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Grauzone

Was sonst noch passiert ist
von

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Anders als geplant

Anders als geplant
 

Es vergingen Tage, dann Wochen ohne das Liam noch einmal fragte was in New York passiert war. Ich konnte nur hoffen, dass es so blieb, denn ich hatte nicht vor noch ein einziges Mal über Selena zu sprechen oder an sie zu denken. Letzteres war schwer doch immer wenn sich ein Gedanke bei mir einschleichen wollte begann ich zu trainieren, wobei es egal war ob ich lief, kletterte, auf Strohpuppen einschlug oder Liegestütze machte.

Liam hatte gemerkt, dass ich nicht reden wollte doch hin und wieder sah ich ihm an, dass ihm etwas auf den Lippen lag. Immer wenn er den Eindruck machte mich doch fragen zu wollen sah ich zu, dass ich verschwand. Meist begab ich mich dann auf die Morrigan, was ein deutliches Zeichen war, mich in Ruhe zu lassen.

Anfang Mai wurden wir von Achilles los geschickt Informationen über einen Mann namens Cedric Harris einzuholen. Wer oder warum er von Interesse war sagte man mir nicht. Mir konnte es auch egal sein. Hauptsache, ich kam für eine Weile aus der Siedlung heraus. So machten Liam und ich uns auf den Weg nach Stamford, wo der Mann seine Wohnung hatte.

Während der Reise befasste ich mich abends gerne mit dem Logbuch, doch ich fand keinerlei Einträge über Templeraktivitäten oder Informationen die Kiste betreffend. Fast so, als habe der Kapitän nicht gewollt, dass man es zurückverfolgen konnte. Eine Tatsache die ich seltsam fand, da er mehrfach am Tag detaillierte Eintragungen gemacht hatte.

Der allererste Eintrag lag ein halbes Jahr zurück und ich hatte bei der Durchsuchung des Schreibtisches noch ein weiteres Logbuch gefunden. Das alles zu lesen würde mir doch etwas zu lange dauern, zumal ich leichte Probleme hatte die Handschrift betreffend. Der vorherige Kapitän hatte nicht gerade deutlich geschrieben.

Bis wir in Stamford ankamen hatte ich einiges über den langweiligen Alltag der britischen Flotte erfahren. Es hatte wohl hin und wieder leichte Probleme mit der Disziplin gegeben, doch das war nichts ungewöhnliches. Nichts von alledem war wirklich interessant und von daher eher eine Lektüre um einzuschlafen.

Wir erreichten den Hafen an einem regnerischen Abend und ich gab der Mannschaft die Erlaubnis zum Landgang. Zumindest einem Teil, denn ein paar mussten auf die Morrigan achtgeben. Liam verließ ebenfalls das Schiff um schon einmal die Lage zu sondieren. Da er der ältere von uns beiden war und genauere Informationen besaß, war das nur fair. Zu dem kannte er sich hier, wie in vielen anderen Orten entlang der Küste, besser aus, als ich es tat.

Nach nur einer Stunde kam er zurück, nass geregnet und mit finsterem Gesicht. Noch bevor ich fragen konnte was passiert war sagte er, ich solle meine Ausrüstung anlegen und mitkommen. Das klang alles andere als gut und so beeilte ich mich mit Schutzkleidung und Waffen.

Der Regen war noch stärker geworden und da die Dunkelheit eingesetzt hatte wurde es zusehends schwerer etwas zu sehen. Für Liam jedoch kein Grund es langsam angehen zu lassen. Kaum hatte ich die Kajüte verlassen schritt er auf die Laufplanke zu und ich lief ihm nach. „Liam, wohin gehen wir?“ fragte ich, als er sich nach links wandte und auf eine schmale Gasse zuhielt.

„Der werte Mr Harris hat eine Verabredung. Einer von uns wird ihm folgen müssen, während der andere seine Wohnung durchsucht.“

„Verfolgen. Nun, das kann ich. Aber was wenn er mich entdeckt?“ Bei meinen Worten blieb Liam stehen. Er hatte sich wegen des Regens die Kapuze tief ins Gesicht gezogen und ich konnte nur seinen Mund sehen.

„Ich werde ihm folgen. Ihr durchsucht die Wohnung nach Informationen.“ Das fand ich nun etwas ungerecht. Ich konnte eben so gut jemanden verfolgen.

„Und wonach genau soll ich suchen? Bisher habt ihr mir noch nicht verraten was wir hier wirklich tun sollen.“

Liam wandte sich um und ging weiter, ein wenig langsamer als zuvor und ich gesellte mich an seine Seite. „Der Mann hat offenbar engen Kontakt zu den Templern. Eben habe ich ein Gespräch belauscht das diese Vermutung stützt. Er will in Kürze zu einem Treffen mit einem Ordensmitglied aufbrechen. Es ist gut möglich, dass er Unterlagen oder Aufzeichnungen besitzt. Informationen über andere Mitglieder und deren Aktivitäten. Danach sollt ihr suchen.“

Ich hielt das für keine gute Idee, schwieg jedoch. Für solche Aufgaben war ich eindeutig die falsche Wahl. Gut, ich konnte mich in Gebäude einschleichen, ich konnte jemandem folgen, doch ich war nicht gut darin Dokumente zu sichten und ihnen Informationen zu entnehmen.

Wir erreichten das Haus und ich sah an der Fassade hoch. Ein einfaches Gebäude aus Holz, mit dunkel roter Farbe angestrichen, die an einigen Stellen bröckelte. So wie ich es sah, ein Haus wie jedes andere auch. Fensterläden, die zum Großteil geschlossen waren und auf den ersten Blick, keine Möglichkeit irgendwo gut einsteigen zu können. Dazu ein Zaun, der einen Hinterhof eingrenzte.

„Also, sobald er fort geht hefte ich mich an seine Fersen. Er wohnt nicht allein, doch seine Frau ist ausgegangen. Ihr dürftet daher auf keine Hindernisse stoßen.“ Liam stand dicht neben mir so dass er flüstern konnte. Auch wenn gerade niemand in der Nähe war, und der Regen laut prasselte, konnte es nicht schaden auf Nummer sicher zu gehen.

„Und habt ihr auch eine Idee wie ich in das Haus hinein kommen soll, ohne, dass es hinterher bemerkt wird?“ Einbruch stand nicht gerade oben auf der Liste von Dingen die ich gerne tat. Ich hatte nicht vor etwas zu stehlen. Sollte man mich erwischen würde es jedoch nach nichts anderem aussehen und das gefiel mir nicht.

„Ihr werdet schon einen Weg finden. Hinten ist eine zweite Tür und laut meiner Quelle vergisst er gerne sie abzuschließen. Sonst müsst ihr ein wenig nachhelfen. Wenn es nicht klappt, auch gut. Dann warten wir ein oder zwei Tage. Einen Versuch zu wagen, wenn er nicht im Haus, ist würde sich allerdings anbieten.“

Wenn es so einfach war, warum übernahm er dann nicht selbst diese Aufgabe? Doch weitere Fragen konnte ich nicht mehr stellen. Seine Zielperson verließ das Haus und Liam ließ mich zurück.

„Wunderbar“, murmelte ich und atmete tief durch. Mir blieben nun zwei Optionen. Zum Schiff zurückgehen und so tun, als hätte es nicht geklappt oder aber den Auftrag erfüllen und riskieren bei einem Einbruch ertappt zu werden. Beides nicht sonderlich verlockend.

Erst als von Liam und seinem Ziel nichts mehr zu sehen war kletterte ich auf ein benachbartes Gebäude und sah mir die Lage von weiter oben an. Die Hintertür hatte er gesagt, doch die konnte ich von hier aus nicht sehen. Zu dem waren die mannshohen Zäune, die den hinteren Bereich schützten, oben angespitzt. Da konnte ich nicht einfach rüber klettern.

Entweder hatte er etwas zu verbergen, oder aber das Haus gehörte vorher jemandem der angst vor Eindringlingen hatte. Was auch der Grund dafür war, es erschwerte mir den Einstieg. Da war es auch nicht hilfreich zu wissen, das die Tür dort vielleicht nicht verschlossen war. Ein Vielleicht war keine Sicherheit. Einen Versuch war es jedoch wert.

Da ich nicht über den Zaun klettern konnte brauchte ich einen anderen Weg auf das Grundstück. Es kostete etwas Überwindung, doch ich nahm Anlauf und nahm die Dachstrecke. Riskant bei diesem Regen aber machbar. Vor allem wenn man einen guten Lehrer im Klettern hatte und den hatte ich wirklich.

Nahezu lautlos landete ich auf dem Dach. Die Schindeln waren glitschig und ich achtete darauf nicht auszurutschen, während ich auf die andere Seite schlich. Immerhin wollte ich nicht gesehen werden.

„Dann wollen wir mal.“ Langsam und vorsichtig näherte ich mich der Dachkante, die zum Hinterhof zeigte, und sah hinunter. Niemand war zu sehen. In einigen Fenstern der Nachbarhäuser war Licht, was für mich nur gut war. Solange es hinter den Fenstern hell war, konnten die Bewohner nichts von dem erkennen was draußen passierte.

Beim Abstieg achtete ich darauf möglichst dicht am Haus zu bleiben und bei jedem Fenster an dem ich vorbei kam testete ich, ob es nicht vielleicht offen war. Leider fand ich keines. Unten angelangt wartete ich einen Augenblick und lauschte in die Nacht hinein, was beim Prasseln des Regens nicht gerade leicht war.

Auf der anderen Seite des Zauns hörte ich Schritte. Dem Klang nach schwere Stiefel, was auf Soldaten hinwies. Die waren wirklich überall. Äußerst lästig diese Briten. Ich hatte keine Lust mit denen aneinander zu geraten.

Die Schritte verklangen und ich löste mich aus dem Schatten. Bis die wieder hier vorbei kamen hatte ich sicher ein paar Minuten. Genügend Zeit für mein Vorhaben. Nervös war ich dennoch, als ich zur Tür schlich und die Hand auf die Klinge legte. Mit leisem Knarren schwang sie nach innen auf.

Warme, feuchte Luft schlug mir entgegen und ich zögerte. Ich wusste nicht warum, doch diese Luft sorgte für leichtes Unbehagen. Ewig konnte ich hier allerdings nicht stehen bleiben. So schlüpfte ich hinein und zog die Tür hinter mir zu.

Drinnen war es noch dunkler und ich konnte kaum etwas erkennen. Daher gönnte ich meinen Augen eine kurze Gewöhnung. Immerhin wollte ich nirgends gegen laufen und mich damit verraten.

Es dauerte nicht lange und ich erkannte einen Zuber, Waschbrett und ein paar Leinen, an denen Wäsche hing. Ich war in der Waschküche gelandet. Daher die feuchte Luft. All zu viel verstand ich nicht davon. Um meine Kleider kümmerte ich mich zwar selbst, doch wirklich sauber waren sie oftmals nicht. Trotzdem fand ich es ungewöhnlich die Fenster geschlossen zu halten, damit die Feuchtigkeit nicht nach draußen ziehen konnte.

Mir konnte es egal sein. Es waren nicht meine Kleider und ich war nicht hier um über seltsame Angewohnheiten von fremden Menschen nachzudenken. Mein Auftrag ging vor.

Möglichst leise schlich ich durch den Raum zur nächsten Tür, wobei mir auffiel, dass meine Stiefel bei jedem Schritt ein unangenehmes, schmatzendes Geräusch von sich gaben. Das hatte mir gerade noch gefehlt. Nasses Schuhwerk. Selbst von meiner Jacke tropfte es ein Wenig. Sicher hinterließ ich Abdrücke auf dem Boden. Verdammter Regen.

Ich unterdrückte den Fluch, der mir auf den Lippen lag und drückte die nächste Tür auf. Sie quietschte nicht und ich betrat den Hausflur.

Wo war wohl das Arbeitszimmer? Sicherlich nicht im Erdgeschoss. Wieder hielt ich einen Moment inne. Dieses Mal um mich zu konzentrieren. Auch wenn es nicht leicht war mit Hilfe des Adlerauges Gegenstände und andere Objekte ausfindig zu machen, würde es mir die Suche sicher etwas erleichtern.

Während ich meine Sinne Ordnete hörte ich nur mein eigenes atmen und meinte sogar meinen Herzschlag zu hören. Sonst war es im Haus absolut still. Langsam ließ ich meinen Blick über den Boden und die Türen wandern, auf der Suche nach einer Spur. Einer Schwingung, der ich folgen konnte. Orte, die oft aufgesucht wurden, oder an denen Dinge verborgen waren hatten eine andere Schwingung als verlassene Bereiche.

Es dauerte schmerzlich lange bis ich etwas entdeckte. Ein leichtes schimmern, das von oben kam. Kaum das ich mich in Bewegung setze, verschwand das Schimmern, doch ich wusste wo ich es gesehen hatte und auch was es gewesen war. Eine Türklinke im ersten Stock.

Die erste Stufe der Treppe knarrten ebenfalls als ich einen Fuß darauf setzte und ich versuchte so dich an der Wand wie möglich zu gehen. Dort knarrte es weniger. Selbst wenn niemand im Haus war wollte ich leise unterwegs sein.

Oben angelangt ging ich zu der Tür, die mir ins Auge gefallen war. Sie war verschlossen. Wäre auch zu einfach gewesen. Ich ging in die Hocke und besah mir das Schloss näher. Fast hätte ich gelacht. Mit einem so simplen Schloss wollte er seinen Raum schützen? Das war lachhaft. Mit einer leichten Bewegung des Handgelenks ließ ich meine verborgenen Klinge hervor schnellen und schob diese ins Schloss hinein. Ein paar Sekunden später hörte ich es klicken.

„Na also.“ Leicht lächelnd betrat ich das Arbeitszimmer und blieb abrupt stehen. Ich hatte mit ein paar Büchern gerechnet, einem Schreibtisch und Papieren. Das hier sah eher nach einer Werkstatt aus. Zu dem roch es nach Farbe. Gut Bücher gab es auch, doch anstatt eines Schreibtisches gab es nur ein kleines Stehpult. Der Rest des Raumes wurde von einer Werkbank beherrscht, mit Werkzeugen, Pinseln, Lederstücken und Dingen, die mir nichts sagten.

Was sollte das nun bedeuten? Hatte Liam sich im Haus geirrt? Vorsichtig machte ich einen Schritt weiter in den Raum hinein, ließ den Blick schweifen und die Klinge wieder unter der Armschiene verschwinden. Die brauchte ich nun nicht mehr. Eindeutig eher eine Kammer, in der gearbeitet wurde. Hier lagen sicher keine wichtigen Dokumente. Es musste noch ein anderes Zimmer geben. Dennoch nutzte ich erneut das Adlerauge.

Dort, auf der Werkbank schimmerte es und ich trat näher. Zwischen Feilen und Hämmern lag ein Blatt Papier mit einer Zeichnung darauf, daneben eine Gürtelschnalle, die genau der Zeichnung entsprach und eindeutig das Zeichen des Templerordens trug.

Neugierig geworden nahm ich das Papier zur Hand. Es waren zwei Blätter. Das eine war die Zeichnung, das andere ein Brief. Der Inhalt war nichts besonderes. Nur die genaue Gestaltung der Gürtelschnalle und bis wann sie benötigt wurde.

Ich suchte nach dem Umschlag in dem der Brief gesteckt haben musste und fand ihn am Stehpult. Der Absender war ein Arthur Smith. Gut, es gab viele die Smith hießen, doch dieser lebte in Boston. Genau dort, wo sich der Sohn vom guten Samuel Smith aufhielt. Konnte das ein Zufall sein?

Das Stehpult sah ich mir nun etwas genauer an. Die Schreibplatte konnte man hochklappen und darunter fanden sich weitere Briefe und ein Notizbuch. Gerade als ich hinein sehen wollte hörte ich draußen auf dem Flur ein Knarren.

Mein Blick fuhr zur Tür. Ich hatte sie nicht geschlossen und vom Flur kam Licht näher. Hektisch sah ich mich um. Die einzige Deckung bot die Werkbank, doch sie war drei Schritte von mir entfernt und das Licht wurde heller.

Mit einem Satz sprang ich vom Pult fort, mit dem Zweiten erreichte ich die Werkbank. Schon sah ich eine Kerze im Türrahmen auftauchen und duckte mich hastig. Wieder knarrte es und ich betete, dass ich hier oben auf dem Boden keine nassen Spuren hinterlassen hatte.

Ein Blick zum Pult sagte mir, dass ich vergeblich hoffte. Dort wo ich gestanden hatte, waren ein paar Tropfen auf dem Holzboden zu sehen. Sicher sah es vor der Werkbank nicht anders aus. Wer auch immer da gerade im Türrahmen stand musste schon blind sein um das nicht zu sehen.

Wieso war überhaupt jemand hier? Liam hatte doch gesagt, die Frau sein ausgegangen. „Hallo?“ kam eine zittrige Stimme von der Tür. Weiblich und jung. Vielleicht ein Kind. Auch das noch. Ich zog mir die Kapuze tiefer ins Gesicht und verharrte in angespannter Haltung.

Kurz blieb es still, dann kamen Schritte näher. Zögernd. So leise es eben ging wich ich zurück. Gut, dass die Werkbank mitten im Raum stand und es mir so möglich war, darum herum zu schleichen um ausweichen zu können.

Unter meinem Schuh knarrte die Bodendiele und ich verzog das Gesicht. „Ist da wer?“ Die Panik in der Stimme war deutlich zu hören. Mir ging es gerade nicht viel besser. Ich wollte kein Kind angreifen, doch wenn es näher kam würde mir nichts anderes übrig bleiben.

Wieder blieb es still und ich versuchte auf den Schattenwurf zu achten. Als es etwas dunkler in meiner Richtung wurde wagte ich einen kurzen Blick über die Werkbank hinweg. Etwa zwei Schritte von der Tür entfernt, in einem weißen Nachthemd, das Haar offen und wirr, stand ein Mädchen. Sie konnte nicht älter als sieben oder acht sein. Eine kleine Kerze in einem Halter, den sie vor sich hielt, suchte sie mit den Augen die andere Seite des Raumes ab.

All zu viel würde sie so nicht sehen können, mit der Kerze vor sich. Anscheinend wusste sie das nicht. Für mich war es gut. Als sie sich in meine Richtung wandte duckte ich mich erneut. Plötzlich wurde es dunkel im Zimmer. Offenbar hatte sie die Hand zu schnell bewegt und die Kerze war erloschen.

Ihre Augen mussten sich nun erst an die Dunkelheit gewöhnen. Das war meine Chance. Ich huschte um die Werkbank herum und verließ meine Deckung. Gerade als ich sie erreichte drehte sie sich um. Der Kerzenhalter glitt ihr aus der Hand. Bevor sie schreien konnte hatte ich sie schon gepackt und hielt ihr den Mund zu.

„Scht. Nicht schreien, sonst haben wir beide ein Problem.“ Mit großen Augen sah sie zu mir hoch. Sie machte nicht einmal den Versuch sich zu wehren, dennoch nahm ich meine Hand nicht von ihrem Mund. „Bist du allein?“

Nach kurzem zögern nickte sie leicht, starrte mich dabei noch immer an. Ich konnte ihr Zittern spüren. „Gut.“ Ich atmete tief durch. „Dann verschwindest du am Besten wieder in dein Bett. Ich will dir nicht weh tun müssen, aber wenn du es nicht tust, lässt du mir keine andere Wahl. Verstanden?“

Wieder nickte sie. Bevor ich sie los ließ fiel mir noch etwas ein. „Und kein Wort zu irgend jemandem. Wenn du jemandem sagst, dass ich hier war, erfahre ich es. Das willst du nicht, oder?“ Nun schüttelte sie den Kopf und ihr Zittern wurde stärker.

Vorsichtig nahm ich die Hand von ihrem Mund. Kein Laut kam über ihre Lippen. Auch als ich sie losließ kam nichts von ihr. Sie machte nicht einmal den Versuch wegzulaufen. Sie starrte mich nur an.

Ohne sie aus den Augen zu lassen bückte ich mich und hob den Kerzenhalter auf. Den drückte ich ihr in die Hand und gab ihr einen leichten Schubs Richtung Tür. „Geh schlafen“, flüsterte ich und sie rannte los. Ich hörte ihre Schritte auf dem Flur, dann eine Tür die geschlossen wurde.

Ob sie sich wirklich daran halten würde mich nicht zu verraten wusste ich nicht. Auch konnte ich nicht sicher sein, dass sie nicht aus dem Fenster ihres Zimmers kletterte und nach Hilfe Ausschau hielt. Ich musste mich beeilen und von hier verschwinden.

Es war zu riskant etwas mitzunehmen. Daher blätterte ich nur kurz durch das Notizbuch und sah mir die Absender der Briefe an. Auf einem Stück Papier notierte ich rasch ein paar der Namen bevor ich alles zurück legte. Es sollte möglichst so aussehen, als wäre niemand hier gewesen.

Mir stieg ein Geruch in die Nase und ich stutzte. Es roch nach Urin. Mein Blick fiel auf den Boden. Das Mädchen musste sich vor Angst ins Hemd gemacht haben. Eine kleine Pfütze war dort, wo sie gestanden hatte.

„Auch das noch.“ Mir blieb nicht die Zeit dieses Malheur zu beseitigen. Ich konnte nur hoffen, dass es weg trocknete bis der Hausherr wieder seine Werkstatt betrat. Meine Notizen faltete ich sorgsam zusammen und schob sie unter meine Kleider in der Hoffnung, dass sie trocken bleiben, bis ich die Morrigan erreichte.

Dann sah ich zu, dass ich fort kam. Die Tür zog ich hinter mir zu, machte mir aber nicht die Mühe sie wieder zu verschließen. Wer eine Hintertür offen lässt, kann auch eine andere Tür vergessen.

Im Flur lauschte ich, konnte aber außer einer Kutsche die draußen vorbei fuhr nichts verdächtiges hören. Nicht mehr ganz so vorsichtig wie auf dem Weg nach oben, schlich ich die Treppe hinunter und durch den Gang zur Waschküche. Von dem Mädchen oder irgend einer anderen Person war nichts zu sehen oder zu hören.

Wieder an der frischen Luft musste ich feststellen, dass es nun noch stärker regnete und in den Nachbarfenstern die Lichter erloschen waren. Nur gut, dass es keinen Mond gab der mich anleuchten würde. Der Wind hatte jedoch gedreht und den Regen direkt auf die Hauswand fallen lassen. Diese war nun nass und rutschig. Es sah ganz danach aus, als würde meine Pechsträhne nicht reißen wollen.

Genervt sah ich mich nach einem anderen Ausgang um, doch es gab keinen. Über den Zaun kam ich nicht ohne zu riskieren mich daran zu verletzen. Auch gab es keine weiteren Türen. Mir blieb nichts anderes übrig, als die Fassade hoch zu klettern und zu hoffen, nicht zu stürzen.

Es war alles andere als einfach hoch zu kommen. Das Wasser lief mir in die Ärmel und meine Finger wurden kalt. Einmal rutschte mein Fuß weg und ich konnte mich gerade noch festhalten. Das war wirklich nicht mein Wetter und ich verfluchte Liam dafür, dass er mir diese Aufgabe gegeben hatte. Sicher war der schon längst wieder auf dem Schiff und genehmigte sich einen Becher Rum. Wundern würde es mich nicht.

Oben auf dem Dach angekommen atmete ich erst einmal durch und schüttelte etwas Wasser aus den Ärmeln. Der Abstieg würde leichter sein, doch musste ich dazu wieder auf das andere Dach rüber springen. Dort gab es an der Häuserwand ein paar Kisten auf die ich mich runter lassen konnte.

Mir behagte es nur nicht von diesem Dach aus Anlauf zu nehmen. Die Schindeln waren nass und ich konnte es nicht riskieren auszurutschen. Ein Sturz vom Dach konnte mein Ende sein. So trat ich zur Dachkante und sah auf die Straße runter.

Dank des Regens war kaum jemand unterwegs. Soldaten konnte ich keine entdecken, doch dort. an einer Hausecke, lehnte eine Gestalt, durch einen Vorsprung vom Regen geschützt und dicht an der Hauswand. Die Entfernung war zu groß um etwas genaues erkennen zu können. Die Chance von dort gesehen zu werden wenn ich hinunter kletterte war sehr gering.

Daher wagte ich den Abstieg ohne zu springen. Naja, fast ohne. Als ich das Fenster im ersten Stock erreicht hatte und meine Finger die Fensterbank umfassten ließ ich mich das letzte Stück fallen.

Schlamm spritzte, als ich landete, in alle Richtungen, doch zumindest war ich nicht all zu laut dabei. Mein Blick wanderte zu der Hausecke. Dort tat sich nichts. So als sei nichts gewesen, ging ich davon, auf die nächste Seitenstraße zu und begann, kaum das ich um die Ecke war, zu rennen. Nur um sicher zu gehen.

Bis zur Morrigan schlug ich immer wieder einen anderen Weg ein, lief mal langsam, dann wieder schnell und tat alles, um mögliche Verfolger abzuschütteln. Kurz vorm Hafen machte ich eine Pause hinter einem kleinen Verschlag und wartete. Nur das Prasseln vom Regen war zu hören und langsam kroch mir die Kälte in die Glieder.

Nach einer Minute, in der niemand vorbei gekommen war und ich auch nichts weiter gehört oder gesehen hatte, ging ich weiter. Ich war klatschnass und brauchte dringend andere Kleider. Meine Laune sank mit jedem weiteren Schritt. Der einzige Hoffnungsschimmer war der Gedanke an die trockene und zumindest etwas wärmere Kajüte und einen kräftigen Schluck Rum zum aufwärmen.

Liam war noch nicht zurück als ich das Schiff erreichte. Um ihn machte ich mir kaum Sorgen. Er war sehr erfahren was beobachten und verfolgen anging. Ich verschwand in der Kajüte und entledigte mich der nassen Kleider. Jacke, Stiefel, Socken und Hose. Alles tropfte. Selbst meine Hemdsärmel waren fast bis zu den Achseln feucht. Nur die Weste hatte nichts abbekommen.

Ich zog mir gerade eine frische Hose an als es an der Kajütentür klopfte und Liam herein kam. Auch er tropfte, doch seine Kleider waren etwas Wasserfester als meine. „Wie ist es gelaufen?“ fragte er und zog die Jacke aus. Darunter war seine Kleidung trocken. Was für ein Glückspilz.

„Ich habe ein paar Namen und Adressen, auch wenn ich nicht mit Sicherheit sagen kann, dass sie etwas mit dem Orden zu tun haben. Wie war es bei euch?“ Ich griff nach einem Hemd und zog es über während Liam sich auf die Suche nach einer Flasche Rum machte. Mich störte das nicht. Wir waren Freunde und er teilte seine Vorräte an Land mit mir so wie ich meine hier an Bord mit ihm teilte.

„Eine Sackgasse, würde ich sagen.“ Er entkorkte die Flasche, nahm einen Schluck und lehnte sich an die Kommode. „Er hat sich zwar mit einem bekannten Templer getroffen, aber er selbst hat offensichtlich keine Ahnung für wen er da wirklich arbeitet. Genau wie eure Freundin.“

Diese Worte trafen mich völlig unvorbereitet und sofort wurde meine Laune noch schlechter. Warum musste er sie erwähnen? Ich wollte nicht über sie reden und jetzt schon gar nicht. Daher wandte ich mich ab und zog mich weiter an.

„Was ist los?“ fragte er und als ich nicht antwortete seufzte er. „Seit wir aus New York zurück sind seid ihr schlecht gelaunt. Was ist passiert, zwischen euch und Selena?“ Einen Moment lang dachte ich wirklich darüber nach, ihn zu schlagen. Einfach weil er den Namen ausgesprochen hatte. Doch dann fiel meine ganze Wut in sich zusammen.

„Ihr hattet recht. Ich war blind.“ Und ich erzählte ihm von dem Gespräch am Hafen. Dabei ließ ich nichts aus. Auch nicht, dass sie mich angelogen hatte. Einen Fehler zuzugeben ist nie leicht und in diesem Fall fiel es mir noch schwerer. Wir hatten uns oft genug wegen ihr gestritten und ich hatte sie immer verteidigt. „Wie es aussieht habe ich mich in ihr getäuscht“, endete ich und lehnte mich an einen Zaun.

Liam sah mich einen Moment an, dann schüttelte er den Kopf. „Nicht ganz. Sie hat keine Ahnung, dass sie von denen nur ausgenutzt wird.“ Er hatte die Arme vor der Brust verschränkt und sein Blick war finster.

„Es ist schon etwas her, und da ihr nicht mehr über sie reden wolltet, habe ich es für mich behalten, aber es kam ein Bericht aus Boston.“ Ich horchte auf, doch gleichzeitig krampfte sich in meinem Inneren etwas zusammen. Fragend sah ich ihn an und Liam fuhr fort.

„Einer unserer Spione wurde gefangen genommen. Er hatte viele Informationen über uns und die Gefahr, dass er unter Folter reden würde war groß. Es wurde jemand darauf angesetzt ihn zu befreien und falls das nicht möglich sein sollte, ihn zum Schweigen zu bringen.“

Das war nichts neues für mich. Es kam hin und wieder vor, dass die Tarnung von jemandem aufflog. Und es kam auch vor, dass diese Person dann eliminiert werden musste. Wenn man sie kannte war das keine leichte Aufgabe. „Hat man euch damit beauftragt?“ fragte ich, denn Liam war oft unterwegs.

Zu dem wusste ich, dass er selbst schon zwei Mal eine solche Aufgabe hatte übernehmen müssen und beide Male war er danach mürrisch gewesen und hatte sich noch verbissener als sonst daran gemacht, nach Templern Ausschau zu halten.

Er senkte den Kopf. „Nein, aber ich habe den Bericht aus erster Hand. Der Spion wurde in einem britischen Fort gefangengehalten wo einer von unseren Männern stationiert ist. Mit ihm habe ich mich ebenfalls unterhalten.“ Kurz brach er ab und atmete tief durch.

Was er dann erzählte klang recht verrückt. Liam zufolge hatte man den gefangenen Spion in ein britisches Fort nahe Boston gebracht wo er verhört worden war. Dank eines seit längerem dort stationiertem Assassinen wusste man wo er gefangengehalten wurde. Da er selbst seine Tarnung nicht auffliegen lassen durfte, musste ein Anderer den Gefangenen eliminieren, bevor dieser etwas verraten konnte.

Die Schwierigkeit dabei war, dass es mehr als nur eine Person gab die versuchte an Informationen zu gelangen. Zum einen waren es die Männer, die ihn täglich verhörten und dabei nicht gerade zimperlich waren. Zum anderen hatte man Selena damit beauftragt den Mann wieder zusammen zu flicken und ihn dabei möglichst ebenfalls auszuhorchen, wobei sie, glücklicherweise, kläglich gescheitert war.

Kurz vor seinem Tod hatte der Spion dem Assassinen gesagt dass sie von ihm nichts erfahren hatte und das sie selbst keine Ahnung davon hatte warum er dort war und was das alles zu bedeuten hatte. Hätte sie etwas gewusst, wäre auch sie nun tot.

„Wir haben uns wohl beide geirrt. Zumindest in manchen Dingen.“ Endete Liam. Das musste ich nun erst einmal verdauen. Wenn wirklich stimmte was er da sagte, dann konnte es sein, dass sie wirklich ahnungslos war. Sie neigte zur Gutgläubigkeit und das konnte schnell ausgenutzt werden. Die Tatsache, dass sie für den Feind arbeitete blieb jedoch bestehen.

Einen kleinen Hoffnungsschimmer gab es bei der Sache. Wenn sie wirklich unwissend war, konnte man sie, möglicherweise, noch von der richtigen Seite überzeugen und somit verhindern, dass sie sich selbst schadete. Templer waren gerissene und Skrupellose Menschen. Jemanden wie sie konnten sie in kürzester Zeit zerstören.

„Dann wäre es wirklich möglich, dass sie... Glaubt ihr, dass man sie überzeugen könnte, dass die Briten nicht zu ihren Freunden zählen?“ Fragend sag ich Liam an der nur leise seufzte.

„Vielleicht. Sicher bin ich nicht. Doch es könnte schwer werden.“ Wie so oft fuhr er sich über den Schädel und sah sich einmal um. „Sie ist verschwunden. Einen Tag nach dem Angriff im Fort. Sie wurde dabei verletzt, auch wenn es wohl nicht schlimm war. Am nächsten Morgen war sie fort. Niemand hat sie seither gesehen.“

Verschwunden. Schon wieder. „Dann soll es wohl nicht sein.“ Ich versuchte meine Endtäuschung nicht zu zeigen, doch vor Liam konnte ich sie schlecht verbergen. Er trat auf mich zu und klopfte mir auf die Schulter.

„Mit etwas Glück, taucht sie bald wieder in New York auf. Und wo wir schon bei Glück sind.“ ein Lächeln legte sich auf seine Lippen. „Hope hat sich Sorgen um euch gemacht. Es kann nicht schaden ein wenig freundlicher zu ihr zu sein.“ Das war deutlich.

„Ich mache mir mein Glück.“ Und es würde nun beginnen. Liam hatte recht. Hope war greifbar und sie war eine wundervolle Frau. Ich wusste, dass auch er ein Interesse an ihr hatte doch wenn er gerade nicht flunkerte, hatte ich eine Chance bei ihr.



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Kommentare zu diesem Kapitel (1)

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Von:  Blue_StormShad0w
2019-03-27T09:08:35+00:00 27.03.2019 10:08
Guten Tag.
Ein spannendes Kapite!
Man konnte richtig Mitfiebern wie Shay in das Haus eindrang, um dort nach Informationen zu suchen. Und auch die Stimmung war dabei wunderbar mit eingefangen. (^-^)b
Ich werd' mal noch ein Kapitel lesen, bis gleich.


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