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Zwischen Molotowcocktails und Shakespeare

von

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Prolog

In schnellen Schritten gehen wir auf einer einsamen Straße, auf der uns in dieser Nacht noch kein Auto begegnet ist, unserem Ziel entgegen. Einzig der Mond ist unser stummer Begleiter und spendet uns ein bisschen Licht auf unserem Marsch, denn soweit außerhalb der Innenstadt, gibt es keine Straßenbeleuchtung mehr. Eine Sparmaßnahme der Stadt, um das Geld an wichtigerer Stelle einsetzen zu können. Kalter Wind pfeift mir durch die Kleidung und lässt mich erschaudern. Ich friere schon, seit wir aufgebrochen sind. Obwohl wir schon Frühling haben, fühlt sich diese Nacht für mich wie eine Winternacht an. Dazu kommt, dass ich wegen der ungewohnten Laufgeschwindigkeit schwitze, und der Schweiß meine Haut sehr schnell abkühlt. Mir warme Gedanken machend, lausche ich dem regelmäßigen Klappern, das mit jedem Schritt, den Paul tut, erklingt und ich denke daran, was mich erwartet, sobald wir unser Ziel erreicht haben. Ich umfasse die leere Bierflasche in meiner Hand etwas fester, als ein Schauer der Erregung über mich hinwegfegt. Bald, beruhige ich mich und versuche, das Zittern in meinen Händen zu kontrollieren. Immer wenn ich aufgeregt bin, beginne ich wie Espenlaub zu zittern. Meine Fersen reiben sich unangenehm an dem Leder meiner neuen Stiefel und lassen mich die Blasen, die ich nach dieser Nacht haben werde, schon jetzt fühlen. Es sind neue Stiefel, frisch aus England importiert und mit weißen Schnürsenkeln geschnürt. Hätte ich gewusst, dass Paul und die Kameraden so einen weiten Marsch geplant haben, wäre ich bei meinen alten Kampfstiefeln geblieben. Aber nein, ich musste ja unbedingt vor Paul und den Anderen, mit den teuren Tretern angeben, die ich nach dieser Nacht in die dunkelste Ecke meines Schranks verbannen werde, weil sie so unbequem sind. Es ist gut, dass Mama und Papa so viel verdienen, dass ich mir solche Dinge leisten kann ohne ein Loch in die Haushaltskasse zu reißen und es so nicht allzu weh tut, wenn ich Rotz gekauft habe.

»Wie weit noch?«, jammere ich, als ein ekliger Sprühregen einsetzt. Eilig ziehe ich mir die Kapuze meines Pullovers über meine blonden Haare und schließe meine Bomberjacke, damit der Wind weniger Angriffsfläche hat. Erst der Nebel, der uns in dieser Nacht noch weniger sehen lässt, als man in der Nacht ohnehin sieht, wenn man keine Taschenlampe hat und nun kommt noch lästiger, ekliger Sprühregen dazu. Wunderbar! Ich kann unsere Kameraden lachen hören, während mein Herz wegen der ungewohnten Anstrengung schneller pumpt als normal und sehe, wie Paul neben mir grinst, als er sich eine Zigarette anzündet. Es immerhin versucht. Allerdings geht die Flamme immer aus, bevor er seine Zigarette entzünden kann. Fluchend lässt er uns anhalten und versucht es erneut. Dieses Mal klappt es und ich rieche den Rauch, der noch ekliger als der Sprühregen ist, weil ich den Rauch passiv einatme und nicht nur auf meiner Haut spüre. Vor dem Regen kann ich mich schützen, vor dem Rauch im Moment nicht. Paul setzt seinen Rucksack ab, klimpert etwas herum und reicht mir eine Flasche Bier. Ich gebe ihm meine leere Flasche, die wir zu Beginn unseres Marschs geöffnet hatten zurück, schließlich weiß ich, dass wir alle Flaschen für unser Vorhaben brauchen werden.

»Trink Romy, das lenkt vom Laufen ab«, grinst Paul mich an und zieht wieder an seiner Zigarette. Er sieht so alkoholisiert aus, wie ich mich fühle, obwohl ich nur eine Flasche getrunken habe und doch läuft er, ohne zu wanken, als er den Befehl zum weiter laufen gibt. Paul ist der Älteste in unserer Gruppe und unser Anführer. Mit seinen vierundzwanzig Jahren hat er schon viel erlebt, sagt er uns immerhin ständig. Was ich weiß ist, dass die Kanaken in dem Viertel wo eins unserer Verstecke ist, schon lange nicht mehr raus auf die Straße kommen, wenn sie wissen, dass Paul mit unserer Gruppe in der Nähe ist. Sie haben da wohl einen guten Buschfunk. Eigentlich schade, in den anderen Vierteln können wir viel öfter Ausländer klatschen.

»Oder sing uns ein Marschlied«, warf Ralf ein, ohne mich anzusehen. Der hatte doch nicht mehr alle Tassen im Schrank, wie offensichtlich wollte er es für Fremde noch machen uns zu entdecken? Ich trinke demonstrativ einige Schlucke Bier, verziehe angewidert mein Gesicht aber schlucke die Brühe schlussendlich. Die erste Flasche habe ich schließlich auch geschafft, also Augen zu und durch. Ralf ignoriere ich, als er zu mir zurückblickt.

»Wieso kaufst du ständig dieses Pisswasser?«, frage ich um der Konversation willen. Paul lacht nur, sagt aber nichts und geht weiter.

»Weil es billig ist«, höre ich Ralf flüstern. Ich werde das Gefühl nicht los, dass Ralf eigentlich nicht dabei sein will, heute Nacht. Nach weiteren zwanzig Minuten Fußmarsch spüre ich meine Füße nicht mehr und der Alkohol macht sich in meinem Kopf bemerkbar. Weil vor uns ein Zaun in Sichtweite kommt, werden wir langsamer und scharen uns um Paul, der seine kleine Taschenlampe anmacht und sich eine weitere Zigarette ansteckt. »Wie wollen wir denn da drüber kommen?«, wundert sich Michael und sieht in die Runde, als Paul eine weitere Runde Pisswasser schmeißt. Gute Frage, denke ich. Ich werde definitiv nicht über einen Zaun aus Stacheldraht klettern, am Ende reiße ich mir noch an einer Stelle etwas auf, wo ich definitiv keine Schmerzen haben möchte. Mir reichen schon meine monatlichen Beschwerden. Wir trinken und sehen uns gegenseitig fragend an.

»Schubi, den Bolzenschneider bitte«, grinst Paul, reicht ihn als Antwort, an Michael weiter und sieht mich eindringlich an, als ich die Letzte bin, die noch Bier in ihrer Flasche hat. »Trink etwas schneller, wir brauchen alle Flaschen.« Weil er stresst und das Bier immer noch nicht schmeckt, drehe ich die Flasche eiskalt um und kippe den restlichen Inhalt einfach auf den Boden. Die aufgeweichte Erde nimmt die zusätzliche Flüssigkeit gierig auf und verspritzt sie in alle Richtungen. Am meisten aber auf meine neuen Stiefel.

»Bitte schön«, lächle ich und halte Paul die Flasche hin und ignoriere die Tatsache, dass das Leder der Stiefel später mehr als nur verklebt sein wird, da ich sie eh nie wieder anziehen werde. Die Blicke der Jungs sind es wert, von Paul leicht getreten zu werden. Ich trete grinsend zurück, bis Paul drohend seine Faust hebt.

»Richtig so, Romy«, lacht Ralf leise, als Paul damit beginnt, Molotowcocktails herzustellen und sich dafür konzentrieren muss. Ich ziehe mir mit zittrigen Fingern meine Handschuhe an, die irgendwie nass geworden sind und gehe etwas auf Abstand. Ich habe nämlich keine Lust, mit drauf zu gehen, wenn Paul mit seiner Zigarette einen Flächenbrand verursacht und uns als Erstes abfackelt. Ralf folgt mir schweigend. Als der letzte Molotowcocktail gebaut ist, schneidet Michael das Loch im Zaun fertig und kommt zurück zu uns. Paul sieht in die Runde und schnippt seinen Zigarettenstummel zum Glück nicht in die Richtung der Mollis weg. Meine Aufregung steigt und nur mit Mühe kann ich meine Hände ruhig halten, in meinen Jackentaschen.

»Wir schlagen die Scheiben ein, werfen die angezündeten Mollis rein und verdünnisieren uns. Sobald wir durch dieses Loch raus sind, teilen wir uns auf und treffen uns in zehn Stunden bei der Brücke wieder.« Die Aufregung unter den Jungs steigt ebenfalls und mein Magen verknotet sich unangenehm und überlegt, ob er sich übergeben soll. Ich starre zu dem Loch im Zaun. Bald werde ich mein erstes Asylantenheim abgefackelt haben, denke ich voller Stolz. Stolz weil, Paul mir diese Aktion zutraut. Stolz, weil ich fünf der Mollis gereicht bekomme und selbst werfen darf. Ich freue mich schon auf die Freudenfeier, die immer nach solchen Aktionen, in einem Versteck stattfindet. Ich bin noch nicht lange in dieser Gruppe, doch seit mich diese Kanaken in der Schule verprügelt hatten, war für mich klar, welcher Gruppierung ich mich anschließen wollte. Weshalb ich nach dem Krankenhausaufenthalt, in der großen Pause, direkt auf Hannes zu ging, von dem ich wusste, dass er Kontakte hatte. Bei einem Konzert kam ich dann mit Paul in Kontakt und wenige Tage später zusammen. So landete ich in dieser Gruppe und fand schnell Anschluss unter den Kameraden. Ich habe schon einige Freudenfeiern erlebt, aber noch nie an einer Aktion teilgenommen, die solch einer Feier zuvorkam. Premiere also. Wir klettern nacheinander durch das Loch im Zaun und dann geht alles ganz schnell. Parolen schreiend rennen wir über den Hof, schlagen Scheiben ein und die Jungs werfen einen Molli nach dem anderen in das Gebäude hinein, ich traue mich irgendwie nicht, obwohl es mir in den Fingern juckt, einen anzuzünden und zu werfen. Das Adrenalin rauscht in meinen Ohren, als bei dem Fenster, wo ich als Nächstes die Scheibe einschlagen will, das Licht angeht. Ich starre direkt in braune Augen und vergesse alles um mich herum, bis Paul neben mir auftaucht, mich anschreit und weiter zieht - ohne dass ich das Fenster einwerfe und er oder ich einen Molli hinterherschicken. Brauchen wir aber auch nicht, die Anderen haben gute Arbeit geleistet und neben unseren hastigen Schritten höre ich panische Schreie aus dem Haus und Jubelrufe von unseren Kameraden. Paul und ich sind die Letzten, die durch das Loch im Zaun den Rückzug antreten. Ich lasse die unbenutzten Mollis in Pauls Rucksack gleiten, der einen Moment später die Runde herum geht. Nur Ralf hat eine gleiche Menge an ungenutzten Mollis, vorzuzeigen.

»Wir treffen uns bei der Brücke, denkt daran, in zehn Stunden, jetzt beeilt euch und geht über einen Umweg heim.« Mit diesen Worten küsst er mich, schultert den Rucksack und lässt uns stehen. Als ich den Rauch rieche und den Regen auf meiner Haut spüre, bemerke ich, dass mir meine Kapuze vom Kopf gerutscht ist. Ich denke an die braunen Augen und dass die Augen sich definitiv an meine Haarfarbe und die markante Frisur, ein Undercut, erinnern werden. Scheiße. Eilig laufe ich völlig planlos los, als ich die Letzte bin, die noch am Zaun steht und finde mich zwei Stunden später in meinem Zimmer wieder, welches ich seit meiner Geburt in dem Reihenhaus meiner Eltern bewohne. Meine drei Jahre jüngere Schwester Larissa steckt neugierig ihren Kopf in mein Zimmer.

»Wo kommst du denn kurz nach drei Uhr her? Puh, hast du geraucht? Du stinkst, als wärst du in einen Aschenbecher gefallen.«

»Verpiss dich, Lari«, fauche ich und drücke meine Zimmertür eilig zu. Gott, ich musste diese Klamotten loswerden. Mich bis zur Unterwäsche entkleidend, werfe ich alles in einen Plastikbeutel und reiße mein Fenster weit auf, obwohl mir noch immer arschkalt ist, in der Hoffnung den Geruch zu vertreiben. Zusätzlich sprühe ich mein ganzes Deo leer und liege wenig später mit Kopfschmerzen ob des penetranten Deogestanks auf meinem Bett und kann nur noch an die schönsten braunen Augen denken, die ich je gesehen habe und wegen denen ich meinen Einsatz verpasst hatte. Fuck, Paul wird mich lynchen. Sieben Stunden später ist unser Anschlag überall in den Medien und der Stolz, der mir in der Nacht die Brust geschwelt hat, verkriecht sich unter meinem Bett. Zwanzig der Asylanten wurden verletzt, weitere Zehn sind an den Folgen einer Rauchgasvergiftung im Krankenhaus gestorben. In meinem Magen hat sich ein dicker Knoten gebildet. Ich habe keinen Moment an die Folgen gedacht, als ich vergangene Nacht mit den Anderen mitgegangen bin und nur den Hass gespürt, der sich in mir tummelt, seit mich diese Kanaken ins Krankenhaus geprügelt haben. In mir sträubt sich alles, zur Brücke zu gehen, doch ich weiß, dass ich jetzt nicht einfach aussteigen kann, weshalb ich mir den Plastiksack mit meinen Sachen schnappe, die Klamotten in die Wäsche stecke und die Waschmaschine anwerfe, bevor ich der Gruppe an der Brücke meine Aufwartung mache.

»Romy«, nickt mir Ralf zu, als ich ihm eine leere Bierdose in die Eier kicke, die auf dem Boden herumlag und ihn frech ansehe. Unter diesen Leuten muss man stark sein. Darf keinerlei Schwäche zeigen. Die Sache mit den Kanaken hing mir schon nach, ich brauche keinen weiteren Angriffspunkt, obwohl ich mir den wohl vergangene Nacht selbst erarbeitet habe, wie ich feststelle, als Paul mich wütend ansieht.

»Auf der Titelseite«, begrüßte Paul mich beinahe schreiend und hält mir die Tageszeitung hin. »Deine verdammten Haare haben es in die Schlagzeile der Titelseite geschafft!« Mit diesen Worten packt Paul mich und Uschi, Schubis On/Off-Freundin holt eine Schere hervor. Eine Stunde später sitze ich mit einer glatt rasierten Glatze unter der Brücke und fühle mich schäbig, weil es keine Freudenfeier gibt und mir niemand ein Bier zuschiebt, obwohl das Asylantenheim erfolgreich gebrannt hat. Verdammte braune Augen!

Meine Eltern toben, als ich zum Abendessen nach Hause komme. Besonders weil ich ein paar Tage zuvor ziemlich viel Geld beim Friseur gelassen habe für den Undercut.



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