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Zwischen Molotowcocktails und Shakespeare

von

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Kapitel 14.

»Morgen wieder hier, selbe Zeit und bring deine Chemiesachen mit«, sind Julis Worte zum Abschied, bevor sie aus dem Zimmer rauscht, nachdem Martha es aufgeschlossen und uns interessiert gemustert hat. Zu meiner Überraschung ist Juli wirklich eine fähige Nachhilfelehrerin und ich habe in der letzten halben Stunde mehr gelernt, als in den ganzen Wochen, die ich diese Schule schon besuche und das, obwohl ich mich nicht fähig fühlte, nach diesem Kuss überhaupt lernen zu können. Martha sieht Juli einen Moment lang, nachdenklich hinterher, bevor sie ins Zimmer tritt und die Tür hinter sich zuzieht. »Ihr habt also miteinander geredet?«
 

»Ja, über Mathe«, erwidere ich und packe zerknirscht meine Sachen zusammen.
 

»So sieht es hier auch aus«, kommentiert Martha ironisch und sieht mich ernst an. »Sagte ich nicht, dass du deine Aggressionen zügeln sollst?«
 

»Ich habe keine Ahnung, wovon du redest«, sage ich und grinse obwohl mir nicht danach ist. Meine Tasche schulternd, stehe ich auf und will an Martha vorbei aus dem Raum gehen.
 

»Ich meine das Ernst, Romy«, hält Martha mich an meinem Arm zurück, sieht mich einige Sekunden scharf an, bevor sie das Thema wechselt. »Kommst du nach dem Abendgebet mit in die Bibliothek?«
 

»Sorry, nicht heute«, lehne ich ab und Martha lässt meinen Arm los. »Bis morgen früh«, winke ich und gehe ohne ein weiteres Wort aus Marthas Zimmer. Ich stelle meine Tasche in meinem Zimmer ab, mache mich am Waschbecken frisch und gehe langsam hinab zum Abendessen. Dabei frage ich mich unaufhörlich, wie ich den morgigen Tag überleben soll, wenn bei der Nachhilfe wieder so eine Spannung herrscht. Denn danach müssen wir noch einmal in die Schule und das blöde Schauspiel proben. Ich atme erleichtert auf, als Martha und Juli noch immer an einem anderen Tisch sitzen und verdränge vorerst jeden Gedanken an das Schauspiel und Juli.
 

Kalte Abendluft knallt mir entgegen, als ich mit den Anderen aus der Kapelle ströme und mich zurückfallen lasse, um, wie jeden Abend, zu dem Brunnen zu gehen, wo ich immer auf Ninas Anruf warte. Beinahe auf die Minute genau, klingelt mein Smartphone. Fast könnte ich glauben, Nina beobachtet mich und weiß ganz genau, wann ich mich an den Rand des Brunnens gesetzt habe. »Yo«, brummt Nina in mein Ohr. »Die Sache gestern, du weißt schon, was ich meine, tut mir leid.«
 

»Du meinst den Kuss? Was sollte das denn?«, frage ich und wundere mich, wieso Nina den Kuss so umständlich umschrieben hat.
 

»Nichts. Ich wollte sehen, wie sie darauf reagiert und dachte, dass so vielleicht ihr Interesse an dir schwindet«, setzt mir Nina eine halb gare Erklärung vor, die ich, nach ihrem Ton, den sie gerade drauf hat, ohne weitere Fragen annehmen soll.
 

»Nina«, unterbreche ich ihren Versuch, das Thema zu wechseln und zeichne nebenbei, mit meinem Zeigefinger die raue Steinmaserung des Natursteins nach, der einer unter Vielen ist, die den Brunnen seine Form geben, »was sollte das wirklich?«, hake ich vorsichtig nach. Ich habe eine vage Ahnung, will aber nicht die sein, die den schwarzen Peter ausspielt.
 

»Vielleicht war es eine Art Test?«
 

»Ist das eine Frage oder eine Antwort?«, grinse ich und bücke mich um einen kleinen Stein aufzuheben. »Was hat der Test ergeben?« Ich höre Nina seufzen und lasse den Stein in den Brunnen fallen. Es dauert eine ganze Weile, bis das typische Geräusch erklingt, wenn etwas Hartes die Wasseroberfläche durchbricht.
 

»Nichts. Aber trotzdem, Romy, ich glaube, ich bin doch nicht so hetero wie ich bisher dachte«, flüstert Nina und ich bin mir sicher, dass es eigentlich um meine Schwester Lari geht.
 

»Wer ist denn die Glückliche?«, frage ich beherrscht, ohne mein Amüsement zu zeigen.
 

»Können wir darüber reden, wenn du wieder da bist?«, bittet Nina mich und ich kann Lari im Hintergrund hören.
 

»Ich komme dieses Wochenende heim. Lass uns dann reden«, stimme ich grinsend zu.
 

»Verzeihst du mir?«
 

»Wofür?«, frage ich und kann Schritte im Kies hören, weshalb ich meinen Kopf vom Brunnen abwende und erstarre, als ich erkenne, wer sich da neben mich setzt. »Nina, es gibt absolut nichts, das ich dir verzeihen muss. Du hast nur versucht, mir zu helfen«, erkläre ich und spüre wie sich mein Pulsschlag beschleunigt, als ich Julis Oberschenkel an meinem spüre.
 

»Hör zu, ich muss jetzt auflegen«, presse ich zwischen meinen Lippen hervor und warte nicht auf eine Antwort von Nina, als ich auflege und mein Smartphone zurück in meine Hosentasche schiebe. Anstatt Juli anzusehen, starre ich in den immer dunkler werdenden Himmel und versuche, ihre Präsenz zu ignorieren.
 

»Wir sollten hier nicht sitzen«, murmle ich nach einigen vergeblichen Versuchen, Juli zu ignorieren und schiebe meine Hände, die mittlerweile eiskalt sind, in meine Hosentaschen. Juli neben mir atmet hörbar ein und ich stelle mir vor, wie sie sich bereit macht, etwas zu sagen, weshalb ich abrupt aufstehe, mich zu ihr drehe und an Julis ganzer Haltung erkenne, dass sie etwas weiß. Ist Martha eingeknickt und hat Juli alles erzählt? Selbst wenn, es spielt keine Rolle mehr, meine Entscheidung ist gefallen, als der Schlüssel, den ich aus meiner Hosentasche gezogen habe, zwischen Julis Füßen, in den Kies gefallen ist. »Nimm ihn und geh in mein Zimmer vor, ich komme nach. Schließ die Tür nicht ab und reagiere nicht auf eventuelles Klopfen«, zische ich ihr zu, drehe mich um und gehe in Richtung Dorf davon, bevor ich es mir wieder anders überlegen kann.
 

Knapp vor der Ausgangssperre kehre ich ins Internat zurück und verfluche mich selbst für meine unüberlegte Aktion. Mir Ausreden zurechtlegend, steige ich die Treppen empor und lausche nach jedem Schritt, ob mir jemand folgt. Bevor ich die Türklinke hinab drücke und mein Zimmer betrete, prüfe ich, ob der Gang leer ist und auch niemand mich beobachtet. Ich schiebe die Tür nur einen Spalt weit auf und schlüpfe, sobald ich hindurch passe, durch den Spalt. Hinein in ein halbdunkles Zimmer und drücke die Tür so leise wie möglich zu, bevor ich nach dem Schlüssel taste und ihn zweimal im Schloss herumdrehe. Erleichtert atme ich aus, nur um gleich darauf tief einzuatmen.
 

Mit verschränkten Armen drehe ich mich zu Juli um. Sie lehnt an meinem Schreibtisch, der zwischen den Betten steht und auf dem die Tischleuchte das einzige Licht abgibt. Für einen Moment bin ich versucht, das Deckenlicht anzumachen. Sie sieht mich nicht an, starrt unentwegt auf den Boden, wo sie ihren Füßen eine genaue Musterung schenkt, wenn das in diesem Zwielicht überhaupt möglich ist. Ich lehne mich mit meinem Rücken an das Holz der Zimmertür und seufze. »Hat Martha geredet?«, frage ich in die Stille hinein und fange Julis Blick sofort auf, als sie ihren Kopf hebt und mich reuig ansieht.
 

»Gib ihr keine Schuld. Ich musste es einfach wissen«, haucht Juli und bevor ich etwas sagen oder fragen kann, liegt sie auch schon in meinen Armen und ich drücke sie fest an mich und habe nicht vor, sie alsbald wieder loszulassen, obwohl ich es sollte.
 

»Bitte geh. Geh, so lange es noch geht«, flüstere ich und atme ihr blumiges Parfüm ein. »Wenn sie, nein er es herausfindet, dass ich wieder Kontakt zu dir habe, dann bist du und deine ganze Familie, in Gefahr«, widerspreche ich meinem Willen und ignoriere den Schmerz in meiner Brust, als ich sie wieder freigebe und meine Arme nutzlos an meinem Körper herabhängen. Ich überlasse es ihr, von mir zurückzuweichen. Denn Gefallen tut sie mir jedoch nicht und ich genieße mit geschlossenen Augen, ihre Nähe, so lange ich sie haben kann.
 

»Wie kannst du behaupten, kein Herz zu haben?«, fragt Juli und drückt sich dichter an mich, sodass kein Luftpartikel mehr zwischen uns passt. Es kostet mich einiges an Wille, meine Arme daran zu hindern, sie wieder festzuhalten.
 

»Wie kann ich es nicht?«, flüstere ich und schiebe meine Hände in meine Hosentaschen. »Ich tue dir weh, bin brutal zu dir und habe dir beinahe deine Nase gebrochen. Ich habe zahlreiche Menschen ins Krankenhaus befördert. Nicht allein, aber ich war immer dabei, wenn die Jungs auf die Jagd gingen. Es sind Menschen gestorben durch den Anschlag auf das Asylantenheim«, zähle ich auf und rede immer hysterischer. »An dem Tag, als wir Paul im Park getroffen haben, habe ich mit einer Waffe auf einen Mann gezielt und abgedrückt, weil er meine Loyalität prüfte. Es war zu meinem Glück nur eine Waffe mit Platzpatronen. Aber Juli, der Mann wäre nun tot, wenn die Waffe scharfe Munition geladen hätte.« Irgendwo tief in mir, wünsche ich mir, sie mit diesen Worten zu schockieren. Ich verstehe nicht, wie sie all das einfach hinnehmen kann. Anstatt sich angeekelt von mir abzuwenden, schaut sie mich sanft an und küsst mich.
 

»Ich glaube nicht, dass du kein Herz hast, aber selbst wenn, dann hast du immer noch mein Herz und eins reicht, zum Überleben.«
 

»Und du?«, frage ich erstickt und kann die Tränen auf meinen Wangen spüren. Juli wischt meine Tränen mit ihren Daumen weg, zieht meine Hände aus meinen Hosentaschen und ergreift sie.
 

»Ich überlebe, wenn du mir nur eine Chance gibst, dir zu beweisen, dass du nicht so herzlos bist, wie du denkst, es zu sein.«
 

Bevor ich darauf etwas entgegnen kann, klopft es gegen das Holz an meinem Rücken. »Romy? Ich muss dringend mit dir sprechen«, erklingt Marthas Stimme, gedämpft. Juli tritt etwas von mir weg und lässt mich los. Sie nickt, macht eine Bewegung mit der Hand, die mir bedeutet, ich solle die Tür öffnen. Zögern schließe ich auf und öffne die Tür einen Spalt breit.
 

»Wo brennt es denn?«, frage ich, obwohl ich weiß, warum sie so spät noch vor meiner Zimmertür steht.
 

»Kann ich hereinkommen?«, fragt Martha und sieht mich reuig an. Ich schüttle meinen Kopf und Martha seufzt.

»Juli hat mir nach dem Abendgebet aufgelauert und alles aus mir herausgepresst, was ich an dem einen Abend beim Brunnen belauscht habe. Es tut mir wahnsinnig leid, Romy.«
 

»Ich weiß, dass sie es weiß«, lächle ich schwach.
 

»Woher?«, entfährt es Martha und sie sieht mich überrascht an. Ich öffne die Tür so weit, dass Martha Juli sehen kann.
 

»Wenn dich jemand fragt, Juli hat bei dir gepennt. Okay?« Martha nickt und sieht mich ernst an. Ich hebe abwehrend die Hände. »Keine Angst, wir reden nur, völlig friedlich.«
 

»Wenn etwas ist, kannst du jeder Zeit klopfen kommen«, nickt Martha und sieht Juli dabei an. »Ich bin dann in meinem Zimmer. Gute Nacht, Romy.«
 

»Gute Nacht. Lass uns morgen ausführlich miteinander reden«, erwidere ich, winke kurz und drücke die Tür zurück ins Schloss und schließe ab. Ich höre noch, wie Martha ihre Tür aufschließt, bevor ich mich zu Juli umwende und ihr meine ganze Aufmerksamkeit schenke.
 

»So«, beginne ich, schiebe meine Hände zurück in meine Hosentaschen und sehe Juli an, die es sich ganz dreist auf meinem Bett bequem gemacht hat. »Wie du gerade gehört hast, haben wir nun die ganze Nacht Zeit zum Reden.«
 

»Nur zum Reden?«, fragt Juli und ich finde, sie klingt ein bisschen enttäuscht. Ich setze mich auf das freie Bett und lehne mich an die Wand, ohne die Hände aus den Taschen zu ziehen und sehe sie ernst an.
 

»Nicht einmal das, sollten wir in Erwägung ziehen.«
 

»Und doch bin ich hier«, sagt Juli langsam und lächelt mich an. »Willst du nicht zu mir kommen?«
 

Ich schüttle meinen Kopf. »Ich kann nicht. Juli, du musst damit aufhören.« Juli rutscht vor an die Bettkante, beugt sich etwas vor und sieht mich ernst an. »Ich muss aufhören?«, fragt sie und lacht freudlos. »Warum? Damit du weiter gegen Leute wie mich hetzen kannst, damit du beim nächsten Mal, wenn dieser abartige Mensch etwas nicht gut findet, tot im Park liegst?« Mit jedem Wort, das Juli sagt, wird sie leiser und ich sehe ihr deutlich an, wie sehr sie sich zusammenreißen muss, nicht zu explodieren. Wütend funkelt sie mich an, als sie ihre zitternden Hände in die Matratze krallt. »Weißt du, wie schlecht es mir an diesem Abend ging, als du so zugerichtet auf meinem Bett lagst? Hör gefälligst damit auf, mir die Fähigkeit abzusprechen, eigene Entscheidungen zu treffen, nur weil du selbst Angst hast, erneut zur Zielscheibe zu werden.«
 

»Wütend bist du noch süßer«, flüstere ich und schlagartig verpufft ihre Wut und sie sieht mich irritiert an. Ich weiß nicht, was mich dazu geritten hat, diesen Gedanken laut auszusprechen.
 

»Ich bin nicht süß«, murmelt Juli und ich kann nicht anders, als zu grinsen. Werde aber schlagartig wieder ernst, als Juli aufspringt, sich neben mich setzt und ihren Kopf auf meine Schulter legt. Ich sollte aufstehen, auf Abstand gehen, aber irgendwas hält mich zurück. Irgendwas in mir will endlich einmal mutig sein und nicht nur feige sein.
 

»Ich habe ihn angezeigt, weißt du«, erzähle ich nach einer Weile, in der wir schweigend die Nähe zueinander genossen haben. Juli hebt ihren Kopf und sieht mich überrascht an, sagt aber nichts, als sie ihre Hand mit der meinen verbindet. Ich erzähle ihr, was geschehen ist, nachdem mich der Notarzt ins Krankenhaus gefahren hat. Bis zu dem Punkt, wo mich Papa wieder ins Internat gebracht hat. Juli spielt mit meinen Fingern. Streckt sie, streichelt meine Handinnenfläche, drückt sie zu einer Faust zusammen und presst ihre Lippen auf meinen Handrücken. Ich hätte ihre Lippen lieber wo anders, das sage ich ihr aber nicht, als ich ihr meine Hand entziehe und aufstehe.
 

»Es tut mir leid, dass ich dir gegenüber so brutal gewesen bin«, flüster ich ohne Juli anzusehen. Starre auf die kahle Wand, an der mein Bett steht. Als ihre Hand sich mit der Meinen verbindet, drehe ich mich um, ziehe Juli in den Stand und ganz dicht an mich. Lasse ihre Hand los und platziere meine Hände an ihrem Rücken. Ich verberge mein Gesicht an ihrer Schulter und spüre, wie mich ihre Hände festhalten. Beginnen, Kreise auf meinem Rücken malen. Wo es anfangs noch Tränen sind, die Julis Haut benetzen, gehe ich irgendwann dazu über, Juli sanft am Hals zu küssen und spüre, wie Juli erschaudert und mit den Kreisen auf meinem Rücken innehält. Sanft, aber bestimmt steuert sie mich zu dem Rand meines Bettes, wo ich mich setze und Juli auf meinen Schoß ziehe. Eine lange Zeit sehen wir uns einfach nur an. Sehen uns tief in die Augen.
 

»Romy«, seufzt Juli irgendwann, schließt ihre Augen und unsere Lippen treffen im nächsten Moment so hart aufeinander, dass wir uns an den Zähnen stoßen. Bevor Juli etwas sagen kann, versiegle ich ihre Lippen effektiv mit meinen und spüre an meinen Lippen, wie sie kurz grinst.



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