue!“

„Aber würde das nicht zu viel sein?“ André gefiel das irgendwie nicht – Oscar sah schon leicht beschwipst aus. Nun gut, er war auch dem Wein verfallen, aber wenigstens kannte er seine Grenzen. Oscar dagegen anscheinend nicht. „Ha! Der Wein kann mir nichts anhaben!“, versicherte sie ihm selbstherrlich und nahm einen tieferen Schluck. „Ich habe noch nie so einen guten Tropfen getrunken.“
 

Das stimmte, musste André ihr recht geben: Dieses Jahr schien der Wein ganz besonders gut zu schmecken. Lag es etwa an der Ankunft der österreichischen Prinzessin und der Vermählung mit dem französischen Thronfolger?
 

„André?“, riss ihn Oscar aus kurzen Überlegungen. „Ich glaube, ich gehe lieber zu Bett...“ Sie fühlte sich nicht wohl – es war vielleicht doch ein Schluck zu viel gewesen. Ihr Kopf begann leicht zu schwirren, ihr Körper fühlte sich matt und ein eigenartiges Verlangen durchströmte ihr Inneres.

„Kann ich dir irgendwie noch behilflich sein?“, hörte sie ihn sagen und spürte schon seine Anwesenheit direkt vor ihr. Sie sah zu ihm auf. „Nein, nicht nötig, ich schaffe das schon alleine“, erwiderte sie kühl und schoss zu schnell in die Höhe. Ihre Knie knickten aber sofort ein und wenn André sie nicht aufgefangen hätte, dann wäre sie unsanft zurück in den Stuhl gefallen. „Das sieht man!“, scherzte er dabei und bot ihr mehr vom sicheren Halt.
 

Auch wenn Oscar das nicht gerade gefiel, war sie ihm dennoch für seine Hilfe innerlich dankbar. Unwillkürlich verharrte sie in seinen Armen ganz still und betrachtete sein junges Gesicht, wie noch nie zuvor. Seine Wangen waren gerötet, seine grüne Augen strahlten seine typische Freundlichkeit aus und dennoch lag etwas anderes darin... etwas seltsames, was Oscar nicht deuten konnte, aber ihr ein wohlwollendes Gefühl bescherte... Sein freches Grinsen erstarb immer mehr auf seinen Lippen. „Oscar...“, hauchte er tonlos und wusste mit einem mal nicht mehr, was er tun sollte. Etwas merkwürdiges ging in ihm vor und ließ sein Herz schneller schlagen. Oscars Wangenknochen bedeckte ein feines Rot, ihre blaue Augen glänzten eigenartig und ließen sein Herz immer schneller schlagen. Er fühlte sich davon berauscht und bekam ein unerklärliches Verlangen... War das die Wirkung von so viel Wein?
 

Diese Frage stellte sich Oscar gerade auch. Was war da mit ihnen auf einmal so plötzlich los? Warum sahen sie sich so an, als würde das ihre letzte Begegnung sein und sie würden sich dann nie mehr wiedersehen? Wieso entriss sie sich nicht von ihm?
 

Es war angenehm in seinen Armen, das konnte Oscar nicht leugnen – wie auch sie ihrer hartnäckigen Schwäche, die immer mehr Oberhand zu gewinnen schien, nicht leugnen konnte... „Wie lange willst du mich halten?“, entfuhr es ihr aus dem Mund.

„Mein ganzes Leben lang...“ André biss sich zu spät auf der Zunge. Was redete er da überhaupt?!

„Wie bitte?“ Oscar war empört, aber nicht fähig, sich dagegen zu erwehren, dass seine Worte ihr schmeichelten.

„Verzeih mir, das wollte ich nicht sagen...“, rechtfertigte sich André verlegen und Oscar bedauerte das auf eine Art. „Verstehe...“, murmelte sie. „Was wolltest du dann sagen?“

„Dass ich...“ André sprach nicht mehr weiter. Ein magischer Zauber lag zwischen ihnen und ließ sie alles um sich herum ausblenden und lähmte das weitere Denken. Vom Wein angeheitert und von Oscars liebreizenden Anblick berauscht, küsste er hauchfein ihre Lippen – sie schmeckten süß, als würden noch die letzten Tropfen des roten Weines darauf haften... Und Oscar erwiderte es – zaghaft und neugierig...

Folge 3 (Rivalinnen)

Was sollte das heißen, die Damen schwärmten für sie? Wie lächerlich! Als wüsste man nicht, dass sie eine Frau war!

„Du bist sehr geschwätzig, André!“ Oscar gab ihrem Schimmel die Sporen und ritt an.
 

André folgte ihr selbstverständlich auf seinem Braunen nach. Natürlich bezweifelte er, dass Oscar solchen Gerüchten einen Glauben schenken würde, aber es machte ihm Spaß sie zu necken und sie manchmal damit aufzuziehen. Oscar warf ihm einen Blick von der Seite zu, als er sie einholte und konnte nicht verhindern an seine Worte zu denken. Ja, man könnte glauben, dass die Damen für sie schwärmten und das war nicht zu überhören, wenn sie hinter hervor gehaltenen Fächern über sie tuschelten, sobald sie in ihrer weißen Uniform und in ihrer stolzen Erscheinung durch die glanzvollen Säle von Versailles lief. Aber André musste doch wissen, dass sie solchem Getuschel keine Beachtung schenkte! Als Kapitän der königlichen Garde war ihre Pflicht doch die Kronprinzessin und ihren Gemahl zu schützen! Ihre Aufgabe nahm sie stets ernst und als sie mit André in Versailles ankam, hatte sie sogar nicht davor gescheut die Einladung von Ihrer Hoheit abzulehnen, als diese sie in ihren Salon einladen wollte!
 

André wunderte sich über Oscars Verhalten gegenüber Marie Antoinette sehr. „Sag mal, wieso hast du die Einladung von Marie Antoinette ausgeschlagen? Von ihr in den Salon eingeladen zu werden bedeutet, dass deine Zukunft gesichert wäre.“ Das verstand er wirklich nicht so recht. Soweit er mitbekommen hatte, bemühten sich viele Höflinge die Gunst der Kronprinzessin zu gewinnen, bis auf den unnahbaren Kapitän des königlichen Garderegiments.
 

Oscar blieb unvermittelt stehen, zog ihre Augenbrauen missmutig zusammen und giftete ihn an: „André, du hast anscheinend die gleichen Gedanken wie diese verkommenen Adligen, was? Wenn du nicht der Enkel meiner geliebten alten Kinderfrau wärst, würdest du was erleben!“
 

„Ist ja gut...“ André entschuldigte sich, er wollte ja nicht, dass sie seinetwegen aus der Haut fuhr. „Ich habe das nicht so gemeint.“
 

„Dann sage so etwas nie wieder!“ Oscar glaubte ihm und dämpfte ihren Ärger. Im Grunde genommen war er nur geblendet von dem ganzen Überfluss an Pomp des Versailles und Höflingen – auch wenn er selbst nur als Diener an ihrer Seite auftrat und selber nichts davon hatte. Oscar kehrte ihm den Rücken und wollte ihren Weg fortsetzen, als sie plötzlich auf dem glatt polierten Fließboden ausrutschte und überrascht nach hinten kippte. André fing sie systematisch auf und hielt sie fest in seinen Armen. „Alles in Ordnung?“
 

„Ja...“ Oscar richtete sich mit seiner Hilfe wieder auf, ordnete ihre Uniform und sah sich kurz um. Zum Glück war hier niemand zu sehen! Sonst müsste sie sich später dann anhören, wie sie gestolpert und in die Arme ihres Gardisten gefallen war! Diese Aristokraten und intriganten Höflinge suchten doch ständig nach neuer Nahrung und würden sich sonst was noch dabei ausdenken, um erstbesten Klatsch von sich zu geben! Sogar so eine Nichtigkeit wie ein gestolperter Kapitän wäre bei ihnen nicht auszuschließen! Nicht dass Oscar das von Belang wäre, aber da würde ganz bestimmt auch André darin verwickelt werden und das wollte sie am aller wenigsten. Sie schaute kurz zu ihm hinüber. „Ich danke dir.“
 

„Keine Ursache...“, formten seine Lippen, aber seine geweiteten Augen und die rote Farbe an den Wangenknochen verrieten etwas anderes, was Oscar nicht definieren konnte. Dennoch breitete sich eine ungewöhnliche Wärme in ihr aus und ließ ihr Herz schneller schlagen, was sie aber gekonnt auf der Stelle ignorierte.
 

„Lass uns weiter gehen, André.“ Sie setzte sogleich ihre Füße in Bewegung, streifte unbewusst mit ihrem Handrücken an seinem Arm und marschierte ihm vor. Das prickelnde Gefühl in ihr verstärkte sich und sie steuerte auf den Balkon zu, um frischen Luft zu schnappen. Ihr kam es so vor, als wäre sie um die Wette gerannt und jetzt total aus der Puste! Sie schollt sich selbst und versuchte sich selbst zur Ordnung zu bringen. Was auch immer das war, das musste so schnell wie möglich wieder verschwinden! Auf dem breiten Balkon lehnte sie sich an der Brüstung vornüber auf ihre Arme und saugte die sommerliche Abendluft in ihren Lungen ein. Sie hörte leise Schritte hinter sich und die ihr vertraute Stimme. „Oscar?“
 

„Mir geht es gut!“, log sie in ihrer Not. „Die Speichellecker sind in heller Aufregung – sie wissen nicht, auf welche Seite sie sich schlagen müssen, um den größten Vorteil daraus zu ziehen.“ Oscar verlor trotz ihren Gefühlen ihren kühlen Kopf nicht und versuchte sich mit einem anderen Thema abzulenken. Das Thema, das gerade in ganz Versailles, Paris und Frankreich beschäftigte: Nämlich den Zwist zwischen der Dauphine und der Mätresse des Königs. Marie Antoinette richtete an die Dubarry kein Wort und viele Intriganten schlossen daraufhin die Wetten ab.
 

André spürte, dass in Oscar etwas anderes vorging als sie es zugab und das bescherte ihm selbst ein eigenartiges Gefühl und der Wille, sie in seinen Armen halten zu dürfen wuchs – so ähnlich, wie er das vor kurzem getan hatte... Aber das würde sie bestimmt nicht wollen und so stimmte er in das eingeschlagene Thema von ihr ein. Er lehnte sich mit dem Arm an den großen Türrahmen und belächelte sie. „Auf welcher Seite wirst du stehen? Das ist zumindest das, was die Damen interessiert.“
 

Schon wieder musste Oscar unwillkürlich an seine Äußerung von heute früh denken. „Ich stehe auf keiner Seite. Ich warte ab! Ich bin schon sehr gespannt darauf, welches Schauspiel uns die beiden Damen bieten werden.“ Sie versuchte dies in einem möglichst gehässigen Ton zu sagen, aber das misslang ihr irgendwie.
 

Die Sonne verschwand immer mehr hinter dem Horizont und verlieh ihr zum Überdruss eine zauberhafte Atmosphäre. Ihr Rücken überlief ein gar nicht so unangenehmer Schauer, als sie spürte dass sich jemand genau hinter ihr befand. Nein, nicht jemand – das konnte nur André sein! Sie drehte sich um und sah ihm direkt ins Gesicht. „Oscar...“, sagte er in einem Ton, den sie von ihm nicht kannte. Was hatte er vor?
 

„Was ist André?“ Oscar musste hart schlucken, um ihrer Stimme den gewohnten Klang zu verleihen.
 

André bewegte sich nicht und verursachte mit seinem so intensiven, eindringlichen Blick ein Gefühlschaos in ihr. Auch seine eigene Gefühle brachen in ihm durcheinander und er fühlte sich in dem Meerblau ihrer Augen wie ein sinkendes Schiff. „Oscar...“, hauchte er wiederholt und wagte sich nicht vom Fleck zu rühren. Nein, er dürfte sie nicht küssen – auch wenn ihm gerade danach war! Der Moment blieb für alle beide still stehen, die Sekunden verwandelten sich in Stunden und als es kaum zu ertragen war, brachte André sein Satz doch noch zu Ende: „Ich werde dir immer folgen...“ Das war ein falscher Satz, aber ihm fiel nichts anderes ein. Er hätte ihr am liebsten drei andere Worte gesagt, die in ihm gerade durch den Kopf einhergingen, aber dafür war weder der richtige Ort noch der richtige Zeitpunkt...
 

„Das weiß ich...“ Oscar spürte auf einmal bedauern in sich aufsteigen und verstand das nicht. Das war so, als hätte sie etwas ganz anderes erwartet! Aber nur was?
 

Die Antwort darauf erhielt sie nicht, aber dafür nahm André ihre Hand und hielt in den seinen umschlossen. Und als wäre das nicht schon genug, überzog dabei eine feine Röte ihre Wangen. Was auch immer dieses warme Gefühl in ihr bedeuten mochte, wusste sie jedoch in diesem Augenblick mit Sicherheit, dass sie auf André immer zählen würde können und dafür war sie ihm unendlich dankbar. Alles andere würde schon mit der Zeit kommen und dann würde sie hoffentlich die Antwort erhalten, die sie gerade nicht finden konnte...

Folge 4 (Vergifteter Wein)

André hatte recht, er würde sich nicht so verhalten, wenn er eine Mutter hätte. Oscar war das bewusst und trotzdem weigerte sie sich, dass ihre Mutter auf Befehl des Königs nach Versailles kam und dessen Mätresse, Madame Dubarry oder der Kronprinzessin als Hofdame dienen sollte. Wenn sie weiter so unnachgiebig bleibt, würde sie ihrer Mutter und ihren Vater in Schwierigkeiten bringen. André versuchte Oscar genau das zu erklären, während er mit ihr im Fechten übte. Oscar sagte zwar nichts, aber ihr jähzorniges Gemüt spürte er ganz deutlich – sie focht wie besessen, schlug wütend zu und parierte seine Hiebe mit voller Kraft, als würde es ein Kampf um Leben und Tod gehen und es keine gewöhnliche Fechtübung zwischen ihr und ihm sein. Was wusste André schon davon, in welcher Zwiespalt sie sich gerade befand?
 

Egal ob ihre Mutter der Dubarry oder der Kronprinzessin als Hofdame dienen würde, es machte für Oscar keinen Unterschied – sie wollte nicht, dass ihre Mutter in diesen Machtkampf der beiden Frauen hineingezogen wird! Auch wenn seine Majestät ihrer Mutter freundlicherweise die Entscheidung überließ, trotzdem! Anscheinend aber wollte das nur niemand begreifen...
 

Und gerade deshalb schwor sich Oscar, egal was auch geschehen mag und wie ihre Mutter sich entscheiden sollte, würde sie Sie beschützen! Der erste Vorfall ereignete sich schon am nächsten Abend, als Madame de Jarjayes am frühen Morgen nach Versailles kam und Hofdame der Kronprinzessin wurde, was der Mätresse des Königs natürlich nicht gepasst hatte. Dubarry schmiedete Ränke gegen sie, aber Oscar vereitelte das und konnte verhindern, dass ihre Mutter in falschen Verdacht geriet – angeblich wollte sie die Mätresse vergiften. Welch eine Absurdität! Gut, dass André es herausfand und seine Freundin vorwarnte, so dass Oscar noch rechtzeitig einschreiten konnte.
 

Nun war ihre Mutter außer Gefahr, die Dubarry in Schranken gewiesen und Oscar befand sich wieder auf ihren Gemächern in Versailles. André war selbstverständlich an ihrer Seite, schien aber nachdenklicher zu wirken als sonst. Oscar fragte nicht, was das war, schnallte ihren Waffengurt ab und legte ihn mitsamt des Schwertes auf den Tisch ab. Er würde ihr schon sagen, was ihn bedrückte – sie zwang ihn ja zu nichts und auch so war er ja der geschwätzigste von ihnen. „Oscar...“
 

Oscar hätte beinahe gelächelt. Wie recht sie doch hatte! „Was ist, André?“, fragte sie ihn stattdessen ausdruckslos.
 

„Geht es deiner Mutter besser?“
 

Mehr als ein schlichtes und beherrschtes „Ja“, bekam André natürlich nicht zur Antwort. Äußerlich wirkte sie ruhig, aber er wusste um ihr gereiztes Gemüt und seufzte tiefsinnig. „Wenigstens hast du eine Mutter...“
 

Was sollte das schon wieder heißen? Oder wollte er sie wieder damit herausfordern, wie gestern Abend? Oscar erdolchte ihn mit ihrem eisigen Blick, aber sah nur seinen Rücken. André hatte sich von ihr abgewandt und sah danach aus, als würde er gehen wollen. Aber dem war nicht so. Er senkte seine Haupt und fuhr sich mit dem Arm über seine Augen, zumindest kam Oscar das so vor. Dann warf er doch noch einen flüchtigen Blick zu ihr. „Ich gehe dann mal...“
 

Oscar runzelte in Anbetracht seiner leicht geröteten Augen die Stirn. „Wir sehen uns morgen.“, säuselte sie in ihrem altbekannten, kühlen Ton und bekam prompt ein mulmiges Gefühl. Etwas nagte an ihm, das spürte sie und der Drang es herauszufinden breitete sich in ihr aus. „André, geh noch nicht!“, hielt sie ihn auf, kaum dass er die Tür erreichte. „Hast du nicht etwas vergessen?“ Was sollte er schon vergessen haben? Dennoch blieb er stehen und drehte sich ahnungslos um. Oscar stand schon auf einer Armeslänge vor ihm und musterte ihn so eindringlich, als suchte sie etwas in seinem Gesicht. „Du hast mir keine gute Nacht gewünscht.“
 

Ach, das war das, was er vergessen haben sollte! Aber seit wann war ihr das auf einmal so wichtig? „Gute Nacht, Oscar...“, murmelte er und wollte sich erneut abwenden, als sie unerwartet seine Hand umfasste – nicht rüde oder grob, sondern ganz vorsichtig. Diese Geste war für sie selbst nicht minder überraschend, wie für ihn. „Ich will wissen, was mit dir los ist“, sagte ihr Mund, obwohl ihre blauen Augen noch immer kühl wirkten.
 

André bezweifelte irgendwie, dass sie das wollte. „Wieso willst du das wissen?“
 

Was ist das für eine komische Frage?! Oscar zügelte krampfhaft ihr hitziges Temperament – er brauchte doch ganz bestimmt ihre Hilfe, oder einen guten Zuhörer, das sah sie ihm doch an! „Wir sind doch Freunde“, meinte sie gelassen und merkte, wie seine Hand leicht zuckte. „Als wir Kinder waren, hast du mir alles erzählt, was dich bekümmert hatte. Es ist wegen deiner Mutter, nicht wahr?“ Seine Armmuskeln spannten sich an und Oscar wusste, dass sie ins schwarze getroffen hatte. Und als er seinen Blick von ihr senkte, tat er ihr am Herzen leid. Das erinnerte sie an ihre gemeinsame Kindheit, als er einstmalig über den Tod seiner Mutter mit glasigen Augen erzählt und sie ihn dabei zu trösten versucht hatte. Das lag allerdings etwa zehn Jahre her und trotzdem bekam Oscar den Wunsch, es noch einmal zu machen. „Du hast recht, ich habe wenigstens eine Mutter, aber ich habe auch dich – meinen treuen Freund.“
 

„Oscar...“ André schluckte hart und erinnerte sich auch an jenen Tag aus seiner Kindheit wie sie. Er kam vor etwa zehn Jahren als Waisenkind in das Haus de Jarjayes – besser gesagt, seine Großmutter hatte ihn nach dem Tod seiner Eltern hingebracht und ihn Oscar vorgestellt, dessen Spielgefährte er werden sollte. Das wurde er auch und nachdem sie ihn von seiner Trauer getröstet hatte, hatte er sich nie mehr einsam gefühlt. Bis zum gestrigen Tag, als er ansehen musste wie Oscar sich wegen ihrer Mutter störrisch verhalten hatte. Jetzt verwirrte sie ihn leicht mit ihrer ungewöhnlichen Weichheit in der Stimme, die bei ihr eigentlich nie vorhanden war und gleichzeitig fühlte er sich aber dadurch auch leicht getröstet. Das bewog ihn dazu, sich ihr zu offenbaren: „Du hast recht, ich musste an meine Mutter denken... und wie sie war... ich habe sie schon lange nicht mehr so vermisst...“
 

„Ich verstehe...“ Oscars Mundwinkel zogen sich nach oben und sie verstärkte etwas den Druck ihrer Hand. „...du kannst jederzeit zu mir kommen, wenn du Kummer hast.“
 

„Ja, das weiß ich.“ André lächelte auch matt. Er hatte zwar nicht alles ausgesprochen, was ihm auf der Seele lag, aber Oscar verstand ihn ohne weiteres und das war das, was er an ihr schätzte. „Darf ich dich umarmen?“
 

Oscar war nicht gerade darauf erpicht, umarmt zu werden und das lag nicht unbedingt an André, sie war im Allgemeinen distanziert und unnahbar. Aber wenn ihn das trösten würde... Immerhin waren sie seit Kindesbeinen Freunde und als Kind hatte sie sich in so einer trüben Situation von ihm auch umarmen lassen. „Also gut...“ Kaum dass sie das sagte, schloss André sie sachte in seine Arme. „Ich danke dir...“, hauchte er ihr in das blonde Haar und Oscar legte etwas zaghaft ihre Arme um seine Mitte. Ein warmes und schönes Gefühl durchströmte sie, welches sie nicht definieren konnte und dennoch ihr angenehm war. Die Freundschaft, die sie beide zueinander verband, würde keine Macht der Welt zerstören und jeder von ihnen würde immer für den anderen da sein...

Folge 5 (Die Demütigung)

„Was sagst du eigentlich dazu, Oscar? Wird Marie Antoinette klein beigeben und der Dubarry zu ihrem großen Sieg verhelfen?“
 

„Höre auf André!“ Oscar tat es leid, dass sie ihn anfahren musste, aber die ganzen Hofintrigen gingen ihr einfach gegen den Strich. Marie Antoinette, die Kronprinzessin und zukünftige Königin von Frankreich richtete noch immer kein Wort an die Mätresse des Königs. Sogar die Anordnung des Königs hatte sie ignoriert! Die Menschen in Versailles begannen schon langsam Wetten darüber abzuschließen, wer von den beiden denn siegen würde. Dass André dazu auch zählte, hätte Oscar von ihm nicht erwartet und war deshalb aufgewühlt. Sie verließ mit langen Schritten das Schlossgewölbe und nahm den Weg zu dem Garten, wo Marie Antoinette in Begleitung von den unverheirateten Töchtern des Königs und nach erneuten Begegnung mit Madame Dubarry einen Spaziergang unternahm. Die besagten drei Damen konnten die Mätressen abgrundtief nicht ausstehen, weil sie eine dunkle Vergangenheit hatte und aus ärmlichen Verhältnissen stammte. Die Kronprinzessin ließ sich von ihnen beeinflussen, was die drei natürlich ausnutzten, sie noch mehr auf ihre Seite zogen und somit den Zwist noch mehr anheizten...
 

„Es tut mir leid, Oscar.“ André holte seine langjährige Freundin ein und entschuldigte sich. Diese hatte seine Anwesenheit vorerst nicht wahrgenommen. „Was tut dir leid, André?“, fragte sie ihn deshalb leicht irritiert.
 

Ihre Gegenfrage verwirrte dagegen André. Wusste sie das etwa nicht mehr? Weshalb hatte sie ihn dann angefahren?! Aber er wäre nicht er, wenn er ihr dafür Vorhaltungen machen würde. „Das was ich dir wegen dem großen Sieg vorhin gesagt habe.“, wiederholte er deshalb geduldig und gelassen.
 

Ach, das war das! „Ich bin dir nicht mehr böse.“, erwiderte sie ihm daher kühl und beruhigte ihr aufgewühltes Gemüt. „Beim nächsten Mal aber überlege dir es vorerst was du sagst. Ich will nämlich nicht, dass du auch zu diesen Intriganten zählst, die nur darauf warten, wenn Marie Antoinette ein Fehler macht!“
 

Das beschäftigte sie also! „Das werde ich, Oscar, versprochen“, versicherte er ihr und beließ es dabei, was Oscar glücklicherweise zufriedenstellte. Sie hatte ja schon genug damit zu tun, auf die Kronprinzessin achtzugeben und da hätte es ihr gerade noch gefehlt, wenn André es ihr mit seinen zweifelhaften Aussagen noch schwerer machte. Es war gut, dass er einen Einsehen hatte und nicht zu der Sorte von Intriganten gehörte.
 


 

- - - -
 


 

Endlich! Endlich hatte Marie Antoinette am Neujahresfest mit der Mätresse des Königs gesprochen! Zwar waren das nur sieben kleine Wörter und es hatte sie immense Überwindung gekostet, sie auszusprechen, aber dennoch hatte sie es getan und der Zwist war damit beigelegt! „Trotzdem hatte sie mir Leid getan.“, meinte Oscar, als sie während des Frühstücks ihrem Freund über die gestrigen Ereignisse am Neujahresfest erzählte. Marie Antoinette hatte sich so gedemütigt gefühlt, wie noch nie in ihrem Leben, weil die Dubarry ihren Sieg nun in vollen Zügen auskostete und hatte auch triumphiert dabei gelacht. Welch eine Schmach! Die Kronprinzessin war dann auf ihre Gemächer geflüchtet und Oscar hatte sie getröstet. „Sie hat alle Vorzüge, die eine zukünftige Königin braucht und ich habe mir geschworen, den Rest meines Lebens treu an ihrer Seite zu dienen“, fügte sie selbstsicher hinzu und nahm einen Schluck Tee.
 

„Und ich werde das Gleiche bei dir tun.“ André biss in die mit Wurst belegten Scheibe Brot und hätte sich beinahe an Oscars direkten Blick verschluckt. Schnell trank er Tee, um den Bissen herunterzuspülen. „Was ist, Oscar?“ Er dachte, er hätte schon wieder etwas falsches gesagt, aber Oscar belehrte ihn eines besseren: „Das musst du nicht tun.“ Von einer Seite betrachtet, diente er ihr schon seit sie sich kannten, aber sie brauchte ihn mehr als einen Freund und Gefährten an ihrer Seite. André verstand das und lächelte angetan. Er hatte ein nettes Lächeln, musste Oscar sich unwillkürlich eingestehen und kam nicht umhin, ihm das Lächeln zaghaft zu erwidern. Wie schön, dass sie sich immer so gut verstanden. Dann spürte sie plötzlich seine Hand auf ihrem Handgelenk. „Nein, das muss ich nicht, aber ich tue es gerne Für dich. Wir sind doch Freunde.“
 

„Ja, das stimmt.“ Vielleicht lag das an dem aufrichtigen Klang in seiner Stimme oder dem sanften, freundlichen Blick seiner grünen Augen, die Oscar für einen kurzen Wimpernschlag auf ihrem Platz innehalten ließen. Auf jeden Fall konnte sie ihm nicht einfach so ihre Hand entziehen – das war einfach ein angenehmes Gefühl, das sie schon in ihrer gemeinsamen Kindheit oft verspürt hatte. Das war das Gefühl nach Freude, nach Glückseligkeit und nach Sicherheit, weil er immer bei ihr war und für sie immer da sein würde.

Folge 6 (Zwischenfall in Paris)

Endlich hatte der König Ihrer Hoheit erlaubt, Paris zu besuchen! Die Kronprinzessin war ganz aus dem Häuschen deswegen.
 

„Nicht zu glauben, dass sie einmal eine Königin sein wird.“, bemerkte André, nach dem er mit Oscar den Salon Ihrer Hoheit verließ und neben seiner Freundin die große Treppe herunter lief.
 

„Wieso?“ Oscar blieb unvermittelt mitten auf der Treppe stehen und bewog auch André stehen zu bleiben. „Naja, sie ist noch so kindlich“, erklärte er ihr seine Sichtweise auf die Kronprinzessin: „Sie wirkt fast wie ein kleines Mädchen, gar nicht wie siebzehn.“
 

Ach, das musste gerade der Richtige sagen! Mit seinen achtzehn Jahren benahm sich André manchmal auch wie ein kleiner Junge, wenn er sich mal dazu erdreistete sie, Oscar, zu necken oder zu ärgern. „Mit siebzehn ist man ja fast noch ein Kind“, widersprach ihm Oscar und setzte ihre Füße wieder in Bewegung.
 

„Schon gut, ich wollte ihr nicht zu nahe treten.“ André holte sie ein und gemeinsam verließen sie das Schlossgewölbe. Oscar ging auf seine letzte Bemerkung dabei nicht ein und sprach stattdessen das aus, was sie bewegte: „Ich habe die Prinzessin wirklich ins Herz geschlossen. Auf einer Seite ist sie noch ein richtiges Kind, auf der anderen schon eine große Persönlichkeit. Sie hat einen sehr starken, eigenen Willen. Sie ist kompromisslos und versucht sich durchzusetzen - das gefällt mir an ihr.“
 

„Ich verstehe.“ André ging ein Licht auf. „Du hast ähnliche Eigenschaften und genau das nimmt dich für sie ein.“
 

Oscar kam nicht umhin für sich zu schmunzeln. „Na ja, das kann schon sein, aber natürlich hat sie auch menschliche Schwäche. Trotzdem, wenn man sie ein bisschen mehr kennt, kann man nicht anders, als sie gern zu haben. Verstehst du, was ich damit meine, André?“
 

„Ja, du würdest für Marie Antoinette durchs Feuer gehen. Wie ich für dich...“, fügte er unbeabsichtigt hinzu und erntete sofort Oscars eisigen Blick. André sagte nichts darauf weiter und tat so als würde er es nicht merken. Oscar dagegen beschlich langsam der Verdacht, als wollte André damit auf etwas hinaus, was sie nicht deuten oder richtig zuordnen konnte. Zusätzlich breitete sich ein merkwürdiges Gefühl in ihr aus, welches ihr Herz ein wenig schneller schlagen ließ. Aber egal! Sie würde das schon herausfinden und wenn nicht, dann war das auch nicht wichtig.
 


 

- - -
 


 

Der Besuch in Paris verlief prächtig, das Volk bejubelte den Kronprinzen und die Kronprinzessin und Oscar war zufrieden. „Lass uns zum Anwesen reiten und uns ein Gläschen Wein gönnen“, schlug Oscar vor, nach dem alles vorbei war und sie ihren Feierabend hatten. Natürlich war André damit einverstanden und folgte ihr. Was sollte er denn sonst ohne sie machen?
 

Ach, wie angenehm es war, zu Hause die Seele baumeln zu lassen und nicht mehr an die Pflichten denken zu müssen. Beim gemütlichen Abend vor dem Kamin in dem gepolsterten Stuhl und mit einem Gläschen in der Hand, konnte man sich viel besser entspannen. Sie sollten das öfters mal machen! Aber nur, wenn die Pflichten als Kapitän der königlichen Garde es zulassen würden, wie man es gern hätte...
 

„Noch ein Schluck Wein, Oscar?“ André nahm schon die Flasche und wartete auf ihre Zustimmung. „Oh, das Glas ist schon wieder leer...“ Oscar hatte es nicht einmal mitbekommen und hielt ihm ihr Glas hin. „Aber gerne, André.“ Kaum das sie das sagte, füllte er schon ihr Glas mit dem roten Wein auf. Sich selbst goss er auch etwas ein und ließ sich auf dem anderen Stuhl, der direkt neben ihrem stand, nieder. Dabei berührten sich leicht ihre Arme. „Du wirst rot im Gesicht“, bemerkte Oscar neckisch und setzte noch einen drauf: „Der Wein scheint dir nicht gut zu tun. Du solltest lieber aufhören zu trinken, sonst steigt es dir zu Kopf.“
 

Als wäre gerade sie ein gutes Beispiel dafür! André ließ die spitze Bemerkung natürlich nicht auf sich sitzen. „Das gilt auch für dich. Du bist nämlich auch rot im Gesicht.“
 

Oscars Gesichtsausdruck verfinsterte sich schlagartig. Was fiel ihm denn ein! Abrupt schoss sie aus dem Stuhl und verließ unerwartet das Kaminzimmer. „Ich gehe zu Bett!“, brummte sie dabei spitz und ließ André alleine. Gleich darauf kehrte sie aber zurück und drückte ihm ihr Glas in die Hand. „Hier, das kannst du gleich mitnehmen! Gute Nacht!“
 

André sah ihr baff nach, als sie das Zimmer erneut verließ und seufzte. Oscar war ein Hitzkopf und er hatte sich eigentlich schon längst damit abgefunden, aber manchmal trafen ihre Launen ihn doch unvorbereitet.
 

Am nächsten Tag war es aber wieder vergessen und Oscar benahm sich so, als wäre gestern nichts vorgefallen. Das war gut so und André fühlte sich schon wesentlich besser. Auf dem Weg nach Versailles verlor allerdings Oscars Schimmel den Hufeisen und sie mussten daher zum Anwesen zurückkehren, um das Pferd zu beschlagen. Das passte Oscar ganz und gar nicht und erhitzte ihr Gemüt aufs Neue. „Wir kommen zu spät!“
 

„Beruhige dich. Es ist gleich erledigt.“ André setzte das neue Hufeisen an und beschlug es, während Oscar ungeduldig auf und ab lief. Das arme Pferd! Wegen der verlorener Zeit würde es ganz bestimmt heftig und bis auf seine äußersten Grenzen angetrieben.
 

„Das ist mir egal!“, schimpfte Oscar weiter aufgebracht: „Wir sollten schon längst in Versailles sein!“
 

„Du kannst auch ein anderes Pferd nehmen, wenn du es so eilig hast und ich bringe dann deinen Schimmel später zu dir.“, brummte André ungewöhnlich spitz und erntete sogleich Oscars eisigen Blick. „Was macht das denn für einen Eindruck?!“
 

„Einen viel besseren, als wenn du hier rum wütest!“ Hatte er das wirklich gesagt? Und seit wann platzte ihm so schnell der Kragen?! Das war doch mehr Oscars Art! Diese starrte ihn perplex an und hörte sogar auf ihre Füße zu vertreten. „Wie war das?“
 

André ließ das Bein des Pferdes mit neu beschlagenem Hufeisen von seinem Schoß herab und erhob sich. „Dein Pferd ist fertig, du kannst jetzt wieder los reiten“, sagte er stattdessen und kehrte ihr den Rücken zu, um die Pferde aus dem Stall auszuführen. Aber er schaffte es nicht einmal die Zügel in die Hand zu nehmen, als Oscar plötzlich vor ihm stand. „Du hast mir meine Frage noch nicht beantwortet!“, funkelte sie ihn an und kam ihm ziemlich nahe. André, anstelle ihr zu Antworten, packte sie von beiden Seiten und drückte ihr seine Lippen auf den Mund. Er wusste selbst nicht, warum er das tat, aber ihr wütender Anblick und diese funkelnden Augen hatten ihn einfach dazu getrieben.
 

Oscar wehrte sich, sein Arme hielten sie aber noch fester und seine Lippen pressten sich hart gegen die ihre. Was sollte das werden?! Er sollte sie loslassen und dann kann er was erleben! Aber ihre Gegenwehr schien ihn nur dabei zu reizen, sie noch fester in dem Griff zu halten. Wie lange beabsichtigte er das noch weiter zu machen?!
 

Die wirklich andauernden Sekunden verwandelten sich in Stunden und von einem Moment zu dem anderen ließ Oscars Gegenwehr nach. Auch Andrés Kuss wurde plötzlich weicher, sanfter... Die aufgeladene Wut wich aus ihr, stattdessen breitete sich ein angenehmes Gefühl in ihr aus und erwärmte ihr das Herz. Und während sie zwischen Gefallen und dem Kampf mit ihren Gefühlen stand, ließ André sie aus seinem Griff los. Erschrocken sah er sie an und Oscar verstand, dass er womöglich selbst nicht in der Lage war seine Tat zu begreifen. „Lass uns nach Versailles aufbrechen...“, schnaufte Oscar atemlos und verwirrt. „Wir sind spät dran.“ Der scharfe Tonfall gelang ihr nicht mehr und auch André wirkte anders. „Ja...“, erwiderte er, aber rührte sich nicht von der Stelle. „Oscar, ich...“ Er schluckte hart und verlor auf einmal die Sprache. Was sollte er ihr sagen? Das es ihm leid tat? Auf eine gewisse Weise wäre das aber gelogen...
 

„Wir sollten aufbrechen.“ Oscar schlängelte sich an ihm vorbei, nahm ihren Schimmel an die Zügel und ging aus dem Stall. Sie schaute nicht zurück, sie wusste, dass André ihr folgen würde und das tat er auch. Der Kuss und die eigenartigen Gefühle, die sie beide dabei ergriffen hatten, müssten überdenkt werden! Aber nicht hier und jetzt! Heute Abend, wenn alle Pflichten erledigt und sie wie gestern auf dem Anwesen zurück sein würden, würde eine passende Gelegenheit dazu bestehen! Auf jeden Fall hatte der kurze Vorfall etwas offenbart, was weit mehr hinaus ging als die Freundschaft und das war allen beiden bewusst. Es würde sich noch zeigen, was genau das war und dann würden sie sehen, wie es weiter mit und zwischen ihnen gehen würde.

Folge 7 (Die Fälschung)

Graf Hans Axel von Fersen aus Schweden! Diesen Mann konnte sich Oscar nicht einfach so aus dem Kopf schlagen. Warum nur musste Marie Antoinette unbedingt auf Maskenbälle gehen, wo nur die einfachen Künstler und Studenten verkehrten?! Nun gut, sie langweilte sich in Versailles, weil ihr Gemahl mehr seinem Hobby Türschlösser zu bauen nachging, als sich mit ihr zu beschäftigen und das verstand Oscar schon, aber konnte es nicht vertreten. Nach dem Maskenball bemerkte Oscar nämlich eine gewisse Zuneigung von Marie Antoinette zu diesem schwedischen Grafen und das passte ihr nicht. Von Fersen besuchte Marie Antoinette oft in Versailles, was Oscar noch mehr missfiel. „Sag mal, ist dir etwas besonderes am Verhalten der Prinzessin aufgefallen, André?“ Sie standen an einer Säule in dem Spiegelsaal und beobachteten nicht weit entfernt Marie Antoinette im Kreise ihrer Hofdamen und diesem jungen Grafen aus Schweden.
 

„Nein, eigentlich nicht. Sie ist so flott wie immer und albert herum.“ André verstand die Sorge seiner Freundin nicht so recht und zuckte beiläufig mit dem Schultern.
 

„Nun André, ich finde, dass sie sich sehr verändert hat. Sie trägt ihre Gefühle offen zur Schau.“, erklärte ihm Oscar leise und André dämmerte es etwas. „Meinst du auf den Bezug zu diesen Grafen?“
 

„Ja, der Graf ist ihr Wundpunkt. Wenn man in Versailles aufrichtig ist und seine Gefühle nicht versteckt, und die höfischen Regeln und Vorschriften nicht beachtet, ist man schnell in einer gefährlichen Situation. Marie Antoinette hat viele Feinde am Hofe, die darauf warten, dass sie ein Fehler macht. Sie werden alles daran setzen, um ihr einen harmlosen Flirt zum Verhängnis werden zu lassen.“
 

„Ganz erstaunlich deine weibliche Intuition.“ André musste sich sogleich korrigieren, als Oscar einen scharfen Blick zu ihm warf. „Oh, entschuldige für diesen Ausdruck. Oscar Francois de Jarjayes ist schließlich ein Mann von Ehren.“
 

„Verschone mich mit deinen Albernheiten, bitte!“, fuhr sie ihn schroff an und klärte ihn mit noch mehr Nachdruck auf: „Die Situation ist ernster als du denkst! André, von jetzt an beobachtest du sie noch schärfer als bisher. Wenn erst Gerüchte entstehen, dann ist es vielleicht schon zu spät.“
 

„In Ordnung, Oscar.“ André willigte ein, um sie etwas milder zustimmen – wobei sie auf ihn schon einen gewissen Reiz verübte, wenn sie leicht aufgebracht war. Aber andererseits wollte er es ja nicht auf die Spitze treiben. „Du kannst dich auf mich verlassen.“
 

„Gut.“ Oscar entspannte sich ein wenig. André war ein zuverlässiger Freund und das schätzte sie an ihm sehr.
 

Allerdings konnten weder er noch sie verhindern, dass in den nächsten Tagen gegen die Kronprinzessin ein Komplott geschmiedet wurde. Da wollte ihr jemand einen gefälschten Brief unterjubeln und Marie Antoinettes Ruf damit schaden. Angeblich sollte Graf von Fersen auf diesen Brief der Kronprinzessin geantwortet und auch noch mit leidenschaftlichen Worten sich darin ausgedrückt haben. Oscar hatte zum Glück verhindern können, dass der Brief an die Öffentlichkeit geriet. Sie hatte herausfinden können, wer der Fälscher war – allerdings ward er tot aufgefunden, als Sie, André und ihr Untergebener in der königlichen Garde Graf de Girodel, aufsuchten und ihn verhaften wollten. Sie ahnten, wer der Täter war, aber hatten keine Beweise und dann brach unerwartet ein Brand aus. Sie schlugen das Fenster ein und sprangen in den Kanal, der direkt darunter floss. Noch rechtzeitig konnten sie mit dem Leben davon kommen und obwohl sie den eigentlichen Täter nicht fassen konnten, hatte es mit der Intrige gegen Marie Antoinette aufgehört noch bevor es ausarten konnte.
 

„Eine entsetzliche Frau!“, meinte Oscar am nächsten Tag in Versailles und nach dem sie der Mätresse des Königs begegnet war. „Sie geht über Leichen um ihre Machtstellung nicht zu gefährden!“
 

André gab ihr in dieser Hinsicht recht, aber mehr beschäftigte ihn Oscar selbst. „Du musst aufpassen, dass sie dir nicht schadet.“
 

„Es ist mir gleich!“, knurrte Oscar auf dem Weg zu ihren Gemächern. „Marie Antoinette hat größere Priorität und es ist meine Aufgabe, sie und ihren Gemahl vor erdenklichen Gefahren zu schützen!“
 

„Und meine Aufgabe ist es, dich vor erdenklichen Gefahren zu schützen.“, entfuhr es André und Oscar blieb gleich kurz vor der Tür zu ihrem Zimmer stehen. „Marie Antoinette braucht mehr Schutz als ich.“ Sie verstand nicht die versteckte Sorge ihres Freundes, aber sie spürte einen leichten Stich in ihrem Herzen und das bescherte ihr ein mulmiges Gefühl. Sie betrat den Salon, machte die Fenster auf und atmete die Luft des einbrechenden Tages tief in sich ein. André beobachtete sie dabei, fühlte Bedauern in sich aufsteigen und kam auf sie zu. „Du hast Recht mit dem was du sagst.“, hörte Oscar ihn hinter sich flüstern und drehte sich um. André stand direkt vor ihr und etwas lag in seinen Augen, was sie nicht deuten konnte. „Aber verstehe mich bitte nicht falsch, wenn ich dir sage, dass für mich du die größere Priorität hast.“
 

„André!“ Oscar wollte ihn ermahnen, an so etwas überhaupt zu denken, als er seine Mundwinkeln plötzlich nach oben zog und der merkwürdiger Glanz in dem Grün seiner Augen sich verstärkte. „Entschuldige für die Worte, aber du bist für mich wirklich sehr wichtig. Ich weiß ja nicht, was ich ohne dich tun sollte – ich habe ja nur dich.“
 

„André...“ Diesmal flüsterte es Oscar kaum hörbar. Sie begriff, was er nun damit sagen wollte und milderte dabei auch ihren Tonfall. „Du musst dir um mich keine Sorgen machen, mir wird schon nichts geschehen, versprochen.“
 

„Dann ist es geklärt?“ André wagte einen tieferen Einblick in ihre himmelblauen Augen und fühlte sich darin auf eigenartiger weise gefangen. Auch Oscar konnte auf einmal ihren Blick nicht von dem seinen abwenden und fühlte sich darin auf einmal versunken. Ein angenehmes Kribbeln überzog noch zusätzlich ihre Haut und ihre Hand berührte wie von alleine seine Wange. „Du musst dir um mich wirklich keine Sorgen machen, ich werde schon zurecht kommen... Denn ich habe ja dich an meiner Seite.“
 

Wie schön sie das sagte! Am liebsten hätte André sie umarmt und vielleicht auch noch geküsst, aber damit hätte er diese angenehme Stimmung verdorben und das wollte er nicht. Es würde bestimmt einen anderen, passenderen Moment dazu geben und dann würde er ihr alles sagen, was er gerade für sie empfand – dieses eine schöne Gefühl, das sein Herz höher schlagen ließ und ihn selbst beschwingt machte...

Folge 8 (Oscar in meinem Herzen)

[„André, diese Waffe ist für dich.“ ]
 

[„Aber das ist doch... das ist doch einer der kostbaren Waffen, die dir dein Vater anvertraut hat. Du kannst sie nicht einfach so weggeben!“]
 

[„Da er mir zwei davon gegeben hat, dachte ich mir, wir können sie brüderlich teilen!“]
 

[„Oh, danke, prima!“ ]
 

[„Wollen wir sie gleich ausprobieren?“ ]
 

[„Aber ja, ich bin dabei!“]
 

Kindheit... Ihre gemeinsame unbeschwerte Kindheit. Oscar öffnete mühsam ihre Augen – sie hatte genug geträumt. Sofort vernahm sie das heftige Schluchzen von Sophie und dann gleich darauf ihr Murmeln, dass sie froh war. Froh? Worüber?
 

Als Antwort schossen ihr sofort Bilder durch den Kopf: Da hatte sie die Kronprinzessin vom durchgegangenen Pferd gerettet und sich dabei durch einen abgebrochenen Ast eine Verletzung am Arm zugezogen. Und da war noch André... Man hatte ihn beschuldigt, für den Unfall verantwortlich gemacht und dafür beinahe hingerichtet...
 

Oscar hatte sich für ihn natürlich eingesetzt – Graf von Fersen und Marie Antoinette hatten das später auch gemacht und vor allem der Einsatz von der Kronprinzessin hatte André das Leben gerettet. Der König ließ Gnade walten und dann wurde ihr, Oscar, plötzlich schwindlig. Was danach passiert war, daran konnte Oscar sich nicht mehr erinnern – bis gerade eben, als sie ihre Augen wieder öffnete.
 

Sie hörte wie Sophie aus dem Zimmer rauschte – bestimmt um ihren Vater zu holen und ließ sie somit alleine. Nein, nicht alleine! André war ja noch da! Er kniete vor ihrem Bett und sah sie mit vor Freude tränenden Augen an. „Ich habe von unseren Kindheit geträumt, André...“, sagte sie schwach und ein kaum merkliches Lächeln huschte über ihren Mundwinkel. Welch eine Erleichterung, dass er jetzt hier, bei ihr war!
 

„Ach, Oscar...“ André war hin und her gerissen. Welch eine Erleichterung, dass sie aufwachte! Sie war immer noch so, wie sie in ihrer Kindheit gewesen war! Er schämte sich, weil er etwas anderes gedacht hatte. Nun, er hatte dazu seine Gründe... Denn in letzter Zeit dachte er nur an sie und träumte von ihr, aber Oscar hatte mehr Augen für Marie Antoinette und ihm kam es so vor, als wäre er für sie nicht mehr interessanter als ein Pferd...
 

Er wurde jedoch eines besseren belehrt, als Oscar gestern sich für ihn bei dem König eingesetzt hatte! Und als alle nach seiner Begnadigung aufatmen wollten, hatte sie das Gesicht schmerzlich verzogen und ist direkt bewusstlos in seine Arme gefallen. Das war der Schrecken seines Lebens! Aber jetzt sollte wieder alles gut sein, denn Oscar war zu sich gekommen und das hieß, ihr drohte keine Lebensgefahr mehr! Welch eine Freude! Am liebsten hätte er sie in seine Arme geschlossen und nie mehr losgelassen! Allerdings würde sie das bestimmt missverstehen und das wollte er am allerwenigsten...
 

„André...“ Ihre Stimme klang noch schwach und sie fühlte sich ermattet, aber das hinderte Oscar nicht daran aufsitzen zu wollen. Nur waren ihre Glieder anscheinend keine große Hilfe dabei und wollten ihr nicht so recht gehorchen. Zumal ihr verletzter Arm noch schmerzte. „Hilfst du mir?“, fragte sie ihren Freund und André war sofort zu Stelle. Er half ihr, richtete ihr das Kissen hinter dem Rücken und als sie sich zurücklehnte, streiften die Strähnen ihres goldblondes Haares an seiner Wange vorbei. Sofort begann sein Herz schneller zu schlagen und ihm kam es so vor, als stünde es in Flammen - Ihr feines Antlitz, ihre himmelblauen Augen, ihr sinnlicher Mund und diese sündhaft blutroten Lippen...
 

André wagte es nicht sich zu bewegen und glaubte sich in diesem bezaubernden Anblick zu verlieren...
 

Oscar hielt in dem Moment auch inne. Etwas unerklärliches geschah in ihr und breitete sich mit eigenartiger Wärme aus, als Andrés Gesicht so nahe an dem ihren war, wie noch niemals zu vor. Das es ihr dieses angenehme, wohlige Gefühl bescherte müsste sicherlich von seinen Augen kommen! Diese sanften grünen Augen... sie zogen einen wie magisch an. Oder war es vielleicht doch ein Zauber der sie so fühlen ließ? Ihr Atem ging flacher und eine gewisse Röte stieg auf ihren Wangenknochen, ohne dass es ihr bewusst war und ohne dass sie es überhaupt wollte... Warum sah er sie so an?
 

André konnte nicht mehr länger durchhalten – seine Gefühle spielten verrückt und sein Verstand verabschiedete sich von ihm immer mehr. Langsam und vorsichtig senkte er seinen Mund über ihre unwiderstehlichen Lippen und kostete deren süßen Geschmack. Oscar versteifte sich augenblicklich, wollte ihn von sich schieben und ihn anfahren, aber konnte nicht. Seine Lippen fühlten sich zart und weich an – sie konnte sich nicht länger dagegen erwehren, dass es ihr gefiel. Ihre Lippen öffneten sich von alleine, ihr Körper entspannten sich und ihre Arme legten sich um seinen Nacken. Vielleicht lag das an ihrer Schwäche nach der Ohnmacht, das konnte sie nicht sagen, aber es war dennoch schön und was auch immer das war, darum würde sie sich später den Kopf zerbrechen. Jetzt wollte sie diesen berauschenden Moment festhalten und auskosten. Womöglich war das etwas, was sie nie für möglich gehalten hätte – nicht für sie, die wie ein Mann erzogen wurde und für die solche weichen, zarten Gefühle erst gar nicht angebracht waren. Das würde sie noch herausfinden, aber nicht jetzt... Denn jetzt schwebte sie mit ihren Sinnen irgendwo zwischen Himmel und Erde... Der Beginn einer neuen Liebe war nur mit diesem einen Kuss geboren...

Folge 9 (Der König stirbt)

Wie konnten die Menschen so selbstsüchtig und intrigant sein?!
 

Der König, Louis XV lag im sterben und die Höflinge hatten nichts besseres zu tun, als schon seine Tage zu zählen und auf das neue Königspaar sich vorzubereiten! Was ging denn in ihren hohlen Köpfen überhaupt vor?!
 

Oscar wäre am liebsten vor Wut ausgerastet! Aber nein, sie musste die Nerven behalten und für Ordnung sorgen – so wie ihre Pflicht als Kapitän des königlichen Garderegiments es von ihr erforderte! Oscar streckte ihr Gesicht dem Nachthimmel empor, zog scharf die Aprilluft ein und atmete ihn langsam wieder aus. Es war doch ein guter Gedanke, eine Pause zu machen und auf Balkon ihres Gemachs in Versailles für kurze Zeit rauszugehen.
 

„Ich mache mir Sorgen. Wie soll es weitergehen? Der Gesundheitszustand seiner Majestät wird nicht besser“, hörte sie neben sich eine Stimme leise sagen und nickte nur einvernehmlich zu. Oscar hatte fast nicht mehr daran gedacht, dass André auch noch da war. Wenigstens er war ihrer Meinung und es war ein beruhigendes Gefühl, dass sie nicht alleine da stand.

Plötzlich spürte sie eine Bewegung und dann ein leichtes Gewicht um ihre Schultern. In einem anderen Fall hätte sie Andrés Arm von sich geschoben, aber gerade jetzt empfand sie diese Geste von ihm als tröstend. Nun aber musste sie gehen und ihre Stellung bei den Gemächern des Kronprinzen und der Kronprinzessin wieder beziehen. Dennoch wusste sie, dass sie auf ihren Freund immer zählen konnte und sie musste sich doch noch eingestehen, dass seine Anwesenheit ihr schon gut tat. Sie war froh, ihn an ihrer Seite zu haben, auch wenn die Umstände gerade nicht zu Freude beitrugen.
 


 

- - -
 


 

André krempelte seine Ärmel hoch, nahm ein Taschentuch und tauchte ihn in das Wasser, das in der Schüssel auf einem Tisch in Oscars Salon in Versailles stand. Dabei seufzte er tiefsinnig, wrang das Tuch aus und betupfte vorsichtig die blutende Schramme auf Oscars Wange. „Das brennt!“, zischte sie zwischen zusammengepressten Zähnen, aber blieb dennoch reglos und angespannt sitzen.
 

„Ich hätte mitkommen sollen“, erwiderte dagegen André und fragte sich insgeheim, warum Oscar überhaupt so eine offensichtliche Verletzung zugelassen hatte?! Sie hätte nicht zu der Mätresse des Königs gehen sollen! Madame Dubarry hatte Oscar bei der Inspektion der königlichen Soldaten gleich am frühen Morgen zu sich rufen lassen und nun durfte André ihre Wunde versorgen, die durch einen Dolch entstanden ist.
 

„Nein, es war schon richtig, dass ich alleine zu ihr gegangen bin. Und es ist auch nichts weiter passiert – der Kratzer wird ja wieder verheilen.“ Oscar schmerzte zwar die Wunde, aber da Dubarry mit ihrem Dolch nicht tief eingeschnitten hatte, würde später nicht einmal eine Narbe zurückbleiben. Die Mätresse des Königs wollte sie für sich gewinnen, weil seine Majestät im sterben lag und ihr dabei bewusst war, dass ihre Macht am Hofe damit schwand, wenn er sterben würde. Oscar jedoch hatte abgelehnt und Dubarry hatte darauf ihren Dolch gezückt. Was Oscar natürlich nicht eingeschüchtert hatte, sie selbst den Dolch nahe kam und sich so die Schramme auf ihrer Wange zugezogen hatte. Dubarry hatte daraufhin erschrocken den Dolch fallen gelassen und Oscar ihren Salon gleich verlassen.

Nun saß sie hier in ihren eigenen Gemächern und ließ die Wunde von ihrem Freund reinigen. Und wieder musste Oscar insgeheim zugeben, dass sie bei Andrés Behandlung sich wohl fühlte und im tiefsten Winkel ihres unnahbaren Herzens es genoss. Irgendwann würde sie sich dafür revanchieren, denn er war nicht nur ein Freund für sie – in ihrer gemeinsamen Kindheit hatten sie Leid und Freude geteilt, waren beinahe unzertrennlich und so sollte es auch weiter, bis in alle Ewigkeiten bleiben!

Folge 10 (Zwei Schwestern)

Rosalie...
 

Diesen Namen würde Oscar sich für immer merken! Das arme Mädchen hatte Oscar mit einem Mann verwechselt. Rosalie wollte sich ihr für eine Nacht verkaufen, weil sie keine Arbeit mehr finden konnte und keinen Ausweg mehr wusste, wie sie weiter überleben sollte... So jung... Bestimmt nicht älter als fünfzehn oder sechzehn Jahre alt... Rosalie tat Oscar leid und sie hatte ihr ein Goldstück gegeben. Aber würde das ausreichen?
 

„Ich wusste gar nicht, was für ein Elend in dieser großen Stadt herrscht...“
 

„Hast du etwas gesagt, Oscar?“
 

Oscar kehrte schlagartig in die Wirklichkeit zurück – sie musste wohl ihre Gedanken laut ausgesprochen haben. „Es ist nichts, André!“, sagte sie kühl ihrem Gegenüber und schaute aus dem Fenster der Kutsche, in der sie gerade fuhren. Draußen herrschte schon die Dunkelheit des späten Abends – viele Laternen passierten sie, als sie auf der großen Straße fuhren und dann, außerhalb der Stadt, verschlang die Finsternis die Umgebung und es gab nichts mehr, was man erkennen konnte. Nicht einmal die Umrisse der Bäume, an denen sie in Richtung des Anwesens de Jarjayes vorbeifuhren.
 

André hatte Oscar keinen Moment aus den Augen gelassen – sie merkte ja ohnehin nichts davon, so vertieft war sie in ihren Gedanken. Nun gut, das war er auch, denn das arme Mädchen war ihm auch nicht gleichgültig vorbeigegangen – er war ja schließlich genauso wie sie aus dem dritten Stand! Nur hatte er Glück und verdiente sein Unterhalt auf dem Anwesen de Jarjayes, im Gegensatz zu Rosalie. André wusste nicht viel von seinen Mitbürgern aus der einfachen Herkunft und zugegeben, bis jetzt hatte er sich damit auch nicht so intensiv beschäftigt. Oscar offensichtlich auch nicht.
 

„Mach dir darüber keine Gedanken...“, sagte er zu ihr, als sie auf dem Anwesen ankamen und er sie in ihr Salon geleitete. Oscar antwortete nicht und André seufzte, weil seine Worte bei ihr anscheinend nicht ankamen und das Gegenteil bei ihr bewirkten. Oder hatte sie ihm womöglich erst gar nicht zugehört? „Ich finde es gut, dass du es getan hast“, startete er einen erneuten Versuch und erzielte damit sogleich Oscars Aufmerksamkeit. „Was?“ Sie sah ihn leicht verwirrt an, als hätte er sie vor den Kopf gestoßen. André atmete erleichtert auf, Oscar war anscheinend doch noch zu einem Gespräch bereit und er erklärte es ihr gerne: „Ich meine das Goldstück, das du Rosalie gegeben hast.“
 

„Ja...“ Oscar schien wieder nachdenklich zu werden und André stellte sich wieder auf eine langwierige Stille zwischen ihnen beiden ein, als sie nach einem tiefen Seufzer doch weiter sprach: „Aber das Goldstück wird ihr bestimmt nicht lange reichen. Ich würde Rosalie gerne wiedersehen...“
 

Und ihr womöglich eine Einstellung auf dem Anwesen anzubieten, erahnte André den nicht zum Ende ausgesprochenen Gedanken von Oscar. Was für ein goldenes Herz sie doch hatte – durch ihre mannhafte Disziplin und unter ihrer Uniform ganz tief verborgen. André bedauerte das beinahe und wünschte sich auf einmal, sie möge irgendwann mal offen zu ihren Gefühlen stehen und diese weibliche Herzlichkeit in ihr zulassen. Oder sollte er ihr vielleicht etwas auf die Sprünge helfen? Schließlich waren sie Freunde seit Kindesbeinen! „Wir können morgen noch einmal nach Paris fahren, vielleicht begegnest du ihr wieder“, schlug er ihr vor und lächelte etwas.
 

Oscar fühlte sich auf einmal besser. Lag es etwa an André und seinem freundlichen Wesen? Nicht zum ersten Mal stellte sie fest, wie gut es doch war ihn als Freund zu haben. „Eine gute Idee, aber morgen habe ich in Versailles eine wichtige Angelegenheit für Marie Antoinette zu erledigen.“
 

„Dann ein anderes Mal.“ André kam auf sie zu und legte ihr ganz vorsichtig eine Hand auf die Schulter. „Ich bin immer für dich da, wenn du etwas brauchst.“
 

„Das weiß ich, André.“ Oscar wäre normalerweise zurückgewichen, aber solange seine Geste freundschaftlich gemeint war, gewährte sie ihm dies. „Ich wünsche dir eine gute Nacht.“ Das war auch eine höfliche Bitte, dass er gehen sollte und André verstand es. Es war zwar schade, dass er mit seiner Geste bei ihr nicht viel erreicht hatte, aber wenigstens war er zufrieden, dass sie es nicht ablehnte und seine Hand nicht von sich stieß. Es war ganz bestimmt ein guter Anfang und wenn er das öfters machen würde, dann würde er Oscars Herz damit Stück für Stück erobern und sie würde dann in ihm mehr sehen als nur einen Freund und Gefährten seit Kindertagen. Ja, so würde es sein... Für Oscar mochte es als freundschaftliche Geste wirken, aber für ihn war das mehr als das – er würde für Oscar sogar sein Leben geben, dass hatte er sich schon mal geschworen und daran würde er sich auch halten.

Folge 11 (Die Königin von Frankreich)

Beförderung? Welch eine Ehre! Das war das erste Anliegen der frischgewordenen Königin an seine Majestät. Oscar zum Kommandanten des königlichen Garderegiments zu befördern! Aber Oscar selbst schien über ihre Beförderung nicht sonderlich begeistert zu sein – sie nahm das nur als ihre Pflicht an. Nun zog sie ihre weiße Uniformjacke des Kapitäns aus, legte sie über die Lehne eines Stuhls und schaute kurz die Neue an, bevor sie sie anzog.
 

Die rote Uniform stand ihr genauso gut, wie die Weiße – das fand zumindest André, als Oscar in ihrer neuen Uniform aus dem Umkleidezimmer kam. Sogar seine Großmutter war davon hingerissen, wie schön Oscar darin aussah und André gab ihr insgeheim recht. Wenn sie auch noch lächeln würde... Wenigstens ein kleines Lächeln, ein Schmunzeln und dann wäre ihre äußerliche Erscheinung noch besser! Aber nein... Oscar blieb wie immer ernst und verhärmt. Als wäre das schon nicht genug, schickte sie die Kutsche mit Präsenzen, die Marie Antoinette ihr zu Beförderung geschickt hatte, zurück! Warum nur?
 

„Das ist das beste für ihre Majestät.“, folgte Oscars Begründung: „Marie Antoinette ist sehr offen mit ihren Gefühlen. Sie zeigt ihre Zuneigung gegenüber ihren Günstlingen ohne geringsten Versuch sie zu verbergen. Aber all das Geld, das die Königin ausgibt, stammt von den Steuern der einfachen Menschen und ich habe große Angst um Marie Antoinetts Glaubwürdigkeit. Ich frage mich die ganze Zeit, wie das einfache Volk über die Königin denkt.“
 

Ach, deswegen... „Ich glaube, du übertreibst jetzt etwas. Was ist los mit dir?“, versuchte André seine Freundin etwas aufzumuntern. „Das Volk liebt seinen König und es liebt Marie Antoinette.“
 

Sein Aufmunterungsversuch ging jedoch daneben. Oscar zeigte noch immer kein Lächeln. „Hoffentlich hast du Recht mit deiner Einschätzung, André.“, meinte sie dagegen nachdenklich.
 

Nun gut, vielleicht hatte Oscar das, was Marie Antoinette betraf, gar nicht so unrecht. In Versailles nämlich entstanden leise Gerüchte, dass die neue Königin ziemlich oft dem jungen Grafen Hans Axel von Fersen aus Schweden, Aufmerksamkeit schenkt, anstelle ihren eigenen Landsleuten Audienzen zu geben. So war André nicht überrascht, als Oscar in wenigen Tagen den Grafen aufsuchte und ihn darum bat, Frankreich zu verlassen. „Es ist alles zum Besten der Königin und auch zum Besten Frankreichs. Bitte vergebt mir Graf von Fersen.“, dachte sie bei sich, während sie in der Kutsche zusammen mit André Richtung des Anwesens de Jarjayes fuhren.
 

André saß neben ihr und beobachtete sie. So konnte es nicht weiter gehen, wann würde sie ein Lächeln zeigen! Er seufzte schwer. „Es wird alles gut, Oscar.“
 

Oscar antwortete natürlich nichts darauf und schien so versunken in ihren Gedanken zu sein, dass sie ihm womöglich gar nicht zugehört hatte. Auch zeigte sie keine Regung, als er ihr seine Hand tröstend auf den Arm legte und auch sogleich entfernte. Aber sie merkte alles... sie erinnerte sich deutlicher daran, als sie Stunden später in ihrem Zimmer wütend gegen eine Wand mit ihren Fäusten donnerte! „Zum Teufel! Warum nur sind solche Sachen immer noch erlaubt?! Diese verdammten, feigen Aristokraten! Verflucht sei der Herzog!“, knurrte sie außer sich. Nichts war mehr gut! Da konnte André sagen was er wollte, aber das, was sie gerade erlebt hatte, ging gegen jede Moral und Menschlichkeit! Ein Herzog, der so mächtig war, dass nicht einmal der König ihm etwas anhaben konnte, hatte einfach so auf der Straße einen Jungen erschossen – nur weil dieser aus Hunger etwas Geld gestohlen hatte! Wo war denn Andrés „Es wird alles gut, Oscar“?
 

Oscar warf einen eisigen Blick auf ihren Freund, der mit entsetzten Gesichtszügen hinter ihr stand und nicht fähig war etwas zu machen oder zu sagen. „Sag schon etwas!“, verlangte sie beinahe schroff. Er antwortete nicht. Auf einmal war er nicht mehr so gesprächig wie zuvor in der Kutsche, als er sie davon abgehalten hatte, den Herzog zu verfolgen und ihn zu Rechenschaft zu ziehen! Das machte Oscar rasender. Sie wollte von André jetzt gerade etwas hören und donnerte mit ihrer Faust gegen seinen Brustkorb. „Warum sagst du nichts mehr?!“
 

André erwachte aus seiner Starre. Sein Brustkorb schmerzte leicht und Oscars Faust druckte noch immer dagegen. „Was soll ich sagen?“, brachte er mit belegter Stimme hervor. „Was willst du denn hören?“
 

„Irgendetwas!“, forderte sie von ihm und da umfasste er sachte ihren Handgelenk mit seinen Fingern. Oscar stockte. Warum behandelte er sie ständig so behutsam, als wäre sie aus Glas?! Sie forderte ihn gerade unterschwellig auf ein Duell heraus – ob mit Degen oder Pistole war ihr gleich, aber stattdessen versuchte er sie trösten!
 

André ahnte wieder ihren nahenden Ausbruch und verstärkte seinen Griff. „Es tut mir leid Oscar, aber der Herzog ist nun mal der mächtigste Mann im ganzen Land und du kannst nichts mehr tun...“
 

„Doch!“ Irgendwie erleichterte es sie, dass er doch noch etwas sagte. „Ich weiß zwar nicht wie, aber ich werde etwas gegen ihn unternehmen! So ein Vergehen darf nicht ungestraft bleiben!“
 

Oscar suchte nach Gerechtigkeit, begriff André und machte sich um sie noch mehr Sorgen. Denn wenn Oscar sich etwas in den Kopf gesetzt hatte, würde sie es auch durchziehen und er wollte nicht, dass sie in Schwierigkeiten gerät. „Du hast Recht Oscar und ich werde dir helfen.“ Was hätte er denn sagen sollen? Er hatte ja praktisch keine andere Wahl, außer ihrem Vorhaben zuzustimmen – jegliche Widersprüche oder Umstimmungsversuche hätte sie sowieso abgelehnt und noch mehr in Rage getrieben! Aber er wollte doch, dass sie sich beruhigte und seine Aussage schien zu helfen. Er spürte, dass Oscars Muskeln sich entspannten und sah, wie ihre Faust an seinem Brustkorb sich lockerte. „Danke, André.“, murmelte sie und ein kaum merkliches Lächeln huschte über ihren Mundwinkeln. Er hatte es geschafft! Er hatte ihr gerade ein Lächeln entlockt! „Du kannst immer auf mich zählen, Oscar.“, versicherte er ihr und bekam von ihr ein kaum hörbares: „Das weiß ich gut zu schätzen, André...“, bevor sie sich unverhofft an ihn lehnte. Das überraschte sie beide, aber in diesem Moment war es als Danke gemeint und André verstand es. Er legte tröstend seine Arme um Oscar und beide verharrten einen kurzen Augenblick in dieser angenehmen und beruhigenden Umarmung.

Folge 12 (Intrigen)

„Das ist doch schwachsinnig mit dieser Maikäfferfarbe!“ André warf frustrierend einen Stein ins Wasser des Brunnens.
 

„Sei froh, dass es nicht die Farbe einer Wanze ist.“ Oscar stellte einen Fuß auf den Rand des Brunnens und stützte sich leicht auf ihrem Bein ab.
 

André verschränkte seine Arme vor der Brust. „Jetzt wo sie Königin ist, muss sie meiner Meinung nach mehr Zeit damit verbringen unserem Land und dem Volke zu dienen. Aber stattdessen kümmert sie sich um ihr eigenes Wohl und gibt viel Geld für Kleider aus!“ Er lockerte seine Haltung und drehte sich zu Oscar um. „Hast du nicht irgendwann mal gesagt, dass dieses Geld von den Steuern der Bürger stammt? Aber sie amüsiert sich einfach damit!“ Frustriert setzte er sich auf den Rand des Brunnen. „Andauernd geht sie in die Oper und besucht Bälle, sie gibt es mit vollen Händen aus!“
 

„André, so solltest du nicht über sie reden“, sagte Oscar gelassen.
 

„Und wieso nicht?“ André sah sie verständnislos an. „Du selbst warst es doch, die sich Sorgen darüber machte, was die Menschen über die Königin denken könnten.“
 

„Darüber mache ich mir immer noch Sorgen.“ Oscar richtete sich auf und bewegte sich mit langsamen Schritten zurück in das Schlossgewölbe von Versailles. „Aber im Moment soll sie tun, was ihr gefällt. Königin zu sein ist nicht so einfach wie man es annimmt.“ Oscar blieb stehen und drehte sich um. „Marie Antoinette ist sehr einsam. Auch die schönste Rose verdorrt, wenn man sie nicht gießt. Wie soll ein Seemann auf hoher See sein Boot lenken, wenn Wolken die Sterne und den Mond verdecken?“
 

André erhob sich verwundert. „Sprichst du von Grafen Hans Axel von Fersen?“
 

„Alles was sie jetzt tut - In die Oper gehen, Bälle besuchen und Kleider kaufen, soll ihre Einsamkeit verdrängen. Komm, wir wollen nachsehen wie weit das Essen für morgen vorbereitet ist.“ Oscar klang irgendwie melancholisch und das verwunderte André noch mehr, denn in dieser Stimmung hatte er sie bisher noch nicht erlebt. Er folgte ihr und dachte darüber nach, warum sie so war. Auch Oscar versank in Grübeleien – allerdings über Marie Antoinette und ihren Gefühlen zu Graf von Fersen. Es würde bestimmt vergehen, denn die Zeit heilte die Wunden und es war gut so, dass Graf von Fersen fort war – so würde ihn Marie Antoinette irgendwann vergessen und ihre Pflichten als Königin wieder aufnehmen...
 


 


 

Oscar lag spät abends nach der Schießübung für das morgigen Duell mit dem Herzog de Germain, der einen kleinen Jungen in Paris erschossen hatte, im Garten des elterlichen Anwesens und dachte über die Geschehnisse des heutigen Nachmittags nach. Sie hatte den Herzog herausgefordert und nun bereitete sie sich seelisch und moralisch vor. Sie war so vertieft darin, dass sie nicht mitbekam wie André zu ihr kam. „Was ist, kannst du nicht schlafen?“, fragte er und sie hörte deutlich eine gewisse Sorge in seiner Stimme. „Mache dir meinetwegen keine Sorgen“, wollte sie ihn beruhigen.
 

„Wieso Sorgen?“ André ließ sich neben ihr nieder und zog seine Beine an sich. „Ich bin sicher, dass du gewinnst.“
 

Wenn es so war... Oscar atmete tief ein und aus. „Ich sehe da auch kein Problem.“
 

„Trotzdem wäre es besser, wenn du schlafen gehen würdest.“, bemerkte er, aber bekam nur einen flüchtigen Blick von ihr zur Antwort. André zeigte auf eine Gruppe Bäume in ihrer Nähe mit seinem Arm. „Weißt du noch, als du sieben warst, dann hast du unter diese Eiche dort einen Schatz vergraben. Du warst ziemlich stolz auf das Versteck.“
 

Oscar schloss ihre Augen. „Nein, das weiß ich nicht mehr.“ Wo will er damit hinaus?
 

„Es war ein Kreisel aus Blei und ein rotes Messer.“ André versuchte sich sogar in einem Lächeln. „Ob sie noch da sind?“
 

„Ich erinnere mich nicht.“ Was soll das? Er sollte lieber klar reden, was er wirklich will!
 

„Am besten verschwinden wir morgen früh durch die Hintertür, damit Großmutter von all dem nichts mitbekommt.“
 

Ah, jetzt kommen wir schon der Sache näher! „Girodel ist morgen mein Sekundant, du musst also nicht mitkommen.“
 

„Wie du willst, na schön.“ André seufzte schwer, seine Überredungskünste hatten fehlgeschlagen. Aber was hatte er denn anderes erwartet? Er stand auf. „Und trotzdem. Den einen Weg werde ich dich begleiten. Aber wie es scheint, willst du allein sein. Pass auf, dass du dir nicht die Schulter verkühlst.“
 

Anscheinend war ihm diese Sache sehr ernst... „André...“, hielt ihn Oscar auf, als er gehen wollte. Sie wollte wirklich nicht, dass er sich ihretwegen Sorgen machte.
 

„Was ist? Hast du etwa doch Angst vor morgen?“ Hatte er wieder diesen weichen Unterton mit einer Note von Melancholie in ihrer Stimme vernommen?
 

„Angst? Aber nein.“ Oscar schlug ihre Augen auf und saß auf. „Doch natürlich, ich habe Angst. Aber nicht so sehr vor meinem Gegner. Ich habe mehr Angst davor, plötzlich in eine Situation zu geraten, wenn es um sehr wichtiges geht: nämlich um die Würde des Menschen. Der Herzog ist ein bösartiger Mann. Für ihn sind arme und schwache Menschen ohne Bedeutung – er verachtet sie.“ Oscar erhob sich auf die Beine. „Wenn wir solchen Menschen erlauben sich so zu benehmen wie sie wollen, dann schadet es allen Adligen und das wirft auch Schatten auf die königliche Familie. Deshalb muss ich etwas unternehmen. Doch es fällt mir nicht leicht jemanden zu töten, auch wenn er ein schlechter Mensch ist.“ Oscar drehte sich um und hielt bei André an. „Falls ich das Duell morgen früh nicht überleben sollte, kannst du den Schatz, der sich unter der Eiche befindet, behalten. Ich vererbe ihn dir. Ein Kreisel aus Blei, ein rotes Messer und einen Zinnsoldaten.“ Sie schmunzelte etwas und ging langsam ins Haus. „Ich bin müde. Gute Nacht.“
 

Einen Zinnsoldaten? Also erinnerte sich Oscar doch noch an jenen Tag aus ihrer gemeinsamen Kindheit? André holte sie im Haus ein. „Oscar, warte einen Augenblick!“
 

„Was ist, André?“
 

„Also kannst du dich doch noch an die Schatzkiste erinnern?“ André kratzte sich leicht verlegen am Kopf, er wollte sie nicht länger unnötig aufhalten, aber eine Antwort darauf hätte er schon gerne gewusst.
 

Wieso war ihm das denn so wichtig? „Kann schon sein.“, sagte sie knapp und wollte ihren Weg zu ihrem Zimmer fortsetzen, als seine leisen Worte sie wieder aufhielten. „Ich kann die Schatzkiste nicht behalten... Ohne dich wird sie an Bedeutung verlieren... Es wird alles an Bedeutung verlieren, wenn du nicht mehr da sein wirst...“
 

„André...“ Oscar verschlug es die Sprache. Dass sie jemanden so wichtig war, hätte sie nicht gedacht. Besonders nicht ihrem Freund und treuen Begleiter. Sekunden der Stille schienen wie endlose Stunden zu vergehen, bis Oscar einen entstandenen Kloß in ihrem Hals herunterschluckte und ihre Sprache doch noch fand. „Ich werde zurückkehren, versprochen.“ Zaghaft legte sie ihm die Hand auf die Schulter, zog sich auf die Zehenspitzen zu ihm und hauchte ihm einen Kuss auf die Wange. „Schon alleine deinetwegen. Ich kann dich doch nicht deiner Großmutter ausgeliefert lassen.“ Sie schmunzelte, als er sie vollkommen verblüfft anschaute. „Gute Nacht.“, flüsterte sie noch einmal und ging errötet in ihr Zimmer. Diese Tat war für sie selbst überraschend, aber vielleicht würde es Andrés Sorge um sie zerstreuen und er würde nicht so traurig ausschauen. Denn in all den Jahren ihrer gemeinsamen Freundschaft hatte sie bereits eines festgestellt: Wenn er glücklich war, dann war sie das auch.

Folge 13 (Die Begegnung)

Oscar und André waren auf dem Weg nach Arras und die Sonne war gerade dabei über dem Horizont auf zu gehen, färbte den Himmel in helle Orange- und Rottöne. André war ganz fasziniert von dem Naturschauspiel, welches er auf dem Weg nach Arras beobachten durfte. So, als hätte er noch nie so etwas gesehen. Nun ja, seine Großmutter schimpfte ja ihn nicht umsonst einen Langschläfer...
 

Oscar beobachtete ihn die ganze Zeit von der Seite und schmunzelte leicht. Die hellen Strahlen der roten, aufgehenden Sonne umfassten sein ganzes Gesicht und seine schmächtige Statur. André ähnelte in seiner Faszination und Freude fast einem kleinen Jungen, der zum allerersten Mal einen Sonnenaufgang gesehen hatte. Nun gut, die meisten Sonnenaufgänge verschlief er ja...
 

„Zu streng...“, entfuhr es ihm auf einmal, als sie von dem Hügel durch ein kleines Wäldchen ritten. Oscar zog ein fragendes Gesicht und André klärte sie auf. Er fand, die Königin hatte Oscar mit dreimonatigen Hausarrest zu hart bestraft.
 

Ach, das war es also! Aber wie kam er plötzlich darauf? Oscar klärte ihn im Gegenzug auf, dass die Bestrafung noch angemessen war, da sie eigentlich ihren Posten als Kommandant niederlegen müsste. Denn der Herzog de Germain, mit dem sie sich duelliert hatte, zählte nun mal zu einem der mächtigsten Männern in ganz Frankreich.
 

Sie ritten weiter nach Arras und beobachteten dabei weiter den Sonnenaufgang. Die Sonne stieg immer höher, die roten und orangenen Streifen am Himmelsgrund wurden immer heller und kündigten immer mehr den Einbruch des neuen Tages an. Aber was waren das für Gefühle, die dabei hochkamen? Gefühle, die man nicht beschreiben konnte und die dennoch angenehm die Haut kribbeln und das Herz melancholisch schlagen ließen...
 


 

- - -
 


 

Oscar trieb wie besessen ihr Pferd – so, als wäre sie auf der Flucht. Aber sie war nicht auf der Flucht, sie war nur wütend auf sich selbst und darüber, was sie in der kurzen Zeit erfahren durfte. Sie hatte zwar einem Bauernjungen das Leben gerettet, aber ihr wurde noch zusätzlich klar, dass das einfache Volk sich mehr und mehr von dem König und der Königin abwendete.
 

André ritt dicht hinter ihr und warnte sie, sie solle nicht das Pferd zu Schande treiben, aber sie hörte nicht auf ihn und stürzte ab. André eilte sofort umsorgt zu ihr und fragte nach ihrem Befinden, aber bekam keine Antwort. Oscar verzog schmerzlich das Gesicht, André hob sie auf seine Arme und ließ sich dann mit ihr am nahestehenden Baum nieder. „Ach, Oscar, an deiner Oberfläche bist du so kalt wie die Eisblume im Winter. Aber in deinem Herzen brennt das Feuer der Leidenschaft. Ich muss zugeben, gerade das gefällt mir so sehr an dir“, dachte er dabei, während er seine Freundin neben sich betete. Oscar merkte davon nichts, sie war wie eingeschlafen und André betrachtete sie so fasziniert, wie den Sonnenaufgang gestern auf dem Weg nach Arras. Wie schön sie war... So liebreizend, mutig und gerecht. Ach warum musste sie unbedingt wie ein Mann erzogen werden? Und warum waren sie nicht gleichen Standes, dann könnte er...
 

Nein, das würde nie passieren – Oscar war nicht wie eine Frau erzogen und würde höchstwahrscheinlich niemals solche schöne Gefühle, die einem das Herz schneller schlagen ließen, zulassen geschweige denn empfinden. Aber er würde in ihr immer eine Frau sehen, egal wie authentisch sie in der Rolle eines Mannes auftrat.
 

Ach, Oscar... André war hin und her gerissen und dann, wie von einer magischen Kraft angezogen, beugte er sich über sie und berührte hauchzart ihre Lippen mit den seinen... Sie würde doch sowieso nichts merken... Ihre Lippen, so weich und betörend... und unberührt... Welch eine Sünde, ihr den Kuss zu stehlen... Scham stieg in ihm hoch und er entfernte sich von ihr.
 

Als hätte Oscar ihn gehört und gespürt, schlug sie plötzlich ihre Augen auf und saß wie gestochen auf. „Wer hat da gesprochen?!“
 

„Hier war niemand, glaube mir!“ Erschrocken suchte André nach einer Antwort. Hatte er etwa seine Gedanken laut ausgesprochen? War es möglich, dass sie ihn gehört und gespürt hatte? Nein, das konnte nicht sein! „Ähm, du meinst sicher das Rauschen des Windes“, fand er schnell eine erstbeste Antwort, die ihm gerade durch den Kopf ging.
 

„Ja, wirklich. Vielleicht war es das“, vermutete Oscar und schloss ihre Augen.
 

Also hatte sie nichts mitbekommen, verstand André und wusste nicht, ob er sich darüber freuen sollte oder nicht. Einerseits war es gut, aber andererseits hätte er gerne erfahren, was sie für ihn empfand... Sicherlich nur Freundschaft... André seufzte und erntete gleich ihre Aufmerksamkeit. „Was hast du, André?“
 

Diesmal sagte er nichts, denn das würde sowieso nichts bringen – nicht bei Oscar. „Nichts.“, meinte er deswegen.
 

Hmmm... eigenartig... Oscar bekam das Gefühl, das er nicht ganz ehrlich mit ihr war. Und warum war er so rot im Gesicht? Was ist das für eine Wärme und das Kribbeln auf ihren Lippen? Oscar befühlte vorsichtig ihre Lippen mit den Fingern, aber konnte nichts feststellen. In dem Moment sah André fast erschrocken zu ihr. „Was ist?“, fragte sie barsch und senkte ihren Arm. Irgendetwas stimmte mit ihm nicht, er benahm sich merkwürdig – so, als verheimliche er etwas von ihr!
 

André schüttelte nur den Kopf und senkte seinen Blick. „Nichts...“ Schon wieder die seltsame Antwort!
 

„Doch!“ Oscar hielt nicht mehr aus und wirkte grimmiger. „Sag es mir!“
 

„Lass uns nach Hause aufbrechen“, murmelte André und stand auf. War das wirklich das, was ihn beschäftigte? Oscar zweifelte daran und würde das noch herausfinden! Wenn nicht hier und jetzt, dann bestimmt auf dem Heimweg oder Zuhause!

Folge 14 (Oscar ergreift Partei)

Der General hatte es wieder getan – er hatte Oscar geschlagen, weil sie entgegen ihres Hausarrestes nicht auf dem Anwesen geblieben war. Sie hatte somit die Anordnung der Königin missachtet und war unerlaubt nach Arras geritten! Nur weil sie sehen wollte, wie die Bauern auf dem Landgut der Familie de Jarjayes lebten. Sie hatte zwar dem General über die Not der einfachen Menschen geschildert, aber ihr Vater hatte das nicht verstanden und sie mit einer heftigen Ohrfeige zu Boden gebracht.
 

„Reine Adlige?“, schnaubte Oscar außer sich vor Wut, nachdem der General fort war. „Na und! Zu Hölle damit!“ Mit Wucht donnerte sie ihre Faust gegen die Wand, den entstandenen Schmerz ignorierte sie dabei und versuchte die ganze Hilflosigkeit und den Zorn niederzuringen. Dann vernahm sie eine Bewegung hinter sich und drehte sich um.
 

„Ist ja gut Oscar.“ André kam zu ihr, machte die Tür zu und sah sie musternd an. Arme Oscar! Sie bemühte sich um eine gerechte Welt, aber niemand versteht sie – nicht einmal ihr eigener Vater!
 

„Was wird denn gut?“, schnaufte sie und André legte in diesem Moment seine Arme um Oscar. „Alles“, flüsterte er und zog sie sachte an sich. Was machte er da? War er etwa lebensmüde geworden? Aber was hätte er denn sonst tun sollen? Mit einfachen Worten hätte er nicht viel bei ihr erreicht und Oscar sah gerade danach aus, als hätte sie eine Trost spendende Umarmung bitter nötig.
 

Oscar wollte André auf der Stelle von sich stoßen und ihn anfahren, was das sein sollte, aber sie konnte nicht. Dies hier erinnerte sie an ein paar Momente aus ihrer gemeinsamen Kindheit, als sie auf diese Weise und nachdem ihr Vater sie bestraft hatte, bei ihm Trost gesucht hatte. Das tat gut... Ihr Zorn und hilflose Wut ebbten sich langsam ab und mit jedem Atemzug wurde ihr Körper entspannter...
 

André spürte, wie die Anspannung aus ihr wich und erlaubte sich, sie noch etwas näher an sich zu drücken. „Siehst du Oscar, es wird wieder alles gut...“, murmelte er in ihr weiches Haar und genoss diesen seltenen Augenblick ausgiebig.
 

„Ja...“ Oscar verfiel noch mehr in die Zeit aus ihrer und Andrés unbeschwerten Kindheit. Wie sorglos sie damals waren und André gab ihr diese Sorglosigkeit gerade zurück. Das war sehr nett von ihm und es war schon immer schön, ihn als treuen Freund und Gefährten zu haben. Irgendwann würde noch die Zeit kommen, wo sie sich bei ihm revanchiert. Aber nicht jetzt, wo es gerade so gemütlich und warm in seinen Armen ist... Nur ein einfaches: „Ich danke dir André, für alles“, verließ ihre Lippen und bei André breitete sich ein seliges und zufriedenes Lächeln aus.

Folge 15 (Der Erbe der Bourbonen)

Oscar stand abends auf dem Balkon ihres Salons und dachte über die Königin und ihre hohen Ausgaben. Die stickige Luft von dem heißen Tag kühlte sich ab und streifte angenehm auf ihrer Haut. „Oscar?“, hörte sie Andrés Stimme hinter sich und drehte sich zu ihm um – er lehnte sich auf dem Stuhl lässig zurück, seine Arme verschränkte er hinter dem Kopf und seine Füße lagen ausgestreckt auf dem Tisch. „Sag mal, kommen Madame de Polignac und die anderen Damen heute Abend in den Salon der Königin, um Roulette zu spielen?“
 

„Ja.“ Oscar kam auf ihn zu. „Der König hatte ihr zwar erlaubt nur ein einziges mal zu spielen, aber sie ist ganz verrückt danach geworden. Sie verliert furchtbar viel Geld.“
 

André lachte auf. „Aber das ist doch gerade der Zweck des Spiels, dass die Menschen dabei ihr Geld verlieren. Ich jedenfalls hätte die Königin für kluger gehalten. Na ja, da haben wir uns wohl alle getäuscht.“
 

Oscar rastete aus, auch wenn sie André recht geben musste, gefiel es ihr trotzdem nicht, wie er über Ihre Majestät sprach. Frustriert schubste sie André vom Stuhl und marschierte aufgebracht aus dem Zimmer. „Hey, was soll das!“, rief dieser am Boden liegend, aber wurde nicht wahrgenommen. „Ich glaube, ich habe was falsches gesagt...“, murmelte er und hob wieder seine Stimme: „Oscar, warte, wo willst du hin?“ Aber Oscar hörte ihn nicht mehr. Sie nahm sich ein Pferd und verließ geschwind das Anwesen.
 

Als sie am frühen Morgen zurückkehrte, merkte André an ihrem wütenden Gesichtsausdruck sofort, dass etwas schiefgelaufen war. „Was ist passiert, Oscar?“
 

„Nichts!“, giftete sie ihn an. „Nimm lieber deinen Degen und lass uns eine Runde fechten!“
 

Das brauchte Oscar, um ihre miese Laune zu verarbeiten, das wusste André und befolgte, was sie sagte. Er wartete eine Weile auf sie auf dem Hof, sie musste sich ja noch in ihre bequemen Hauskleider umziehen und als sie kam, begann sofort das Fechttraining. André parierte gekonnt ihre Hiebe, wich ihr aus und sie setzte ihm immer heftiger zu. „Ich weiß, wie es in deinem Herzen aussieht!“, verlautete er im Sturm des Gefechts, ihm wurde so vieles einleuchtend. „Ich weiß, dass du Madame de Polignac nicht ausstehen kannst! Aber wenn du nicht vorsichtig genug bist, dann wirst du ihrer Majestät nur schaden!“
 

Seine Aussage trieb Oscar noch mehr in Rage und kaum dass André sich versah, schlug sie ihm den Degen aus der Hand. Aufgewühlt stand sie vor ihm und atmete pausenlos, als er plötzlich sein Handgelenk umfasste und vor Schmerzen krümmte. „André!“ Erschrocken eilte sie zu ihm. „Es tut mir leid...“
 

„Es ist nichts, es ist nur ein Kratzer.“ Er lächelte, was Oscar nicht verstand. Wie kann er bei Schmerzen lächeln?
 

„Zeig her!“, verlangte sie mit Nachdruck und griff schon selbst vorsichtig nach seinem Arm.
 

„Es ist wirklich nichts passiert, Oscar.“ André entfernte dennoch seine Hand von der verletzten Stelle und gewährte Oscar den Einblick auf sein Handgelenk. Das Hemd war aufgeschlitzt und auf seiner Haut prangte wirklich ein leicht blutender Kratzer.
 

„Das muss verbunden werden.“ Es war auf einer Art rührend, wie gelassen und mit einer Note von Sorge in der Stimme Oscar dies sagte. Ihr Ärger über die gerissene Madame de Polignac schien augenblicklich verflogen zu sein und André schmunzelte noch breiter. „Das ist nett von dir, aber es ist nicht nötig, Oscar.“
 

Die ungewöhnliche Sanftheit in seiner Stimme ließ Oscar auf einer unbekannter Weise erschauern. Sie hob den Blick und sah ihm direkt in die Augen. „Wieso nicht?“
 

„Es verheilt doch auch ohne.“ André verlor sich buchstäblich in ihren himmelblauen Augen, die eigenartig glänzten und ihm ein unbeschreiblich schönes Gefühl nach Zuneigung gaben... Dieser Glanz kam nicht von der Sonne, er wusste selbst nicht genau was das war, aber es gefiel ihm. Oscars Wangen überzogen sich mit einer feiner Röte und wenn ihr Herz zuvor vor der aufgeladener Wut auf Madame de Polignac rasend geschlagen hatte, dann schlug es jetzt aufgeregt wegen etwas anderem... Aber was war das für ein warmes, angenehmes Gefühl, das in ihr empor stieg? War das etwa wegen André?
 

„Wenn du meinst...“ Die Worte verließen ihre Lippen leise und bedeutungslos, aber André verstand sie dennoch. Am liebsten hätte er diese Lippen gerne geküsst, deren Geschmack gekostet und Oscar seine Gefühle gestanden... Aber würde sie das wollen?
 

„Du brauchst dir um mich wirklich keine Sorgen machen, Oscar.“ André hielt das nicht mehr aus, seine Gefühle gewannen die Oberhand und sein Gesicht nährte sich dem ihrem.
 

Oscar hielt inne, ihr Herz schlug immer schneller und drohte aus ihrem Brustkorb herauszuspringen. André wollte sie doch jetzt nicht etwa küssen? Aber wieso? „André...“ Sie wollte ihm etwas sagen, ihn vielleicht auch noch ermahnen, aber nach einem zarten: „Ich liebe dich, Oscar“, spürte sie schon seine Lippen auf den ihren...

Folge 16 (Die fremde Schwester)

Rosalie... Das arme Mädchen hatte es in ihrem Leben nicht leicht: Zuerst wollte sie sich an Oscar verkaufen, weil sie Oscar mit einem Mann verwechselt hatte und dann wurde Rosalies Mutter von der Kutsche einer Adligen überfahren...
 

Oscar nahm Rosalie bei sich auf, half ihr die Mörderin ihrer Mutter zu finden und kümmerte sich um sie wie um eine kleine Schwester. Dann bat Oscar André bei einem gemeinsamen Ausritt um einen Gefallen, dass er sich eine Woche lang um Rosalie kümmern sollte und er stimmte ihr zu. Er liebte Oscar von ganzen Herzen und konnte ihr deshalb niemals eine Bitte abschlagen, aber sie merkte nichts von seinen Gefühlen. Leider... André seufzte trübsinnig und erntete sofort Oscars Aufmerksamkeit. „Was ist mit dir?“
 

„Ach, nichts, Oscar.“ André lächelte und Oscar runzelte die Stirn. Es sah nicht danach aus und sie bekam das Gefühl, als wäre er nicht ganz ehrlich mit ihr. „Wenn du dich nicht um Rosalie kümmern willst, dann sage es mir hier und jetzt!“ Ihre Stimme war eine Spur zu schroff und erschreckte André. „Es hat nichts mit Rosalie zu tun.“, meinte er ehrlich.
 

„Womit dann?“ Oscar ließ nicht locker. „Wieso ziehst du auf einmal so ein trübes Gesicht?“
 

„Ich sagte doch, es ist nichts, Oscar.“ André wäre am liebsten davon galoppiert, aber wusste nur zu gut, dass Oscar auch später auf dieses Thema zurückkommen würde. Um es erst gar nicht dazu kommen zu lassen, versuchte er davon abzulenken und gleichzeitig ihr die Frage zu beantworten. „Glaub mir, Oscar, ich werde mich gerne um Rosalie kümmern, solange du in Versailles bist. Es kommt mir nur etwas ungewohnt vor, eine ganze Woche ohne dich auf dem Anwesen zu verbringen. Aber keine Sorge, ich werde schon darüber hinwegkommen. Immerhin sind wir keine Kinder mehr und können auf uns selbst gut aufpassen...“ Was redete er da für sinnloses Zeug? Es brachte doch keinen Zusammenhang! Am besten würde er den Mund halten und nichts mehr sagen! „Ja, genau so ist es und wie du siehst, es ist wirklich nichts mit mir, Oscar“, beendete er und verstummte.
 

Oscar betrachtete sein angespanntes Gesicht, seinen Blick, der stur geradeaus gerichtet war und merkte, wie er verbissen seine Lippen aufeinander presste. Das Gefühl, dass er nicht ganz ehrlich mit ihr war, verstärkte sich. Aber was soll´s... Jeder hat irgendwelche Geheimnisse und solange es nicht mit ihr zu tun hatte, war alles in Ordnung. Allerdings würde ein wenig Beobachtung nicht schaden und vielleicht würde sie dann selbst herausfinden können, was mit ihrem Freund los war...
 


 

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Wie schön doch Rosalie in einem Ballkleid aussah und wie gut konnte André mit ihr doch tanzen. Um Rosalie zu helfen, die Mörderin ihrer Mutter zu finden, nahm Oscar sie mit auf einen Ball mit und hatte für das Kleid gesorgt, damit alle Anwesenden sie für eine Adlige hielten. Der Plan schien aufzugehen und Oscar war sehr zufrieden. André führte Rosalie im Tanz mit Grazie und Oscar bekam plötzlich den Wunsch, an ihrer Stelle sein zu können. Aber sogleich lachte sie stumm über sich selbst. Sie würde niemals tanzen und erst recht nicht ein Kleid tragen – sie wurde nicht dafür erzogen und andererseits wollte sie das auch gar nicht. Dennoch stach etwas in ihrem Herzen, während sie immer weiter André im Tanz mit Rosalie beobachtete. Zum Glück nicht für lange. Es gab einen kleinen Tumult und im nächsten Augenblick richtete sich die ganze Aufmerksamkeit von allen Anwesenden auf Rosalie und noch einem Mädchen, Madame de Polignacs Tochter Charlotte. Sie sprach Rosalie nicht gerade nett an und zu ihrer Verteidigung warf Rosalie nach ihr mit ihrem Fächer, bevor sie mit Tränen im Gesicht aus dem Ballsaal wegrannte. Rosalie tat Oscar und André leid, wie diese von Charlotte bloßgestellt wurde und sie liefen ihr unverzüglich nach. Ihre Arme berührten sich dabei unbeabsichtigt und für einen Wimpernschlag überzogen sich ihre Wangen mit einem feinen Rot. Oscar warf einen kurzen Blick auf André und merkte nur, wie er verlegen seinen Blick sank und seinen Schritt verlangsamte, um sie vorzulassen. Oscar kam das bekannt vor. Beim heutigen Ausritt hatte er genauso ausgesehen und Oscar nahm sich vor, sich noch heute darum zu kümmern, aber jetzt war Rosalie dran.
 


 

Auf dem Anwesen, nachdem Rosalie sich gefangen hatte und bereits schlief, brachte André einen Tee in Oscars Salon. Diese bedankte sich und wartete, bis er den aromatisch duftenden Tee in ihre Tasse goss und vor ihr hin stellte. Danach machte er für sich den Tee und spürte dabei den eindringlichen Blick von Oscar auf sich. Das behagte ihm nicht und er kam sich seltsam dabei vor. „Wie geht es Rosalie?“, fragte er, um sie davon abzubringen.
 

„Ich hoffe besser“, meinte Oscar und nahm doch noch einen Schluck von ihrem Tee. Aber als sie die Tasse von ihren Lippen absetzte, überging sie gleich zu dem, was sie heute fast den ganzen Tag beschäftigte. „Du bist heute seltsamer als sonst. Fehlt dir etwas?“
 

Ja, ihm fehlte etwas und zwar... Aber nein! Das durfte er nicht verraten! „Was soll mir schon fehlen?“, konterte er und grinste dabei flegelhaft. „Ich bin so wie immer.“
 

Das reichte! Die Tasse klimperte, als Oscar sie auf den Unterteller hastig abstellte und ein wenig von dem Tee kippte über den Rand. André griff sogleich nach einer Serviette und tupfte die kleine Pfütze von dem Tisch. Ein kleines Missgeschick konnte schon mal passieren. Plötzlich sah er Oscars Hand in seinem Blickfeld und im nächsten Augenblick spürte er schon den Griff ihrer schmalen Fingern um sein Handgelenk. Er hielt in seiner Bewegung inne und sein Herz setzte aus, als er zu ihr aufsah. Sie war gereizt und er glaubte Blitze in ihren blauen Augen zu sehen. Was war mit ihr auf einmal los? Hatte er etwas falsch gemacht?
 

„Erzähl mir alles, was mit dir los ist!“, verlangte sie auffordernd und André schluckte hart. Sie gab ihm keine Möglichkeit zur Ausrede und André bezweifelte, dass sie es ihm glauben würde. Also gut, wenn sie das wollte... „Ich...“ Er senkte verlegen seinen Blick auf ihre Hand und schloss die Augen. „Vergib mir, aber...“ Er schluckte noch einmal einen dicken Kloß in seinem Hals und brachte kleinlaut den Satz zu Ende: „...ich bin verliebt...“ Es war gesagt, aber besser ging es ihm dadurch nicht. Ihm kam es so vor, als reiße der Boden unter seinen Füßen auf und er würde gleich in den Abgrund stürzen...
 

„Verliebt?“ Oscar entfernte überrascht ihre Hand von seinem Handgelenk. In wen? Wollte sie wissen, aber biss sich auf die Zunge. Vielleicht würde es besser sein, wenn sie das gar nicht wissen würde... Es war natürlich seine Angelegenheit, wenn er sich verliebte und sie durfte sich dabei nicht einmischen... Komisch nur, dass ihr Herz dabei schmerzte und sie das Gefühl bekam, als würde sie ihn zum letzten Mal sehen... Beinahe traten ihr deswegen die Tränen in die Augen und sie wischte sie mit dem Ärmel verächtlich weg. Sie durfte doch keine Schwäche zeigen, nicht einmal vor André! Dennoch entfuhr ihr ungewollt ein Schluchzen und André schaute sie sofort an. Besorgnis und Verwunderung lag in seinen Blicken, was sie für kurz irritierte. „Du weinst?“ Sofort stand er vor ihr und Oscar zog ein mattes Lächeln. „Ich und weinen? Ich freue mich nur für dich...“
 

Ach wirklich? André glaubte ihr nicht so recht. Oder hatte sie das nicht richtig verstanden? Er hatte ja nicht gesagt, in wen er verliebt war... Dennoch schien das Oscar hart zu treffen, denn sonst würde sie auf so etwas nicht trüb und mit feuchten Augen darauf reagieren. Dass er ihr wichtig war, wusste André schon immer. Aber so wichtig? Oder hieß das etwa, dass sie in ihm mehr sah als nur einen Freund seit Kindesbeinen und womöglich mehr zu ihm empfand als sie es sich selbst jemals eingestehen können würde?
 

Ganz vorsichtig berührte André Oscars samtweiche Haarlocke, bemerkte noch mehr die irritierenden Blicke von ihr, spürte wie sie den Atem anhielt und las viele Fragen in ihren leicht geweiteten Augen. „Du bist immer so schön und wunderbar, Oscar... Ich bin so oft mit dir zusammen und fühle mich einsam und verlassen, wenn du ohne mich für ein paar Tage in Versailles unterwegs bist... Aber wenn ich wieder an deiner Seite sein kann und mit dir die Zeit verbringe, dann füllt sich mein Herz mit Freude... Wie ein Schatten folge ich dir überall hin und du leuchtest wie das Licht der Sonne... Ja, ich bin verliebt... Verliebt in dich... Vergib mir wenn du kannst, aber ich kann nicht ohne dich... ich... ich liebe dich...“
 

„André...“, entfuhr es Oscar entgeistert von den Lippen und auch ihr Körper fühlte sich wie erstarrt. Sie hatte sein Geständnis nicht erwartet und erst recht hatte sie nicht erwartet, dass er in sie verliebt war... Sie schluckte, ihr Herz beschleunigte den Schlag immer mehr und drohte aus ihrem Brustkorb zu springen... In ihrem Kopf rauschte es und ihre Gedanken und Gefühle überschlugen sich... Sie wollte zurückweichen, aber ihre Beine waren schwer wie Blei und sie konnte nichts anders als wie eine Statue da zu stehen, unfähig von sich überhaupt eine Regung oder ein Wort zu geben.
 

„Oscar?“ André bekam langsam Schuldgefühle. Sie dermaßen vor den Kopf zu stoßen wollte er auf keinen Fall, aber sie hatte ihn doch aufgefordert ihr alles zu erzählen... „Sag doch etwas...“, bat er kleinlaut. „Es tut mir leid, ich wollte dich nicht so erschrecken...“
 

„Nein...“, kam es von ihr leise zurück. Seine Stimme schien ihr wenigstens beim sprechen zu helfen. „Du hast mich nicht erschreckt. Du hast mich überrumpelt. Ich muss nachdenken...“
 

„Das verstehe ich, Oscar.“ André entfernte sich von ihr, auch wenn es ihm schwer fiel. „Du kannst so viel nachdenken wie du willst und ich werde immer auf dich warten.“
 

„Ich danke dir, André...“ Oscar wünschte ihm eine gute Nacht und als er fort war, schaute sie noch lange die geschlossene Tür zu ihrem Salon an. Sie wusste, dass in dieser Nacht weder sie noch er gut schlafen würden. Dennoch war es richtig so, dass er jetzt gegangen war und ihr Zeit zum Nachdenken gab. Das brauchte sie und war ihm von Herzen dankbar dafür. Morgen würde es vielleicht alles anders aussehen und sie würde ihm die Antwort geben können... Eine Antwort, die ihn nicht enttäuschen und sie später nicht bereuen würde...

Folge 17 (Das Attentat)

„Tut mir leid, Oscar, aber das sehe ich anders. Ich glaube nicht, dass die machthungrige Madame de Polignac die Sache auf sich beruhen lässt“, meinte André wegen dem Vorfall zwischen Charlotte und Rosalie auf dem gestrigen Ball. „Und schon gar nicht, wo sie vor Augen der Königin in die Enge getrieben wurde.“
 

„Daran lässt sich nichts ändern. Wir haben keine andere Wahl, als zu behaupten, dass Rosalie von adliger Herkunft ist.“ Oscar blieb gelassen. „Sonst wird sie am Hofe die Mörderin ihrer Mutter nie finden.“
 

„Du sollst dich lieber von Madame de Polignac in Acht nehmen, bei ihr kann man nie wissen, was sie gerade ausheckt“, empfahl André und streifte im gehen unbeabsichtigt Oscars Handrücken mit dem seinen. Sofort entstand ein prickelndes Gefühl auf der Haut und auch ums Herz wurde ihm dabei wärmer.
 

Oscar schielte zu ihm und merkte gerade, wie eine leichte Röte auf seinen Wangen sich ausbreitete und er selbst seinen Kopf für einen kurzen Augenblick zu Boden senkte. Es sah so aus, als würde er sich schämen oder verlegen sein... Aber wofür? Nur weil sein Handrücken den ihren gestreift hatte? „Ja, ich weiß, ich passe auf“, sagte ihr Mund, aber in Gedanken war sie woanders. Sie bekam dabei das angenehme Prickeln auf ihrer Haut und ihr Herz schlug schneller. Was hatte das alles zu bedeuten? Lag das etwa an dieser zufälligen und kaum merklichen Berührung? Um die Antwort darauf zu finden, ließ sie es zu, dass auch ihr Handrücken den seinen streifte und bekam wieder diese Wärme, die ihren Körper empor stieg.
 

André schaute überrascht zu ihr und als ihre Blicke sich trafen, sah Oscar gleich nach vorn. Hatte er sich etwa getäuscht? Oder stieg in der Tat eine feine Röte auf Oscars Wangen? Nein, das war keine Täuschung. Oscars Wangen wiesen wirklich eine rötliche Farbe auf! Bedeutete das, dass sie womöglich zu ihm das Gleiche empfand wie er zu ihr? Oder war das eine zufällige Berührung, die für Oscar rein gar nichts bedeutete? Eigenartig, ihre gerötete Wangen und seltsam gerichteter Blick nach vorne, sagte aber eine andere Sprache aus... Am besten würde er Oscar unauffällig beobachten und somit herausfinde, was es damit auf sich hatte.
 


 

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Oscar verließ den Salon Ihrer Majestät und lief mit André die Treppe herunter. André lief hinter ihr und ließ sie nicht aus den Augen. Hier in Versailles war es für sein Stand nicht angebracht, neben ihr zu laufen und sie daher von der Seite beobachten zu können. Aber was soll´s. Sie werden ja gleich zurück zum Anwesen aufbrechen und dann würden sich noch genügend Möglichkeiten dazu bieten. Etwas Putz prasselte von Oben auf sein Scheitel und er schaute systematisch nach oben. Dabei bemerkte André, dass mit dem Kronleuchter etwas nicht stimmte und bekam einen Schreck. Noch bevor er Oscar warnen konnte, riss der schwerer Kronleuchter direkt über Oscars Kopf. André stürzte mit einem großen Sprung auf seine Freundin, rollte mit ihr zusammen die Treppe herab und rettete sie gerade rechtzeitig. Menschen versammelten sich erschrocken um sie, halfen Oscar beim Aufstehen und fragten sie nach ihrem Befinden.
 

„Mir ist nichts passiert“, versicherte Oscar und bekam ein ungutes Gefühl. Das war bestimmt kein Unfall, sondern ein Attentat! Allerdings konnte sie das nicht beweisen und schwor sich, noch mehr auf der Hut zu sein.
 

„Das hätte auch schief gehen können“, hörte sie André sagen und musste ihm recht geben. Wenn nicht er, dann hätte sie bestimmt ein großen Schaden davon getragen oder wäre womöglich tot... Sie schauderte es schon alleine bei dem Gedanken und sie war deshalb André für seine Aufmerksamkeit und Rettung mehr als Dankbar. Sie würde sich irgendwann bei ihm dafür ganz bestimmt revanchieren!
 


 

Abends auf dem Anwesen erkundigte sich André noch einmal bei ihr um ihr Wohl und brachte für sie gewohnheitsgemäß den Tee, den sie vor dem Schlafengehen zum trinken beliebte. „Geht es dir wirklich gut?“
 

„Mir fehlt nichts, André, sei versichert.“ Sie beobachtete ihn, wie er den Tee für sie in die Tasse goss, ihr Blick heftete sich auf seine Hände und sie dachte dabei unwillkürlich an den Vorfall. Genau mit diesen Händen hatte er sie gehalten und sie vor dem Schlimmsten bewahrt. Wie stark und mutig er doch war...
 

„Alles in Ordnung, Oscar?“, fragte er während er den Tee vor ihr auf den Tisch stellte. Seine Stimme klang leicht besorgt und riss sie aus ihren Gedanken. Sie sah zu ihm auf und wieder traf sie dieser sanfter Blick seiner grünen Augen wie gestern beim Spaziergang durch den Rosengarten. Sie schienen ihr etwas mitteilen zu wollen, was sie nicht deuten konnte. Jedoch fühlte sie sich dabei wohl und noch zusätzlich bei der Erinnerung an seine Arme von heute und die Berührung seines Handrücken von gestern war ihr schon genug warm geworden und nun beschleunigte ihr Herz ihren Schlag immer schneller. „André... ich...“
 

„Ja, Oscar?“
 

„Ich danke dir von Herzen, dass du mich heute gerettet hast.“ Sie spürte, dass es nicht alles war, was sie ihm noch sagen wollte, aber sie fand einfach keine weiteren Worte für das, was in ihr gerade vorging.
 

„Das ist doch selbstverständlich.“ André lächelte und legte ihr unvermittelt die Hand auf ihres. „Das ist doch meine Aufgabe und ich würde sogar mein Leben für dich opfern.“
 

Oscar zuckte merklich zusammen. Sie wollte nicht, dass er für sie sein Leben gab. Er sollte leben und nicht noch einmal so etwas sagen! Leicht aufgebracht schoss sie vom Stuhl in die Höhe. „Sag so etwas nicht! Ich will das nie wieder hören! Hast du verstanden?“ Ihre Hand ruhte noch immer unter der seinen auf dem Tisch und wurde dann plötzlich von seinen Fingern sachte umschlossen und zu seinen Lippen geführt. „Ja, Oscar, ich habe alles verstanden und werde so etwas nie wieder sagen.“
 

Seine Lippen fühlten sich trocken, aber sehr warm und angenehm an, als er einen zarten Kuss auf ihrem Handrücken hinterließ und dabei ihren Herz in Flammen steckte. „Oscar?“ Seine Stimme brachte sie diesmal nicht in die Wirklichkeit zurück, denn sie war gefangen... Gefangen in seinem sanften Blick der grünen Augen und wusste nicht so recht, was sie tun sollte... André schien es dagegen zu wissen. Langsam nährte sich sein Gesicht dem ihren und als sie den weichen Druck seinen Lippen auf den ihren spürte, kam es ihr so vor, als stünde nicht nur ihr Herz, sondern ihr ganzer Körper in Flammen...

Folge 18 (Heiratsabsichten)

Ein Attentat, eine hinterhältige Falle, in die sie ahnungslos hineingeraten war! Das war nicht zu fassen! Erst der Kronleuchter und dann auch noch das! Aber wer konnte ihr denn so etwas antun? Zum Glück war Graf Hans Axel von Fersen zur Hilfe gekommen und hat womöglich auch noch den Tod Oscars verhindert. Sie musste nur den rechten Arm in der Schlinge tragen, aber Hauptsache sie lebte.
 

André geleitete den Arzt bis zu dessen Kutsche auf den Hof und als er zu Oscar ins Zimmer zurückkehrte, begegnete er Graf von Fersen. Dieser verabschiedete sich und Rosalie geleitete ihn hinaus. André stutzte, als er Oscar im Bett sitzen sah und da war noch etwas... Ihr trüber Blick, der ganz bestimmt nicht durch den Schmerz in ihrer verletzten Schulter verursacht war, ließ Andrés Herz bluten. Er merkte sofort eine gewisse Veränderung in ihr und wusste mit einem Mal nicht mehr, was er tun sollte... und zwei Wochen nach ihrer Genesung bestätigte sich seine schlimmste Befürchtung.
 

Oscar... André hatte das Gefühl, dass seine Freundin, mit der er schon seit Kindesbeinen zusammen war, sich in den schwedischen Graf Hans Axel von Fersen verliebt hatte... Natürlich hatte er keine Beweise dafür und Oscar selbst würde nie etwas dazu sagen, aber sein Herz schmerzte jedes Mal, wenn er Oscar bekümmert sah... und das war sie seit dem Attentat in der letzten Zeit öfters – so, als würde sie etwas mit sich selbst ausmachen und darunter leiden...

Diese schwermütigen Gedanken und Sorgen um Oscar bescherte ihm manches Mal schlaflose Nächte, aber sie durfte nichts davon erfahren. Genauso durfte sie nichts davon erfahren und bemerken, was er für sie empfand. Liebe war doch nur ein Wort auf den Lippen, aber er empfand für sie mehr als das. Wenn Oscar wüsste, dass er für sie sogar in den Tod gehen würde, dann würde sie es höchstwahrscheinlich nicht merken... oder etwa doch? Was würde sie dann tun?

Natürlich würde sie es nicht zulassen, dass er starb, denn gleichgültig war er für sie nicht – das hatte sie vor einigen Jahren bewiesen, als er beinahe hingerichtet worden wäre. Sie hatte sich damals bei dem damaligen König Ludwig XV eingesetzt und ihm das Leben gerettet. Seit dem hatte er geschworen, immer für sie da zu sein und irgendwann einmal sein Leben für sie geben – so, wie sie das für ihn getan hätte...
 

André seufzte schwer. Oscar mochte in ihm noch immer den treuen Freund und Gefährten sehen, aber er sah in ihr schon seit langem eine Frau und er liebte sie als solche...

Mit einem schweren Stein an der Seele klopfte er an der Tür zu ihrem Salon und nach einem leisen „Herein“, betrat er ihre Gemächer.
 

Nach einem Gespräch mit Graf von Fersen, hatte sich Oscar auf ihrem Zimmer zurückgezogen und bei einem Glas Wein dachte sie über die eigenartigen und wehmütigen Gefühle in ihr nach. Sie schaute in das Glas und ihr kam es so vor, als sähe sie darin den schwedischen Grafen und Marie Antoinette in einer tiefen Umarmung. „Was könnten die beiden nur für ein wunderbares Paar abgeben, wenn es ihnen nur erlaubt wäre, sich zu lieben... Ach, was ist nur auf einmal mit mir los...“ Oscar stellte das Glas beiseite und warf sich Rücklings aufs Bett. Sie versuchte zu begreifen, was das für ein Gefühl war und dann klopfte es an der Tür zu ihrem Salon. „Herein“ wollte sie fest rufen, aber es kam wie ein leiser, gequälte Ton aus ihr heraus. Sie hörte ihr bekannte Schritte und saß auf. André kam zu ihr ins Zimmer und sie bemerkte eine gewisse Besorgnis in seinem Gesicht stehen. Das machte sie selbst stutzig. „Ist etwas passiert?“

„Nein.“ André blieb vor ihrem Bett stehen und betrachtete ihr trauriges Gesicht intensiver. „Ich wollte nur wissen, ob mit dir alles in Ordnung ist.“

„Es geht schon.“ Oscar senkte ihren Blick von ihm. Er durfte nicht mitbekommen, dass sie gerade mit ihren Gefühlen kämpfte. Aber es war zu spät. „Doch, mit dir ist etwas los“, hörte sie ihn sagen und als sie zu ihm überrascht aufsah, setzte er sich neben sie auf die Bettkante. „Du kannst mit mir über alles reden, Oscar...“

Über alles? Aber bestimmt nicht über das, worauf sie selbst nach einer Antwort suchte! „Es ist nichts, André, worüber man reden könnte.“

„Es ist wegen Graf von Fersen nicht wahr?“ Woher fand er nur den Mut, um sie darüber zu fragen? Ihre Gefühle gingen ihn schließlich nichts an! Wenn sie für den Grafen etwas empfand, dann sollte er weichen und ihr Leben ihr überlassen. Aber das konnte er nicht! Er konnte es einfach nicht mitansehen, wie die Frau und seine langjährige Freundin, die er von Herzen liebte, wegen eines Mannes litt!
 

Oscar sah ihn mit geweiteten Augen an und suchte nach einer Antwort. In ihrem Kopf rauschte es und es schlug dumpf gegen ihre Schläfen. Sie hatte die Sorge in seiner Stimme nun deutlich gehört und in seinem Blick lag etwas flehendliches. Was hatte er auf einmal? „Ich weiß es nicht...“, murmelte sie auf seine Frage, ohne darüber bewusst zu sein. Ein dicker Kloß entstand in ihrer Kehle, während sie tiefer in seine Augen hineinschaute und glaubte darin zu versinken. Lag es an dem Wein, den sie getrunken hatte?
 

„Liebst du ihn?“, flüsterte André vorsichtig und Oscar klappte der Mund auf. Diese Worte hatten ihm viel Mühe gekostet, das spürte sie und glaubte sogar einen gewissen Schmerz in seinen Augen zu entdecken. Aber warum? „Wenn es denn so ist, dann würde ich dir nicht im Wege stehen, Oscar...“, meinte er kleinlaut, als hätte er ihre Frage gehört. Oscar stieß es völlig vor den Kopf. Perplex sah sie ihren Freund an und schüttelte nun kaum merklich den Kopf. Wovon redete er? Wie kam er überhaupt darauf? „Nein...“, brachte sie belegt hervor und verfluchte sich selbst für den weichen Ton in ihrer Stimme. „Ich will nicht, dass du gehst...“ Das wollte sie wirklich nicht. Die gemeinsame Kindheit und die daraus entstandene, tiefe Freundschaft gehörten zu den wichtigsten Dingen, die sie mit ihm verband.

„Ist das wahr?“ André lächelte unsicher und da fasste sich Oscar ans Herz, auch wenn es ihr schwer fiel. „Ich weiß zwar nicht, was mit mir los ist, aber ich will, dass du bei mir bleibst.“
 

„Dann bleibe ich bei dir.“ Andrés Lächeln wurde breiter und er zog Oscar unverhofft in seine Arme. „Egal was geschieht, ich werde dich nie in meinem Leben verlassen.“

Überrascht und überrumpelt von seiner Umarmung war Oscar nicht fähig zu reagieren. Aber unangenehm war es ihr auch nicht. In seinen Armen fühlte sie sich auf einmal beruhigter und sicher. Sogar ihre durcheinander geratenen Gefühle schienen auf den richtigen Platz zu rücken und hinterließen eine angenehme Wärme in ihrem Körper. „Ich danke dir, André...“, murmelte sie lächelnd und schmiegte sich noch mehr an seiner Brust.

Folge 19 (Rosalies Mutter)

Wie könnte man Oscars Herz gewinnen, wenn sie ihr Herz an einen anderen Mann zu verlieren schien? Dieser Mann war niemand geringerer als der schwedische Graf Hans Axel von Fersen, dessen Herz der Königin von Frankreich, Marie Antoinette gehörte...
 

Oscar wusste das ganz genau und dennoch quälte sie sich selbst damit. Wie sollte es nun weitergehen? Sah sie denn nicht, dass derjenige der sie von ganzem Herzen liebte neben ihr stand?
 

„Sie ist sehr gut geworden, ohne dass ich es bemerkt habe“, meinte Oscar und entriss André aus seinen wehmütigen Gedanken. Sie saßen auf ihren Pferden und beobachteten Rosalie von einem Hügel, wie sie am Ufer eines Flusses ihr Pferd hin und her trieb.
 

„Ich kann sie gut verstehen“, erwiderte André ausdruckslos. Wie dem auch sei... Oscar würde es nie mitbekommen, wie es um sein Herz und seinen Gefühlen zu ihr stand. Lieber würde er ihr ganz gewöhnlich antworten und sie das hören lassen, was sie wollte, ohne sich dabei zu verraten. „Anscheinend ist sie immer noch besessen davon, den Tod ihrer Mutter rächen zu müssen.“
 

„Du meinst die Madame de Polignac, nicht wahr?“ Oscar merkte in der Tat nichts davon, wie er sich fühlte. Wie denn auch? Sie war doch vollkommen vertieft mit der Sorge um Rosalie und an den eigenartigen Gefühlen zu von Fersen... „Und was wird sein, wenn sie Sie eines Tages gerächt hat? Was wird sie danach tun, wenn sie ihre Rachegefühle befriedigt hat? Wer wusste schon ob sie es ertragen würde, jemanden umgebracht zu haben? Oder ob sie es überhaupt je verkraften würde?“ Ja, wer weiß und wer weiß, was diese ganzen merkwürdigen und zerrenden Gefühle schon zu bedeuten hatten.
 

„Hmm...“, stimmte André ihr mit einem Nicken zu und dachte dabei weiter an sein schmerzendes Herz und den Gefühlen zu Oscar... Wie konnte er dem nur entkommen? Vielleicht würde ihm eine Ablenkung dabei helfen? Zum Beispiel sich auf etwas anderes konzentrieren oder ein Buch lesen? Kein schlechter Gedanke und gleich nach dem Ausritt setzte er es in die Tat um. In der königlichen Bibliothek suchte er nach einem interessanten und passenden Buch für sich, aber stieß dabei auf etwas ganz anderes und viel Wichtigeres!
 

Anstelle sich abzulenken, fand André in der königlichen Bibliothek heraus, wer die leibliche Mutter von Rosalie war und teilte es Oscar schleunigst mit. Diese war erschrocken und nach dem sie Rosalie auf dem Turm darauf angesprochen hatte, war André ihr unbeabsichtigt zu nahe gekommen. Es passierte ganz beiläufig, als sie von dem Turm runter stiegen und Oscars Handrücken dabei den seinen beim Vorbeigehen streifte. Sie hielt inne und sah kurz zu ihm auf, ohne ein Wort darüber zu verlieren. „Entschuldige...“, flüsterte André ganz leise und sie ging dann weiter.
 

Warum entschuldigte er sich? Er hatte doch nichts getan. Sein Handrücken hatte bestimmt unbeabsichtigt den ihren gestreift. Dennoch verursachte es ihr ein merkwürdiges, aber auch angenehmes Kribbeln auf ihrer Haut. Was hatte das wohl zu bedeuten?
 

Das würde sie noch herausfinden, aber jetzt war Rosalie dran und sie musste überlegen, wie sie nun vorangehen sollte. Auf jeden Fall mehr auf sie acht nehmen und während sie in Versailles ihren Pflichten als Kommandant in der königlichen Garde nachging, konnte André sie im Auge behalte. Oscar hatte im Bezug zu Rosalie eine schlechte Vorahnung und es verstärkte sich, als André am Nachmittag sie aufsuchte und ihr mitteilte, dass Rosalie verschwunden war. Wo konnte sie nur sein?
 

„Vielleicht ist sie zu de Polignac geritten?“, vermutete er und Oscar bat ihn, unverzüglich die Pferde zu satteln.
 


 

Fertig umgezogen betrat Oscar den Stall. André ging ihr schon entgegen und führte zwei Pferde an den Zügeln hinter sich her. Sie nahm die Zügeln ihres Schimmels an sich und dabei berührten sich wieder ihre Hände. Oscar hielt wieder inne und auch André hielt sein Atem an. Sie sahen sich tief in die Augen, glaubten sich dort auf gewisser Weise zu verlieren und so, als ersuchten sie dort eine gewisse Antwort und merkten nicht, wie ihre Gesichter näher aneinander kamen. Ihre Herzen schlugen immer schneller, ihre Haut bedeckte ein angenehmer Schauer und es wurde ihnen immer wärmer am gesamten Körper...
 

Es hätte vielleicht zu einem Kuss kommen können, wenn nicht die Sache mit Rosalie wäre... Oscar verdrängte ihr Empfinden und kam als erste wieder zur Besinnung. „Wir müssen los“, sagte sie bestimmend, ging mit ihrem Schimmel aus dem Stall und stieg in den Sattel.
 

Wie bedauerlich... Aber vielleicht würde es beim nächsten Mal ganz bestimmt klappen und Oscar würde diesen von Fersen vergessen! André hatte ja in ihren Augen gelesen, dass sie von dem Kuss nicht abgeneigt wäre.

Das hieß, dass sie ihn liebte, nur musste sie das selbst erkennen und dann würde er ihr seine Liebe gestehen können und sie beide würden glücklich miteinander... Vorerst aber sollten sie Rosalie finden und dann könnte man weiter schauen, was zwischen ihm und Oscar passieren würde.

Folge 20 (Der Schmerz der Liebe)

Von Fersen! Warum musste er unbedingt Oscars Herz erobern? André ließ die beiden während der gesamten Fechtübung und dann auch beim Tee trinken nicht aus den Augen. Von Fersen kam zu Oscar, um sich ablenken zu können und Oscar lud ihn herzlich ein. André sah das alles mit Besorgnis. Nach dem der Graf fort war, sprach er sie darauf an. „In Paris kursieren Gerüchte, dass die Königin und ihr schwedischer Liebhaber sich jede Nacht treffen. So ergibt ein Gerücht das andere, bis es jeder glaubt. Hast du gesehen, wie der Graf gelitten hat? In so einem Zustand hatte ich ihn noch nie gesehen. Wenn ihn die Liebe so schmerzt, weshalb lässt er sich dann auf sie ein? Zu lieben und geliebt zu werden, das sind zwei völlig verschiedene Dinge. Man sollte annehmen, dass ein Mann in seinem Alter das weiß. Tja, so kann das Leben spielen. So manche Liebe auf dieser Welt währt schon eine Ewigkeit, ohne dass der andere überhaupt davon weiß.“
 

Erst jetzt drehte sich Oscar vom Fenster zu ihm um. Seine Antwort gefiel ihr nicht, auch wenn ihr bewusst war, dass er recht hatte. „Hol deinen Degen André und komme mit raus auf den Hof!“ Dort angekommen schwang sie probeweise ein paar Male mit ihrem Degen durch die Luft und war zu allem bereit. „André, diesmal nehme ich keine Rücksicht!“
 

Nun gut, wenn sie das so wollte... „Gut, ich bin bereit. Auch ich werde mein bestes geben, glaube mir.“
 

Oscar griff ihn an und focht mit ihm wie besessen. André verteidigte sich gekonnt und dachte dabei: „Vergiss diesen Mann... Du musst ihn endlich vergessen, denk nicht mehr an ihn! Oh ja, ich wünsche mir, dass du ihn vergisst für immer und ewig!“ Er schlitzte ihren Ärmel mitten im Gefecht auf. Oscar holte mit noch mehr Kraft aus und schlug zurück. André wich ihr aus, aber ihr Hieb war zu schnell. Der Degen schlitzte ihm das Hemd auf und bohrte sich in sein Arm. Er stöhnte auf, Oscar ließ erschrocken ihren Degen fallen und eilte zu ihm. „Es ist nur ein Kratzer“, zischte er zwischen zusammengebissenen Zähnen, aber sie hörte nicht auf ihm.
 

Oscar sah Blut aus der Wunde raus treten und bekam Gewissensbisse. „Es tut mir leid, ich...“
 

„Es ist in Ordnung, es sieht nur schlimm aus, wirklich.“ André hielt die Wunde und schenkte ihr ein Lächeln. „Mache dir um mich keine Sorgen, Oscar.“
 

An dieser Stelle gesellte sich zu den Gewissensbissen auch ein leichter Schmerz bei Oscar. „Komm mit.“
 

André folgte ihr bis an den Brunnen, wo sie ihr Taschentuch einweichte. André verstand und Oscars Fürsorge wärmte sein Herz. Es brannte ein wenig, als das kühle Nass die Blutspuren um die Wunde verwischte und Oscar dann das Taschentuch auf die verletzte Stelle legte und für einen Augenblick so hielt. André legte darauf seine Hand und Oscars Finger zwischen den seinen und dem nassen Stoff, zuckten leicht zusammen. Sie sah ihm sogleich ins Gesicht und der sanfter Ausdruck in seinen grünen Augen ließ plötzlich ihr Herz höher schlagen. „Danke“, sagte er nur und brachte Oscars Gefühlswelt durcheinander. Was war nur mit ihr in letzter Zeit los? Erst von Fersen, jetzt auch noch André... Das war aber nicht richtig! Man konnte doch nicht das Gleiche für zwei Menschen empfinden! Oder etwa doch?
 

Je mehr Oscar nach einer Antwort in seinen Augen suchte, desto mehr stach schmerzlich ihr Herz. Das konnte sie nicht mehr länger ertragen und wandte sich von ihm ab. Sie brauchte ein wenig Zeit, um ihre Gefühle zu verstehen und das konnte sie am besten, wenn sie alleine war... Dazu kam es aber nicht. Die Königin hatte sie etwas später zu sich bestellt und bat sie, dem Grafen von Fersen eine Nachricht zu überbringen, was sie mit Zerrissenheit am Herzen auch tat...
 

Regen ergoss sich in Strömen, peitschte ihr entgegen und durchnässte ihre Uniform bis auf die Haut, während sie wie besessen ritt. Sie hatte von Fersen die Nachricht von der Königin mitgeteilt und fühlte sich dabei noch mehr niedergeschlagen als zuvor. Das war keine gute Idee zu ihm zu reiten, aber die Bitte der Königin hätte sie auch nicht ablehnen können – das hätte ihr noch mehr zu schaffen gemacht. Es war ihre Pflicht, der Königin beizustehen und sie konnte nicht anders, als es ihr zu erfüllen. Sie musste schnell nach Hause und in ihrer Gefühlswelt endlich eine Ordnung schaffen! Aber wie konnte sie das tun, wenn schon alleine bei dem bloßen Gedanken an den Grafen und die Königin ihr Herz qualvoll in Stücke riss...
 

„Hey, Oscar!“
 

André? Oscar glaubte sich verhört zu haben. Aber nein! Er ritt ihr wirklich entgegen und in seiner Hand erspähte sie etwas, was nach einer Decke aussah. „Hier nimm den Umhang, er ist gut gegen die Nässe! Oscar!“ Im vollen Ritt wendete er sein Pferd, holte sie ein und warf den Umhang über ihre Schultern. Oscar lächelte dabei, was er auch mit einem Schmunzeln erwiderte. Es war ein schönes Gefühl, wenn er da war und es erwärmte ihr Herz. Für einen kurzen Augenblick vergaß sie über von Fersen und Marie Antoinette nachzudenken und erinnerte sich an den heutigen Zwischenfall mit André beim Fechten. Wieder stieg in ihr diese wohltuender Wärme auf und hüllte ihr Herz ein... Wenn sie weiter zurück in ihre Vergangenheit nachdachte, war André immer da und war stets ein guter Freund, den sie niemals missen würde wollen...
 


 

- - -
 


 

Wie schön, war das wieder im getrauten Heim zu sein. Auch wenn ihr Herz noch immer keine Ruhe fand, fühlte sich Oscar dennoch besser. Sie hatte sich bereits umgezogen, ihre Hauskleidung angelegt und ging in den Stall, wo André die Kutsche behaute. Er sah sie nicht kommen und sie nutzte den Moment aus, um ihn zu beobachten. Dabei stieg wieder dieses angenehm prickelnde Gefühl auf ihrer Haut und ließ ihr schon genug strapazierendes Herz schneller schlagen. Seinem Arm schien es wieder gut zu gehen, was sie beruhigte und ihr Schuldgefühl milderte. Vielleicht sollte sie mit ihm darüber sprechen und das mit den Gefühlen zu ihm für allemal klären? Ja, das wäre keine schlechte Idee, aber nicht jetzt. Sie kam zu ihm, weil sie eine Entscheidung getroffen hatte. „Lass gut sein!“, unterbrach sie ihn bei seiner Tätigkeit. „Du brauchst die Kutsche nicht vor hauen zu lassen! Ich werde heute Abend nämlich nicht auf den Ball gehen. Sag einfach, ich sei Krank und liege mit Fieber im Bett. Fahr alleine hin.“ Sie wollte wieder gehen und auf ihrem Zimmer den restlichen Abend Klavier spielen, um ihre kreisenden Gedanken besser zu verarbeiten.
 

„Oscar!“, rief André ihr nach, als sie sich schon abwandte.
 

Oscar blieb an den großen Türen des Stalles unvermittelt stehen. „Was schreist du so, du erschreckst die Pferde.“
 

Einen kurzen Moment geschah nichts, nur das Rauschen des Regens draußen war zu hören. Dann hörte sie seine Schritte und seine Stimme: „Der Ball heute Abend ist sehr wichtig, denn es kommen die einflussreichsten Leute Frankreichs. Und da solltest du, Oscar Francois als Kommandant des königlichen Garderegiments, sogar als Nachfolge der Familie de Jarjayes auf gar kein fehlen!“
 

„Schon die Vorstellung, dorthin zu gehen, ist mir ein Graus!“ Wieso kümmerte ihn plötzlich dieses Ball? Oscar drehte sich um und lehnte sich mit einem Arm an die Türwand an. „Ich würde die herabschauenden Blicke nicht ertragen, die diese dummen Aristokraten für Ihre Majestät übrig hätten.“
 

„Eben!“ André lächelte, versuchte sie damit aufzumuntern. Auch wenn ihm dabei selbst das Herz schmerzte, konnte er einfach nicht ertragen, dass Oscar litt und erst gar nicht wegen der Königin und von Fersen. „Und genau deshalb musst du hingehen, sie braucht jetzt deine Hilfe. Du bist der einzige Mensch, dem sie noch vertrauen kann und ich denke, Graf von Fersen sieht es genauso.“
 

„Ich will aber diese Rolle nicht spielen!“ Oscar lehnte sich noch mehr an die Tür und sah so aus, als wäre ihr die ganze Kraft abhanden gekommen. „Diesmal nicht... Die Sache geht nur die beiden etwas an, wer denkt dabei an mich?“
 

Sie tat André vom ganzen Herzen leid. Jetzt oder nie! Vielleicht würde sie begreifen, dass sie nicht ganz alleine da stand und dass er für immer für sie da sein würde. „Ich denke an dich“, flüsterte er und erntete ihre Aufmerksamkeit. Da war wieder dieser Blick seiner grünen Augen, die so viel Ruhe und Sanftheit ausstrahlten... Jedoch beruhigte es nicht ihr plagendes Herz. „Was erwartest du denn von mir? Soll ich denn mein Schwert gegen diejenigen richten, die sich über sie das Maul zerreißen? Denen die Augen auskratzen, die sie schief ansehen?“
 

André lachte verstellt. Wie gerne würde er sie in seine Arme schließen und sie trösten... „Die Idee ist gar nicht so schlecht. Probiere es doch mal.“
 

Oscar ballte verkrampft ihre Hände zu Fäusten. Wie konnte er immer so gelassen bleiben? Im Gegensatz zu ihm, konnte sie ihr aufgewühltes Gemüt kaum noch beruhigen. André kam näher auf sie zu und auch wenn er sie nicht berührte, wich die Anspannung in ihr weg. Wie machte er das? Das glich beinahe einem Zauber und sie war machtlos dagegen. Unwillkürlich und als wäre sie völlig erschöpft, lehnte sie sich an André. Dieser war etwas überrascht, aber schloss sie in seine Arme und Oscar fühlte sich so wohl und geborgen, wie noch nie zu vor. „Überredet, ich werde in einer neuen Garderobe hinfahren.“, sagte sie in seine Brust und hob zu ihm den Blick. „Wenn ich dich nicht hätte...“
 

„Ich werde immer für dich da sein, Oscar, ich werde dich nie in meinem Leben verlassen...“ Seine Worte rührten sie so sehr, dass es ihr plötzlich die Tränen in die Augen trieb. „Warum machst du das, André? Was bin ich denn für dich?“, wollte sie wissen und der Moment, um alles zu klären und ihre Gefühlswelt in Ordnung zu bringen, schien auch noch sehr passend dazu. „Sage es mir, bitte...“, verlangte sie mit etwas Nachdruck und André konnte all das, was er für sie empfand, nicht mehr länger mit sich tragen. „Du bist mein Leben, Oscar... und Liebe...“
 

„Was?“ Oscars Augen weiteten sich, mit dieser Antwort hatte sie nicht gerechnet. Er liebt sie? Das machte sie sprachlos und unfähig sich zu bewegen.
 

„Solange ich denken kann, bin ich nur mit dir zusammen und ich würde sogar für dich sterben, so sehr liebe ich dich, Oscar...“, beendete er und sah sie nur an, darauf wartend, was nun geschieht.
 

Oscar wusste noch immer nicht, was sie dazu sagen sollte, aber ihr Herz schlug immer schneller und die Gewissheit, geliebt zu werden, breitete sich wie ein wohltuender Balsam in ihr aus. Aber konnte sie auch lieben? Sie war doch nicht dazu erzogen, aber dennoch... Sie öffnete leicht ihre Lippen, um doch etwas sagen zu können, aber außer einem leisen „André...“, konnte sie nichts von sich raus bringen.
 

„Schon gut, Oscar...“ Hauchzart berührte André ihre Lippen mit den seinen und das Gefühl, das in ihm dabei aufstieg, war mit keinen Worten zu beschreiben. Aber auch Oscar konnte sich mit einem Mal nicht mehr von ihm entreißen und spürte ein Glücksgefühl, welches ihr gesamtes Inneres vereinnahm und sogar die Gedanken um von Fersen in die hinterste Ecke schob. Das war also die Liebe! So beschwingt und trunken, dass man nichts anderes mehr wollte, als hier in einer tiefen Umarmung zu stehen und in diesem einem Kuss das schönste Gefühl zu genießen. Nicht einmal der Regen störte sie dabei und je lauter es draußen rauschte, desto mehr und stärker fühlte sich Oscar mit André verbunden – es war der Beginn einer wahren Liebe, das spürte sie mit jeder Faser ihres Körpers und schwor sich, es für immer zu halten und dafür zu kämpfen, egal was auch kommen mag...

Folge 21 (Falsches Spiel)

Normandie. Es war schon fast ein Jahr vergangen, seit Graf von Fersen nach Amerika aufgebrochen war und fast jeden Tag dachte Oscar an ihn. Sie hoffte sehr, er möge am Leben bleiben und heil zurückkehren.
 

„Oscar, was ist, wollen wir ein bisschen ausreiten?“, hörte sie die vertraute Stimme von André und nickte ihm zustimmend zu. Vielleicht würde das helfen und ein Ausritt an der Küste der Normandie sie von ihren schwermütigen Gedanken ablenken. Allerdings half es ihr nicht im Geringsten. Aber was könnte man noch dagegen tun?
 

„Los, Oscar, wer zuerst am Haus ist!“, rief André und Oscar gab ihrem Schimmel die Sporen. Ein Wettritt wäre vielleicht genau das Richtige und im schnellen Galopp würde die Schwermut ganz bestimmt zerstreut werden. Oscar gab sich Mühe, überholte André, aber auch das half nicht viel. Sie zügelte abrupt ihr Pferd und wartete, bis André sie auf seinem Braunen einholte. „Hey, André! Wo ist Rosalie?“ In der Tat, wo war denn Rosalie geblieben? Sie war doch mit ihnen bei diesem Ausritt dabei gewesen.
 

„Hä?“ André zügelte neben ihr sein Pferd und sah sich etwas verwundert um. „Wir sind wohl zu schnell geritten. Keine Angst, sie holt uns wieder ein.“ Um Rosalie machte sich André keine Gedanken. Seine Gedanken galten ganz alleine Oscar und ihrem Kummer um den schwedischen Graf von Fersen. Das zerriss ihm selbst das Herz und er wünschte sich nicht zum ersten Mal, Oscar möge von Fersen vergessen. Er stieg aus dem Sattel, nahm sein Pferd bei den Zügeln, schaute zu Oscar hinauf und lächelte ihr zu. „Wollen wir entlang dem Meer etwas spazieren, bis Rosalie uns einholt?“
 

„Von mir aus.“ Oscar machte es ihm lustlos gleich und beide gingen langsam entlang der Küste, hinterließen Spuren im nassen Sand, die von den schäumenden Wellen sogleich fortgespült wurden und führten ihre Pferde hinter sich an den Zügeln. Die Möwen kreischten im Himmel, der frische Wind und die salzige Luft milderte die Hitze des Sommers. Es war schon schön und angenehm hier und Oscar hätte sich an diesem Anblick erfreut, aber nicht wenn sie trübsinnig war. Nicht einmal André konnte ihr helfen und sie aufmuntern. Eigentlich war er derjenige, der sie in ihrer Kindheit immer zum Lachen brachte und mit dem sie immer Spaß hatte. Warum nur konnte es auch jetzt nicht so sein?
 

„Oscar?“
 

„Ja, André, was ist?“
 

„Du kannst mit mir über alles reden.“ Nun war es raus. André konnte diesen leidenden Anblick von ihr nicht mehr mitansehen und erst recht nicht mehr ertragen. Denn das schmerzte ihm genauso wie die stillschweigende Liebe, die er für sie schon seit langem empfand und tief verborgen in seinem Herzen trug.
 

Oscar blieb überrascht stehen. Worüber sollte sie mit ihm genau reden? Oder ahnte er etwas von ihren plagenden Gefühlen?
 

André kam auf sie zu und stand direkt vor ihr. Vorsichtig nahm er ihre Hand an sich, als fürchte er etwas und schaute ihr so eindringlich in die Augen, dass es ihr die Sprache verschlug. „Bitte, Oscar... Ich kann es nicht ertragen, dich bekümmert zu sehen... Wenn du unglücklich bist, dann bin ich das auch...“
 

Oscar schluckte hart, ihre Gedanken und Gefühle überschlugen sich. Seine flehende Stimme und der schmerzlicher Ausdruck in seinen Augen, den sie zum ersten Mal bei ihm entdeckte, stieß sie völlig vor den Kopf. Am liebsten wollte sie sich ihm entreißen, ihm sagen, dass alles in Ordnung war und wegrennen, aber sie konnte es nicht. Nicht nach dem sie unwillkürlich zu tief in seine Augen geschaut hatte und ihr Herz plötzlich aufgeregt zum schlagen begann. Ein angenehmer Schauer bedeckte ihre Haut, als André mit der anderen Hand sachte an ihrer Wange strich. „Du sollst wissen, du kannst dich immer auf mich verlassen, Oscar...“, hauchte er mit eigenartig sanften Stimme und Oscar vergaß für einen kurzen Augenblick alles um sich herum. „Ja, das weiß ich...“, sagte sie doch noch und verfluchte sich selbst für die weiche Note in ihrer Stimme. „Ich bin nur noch nicht bereit dafür...“
 

Das war schon mehr als André gehofft hatte. Oscar brauchte Zeit, begriff er und lächelte matt. „Ich werde auf dich warten.“ Er schaute an ihr vorbei, ließ ihre Hand los und brachte ein paar Zentimeter Abstand zwischen sie. „Da kommt auch schon Rosalie. Lass uns auf die Pferde steigen, Oscar.“
 

Wieder nickte Oscar zustimmend und verspürte ein großes Bedauern, als er nicht mehr so nahe vor ihr stand. Er hatte in ihr etwas geweckt, was sie noch nicht deuten konnte, aber sich dennoch gut und schön anfühlte. Sie war André von Herzen für alles dankbar und irgendwann würde sie ihm ihr Herz öffnen, aber nicht jetzt. Vielleicht heute Abend oder wenn sie zurück auf dem Anwesen sein würden, aber Hauptsache sie wären allein unter sich und ungestört.

Folge 22 (Die Kette)

Frankreich, Oktober 1781.
 

„Es ist ein Junge, André! Die Königin hat endlich einen Thronfolger geboren! Das Volk hat schon so lange auf einen Thronfolger gewartet und nun gibt es wieder Hoffnung für Frankreich.“ In der Tat... Oscar stand die Freude über diese langersehnte Neuigkeit im Gesicht geschrieben. „André, lass uns ein Becher Wein zu Ehren des jungen Prinzen trinken. Komm reiten wir zu einem Gasthof!“
 

„Wie Ihr wünscht, Kommandant.“ André salutierte spaßend im Sattel. „Folgt mir nur einfach.“ So fröhlich hatte André Oscar schon lange nicht mehr gesehen. Er führte sie zu einem einfachen Gasthof in Paris und fühlte selbst Freude aufsteigen. Aber nicht nur wegen der Geburt des Prinzen und Thronfolgers, sondern auch weil Oscar glücklich war. Die ausgelassene und feierliche Stimmung all der Menschen steckte sie an und trug seinen Teil dazu bei. Sie feierten mit ihnen zusammen, tranken Wein und wenn das eine Glas leer war, wurde es nachgefüllt. Es war auch nicht von Bedeutung, dass Oscar die einzige aus adliger Herkunft unter ihnen war. In die Gaststube kamen immer mehr Gäste um auf die Geburt des Prinzen anzustoßen.
 

„Es wird langsam enger hier“, bemerkte Oscar mit noch immer guten Laune. „Lass uns nach draußen gehen und dort weiter feiern.“ Oscar wollte den letzten Schluck trinken, als jemand sie unbeabsichtigt stieß und die letzten Tropfen vom Wein auf ihre Uniform landeten.
 

„Passt doch auf“, schimpfte André leicht verärgert und versuchte den Fleck auf Oscars Uniformjacke mit seinem Taschentuch trocken zu tupfen. Dann wurde Oscar erneut unbeabsichtigt von jemanden gestoßen und landete direkt in Andrés Armen. Diesmal schimpfte André nicht. Er hielt Oscar an sich und sah mit rotglühenden Wangen direkt in ihre wunderschöne blauen Augen. Auch Oscars Wangenknochen überzog ein zartes rot und sie hielt für Bruchteilen wenigen Sekunden inne. „Wir gehen lieber gleich nach Hause“, murmelte sie und André war einverstanden, auch wenn es ihm gefallen hatte, sie so in seinen Armen fest zu halten.
 

Auf dem Anwesen schimpfte Sophie über die verdreckte Uniformjacke, aber weder Oscar, noch André nahmen das richtig zu Kenntnis. Noch immer kreiste ihnen die Szene im Gasthof vor den Augen und verursachte ein angenehmes Prickeln auf ihrer Haut. Besonders Oscar versuchte das zu begreifen und zu verarbeiten. In dieser Nacht konnte sie nicht mehr richtig schlafen und am nächsten Tag ging es ihr auch nicht besser. Irgendwie konnte sie André nicht mehr wie einen Freund und Gefährten seit Kindertagen betrachten. Etwas war zwischen ihnen geschehen und Oscar versank immer mehr darüber in Grübeleien.
 

Eines Abends spielte Oscar am Klavier in ihrem Salon und dachte über ein Gespräch zwischen ihr und André über die Königin nach. „Seit einer Weile steigt die Zahl derjenigen, die schlecht über die Königin sprechen. Nach dem sie Tagelang unterwegs gewesen waren, um von ihr zu einer Audienz empfangen zu werden, wurde es ihnen jedoch nicht gestattet zu ihr zu gehen. Einige beschweren sich darüber, dass die Königin ihre Pflichten vergisst, die sie als Mitglied der königlichen Familie hat“, hatte André gesagt und auch wenn Oscar bewusst war, dass er recht hatte, wollte sie das nicht akzeptieren. Wuchtig donnerte Oscar auf die Klaviertasten und brach ihr Musikstück ab. „Schweig endlich, hörst du! Ich will nichts mehr davon hören!“ Sie ging ans Fenster, wo der Regen anfing gegen die Fensterscheiben zu klopfen. „Sieht sie denn niemand, wenn sie so ungezwungen mit ihren Kindern spielt? Seit langem habe ich nicht mehr so ein glückliches Lächeln gesehen.“ Anscheinend nicht. Denn in Versailles musste Oscar immer mehr unzufriedenen Untertanen des Schlosses verweisen und immer mehr gab sie André recht.
 

Wieder spielte sie eines Abends am Klavier in ihrem Salon, aber diesmal stand André in der Nähe und erzählte ihr über etwas ganz anderes: „Es heißt, England habe die Unabhängigkeit Amerikas anerkannt. Die ersten französischen Soldaten sind inzwischen nach Paris zurückgekehrt. Ich dachte, es wäre besser, es dir zu sagen. Vielleicht war es aber auch falsch. Gute Nacht, Oscar.“
 

Und das war es? „André.“ hielt Oscar ihn auf. „Ich werde morgen nach Trianon reiten. Ich will die Königin bitten, die Audienzen wieder aufzunehmen. Das halte ich unbedingt für notwendig, sonst wird der Grab zwischen ihr und dem Adel immer tiefer und das hätte nur böse Folgen.“
 

André nickte ihr einvernehmlich zu. „Ich wünsche dir eine gute Nacht.“
 

Der Besuch bei der Königin brachte allerdings nicht viel und Oscar war noch niedergeschlagener. „Seit sie Mutter geworden ist, wirkt sie noch schöner als früher. Ich habe das Gefühl, dass sie gerade die glücklichste Zeit ihres Lebens verbringt und das gönne ich ihr. Deshalb hab ich beschlossen, ihr mein Rat erst später zu geben“, erzählte sie ihrem Freund auf dem Weg zum Anwesen. „André, ich brauche etwas zu trinken, lass uns in ein Gasthof gehen.“
 

Im Gasthof kam es allerdings zu einer Schlägerei, wegen einer Begegnung mit Robespierre. Er hat sie als Kommandant des königlichen Garderegiments entlarvt und das rief ein großes Missfallen bei den Gästen aus. Das Volk explodierte schon, als es das Wort „Adel“ hörte und so wurden Oscar und André angegriffen und aus dem Gasthof verjagt. „Da kannst du vom Glück reden, dass sie nicht gemerkt haben, dass du eine Frau bist“, scherzte André auf dem Heimweg. Ihm schmerzten alle Knochen und noch mehr schmerzte ihm das Herz, dass Oscar genauso geschlagen wurde wie er. „Aber glaube mir, ich sehe immer in dir die Frau, auch wenn du die Uniform trägst. Du bist eine Frau“, waren seine Gedanken gewesen.
 

Auf dem Anwesen kamen sie erst spät Nachts an, als alle bereits schon schliefen. „Ich gehe schon mal auf mein Zimmer“, sagte Oscar und André half ihr die Treppen hoch und stützte sie bis zu ihrem Schlafzimmer. Er hatte sie den ganzen Heimweg gestützt und hätte das gerne noch mehr getan. „Ich bringe frisches Wasser und Tücher.“ Die Blessuren und Schrammen müssten ja gereinigt werden. Oscar begann schon ihre Uniformjacke auszuziehen und anstelle zu gehen, verharrte André reglos. „Kann ich dir behilflich sein?“
 

„Nein, es geht schon“, krächzte Oscar und reichte ihm die Uniformjacke, die er auch ergriff. Dabei umschloss er ihre zartgliedrige Finger und Oscars Augen weiteten sich ob dieser Berührung. Es erinnerte sie wieder an das angenehm prickelnde Gefühl von damals, als sie unbeabsichtigt in seinen Armen gelandet war.
 

„Oscar?“ Seine sanfte Stimme ließ sie erschauern und ihre Wangen glühten wieder rot. Was geschah schon wieder mit ihr? Warum fühlte sie sich gefesselt und schwach?
 

„Was ist, André?“ Ihre Stimme kam kaum hörbar von den Lippen.
 

„Spürst du das auch?“, fragte er leise. „Diese Wärme? Dieses magische Gefühl nach Geborgenheit?“
 

„Ja...“ Wenigstens war sie nicht alleine, der es genauso erging. Das war sogar erleichternd und ihre Mundwinkel zogen sich leicht nach oben zu einem Lächeln. Sie wusste zwar noch nicht genau, was das war, aber es fühlte sich schön an.
 

André zog sie noch näher an sich, Oscars Uniformjacke fiel ihm dabei aus den Händen zu Boden und sein Gesicht nährte sich immer mehr dem ihren. „Oscar, sag doch etwas...“ Ja, sie sollte etwas sagen oder ihn von sich schieben, aber nicht schweigen.
 

„André...“, mehr war Oscar nicht fähig zu sagen. Ihr Herz schlug immer schneller, in ihrem Kopf rauschte es immer wilder und als er ihre Lippen mit den Seinen berührte, war es um sie geschehen. Ihre Lippen öffneten sich, ließen seine Zunge eindringen und dann brach er ab. „Es tut mir leid, Oscar...“
 

Was tat ihm leid? Das verstand sie nicht, denn nach seinen Worten zu urteilen, hatte er das gleiche Gefühl nach Geborgenheit und Zuneigung wie sie. „Sage es mir, André. Sag mir, was ich dir bedeute“, bat sie ihn unsicher und mit Nachdruck.
 

André sammelte seine ganze Mut zusammen. „Du bedeutest mir alles, Oscar. Ich kann nicht ohne dich leben, aber genauso wenig kann ich dich nicht leiden sehen. Deswegen tut es mir leid, wenn ich dich jetzt irgendwie verletzt oder bedrängt habe.“
 

„Das hast du nicht. Ich fühle mich wohl.“ Abgesehen von den Verletzungen und den schmerzenden Knochen nach der Schlägerei, aber das war schon lange in den Hintergrund gefallen. Sie sah nur André ins Gesicht, das Feuer im Kamin spiegelte sich in seinen Augen und nach seinen Geständnis war sie zu tiefst gerührt. Aber das war nicht alles. Sie hatte das Gefühl, dass etwas fehlte und er ihr nicht alles gesagt hatte.
 

André verstand ihren fragenden Blick, küsste sie erneut auf den Mund und flüsterte dabei: „Ich liebe dich, mehr als mein Leben... Ich habe dich schon immer geliebt, Oscar...“
 

Liebe... Das war das also... Dieses Gefühl nach Geborgenheit und Zuneigung, die er beschrieben hatte... Aber liebte sie ihn auch? Oscar ließ sein Kuss erneut zu. Ja, das wäre möglich... Denn sonst würde ihr das gar nicht gefallen und sie würde sich in seinen Armen nicht so geborgen und wohl fühlen. Also liebte sie ihn genauso wie er sie. Diese Erkenntnis beflügelte sie gleichermaßen wie sein zarter Kuss, der immer leidenschaftlicher wurde und in ihr das Feuer der Begierde entfachte. „Ich liebe dich auch, André... Nur mit dir will ich von nun an leben... und nur dir will ich gehören...“ Wie schön doch diese Worte sich anfühlten und noch schöner fühlte es sich an, als Andrés Hände begannen ihren Körper zu erforschen und seine Küsse sie endgültig um den Verstand brachten. In dieser Nacht sollte er ihr seine Liebe zeigen und aus ihr eine Frau machen. Seine Frau und dann würde sie niemand mehr jemals trennen können.

Folge 23 (Die Kettenaffäre)

Es regnete noch immer. Oscar kam aus dem Gefängnisgebäude und hüllte sich in ihren Regenumhang ein. André stand mit beiden Pferden am Tor und reichte ihr die Zügel ihres Schimmels. „Und hast du Rosalies Ring zu ihrer Schwester überbringen können?“
 

Oscar nahm die Zügel und dabei berührte sie unbeabsichtigt die nassen und kühlen Finger von André. Sie dachte sich nichts dabei und dennoch stieg für einen kurzen Moment ein warmes Gefühl in ihr hoch. „Ja.“ Sie schob ihren Fuß in den Steigbügel und stieg auf ihren Schimmel. „Jeanne wollte den Ring nicht haben, aber ich habe ihn ihr trotzdem in der Zelle gelassen.“
 

„Ich verstehe nicht, wie kann man so gefühlskalt sein? Schließlich ist das der Ring von ihrer verstorbenen Mutter.“ André verstand es wirklich nicht. Er stieg auf sein Pferd und zusammen mit Oscar ritten sie durch den Regen in Richtung des Anwesens. Oscar gab ihm keine Antwort, aber das erwartete er auch nicht.
 

Er würde sich jedenfalls für immer diese unauffällige und doch kostbare Berührung ihrer zartgliedrigen Finger in Erinnerung behalten, als ihre Hände sich für einen kurzen Moment berührten und er ihr die Zügel ihres Pferdes überreicht hatte.
 

Er stellte sich dabei einen anderen Tag vor. Ein Tag der niemals passieren würde, aber träumen dürfte man ja... Ein Sommer und Sonnenschein. In Gedanken umschloss er ihre Hand fester, ihre wunderschöne blauen Augen glänzten und ihre Wangen waren leicht gerötet. Oscar war so schön, dass er nicht anders konnte, als ihre liebreizende Lippen zu küssen und diesen Moment so lange wie möglich im Kopf festhalten. Nicht einmal der reale Regen störte ihn bei diesen warmen Gedanken.
 

Die Straße durch den Wald waren nicht wie in der Stadt mit Pflastersteinen ausgelegt, sondern bestand aus Erde und das machte sie in Regenfällen um so matschiger wie Schlamm. Oscar gab ihrem Pferd noch mehr die Sporen. Sie wollte nur noch nach Hause, ins Trockene und saß schon in Gedanken gemütlich vor dem Kamin mit einem Glas Wein oder einer heißen Tasse Schokolade in ihrem Salon. Aber... „Brrr!“, befahl sie auf einmal und zügelte ihren vierbeinigen Gefährten.
 

„Was ist passiert, Oscar?“ André bewog seinen Braunen neben ihr zum Stehen.
 

„Mein Pferd lahmt.“ Oscar stieg aus dem Sattel und untersuchte die Beine ihres Schimmels. Auch André stieg ab und begutachtete die andere Seite. Bei dem rechten Hinterbein wurde er schnell fündig. „Er hat sein Hufeisen verloren.“
 

„Was machen wir jetzt?“ Regen hin oder her, aber reiten konnten sie nicht mehr. Das Pferd brauchte ein neues Hufeisen und nach dem alten zu suchen wäre in dem Regen auch sinnlos oder auch schlicht unmöglich.
 

André war auch der gleichen Meinung wie sie. „Es bleibt uns wohl nichts anderes übrig, als zu Fuß weiter zu gehen. Aber ich denke, es ist nicht mehr weit bis zum Anwesen.“
 

„Also gut.“ Was blieb ihnen denn auch anderes übrig? Sie nahmen die Pferde bei den Zügeln, hüllten sich noch mehr in ihre Regenumhänge ein und machten los. Der Regen war unerträglich, die Gedanken an ein warmes, gemütliches und trockenes Plätzchen schienen nun in einer weiteren Ferne gerückt zu sein. Oder vielleicht doch nicht? „André!“
 

„Ja, Oscar?“
 

„Siehst du auch, was ich sehe?“ Oscar blieb unvermittelt stehen und ihr Blick richtete sich in den Wald. „Dort steht eine Hüte.“
 

„Du hast recht.“ André schmunzelte, die Hüte kam wie eine Rettung und bescherte ein gutes Gefühl. „So können wir dort wenigstens den Regen abwarten und wenn es aufgehört hat, suche ich nach dem verlorenen Hufeisen und auf dem Anwesen werde ich dein Pferd neu beschlagen, Oscar.“
 

Oscar war mit ihm voll und ganz einverstanden. Auch wenn es bis zum Anwesen der de Jarjayes nicht mehr weit war, aber trotzdem viel besser als sich noch länger unter diesem grässlichen und unerträglichen Regen aufzuhalten.
 

Die Hüte war mehr eine alte, kleine und verlassene Scheune, aber hatte auch genug Platz für zwei beinahe durchnässte Reiter und deren Pferde, von denen eines noch dazu wegen dem verlorenen Hufeisen lahmte. „Auf jeden Fall besser als im Regen.“, meinte Oscar, band ihren Schimmel an einem der Balken fest und schaute zu André.
 

„Ja, das stimmt.“ André machte das Gleiche bei seinem Pferd und untersuchte das Bein von Oscars Schimmel genauer. „Er hat keine weiteren Verletzungen. Nur der Hufeisen fehlt.“
 

„Das ist gut.“ Oscar atmete auf. „Besser ein verlorener Hufeisen als ein verletztes Bein.“ Hufeisen konnte man ersetzen, aber ein verletztes Bein nicht. Denn, je nachdem wie schlimm die Verletzung war, würde das für ein Pferd trotzdem nichts Gutes bedeuten und im schlimmsten Fall wäre das Tier dann nicht mehr fürs Reiten zu gebrauchen. Das wäre jammerschade, denn Oscar hatte ihren Schimmel seit sie ein Kind war und er war ihr schon sehr ins Herz gewachsen. „Ich danke dir, André“, sagte sie im nach hinein.
 

„Wofür denn?“ André ließ das Bein des Pferdes los und richtete sich auf, mit einem fragenden Blick auf Oscar. Diese schmunzelte etwas. „Dafür, dass du dich so gut um die Pferde kümmerst. Ich wüsste ehrlich gesagt nicht, was ich ohne dich täte.“
 

Zugegeben wüsste er auch nicht, was er ohne Oscar tun würde. Seit klein auf, war er nur mit ihr zusammen und neben der Aufgabe eines Stallburschen, kümmerte er sich auch um Oscar. In all den Jahren, war sie ihm sehr ins Herz gewachsen. Vielleicht sogar zu sehr, sodass er sich ein Leben ohne sie nicht mehr vorstellen konnte. „Für dich tue ich alles, Oscar, sogar mein Leben werde ich für dich geben“, dachte er schwermütig und wunderte sich mit einem mal, warum Oscars Augen immer größer wurden und sie ihn fast erschrocken ansah. „Sag doch so etwas nicht!“, sagte sie innehaltend und kam auf ihn zu. André begriff nun, dass er seine Gedanke laut geäußert haben musste und biss sich zu spät auf der Zunge. Was konnte er ihr schon darauf erwidern? Eine Entschuldigung? Dass er das niemals mehr sagen würde? Es war aber die Wahrheit, seine ehrliche Worte und er bereute sie nicht. „Es stimmt aber...“, murmelte er und sah mehr Fassungslosigkeit in Oscars Augen. „Wenn dir etwas passiert, werde ich es mir nie verzeihen. Deswegen werde ich lieber für dich in den Tod gehen, als dich leiden zu sehen.“
 

„Hör auf, André!“ Was redete er denn da? Sie wollte nicht, dass jemand für sie starb, vor allem nicht ihr Gefährte und Freund seit Kindertagen! Für einen kurzen unwillkürlichen Moment stellte sie sich ein Leben ohne ihn vor und das schmerzte ihr mehr an der Seele als seine Worte. „Warum sagst du das?“, verlangte sie von ihm mit Nachdruck zu wissen und André schaute ihr so tief in die Augen, sodass es ihr ein Schauer über den gesamten Körper bescherte. Aber seine nächsten Worte stießen sie vor den Kopf und brachen ihre Gefühle durcheinander: „Weil du mein Leben bist, Oscar... und weil ich dich aus tiefstem Herzen liebe...“
 

Es war nun raus! Sie wusste nun, was er für sie empfand, konnte es bestimmt kaum fassen und wollte am liebsten weglaufen, denn sie hatte ja ihr Herz an Graf von Fersen verloren... Dieser aber war schon seit etwa sechs Jahren in Amerika und es war ungewiss, ob er jemals zurückkommen würde... Oscar hoffte darauf natürlich sehr, aber jetzt vergaß sie ihn für einen kurzen Augenblick. Der Geständnis von André warf sie aus der Bahn und jagte ihr dabei ein Dolch mitten durchs Herz. Das konnte doch nicht wahr sein! Doch das wahr alles wahr, das sah sie André an. Zum ersten Mal entdeckte sie in seinen grünen Augen den Schmerz der Liebe und gleichzeitig eine Sanftheit und Zärtlichkeit, die ihr beinahe die Luft zum Atmen wegnahm. „André...“ Mehr brachte sie nicht heraus.
 

Eine schwere Stille legte sich zwischen ihnen und nur das Rauschen des Regens von Draußen drang zu ihren Ohren vor. Aber vielleicht war das nicht nur der Regen. Denn in ihrem Kopf rauschten die Gedanken wie ein Pfeil und ihr Herz beschleunigte immer mehr seinen Schlag. Sie dachte an all die verbrachte Zeit mit ihm, an ihre gemeinsame Kindheit und wie schön es damals war. Nun aber waren sie erwachsen! André liebte sie! Oscar konnte es kaum glauben, aber dennoch verstand sie ihn und seine Liebesqual gut. Das schmerzte ihr sogar selbst zu tiefst, denn sie hatte davon nichts gewusst.
 

„Oscar, sag doch etwas...“ Seine leise Stimme riss sie aus dem Sturm der Gedanken und das einzige was ihr von den Lippen kam, war ein leises: „Seit wann?“ Diese Frage war vollkommen unpassend, das war ihr bewusst, aber ihr fiel nichts mehr anderes ein.
 

„Seit ich dich kenne, seit ich nur mit dir zusammen bin...“ André antwortete jedoch geduldig und ruhig, als wäre ihre Frage nichts ungewöhnliches und etwas ganz normales auf der Welt. „Ich liebe dich mein leben lang, nur dich...“ Etwas zögernd und ganz vorsichtig berührte er ihr vom Regen feuchtes Haar, strich mit seinen Fingern daran entlang und legte seine Hand zärtlich an ihre Wange. Oscar schluckte hart. Dennoch durchströmte eine Wärme ihren Körper, lähmte ihr Denken und brachte ihre Gefühle ins straucheln. Warum war das so angenehm und warum fühlte sie sich dabei so wohl? Oder hatte sie etwa die ganze Zeit einen falschen Mann geliebt?
 

Oscar öffnete ihre Lippen, um etwas zu sagen, aber erneut hauchte sie nur seinen Namen aus und als wäre das ein Zeichen für ihn, senkte er seinen Mund über ihre Lippen. Warm und trocken waren seine Lippen, weich und lieblich die ihre. Der Kuss wurde inniger, Oscars Arme legten sich wie von alleine um seinen Nacken und seine Arme umschlossen sachte ihren zierlichen Körper. Es bedurfte keine Worte mehr, um dieses Gefühl nach Liebe und Zuneigung zu beschreiben, welches sie beide gerade durchströmte und sie für immer unzertrennlich machte.

Folge 24 (Adieu, du Lenz meiner Jahre)

Das Kloster explodierte. André wurde mitsamt Oscar von der gewaltigen Druckwelle weit davon zu Boden geschleudert und heiße Welle von der Explosion erreichte seinen Rücken. Zum Glück aber nicht Oscar. Sie lag unter ihm, im Schutz und unversehrt. Sie spürte das Gewicht seines Körpers ganz deutlich auf sich und ebenso seinen Atem auf ihrer Schläfe. Er zischte gedämpft und verkniff sich einen Schmerzenslaut. Oscar bekam auf einmal Sorgen um ihn. Was ist, wenn sein Rücken in Flamen stand? „André...“
 

„Es geht mir gut“, versicherte er ihr zwischen zusammengebissenen Zähnen, aber Oscar beschlich der Gedanke, dass er nicht ganz ehrlich mit ihr war. Er müsste doch bestimmt Schmerzen haben!
 

Später, als sie beide auf dem Anwesen der de Jarjayes zurückgekehrt waren, wurde nicht nur André, sondern auch Oscar vom Doktor Lasonne untersucht und medizinisch versorgt. Denn noch vor der Explosion im Kloster und bevor André ihr zu Hilfe gekommen war, wurde sie vom Nicolas de La Motte gewürgt. Der Ehemann von Jeanne de Valois wollte sie eiskalt umbringen, weil sie sie in ihrem Versteck aufgesucht hatte und wollte, dass sie sich ergaben. Vielleicht war das auch ein Fehler, dass sie alleine ins Kloster gegangen war und ihre Soldaten draußen gelassen hatte. Aber das hatte sie ja für Rosalie getan, denn Jeanne war ihre Schwester... Wie dem auch sei. Es war sowieso nichts mehr zu ändern. Jeanne und Nicolas hatten sich in die Luft gesprengt und Rosalie wohnte jetzt bei den de Polignacs.
 

Oscar seufzte schwer und band einen Schal um ihren Hals, um die leichte Würgemal zu verdecken. Dann ging sie zu André, um nach seinem Befinden zu sehen. Immerhin hatte er für sie sein Leben riskiert. Wenn Oscar es sich genauer überlegte, dann war das nicht das erste Mal, dass er für sie solches tat. Nun, sie beide verband eine tiefe Freundschaft und sie passten schon seit Kindesbeinen aufeinander auf. Ja, André war für sie wie ein Bruder und andersherum war sie für ihn... An dieser Stelle krauste Oscar die Stirn. Was war sie denn für ihn? Ein Bruder oder eine Schwester? Denn sie war wie ein Mann erzogen und André hatte sie nie wie eine Frau behandelt. Langsam erreichte sie sein Zimmer und nach ein Mal klopfen an der Tür, trat sie herein. André saß auf einem Hocker, ohne Hemd und mit dem Rücken zu ihr gewandt. Doktor Lasonne war gerade dabei, seine Utensilien einzupacken und Andrés Großmutter geleitete ihn dann hinaus. André nahm derweilen sein Hemd und wollte es anziehen, als er Oscar bemerkte. „Geht es dir wirklich gut?“, fragte sie ihn, denn sein Rücken hatte sehr rot ausgesehen und das gefiel ihr ganz und gar nicht.
 

Die Sorge in ihrer Stimme hörte André ganz deutlich und das rührte ihn sehr. Nur wenn sie ihn auch genauso lieben würde können, dann würde er sich viel besser fühlen und zu einem der glücklichsten Menschen zählen. Aber nein, sie hegte lieber noch immer Gefühle zu diesem schwedischen Grafen von Fersen, der schon seit Jahren in Amerika weilte und dessen Herz eigentlich der Königin von Frankreich gehörte. Das schmerzte ihm sehr und dennoch schenkte er Oscar ein unbekümmertes Lächeln. „Mache dir um mich keine Sorgen, mir geht es gut. Die dicke Ausgehjacke hatte die schlimmere Brandverletzungen verhindert und die Rötung geht irgendwann auch weg, das hatte Doktor Lasonne gesagt.“
 

„Gott sei Dank.“ Oscar atmete erleichtert auf. Dann sah das also schlimmer aus als es war.
 

André zog derweilen sein Hemd an. „Was macht dein Hals?“
 

„Es geht. Auf jeden Fall besser als deinem Rücken.“ Sie versuchte dabei zu scherzen, aber das misslang ihr. Noch immer hatte sie vor Augen, wie er schützend über sie lag und spürte ebenso noch seinen warmen Atem. Angenehmer Schauer liefen ihr über den ganzen Körper, was sie sich nicht ganz erklären konnte. Was bedeutete das?
 

André kam auf sie zu. „Geht es dir gut?“ Nun fragte er sie, denn Oscar sah ein wenig benommen aus oder war in irgendwelchen Gedanken vertieft. „Ja, ich denke schon“, meinte sie nicht ganz überzeugend und Andrés Brauen schoben sich zusammen. „Bist du dir sicher?“ Denn es sah nicht danach aus. Sie konnte ihm doch ruhig sagen, was mit ihr wirklich los war. Oscar aber sah in sein Gesicht, ohne etwas darauf zu erwidern. Ihre Lippen öffneten sich leicht und daraus kam nur ein Laut: „Ja“. Irgendwie verstand sie sich selbst nicht mehr. André verübte auf sie eine magische Wirkung wie sie es noch nie zuvor verspürt hatte und plötzlich berührte er ganz vorsichtig ihr Haar. Oscars Herz klopfte ihr bis zum Hals und sie hielt inne. Was hatte er vor?
 

André hatte nichts vor. Er stand nur direkt vor ihr und lächelte sie liebevoll an. „Ich bin unsagbar froh, dass dir nichts passiert ist, Oscar.“
 

Ach so war das. Er freute sich also nur, dass sie unversehrt war und es ihr gut ging. Nun lächelte auch sie. „Das kann ich nur zurückgeben, André. Wir sind doch Freunde und ich bin ebenso glücklich, dass dir auch nichts passiert ist.“ Ein schmerzlicher Stich durchfuhr ihr Brustkorb und sie lehnte sich unverhofft an ihn. Das hatte sie selbst von sich nicht erwartet und war sehr überrascht. Aber gleichzeitig verschaffte sie sich die Gewissheit, dass es ihm wirklich gut ging und dass er noch bei ihr war. Es war irgendwie ein schönes Gefühl, seinem Herzklopfen zu lauschen und als er vorsichtig seine Arme um sie legte, fühlte sie sich geborgen. „Ich werde immer für dich da sein, Oscar, solange ich noch lebe“, murmelte er in ihr Haar und Oscar erschrak. „Sag doch nicht so etwas...“, flüsterte sie in sein Hemd und hörte, wie sein Herz den Schlag beschleunigte. Was war mit ihm auf einmal los? Sie hob den Kopf und sah direkt in seine grüne Augen. Sie erinnerten sie an die grüne Wiese im Sommer oder den Blätter an den Bäumen und in dem Moment schlug auch ihr Herz immer schneller.
 

Wie nah sie gerade bei ihm war. André wünschte sich, dieser Augenblick würde nie vergehen und kämpfte mit der Versuchung, sie zu küssen. Den Geschmack ihrer Lippen zu kosten und ihr seine Liebe gestehen. Nein, er musste es aushalten, sonst würde er auch noch Freundschaft zu ihr verlieren! Denn Oscar hatte gerade selbst verdeutlicht, dass sie nur Freunde waren und nicht mehr oder weniger. Das schmerzte André sehr, aber er musste es einfach akzeptieren. „Was ist los?“, fragte er sie deshalb und Oscar schüttelte nur leicht den Kopf. „Nichts ist los, André, alles ist gut.“ Sie lehnte sich wieder an ihn und überdachte ihre Gefühle. André schloss sie etwas fester in seinen Armen und hauchte kaum merklich einen Kuss auf ihren Scheitel, ohne zu wissen, dass sie es doch spürte. Jedoch entriss sich Oscar nicht von ihm, denn es war gerade so angenehm warm und schön. Irgendwann würde sie ihre Gefühle verstehen, sie brauchte nur etwas Zeit dafür und jetzt wollte sie nur den Moment genießen. Auf jeden Fall empfand André für sie mehr als Freundschaft, daran war sie sich sicher. Denn seine Augen hatten ihr mehr gesagt als die Worte und es würde bestimmt der Tag kommen, an dem sie bereit sein würde, diese Worte von ihm auch zum Hören zu bekommen.

Folge 25 (Ein Menuett der unerwiderten Liebe)

Musste von Fersen unbedingt zurückkehren? Er stürzte Oscars Herz doch noch mehr in die Tiefe! Sieben Jahre war er in Amerika und wenn es nach André ginge, hätte er für immer dort bleiben sollen. Aber nein, der Krieg in Amerika war schon vor zwei Jahren beendet und die Soldaten kehrten heim. Graf von Fersen war in diesen zwei Jahren krank und deshalb hatte es bei ihm mit der Rückkehr gedauert. Aber warum kehrte er ausgerechnet nach Frankreich und nicht in sein Heimatland Schweden zurück? Ach ja, er hatte es wegen der Königin Marie Antoinette getan und weil er sie noch immer liebte... Warum aber ging er nicht gleich nach Versailles, sondern besuchte Oscar? Nun, sie waren ja Freunde. Zumindest von Fersen schätzte Oscar als Freund. Oscar dagegen schien mehr für den Grafen zu empfinden als eine bloße Freundschaft.

Sie hatte sich sogar für ihn in ein Kleid eingezwängt und ist zu einem Ball gefahren, um mit von Fersen zu tanzen und herauszufinden, ob er in ihr eine Frau sah...
 

André durfte sie selbstverständlich nicht begleiten, denn Oscar war Inkognito. Niemand durfte sie auf dem Ball erkennen, nicht einmal von Fersen. Deshalb hatte sie auch eine andere Kutsche genommen und damit nach Versailles gefahren. Wie auch immer...

Es sah danach aus, als wäre der Ball misslungen, denn sonst würde Oscar jetzt nicht am Brunnen stehen und Tränen fließen lassen. Auch wenn das bereits ein später Abend war und nur das silbrige Licht des Vollmondes auf die Erde fiel, hörte er trotzdem ihr leises Schluchzen. André konnte einfach nicht mehr in seinem Versteck aushalten und kam langsam zu ihr. „Was ist passiert?“ Es war ihm egal, dass ihre Tarnung auffliegen konnte, wenn jemand ihn bei ihr sehen würde. Aber dass Oscar noch mehr litt, wollte er noch weniger.
 

Oscar hörte ihn, fuhr schnell mit ihrem Arm über die Augen und richtete sich auf. „Du sollst nicht hier sein...“, meinte sie mit belegter Stimme und drehte sich um.
 

André schmerzte es im Herzen, sie mit verweinten Augen zu sehen und schüttelte bedauernd den Kopf. „Er hat dich nicht verdient“, dachte er und Oscars Augen weiteten sich überrascht. „Was hast du gesagt?“ Zu spät verstand André, dass er seine Worte lauter ausgesprochen hatte als gedacht. „Wenn du willst, kann ich dich wieder nach Hause bringen“, erwiderte er anstelle auf ihre Frage zu antworten und hoffte, sie würde nicht mehr nachfragen.
 

Oscar sah ihn eine weile missverstanden an und runzelte die Stirn. Dann atmete sie tief ein und aus. „Ja, bringe mich hier fort, ich muss dieses verdammte Kleid loswerden und meine Uniform wieder anziehen.“
 

„In Ordnung.“ André wagte sie nicht mehr weiter anzusehen, ihr so schöner und gleichzeitig trauriger Anblick schmerzte ihm schon genug. „Ich bringe dich zu meinem Pferd, es steht nicht weit von hier.“ Er drehte sich um und ging ihr voraus.
 

Auch wenn das Korsett Oscar schon genug die Luft zum Atmen wegnahm und die hohe Schuhe sehr unbequem beim Laufen waren, holte sie ihren Freund trotzdem schnell ein und hielt mit ihm Schritt. Sie wollte so schnell wie möglich fort von hier und sein unerwartetes Erscheinen schien ihr gerade passend. Zugegeben, am Anfang war sie schon etwas überrascht und wollte ihn auffordern, sie alleine zu lassen, aber das hätte sie bestimmt später bereut. Denn im Grunde genommen, konnte er nichts dafür, dass sie so töricht war und sich auf diese Maskerade im Kleid und Ball eingelassen hatte. „Wieso bist du mir überhaupt gefolgt, André?“, fragte sie unterwegs zu dem Pferd und auch um den Tanz mit von Fersen zu vergessen.
 

Liegt es nicht auf der Hand?, wollte André erst grantig sagen, aber überlegte es sich doch anders. „Ich konnte dich nicht alleine lassen.“
 

Sie nicht alleine lassen? Diese Antwort verstand Oscar nicht so recht und das machte sie beinahe wütend. Es klang so, als wäre sie ein Kind und er musste auf sie aufpassen! Warum sagte er so etwas? Dann kam ihr seine andere Aussage durch den Sinn, die sie am Brunnen von ihm gehört hatte. „Er hat dich nicht verdient“, hatte er leise gemeint und so ausgesehen, als hätte er etwas auf dem Herzen, worüber er mit ihr nicht sprechen wollte. Aber vielleicht gehörte das eine mit dem anderen zusammen? Oscar begann darüber zu grübeln, bis André plötzlich stehen blieb und ein kurzes Zeichen durch die Zähne pfiff. Sofort wieherte ein Pferd nicht weit von ihnen zurück und André ging weiter. „Ich dachte schon, ich habe mich verlaufen“, scherzte er dabei und lachte sogar.
 

„Wenn man sich in Gärten von Versailles nicht auskennt, kann es schon mal passieren, dass man sich verläuft“, erwiderte Oscar genauso scherzhaft, aber bekam dabei das beklommene Gefühl, dass André sich verstellte. Eigenartig, was hatte er auf einmal?
 

„So da sind wir.“ André beschleunigte sein Schritt und tätschelte sein Pferd an dem massiven Hals. Sein vierbeiniger Gefährte begrüßte ihn mit leisen Schnauben und rieb sein Kopf an Andrés Schulter. Oscar kam auch an und wurde von dem Braunen ebenfalls begrüßt. Er zog sein Kopf zu ihr und knabberte mit seinen weichen Lippen an ihrem Kleid. „Hör auf, das ist nichts zum Essen!“ André zog den Pferdekopf sofort weg von Oscar, aber dieser schnappte noch einmal zu und riss ein Stück Stoff des Kleides am Rock ab. „Entschuldige, Oscar. Ich hoffe, das Kleid kann man wider zusammenflicken.“ André entfernte das abgerissene Stoffteil des Kleides aus dem Maul des Pferdes, holte stattdessen ein Apfel aus der Satteltasche und gab es ihm. „Hier, nimm, das schmeckt bestimmt besser.“ Das ließ sich der Brauner nicht zwei Mal sagen, schnappte nach der Frucht und kaute sie genüsslich, während André ihm leicht durch die Mähne streichelte. „So ist es brav, mein Guter.“
 

Oscar beobachtete ihn dabei die ganze Zeit und vergaß sogar den Riss in ihrem Kleid. „Du hattest nicht zufällig auch meinen Schimmel mitgenommen?“ In der Tat entdeckte sie neben Andrés Pferd kein anderes.
 

„Nein, Oscar, ich wusste nicht, ob du mit mir überhaupt mitkommen würdest. Ich durfte eigentlich gar nicht hier sein.“ André band das Pferd vom Baum ab, ohne Oscar anzusehen.
 

„Dennoch bist du hier.“ Oscar wurde es noch enger in dem Kleid, als André direkt vor ihr stand und ihr tief in die Augen schaute. Es wurde ihr mulmig am Herzen und die Bilder von dem Ball flogen nur so in ihren Gedanken. Vor allem der Tanz mit von Fersen, dessen Gesicht und wie er sie gehalten hatte. Alles drehte sich wie in einem Wirbelsturm, die Gefühle nach unerwiderten Liebe stiegen in ihr wieder hoch und ihr wurde schlecht. Sie konnte nicht mehr! Wut auf sich selbst und Verzweiflung vermischten sich miteinander so sehr, dass sie am liebsten geschrien hätte. Nur die Anwesenheit von André hinderte sie daran, dies in die Tat umzusetzen und sie schluckte deshalb ihre aufgewühlte Gefühle wie eine bittere Medizin herunter. André durfte nichts davon mitbekommen! Dieser jedoch bekam alles mit und wiederholte nur das, was er kurz zuvor gesagt hatte: „Graf von Fersen hat dich nicht verdient, Oscar.“ Diesmal sagte er es absichtlich, so dass sie es auch hörte und Oscars Augen weiteten sich erneut überrascht. „Was weißt du schon!“, fauchte sie gedämpft, um nicht laut zu sein und wollte am liebsten wegrennen. Aber wohin und wovor?
 

„Ich weiß jede Menge, Oscar, weil ich die Liebesqual selbst kenne!“ Es war nun raus. Ob beabsichtigt oder nicht, war nicht mehr von Bedeutung. Oscar wusste nun, wie es um ihn bestellt war und dämpfte auch sein lauten Ton. Er wagte kaum noch zu atmen und fragte sich insgeheim, was jetzt nun kommen würde.
 

„Du kennst das auch?“ Oscar war für einen Moment perplex. André liebte auch jemanden unerwidert? Wer war diese Frau, die ihn leiden ließ? Plötzlich übekam sie den Drang, ihm helfen zu wollen. Denn Andre durfte nicht leiden. Nicht wie sie. Es reichte, dass sie selbst schon genug litt und diesen qualvollen Schmerz wollte sie ihm unbedingt ersparten.
 

„Ja, das kenne ich, mehr als genug sogar.“ André verringerte noch mehr die Distanz zwischen ihnen, sodass ihre Körper sich leicht berührten, neigte sein Mund zu ihrem Ohr und senkte seine Stimme zum einem Flüstern. „Denn diese Liebe bist du, Oscar...“
 

Wie bitte? Oscar konnte keinen klaren Gedanken mehr fassen. Sie war seine Liebe? Aber das war doch unmöglich! Als wäre sein Geständnis nicht schon genug, spürte sie plötzlich seine Lippen auf den ihren. Es war nur ein leichter Lippendruck, mehr nicht und doch reichte es aus, um ihr Herz höher schlagen zu lassen. Es kam ihr so vor, als würden die Gefühle zu von Fersen in eine hintere Ecke verschwinden und sich stattdessen etwas neues ausbreiten. Etwas was sie nicht kannte und dennoch sich schön anfühlte und sie aus einem langen Schlaf erwachen ließ. Aber wie war das nur möglich? André entfernte sich sogleich von ihr. „Es tut mir leid, dass du das jetzt erfährst, aber ich konnte deine Liebesqual nicht mehr ansehen. Wenn du leidest, leide auch ich und wünsche mir zu sterben...“
 

Zu sterben? Aber das wäre grausam! Was würde dann aus ihr? Oscar wurde hundeelend, als sie sich ein Leben ohne André kurzzeitig vorstellte und ihr Brustkorb zog sich schmerzlich zusammen. Zaghaft berührte sie ihre Lippen mit den Fingern und schmeckte noch den warmen Druck von den seinen. Nein, er durfte nicht sterben! Nicht nachdem, was er ihr gerade offenbart hatte! Sie hatte auf einmal so viele Fragen zu ihm, die nur er ihr beantworten konnte! „Warum ich?“, murmelte sie die erstbeste Frage, die ihr gerade einfiel.
 

Wie, Oscar blieb gelassen? Sie hatte ihn weder wütend angefahren, noch ist sie von ihm weggelaufen. Oder war das eher ein vorübergehender Moment ihrer Fassungslosigkeit? André schluckte hart und rang mit sich. Soll er ihr das sagen? Oder lieber doch auf einen richtigen Zeitpunkt zu warten? Er entschied sich für das erste. „Weil ich seit ich denken konnte, nur mit dir zusammen bin und ich es immer sein werde. Ob in einer deiner Uniformen oder im Kleid, ich sehe immer die Frau in dir und dazu eine liebenswerte, gutherzige und schöne Frau, die ich schon seit immer aus tiefsten Herzen liebe...“
 

„André...“ Oscar entstand ein dicker Kloß im Hals und ihre Augen brannten erneut vor anlaufenden Tränen, die sie aber noch unterdrücken konnte. Ja, das stimmte, er war schon immer mit ihr zusammen, aber dass er sie liebte, hatte sie sich nicht einmal erträumen lassen. Schlimmer noch, sie hatte nichts davon gemerkt und fühlte sich irgendwie miserabel. „Das tut mir leid...“
 

Was tat ihr leid? Etwa sein Geständnis? Oder weil sie ihm wegen Graf von Fersen die Gefühle nicht erwidern konnte? André rang noch mehr mit sich und befürchtete, sie würde die Freundschaft beenden. „Wenn du mich nicht mehr sehen willst, sage es mir, Oscar...“, meinte er deshalb, um ihr zuvorkommen und auch um sich Gewissheit zu verschaffen.
 

Oscar erschrak. Wie kam er darauf, dass sie ihn nicht mehr sehen wollte? Sie waren doch Freunde fürs Leben! Oder jetzt etwa nicht mehr? Nun, für ihn war sie die Liebe des Lebens und er war für sie einer der wichtigsten Menschen, ohne den sie sich keinen einzigen Tag vorstellen konnte. Aber bedeutete das auch Liebe? „Ich brauche Zeit zum Nachdenken...“
 

Wenn es nur das war, dann war noch nicht alles verloren. André atmete erleichtert auf. „Du kannst so viel Zeit haben, wie du willst. Ich werde dich niemals zu etwas zwingen oder gar bedrängen, Oscar. Das schwöre ich dir bei meinem Leben.“
 

Schon wieder dieses Wort! Oscar konnte es nicht mehr mitanhören und wurde hitzig: „Unterstehe dich, mir so etwas zu sagen! Denkst du, mir bedeutet dein Leben nichts? Du bist mir sehr wichtig, André!“ So wichtig, dass sie sich ihr eigenes Leben nicht ohne ihn vorstellen konnte. Das wurde ihr gerade mehr als klar und das verstand auch André. „Entschuldige“, sagte er deshalb eingeknickt und berührte ganz sachte ihre Wange. Er strich ihr eine Haarsträhne hinters Ohr. „Dann schwöre ich dir bei meiner Liebe zu dir.“
 

„Das klingt schon besser.“ Oscar dämpfte ihre Rage und hielt für einen Wimpernschlag inne. Seine trockene und warme Hand an ihrer Wange verursachte ihr einen angenehmen Schauer am ganzen Körper und in dem sanften Blick seiner grünen Augen entdeckte sie so viel Liebe, dass es ihr beinahe schwindelig wurde. Trotz der Dunkelheit, glaubte sie all seine Gefühle zu ihr von seinem Gesicht ablesen zu können. Das machte sie auf eine Art schwach und beflügelt. Plötzlich änderte sich sein Gesichtsausdruck und André wirkte ein wenig verlegen. „Oscar, kann ich dich um einen Gefallen bitten?“
 

„Aber natürlich, André.“ Wieso fragte er noch? Sie würde für ihn doch alles tun, genauso wie er für sie!
 

André atmete tief ein und aus, sammelte seine Mut zusammen und suchte nach passenden Worten. „Ich möchte, dass du weißt, dass ich auf deine Entscheidung warten werde, ganz gleich wie lange du dafür die Zeit brauchst... Wenn du dich gegen mich entscheidest, werde ich es akzeptieren... Deswegen und bevor es dazu kommt, würde ich gerne ein letztes Mal von deinen Lippen kosten...“, sprach er aus und wappnete sich auf eine Abweisung.
 

Ein letzter Kuss also? Oscar war verwundert, aber nicht wütend. Seine Bitte stimmte sie sogar etwas wehmütig. „Ich werde mich niemals gegen dich entscheiden, André. Ich brauche nur Zeit, um mich an deine Liebe zu gewöhnen...“ Ja, das war das, was sie brauchte und zog ihren Kopf schon selbst zu ihm. Der Kuss, den André ihr diesmal schenkte, war kein bloßer Lippendruck. Dieser Kuss war innig, liebevoll und so betörend, dass Oscar alles um sich herum vergaß. Ebenso die falsche Schwärmerei, die sie bis heute zu von Fersen empfunden hatte, verflüchtigte sich endgültig aus ihren Gedanken und aus ihrem Herzen. Jetzt galt nur André und seine aufrichtige Liebe, die er ihr in dem Kuss mit all seiner Leidenschaft schenkte. Oscar konnte sich nicht davon reißen und lehnte sich mit ihrem ganzen Körper an ihn. André legte seine Arme um sie und Oscar fühlte sich darin so geborgen, wie noch nie zuvor. Ausgerechnet er brach dann den Kuss ab, hielt sie aber weiterhin in seinen Armen und lächelte. „Ich danke dir, Oscar. Das werde ich niemals vergessen und für immer in meinem Herzen tragen.“
 

Noch von dem Kuss berauscht, erwiderte Oscar das Lächeln. „Nichts zu danken, André. Im Gegenteil, ich habe dir zu danken, für deine Offenheit, für deine Liebe und weil du immer bei mir bist. Ich werde dir morgen eine Antwort geben, aber jetzt las uns nach Hause aufbrechen.“ Das Oscar selbst so offenherzig war, überraschte nicht nur André. Aber andererseits, war es ein gutes Zeichen und Hoffnung, denn Oscar hatte ihn nicht abgewiesen und sie verabscheute Lügen. „Wie du willst.“, sagte er, ließ sie aus seinen Armen frei und half ihr aufs Pferd. Dann stieg er hinter ihr in den Sattel und ritt mit ihr in Richtung des Anwesens der de Jarjayes. Morgen würde es ein neuer Tag geben. Es würde ein neues Kapitel in ihrem Leben aufgeschlagen werden und nicht nur André, sondern auch Oscar war das bewusst. Sie brauchten nur die heutige Nacht für sich, um nachzudenken und sich vorzubereiten. Denn sie ließen sich auf etwas ein, was von der weltlichen Ordnung nicht gestattet war. Nämlich eine Liebe zwischen einer Adligen und einem Bürgerlichen. Aber die Liebe würde schon alle Gefahren und Unannehmlichkeiten überstehen, solange sie zusammen bleiben und für einander da sein würden. Nichts und niemand würde sie jemals trennen können, denn sie beide waren nun mal für einander bestimmt und das war ihnen heute Abend mehr als klar geworden.

Folge 26 (Der schwarze Ritter)

Herbst. Die Tage wurden immer kürzer und die Nächte immer kühler. Oscar saß am Kamin und dachte an ihren Freund. Er war nicht auf dem Anwesen. Seit einigen Wochen beliebte er nämlich zu später Stunde auszureiten und erst spät nachts heimzukehren. Oscar wäre das vermutlich nicht aufgefallen, wenn gewisse Sachen nicht zur gleichen Zeit geschehen wären. Ein geheimnisvoller Dieb in schwarzer Maske und Kleidung trieb fast jede Nacht sein Unwesen und bestahl nur Adelshäuser. Seine Beute verteilte er unter den ärmsten der Armen und man nannte ihn den schwarzen Ritter. Oscar wollte auf kein Fall André etwas unterstellen, aber wenn nicht dieser schwarzer Ritter da wäre, hätte Oscar seinen nächtlichen Ausflügen keine Beachtung geschenkt. Jedoch war es zu ihrem Leidwesen nicht so und sie machte sich deshalb Sorgen. Sie erhob sich schwer seufzend aus ihrem gepolsterten Stuhl und ging auf ihr Zimmer. Auf André weiter zu warten, würde nicht viel bringen. Während sie die Treppe in die obere Stockwerk nahm, hörte sie von unten, wie die Tür aufging und dass jemand das Haus betrat. Sofort blieb sie stehen und schaute zum Eingang. „André?“ sprach sie ihn von der Treppe aus an, als er die Haustür abschloss.
 

„Ja?“ Er sah zu ihr auf als wäre nichts passiert.
 

„Warst du so spät noch unterwegs?“ Nun, da sie ihn beim nächtlichen Heimkehren sozusagen erwischt hatte, könnte sie ihn auch gleich darauf ansprechen.
 

„Ist es verboten?“, konterte er: „Ich bin nur ein Stück ausgeritten.“
 

So eine kühle Antwort hatte Oscar von ihm nicht erwartet und verdächtige Gedanken schwebten ihr sogleich durch den Kopf. „In so einer kalten Nacht?“
 

„Was ist dabei? Das macht mir nichts aus.“ Entweder war André ein guter Schauspieler oder er hatte wirklich keine Verbindung mit dem schwarzen Ritter. Oscar wollte schon ihren Weg zu ihrem Zimmer weiter gehen, als sie erschrocken inne hielt. Aus einer Tasche seiner Ausgehjacke lugte ein Stück Perlenkette hervor. Er hob seine Hand, als er an der Treppe zu seinem bescheidenen Zimmer vorbeiging. „Gute Nacht, Oscar, schlafe gut.“
 

„Danke, du auch“, wünschte ihm Oscar hinterher und ein mulmiges Gefühl breitete sich in ihr aus. Was, wenn André hinter der Diebstahl steckte? Oscar schmerzte es an der Seele, ihren Freund zu verdächtigen und nahm sich deshalb vor, ihn beim nächsten Mal sofort zu Rede zu stellen und solange nicht nachzugeben, bis sie die Wahrheit erfährt! Oder wenn er nichts sagen würde, dann ihn notfalls zu verfolgen! Sie musste es einfach wissen, sonst würde sie daran zerbrechen! Denn André bedeutete ihr viel...
 

Am nächsten Tag und noch bevor es zu einem ernsten Gespräch kam, überraschte André Oscar. Er gab ihr diese Perlenkette, die sie bei ihm nach dem nächtlichen Ausflug entdeckt hatte. „Sieh mal, Oscar, stell dir vor, die habe ich gestern bei meinem Ausritt gefunden.“
 

War das wirklich so? Oder hatte er in der Tat nichts mit den seltsamen Diebstählen auf die Adelshäuser zu tun? „Bitte gib sie mir, ich erkundige mich und bringe sie zurück.“ Oscar nahm die Kette an sich und dabei berührten sich sachte ihre Hände, was ihr ein angenehmes Kribbeln im Magen bescherte. Komisch, bisher hatte sie dieses prickelnde Kribbeln unter ihrer Haut noch nie gespürt. Vielleicht war das aber ihr Gewissen, weil sie André fälschlicherweise verdächtigte. Das musste sie unbedingt in Erfahrung bringen, aber nicht jetzt. An der ersten Stelle stand der schwarze Ritter und sie nahm sich vor, auf jedem Ball anwesend zu sein, um ihn dingfest machen zu können! André begleitete sie natürlich selbstverständlich und der schwarze Ritter ließ sich aber nicht blicken. Erst als André wieder eines späten Abends, ohne etwas zu sagen, verschwand und Oscar ohne ihn auf einer dieser Bälle gehen musste, tauchte der Dieb auf. Oscar fühlte sich miserabel denn je. Aber wie dem auch sei, der Dieb gehörte hinter Gittern und so verfolgte sie ihn durch ganz Paris, ohne Erfolg.
 

In einer der Gassen, stellte der schwarze Ritter ihr sogar eine Falle und schlug sie am Kopf nieder. Mit einer Platzwunde am Kopf, konnte sie ihm jedoch entwischen und nun saß sie mit großem Verband erneut am Kamin auf dem Anwesen und fand keine Ruhe mehr. Was war nur in André gefahren? War er wirklich der schwarze Ritter? Schon alleine der Gedanke daran, war schrecklich und bescherte ihr nicht nur Kopfschmerzen, sondern auch ihr Herz stach qualvoll. Plötzlich hörte sie, wie jemand den Salon betrat und erkannte ihn schon alleine an seinen Schritten. „Das war leichtsinnig“, machte er ihr sogleich Vorwürfe, kaum er hinter ihrem Stuhl stehenblieb. „Alles in allem, hast du Glück gehabt. Warum hast du nicht auf mich gewartet? Wie konntest du nur alleine losgehen?“
 

Wie bitte? Oscar schoss aufgewühlt in die Höhe. „Und darf ich wissen, wo du warst? Wo führen sie dich hin, deine langen Ausritte an so vielen Abenden?“ Sie baute sich vor ihm auf und fasste sich an die Stirn, als hätte sie heftige Kopfschmerzen – zugegeben stimmte das ja auch. „Ich möchte endlich wissen, was du tust, wenn du stundenlang ausreitest und erst spät Nachts nachhause kommst! Alles kann ich vertragen, alles – nur keine Lügen, keine Lügen! Verstehst du? Das ist unseren Freundschaft unwürdig!“
 

Was, sie verdächtigte ihn doch nicht etwa des schwarzen Ritters? Wie konnte sie nur? Aber andererseits... „Ich verstehe, dass du mir solche Vorwürfe machst, Oscar.“ André gab nach. Wie auch immer, vielleicht würde die Wahrheit sie doch umstimmen und ihre Meinung ändern oder auch ihren Verdacht zerstreuen. „Also gut, hör zu: Du kannst mich beim nächsten Mal begleiten.“
 

Ein paar Tage war es erneut soweit. Der erste Schnee fiel vom Himmel und André brachte Oscar an den Rand von Paris. „Die kleine Dorfkirche dort drüben – sie ist mein nächtliches Ziel meiner Ausflüge. Aber erwarte jetzt keinen Abendandacht, Oscar. Da drin versammeln sich einige Edelleute und Bauern, um fortschrittliche Ideen zu diskutieren.“ Oscar sagte nichts dazu und war noch mehr bestürzt, als André ihr auf dem Heimweg seine Meinung darüber offenbarte. „Diese Kirche ist ein Versammlungsort. Die Treffen finden mehrmals in der Woche statt. Bisher habe ich auch nur so in den Tag hinein gelebt und mir keine Gedanken gemacht. Aber diese neue Ideen überzeugen mich – sie sind gut und richtig. Obwohl ich in einem adligen Haus aufgewachsen bin, gehöre ich nicht zu euch. Ich halte es für meine Pflicht und Schuldigkeit, mich mit den Ideen der neuen Bewegung auseinanderzusetzen und die Herrschaftsverhältnisse in unserem Land zu durchschauen. Jetzt weißt du alles Oscar.“
 

Auch da erwiderte Oscar nichts. Einerseits war sie erleichtert, dass André doch kein schwarzer Ritter war, aber andererseits wurde ihr der Standesunterschied zwischen ihnen mehr den je bewusst. Das schmerzte sie sehr und Wehmut breitete sich in ihr aus. Auf dem Anwesen im Stall sattelte André die Pferde ab und Oscar beobachtete ihn dabei nachdenklich. Sie hatte sich niemals Gedanken darüber gemacht, dass er durch seine niedere Herkunft etwas anderes war. Er war immer bei ihr, als Freund und Gefährte und sie nahm das alles als selbstverständlich. Jetzt, nach dem Besuch in dieser kleinen Dorfkirche und nach seiner Offenbarung, bekam sie das unwohle Gefühl, dass sie ihn dadurch verlieren könnte. André würde sicherlich zu seinesgleichen stehen und womöglich dann zu ihr Distanz nehmen. Was würde dann aber aus ihrer langjährigen Freundschaft? Sie musste sich unbedingt Gewissheit verschaffen und am besten von ihm selbst. Vielleicht ihn auf die Probe stellen? Ja, das wäre eine gute Idee. Nur aber wie sollte sie es tun, ohne dass er einen Verdacht schöpfte?
 

Auf dem Anwesen in ihrem Salon fand sie eine Art Lösung. Sie würde bei dem Thema von der neuen Bewegung und dem schwarzen Ritter bleiben. Es könnte ja sein, dass sie auf diese Weise und unterschwellig etwas herausfinden würde. Sie ergriff das Wort, sobald sie sich auf ihrem Zimmer gemütlich machten. „Du willst mir doch nicht etwa im ernst erzählen, dass du den schwarzen Ritter für den Vertreter der neuen Bewegung hältst?“ Sie stand am Fenster und beobachtete Schneeflocken, die langsam draußen auf die schwarze Erde fielen und die Umgebung mehr und mehr in weiß verwandelten.
 

„So habe ich das nicht gemeint, Oscar.“ André saß entspannt auf dem Stuhl. „Ich teile völlig deine Meinung, dass ein Dieb ein Dieb ist. Trotzdem kannst du es nicht leugnen, dass er die ungeteilte Sympathie der Bevölkerung genießt.“
 

„Das ist mir ganz egal!“ Oscar drehte sich um. „Ich werde alles daran setzten, um ihn zu fassen! Ich werde ihm die Maske vom Gesicht reißen und sehen, wer dahinter steckt!“ Ihr fiel sogleich ein, wie sie ihn auf die Probe stellen konnte und fügte deshalb noch zusätzlich ein: „Ob du mir dabei hilfst, ist deine Sache – ich kann dich dazu nicht zwingen“, hinzu. Sie merkte, wie sein Gesichtsausdruck sich schlagartig veränderte. So, als wolle er sagen, wie konnte sie nur daran zweifeln? Ihre Vermutung bestätigte sich, als er sich schnell erhob und mit wenigen Schritten schon vor ihr stand. „Natürlich werde ich dir helfen, Oscar, wir sind doch Freunde!“ Mit anderen Worten, wie konnte sie nur in Erwägung ziehen, dass er sie alleine lässt?!
 

„Danke.“ Oscar fühlte sich schon viel besser, leichter und bekam prompt das Bedürfnis, sich an ihn anzulehnen. Aber würde das nicht ein wenig unschicklich sein? In ihrer Kindheit gab es ab und zu Momente, wo sie ihn aus Dankbarkeit für ein Gefallen umarmt hatte, erinnerte sie sich und lächelte auf einmal. Nein, es würde auf kein Fall unschicklich sein, sie waren doch Freunde und eine Umarmung von ihrem Freund würde schon kein Skandal herbeirufen. So war André überrascht, als Oscar sich an ihn aus heiterem Himmel anlehnte. Sie spürte, wie sich sein Körper versteifte, hörte wie sein Herz immer schneller schlug und wie seine Arme sich etwas zögerlich um sie legten. Wie angenehm es doch war, wieder dieses warme Gefühl der Geborgenheit zu spüren, wie sie das schon in ihrer Kindheit erlebt hatte. Da kamen sogleich die schöne Erinnerungen an ihrer gemeinsame, sorgenlose und unbeschwerte Zeiten hoch. Das müssten sie unbedingt wiederbeleben und ihre Freundschaft noch mehr festigen! Oscar fühlte sich so entspannt, dass sie nicht merkte, wie André hauchfein mit seinen Lippen ihrem Scheitel streifte, auf diese verborgene Weise ihr einen Kuss gab, die Augen schloss und den milden Duft ihrer weichen Haare tief in sich einatmete.

Folge 27 (Die Maske fällt)

André! Warum musste ihm das nur widerfahren? Sie hätte gleich den schwarzen Ritter anschießen sollen und nicht zulassen, dass André mit ihm kämpfte! Aber woher sollte sie auch wissen, dass es zu so etwas überhaupt kommen würde? Gestern Nachmittag hatte sie eine dunkle Vorahnung, als würde etwas schreckliches passieren... Jedoch hätte sie nie im Leben gedacht, dass es so schrecklich sein würde. Der schwarzer Ritter hatte André beim Schwertkampf am linken Auge verletzt und nun lag ihr Freund auf seinem Zimmer im Bett und ließ sich vom Doktor Lasonne behandeln. Fast seine ganze linke Gesichtshälfte war mit einem Verband bedeckt und Oscar haderte mit ihrem Gewissen. Ihr blutete die ganze Zeit das Herz, ihren Freund so leidend zu sehen und sie schwor sich insgeheim, den schwarzen Ritter zu fassen und ihn dafür büßen zu lassen. Auf dem Anwesen ließ sie ihn keinen einzigen Moment aus den Augen und als Sophie den Doktor nach der Untersuchung aus dem Zimmer geleitete, kam sie an sein Bett heran. André öffnete mühsam sein gesundes Auge. „Wer war dieser schwarze Ritter?“, brachte er leise von sich.
 

Oscar war ein wenig irritiert. Wieso interessierte ihn der schwarzer Ritter? Er musste vorerst an sich denken und schnell genesen! Oder wollte er damit von seinem Schmerz ablenken? Wenn dem so war, dann würde sie ihm natürlich dabei helfen. „Ich musste ihn leider entwischen lassen“, sagte sie deshalb leicht mit belegter Stimme und André verzog daraufhin, soweit es ihm möglich war, ein verwunderten Gesichtsausdruck. „Was sagst du da?“ Das war ihm in der Tat unbegreiflich. Solange er Oscar kannte und er kannte sie mittlerweile sehr gut, hätte sie niemals von ihrem festgesetzten Ziel abgelassen. „Warum hast du diesen Mann nicht bis ans Ende der Welt verfolgt und ihn anschließend gefangengenommen?“ Den Grund hätte er gerne gewusst.
 

„Du weißt warum. Ich konnte dich doch nicht verletzt zurücklassen und ihn verfolgen.“ Oscar musste erst einmal einen dicken Kloß herunterschlucken. Seine Fragen fügten merkwürdige Stiche in ihrem Herzen zu, auf die sie keine Erklärung fand. Das klang so, als würde ihn nichts mehr anderes interessieren, als an diesem schwarzen Ritter Rache zu nehmen. Nun gut, den gleichen Gedanke hatte sie auch, aber um diesen Dieb würde sie sich später kümmern.

Im Zimmer wurde es etwas heller. Oscar drehte sich halbwegs um und schaute über die Schulter zum Fenster. „Es beginnt zu dämmern“, meinte sie und hörte sogleich ein schwaches Flüstern vom Bett: „Ich bin froh, dass mein Auge verletzt wurde und nicht deines, Oscar.“
 

Wie? Oscar glaubte sich verhört zu haben und schaute erschrocken zu ihm. Ihr blieb dabei fast das Herz stehen. Eine Träne glitzerte in seinem Auge und dabei versuchte er zu lächeln. Oscar war bestürzter als noch vor wenigen Augenblicken und eine eigenartige Schwäche ergriff ihren Körper. „Ach, André, sag doch nicht so etwas.“ Sie kniete sich zu ihm ans Bett und nahm seine Hand in die ihre. Andrés Auge weitete sich etwas überrascht. So eine zarte, vorsichtige Berührung war er von ihr bestimmt nicht gewohnt. Aber dann lächelte er sie noch mehr an und Oscars Herz zerbarst noch mehr. Wie konnte er Angesichts der schlimmen und für ihn bestimmt schmerzhaften Situation, so unbekümmert wirken? Sie schaute sein Gesicht genauer an, so als versuche sie darin eine Antwort zu finden und je mehr sie ihn betrachtete, desto mehr blieb die Zeit für sie stehen. In dem Grün seines Auges glaubte sie etwas Verborgenes zu sehen, was nur für sie galt und ihr Blut durch die Adern noch wärmer fließen ließ. Für wenige Augenblicke war sie wie versteinert und doch hörte sie, wie ihr Herz immer schneller schlug. Ein angenehmes Rauschen entstand in ihrem Kopf und sie senkte ihren Blick auf seine Lippen, die noch immer zu einem Lächeln vergezogen waren. Plötzlich bekam sie den Wunsch, diese Lippen zu berühren und dessen Geschmack zu kosten... Aber würde André das wollen?
 

„Es ist in Ordnung, Oscar...“, hauchte er ganz leise, als hätte er ihre Gedanken gehört.
 

Das war bestimmt ein Zauber, eine unbekannte Magie... „Es wird alles wieder gut, ich verspreche es dir...“, sagte sie und beugte sich zu ihm näher vor.
 

André hielt seinen Atem an und ließ ihn ganz langsam durch die Nase entweichen. Denn das, was gerade geschah, müsste bestimmt ein Traum sein! Oscar berührte zaghaft seine Lippen mit den ihren und verharrte so in der Position. Das war ihrerseits sehr seltsam und gleichzeitig wunderschön. Wenn es ein Traum war, dann sollte es nie enden... Aber das war kein Traum und obwohl die Sekunden wie eine Ewigkeit zu dauern schienen, endete das alles noch bevor es richtig beginnen konnte. Oscar entfernte sich schon von ihm und schaute ihn mit ihren klaren, blauen Augen an. Sie war selbst von ihrer Tat verwundert, aber zeigte es nicht. „Alles in Ordnung?“, fragte André vorsichtshalber nach.
 

„Entschuldige, das war nicht mit Absicht.“ Oscar berührte ihre Lippen mit ihren Fingern und spürte noch diese angenehme Wärme von den seinen. Was war nur in sie gefahren? Das war doch nicht zu fassen! Scham und Verlegenheit stiegen in ihr hoch. Was würde André über sie denken?
 

„Es war schön.“ André versuchte noch breiter zu lächeln, aber verzog stattdessen schmerzlich das Gesicht und biss leicht verkrampft die Zähne zusammen.
 

„André!“ Oscar griff erneut nach seiner Hand und ihre Finger schlossen sich noch fester um die seine. „Soll ich Doktor Lasonne zurückholen?“
 

„Nein, Oscar, bleib bei mir...“ André erwiderte den Druck ihrer Finger und umfasste mit seiner freien Hand ihren Handrücken. Der schneidende Schmerz an seinem rechten Auge unter dem Verband ließ nach und er entspannte sich etwas. „Ich werde dein Geschenk für immer in meinem Herzen tragen... Denn es schlägt nur für dich... Mein Leben lang...“
 

Wovon sprach er? Was für ein Geschenk? Sie hatte ihn doch nur... „Du redest wieder Unsinn, André...“ Oscar wäre jetzt am liebsten aufgestanden und weggelaufen. Aber sie konnte nicht, weil ihr Freund sie brauchte und sie wollte ihn nicht ausgerechnet jetzt alleine lassen. Ihre Gefühle spielten verrückt, aber mit ihnen würde sie sich später auseinandersetzen.
 

„Das ist aber wahr, Oscar... Den Geschmack deiner süßen, weichen Lippen werde ich niemals vergessen...“, gestand André und schaute ihr wieder tief in die Augen, dass ihr beinahe wieder der Atem stockte. „Warum, André?“, wollte sie wissen und seine Lippen formten nur drei Worte: „Ich liebe dich.“

Oscar hatte es geahnt. Noch während sie ihm die Frage gestellt hatte, hatte ihr eine innerliche Stimme diese Antwort bereits zugeflüstert. Nun hatte sie es jetzt von ihm selbst gehört und wusste mit einem Mal nicht, was sie tun oder sagen sollte. Liebte sie ihn auch? Ja, sagte wieder diese innerliche Stimme zu ihr und in diesem Moment hörte sie Andrés leicht besorgte Stimme: „Oscar?“
 

„Mir geht es gut, keine Sorge.“ Oscar schenkte ihm ein Lächeln, um ihn zu beruhigen. „Ich danke dir für deine Worte, sie bedeuten mir viel.“ Sie neigte sich wieder zu ihm vor, so dass ihre Nasenspitzen sich fast leicht berührten. „Du bedeutest mir viel, André. Aber vorerst musst du gesund werden und dann können wir über die Liebe reden, so viel du willst.“
 

„Ja, Oscar, das können wir machen.“ André befreite seine Hand aus der ihren und strich durch ihr weiches Haar. Am Nacken hielten seine Finger an und Oscar verstand. Sie schenkte ihm erneut einen Kuss, aber diesmal etwas länger und inniger. Je länger der Kuss dauerte, desto höher schlug ihr Herz und sie fühlte sich berauscht. Oscar spürte die ganze Leidenschaft und Liebe, die von André ausgingen und ihr kam es so vor, als hätte sie endlich gefunden, wonach sie schon so lange gesucht hatte. Nämlich, eine reine und bedingungslose Liebe und das auch noch von dem Mann, mit dem sie von klein auf zusammen war. Es war schon ein schönes Gefühl, den Freund aus Kindertagen zu lieben und dabei eine falsche Schwärmerei zu dem Grafen zu vergessen, der ihr nur Leid und Enttäuschung gebracht hatte. Mit André würde so etwas niemals passieren, das spürte sie mit jeder Sehne ihres Körpers, denn André war immer für sie da und hatte sie niemals im Stich gelassen. Jetzt würde sie sich um ihn kümmern und jederzeit für ihn da sein. Wie in guten, so auch in schlechten Tagen. Wie in Freundschaft, so auch in der Liebe und das auch noch für immer und ewig, bis der Tod sie scheidet...

Folge 28 (Liebesqual)

Einen Ausritt am frühen Morgen zu unternehmen und dabei den Sonnenaufgang zu beobachten, war immer eine schöne Sache. Man fühlte sich dabei immer frei und vergaß für einen Augenblick die Sorgen.

Oscar führte bereits ihren gesattelten Schimmel aus dem Stall, aber von André war noch immer weit und breit nichts zu sehen. Wo war er nur? Zuerst lud er sie zum Ausritt ein, aber selber kam er nicht. Sehr eigenartig. „André, wo bist du?“, rief sie nach ihm, aber auch da bekam sie keine Antwort. Sie lief weiter, suchte die Umgebung mir ihren Augen ab und schaute auch auf den spitzen Turm des Anwesens hoch. Sofort blieb sie stehen und runzelte verwundert die Stirn. Jemand schien sich dort oben aufzuhalten und das machte sie stutzig. „André!“, rief sie noch einmal und wieder bekam sie keine Antwort. Jedoch ging derjenige auf dem Turm in die Hocke oder setzte sich auf den Boden, sodass sie ihn nicht mehr sehen konnte. Dies bescherte ihr ein mulmiges Gefühl. War das André? Wenn ja, warum reagierte er dann nicht auf ihre Rufe und versteckte sich stattdessen? Das musste sie unbedingt herausfinden! Vielleicht ging es ihm nicht gut? Seit der Verletzung an seinem Auge, war sie ein wenig umsichtiger zu ihm geworden.

Oscar ließ, ohne lange zu überlegen, ihr Pferd im Hof stehen und eilte in den Turm. Schnell stieg sie die Wendeltreppe nach oben und als sie dort ankam, bestätigte sich ihr Verdacht... Es war André! Er kauerte auf dem Steinboden, die Knie an sich gezogen und hatte seinen Kopf in den Händen vergraben. Was er unter seiner Nase murmelte, verstand Oscar nicht, aber sie bekam einen schmerzlichen Stich in ihrem Brustkorb. Es sah danach aus, als würde es ihm nicht gut gehen. Hatte es etwas mit seinem Auge zu tun?

Langsamen Schrittes ging sie zu ihm, beugte sich etwas vor und legte ihm sachte eine Hand auf den Oberarm. „André, geht es dir nicht gut?“
 

Erschrocken fuhr er mit seinem Kopf nach oben. „Oscar, du?“ Natürlich war das Oscar, er hatte sie schon alleine an ihrer Stimme erkannt. Nun aber sah er in ihr verschwommenes Gesicht. Er konnte es nicht mehr erkennen... „Ich komme gleich runter und dann machen wir einen Ausritt...“, sprach er gleich entschuldigend, um seine Pein vor ihr zu verbergen.
 

Oscar jedoch merkte an seinem Gesichtsausdruck, dass er etwas vor ihr verheimlichte. Sein Blick schien sie nicht richtig anzusehen, sondern ging an ihr in die Ferne vorbei. Das gefiel ihr ganz und gar nicht. Was hatte er? „Du hast mir meine Frage noch nicht beantwortet“, sagte sie betonend und als André dann Anstalten machte aufzustehen, verstärkte sie den Druck ihrer Hand auf seinem Oberarm. „Bleib sitzen. Wenn es dir nicht gut geht, dann verschieben wir den Ausritt auf später“, beendete sie und überraschte André, indem sie selbst neben ihm Platz nahm. Er wusste gar nicht, was er machen oder sagen sollte, denn Oscar saß direkt neben ihm und wartete auf eine Antwort, die er ihr nicht geben konnte. Oder besser gesagt, nicht geben wollte. Denn er wollte nicht, dass sie über seine schwindende Sehkraft erfuhr...
 

„Was ist los mit dir?“, fragte sie ihn mit etwas Nachdruck und er schüttelte nur seinen Kopf. „Nichts“, kam es von ihm dabei nur knapp heraus und es legte sich eine schwere Stille zwischen ihnen. Sie erwies sich sogar noch unerträglicher als Oscars Fragen über sein Befinden... André legte seinen Kopf in den Nacken und schloss die Augen. Nur für eine Minute. Vielleicht würde es seiner Sehkraft gut tun und er würde dann wieder besser sehen können. So würde Oscar seine Sorgen und sein Schmerz nicht auffallen... Zumindest hoffte André sehr darauf. Oscar fiel in der Tat nichts auf, aber das eigenartige Stechen in ihrem Brustkorb schien sich zu verstärken. Was hatte das nur zu bedeuten?

Sie schaute von der Seite her zu André und merkte wie seine Haarsträhnen ihn von seinem erblindeten Augen unauffällig, mehr und mehr, zur Seite rutschten. Sie hielt kurz inne. Es sah auf eine Art irgendwie faszinierend aus, wobei darin nichts außergewöhnliches war. Jedoch wurde ihr plötzlich wärmer und ihr Herz beschleunigte seinen Schlag. Mehr und mehr entblößten ihm die Haarsträhnen seine rosige und schmale Narbe, die wie ein Mahnmal unter dem Augenlid bis zu dem Wangenknochen verlief. Oscar kribbelte es auf einmal in den Fingern, ihm die letzten Haarsträhne beiseite zu schieben und seine Wange zu berühren...
 

André vernahm ein leises Rascheln der Stoffe sowie Oscar sich bewegte, aber rührte sich nicht und öffnete auch nicht sein Auge. Oscar war es anscheinend leid, auf eine Antwort von ihm zu warten und wollte deshalb schon gehen. Nun gut, dann sollte sie gehen und auf ihn unten warten. Er würde ihr später folgen, so wie er ihr es gesagt hatte und nachdem sich seine Sicht geklärt hatte. Es wurde plötzlich etwas kühler an seiner Wange und eine ganz leichte Berührung ließ ihn erschrocken das Auge aufschlagen. Oscars Finger entfernten sich auf der Stelle, aber ihr Gesicht dagegen nicht. Er sah direkt in ihre himmelblauen Augen, die so klar und wie zwei Saphire durch einfallendes Sonnenlicht glänzten. Sogar seine Sehkraft schien deshalb zurückgekehrt zu sein, ihm selbst ging es dadurch nicht besser. Sein Herz, ob dieser Nähe stand noch mehr in Flammen als jemals zuvor und schlug ihm bis zum Hals. Er müsste ganz sicher eingeschlafen sein! Denn Oscar würde so etwas niemals machen. Sie war in Wirklichkeit gegangen und hatte ihn hier auf dem Turm alleine gelassen.
 

„Geht es dir besser?“, fragte sie ihn leise und er bejahte nur mit einem Nicken. „Dann ist es gut.“ Sie lächelte ihn an und André musste hart schlucken, denn Oscar hatte sich noch immer nicht von ihm entfernt. So als würde sie auf etwas warten. Aber auf was? Sie hatte doch gerade die Antwort auf ihre Frage bekommen! Oder war das nicht zufriedenstellend?
 

Oscar wusste selbst nicht so recht, warum sie so nah vor ihm verharrte. Etwas magisches lag in dem Grün seines Auges und zog sie einfach in seinen Bann. Noch nie hatte sie dieses angenehme Gefühl gespürt und je länger sie so verweilte, umso größer und stärker wurde es. Ihre Wangen glühten, als sie ihren Blick auf seine Lippen senkte und sie dabei ein gewisses Verlangen überkam...

Sekunden verwandelten sich in eine Ewigkeit, die Gefühle überschlugen sich und ein angenehmer Schauer verbreitete sich auf ihrem ganzen Körper, als ihre Gesichter sich immer näher kamen. Was war nur los mit ihr? Warum protestierte sie nicht? Es war wie ein Zauber, ein Wunder... „Was machst du mit mir, André?“, hauchte sie ganz leise und bekam nur vier Wörter von ihm zu hören: „Ich liebe dich, Oscar...“, bevor er ihre Lippen mit den seinen versiegelte und ihr einen berauschenden Kuss schenkte.

Folge 29 (Der neue Befehlshaber)

Alles zerbrach wie ein Glas: die Freundschaft zu Graf von Fersen und jetzt auch noch zu André. Der letztere war sogar fast über sie hergefallen, nachdem sie die königliche Garde verlassen und ihn aus ihren Diensten entlassen hatte. Das hatte André anscheinend besinnungslos gemacht und als wäre das schon nicht schrecklich genug, hatte er ihr seine Liebe gestanden. Oscar hatte oft über sein Handeln nachgedacht, während sie eine Woche bis zu ihrem neuen Dienst in der Normandie verbrachte. Mit jedem Tag verstand sie Andrés Schmerz immer mehr und hätte sich gerne bei ihm entschuldigt. Nur aber wie? Er war ja nicht mehr an ihrer Seite. Genau genommen, hatte sie ihn nach dem Zerwürfnis in jener Nacht nicht mehr gesehen. Nicht einmal, als sie nach Normandie aufgebrochen war, ließ er sich blicken und Oscar konnte ihm das nicht einmal verdenken.
 

Die letzten Tage in Normandie versuchte sie ihn zu vergessen, aber konnte nicht. André war ihr im Geiste überall gegenwärtig: Beim Ausritt oder Spazieren am Meer, beim Frühstück und Abendmahl, bei Schießübungen oder beim Fechten gegen eine Strohpuppe und sogar beim allein sein. Wobei allein war sie schon die ganze Zeit, wenn nicht gar ihr ganzes Leben. Nur André, soweit sie sich erinnern konnte, war stets an ihrer Seite und sie hatte das als selbstverständlich genommen. Seit klein auf war er ihr treuer Begleiter und Gefährte und sie hatte ihn schon immer als Freund betrachtet. Und jetzt? Jetzt, nachdem ihr aufgewühltes Gemüt und verletzten Gefühle in dieser einer Woche soweit abgekühlt waren, wünschte sie diese Freundschaft zurück. Leider ging das nicht mehr. André war bestimmt schon weit weg und sie würde ihn womöglich nie mehr wiedersehen. Oder etwa doch? Wenn er in Paris geblieben war, dann würde sie ihn vielleicht durch Zufall treffen und dann... Was dann? Würde sie sich freuen oder würde sie eher so tun, als hätte sie ihn nicht gesehen? Oscar fand darauf keine Antwort. Nicht einmal als ihr neue Dienst in der Kaserne bei Paris begann, hatte sie ihre Gedanken bis dahin verdrängen können und als sie die Quartieren der Soldaten inspizierte, entdeckte sie ihn unverhofft. In der zweiten Reihe, zwischen anderen Männern stand André in einer neuen Söldner Uniform und salutierte zu ihr, wie alle anderen seiner Kameraden. Oscar konnte es kaum fassen und befehligte ihn sofort in ihr Offiziersbüro. „Was soll das André! Ich habe dir doch ausdrücklich gesagt, dass du mir nicht mehr dienen musst“, stellte sie ihn zur Rede, als er ihrem Befehl folge geleistet hatte und sie beide nun ganz alleine unter sich waren.
 

„Ich diene dir nicht persönlich, ich bin lediglich ein Soldat der Söldnertruppe. Und um die Wahrheit zu sagen, ich kenne jemanden, der mir gesagt hat, was ich tun muss. Egal was passiert oder wie du darüber denkst, ich bin der einzige Mensch, der dich beschützen kann.“ André salutierte erneut. „Ich biete um Erlaubnis, wegzutreten!“
 

Sie beschützen? Wovon? Oder vor wem? Doch nicht etwa von sich selbst? Denn er war im Grunde derjenige, der über sie fast hergefallen war. So sah also ihr Wiedersehen aus – geprägt von der langjährigen Freundschaft, an der sie beide noch immer hingen und gleichzeitig geplagt von der Erinnerung an jene verhängnisvolle Nacht... Wie sollte es nur weitergehen? Oscar bekam das Gefühl, als hätte André sich ein wenig verändert. War das auch ihr Verschulden? „André, warte!“, rief Oscar, als er schon fast an der Tür war. Sie musste mit ihm unbedingt darüber sprechen, sonst würden sie sich für immer damit belasten. Als hätte André den gleichen Gedanken, blieb er stehen und kehrte um, zurück zu ihr. „Was ist?“
 

Oscar war erleichtert, dass er blieb und gleichzeitig aber verunsichert. Wie sollte sie nur das Gespräch anfangen? „Es tut mir leid“, sagte sie deshalb kurz angebunden, als hätte sie damit nun alles geklärt. Aber dem war nicht so. Sie spürte, dass es ein falscher Anfang war und fühlte sich noch immer schuldig gegenüber ihm. André sagte nichts, er sah sie nur stumm an und wartete bestimmt auf noch mehr Worte von ihr. Aber was sollte sie ihm denn noch sagen? Sie war nun mal kein gesprächiger Mensch und das wusste er genau.
 

André dagegen war ein wenig überrascht. Oscar hatte sich bei ihm entschuldigt? Aber wofür? Dafür, dass sie ihn nicht lieben konnte wie er sie oder dafür, dass sie ihn aus ihren Diensten entlassen hatte? „Ich verstehe nicht ganz, Oscar. Was tut dir leid?“
 

Warum machte er ihr das so kompliziert? Als hätte sie es nicht schon schwer genug! „Das, was zwischen uns das letzte Mal vorgefallen ist und dass es überhaupt dazu gekommen ist“, meinte sie wieder knapp und verstummte.
 

André zuckte merklich zusammen. Jene verhängnisvolle Nacht hing wie Bleifessel noch bis heute an ihm und er wusste nicht, ob er seine abscheuliche Tat jemals vergessen würde können. Dass Oscar es indirekt erwähnte, trug auch nicht gerade zu Vergessenheit und Frieden zwischen ihnen bei. Aber andererseits, dass sie sich deswegen bei ihm entschuldigte, bewies ihm jedoch, dass er ihr nicht gleichgültig war. Die Hoffnung auf eine Versöhnung glomm in ihm hoch und vielleicht deshalb ließ auch er mit einer Aussage nicht auf sich warten. „Und mir tut es leid, dass ich an dem Abend die Beherrschung verloren habe. Ich habe geschworen, das nie wieder zu tun und daran halte ich mich.“
 

„Das weiß ich und ich glaube dir.“ Wo sollte dieses Gespräch nur hinführen? Oscar kam es so vor, als würde eine Mauer zwischen ihnen stehen und keiner von ihnen konnte es überwinden. Vielleicht war die Wunde nach den Ereignissen noch zu frisch, um jetzt schon damit abzuschließen? „André, in Normandie habe ich darüber viel nachgedacht und beschlossen, dass wir uns so selten wie möglich sehen sollten...“ Oscar sah, wie Andrés Auge sich erschrocken weitete, wie er etwas dazu erwidern wollte, aber konnte nicht und sprach deshalb schnell weiter, auch wenn ihr selbst dabei schwer am Herzen war: „...ich sehe aber, dass es eine falsche Entscheidung war. Nach dem ich dich gerade hier vor mir sehe, muss ich eingestehen, dass du mir gefehlt hast. Warum können wir nicht einfach so sein wie früher, als wir noch Kinder waren?“ Die Antwort darauf wusste sie ganz genau. Sie waren nämlich keine Kinder mehr und nach Andrés Liebesgeständnis, von den Taten mal abgesehen, würde es wohl niemals mehr so sein wie früher. André würde sie nie mehr wie ein Freund aus Kindertagen betrachten, denn er liebte sie und weil es ihr bewusst war, konnte auch sie ihn nicht mehr nur als Freund ansehen. Aber als was dann?
 

„Wir sind erwachsen geworden, Oscar“, meinte André und unterstrich nur das, worauf sie schon selbst gekommen war. Sie nickte deshalb zustimmend und kam auf ihn etwas näher zu. „Ich glaube, ich brauche noch etwas Zeit.“
 

Zeit? Wofür? „Natürlich, Oscar.“ André konnte sich im nächsten Moment nicht von der Stelle rühren und hielt sogar fast den Atem an, als Oscar ihn ganz zaghaft an der Arm fasste. „Ich werde es dich dann später wissen lassen. Vielleicht schon morgen, ich weiß es nicht genau.“
 

„Ich kann warten“, flüsterte André und schluckte hart. Ihm war heiß und kalt zugleich. Oscars Hand auf seinem Arm brannte wie Feuer und er konnte nichts dagegen tun, außer auszuharren und abzuwarten, dass es vorbei sein würde. Mit großer Mühe schaffte er seine Beherrschung beizubehalten und Oscar nicht gleich in seine Arme zu ziehen. Er hatte es ja geschworen, sie nie mehr anzurühren!
 

Oscar schien sein Unbehagen zu spüren und entfernte ihre Hand von seinem Arm. „Ich danke dir, André. Du kannst jetzt auf dein Quartier zurückkehren.“ Insgeheim hoffte sie, dass sie nicht so viel Zeit zum Nachdenken brauchen würde. Sie hatte es ja in Andrés Auge gesehen und auch mit ihrem Herzen gespürt, dass seine Liebe zu ihr noch nicht erlöscht war und würde wohl für immer brennen. Wie gerne hätte sie ihm mit der gleichen Liebe erwidert, aber konnte nicht. Nicht jetzt, wo der Freundschaftsbruch zu von Fersen und Andrés Tat noch frisch waren. Aber vielleicht morgen oder in ein paar Wochen würden die Wunden verheilen und sie würde das alles mit ganz anderen Augen sehen. Ja, so würde es bestimmt sein und dann würde sie André die Liebe erwidern können, auf die er schon fast 20 Jahre wartet und nach der er sich so lange sehnte...

Folge 30 (Ein Heiratsantrag)

Oscar stand an der Tür zu dem Waffenlager und konnte kaum glauben, was sie da sah: André lag zusammengeschlagen am Boden, Tränen flossen ihm die Wangen herab und er flüsterte ganz verbittert: „Oscar, du darfst nicht heiraten... bitte tue das nicht... tue mir das nicht an, Oscar...“
 

Oscar schluckte hart. Die Söldner haben ihn so zugerichtet, weil sie dachten, er sei ein Spion der Adligen. Aber das war doch völlig absurd! Und von wo wusste André überhaupt, dass sie heiraten sollte? Sie hatte ja selbst erst gestern davon erfahren, nachdem Graf de Girodel sie auf dem Anwesen ihrer Eltern besucht hatte. Sie konnte selbst noch nicht richtig daran glauben und ausgerechnet Girodel, der lange Zeit ihr untergebener war? Sogar ihr Vater hatte zugestimmt, hatte sie von ihrem einstigen Kindermädchen erfahren und war noch immer davon entsetzt.
 

Oscar hörte nicht zu, was Alain sagte, als er das Waffenlager verließ und sie mit André alleine ließ. Sie ging zu ihm und hockte sich vor ihm. Was sollte sie jetzt tun? Sie wusste genau, weshalb André nicht wollte, dass sie heiratete. Er liebte sie aus tiefstem Herzen – das hatte er ihr in jener Nacht gestanden, als er fast über sie hergefallen war... Oscars Brustkorb zog sich bei der Erinnerung schmerzlich zusammen. Aber noch mehr schmerzte ihr das Herz, ihn in diesem Zustand anzusehen. Er musste sich unbedingt von einem Arzt untersuchen lassen! Sie hob ihre Hand und berührte ihn zaghaft am Rücken. „André... Hörst du mich?“
 

„Oscar...“, ertönte es in einem qualvollen Stöhnen von ihm und seine Gliedmaßen bewegten sich. André versuchte sich hochzurappeln, dabei unterdrückte er ein schmerzvollen Zischen. Oscar durfte ihn in diesem elenden Zustand nicht sehen! Vor allem durfte sie nicht bemerken, dass sein seelischer Schmerz noch schlimmer war, als der Körperliche.
 

Oscar bekam Gewissensbisse. Dass er sich ihretwegen so quälte, wollte sie auf gar kein Fall. Nun war es aber geschehen und sie musste sich unbedingt etwas einfallen lassen. Denn es konnte nicht mehr so weiter gehen. Jedoch, als erstes würde sie ihn nach Hause schicken und dann sehen, wie es weiter mit ihm gehen würde. „Ich beurlaube dich für ein paar Tage, du siehst nicht gut aus.“
 

Langsam saß André auf und als er zu ihr aufsah, tat er ihr noch mehr leid. „Oscar...“, murmelte er, als hätte er sie erst jetzt bemerkt. In Wahrheit hatte er ihre Anwesenheit schon lange bemerkt. Noch bevor Alain gegangen war, hatte er ihre Nähe gespürt. Nun saß sie hier neben ihm und sah ihn mit ihren wunderschönen blauen Augen an. Ihre Hand ruhte jetzt auf seinem Schulter und es zerriss ihm das Herz, dass er sie schon bald verliert. Wenn sie heiratet, würde er sie nie wiedersehen und das war das Schlimmste. „Oscar, sag bitte, dass es nicht wahr ist...“, beendete er seinen Satz und schaute ihr so tief und traurig in die Augen, als würde es jetzt nur von ihrer Antwort abhängen, ob er weiter lebte oder nicht.
 

Dass André ihre Heirat meinte, verstand Oscar auch ohne weiteren Worte. „Das ist nicht wahr, André, mach dir keine Sorgen.“, versuchte sie ihn zu beruhigen und auch sich selbst dabei einzureden, dass es zu dieser Heirat niemals kommen würde. „Ich rede mit meinem Vater und er wird sicher diesen Heiratsantrag ablehnen.“ Ob der General wirklich auf ihre Bitte hören würde, war für Oscar in diesem Moment nicht von Bedeutung. Jetzt war für sie nur wichtig, dass André besser ging. „Komm, ich helfe dir beim Aufstehen.“ Sie versuchte mit ihm aufzustehen, aber er wollte nicht. Stattdessen lehnte er sich an sie und Oscar war für einen Wimpernschlag überrascht. Sie hätte ihn vielleicht von sich geschoben, wenn er nicht so stark verletzt wäre. „Das ist schön.“, sagte er. Ob er die Anlehnung oder ihre Worte meinte, konnte Oscar nicht deuten. Vielleicht von beidem etwas. Auf jeden Fall fühlte sie sich besser und es zerstreute ihr die Gewissensbisse. Sachte und ein wenig zögerlich legte sie ihre Arme um ihn. „Es wird alles gut, André, das verspreche ich dir.“
 

André glaubte ihr, legte seine Arme um ihre Mitte und genoss diesen Moment. In Oscar brach derweilen ihre Gefühlswelt zusammen. Sie fühlte sich ihm miserabel gegenüber und gleichzeitig aber, ihn in ihren Armen zu halten und seinen Körper an sich zu spüren, bescherte ihr ein warmes Gefühl nach Zuneigung. Nein, sie würde nicht heiraten, schon alleine wegen André nicht! Er war ihr so wichtig, dass sie auf ihn niemals verzichten würde können. Sie waren doch Freunde seit Kindesbeinen an und hatten schon einiges erlebt. Schon alleine deswegen würde sie ihr Versprechen halten und alles daran setzen, um ihn nicht zu verlieren. Etwas in ihrem Herzen besagte ihr, dass da etwas mehr war, als die langjährige Freundschaft zwischen ihnen, aber das würde sie später herausfinden. Ja, später, wenn sie mit ihrem Vater gesprochen hatte und der Heiratsantrag mit dem Grafen de Girodel abgelehnt sein würde. Bei der Gedanke, André wieder glücklich zu sehen, bildete sich bei ihr selbst ein Lächeln auf die Lippen und es wurde ihr ganz warm ums Herz.

Folge 31 (Vorboten der Revolution)

Langsam und träge breitete sich der Morgengrauen über die Landschaften, gefolgt von den ersten Sonnenstrahlen, aus und weckte im weichen Gras den Soldaten. André öffnete seine Augen und schaute sich leicht verwundert in der Umgebung um. Er sah das Glitzern des Flusses vor ihm und Oscar direkt neben ihm. Sie war ohnmächtig und er hielt fest ihre Hand. Aber was war denn vorgefallen?
 

Im Nachhinein kamen ihm die Ereignisse des gestrigen Tages ihm durch den Kopf: Gestern hatten sie eine spanische Familie, die auf Durchreise durch Frankreich war, eskortiert und in einem Dorf, wo sie eine Übernachtung eingelegt hatten, von maskierten Männern verteidigt. Dann gab es eine Verfolgungsjagd und eine Explosion. Die Druckwelle war zu stark, um die Verbrecher weiter verfolgen zu können und hatte sogar die Pferde aufgescheucht und sie aus den Sattel geworfen. Deshalb also lagen sie hier bewusstlos herum und kamen erst jetzt langsam zu sich. Auch Oscar. Sie spürte, dass jemand ihre Hand hielt und wusste mit Sicherheit, dass es André war. Wer denn sonst? Außer ihm, war noch Alain an der Verfolgungsjagd mitbeteiligt, aber diesem würde nie im Leben einfallen, sie bei der Hand zu halten!
 

Oscar saß langsam auf und sah, wie Alain am Fluss stand und sich streckte. André saß neben ihr und schaute ihm genauso verwundert zu, ohne seine Hand von der ihren zu entfernen. Oscar sah zu ihrem Freund und wagte sich nicht mehr zu bewegen. Er schaute direkt in ihre Augen und ihr wurde dabei irgendwie warm ums Herz. Sie wusste, dass er sie liebte, aber er hatte es sich nie anmerken lassen. Bis jetzt. Ihr kam es so vor, als würde sie tief in seine Seele reinschauen und all seine Gefühle und Empfindungen zu ihr dort ablesen. Lag es etwa an der Explosion und der Bewusstlosigkeit, dass sie das erst jetzt sah und merkte?
 

André schaute ihr auch tief in die Augen und glaubte sich darin zu verlieren. Wenn sie ihn nur noch lieben würde, genauso wie er sie, dann wäre die Welt in Ordnung. Jedoch war sie noch nicht bereit dazu, aber ein gewisser Glanz in ihren Augen zeigte, dass in ihr Veränderungen vorgingen. Es wäre schön, wenn sie ihre Gefühle überdenken und ihm ihre Liebe gestehen würde. Denn er spürte ganz genau, dass er ihr nicht unbedeutend war. Nein, er wusste das, denn sie hatte das schon mal bewiesen. Früher hatte sie sich für ihn sogar bei dem damaligen König eingesetzt und ihm das Leben gerettet. Zusätzlich hatte sie ihre Hand nicht aus der seinen entrissen und das müsste doch etwas heißen...

Folge 32 (Der Sturm beginnt)

André! Wo ist André, um Gottes Willen! Lasst mich los, mein André ist in Gefahr!“ Oscar dachte an dieses Erlebnis, während sie ihre heiße Schokolade in den Händen hielt, aber nicht trank. Vor wenigen Stunden war ihre Kutsche vom wütenden Mob überfallen und sie war von André getrennt worden. Wenn Graf von Fersen, mit einer Truppe königlicher Soldaten, nicht zu Hilfe gekommen wäre, dann wären sie beide womöglich schon tot. Aber so waren sie mit Prellungen und blauen Flecken davon gekommen. Die Wunden am Körper würden verheilen, jedoch die am Herzen und an der Seele womöglich nicht. Oscar dachte darüber nach, wie sie immer und immer wieder den Grafen anschrie, während dieser sie in einer Gasse in Sicherheit gebracht hatte. Sie wollte sich keineswegs beruhigen, bis er ihr versprochen hatte, ihren Freund zu retten und sie sollte derweilen in der Gasse auf ihn warten. Das hatte er auch getan und ihr hatte nur ein einziger Gedanke im Kopf gekreist: „Mein André... du musst leben...“

Da war ein seltsames Gefühl aus Angst und Sorge um ihren langjährigen Freund und noch etwas...

Dass André ihr viel bedeutete, hatte sie schon früher verstanden, aber diesmal war es viel intensiver... War das etwa Liebe? Die eine Art von Liebe, die André zu ihr schon seit vielen Jahren empfand? Aber wie war das möglich? Dank den unerwiderten Gefühlen und dem Freundschaftsbruch zu Graf von Fersen, hatte sie sich geschworen, niemals mehr diese weiblichen Gefühle in ihr zuzulassen! Sie wollte wieder wie ein Mann auftreten und lieber an der Seite ihrer Soldaten Kämpfe bestreiten, als noch einmal von der Liebe enttäuscht zu werden!

 

Langsam ging die Tür auf und Oscar schaute hinüber. André kam zu ihr in den Salon. Er war genauso am Kopf bandagiert wie sie. Der einzige Unterschied war, dass sie kein Arm in der Schlinge trug, im Gegensatz zu ihm. „Oscar, ich habe so eben erfahren, dass Graf von Fersen sicher in die Kaserne zurückgekehrt ist“, sagte er.

 

„Gott sei dank.“ Oscar war erleichtert wegen von Fersen und gleichzeitig schlug ihr Herz schneller bei dem Gedanken, was er für sie getan hatte. Er hatte André gerettet und sie war ihm dafür sehr dankbar. Ein Lächeln huschte über ihre Lippen und eine gewisse Freude stieg in ihr auf, dass André bei ihr war und sie ihn nicht verloren hatte. Sie wollte, dass er ihr noch ein wenig Gesellschaft leistete. „Möchtest du dich nicht zu mir setzen?“

 

André wirkte ein wenig unschlüssig zu sein und schien ablehnen zu wollen, aber dann überlegte er sich anders. „Ja, gerne.“ Er tat es wie geheißen, nahm einen Stuhl und setzte sich zu ihr an den Tisch. Sie sahen sich eine Weile stumm an und nur das Klopfen des Regens an die Fensterscheiben von draußen war zu hören.

 

„Hast du noch Schmerzen?“, fragte Oscar und berührte sachte seinen Arm, den er in einer Schlinge trug.

 

André zuckte unmerklich zusammen. Er war ein wenig von ihrer unerwarteten Berührung überrascht. „Mach dir meinetwegen keine Sorgen, Oscar, es geht schon.“

 

Irgendwie bekam sie das Gefühl, dass er nicht ganz ehrlich mit ihr war. Er musste doch Schmerzen haben, denn der wütende Mob hatte ihn übel zugerichtet und wollte ihn auch noch aufhängen! Oder tat er das, damit sie nichts davon mitbekam? So ähnlich, wie mit der tief verborgene Liebe zu ihr? Wenn er an dem verhängnisvollen Abend ihr seine Liebe vor etwa halben Jahr nicht gestanden hätte, hätte sie noch immer nichts davon gewusst oder bemerkt. „Das glaube ich nicht“, entfuhr es ihr und Andrés Auge weitete sich etwas. „Was glaubst du nicht, Oscar?“, besagte sein verwunderter Gesichtsausdruck.

 

Wie machte er das nur? Wieso verstellte er sich so? Oscars Brustkorb zog sich wehmütig zusammen. „Ich hätte dich beinahe verloren und du sagst, dass es dir gut geht. Das passt nicht zusammen, André, und deshalb glaube ich nicht, dass du keine Schmerzen hast.“

 

So unrecht hatte sie damit nicht, gestand sich André. Allerdings, der körperliche Schmerz war nicht so gravierend wie der Seelische nach unerwiderte Liebe zu ihr und obwohl sie davon wusste, wollte er sie nicht noch einmal damit konfrontieren. „Mach dir um mich wirklich keine Sorgen, Oscar“, meinte er deshalb ausweichend: „Der Doktor hat mich doch gut versorgt, so dass es mir wirklich besser geht. Ich bin eher froh, dass dir nichts passiert ist.“

 

„Mir geht es gut“, versicherte Oscar und ein schmerzlicher Stich durchdrang sie tief im Herzen. Ein Druck entstand in ihrem Brustkorb und sie senkte ihren Blick zur Seite, damit er nichts davon mitbekam. Ihre Hand blieb dennoch auf seinem Arm und spürte den rauen Stoff von der Schlinge. Es ging eine Veränderung in ihr vor und ihre Gefühle brachen durcheinander. Sie ahnte was das war, aber wollte es nicht noch einmal erleben und ihn erneut verletzen, wie damals an jenem Abend als er über sie fast hergefallen war. Er hatte seine Tat sofort bereut und ihr seine Liebe unter Tränen gestanden. Wie konnte es nur zu so etwas kommen? Nur weil sie ihn entlassen hatte und nicht wollte, dass er ihr weiter diente? Wenn ja, dann konnte sie seinen Ausbruch verstehen... Oscar hatte oft über diesen Abend nachgedacht und entschieden, dass sie lieber getrennte Wege gehen sollten. Doch das Schicksal brachte sie erneut zusammen und in der Kaserne, wo sie vor ein paar Monaten versetzt wurde, begegnete sie ihn als Soldat wieder. Er wollte sie nur beschützen und sie hatte ihn gelassen. Denn sie hatte sich schuldig gefühlt und er sollte sein Leben so führen, wie er es für richtig hielt. Nun, nachdem die Kutsche überfallen und er beinahe getötet wurde, fing sie an ihre Gefühle zu ihm langsam zu begreifen. Die Qual, die dabei in ihr herrschte, war kaum zu ertragen. Wie konnte aber André seine Liebesqual all die Jahre an ihrer Seite ertragen? Vielleicht sollte sie mit ihm darüber sprechen und ein für allemal die Sache zwischen ihnen klären? Jetzt und hier? Es schien sich ja gerade dafür die beste Gelegenheit zu bieten... „André...“ Oscar suchte nach ein paar passenden Worten und sammelte ihren Mut zusammen, um den ersten Schritt für das Gespräch zu machen. „Ich habe da etwas auf dem Herzen.“

 

„Wenn du willst, kannst du es mir sagen, Oscar.“ André spürte, dass sie in Zwiespalt geriet und legte ihr seine Hand auf den Handrücken. Etwas großes ging in ihr vor und diese Geste sollte ihr zum Verstehen geben, dass egal was sie zu sagen hat, er würde immer zu ihr stehen. Das verstand auch Oscar und war ihm dankbar dafür. Seine Hand fühlte sich warm und trocken an, weshalb Oscar ließ ihm deshalb gewähren. „Du weißt, ich liebte einmal Graf von Fersen, aber seit unsere Kutsche heute überfallen wurde und er uns gerettet hatte, bin ich mir nicht mehr sicher, ob das die Liebe war...“

 

„Oscar...“ André war baff. Es hörte sich nach einem Geständnis an und erfüllte ihn gleichzeitig mit der Hoffnung, die er schon längst begraben geglaubt hatte.

 

„Meine einzige Sorge galt und gilt noch immer dir...“, sprach Oscar weiter – mühsam und konzertiert. Es fiel ihr schwer, ihm ihre Gefühle zu öffnen, aber sie hatte sich das nun vorgenommen und es gab kein zurück mehr. „Ich fange an zu begreifen, was du mir wirklich bedeutest und gleichzeitig will ich mich nicht erneut verlieben. Vergib mir, André, ich weiß nicht was ich machen soll...“

 

André verstand, dass sie Angst hatte, erneut verletzt und von der Liebe enttäuscht zu werden. „Du kannst dich auf mich verlassen, Oscar. Ich werde dich nie in meinem Leben verlassen, weil ich nur dich liebe und schon immer geliebt habe. Wenn du Zeit brauchst, ich kann warten. So wie es immer zwischen uns war, so wird es weiterhin sein.“

 

„André...“ Oscar fehlten die Worte. Auch da gab er nicht auf und in seinem sanften Blick, sah sie all seine Liebe und Zuneigung, die er für sie empfand. Für kurz kam ihr der Gedanke, es erneut zu versuchen und sich ihren Gefühlen hinzugeben.

 

André hob seine Hand und strich ihr vorsichtig an die Wange. „Ja, Oscar, ich liebe dich aus tiefsten Herzen, für immer und ewig. Du bist mein Leben, mein Licht...“

 

Oscar schluckte hart. Seine Worte drangen ihr mitten durchs Herz und hinterließen schmerzliche, aber auch gleichzeitig wohle Spuren. „Dann liebe mich...“, formten ihre Lippen und sie zog sich selbst zu ihm. André schenkte ihr einen zärtlichen Kuss und sie fühlte sich auf einmal so geborgen, wie noch nie bisher. Sie begriff ihre Liebe zu ihm und nach diesem betörenden Kuss fielen ihr die Worte viel leichter aus dem Mund als vorher. „Ich danke dir für alles, André... Mein André, ich liebe dich aus tiefsten Herzen und nur mit dir, für dich werde ich ab nun leben...“, schwor sie ihm mit einem liebreizenden Glanz in ihren blauen Augen und versiegelte erneut seine Lippen mit einem innigen Kuss voller Hingabe und Liebe.

Folge 33 (Wir sind das Volk)

Es schneite schon seit Tagen und André kämpfte sich durch die weißen Berge bis zum Hauptgebäude des Anwesens, nachdem er sein Pferd im Stall abgesattelt und versorgt hatte. Sobald der Schnee aufhört, würde er und andere Bedienstete den ganzen Hof und alle Wege wieder frei machen müssen. Als würde das etwas bringen...

Wenn es wieder schneien würde, dann würde wieder alles mit einer weißen Decke bedeckt sein.

André seufzte und klopfte seine Stiefel und den Mantel vor dem Hauseingang ab. Dann empfing ihn wollige Wärme und ein vertrauter Geruch nach backendem Brot aus der Küche. Also bereitete seine Großmutter wieder etwas Leckeres vor zum Abendbrot. Den Wunsch, hinzugehen und nachzuschauen, verdrängte er auf der Stelle und nahm die Treppe, die zu der oberen Etage führte. Er musste Oscar etwas mitteilen und das duldete keinen Aufschub. Im Gang hörte er schon die leise und sanfte Melodie von ihrem Klavier. Er wollte sie beim Klavierspiel nicht unterbrechen und so betrat er, ohne anzuklopfen ihren Salon.
 

Oscar aber schien ihn trotz Musik gehört zu haben und brach ab, kaum er an das Klavier ankam und vor ihr stehen blieb. Sie stand auf, um mit ihm auf gleicher Augenhöhe zu sein, wobei sie noch immer einen Kopf kleiner war als er. „Erzähl schon, wie war es bei Bernard?“, wollte sie wissen und ihre himmelblauen Augen glänzten erwartungsvoll.
 

„Die Versammlung mit allen drei Ständen wurde bestätigt. Im Mai wird das Parlament eröffnet“, sagte er und es stach ihm schmerzlich im Brustkorb, je länger er in ihre bezaubernden Augen schaute. Wie gerne hätte er sie geküsst und ihr all seine Liebe geschenkt, die er für sie schon seit Jahren trug...
 

Oscar merkte den schmerzlichen Ausdruck in seinen Augen und senkte ihren Blick, um ihn und sich selbst nicht zu quälen. „Das ist gut, dass auch der dritte Stand miteinbezogen wird.“ Obwohl ihr selbst schmerzlich an der Seele war, blieb sie sachlich.
 

„Der König muss in große Bedrängnis geraten sein, um auch die einfachen Bürger miteinzubeziehen.“ André konnte kaum noch vor ihr ruhig aushalten, sein Herz hämmerte immer schneller und blutete gleichzeitig qualvoll.
 

„Ich hoffe, im Parlament wird eine Lösung für die miesen Zustände und der prekären Lage in Frankreich endlich gefunden und gegen den Hunger und die Not der Bürger etwas unternommen.“ Oscar entfernte sich noch immer nicht von ihm und hob aber auch nicht den Blick. Sie beobachtete nur ihre Finger, die an dem polierten Holz des Klaviers langsam streiften. Seit dem Überfall auf ihre Kutsche im vergangenen Sommer und als der wütende Mob ihren André fast getötet hätte, begann sie immer mehr ihre Gefühle zu begreifen. Vielleicht sollte sie es ihm sagen? Oder war alles bereits zu spät?
 

„Das hoffen wir alle, Oscar.“ André hielt es nicht mehr aus und legte eine Hand auf ihre Schulter – freundschaftlich, wie er es früher ab und zu mal getan hatte. „Geht es dir gut?“ Natürlich nicht, das sah er ihr doch an.
 

Oscar schaute sogleich schnell auf seine Hand, aber forderte ihn nicht dazu auf, sie zu entfernen. „Ja...“, log sie und spürte, wie die Lüge in ihr schwer lastete. „...ich denke schon. Ich muss nachdenken...“
 

Nachdenken? Aber worüber? „Dann denke nach, so viel du willst. Ich bin immer in der Nähe, falls du mich brauchst.“ Was hätte er ihr denn sonst sagen sollen? Dass er ihr nicht glaubte? Dass er sie am liebsten gerüttelt und ihr erneut seine Liebe gestanden hätte?
 

André entfernte verbittert seine Hand von ihrer Schulter, wandte sich zum Gehen ab, als Oscar ihn unerwartet aufhielt. „André, warte.“ Sie griff nach seinem Handgelenk und umschloss seine Finger mit beiden Händen. „Ich muss dir etwas sagen...“
 

André war überrascht und nickte ihr nur stumm zu. Oscar atmete tief ein und aus, sammelte ihren Mut und brachte die Worte raus, die für André alles bedeuteten: „Ich liebe dich.“
 

„Oscar...“ Mehr konnte er nicht sagen. So lange hatte er darauf gewartet und nun geschah es wirklich. Er war den Tränen nahe und zog Oscar zu sich. Langsam neigte er sein Gesicht zu ihrem und flüsterte ganz leise das, was ihm gerade durch den Kopf ging: „Ich liebe dich mehr als mein Leben. Du bist mein Leben Oscar, ich liebe dich, für immer und ewig“, beendete er und küsste sie innig.

Folge 34 (Unter Arrest)

Seit Tagen regnete es bereits in Strömen und schien kein Ende zu nehmen. Aber das nahm nicht den Willen und Stolz der Volksvertreter, denen der Zutritt in das Parlamentsgebäude verwehrt wurde. Man beschloss nach getrennten Ständen zu diskutieren und das hieß, dass nur Abgeordnete des Adels und der Bischöfe bei der Parlamentssitzung teilnehmen durften. Das glich einem Verrat und Hintergang am dritten Stand, dem einfachen Volk! Um die Situation nicht eskalieren zu lassen, hatte Oscar kurzerhand ihren Soldaten befohlen, die Türen auch für die Volksvertreter zu öffnen und sie in das Parlament hereinzulassen. Dafür wurde sie, zusammen mit ihrer Söldnertruppe, nach Versailles bestellt und musste wegen ihrer Tat vor dem obersten General de Bouier Rede und Antwort stehen, während ihre Soldaten draußen unter dem Regen weiter nass wurden.
 

André folgte ihr natürlich. Die Sache gefiel ihm genauso wenig wie seinem Freund Alain. Im Gang, kurz vor dem großen Raum, wo der General auf Oscar wartete, holte er sie ein. Oscar blieb auf der Stelle stehen und drehte sich zu ihm um. „Was willst du, André?“, fragte sie ihn undurchschaubar und kühl.
 

Das fragte sie noch? Er hatte das Gefühl, das etwas passieren würde und schon alleine deswegen wollte er in ihrer Nähe sein. „Ich komme mit“, erwiderte er und Oscar setzte ihren Weg fort. Dabei streiften ihr Arm an seinem und ihre Handrücken berührten sich zärtlich. Angenehmes Kribbeln entstand unter der Haut und für einen Wimpernschlag hielten beide inne. Die Herzen schlugen schneller, die Wärme breitete sich in ihren Körpern aus, aber nicht für lange Dauer. Soldaten des Generals kamen ihnen entgegen und befahlen André draußen zu bleiben. Nur Oscar durfte zum General eintreten und wohl oder übel, mussten sie dem befolgen. Also gut, dann würden sie später über ihre Gefühle sprechen – wenn sie überhaupt dazu kommen würden. Denn die Zeiten waren nicht gerade passend dafür. In Frankreich herrschte bittere Armut und Hungersnot. Der Dauerregen trug auch nichts Gutes bei. Die Ernte war verdorben, die Steuern erdrückten die Bevölkerung und das war einer der viele Gründe, weshalb der König gezwungen war, eine Versammlung mit allen drei Ständen einzuberufen. Nun schien auch das aus dem Ruder zu laufen und André wurde immer unbehaglicher im Gang zu stehen und nicht zu wissen, was dort hinter der großen Doppeltür geschah. Er hörte die Stimmen von Oscar und dem obersten General, aber verstand kein Wort. Die Stimmen, vor allem die von Oscar, wurde immer lauter, klang aufgebracht, entsetzt und dann kam der General aus dem Zimmer raus.
 

André machte ihm den Weg frei und überlegte, ob er hinein gehen sollte, aber entschied sich dagegen. Denn der General kam schon bald zurück und dann hörte er ein Streit zwischen ihm und Oscar. Es hieß, dass Alain und elf seiner Kameraden wegen Befehlsverweigerung verhaftet wurden. Aber warum?
 

Der General ging wieder und André hörte wieder Oscars Stimme, dumpfes Poltern und Kampfgeräusche. „André, hilf mir!“, hatte sie gerufen und ohne zu zögern brach er in das Zimmer ein. Oscar kämpfte mit den Wachmännern des Generals, wurde von ihnen arg bedrängt und André überlief Entsetzen. Kein Mensch durfte Oscar je etwas antun! Er schlug einen Wachmann mit seinem Gewehr nieder, Oscar befreite sich und beiden gelang anschließend die Flucht.
 

Oscar wollte verhindern, dass das königliche Garderegiment die Vertreter des Volkes mit Waffengewalt verjagte. Darum ging es bei dem Gespräch zwischen ihr und dem obersten General also! „Schneller!“, trieb sie immer wieder ihr Pferd unter dem Regen an und André folgte dicht hinter ihr. Er dachte für kurz an die Berührung ihrer Hand im Gang. Ihm kam es so vor, wenn die Situation nicht so ernst wäre, dann hätte ihn Oscar womöglich darauf angesprochen. Wenn nicht, dann hätte er es getan, denn ein Kurzes aufflammen in ihren so schönen Augen und ein kaum merkliches Lächeln auf ihren süßen Lippen, sagten mehr als Worte. Das müsste doch etwas bedeuten! Ganz bestimmt müsste es das! Also würde er sie später darauf ansprechen. Jetzt aber hieß es, das königliche Garderegiment aufzuhalten und dann Alain und elf Kameraden vor einer Erschießung zu retten.

Folge 35 (Die Macht des Volkes)

Oscar hatte es geschafft! Sie hatte es in der Tat verhindert, dass das königliche Garderegiment die Vertreter des Volkes mit Waffengewalt aus dem Parlamentsgebäude verjagte! Aber vielleicht hatte der Kommandant des königlichen Garderegiments, Graf de Girodel, deshalb nachgegeben, weil er noch immer Gefühle für sie hatte und nur um ihr zu Liebe mit seinen Soldaten abzog... Er wollte ja Oscar letztes Jahr heiraten und wurde von ihr abgewiesen. Wie dem auch sei. Jetzt befanden sie sich in Oscars Salon und besprachen, wie sie am besten Alain und elf seiner Kameraden aus dem Gefängnis befreien können. Denn ihnen drohte nach der Befehlsverweigerung die Exekution. Im Gegensatz zu Oscar, die mit einem Hausarrest glimpflich davonkam.
 

„Ich gehe morgen früh zu Bernard...“, entschied sich Oscar. „Vielleicht kann er mir weiter helfen.“
 

„Eine gute Idee, Oscar“, stimmte ihr André zu. „Ich gehe dann gleich zu ihm und sage ihm Bescheid, dass du zu ihm kommst.“
 

„Danke, André.“ Oscar schaute ihren Freund an und ließ die letzten Stunden Revue passieren. Nachdem Girodel mit der königlichen Garde von dem Parlamentsgebäude abgezogen war, kehrte Oscar mit André auf das elterliche Anwesen zurück und wurde schon von ihrem Vater erwartet. Der General wollte seine Tochter eigenhändig für ihren Verrat bestrafen und nach ihrem Tod, ihr selbst folgen. Zum Glück hatte sich André eingemischt und das Schlimmste verhindert. Er hat ihr Leben gerettet, sich für sie eingesetzt und im Rausch seiner Verzweiflung, auch noch die Liebe zu ihr zugegeben: „...wenn Ihr uns unbedingt töten müsst, dann fangt mit mir an, sonst müsste ich mit ansehen, wie Ihr einen Menschen umbringt, den ich von Herzen liebe und das könnte ich niemals ertragen...“, hatte André entschlossen dem General ins Gesicht gesagt und Oscar wäre beinahe das Herz stehen geblieben. Es war nicht das erste Mal, dass André seine Liebe zu ihr gestand, aber doch nicht vor ihrem Vater!
 

Der General war so versessen vor seinem Vorhaben, dass er André den Wunsch womöglich auch erfüllt hätte, wenn nicht ein Bote aus Versailles gekommen wäre... Der Bote hatte nur die Nachricht überbracht und dann war er wieder fort. Auf Geheiß der Königin wurde die Anklage gegen Oscar und ihrer Familie enthoben und der General war dieser Wendung sehr dankbar. Kurz nach dem Boten war auch der General nach Versailles aufgebrochen, um Ihrer Majestät für die Begnadigung zu danken und seiner Tochter empfahl er das Gleiche zu tun. Das würde sie auch machen, aber zuerst Alain und die elf Kameraden befreien...
 

„Alles in Ordnung, Oscar?“ André, der eigentlich vorhatte zu Bernard aufzubrechen, gefiel der nachdenkliche Gesichtsausdruck von Oscar nicht.
 

„Ja, mache dir meinetwegen keine Sorgen...“, sagte Oscar nicht ganz bei der Sache und seine Worte, die er zu ihrem Vater gesagt hatte, kreisten ihr noch mehr durch den Kopf. Sie hatte nie im Leben damit gerechnet, auch wenn sie schon lange von seiner Liebe zu ihr wusste und sie hätte nie im Leben zugelassen, dass er für sie starb. Denn ohne ihm, wäre auch ihr Leben sinnlos. Das hatte sie in dem Moment begriffen, als ihr Vater sein Schwert über den Kopf von André gehoben hatte. Wenn der königliche Bote aus Versailles nicht gekommen wäre, dann hätte sie sich womöglich genauso auf ihren Vater gestürzt, wie André wenige Augenblicke zuvor. War das die Liebe, die sie zu ihm im Augenblick des Todes verspürte?
 

„Dann kann ich gehen?“, fragte André und riss sie erneut mit seiner Stimme aus tiefsinnigen Gedanken.
 

Ja, das konnte er, aber nicht jetzt. „Nein, warte, ich will dir noch etwas sagen...“ Oscar stand von ihrem Stuhl auf und ging näher an ihn heran. André horchte aufmerksam auf, sein Herz beschleunigte den Schlag und ihn beschlich eine dumpfe Vorahnung, um was es jetzt gehen würde... Auch wenn Oscar nach außen ihre kühle Beherrschung trug, brachen in ihr die Gefühle noch mehr durcheinander. Ihr Herz schlug ebenso schnell, wie das seine und eine ungewöhnliche Wärme durchströmte ihren Körper. „Ich liebe dich...“, kam es von ihren Lippen und André erstarrte überrascht. Wie oft hatte er sich gewünscht diese bedeutungsvollen Worte von ihr zu hören! Er hatte es ja geahnt, dass sie ihn liebte, aber niemals für möglich gehalten, dass sie es auch eingestand. Nun war es endlich passiert und ihm traten beinahe die Tränen in seinem gesunden Auge. Ganz vorsichtig berührte er ihre blonden Locken, strich mit seinen Fingern sachte an ihrer Wange entlang und fuhr die Kontur ihrer Lippen mit seinem Daumen nach. „Oscar...“ Er schluckte hart, um passende Worte für sein Glücksgefühl zu finden und lächelte dabei. „Ich liebe dich aus tiefstem Herzen, mein ganzes Leben lang...“
 

„Oh, André, mein André...“ Aus unerklärlichen Gründen, war auch Oscar den Tränen nahe. „Vergib mir, dass ich die Liebe erst jetzt bemerkt habe...“
 

„Ich vergebe dir, meine Oscar.“ André neigte sein Gesicht immer mehr zu ihrem. „Denn meine Liebe zu dir ist groß und unsterblich.“ Er küsste ihre weichen Lippen, kostete den betörend süßen Geschmack der Liebe, die sie ihm endlich erwidert hatte und fühlte sich in diesem berauschten Moment der Wonne und Zuneigung wie einer der glücklichsten Menschen auf der ganzen Welt.

Folge 36 (Der Sturm bricht los)

Was war schlimmer, der Dauerregen oder die unerträgliche Sommerhitze? Der Regen hatte zwar endlich aufgehört, aber an Freude war nicht zu denken. Seit Anfang Juli schien wieder die Sonne und ließ die schon sowieso durch den Regen verdorbene Ernte, verdorren. Zudem herrschte in der großen Stadt Aufruhr und Aufstände lagen an der Tagesordnung. Aus diesem Grund war Oscar angewiesen, tagtäglich mit ihren Soldaten durch Paris zu patrouillieren. Wie auch heute. Sie schrieb noch ein paar letzten Dokumente, als es in ihrer Lunge anfing zu rasseln und zu brennen. Der Husten ließ auch nicht lange auf sich warten und kaum das sie ihr Taschentuch zum Mund geführt hatte, begann sie schon darein zu husten. Bereits seit Frühling dieses Jahres hatte sie diesen Reizhusten und mit jedem Monat schien es sich zu verschlimmern. Sie ahnte, dass es keine gewöhnliche Erkältung war, denn bei einer Erkältung hustete man ja kein Blut...
 

„Oberst, es ist Zeit für unsere Kontrollrunden durch Paris.“ Die altbekannte Stimme von André schreckte sie etwas auf. Oscar hatte es gar nicht mitbekommen, wie er in ihr Offiziersbüro reinkam. Hatte er überhaupt geklopft? Oder hatte sie auch das nicht wahrgenommen? Ihre Ohren schienen durch den Husten wie belegt zu sein und in ihrem Kopf rauschte es, wie im Takt des Rasseln in ihrer Lunge... Sie wartete einen Atemzug lang, bis der Husten abebbte und erst dann konnte sie ihm eine Antwort geben: „Ist gut. Versammelt euch auf dem Exerzierplatz.“
 

„Aber Oscar...“ Die Blässe in ihrem Gesicht und der Husten gefiel André ganz und gar nicht.
 

„Ich glaube, ich habe mich erkältet. Ich fühle mich gar nicht gut.“ Hoffentlich würde André ihr das glauben. Denn was auch immer das für eine Krankheit war, so wollte sie ihn nicht damit belasten. Aber vielleicht würde es besser sein, wenn sie zum Anwesen reitet und sich dort ein wenig ausruht? Zumal sie dort ein Maler erwartete, bei dem sie von sich ein Porträt anfertigen lassen wollte. „Bitte, André, sag Alain Bescheid, er soll heute Abend die Patrouille führen.“
 

„Wird gemacht. Gute Besserung.“ André behagte dies zwar alles nicht, vor allem ihr Zustand, aber er fragte nicht weiter nach. Denn sie würde definitiv nichts verraten, dafür kannte er sie zu gut. Es würde sich sicherlich ein anderer Zeitpunkt finden und dann würde er solange nachfragen, bis sie nachgibt und ihm alles erzählt. Das nahm er sich fest vor und nach der Patrouille durch Paris, ritt er erst gar nicht zurück in die Kaserne, sondern gleich auf das Anwesen der de Jarjayes.
 

Oscar ließ den Maler für heute gehen und machte eine Pause, weil der Bluthusten sie wieder vereinnahmte. Auf dem Balkon stehend, schien ihre Lunge sich besser zu beruhigen und die leichte Brise des milden Juliwindes, vertrieb auch dass Rasseln und Brennen in ihrem Brustkorb. Sie hörte nahende Schritte hinter ihrem Rücken, aber drehte sich nicht um. Denn sie wusste genau, wer das war, sie hatte ihn schon alleine an seinem Gang erkannt. „Was ist André, wieso bist du gekommen?“
 

„Sag die Wahrheit. Was ist los?“ Der richtige Zeitpunkt war gekommen. André kam näher. „Oscar, was verheimlichst du vor mir?“
 

Wie? Oscar erschrak etwas. Es hörte sich so an, als würde er etwas mitbekommen haben. Aber sie war doch stets darauf bedacht, sich nichts anmerken zu lassen! „Gar nichts, keine Sorge“, meinte sie deshalb ausweichend und hoffte, die Antwort würde ihn beruhigen.
 

„Auch wenn ich nur mit einem Auge sehen kann, bei dir entgeht mir nicht das geringste“, hörte sie ihn sagen und seine Stimme klang fast verzweifelt. „Was ist los mit dir?“
 

Oscar drehte sich zu ihm um. Wie konnte er sie nur durchschauen? Sie bewegte langsam ihre Füße und hielt nah vor ihm an. „Bis morgen, wir sehen uns dann in Paris.“ Sie schenkte ihm beim Vorbeigehen ein Lächeln, aber André überzeugte sie damit nicht mehr. Das spürte sie, als er sachte ihr Handgelenk ergriff und sie damit zum stehen bleiben bewog. „Oscar, warte bitte, geh noch nicht...“
 

Oscar hielt inne, ihr Herz machte einen Satz. Er hatte sie schon lange nicht mehr angefasst – nicht auf diese Weise. Bilder der einer verhängnisvollen Nacht schossen ihr sofort durch den Kopf: Wie er ihre Handgelenke gehalten hatte, wie er sie aufs Bett warf und ihr das Hemd zerriss...
 

André spürte, wie sie sich versteifte und ließ augenblicklich ihr Handgelenk los. „Es tut mir leid, Oscar, das wollte ich nicht...“, entschuldigte er sich geknickt und brachte eine geordnete Distanz zwischen sie. Denn auch bei ihm gingen die gleichen Bilder durch den Kopf und er wollte nicht sein Versprechen brechen, das er in jener verhängnisvollen Nacht ihr gegeben hatte. Er hatte ihr gar geschworen, dies nie wieder zu tun und ihr auch noch seine Liebe gestanden...
 

Oscar stand aber eine Weile da, unfähig sich zu rühren. Neben den unschönen Erinnerungen an die Ereignisse letzten Jahres, geschah noch etwas anderes in ihr... Ein Gefühl, das sie bisher verdrängt hatte, tauchte wieder auf und nahm von ihr Besitz. So ähnlich wie damals, vor etwa einem halben Jahr, als ihre Kutsche vom wütenden Mob überfallen und André beinahe getötet wurde. Zum Glück war Graf von Fersen ihnen zu Hilfe gekommen und hatte sie beide gerettet. Seit diesem Vorfall hatte sie angefangen ihre Gefühle zu André zu begreifen. Er war ihr nicht nur wichtig, weil sie mit ihm zusammen aufgewachsen und er ihr treuer Freund schon seit klein auf war, sondern viel mehr... Oscar schluckte hart. Liebe... Womöglich sogar dieselbe Liebe, die André ihr vor einem Jahr gestanden hatte?
 

„Oscar?“ Seine leicht belegte Stimme, brachte sie erneut in die Wirklichkeit zurück.
 

„Wie gesagt, es ist nur eine Erkältung.“ Wenigstens sprechen konnte sie noch. Oscar schaute zu ihm und schenkte ihm wieder dieses liebevolle Lächeln, aber in ihren himmelblauen Augen war Zerrissenheit zu sehen. Sie wusste nicht, was sie machen sollte. Am liebsten wäre sie gegangen, aber in diesem unausgesprochenen Moment und gegenüber André wäre das sicherlich falsch. Erneut bewegte sie ihre Füße und verringerte ein bisschen die Distanz zwischen ihm und ihr. Zaghaft nahm sie seine Hand in die ihre und sah nicht danach aus, als würde sie sie auch gleich loslassen wollen.
 

André war überrascht und erst gar nicht darauf vorbereitet. Sein Auge weitete sich, seine Lippen formten ihren Namen, aber kein Ton kam heraus. Was sollte er jetzt tun?
 

Oscar nahm ihm zum Glück mit ihren Worten diese Entscheidung ab. „André... Ich versichere dir, es wird alles wieder gut...“ Mit den Fingern ihrer freien Hand strich sie ihm kaum berührend an der Wange entlang und André schlug Purzelbäume. Es müsste bestimmt ein Traum sein! Denn er hätte von Oscar dieses Verhalten nie im Leben erwartet! Weil es nicht zu ihr und ihrer mannhaften Erziehung passte! Dennoch war das Realität und er spürte ganz deutlich die Kühle ihrer Finger auf seiner Haut! Erneut wusste er nicht, was er machen sollte, aber auch diesmal nahm Oscar ihm die Entscheidung ab. Sie stellte sich etwas auf Zehenspitzen und hauchte ihm einen Kuss auf die Wange. André drehte völlig baff sein Kopf und streifte ihre Lippen mit den seinen. Oscar verharrte reglos und wartete, was nun geschehen würde. Was würde er jetzt machen? Würde er das ausnutzen?
 

André tat nichts dergleichen. Er war so überrascht, dass er erst einmal ihre Tat verdauen und verarbeiten musste. Immerhin spürte er gerade ihre weichen Lippen auf den seinen! Sein Herz schlug ihm bis zum Hals und sein Verstand verlangte von ihm, ihr den Kuss zu erwidern! Seine Lippen bewegten sich, umschlossen ihre Unterlippe und massierten sie sanft. Das war kein gewaltsamer Kuss wie damals, als er fast über sie hergefallen war, sondern viel liebevoller und wirkte beinahe schüchtern. Oscar konnte ihm das nicht verdenken. Denn sie hatte ihn mit dem Kuss völlig überrumpelt und zugegeben, auch sich selbst hatte sie damit überrascht. Nie im Leben hätte sie so einen Schritt gewagt, geschweige denn durchgeführt. Aber es war nun geschehen, sie war über ihren eigenen Schatten gesprungen und fühlte sich sehr geborgen. Besonders, als André etwas mutiger wurde, seinen Mut wieder fand, seine Arme ganz zart um sie legte und der inniger Kuss immer leidenschaftlicher wurde...

Folge 37 (Erfüllte Liebe)

12. Juli 1789. Oscars Porträt war endlich und auch noch rechtzeitig fertig! Mit einem Glas Wein saß sie im gepolsterten Stuhl und betrachtete ihn gedankenverloren. Nein, nicht das Porträt, sondern André, der zwischen ihr und dem Gemälde stand und versuchte auf dem Bild etwas zu erkennen. Oscar ließ ihm dabei Zeit und nahm einen kleinen Schluck Wein. Dabei dachte sie an heute Nacht. Sie war beim Doktor Lasonne und hatte sich wegen ihrem Bluthusten von ihm untersuchen lassen. Der Doktor hatte bei ihr die Tuberkulose festgestellt und ihr empfohlen, aus der Armme auszuscheiden, aufs Land zu ziehen und sich viel Ruhe zu gönnen. Wenn sie seinen Ratschlag nicht befolgen würde, dann würden ihr höchstens sechs Monate zum Leben bleiben...
 

Oscar seufzte schwer. Das waren keine gute Neuigkeiten, aber verwundert war sie nicht. Sie hatte es ja geahnt, dass ihre Lunge nicht in Ordnung war und nun hatte sie das Ergebnis von der Untersuchung bekommen. Allerdings nicht die Krankheit bereitete ihr so große Sorgen, sondern ihr Freund, der noch immer mit dem Rücken zu ihr stand und schwieg... Doktor Lasonne hatte ihr nämlich offenbart, dass André womöglich auch auf seinem rechten, gesunden Auge, erblinden würde.

Dies zu hören war noch schlimmer, als die Erkenntnis über die Tuberkulose. Warum hatte André ihr nie erzählt, dass seine Sehkraft schwand? Sie hätte ihm doch sicherlich helfen können! Er war ihr doch nicht gleichgültig! Sie liebte ihn, sie hatte es ihm nur noch nicht gesagt...
 

Nach allem, was Oscar heute Nacht von Doktor Lasonne über André und seine Krankheit erfahren hatte, ließ sie ihn den ganzen Tag nicht aus den Augen. In der Kaserne hatte sie ihn sogar auf die Probe gestellt, ihn zu sich ins Offizierszimmer rufen lassen und sich selbst in einer Ecke hinter der Tür versteckt. André hatte sie nicht gesehen, als er in das Zimmer kam und seine Ankunft meldete... Oscar bräuchte nur ihren Arm auszustrecken, um ihn berühren zu können, dennoch bemerkte er sie in ihrem Versteck nicht... Er verließ enttäuscht ihr Zimmer, weil sie ihn bestellt hatte und selbst nicht da war, und Oscar zerbarst das Herz. Sie musste unbedingt etwas tun! Etwas später ging sie nach draußen und sah ihn vor dem Hauptgebäude der Kaserne. Sogleich traf sie eine Entscheidung und nahm dabei seine Hand in ihre. „André, wir haben heute alle dienstfrei. Lass uns gemeinsam zum Anwesen zurückreiten.“
 

André wunderte sich zwar über ihr Verhalten und wäre andererseits gerne mitgekommen, aber was sollte er auf dem Anwesen? Dort gab es noch weniger zu tun, als hier in der Kaserne. „Nein, wir gehen zwar nicht auf Patrouille, aber wir sollen uns in Bereitschaft halten.“
 

„Und wenn es mir sehr wichtig ist, dass du mich begleitest? Der Weg dorthin ist viel zu gefährlich für eine Frau, so ganz allein...“ Oscar lachte dabei und André verstand nun den verborgenen Grund dahinter – sie war gerade dabei, ihre Gefühle zu verstehen und ihre Liebe zu ihm zu gestehen...
 

Nun waren sie beide schon seit ein paar Stunden auf dem Anwesen, das große Gemälde hing an der Wand im Salon und Oscar hörte endlich, wie André es beschrieb. „Es ist wundervoll. Es wirkt so lebendig. Dein Lächeln strahlt so hell, wie das Licht der Sonne – sehr beeindruckend. Und auf deinem blonden Haar dieser Lorbeerkranz, du siehst wie eine strahlende Göttin aus, Oscar.“
 

„André, mein Liebster, was redest du da?“, dachte Oscar gerührt und verbittert zugleich. „Warum verstellst du dich? Es ist so entsetzlich! Ich weiß doch schon, dass du nichts mehr erkennen kannst...“
 

„Und dann die schöne, weiße Rose“, sprach André weiter, ohne zu ahnen, welch ein Gefühlsausbruch in Oscar gerade vorging. Sie hörte seiner Stimme zu und konnte kaum noch ihre Tränen im Griff halten. Jeder seiner Worte, ging ihr sehr tief ans Herz. „Nein, es sind zwei weißen Rosen. Nein, ein ganzes Rosenfeld. Herrlich, das grün der Wälder. Diese Landschaft, das ist doch die Gegend von Arras, wo ich auch einmal war. Hab ich recht, Oscar?“
 

Die ersten Tränen rollten bereits Oscars Wangen herab. Es gab auch keine einzige Rose auf dem Bild! So schlimm stand es also schon um sein Auge! „Ja, natürlich, André!“ Was hätte sie ihm sonst sagen sollen? Ihm widersprechen? Das hätte sie nicht mehr übers Herz gebracht. „Der Maler ist extra nach Arras gefahren, um die Landschaft möglichst treffend zu skizzieren.“
 

„Ein großartiges Gemälde. Sogar deine Lebensfreude und dein kämpferische Geist spürt man deutlich. Das Bild ist ewig in meinem Herzen!“
 

„Ich danke dir, mein André, hab dank für deine Worte.“ Oscar schluchzte heftig, sie konnte nicht mehr. Mit zittrigen Hand hielt sie das Glas, ohne etwas davon wahrzunehmen und mit der anderen Hand bedeckte sie ihre Augen. Dann spürte sie, wie jemand ihr das Glas aus der Hand nahm und es vorsichtig auf dem Boden abstellte. Das konnte nur einer sein... Oscar entfernte ihre Hand von den Augen und sah André direkt vor ihr kniend.
 

„Warum weinst du, Oscar?“, fragte er dabei besorgt und schien nach etwas in ihrem Gesichtsausdruck zu suchen. Aber wie war das möglich? Er konnte doch fast nichts mehr erkennen!
 

„Ach, André, mein André...“, flüsterte sie und strich ihm das Haar von der erblindeten Seite etwas zur Seite. Die schmale Linie von der Narbe lief von der Augenbraue nach unten, bis zum Augenlid und endete am Wangenknochen. Aber das erschreckte sie nicht. Im Grunde genommen, war er noch derselbe Mensch geblieben, trotz seiner Entstellung... Sie wollte ihm noch etwas sagen, aber entstandener Kloß in ihrem Hals verhinderte das. Dann würde sie es später machen... Sie würde ihm sagen, was er ihr wirklich bedeutete und ihm ihre Liebe gestehen. Wenn nicht hier auf dem Anwesen, dann irgendwo da draußen ganz bestimmt. Vielleicht würde sich auf dem Weg zu Kaserne eine Möglichkeit dazu erübrigen und irgendwo im Wald würde sie ihm all das sagen, was sie ihm schon vor langer Zeit hätte sagen sollen...

Folge 38 (Scheideweg des Schicksals)

„Wir haben einen äußerst schwierigen Auftrag zu erfüllen. Unsere Abteilung hat den Befehl, sich um acht Uhr in den Tuilerien einzufinden. Unsere Aufgabe ist es, die Aufständischen unter Kontrolle zu halten und wenn es nicht anders geht, auf die Menge zu schießen. Aber soweit darf es nicht kommen. Viele von euch werden Verwandte unter den Anwesenden haben... und wenn ich den Befehl zum Schießen geben muss, werdet ihr ihn vermutlich nicht befolgen. Das kann ich gut verstehen. Ich will ganz offen zu euch sein. Ich befinde mich an einem Scheideweg. So, wie es bisher gewesen ist, kann es nicht weitergehen. Aus diesem Grund trete ich von meinem Posten als euer Kommandant zurück. Ich kann es nicht mit meinem Gewissen verantworten, auf unschuldige Menschen schießen zu lassen. Nicht vor meinem Gewissen und nicht vor dem Mann, den ich liebe, dem ich vertraue und von dem ich weiß, dass er niemals gegen sein eigenes Volk stellen würde. Ich will bei ihm sein. Wenn er es für richtig hält, an der Seite des Volkes zu kämpfen, dann werde ich das auch tun. Es gibt keinen anderen Weg für mich. Ich werde an seiner Seite das Leben einer Frau führen. Ich wollte dass ihr alle wisst, woran ihr bei mir seid.“
 

Oscar...

Hatte sie das wirklich gesagt? Vor der ganzen Söldnertruppe? André war hin und her gerissen – zwischen Stolz, Freude und Liebe zu der Frau, die er schon sein ganzes Leben lang liebte und die noch vor wenigen Stunden in seinen Armen gelegen hatte. Nach all den Jahren hatte sie ihm endlich ihre Liebe gestanden und auch erwidert. Irgendwo im Wald und nach Einbruch der Nacht, hatte sie sich nach ihrem Geständnis mit ihm vereint und schönste Stunden in Leidenschaft verbracht. Nun offenbarte sie allen ihren Soldaten, dass sie mit ihm zusammen war. Sie war sogar bereit, das Leben eines Mannes aufzugeben, um mit ihm an ihrer Seite das Leben einer Frau führen zu können. Oscar kehrte auf einmal ihren Soldaten den Rücken und sah ihn mit ihren wunderschönen, blauen Augen an. „André, du bist mein Mann, zeige du mir den Weg und ich werde dir folgen“, beendete sie und André war endgültig die Sprache abhandengekommen. So offen hatte er sie noch nie reden gehört. Die Nacht der Liebe und der Leidenschaft zwischen ihnen, die noch wie ein Nachhall ins seinem Kopf durchstreifte und seinen Körper angenehm erschauern ließ, hatte anscheinend vieles geändert. Es war ihr Ernst, an seiner Seite das Leben einer Frau zu führen, das spürte er, aber dass sie ihm die Entscheidung überließ, hätte er nicht erwartet. Denn eigentlich war sie diejenige, die immer Entscheidungen traf und er war meistens derjenige, der ihr folgte. Aber jetzt waren die Rollen getauscht, jetzt wollte sie ihm folgen und fragte nach seiner Entscheidung. Was konnte er ihr darauf antworten? Er war es nicht gewohnt, für sie die Entscheidung zu übernehmen und über sie zu bestimmen...

Aber nun war er ihr Mann, das hatte sie gerade selbst verdeutlicht und sogar vor den Augen der Söldner, ihre Liebe zu ihm versichert...
 

André suchte nach ein paar passenden Worten, aber fand keine. Er hörte, wie Alain ihm die Entscheidung abnahm und zu Oscar sagte, wenn ihr Herz für das Volk schlüge, dann konnte sie genauso die Seiten wechseln und mit ihrer Truppe sich den Aufständischen anzuschließen. Die anderen Söldner bekräftigten die Aussage von Alain und riefen euphorisch, sie sollte sie führen. Oscar war überrascht und gleichzeitig von ihren Soldaten angetan, dass sah André ihr an. „Was sagst du?“, fragte sie ihn und André traf nun auch seine Entscheidung. „Ich bin der gleichen Meinung wie Alain.“
 

Oscar überlegte auch nicht lange und nickte zustimmend. Nach den Glückwünschen von Alain, dafür, dass sie beide ihr gemeinsames Liebesglück doch noch gefunden hatten, begaben sich alle ins Waffenlager, um genug Gewehre zu nehmen und dann aufbruchbereit auf ihre Pferde zu steigen. Eins nach dem anderen verließen die Söldner das Quartier, bis nur Oscar und André übrig blieben. Nur für einen kurzen Augenblick, um einen Kuss auszutauschen. „Zusammen werden wir es schaffen“, sagte André, bevor er ihre Lippen mit einem innigen Kuss umschloss.
 

„Ja, bleibe immer bei mir...“, hauchte Oscar in den Kuss hinein, legte ihre Arme um seinen Nacken und küsste ihn mit noch mehr Leidenschaft. So als hätten sie vor wenigen Stunden nicht genug von einander bekommen und so, als würde es ihre letzte Zweisamkeit sein...
 

„Ich bin immer bei dir, ich lasse dich nie alleine...“, versicherte André ihr und unterbrach den Kuss. „Ich liebe dich über alles, mein ganzes Leben lang...“ Diese Liebesworte hatte er eigentlich schon heute, in ihrer gemeinsamen Liebesnacht gesagt, aber sie rührten Oscar trotzdem zu Tränen. „Mein André... Mein Mann... Ich liebe dich aus tiefstem Herzen...“ Noch ein letztes Mal berührten ihre Lippen die seine, noch ein letztes Mal tauschten sie einen zärtlichen Kuss und verließen dann auch das Quartier...

Folge 39 (Sturm auf die Bastille)

Es war der schlimmste Tag ihres Lebens...

Ihr geliebter André war durch eine feindliche Kugel mitten ins Herz getroffen worden... Oscar befiel hilflose Wut. Wie sollte es ohne ihn weitergehen? Sie lebte ja doch nur für ihn! „Halte durch, André! Gib nicht auf! Der Arzt wird jeden Moment hier sein!“, redete sie beruhigend auf ihn ein und versuchte sich selbst damit Hoffnung zu geben.
 

Nicht nur ein, sondern mehrere Ärzte kamen und taten alles mögliche, was in ihrer Macht stand, aber es half nichts. Es war überhaupt ein Wunder, dass er so lange noch durchhielt...

„Nicht wahr, Oscar, die Sonne geht runter?“, sagte André, als er nach der ärztlichen Versorgung unter dem freien Himmel auf einem hergerichteten Bett lag. Der pochende Schmerz in seinem Brustkorb war unerträglich und brannte wie ein Höllenfeuer. Aber das war ihm halb so wichtig, denn seine Oscar war bei ihm und nur ihre Nähe zählte... und ihre Liebe, die ihn am Leben hielt... Solange sie da war, würde wieder alles gut sein und nach seiner Genesung würde er sie wieder in seinen Armen halten können...
 

Auf seine Frage, nickte Oscar zustimmend. „Für heute sind die Kämpfe vorbei. Es ist kein Lärm mehr zu hören, André...“, sagte sie mit belegter Stimme und versuchte krampfhaft, die anlaufenden Tränen zu unterdrücken, aber zwecklos. Ein dicker Kloß entstand in ihrem Hals, den sie auch nicht runter schlucken konnte... Warum nur musste ausgerechnet André das passieren? Als hätte er in seinem Leben nicht schon genug gelitten...
 

„Ich höre das Geräusch von Tauben, die sich sammeln und nach Hause fliegen.“ André streckte seine Hand nach ihr aus und Oscar umschloss sie mit den ihren. Er spürte, wie etwas Nasses auf seine Finger tropfte und die Haut benetzte... „Was ist los, Oscar? Warum weinst du denn?“
 

„Ich weine doch gar nicht, es sind mehr Tränen der Freude.“ Oscar bemühte sich um Beherrschung, aber innerlich zerbrach sie langsam wie ein Glas... „Ich habe nur ein Wunsch: Lass uns fortreiten und Mann und Frau werden. Wenn der Krieg eines Tages vorbei ist, werden wir feiern. Wir beide werden glücklich miteinander sein, du wirst mir dann sagen, wie sehr du mich liebst und dass du mein Mann bist.“
 

„Ja, das werde ich. Das werde ich ganz bestimmt sagen, Oscar. Das und noch viel mehr“, versicherte André mit brüchiger Stimme und versuchte den immer stärker werdenden Schmerz in seiner Brust krampfhaft zu ignorieren. Oscar sollte nichts davon mitbekommen. Er würde es schon überstehen. „Aber, du weinst immer noch. Was hast du auf einmal?“ André konnte es nicht verstehen. Wenn es Tränen der Freude waren, warum herrschte dann eine Totenstille um ihn herum? Die Antwort traf ihn wie ein geißelnder Blitz. „Oder heißt es etwa... Ich werde sterben?“, äußerte er den grausamen Verdacht und wusste mit einem Mal, dass dem auch so war...
 

Was redete er da? Auch wenn es Oscar bewusst war, dass ihr Geliebter nicht mehr lange durchhalten würde, konnte und wollte sie es trotzdem nicht wahr haben und hoffte insgeheim auf ein Wunder. „Rede nicht solchen Unsinn, André. Du stirbst nicht.“
 

„Du hast recht.“ André zeigte trotz Schmerz und Bitterkeit ein Lächeln. Seine Stimme wurde brüchiger, um ihn herum dunkler, er röchelte und trotzdem sprach er aus letzten Kräften weiter: „Ich darf jetzt noch nicht sterben. Jetzt, wo so vieles neu beginnt. Wo doch alles anders wird. Zum Beispiel die Liebe zwischen dir und mir. Eine ganz neue Zeit bricht an. Du hast recht, es wäre dumm jetzt zu sterben. Jetzt, oder irgendwann später...“ Seine Stimme brach ab, eine einsame Träne lief ihm die Wange herab und blieb genauso starr wie sein Blick ins Leere. Der Tod kam so still und leise, dass er selber nichts davon mitbekam. Er bekam es nicht mit, wie sein Herz aufhörte zu schlagen und seine Seele seinen Körper verließ...
 

Oscar merkte nichts davon und versuchte mit allen Mitteln, ihn noch bei sich zu behalten, ihn am Leben zu erhalten... „Weißt du noch, als wir auf dem Weg nach Arras den Sonnenaufgang beobachtet haben? Lass uns noch einmal diesen Anblick genießen. Nur wir beide, du und ich. Hörst du? Ganz allein... Wir werden dankbar sein, dass es uns gibt, dass wir überhaupt leben, dass wir uns beide in diesem Leben begegnet sind.“
 

Bedrückende Stille breitete sich aus... Oscar wartete vergeblich, die Stimme ihres Geliebten zu hören... Sie bekam von ihm keine Antwort mehr... Das könnte nur eines bedeuten...
 

Nein! „André! Was hast du? André!“ Auch wenn sie etwas lauter sprach, begriff sie gleichzeitig mit Entsetzen, dass es ihr nicht gelungen war, ihn am Leben zu erhalten... Ihr geliebter André hatte ihre Worte nicht mehr gehört, weil er entschlafen war... und er würde niemals mehr aufwachen... Niemals mehr würde sie seine sanfte Stimme hören, sein Lächeln sehen und ihn an ihrer Seite haben... An einem schönen sonnigen Tag, würde sie niemals mehr an der Meeresküste um die Wette mit ihm reiten, mit ihm im Fechten oder im Schießen üben und abends den schönen Sonnenuntergang beobachten... Niemals mehr würde sich die Nacht der Liebe und leidenschaftliche Worte wiederholen ...

Nein, bitte nicht! Ein bitterer Schmerz drang gewaltsam wie ein scharfer Dolch in ihre Brust, zerstückelte ihr das Herz in tausende Stücke und ließ es langsam, aber qualvoll verbluten. Die Welt brach für Oscar zusammen und ihr kam es so vor, als fiele sie in einen tiefen Abgrund... Andrés noch warme Hand entglitt aus der ihren, während sie sich steif auf die Beine erhob und auf seinen leblosen Körper herabsah... „Bitte André! Lass mich nicht allein! Hörst du? Komm zurück!“, schrie sie verzweifelt, wollte und konnte nicht akzeptieren, dass er fort war und nie mehr zurückkehren würde... Ihre Beine gaben nach, sie fiel auf die Knie und weinte bitter. „André...“ Sie starb mit ihm, auch wenn das Herz noch immer in ihrer Brust schlug... So einsam und leer wie jetzt, hatte sie sich noch nie gefühlt... Denn, so lange sie denken konnte, war André immer bei ihr und nun ließ er sie alleine... Warum tat er das? Er sollte sie mitnehmen! Er war doch ihr Mann, zu dem sie noch letzte Nacht in Liebe geschworen und sich mit ihm vereint hatte... Warum hatte sie das nicht schon früher getan? Warum war sie all die Jahre so blind gewesen und hatte seine Liebe nicht schon früher gemerkt?
 

Kniend auf dem kalten Boden, merkte Oscar den Druck der Pflastersteine und die schmerzenden Knochen nicht. Ebenso den Wind nicht, der immer stärker wurde und ihr die Haare zerzauste... Sie hob den Kopf und sah André an. Der Wind hatte auch ihm die Haare vom Gesicht geweht, noch mehr von seinem reglosen Gesicht offenbart - seine trüben Augen schauten ins Leere...
 

Oscar bewegte sich wieder näher zu ihm heran, beugte sich vor und berührte sachte seine Lippen mit den ihren. Ein letzter Kuss, der niemals mehr erwidert würde und doch konnte sie auf diese Weise von ihm Abschied nehmen...
 

Seine Lippen verloren langsam an Wärme, sein Körper kühlte sich ab und die Zeit blieb für immer stehen... Nur die Erinnerungen an ihre unbeschwerte Kindheit, an ihre lange Freundschaft und ihrer einzige Liebesnacht, kreisten in Oscars Kopf immer und immer wieder. „Ich werde dir folgen, mein André, so wie ich es dir versprochen habe... und du weißt doch, ich halte mein Versprechen, Geliebter... warte nur auf mich, ich werde schon bald bei dir sein...“

Folge 40 (Die Französische Revolution)

Es gab einen Sturm auf die Bastille.

Noch immer im Trauer um ihren André, führte Oscar ihre Soldaten an und wurde von der gegnerischen Besatzung mehrfach angeschossen. Sie wurde sofort in einer Seitengasse gebracht und der Arzt gab gleich keine Hoffnung mehr für ihr Überleben bekannt. Nun lag auch sie im sterben, ignorierte den brennenden Schmerz in ihren Wunden, da, wo die Kugeln in ihrem Körper noch immer steckten und dachte dabei an ihren Geliebten. Hatte er sich in seinem Sterbebett genauso gefühlt? Oder hatte er nicht lange gelitten?

 

Wie dem auch sei...

Sie hatte auch nicht mehr lange zu leben und würde ihm bald folgen. So, wie sie es versprochen hatte. Bald würde es soweit sein... bald würde sie bei ihm sein... und zusammen mit ihm, irgendwo im Jenseits, würden sie wieder vereint sein.

Nein, nicht bald... jetzt gleich, nachdem ihr Herz aufgehört hatte zu schlagen, sie keinen Schmerz mehr spürte und ihr Atem immer langsamer werden würde...

 

„Adieu!“, hauchte sie in die Welt der Lebenden, schloss ihre Augen und beim Letzten Atemzug glaubte sie ihren André zu sehen. Dann war es dunkel um sie herum... Sie war entschlafen, so wie ihr André einen Tag zuvor.

 

Nein! Das konnte ich nicht mehr länger mit ansehen! Ich drückte auf Pause meiner DVD und schloss selbst die Augen. Es gefiel mir ganz und gar nicht, dass Oscar und André tot waren. Also überlegte ich, was ich tun könnte. Vielleicht die Serie noch einmal, von Anfang an schauen?

 

Nein, das würde nicht viel bringen, denn am Ende sterben sie beide immer und immer wieder. Also, was wäre dann die Alternative? Vielleicht eine Geschichte schreiben, wo sie schon von Beginn an zusammen sind und bis ans Ende ihrer Tage gemeinsam glücklich leben?

 

Das wäre vielleicht eine gute Idee. Denn es gibt ja so etwas wie eine künstlerische Freiheit. Also stellte ich mir vor, wie Oscar in der grenzenlosen Dunkelheit herumirrte – auf der Suche nach ihrem André und konnte ihn nicht finden. Sie trug ihre blaue Uniform eines Kommandanten der Söldnertruppe und hatte keine einzige Kugel mehr in ihrem Körper. Nicht einmal eine Wunde oder Kratzer hatte sie. So, als wäre sie nie gestorben und so, wie ich sie für mich gern zu ihren Lebzeiten hätte. Um sie nicht noch länger zu quälen, entließ ich einen Seufzer. „Es tut mir leid, Oscar, aber ich musste dich in die Dunkelheit schicken – als Übergang, für eine meiner Geschichten...“, sagte ich zu ihr in meinen Gedanken.

 

Oscar war hellhörig. Schlagartig sah sie sich um, aber konnte niemanden entdecken. Wie denn auch? Ich habe sie ja in die völlige Finsternis geschickt und stelle mir ihre Verwirrung bildlich vor. „Wer ist das? Antwortet!“, zischte sie verärgert – anscheinend hatte sie meine Gedanken gehört. Kein Wunder, denn ich wollte es so.

 

„Beruhige dich, Oscar, ich werde dir schon nichts antun...“ Nun gut, das war doch nicht ganz die Wahrheit meinerseits und deshalb fügte ich noch schnell hinzu: „Obwohl, doch... Immerhin bist du ein Produkt der Phantasie, aber das erkläre ich dir später.“ Ich konnte in meiner blühenden Phantasie und vielfältigen Ideen mit ihr praktisch alles anstellen, aber so gemein bin ich eigentlich nicht und behielt von daher mein Ziel im Auge, sie mit André so schnell wie möglich zusammenzubringen. Sie sind doch so ein schönes Paar und meine Lieblinge. Allerdings musste ich vorerst die liebe Oscar beruhigen. Sie hatte ja so einen hitzigen Temperament und geriet schnell in Rage ...

 

„Was soll das heißen?!“ Oscar ließ sich natürlich nicht beruhigen. Das war wohl von ihr zu erwarten. Aber wer würde sich schon nicht merkwürdig vorkommen, wenn um einen herum völlige Dunkelheit herrscht und man irgendwelche Stimmen hört? In dieser Hinsicht konnte ich ihre Verärgerung verstehen. „Wer seid Ihr? Zeigt Euch!“, hörte ich ihre weiteren Fragen und beschloss weiterhin ihr ruhig zu antworten: „Es tut mir leid es dir sagen zu müssen, Oscar, aber du wirst mich nicht sehen können... Aber du kannst mich Saphira nennen. Und ich bitte dich: Lass es mit diesen Förmlichkeiten. Du kannst auch gerne Du zu mir sagen.“

 

„Was hat das schon wieder zu bedeuten?!“ Oscar war immer noch aufgebracht und beiläufig auch wütend.

 

In Anbetracht der Umstände, in die ich sie geschickt hatte, konnte ich ihr das nicht verübeln. „Also gut, ich versuche es dir zu erklären, aber im Gegenzug wirst du dich beruhigen.“

 

„Das hängt davon ab, was Ihr mir zu erklären habt!“, spie Oscar mir entgegen und dann plötzlich zog sie eine sarkastische Grimasse: „Oh, entschuldige, ich vergaß: Saphira... Was ist das für ein merkwürdiger Name?!“

 

Ich verzog auch ein Grinsen – immerhin beruhigte sie sich. „Das ist nicht mein wirklicher Name. Es ist ein Pseudonym. Ich bin so etwas wie ein Autor und schreibe Geschichten – auch über dich, wenn du es so nennen willst. In Wirklichkeit heiße ich ganz anders und wohne in Deutschland.“

 

Ich merkte in meiner Vorstellung, wie Oscars Augen sich vor Staunen weiteten. Ich vermutete daher, ihr kam Marie Antoinette in den Sinn, denn diese kam ja aus Österreich. „Deutschland...“, faselte Oscar und fasste sich gleich zusammen. „...aber wie kommt es, das wir uns verstehen?! Oder kannst du Französisch sprechen?“

 

Ich musste mir bei dieser Frage ein Lachen verkneifen. „Wie ich es dir bereits sagte, du bist ein Produkt der Phantasie und daher verstehen wir uns, weil ich es mir so erdacht habe.“

 

„Ein Produkt der Phantasie...“ Oscar umfasste ihr Kinn und grübelte nach. Sie zog angestrengt ihre Augenbrauen zusammen, runzelte die Stirn und versuchte zu begreifen. Dann war sie wie vom Donner gerührt. „Heißt das etwa, mich hat es nie wirklich gegeben?!“

 

Arme Oscar, sie tat mir beinahe leid. „Nein...“, sagte ich zu ihr aufgeschlossen: „...so wie auch dein André niemals existiert hatte.“

 

Ich merkte, wie Oscar bei der Erwähnung von André zusammenzuckte. Bestimmt stach es ihr schmerzlich im Brustkorb. Es bestätigte sich, als sie nach oben aufsah und ihren Tonfall milderte: „Wen dem so ist... dann... dann könntest du ihn genauso hierher bringen wie mich?“

 

„Ja, das kann ich.“ Eigentlich habe ich schon lange darauf gewartet, von ihr diesen Wunsch zu hören. Ich bemerkte sofort ein aufleuchten in ihren so schönen, aber kühlen Blick. „Bitte...“ war das einzige, was ihre schmale Lippen formten.

 

Ich überlegte etwas. Zwar sah sie immer süß aus, wenn sie wütend war, aber gut für sie war das auch nicht gerade und nebenbei gesagt, sie von André länger getrennt zu sehen, wollte ich auch nicht unbedingt. Mein Ziel war es ja, sie beide wieder zu vereinen. „Nun gut...“, sagte ich mit einer List: „...aber du wirst dich danach nicht mehr aufregen.“

 

„Ich verspreche es!“, gelobte Oscar und schaute mit ihren himmelblauen Augen nach oben, als würde sie mich direkt sehen können - was mir sogleich das Herz erweichte. 

 

Ich glaubte ihr, denn Oscar zählte eigentlich zu denjenigen Menschen, die ihren Versprechen einhielten. Ihr Blick wurde intensiver, eindringlicher und rührte mich noch mehr in meinem Herzen. Ich mochte ihren Blick, ihre Ausstrahlung sehr und konnte André noch mehr verstehen, warum er sie zwanzig Jahre lang stillschweigend und bedingungslos liebte. Oscar war einfach unwiderstehlich, wunderschön und etwas ganz besonderes. Allerdings, bevor ich mir André vorstellte, fragte ich sie nur noch kurz: „In welcher Form möchtest du ihn wiedersehen?“

 

Oscar zog eine fragende Miene, aber dann schien sie meine Frage verstanden zu haben, denn ihr Gesicht sah im nächsten Augenblick sehr hoffnungsvoll aus: „Ich möchte, dass er wieder sehen kann!“

 

Diesen Wunsch hatte ich schon geahnt und stellte mir in meinen Gedanken André vor. „Du kannst dich umdrehen, Oscar.“

 

Es war schön und warm ums Herz zu beobachten, wie Oscar auf ihren Absätzen herumwirbelte und selig losrannte. André stand nur wenige Schritte von ihr entfernt und breitete seine Arme aus, als er sie sah. Sie fielen sich in die Arme und versiegelten ihre Lippen mit einem innigen Kuss. Aber nur für kurz. Oscar löste sich von dem Kuss als erste. „André... mein Geliebter...“, flüsterte sie atemlos und strich ihm die Haare von der linken Gesichtshälfte – er hatte kurzes Haar und trug seine blaue Soldatenuniform - so wie ich ihn gern mochte. Das schien sie aber nicht zu stören. Sie sah ihm direkt in die smaragdgrünen Augen und er in die ihre. Das bedeutete, dass er wieder sehen konnte und zwar mit beiden Augen. Das entlockte ihr ein süßes Lächeln. Ach, sie sah einfach niedlich aus, wenn sie lächelte ...

 

„Oscar, meine liebste Oscar...“ André lächelte zurück, aber gleich darauf wirkte er ernst und wunderlich. „Es ist wundervoll, dass wir wieder zusammen sind. Aber wenn du auch hier bist, dann...“

 

„Ja, ich bin auch gestorben...“ Oscar ließ ihn seine Gedanken erst gar nicht zu Ende aussprechen und erzählte oberflächlich über den Sturm auf die Bastille nach seinem Ableben am nächsten Tag. Genauso erwähnte sie, wie sie von den hohen Mauern der mächtigen Festung angeschossen und von feindlichen Kugeln getroffen wurde. „...ich habe es doch versprochen, dir zu folgen und das habe ich auch getan“, beendete sie und lehnte sich an ihn, um seinen Herzschlag zu hören. Ob sie es hörte, wusste ich nicht zu sagen, aber ich stellte es mir vor, dass sie das tat, weil ich einfach die Romantik so schön finde ... 

 

„Meine Oscar...“ André drückte sie etwas kräftiger an sich und vergrub seine Nase in ihren goldblonden Haaren. „...aber jetzt sind wir zusammen und keine Kraft oder Macht würde uns mehr trennen können.“

 

„Da bin ich mir nicht so sicher...“, flüsterte Oscar an seiner Brust und André schob sie verwundert von sich. „Wie meinst du das?“, fragte er ein wenig irritiert.

 

Anscheinend erinnerte sich Oscar gerade an mich und unsere Unterhaltung. „Mein Geliebter, ich weiß es nicht...“, entfuhr es Oscar: „..uns hatte es nie gegeben.“

 

„Was sagst du?“ André weitete seine Augen. Der Arme... Das war für ihn bestimmt nicht nur überraschend, sondern auch unglaubwürdig und ein harter Schlag. Nun ja, ihn konnte ich auch verstehen. Denn es wurde an die Existenz von ihm und seiner Oscar gezweifelt. Allerdings im Gegensatz zu Oscar, blieb er ruhig und zeigte seine Aufregung nicht. Seine Gelassenheit und ruhiger Charakter faszinierte mich schon immer - weil es an mich erinnert ... „Ich verstehe nicht...“, meinte er und Oscar seufzte schwer. „Ich auch nicht... Aber wir sind Produkt einer Phantasie...“

 

Um Oscar die Mühe zu ersparen, es ihrem Geliebten zu erklären, mischte ich mich ein. „So sieht es aus, André. Euch zwei gab es nicht, aber manche Menschen wünschen sich, dass es euch wirklich gäbe. Diese Menschen, sogenannte Fans aus vielen Ländern der Welt, lieben euch und viele von ihnen zeichnen wunderschöne Bilder und schreiben Geschichten über euch.“ Über Anime oder Manga erwähnte ich nichts, sonst würde es für die zwei noch komplizierter.

 

André sah sich ruckartig um, ohne dabei Oscar aus seinen Armen loszulassen. „Was geht hier vor?! Wer seid Ihr?!“

 

„Eine gewisse Saphira...“, brummte Oscar, bevor ich mein Kommentar abgeben konnte. „Und wir können sie nicht sehen, dafür aber sie uns...“

 

„Was hat es zu bedeuten?!“ André war noch mehr irritiert und Oscar in seinen Armen konnte auch nicht viel dazu sagen, außer: „Sie schreibt über uns Geschichten“, meinte sie knapp und verzog ihr Gesicht.

 

„Ich verstehe immer noch nichts...“ André umschloss Oscar noch fester in seinen Armen, als befürchte er sie zu verlieren.

 

Das konnte ich ihm nicht verdenken und versuchte es ihm, sowohl auch Oscar, schonender beizubringen: „Hör zu, André, es wird wohl besser, wenn du und Oscar euch mit dieser Tatsache abfindet und keine Fragen mehr diesbezüglich stellt. Das wird sonst zu viel Zeitaufwand kosten, um euch aufzuklären. Und es steht in den Sternen geschrieben, ob ihr das überhaupt verstehen können würdet. Und das stimmt, was Oscar sagt – ihr beide seid ein Produkt der Phantasie und man schreibt über euch Geschichten.“

 

„Dann war all das, was wir durchlebt hatten, erdacht?“ André wirkte nun fassungslos, beinahe entsetzt, aber behielt wenigstens seine Gelassenheit. Diese Eigenschaft musste man ihm lassen.

 

„So sieht es aus, aber nur was euch betrifft“, bestätigte ich es ihm. „Der Rest, wie die französische Revolution, ist aber wirklich geschehen - etwa 300 Jahren vor meiner Zeit. Deswegen habe ich euch zurückgeholt, um euch beide in meinen Geschichten einzuführen.“

 

„Wie bitte?!“ Oscar war empört und wirkte wieder wütend, aber behielt noch ihre Beherschung. „Es gibt noch mehr Geschichten über uns?“

 

„Oh, ja...“, sagte ich mit ehrlicher Inbrunst: „Und nicht nur von mir. Es gibt viele Autoren und aus vielen Ländern der Welt, die über euch schreiben.“ Das das Original ihrer beider Geschichten allerdings in Japan niedergeschrieben wurde, oder besser gesagt als Manga gezeichnet und als Anime verfilmt, erzählte ich ihnen auch lieber nicht.

 

„Was wird über uns noch geschrieben!“, verlangte Oscar auf der Stelle zu wissen und dabei stieg ihr eine Zornesröte ins Gesicht. „Und wer wagt solches zu tun?!“

 

„Viele nette und liebe Menschen, die euch mögen und wünschen, dass ihr schon frühzeitig zusammenkommt, die Revolution überlebt und bis ans Ende euren Tage glücklich miteinander lebt“, erklärte ich ihr knapp und fügte noch ehrlich hinzu: „Aber nicht jeder Autor lässt euch sofort zusammenkommen. In manchen Geschichten, bist du, meine liebe Oscar, mit Girodel oder von Fersen verheiratet, bevor du zu Andre zurückkehrst. Oder auch mit Alain, nachdem André stirbt und du als einzige überlebst.“ Natürlich gibt es Geschichten, wo manche Autoren ihre eigenen Charakter ausdenken und ihn mit Oscar zusammenbringen. Oder Oscar mit Rosalie oder mit Marie Antoinette und André mit Alain, aber das erzähle ich ihnen auch lieber nicht...  Das würde dann die Grenze der Schicklichkeit überschreiten und das ist auch nicht in meinem Sinne. 

 

„Wie bitte?!“ André und Oscar waren gleichermaßen baff. Aber dann schien es ihnen zu dämmern, dass die Beispielgeschichten nicht von mir stammen und Oscar lachte trocken auf: „Ha! Gut, dass André und ich nicht in diesen Geschichten mitwirkten! Girodel und Alain sind meine treue Kameraden, die ich sehr schätze und nicht mehr als Freunde betrachte! Das ist doch absurd! Ich werde nie im Leben weder Girodel noch Alain heiraten wollen! Lieber sterbe ich...“

 

„...und Graf von Fersen?“, unterbrach André sie vorsichtig und senkte unsicher seinen Blick. „..würdest du ihn jemals heiraten wollen?“

 

„André...“ Oscar begriff schnell, dass sie etwas falsch gesagt hatte. Sie schob ihm ihren Finger unter sein Kinn und hob sein Gesicht. „Sieh mich bitte an...“, bat sie ihn und das tat er. Oscar schmerzte das Herz, ihn verzweifelnd und beinahe verloren zu sehen. Sie versuchte sich so sanftmütig wie möglich zu korrigieren: „Niemals... Niemals werde ich einen anderen Mann so lieben können wie dich... nicht einmal Graf von Fersen... Das musst du wissen, André, mein Geliebter...“

 

„Ach, Oscar...“ Andrés Gesicht erhellte sich und er zog Oscar wieder in die Arme: „...wie ich dich liebe!“

 

Oscar lachte reinen Herzens und steckte damit auch André an. Mir rührte es schon wieder das Herz und ich hätte ihnen gerne bei Liebelei länger zugesehen, aber es war Zeit mit einer neuen Geschichte zu beginnen. „Entschuldigt, ihr beiden, aber die Zeit drängt und ich will anfangen über euch zu schreiben...“

 

Das Pärchen wurde mit einem mal ernst, aber löste sich nicht aus der Umarmung. „Die Geschichte über uns...“, wiederholte Oscar ausdruckslos und stellte schon gleich eine Frage: „Wie wird sie verlaufen? Was wird mit uns dort geschehen?“

 

„Nun...“, offenbarte ich ihr aufrichtig: „Ich habe viele Ideen für viele Geschichten, wo es ganz alleine um euch geht und wo ihr nicht in der Revolution stirbt. Ihr werdet von Anfang an ein Liebespaar sein und sogar Kinder miteinander haben. So habe ich es mir vorgenommen über euch zu schreiben. Ja, ich schreibe eine kleine 'O(h) und A(h) Romanze' über euch und werde euch sozusagen 'Ein zweites Leben' geben. Ihr werdet eurem 'Herzenswillen' folgen, 'Liebesqual und Liebesglück' erleiden, 'Liebe, Lüge, Wahrheit' erfahren und viele 'Schicksalswege' bestreiten. Vielleicht mache ich sogar aus André einen Adligen und er würde dann 'De Grandier' heißen. Einmal würde es in 'Um die Eine' nur um Oscar gehen, aber ihr werdet trotzdem 'Für einander bestimmt' sein. Ihr werdet 'Nur mit dir für dich' leben, 'Lieben und geliebt werden' und für 'Immer und Ewig' zusammen sein. Und vielleicht, irgendwann einmal, entschließe ich mich auch noch dazu, eine Geschichte über euch in meiner Zeit zu schreiben. Die Zeit des 21. Jahrhunderts, aber das werden wir noch sehen. Geht erst einmal durch diese Tür und verlebt eure Liebe in von mir bereits vorgesehenen Geschichten.“

 

André und Oscar fiel die Kinnlade herunter. Ob dadurch, was ich aufgezählt hatte oder wegen des Jahrhunderts, konnte ich nicht deuten. Aber vielleicht von allem etwas. Sie schluckten mehrmals, ließen sich das Gesagte von mir durch den Kopf gehen und versuchten zu verstehen. Oscar gab sich als Erstes einen Ruck und schob sich aus den Armen ihres Geliebten, um gleich darauf seine Hand zu nehmen. „Ich würde sagen, dann lass uns gemeinsam ihre Geschichten bestreiten...“, beschloss sie mutig und drückte seine Hand an ihrem Brustkorb.

 

André erwiderte den Druck und umschloss kräftig ihre Hand in der seinen. „Ja, Liebes, gemeinsam werden wir schon alles durchstehen.“ Dann sah er nach oben und richtete an mich seine nächsten Worte: „Wir sind bereit.“

 

Das war ein Spur zu kurzfristig, aber wohl eine einvernehmliche Entscheidung. Ich hatte von den beiden mehr Fragen erwartet, aber ich glaubte ihm. Anscheinend begriffen sie beide, dass ihnen nichts anderes übrig blieb und dass sie meiner Willkür eines Autors ausgeliefert waren. Denn ich würde sie so oder so in meinen nächsten Geschichten einwerfen und einsetzen, auch ohne deren Zustimmung oder Gegenwehr. Es war einigermaßen beruhigend für mich, dass sie zustimmten und von sich aus bereit waren. Denn mir wäre es unbehaglich sie zwingen zu müssen. Ich stellte mir eine Tür vor. Sie öffnete sich und ein grelles Licht durchbrach wie ein Strahl die finstere Dunkelheit. André sah wieder Oscar an und diese nickte ihm entschlossen zu, was ihn zum schmunzeln bewog. Hand in Hand machten sie einen Schritt auf den hellen Ausgang zu und ich sah ihnen einen Moment nach, bis mir etwas einfiel und ich sie mit Bedauern zum stehen bewog. „Es tut mir leid...“, entschuldigte ich mich: „...ich habe noch etwas vergessen zu sagen.“ Ich merkte sofort, wie die Missmut in allen beiden Gesichtern hochstieg und versuchte sie gleich zu beschwichtigen: „Versteht mich jetzt nicht falsch, aber damit die Geschichte gut gelingt, werdet ihr alles vergessen, was ihr bisher erlebt habt und was hier und jetzt passiert ist, sobald ihr durch die Tür geht... Ihr werdet wieder jung sein und euer Leben sozusagen von neu an beginnen...“

 

Das Pärchen atmete tief durch und Oscar sagte das, was auch André dachte: „Na gut, damit können wir noch leben. Beinahe hätte ich vergessen, dass du über unsere Schicksale bestimmen kannst... Aber gehe mit uns, vor allem mit Andre sorgsam um, hörst du?! Bitte...“ Gleich darauf atmete sie auf, schloss ihre Augen und hackte sich unter Andrés Arm ein, bevor sie sich an seine Seite lehnte. „Ach, was soll´s... Hauptsache werden wir zusammen sein...“ Sie öffnete ihre Augen und überwand entschlossen die letzten Schritte zu der Tür zusammen mit ihrem André. Ich sah ihnen in meiner Vorstellung so lange nach, bis das grelle Licht ihre Silhouetten umhüllte, ich dann hinter ihnen die Tür schloss, meine Augen öffnete und anfing über sie zu schreiben.


Nachwort zu diesem Kapitel:
Ja, in diesem Kapitel hat es mit Zusammenführen von Oscar und André nicht geklappt, aber ich hoffe, es hat euch trotzdem gefallen. ^^
Liebe Grüße,
Saph_ira Komplett anzeigen
Nachwort zu diesem Kapitel:
Bis zu dieser Folge konnte man Oscar noch mit André irgendwie verkuppeln, denn wenige Stunden später wird nächste Attentat verübt, wo Graf von Fersen zu Hilfe kommt. Aber wenigstens in diesem Kapitel bekommt Oscar keine Gefühle für ihn. ^^ Ab nächste Folge wird dann etwas schwieriger, Oscar mit André zusammen zu bringen, aber mir ist da trotzdem etwas eingefallen und ich hoffe, es würde euch gefallen. ;-) :-)
Liebe Grüße,
Saph_ira Komplett anzeigen
Nachwort zu diesem Kapitel:
Bei dieser Folge dachte ich mir, weil Graf von Fersen in Amerika ist, könnten Oscars Gefühle in dieser Zeit zu ihm etwas abgekühlt sein und aus diesem Grund würde sie ihre Liebe zu André schon eher bemerken. ^^ Komplett anzeigen
Nachwort zu diesem Kapitel:
Ich hoffe, der Abschluss und die versprochene Überraschung hat euch gefallen. Am Ende und so gesehen, bleiben Oscar und André im Herzen immer lebendig, egal wie dramatisch und tragisch der Ausgang des Originals ist. Ich bedanke mich herzlich bei allen, die meine Geschichte gelesen oder noch immer lesen und wünsche euch alles Gute. Ganz besonders bedanke ich mich bei meiner Betaleserin --Lucy-- für die Korrektur dieser Fanfiction. :-*
Bis zum nächste Mal und liebe Grüße,
Saph_ira Komplett anzeigen

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Kommentare zu dieser Fanfic (36)
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Von:  dana140
2019-07-11T03:09:29+00:00 11.07.2019 05:09
hola
este a estado muy hermosos y que sea oscar la de la iniciativa le da mas valor
Antwort von:  Saph_ira
11.07.2019 14:43
Hello dear dana. I agree with you and thank you very much for your kind comments
Von:  dana140
2019-07-09T02:46:35+00:00 09.07.2019 04:46
oscar es densa como un ladrillo jajajaja
Antwort von:  Saph_ira
11.07.2019 14:41
That is true, thank you very much dear dana :-)
Von:  dana140
2019-07-08T03:07:37+00:00 08.07.2019 05:07
hola
tanta miel y dulzura me dará diabetes... me encanta cada capitulo
Antwort von:  Saph_ira
11.07.2019 14:39
Hello dear dana and thank you very much :-*
Von:  dana140
2019-07-08T02:56:44+00:00 08.07.2019 04:56
hola
no me cansare de decir que son unas bellas historias .. la verdad es que realmente te ponen a dudar .. es decir ellos crecieron juntos normal que se dieran ese tipo de momentos tiernos
Antwort von:  Saph_ira
11.07.2019 14:38
Hello dear dana and thank you very much for your kind comments. I agree with you, Oscar and André grew up together, but sometimes such a strong friendship can turn into love
Von:  dana140
2019-07-08T02:22:41+00:00 08.07.2019 04:22
hola
de verdad que me empalaga tanta ternura ... me encanta
Antwort von:  Saph_ira
11.07.2019 14:35
Thank you very much dear dana :-*
Von:  dana140
2019-07-08T01:55:08+00:00 08.07.2019 03:55
hola
wooo me muero que lindo
Antwort von:  Saph_ira
11.07.2019 14:33
Hello dear dana, thank you very much
Von: GLaDo
2018-06-26T19:08:12+00:00 26.06.2018 21:08
Jap das war eine tolle Überraschung. Das stelle ich mir auch manchmal vor. Wie Oscar, wohl auf meine Idee reageiren würde? Jedenfalls ein toller abschluss und ich bin auf die anderen Geschichten schon gespannt. Ich glaube von einigen hast du mir leseproben geschickt oder? Machst du das am Ende von jeder Geschichte oder nur hier? Ich kann es kaum erwarten, zu lesen wie die anderen Geschichten ausgehen.
Antwort von:  Saph_ira
27.06.2018 18:56
Ein herzliches Dankeschön für deinen lieben Kommentar. Du kannst probieren, sich eine Unterhaltung mit Oscar vorzustellen und vielleicht weißt du es, wie sie auf deine Ideen reagieren würde. ;-) Danke dir, sobald meine lieben Betalesern mit einer der Geschichten fertig sind, werde ich sie veröffentlichen. Und ja, ich habe dir ein paar Leseproben aus "Für einander bestimmt" und "De Grandier" geschickt gehabt. :-) Und nein, ich mache das nicht jeder Geschichte, sondern nur hier. ;-) Danke noch einmal, ich hoffe, ich kann bald schon die nächste Geschichte veröffentlichen. :-)
Von: GLaDo
2018-06-22T16:33:05+00:00 22.06.2018 18:33
Ich heule gerade wie ein Schlosshund und das nach den ersten paar Zeilen. Oscar wird sich doch nicht etwas umbringen? Oder? Sag mir dass es gut ausgeht. Das war schon im Anime/Manga so schlimm zu sehen/lesen.
Antwort von:  Saph_ira
22.06.2018 19:40
Nein, Oscar wird sich nicht umbringen, aber beim Sturm auf Bastille in den Kugelhagel stürzen. Tut mir leid für den tragischen Ausgang und ich verspreche dir, im nächsten Kapitel werden sie bei mir schon auferstehen. ;-) :-)
Von: GLaDo
2018-06-18T17:24:09+00:00 18.06.2018 19:24
Oh ich bin so aufgeregt, was ist die große Überraschung in den nächsten beiden Kapiteln? Ich kann es kaum erwarten. Das war so ein tolles Kapitel. Ich bin so aufgeregt.
Antwort von:  Saph_ira
20.06.2018 17:53
Vielen lieben Dank, die Überraschung kommt im letzten Kapitel am Freitag und was das ist, lass dich überraschen. :-)
Von: GLaDo
2018-06-14T16:29:22+00:00 14.06.2018 18:29
Oh man ich muss gleich heulen. André tut mir so leid er soll nicht erblinden er hat das nicht verdient.
Antwort von:  Saph_ira
14.06.2018 18:35
Da hast du wohl recht, André hat das nicht verdient... aber keine Sorge, in nächsten Geschichten, werde ich ihn nicht erblinden lassen. ;-) :-)


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