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Zwischen Molotowcocktails und Shakespeare

von

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Kapitel 4.

Regen. Dicke Tropfen, die unaufhörlich aus dem grauen, wolkenverhangenen Himmel brechen. Er will nicht zu meiner sonnigen Stimmung passen und ich verstehe nicht, wie es regnen kann, wo doch endlich Wochenende und der Unterricht für sagenhafte zwei Tage pausiert ist. Okay, technisch gesehen haben wir Freitag und das Wochenende beginnt erst morgen, aber wen interessiert solch Genauigkeit? Mich jedenfalls nicht, als ich beschwingt durch die Gänge der Schule eile um schnell aus dem Gebäude zu kommen. Die Blicke, die ich noch immer täglich auf mir spüre, sind mir heute egal und verschwinden, als ich das Schulhaus verlasse und prompt wieder an den Regen erinnert werde, der erbarmungslos auf mich niederprasselt. Meinen Schirm habe ich heute Morgen natürlich nicht mitgenommen, weil die Sonne geschienen hat. Mein T-Shirt ist schnell durchweicht. An meiner guten Laune kann der Regen auf meiner Haut nichts ändern, denn ich fahre heute endlich heim. Gut gelaunt gehe ich durch das Schultor und ziehe den Kopf ein, als ein dicker Tropfen in meinen Nacken fällt und langsam an meiner Haut hinab rinnt.
 

»Hey«, erklingt Marthas Stimme hinter mir und wenige Augenblicke später wird ein Regenschirm über mich gehalten. »Ich hab nach dir gerufen, aber du hast mich nicht gehört, im Schulhaus. Gehen wir zusammen zurück?« Ich nicke und sehe sie dankbar an, als sie zu mir aufschließt. So gehen wir gemeinsam, den Regenschirm teilend, los.

»Und, fährst du heute auch nach Hause?«, durchbricht Martha die Stille zwischen uns.

»Ja«, erwidere ich und lächle leicht, bei dem Gedanken an zu Hause. »Eigentlich wollte ich schon am letzten Wochenende fahren, aber wir können ja nur alle vierzehn Tage heimfahren, selbst wenn man ein Wochenende ausfallen lassen hat.« Das war echt verdammt ärgerlich gewesen. Meine Eltern und ich hatten viele Pläne gemacht und dann hat mir diese Regel den Mittelfinger gezeigt und ich musste bis zu diesem Wochenende warten.

»Dann fährt dieses Mal unser ganzer Jahrgang heim. Das ist selten«, lächelt Martha und sieht mich ernst an, bevor wir den eigentlichen Weg verlassen und uns auf einen matschigen Trampelpfad, durch den Wald begeben, der eine Abkürzung zum Internat darstellt. »Du hast dich in den letzten Tagen ziemlich rar gemacht. Ich dachte, es würde vorwärtsgehen, mit dir, nachdem wir uns letzte Woche Dienstag, alle ein bisschen angenähert haben.«

Was soll man darauf antworten, ohne dass es blöd oder angepisst rüber kommt? Bevor ich auch nur Worte finde, spricht Martha weiter. »Mehrere Leute sind an mich herangetreten, dass ich einmal mit dir reden soll. Was ist aus deinem Vorsatz geworden?«

Ich reagiere mit einem Schulterzucken und weiche Marthas Blick aus. Tatsächlich habe ich mich in den letzten Tagen zurückgezogen und wann immer Rati und Uma ein Gespräch mit mir beginnen wollten, habe ich es sehr schnell abgewürgt und bin geflohen. Als der Regenschirm über mir verschwindet, erkenne ich, dass Martha stehen geblieben ist und ich mein Tempo angezogen habe. Seufzend bleibe ich ebenfalls stehen, ohne mich nach Martha umzusehen. Ich höre ihre Schritte im Matsch des Trampelpfads. »Sprich mit mir Romy«, höre ich sie sagen und stelle mir vor, dass sie nur wenige Schritte hinter mir steht.

»Und was, soll ich deiner Meinung nach sagen?«, frage ich und blicke zum Blätterdach empor und spüre, wie mir der Wind kalte Regentropfen ins Gesicht weht. Ich schließe meine Augen und atme tief ein. »Was ist es, dass du aus meinem Mund hören willst?«

»Was es ist, dass dich daran hindert, es einmal zu versuchen und dich ein bisschen zu öffnen.«

Ich vergrabe meine Hände tief in meinen Hosentaschen, öffne meine Augen, als ich ausatme und drehe mich zu Martha um, die wirklich nur zwei Schritte hinter mir steht. Wahnsinn wie schnell die Stimmung kippen kann, denke ich verärgert und kneife mich selbst in mein Bein, um Martha nicht den Schirm aus der Hand zu schlagen.

»Du, ich versuche es, seit ich hier in dieser Hölle angekommen bin und ich finde meinen Fortschritt großartig. Zu Hause habe ich jeden, der nicht der arischen Rasse entspricht und es gewagt hat, mich schief anzusehen, gemeinsam mit meinen Freunden, die Fresse poliert. Sag mir also nicht, dass ich es nicht versuchen würde. Nur weil ich über Toleranz gesprochen habe und Ratis Angebot angenommen habe, muss ich nicht sofort allen Kanaken hier, die Füße küssen und meinen Kameraden, in den Rücken fallen«, flüstere ich gefährlich leise und drehe mich weg, bevor es sich meine Fäuste nicht noch anders entscheiden und lasse Martha einfach stehen.

 

 Außer Atem lasse ich mich, nah am Eingang der Kapelle nieder und ärgere mich darüber, dass Martha es geschafft hat, mit ihren Fragen meine Stimmung zu verhageln. Ich versuche, mir die positiven Aspekte meiner Heimfahrt, vor Augen zu führen, und hoffe so meine, auf dem Weg verlorene, gute Laune, wiederzufinden. Vergeblich. Die betenden Ordensschwestern ignorierend, rufe ich mir in Erinnerung, dass ich zwei Tage lang keine Schule, kein Internat, keine Gebete und kein Getuschel hinter meinem Rücken ertragen muss. Zwei Tage, an denen ich mir keine Gedanken über meine schlechten Zensuren machen muss und an denen ich nicht aufpassen muss, was ich sage. Jedenfalls, wenn ich draußen bin und mich unter meinesgleichen befinde. Zu Hause muss ich mich genauso zusammenreißen wie hier. Mama und Papa mögen ausländerfeindliche Äußerungen nicht und wissen auch nicht, dass ich gegen Ausländer bin und einer rechten Gruppierung angehöre. Nichtsdestotrotz freue ich mich auf zu Hause. Auf mein Zimmer, mein Bett und ganz besonders auf meine kleine Schwester Lari. Geplant ist ein ruhiges Wochenende, das ich mit meiner Schwester und meinen Eltern verbringen möchte, auch wenn es mir in den Fingern juckt, die Kameraden durchzutelefonieren und zu fragen, ob irgendwo etwas ansteht. Allerdings weiß ich nicht einmal, ob nach der Aktion von Paul und Schubi jemand in der Stadt ist. Und wer nicht in der Stadt ist, auf den können wir verzichten. Denn Menschen ohne Rückgrat kommen im Leben nicht weit. Einer der guten Sprüche von Paul, zwischen dem ganzen Dreck, den er so von sich gegeben hat. Nach dem Gebet stürme ich eilig auf mein Zimmer und lasse das Vesper sausen. Zu Hause kann ich so viel Kaffee saufen, wie ich möchte. Ich werfe die Klamotten achtlos in meine Tasche und lege die Bücher, die ich zum Lernen mitnehmen möchte, oben drauf. Mit geschulterter Reisetasche verlasse ich mein Zimmer und zucke erschrocken zusammen, als Juli neben mir steht. »Scheiße. Schleich dich nicht so an«, zische ich und schließe meine Tür ab. Seit dem Dienstagabend, als wir gemeinsam von der Bibliothek zurückkamen, haben wir nicht mehr miteinander gesprochen. Juli sieht mich einen Moment entschuldigend an, bevor ihre sanften Gesichtszüge hart werden und sie mir ernst in die Augen sieht. »Mach zu Hause keinen Scheiß, okay?«

»Ich versuche es«, erwidere ich und frage mich, was sie sich unter Scheiß vorstellt. Ich werde ein schönes, chilliges Wochenende mit meiner Familie verbringen, wenn ich mich dagegen entscheide, die Kameraden anzurufen. Mit Lari ein Eis essen gehen und von Papa eventuell erlaubt bekommen, eine Runde mit seiner Cross-Maschine zu drehen und ein bisschen Lernen, wenn meine Eltern nichts anderes geplant haben. Weshalb ich ein »Ich doch nicht«, nachdrücklich hinterher schiebe, bevor ich mich, nachdem ich mich beinahe wieder in ihren Augen verloren hätte, die mich so traurig ansehen, wegdrehe und langsam den Gang zu der Treppe hinab gehe. Ich kann hören, wie sie leise seufzt und hinter mir hergeht, aber ich drehe mich nicht um.

»Dieses Mal hast du weniger Haare, die du dir abrasieren kannst. Lass dich also nicht erwischen, wenn du doch Scheiße baust oder du mit deinen Kumpels wieder losziehst und Asylantenheime abfackelst.«

Ein eiskalter Schauer klettert meinem Rücken hinab und lässt mich mitten im Gang erstarren und meine Tasche auf den Boden fallen, als ich mich erinnere. Daran erinnere, wo ich sie das erste Mal gesehen habe. Mit einem Mal wird mir der Grund der Ohrfeige klar und, dass sie es war, die Frau Kramer und allen anderen meine politische Gesinnung nahe gelegt hat, als wir uns an meinem ersten Abend im Foyer begegnet sind. Als ich mich zu ihr umdrehe, um keine Ahnung was, zu sagen, ist sie verschwunden und der Gang, bis auf mich, leer.

 

Als ich auf dem Parkplatz stehe und darauf warte, dass Mama mich abholen kommt, bin ich froh, dass es nicht mehr regnet, denn mein Schirm liegt noch immer auf meinen Zimmer, stelle ich fest, als ich den wolkenverhangenen Himmel starre und an der Seite meiner Tasche nach dem Schirm taste. Mit meinen Gedanken bin ich weit weg und bemerke erst, dass Mama da ist, weil sie mich umarmt.

»Hey Mama«, murmle ich in Mamas Haare und lächle gezwungen, als sie von mir ablässt und mich ansieht. Ob Juli Freunde in dem Asylantenheim hatte, die in jener Nacht starben? Wäre es so, versuche ich, mich zu beruhigen, hätte ich mir mehr als eine Ohrfeige verpasst. Plötzlich rieche ich Rauch und fühle mich zurück in die Nacht versetzt, wo ich ihre unglaublichen, braunen Augen das erste Mal gesehen habe. Erst die Kofferraumtür, die neben mir zugeworfen wird, bringt mich ins Hier und Jetzt zurück. Fahrig streiche ich mir durch meine kurzen Haare und setze mich auf den Beifahrersitz von Mamas Mercedes.

»Alles klar, Romy?«

»Ein bisschen müde«, zwinge ich mich, zu sagen, und sehe Martha und Juli, wie sie sich zum Abschied umarmen. Ich wende rasch meinen Blick ab und kralle meine Fingernägel in meine Oberschenkel.

»Was macht die Schule?«, fragt Mama, als wir vom Internatsgelände runter fahren.

»Nicht gut«, gestehe ich und starre aus dem Seitenfenster. Im Westen öffnen sich die grauen Wolken und blauer Himmel bricht hindurch. »Der Unterricht ist hart, ich weiß nicht, ob das mit dem Abschluss funktioniert, wie ihr euch das vorstellt.«

»Was ist mit Nachhilfe? Ich bin mir sicher, dass dir ein bisschen Nachhilfe schon viel helfen würde. Vielleicht jemand aus dem Internat?«

»Nein«, fahre ich Mama über den Mund und räuspere mich. »Ich habe mich in den letzten drei Wochen nicht gerade beliebt gemacht und keinerlei Freundschaften geschlossen. Ich denke nicht, dass mir da jemand helfen würde«, lüge ich Mama an. »Notfalls wiederhole ich das Jahr noch einmal?«

Mama trommelt auf das Lenkrad, als wir hinter einem Traktor hertuckern und sieht mich aufmunternd an. »Warten wir doch auf dein Halbjahreszeugnis, bevor wir uns darüber intensiver Gedanken machen. Erst einmal kommt Weihnachten. Bis dahin kann sich noch einiges verändern, Liebes.«

Häuser, Bäume, Dörfer und Städte ziehen an uns vorbei und je weiter wir uns vom Internat entfernen, umso mehr, fällt die Anspannung von mir ab.

»Wird Lari zu Hause sein?«

»Ja, deine Schwester und dein Vater freuen sich schon auf dich. Hast du schon Pläne, für das Wochenende?« Ich nicke und sehe Mama an, als wir an einer Ampel halten.

»Ich habe ein paar Bücher zum Lernen dabei. Ansonsten muss ich mal sehen, ob meine Freunde zu erreichen sind. Vielleicht gehen wir alle ins Kino?«, frage ich und sehe Mama hoffnungsvoll an, die mir zuzwinkert, bevor sie wieder auf die Straße schaut.

»Vielleicht warten zu Hause Tickets auf dich, die dich in den neusten Fast and Furious Film überreden wollen.« Nach dieser Konversation, in der ich noch meine Freude ausdrücke, lehne ich mich vor, schalte das Radio ein und wühle in Mamas Handschuhfach nach einer passenden CD. Weil ich nichts Besseres finde, werfe ich Rosenstolz in den Player und lausche der unverkennbaren Stimme von Anna und versuche, nicht an Juli zu denken. Denke dadurch automatisch an die Nacht, beim Asylantenheim und an Paul und Schubi. Rieche zum wiederholten Male den Rauch, spüre den ekligen Sprühregen auf meiner Haut. Mama ist es, die mich wieder aus den Erinnerungen holt. »Ist wirklich alles okay, Liebes?«

»Ja, alles gut«, seufze ich vernehmlich und strecke meine Beine im Fußraum des Autos aus. »Ich war nur in Gedanken. Hast du etwas gesagt?«

»Nein«, sagt Mama und sieht mich eindringlich an. »Aber du hast geschaut, als ginge es dir plötzlich richtig schlecht, deshalb.« Ich versichere ihr, dass es mir wirklich gut geht und starre die restliche Fahrt aus dem Seitenfenster.

 

»Romy!«, kreischt meine kleine Schwester, als ich aus Mamas Mercedes aussteige und stürmt mir mit einem Tempo entgegen, dass ich gerade noch meine Arme ausbreiten kann und dann liegt sie auch schon in meinen Armen und drückt sich fest an mich. Ich halte sie fest und atme ihren vertrauten Geruch tief ein.

»Hey Lari, ich habe dich auch vermisst«, flüstere ich ihr zu und streiche Lari sanft über den Rücken, bis sie sich von mir löst und unsere Eltern bitterböse ansieht.

»Wenn ich schon Facebook benutzen dürfte, wäre das in Kontaktbleiben viel einfacher.« Unsere Eltern tun so, als hätten sie den Vorwurf nicht gehört und gehen ins Haus, nachdem Papa meine Tasche aus dem Kofferraum gehoben hat. Im Flur schließe ich, nachdem Lari mich losgelassen hat, auch Papa fest in meine Arme, der mich entschuldigend ansieht.

»Du weißt, wenn wir es hätten verhindern können, würdest du noch hier zur Schule gehen, Pfläumchen.«

»Mama hat gesagt, ihr habt Kinokarten für den neuen Fast and Furious Film!«, wechsle ich das Thema, weil ich weiß, dass es nichts bringt, mich zu beschweren. Papa nickt und winkt mich ins Wohnzimmer, wo Mama schon mit Lari wartet.

»Morgen Nachmittag, Pfläumchen. Für dich, Lari, Mama und mich.«

»Was wollt ihr zum Abendessen?«, fragt Mama, als ich mich neben Lari auf die Couch gesetzt habe und Papa sich in seinen Lieblingssessel fallen lässt.

»Pizza«, skandieren Lari und ich, wie abgesprochen, im Duett und Mama kramt einen Flyer unter dem Wohnzimmertisch hervor, bevor Papa auch nur ein Veto einlegen kann.

»Vom Türken um die Ecke oder von unserem Stammitaliener?«, will Mama wissen. Bei der Erwähnung des Türken zieht sich mein Magen zusammen und das Hungergefühl verebbt. Fünf Tote - in einer Dönerbude, hier in der Stadt.

»Wir könnten auch Essen fahren. Ich habe letzte Woche einen Griechen entdeckt, den ich gern ausprobieren würde«, lächelt Papa und schaut abfällig auf die Flyer und ich ahne, dass er das in erster Linie vorgeschlagen hat, weil er keine Lust auf unsere Diskussionen hat. »Pizza bekommt ihr da bestimmt auch.«

 

»Was meint ihr?«, fragt Mama uns und sieht Papa skeptisch an. Weil ich heute keine Lust darauf habe, ewig mit Mama und Lari zu diskutieren, schlage ich mich auf Papas Seite und bin für den Griechen. Lari schließt sich mir an und so kommt es, dass ich mich eine halbe Stunde später in Papas Auto, auf der Rückbank wiederfinde und wir als Familie über den Asphalt tuckern. Wir fahren aus der Stadt raus und kurz vor dem nächsten Dorf halten wir an einer gut besuchten Gaststätte. Ich genieße die Zeit mit meiner Familie und muss kaum an Juli und das Internat denken, wo ich am Sonntag wieder hinmuss. Wir lachen, schlagen uns die Bäuche voll und Mama gibt mir ein Gläschen Ouzo aus, was mich besonders freut, da sie mir sonst nicht einmal ein Glas Sekt zu Silvester gestattet. Als ich den Alkohol in meinen Beinen kribbeln spüre, mache ich mit meinem Smartphone ein Erinnerungsfoto von mir und meiner Familie und antworte aus einer Laune heraus, Dancing Juliet und bestätige ihr, dass ich die Ohrfeige verdient habe. Erst als wir wieder zu Hause sind und mein Kopf, mein Kopfkissen berührt, zähle ich Eins und Eins zusammen und lache über meine eigene Dummheit. Wie konnte ich nur so dämlich sein und nicht raffen, dass Juli Dancing Juliet ist? Über meine Dummheit schmunzelnd, lege ich mein Smartphone neben mich, rolle mich auf die Seite und starre an die Wand meines Zimmers.

 

Als ich das nächste Mal auf mein Smartphone blicke, stelle ich überrascht fest, dass ich eingeschlafen bin und es schon kurz nach Eins in der Nacht ist und Juli mir geantwortet hat. Mir die Müdigkeit aus den Augen reibend setze ich mich auf und lese die Facebooknachricht.

22:11; Dancing Juliet: ›Du überrascht mich.‹

Nicht nur dich, denke ich, trinke einen Schluck Wasser und schiebe die Bettdecke, die Mama wohl über mich gelegt hat, von meinen Beinen.

00:22; Romy Schneider: ›Nicht nur dich, ich mich selbst auch, Juli. Wie läufts zu Hause?‹

Ich ärgere mich selbst über meine dumme Frage, aber zu spät, die Nachricht ist schon abgeschickt. Dumm deshalb, weil ich nicht weiß, wo Juli nach dem Brand im Asylantenheim unterkam.

00:30; Dancing Juliet: ›Ich sehe, du machst deine Hausaufgaben, wenn auch reichlich spät. Dabei habe ich dir doch schon einen deutlichen Hinweis gegeben? Geht so.‹

Zurück in die Kissen gelehnt, starre ich mein Display so lange an, bis es aus geht und das Zimmer wieder verdunkelt. Weil ich keine Ahnung habe, was ich zurückschreiben soll, starre ich in die Dunkelheit und schließe meine Augen irgendwann, als sie der Dunkelheit müde werden. Ich ziehe mir die Decke bis unters Kinn und zucke erschrocken zusammen, als etwas gegen mein Fenster knallt. Vielleicht ein Vogel, überlege ich und spüre, wie mein Gehirn immer träger wird. Ich atme tief ein, als einige Momente später abermals etwas gegen mein Fenster knallt und daran abprallt. Mit der Decke um meinen Körper gewickelt, stolpere ich über meine Reisetasche, als ich zum Fenster gehe und es fluchend aufreiße. Genau in diesem Moment segelt ein Stein an mir vorbei und landet mit einem dumpfen Geräusch auf meinem Teppich.

 

»Wer ist da?«, zische ich hinab in die Dunkelheit und versuche, jemanden zu erkennen.

»Komm runter«, erklingt eine vertraute Stimme und neben dem Apfelbaum in unserem Garten geht ein Smartphonedisplay an und für einen Moment, sehe ich Julis Gesicht.

»Juli, bist du das?«, frage ich zischend und versuche mehr zu erkennen, als eine Silhouette in der Dunkelheit. »Was machst du hier? Warte, ich komme runter.«

Ich schließe mein Fenster, werfe meine Bettdecke auf mein Bett und kralle mir eine Strickjacke aus dem Kleiderschrank, nachdem ich meine Schreibtischlampe angemacht habe, um mehr zu sehen. Leise schleiche ich durchs Haus, steige die Stufen hinab ins Erdgeschoss und schiebe im Wohnzimmer die Terrassentür auf. Entschlossen trete ich hinaus auf die Terrasse und hätte beinahe die ganze Nachbarschaft zusammen geschrien, weil Juli plötzlich hinter mir steht und ein ›Buh‹, in mein Ohr flüstert.

»Scheiße«, fluche ich und drehe mich wütend zu ihr um und gehe einige Schritte auf Abstand, weil sie zu nah in meiner Komfortzone befindet. »Mach das nie wieder. Was zur Hölle machst du eigentlich hier und wo hast du die Adresse her?«

Juli kichert und ich rieche Alkohol.

»Bist du betrunken?« Abermals kichert sie, sagt aber nichts. Seufzend packe ich sie, nachdem ich einen Moment darüber nachgedacht habe, an ihren Arm und ziehe sie ins Haus und zu mir ins Zimmer. Schließlich kann ich sie in diesem Zustand doch nicht fortschicken, oder? Wir verursachen so viel Lärm, dass ich überrascht bin, dass meine Mutter nicht im Flur steht und mich mit ihrem mörderischen, verschlafenen Blick erdolcht.

»Also?«, frage ich, als Juli auf meine Couch plumpst und ich ihr meine Wasserflasche reiche und versuche nicht daran zu denken, was Paul und die Kameraden jetzt von mir denken würden, weil ich eine so offensichtliche Ausländerin in mein Zimmer lasse. Dabei wird mir bewusst, wie dumm und abwertend dieser Gedanke ist.

»Ich habe vor ein paar Tagen das Klassenbuch ins Lehrerzimmer gebracht«, erklärt sie mir nuschelnd und kichert dabei pausenlos, wenn sie nicht an der Wasserflasche nippt, sodass es schwer ist, sie zu verstehen, obwohl sie akzentfreies Deutsch spricht. »Kurz vor dem Lehrerzimmer geht es noch einmal zwei Stufen hoch, dort bin ich gestürzt und das Buch lag geöffnet auf dem Boden. Dabei habe ich zufällig die aufgelisteten Anschriften gelesen und überrascht festgestellt, dass wir in der gleichen Stadt wohnen und du auch noch nah an meinem Elternhaus, wohnst.«

»Elternhaus?«, platzt es aus mir heraus und Juli kichert erneut. »Warst du nicht Anfang des Jahres noch im Asylantenheim?«

 

»In den Ferien, als ehrenamtliche Helferin«, nickt Juli und trinkt einen großen Schluck Wasser, bevor sie mich versucht, zu fokussieren und betrübt aussieht. »Die Nacht war fürchterlich.«

Ich zwinge mich, nicht daran zu denken und ignoriere den Geruch von Rauch in meiner Nase, weil ich weiß, dass es Einbildung ist. Hier brennt nichts. Den Nasenrücken massierend, schließe ich meine Augen und sehe, wie sich die Flammen gierig durch alles brennbare fressen. »Und was willst du nun hier?«, frage ich und reiße meine Augen auf.

»Meine Eltern«, beginnt Juli. »Sie streiten und ich kenne niemanden, außer dich, in dieser Stadt, weil ich den Großteil des Jahres im Internat oder bei meinen Großeltern verbringe.«

»Warum bist du dann nach Hause gefahren?«, frage ich und stütze meine Ellenbogen auf das Fensterbrett und starre hinaus in die Dunkelheit der Nacht. Als das Schweigen immer länger wird, beginne ich, Juli in der Spiegelung der Fensterscheibe zu beobachten und sehe, wie sie auf ihre Füße starrt und ihre Hände, in ihrem Schoß nervös knetet.

»Weil meine große Schwester heute ihre Verlobung gefeiert hat. Deshalb auch die Alkoholfahne«, bricht es aus ihr heraus, als ich nicht mehr mit einer Antwort gerechnet habe und sie sieht mich durch die Spiegelung direkt an. »Soll ich gehen?«

»Was erwartest du von mir?«, frage ich leise und sehe auf das Fensterbrett hinab. »Ich bin immer noch dieselbe, die du damals im Frühling gesehen hast. Ich habe mich nicht verändert.«

»Vielleicht«, stimmt Juli mir zu. »Aber du hättest mir auch nicht schreiben müssen.« Bevor sie weitersprechen oder ich auf ihre Worte reagieren kann, beginnt sie zu würgen.

»Kotz mir bloß nicht auf den Teppich«, rufe ich, bin mit zwei großen Schritten neben ihr und zerre sie in den Stand. An ihrem Arm ziehe ich sie so schnell wie möglich in mein Badezimmer. Gerade noch rechtzeitig erreichen wir die Toilette. Nur eine Sekunde später und Juli hätte sich auf dem Boden übergeben. Ich halte ihr die Haare aus dem Gesicht und streiche ihr mit meiner freien Hand beruhigend über den Rücken, als sie beim Kotzen immer hysterischer wird. Gefühlte Stunden hocken wir in meinem Badezimmer. Tatsächlich sind es vielleicht zehn Minuten, die vergehen, bis sich Juli soweit beruhigt, dass sie mich nach Wasser fragen kann und ich ihr die Flasche aus meinem Zimmer hole. Bis sie sich sicher ist, sich nicht noch einmal zu übergeben, zieht weitere Zeit ins Land, in der ich schweigend meine Füße anstarre und am Rand der Badewanne sitze.

»Gehts wieder?« Juli nickt und lässt sich von mir auf die Beine helfen. Gemeinsam gehen wir wieder in mein Zimmer, wo ich sie wieder auf meine Couch drücke und mit einem kurzen Blick auf sie zu meinem Schrank gehe und ein T-Shirt hervorkrame, weil ihr Oberteil nass ist. »Hier«, murre ich und werfe ihr das T-Shirt zu. Überrascht sieht sie zu mir, blickt auf ihre Bluse und nickt dann, als habe sie die Nässe erst jetzt bemerkt. Ich wende meinen Blick ab, weil sie ungeniert damit beginnt, ihre Bluse aufzuknöpfen und ich erstarre, als ich wieder zu ihr Blicke, weil sie keinen BH unter der Bluse trägt.

 

»Es ist mir verboten, einen zu tragen«, kichert Juli und zieht sich das T-Shirt über den Kopf und ich versuche, nicht weiter über Julis Brüste nachzudenken. Ist ja nicht so, als hätte ich keine Eigenen. Ich verkneife es mir, nach dem Warum zu fragen und hänge die Bluse über meine Heizung. Schließlich wollte ich ja auch nicht wissen, warum sie keinen trägt. Das hat sie mir ja einfach erzählt. Als ich mich wieder zu ihr umdrehe, wirft sie mir ihren Rock zu.

»Der ist auch nass«, kommentiert sie, als ich auf das Stück Stoff in meinen Händen hinabsehe.

»Brauchst du eine Hose?«, frage ich völlig automatisch. Ist es reines Mitleid, was mich dazu antreibt, ihr zu helfen, obwohl ich es nicht tun sollte?

»Danke, dein T-Shirt ist groß genug, dass ich mich darunter verstecken kann«, nuschelt sie und deutet auf ihre Beine, die sich unter dem Stoff verstecken. »Wo hast du das denn her? So breit bist du doch nicht.«

»Von meinem Ex-Freund«, stelle ich fest und frage mich, was Paul davon halten würde, wenn er wüsste, wer sein T-Shirt trägt. Ich lache leise, weil ich mir sein angewidertes Gesicht bildlich vorstellen kann und hänge den Rock neben die Bluse.

»Du kannst in meinem Bett schlafen«, sage ich, nach einem Moment und deute auf mein Bett. Juli steht von der Couch auf und dabei rutscht das T-Shirt, von ihren nackten Beinen und langsam beginne ich zu glauben, dass ich krank werde, als mein Herz schneller schlägt und ich mich frage, ob sich ihre Haut so weich anfühlen würde, wie sie aussieht.

»Das kann ich nicht annehmen«, haucht sie, lässt sich von mir jedoch widerstandslos zu meinem Bett führen. Bestimmt drücke ich sie an den Schultern hinab, bis sie am Bettrand sitzt und mit undefinierbarem Blick zu mir aufsieht.

»Doch kannst du. Leg dich hin und nüchter dich aus.« Bevor ich einen Schritt rückwärts gehen kann, zieht sie so doof an meinem Arm, dass ich stolpere und halb auf sie falle. Überrascht fange ich mich gerade noch ab, bevor unsere Köpfe miteinander kollidiert wären. Unsere Blicke verhaken sich ohne große Anstrengung und ich spüre ihren Atem auf meiner Haut. Alles um uns herum erscheint mir unwichtig, bis es an meiner Zimmertür klopft und mich zurück in die Realität zieht.

»Romy?«, erklingt Laris Stimme und ich bin, glaube ich noch nie schneller aus meinem Bett aufgestanden. Was zur Hölle war das? Mir bleibt keine Zeit, länger darüber nachzudenken, denn meine Schwester zieht die Zimmertür auf und schaut mich an. »Alles okay? Ich habe Lärm gehört«, fragt sie und schaut verwirrt von mir zu Juli und zurück. »Wer ist das?«

»Bin Juliet«, murmelt Juli, greift nach meiner Hand und zieht mich zurück auf mein Bett, das Lattenrost knarzt, als ich auf der Matratze aufkomme. »Dann teilen wir uns dein Bett eben. Ich will nicht, dass du wegen mir auf der Couch schläfst.«

Meine Schwester sieht mich fragend an, als mich Juli in die Kissen zieht. »Spontaner Besuch. Ich erkläre es dir nachher genauer. Wenn du eher wach sein solltest, meldest du sie bei unseren Eltern schonend an?«, frage ich Lari, weil ich ganz genau weiß wie unsere Eltern es finden, wenn wir Überraschungsgäste haben. Lari nickt, grinst mich blöd an, als Juli mich als Kopfkissen missbraucht und zieht sich dann zurück.

»Leg deinen Kopf wo anders hin«, murmel ich und starre an meine Zimmerdecke, als Juli auch noch einen Arm über meinen Bauch legt und sich ankuschelt. »Hey, ich bin doch kein Kuscheltier«, beschwere ich mich, doch von Juli erfolgt keine Reaktion mehr. Weil ich mich nicht von ihr lösen kann, gebe ich mich geschlagen und finde in dieser Nacht nur schlecht in den Schlaf, obwohl ihr Atem an meinem Ohr eine einschläfernde Wirkung hat, wären da nur nicht meine seltsamen Gedanken, die sich nur um Juli zu drehen scheinen. So hab ich mir meinen Start ins Wochenende, irgendwie nicht vorgestellt.

 


Nachwort zu diesem Kapitel:
Mit diesem Kapitel bin ich absolut unzufrieden. ._. Besonders der Anfang ist schlecht. Aber nach dem vierten Mal umschreiben, innerhalb einer Woche, lasse ich es erst einmal so stehen. Weiter geht es an dieser Stelle, spätestens in einer Woche, am 7.8.18 Komplett anzeigen

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Kommentare zu diesem Kapitel (1)

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Von:  z1ck3
2018-10-20T16:56:14+00:00 20.10.2018 18:56
Ich muss gerade alle Kapitel seit dem letzten aufholen, weil ich so lange nicht mehr hier war. Also ich finde das Kapitel ganz und gar nicht schlecht. 😊
Antwort von:  Curupira
20.10.2018 19:07
dann viel spaß beim lesen. xD


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