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You Can't Handle The Truth

von

Vorwort zu diesem Kapitel:
Um dieses Kapitel vollkommen zu verstehen, hilft es, die in der Beschreibung verlinkte Fanfiction von Puppenspieler zu lesen. Sonst wirkt es, als käme der Plot Twist einfach aus dem Nichts XD Komplett anzeigen

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Sunday Noon Suprise

Sonnenstrahlen durchbrachen immer wieder die flockig weißen Wolken, die der Wettervorhersage noch einen Strich durch die Rechnung machten. Das Blau des Himmels, das den Bewohnern von Little Falls versprochen worden war, kam bisher nur sehr selten zum Vorschein, doch so, wie man den Tag nicht vor dem Abend loben sollte, so sollte man ihn wohl auch nicht schon vor dem Abend schlecht machen. Es war gerade erst Mittag gewesen, einige fleißige Hausfrauen waren mitten in den Vorbereitungen zum Lunch während die Kinder auf der Straße oder in den Gärten der adretten Vorstadthäuser spielten. Manch ein Ehemann las vielleicht gerade auf der Veranda seine Zeitung, ein anderer putzte seinen Wagen. Gartenarbeit stand auch ganz oben auf der Liste, im Moment blühten die Blumen wie verrückt, die ersten Bienen und Hummeln flogen umher und auch der ein oder andere Schmetterling ließ sich blicken.

Little Falls war eine idyllische, wenn auch nicht perfekte Vorstadt. Nicht jeder Rasen war perfekt gemäht, manch eine braune Stelle mischte sich in das satte Grün, an manchen Stellen spross Unkraut neben den Blumen hervor. Doch die Bewohner gaben sich Mühe, ihre Straßen, ihre Vorgärten und ihre Häuser in einem vorzeigbaren Zustand zu behalten und gerade Sonntage wie dieser eigneten sich dafür.

 

Auch auf der To-Do-Liste von Angel stand noch der ein oder andere Punkt an Gartenarbeit. Rasenmähen – würde Jordan übernehmen. Blumenbeete bewässern – seine Aufgabe. Fensterputzen – dringend. Der letzte starke Regenguss am Mittwoch hatte einige Spuren auf ihnen hinterlassen, die matten Abdrücke der Tropfen sahen gerade bei den ersten Sonnenstrahlen des Frühlings hässlich aus, am liebsten hätte sich Angel sofort an die Arbeit gemacht, doch zuerst stand das Mittagessen auf dem Plan. Jordan würde wie immer ziemlich hungrig daherkommen, wenn sein morgendliches Training vorüber war. Je länger er ohne Essen auskommen müsse, desto langanhaltender würde seine schlechte Laune sein, das wusste Angel. Und niemand wollte freiwillig länger als nötig mit einem grummeligen Jordan Samford verbringen. Niemand.

Zwar war seine Laune dank des Siegs in ihrem gestrigen Major-League-Spiels den Rest des Abends und auch heute Morgen einigermaßen ausgelassen gewesen, doch ihm war auch aufgefallen, dass seine eigene vergebene Chance zum 3:1 in der ersten Halbzeit immer noch an ihm nagte. Am liebsten würde er in jedem Spiel treffen, eine so gute Gelegenheit dann liegen zu lassen, war schon fast fahrlässig gewesen und der immer noch 1,76 Meter kleine Fußballer war immer noch zu sehr Perfektionist, als dass er solche Fehler einfach mit der Freude über den Sieg wett machen könnte.

 

Um die Stimmung zu heben, kochte Angel eines von Jordans Lieblingsessen, so wie eigentlich immer nach Spieltagen. Meistens waren diese Gerichte osteuropäischer Herkunft. So manche Zutat oder Beilage, wie zum Beispiel Sauerkraut, welches ansonsten eher selten bei ihnen gegessen wurde, hatte Angel an solchen Tagen immer parat. Das heutige Leibgericht war Sarma mit selbstgemachtem Kartoffelpüree, eines der Gerichte, die Jordans Oma aus Kroatien ihm immer gekocht hatte, wenn er bei ihr zu Besuch war. Damit es Angels Küche mit ihrer aufnehmen konnte, hatte der junge Mann es sich bei ihrem letzten Besuch nicht nehmen lassen und sie um das Familienrezept gebeten. Nach ein paar Anläufen und ein paar Experimenten später gingen ihm die Rouladen leicht von der Hand. Vorteilhaft, wenn man bedachte, dass sie schon alleine zwei Stunden köcheln mussten und es Angel beim ersten Mal beinahe einen halben Tag gekostet hatte, Jordan dieses Gericht zu kochen.

Es war kurz nach Zwölf, die Rouladen köchelten wie geplant vor sich hin, ebenso die Kartoffeln. Jordan war sicher schon auf dem Heimweg, wenn er sich nicht gerade verquatscht hatte. Im Gegensatz zu einem seiner Kollegen saß der Kroate nach dem Training nicht noch zwei Stunden in der Sauna, reichte ja auch, dass er nach dem Training immer eine halbe Ewigkeit brauchte, um seine Haare wieder zu richten und seine Haut ausreichend zu pflegen. So wie auch jeden Morgen im Bad, wenn man ehrlich war. Zwar hatte Jordan Angel in der Vergangenheit oft wegen dessen weiblichen Zügen beleidigt – auch heute noch war er in die Richtung empfindlich, besonders, wo er jetzt einen Profivertrag beim New York City Football Club unterzeichnet hatte und dort seine erste Major-League-Saison spielte – doch wenn man ehrlich war, dann hatte er zu teils selbst weibliche Züge. Man musste sich allein sein Äußeres ansehen. Immer penibel gepflegt, ein Faible für Mode und für's Klamottenkaufen. Man könnte glatt meinen, der leichte Bart, den er sich hat stehen lassen, käme daher, weil er dringend männlich wirken wollte. Er passte kaum in das penible Styling des jungen Kroaten, sollte aber sein Kindergesicht ausgleichen, wie er immer sagte. Sie waren nun beide Mitte zwanzig, da wollte Jordan auch aussehen wie ein Erwachsener und nicht mehr wie ein 16-jähriger High-School-Schüler.

 

Er und Angel, der mittlerweile seinen Master in psychologischer Pädagogik gemacht hatte, konnten sich immerhin auch ein eigenes Haus leisten, in dem sie zusammen als beste Freunde lebten, wie der Fußballer seinen Kollegen und den Reportern immer wieder erzählt hatte. Und damit auch ja keine Zweifel an dieser Geschichte aufkamen, wurden immer wieder glaubhafte Details hinzu gedichtet. Sie seien beste Freunde aus Kindheitstagen. Sie seien beide gerade erst ein paar Monaten in ihren Jobs, da half es, wenn man den Haushalt nicht alleine führen musste. Sie seien schon während ihrer Studienzeit super WG-Partner gewesen, es sei auch schon eine Art Gewohnheit geworden. Überraschenderweise hatte das ausgereicht, niemand stellte mehr Fragen, Jordan konnte sich einigermaßen sicher fühlen und was hinter verschlossenen Türen geschah, musste eben geheim gehalten werden. Sie passten auf, alles war gut. Soweit.

 

Ein Klopfen an der Haustür ließ Angel den Kopf heben, gerade hatte er die Kartoffeln geprüft, sie waren definitiv bereit zur Weiterverarbeitung. Mit einem Handgriff stellte er die Herdplatte aus, stellte dann den Topf auf einen Untersetzer aus Akazie, ehe er sich verwundert zur Haustür aufmachte. Er erwartete keinen Besuch, er erwartete lediglich Jordan und der würde nicht Klopfen. Ob er seinen Schlüssel vergessen hatte? Oder gar verloren? Manchmal war der junge Kroate ja schon ein wenig schusselig oder vorschnell, kopflos eben. In so manch einem Streit ist Jordan schon Hals über Kopf aus der Wohnung gestürmt, ohne an seinen Schlüssel zu denken, doch das war ja eigentlich auch etwas völlig Anderes gewesen, da hatte der Hitzkopf Gründe gehabt. Heute Morgen, da hatte er keine.

Und wie erwartet war es nicht Jordan, der vor der Tür stand, wäre auch noch ein bisschen früh gewesen, andererseits wusste man nie, wie lange er wirklich trainieren würde oder müsste. Für die Spieler, die an dem Spieltag davor einen Einsatz gehabt hatten, gab es meistens nur ein lockeres Auslaufen am Folgetag, die Ersatzspieler dagegen mussten richtig trainieren. Jedenfalls hatte der Kroate ihm das mal so erklärt, als Angel zum Training gefahren war und regelrecht enttäuscht wurde, weil es von Jordan nichts zu sehen gab. Was Angel nun allerdings vorfand, irritierte ihn nicht weniger. Vor ihrer Haustür stand ein kleines Mädchen, vielleicht schon im Grundschulalter. Große blaue Augen, dessen äußere Augenwinkel nach oben leicht spitz zuliefen, etwas von zwei Schlupflidern überzogen wurden. Ein schmaler Mund, sehr feine Lippen, die Mundwinkel hingen leicht nach unten, während sie erwartungsvoll zu Angel aufsah. Zwei helle Leberflecken zierten ihre linke Wange so ziemlich genau in der Mitte, ähnlich gefärbt wie ihre dunkelblonden Haare, die zu zwei Zöpfen zusammengebunden worden waren.

Verwundert sah Angel das kleine Mädchen an. Er hatte sie bisher noch nie hier gesehen, sie war weder das Kind der Nachbarn, noch meinte Angel sich daran zu erinnern, dass sie überhaupt in dieser Straße lebte. Ob sie vielleicht neu zugezogen waren? In eine nahegelegene Straße vielleicht? Denn dass in ihrer Straße kein Umzug stattgefunden hatte, wusste der junge Mann genau.

 

„Hallo kleine Lady“, begann Angel mit ruhiger, sanfter Stimme, als er sich zu dem kleinen Mädchen hinunter hockte. „Wo sind denn deine Eltern?“

Angel konnte weit und breit niemanden sehen, niemanden in den Vorgärten, niemanden auf der Veranda, niemanden auf der Straße. Und besonders letztere konnte er sehr weit überblicken. Sein leicht skeptischer Blick blieb wieder auf dem Mädchen hängen. Die Kleine machte es ihm nicht gerade leicht, stand wortlos vor ihm und sah ihn einfach nur an, was Angel kurz leise seufzen ließ. Sie war allerdings nicht das erste Kind, dass bei ihm zuerst nicht den Mund auf bekam. Vor allem bei den jungen Kindern war es auffällig dass sie sich einem Fremden, wie Angel es war, zuerst nicht öffneten. Da musste er jedes mal wieder etwas in die Trickkiste greifen, Vertrauen und Geborgenheit schaffen, damit sie sich wohl fühlten. Die letzten Monate hatte er darin schon Erfahrung gesammelt, doch sie war das erste Kind, dass er vollkommen unbegleitet von seinen Eltern vor sich hatte. Meistens hatte er es mit Kindern zu tun, die in ihrer Entwicklung zurück hingen oder die in der Schule aus unterschiedlichen Gründen auffällig wurden. Manche von ihnen sprachen sogar ebenfalls nicht. Gar nicht. Nicht einmal zuhause.

 

„Wohnst du hier in der Nähe? Sollen wir mal gucken, wo deine Mama ist?“, versuchte es Angel erneut während die großen Augen ihn ansahen. Das Mädchen schüttelte leicht den Kopf.

 

„...Nein?“

Angel war wirklich ein wenig perplex, versuchte die Fragen in seinem Kopf aufzulösen, doch so schnell, wie er das gerne hätte, ging es nicht, ließ das Mädchen nicht zu. Bei Kindern musste man oft viel Geduld aufbringen, der junge Psychologe war darin dank Jordan aber auch bestens geübt, wenn auch nur widerwillig. Er war kurz davor, mit dem Mädchen an der Hand bei ein paar Nachbarn nachzufragen. Wäre ja möglich, dass sie zu Besuch bei Verwandten war, dass sie irgendwer kannte, jemand, bei dem Angel sie sicher abliefern konnte. Wenn er ein kleines Kind hätte, hätte er ihm einen Schlüsselanhänger oder ähnliches angefertigt, auf dem zumindest eine Adresse oder Telefonnummer stand, besser sogar noch ein Name. Den Namen eines Kindes zu kennen, wäre immerhin schon mal ein Schritt in die richtige Richtung.

 

„Ich bin Angel. Verrätst du mir, wie du heißt?“

 

„...Ivana“, kam es zögerlich von dem kleinen Mädchen, ließ Angel zum ersten Mal ihre niedlich nuschelnd hohe Stimme hören, ehe sie den Blick auf den Boden senkte.

 
 

Wenn ich ein Kind hätte, würde ich es Ivan nennen.“

Ein sehr eigenwilliger Name für ein Mädchen, Jordan.“

Wer sagt, dass es ein Mädchen wäre?“

Wer sagt, dass es keines wäre?“

... Ivana halt.“

 

Ein paar Bilder schossen durch Angels Kopf. Sehr alte Bilder, sie waren schon Jahre her, das muss noch zu High-School-Zeiten gewesen sein, wenn er sich nicht täuschte. Eines dieser seltenen Gespräche, in der sie sich über ihre Zukunft unterhielten, damals, als sie noch glaubten, dass sie eine hätten. Bevor das alles- Bevor sie die schwerste Zeit ihres Lebens durchgemacht hatten, dessen Narben immer noch nicht wirklich verheilt waren. Nach all den Jahren...

Angel versuchte zu lächeln, ganz gelang es ihm allerdings nicht.

 

„Ivana. Ein schöner Name“, sagte der junge Mann sanft, hielt ihr eine Hand hin, die Handfläche nach oben gerichtet. „Kommst du mit mir? Ich bring dich nach Hause.“

Die Hand des Mädchens zuckte zögerlich, ehe sie diese komplett wegzog, scheinbar war sie ganz und gar nicht damit einverstanden. Ihr Blick wurde fast ein wenig trotzig, so trotzig konnte sonst nur einer gucken.

 

„Ich will auf meinen Daddy warten“, sagte das kleine Mädchen schließlich, überraschend entschlossen, wo sie doch bisher eher zurückhaltend und still war. Sie griff dabei in die Hosentasche ihrer Jeanshose und zog einen Zettel hervor, den sie Angel entgegenhielt. Er war zwei mal zusammengefaltet zu einem kleinen Quadrat. Zögerlich und ein wenig irritiert – nicht sicher worüber mehr, über die Aussage des Mädchens oder über ihren plötzlichen Charakterwandel – öffnete Angel den Zettel und stockte deutlich.

 
 

» Jordan Samford «

» 46 2nd Ave, Little Falls, New Jersey «

 

Einen Moment lang konnte Angel gar nichts sagen, selbst wenn er wollte, ihm fehlte die Stimme, um auch nur einen Ton herauszubekommen. Sein Blick lag noch auf dem Zettel. Er starrte ihn fast schon an, als würde sich etwas ändern, wenn er nur lange genug drauf sehen würde. Als würde das, was er dort las, gar nicht wirklich dort stehen und sich jeden Moment auflösen und den eigentlichen Text hervorbringen. Doch so war es nicht. Der Zettel blieb unverändert.

 

„Magst du reinkommen?“, brachte Angel schließlich hervor, richtete sich langsam wieder auf und machte dem Mädchen den weg frei, indem er aus der Tür trat.

Doubt VS. Belief

Schlüssel klirrten, die Tür fiel ins Schloss, der Gucci-Kulturbeutel landete auf dem Sideboard im Flur. Nochmal ein Klirren der Schlüssel, die sich zu dem Kulturbeutel gesellen durften. Als Jordan die Küche betrat, dachte er für einen kurzen Moment wirklich, er wäre im falschen Haus gelandet. Natürlich eigentlich unmöglich, hatte er doch gerade mit seinem Schlüssel die Haustür aufgeschlossen. Aber das war eben Jordan. Als ob er sich mit solchen Details beschäftigte, wenn vor seinen Augen ein kleines Mädchen am Tisch saß, ein Glas Saft mit Strohhalm vor sich. Ihre Beine baumelten leicht in der Luft umher. Es würde noch einige Zeit dauern, bis sie beim Sitzen den Boden berühren würden. War für ihn allerdings auch egal, wie kurz ihre Beine waren. Fakt war, da saß ein Kind an seinem Küchentisch. In seinem Haus.

 

„Wer ist das?“, fragte der Fußballer fast ein wenig plump, blickte dabei zu Angel rüber, der irgendetwas am Herd machte. Was, das konnte ernicht erkennen, der Blick wurde von dem Körper des anderen einfach versperrt. Er erinnerte sich nicht daran, dass der Psychologe heute auf eines der Kinder aus der Nachbarschaft aufpasste - ganz ehrlich, er wusste nicht einmal, wie diese aussahen. Jordan konnte also nicht mal sagen, zu wem sie gehörte.

 

„Deine Tochter.“

Angel drehte sich bei seinen Worten nicht mal um, alles was der Sportler von ihm sehen konnte, war seine Kehrseite und er war deutlich irritiert von dem trockenen Humor, den sein Lebensgefährte gerade an den Tag legte.

 

„Haha, klar, sehr lustig. Deinen dicken Bauch hab ich all die Monate nicht bemerkt“, gab der Kroate nun selbst zurück, deutlich sarkastisch. Er hatte keine Lust auf diese Art von Scherze und eigentlich wollte er jetzt primär etwas essen. Sein Hunger meldete sich deutlich und der leckere Geruch, der die Küche flutete, machte es nicht besser. Da Angel den Tisch noch nicht gedeckt hatte, übernahm es Jordan, ging zu Angel, um sich an einem der Schränke bedienen. Dabei fiel dem Kroaten der ernste Blick auf dessen Gesicht auf, die Worte, die folgten, versprühten nichts Anderes.

 

„Für mich ist daran auch nichts lustig. Sie ist deine Tochter Ivana, sagt sie. Und wenn ich sie mir so angucke, kann ich nicht abstreiten, dass sie dir ähnlich sieht.“

 

„Schwachsinn! Ich hab' keine Tochter!“, zischte Jordan ihm leiser zu, er war sich da auch ganz sicher. Klar, er hatte natürlich öfter Sex mit Mädchen gehabt, ganz im Gegensatz zu Angel, doch eine Tochter? Das war unmöglich. Das war Schwachsinn. Vor allem kam sie hier gerade wie aus dem Nichts.

 

„Keine von der du wusstest.“

 

„Hör auf, diesen Scheiß auch noch zu unterstützen! Das ist nicht meine Tochter!“, kam es energisch von dem Kroaten, der langsam aber sicher seine Beherrschung verlor, ebenso wie seine gedämpfte Stimme. Er war aufgebracht, das war ihm anzusehen. Seine Augen funkelten wild und wenn das hier nicht sein eigens bezahltes Haus gewesen wäre, dann hätte er mal eben etwas demoliert. Doch auch Angel schien gerade seine Ruhe zu verlieren, verzog das Gesicht etwas und sah den Kroaten nicht gerade entzückt an.

 

„Du verletzt ihre Gefühle, Jordan.“

Definitiv. Das Mädchen war vom Stuhl gerutscht und aus der Küche geflüchtet, noch bevor Jordan seinen Kopf zu ihr drehen konnte. Ein bisschen Leid tat es ihm im Nachhinein schon, aber er war sich einfach furchtbar sicher, dass es eine Lüge war. Für Lügner hatte er im Allgemeinen nicht viel übrig, nicht einmal für sich selbst. Noch bevor Angel dem Mädchen nacheilen konnte – es hatte so eben die Haustür hinter sich zugeschlagen – wurde er aufgehalten, fest am Arm gepackt und streng angesehen.

 

„Lass mich los!“

 

„Nicht bevor wir hier fertig sind!“

 

„Im Ernst, Jordan-“

 

„Oh, ich meine es auch total ernst!“

 

Keiner der beiden wollte nachgeben, ihre Blicke hingen fest aufeinander. Während Jordans Augen vor Wut funkelten, waren Angels eher von vernünftiger Ernsthaftigkeit getränkt. Nur Blicke, kein einziges Wort folgte. Einen Moment lang wirkte es so, als würden sie beide versuchen, die Kontrolle über ihre Emotionen zurück zu bekommen, sich zu beruhigen, damit sie sich nicht wieder stritten, sich Dinge an den Kopf warfen – der Punkt traf besonders auf Jordan zu -, sich verletzten. Ein ganz vernünftiges, ruhiges Gespräch. Jedenfalls war das der Plan, das, was besonders Jordan versuchte. Angel hatte damit in der Regel keine Probleme...

 

„Wieso glaubst du diesen Scheiß?“

 

„Weil es vielleicht kein Scheiß ist.“

 

„Sicher ist es der, dieses Mädchen taucht einfach so auf und plötzlich soll ich ihr Vater sein? Was ist mit den ganzen Jahren davor? Warum jetzt?“

 

„Vielleicht ist in ihrer Familie irgendetwas vorgefallen, vielleicht geht es ihrer Mutter nicht gut, das wissen wir doch alles nicht. Aber das heißt noch lange nicht, dass es eine Lüge ist, Jordan. Sie stand hier vor der Tür mit deinem Namen und deiner Adresse.“

Dass Angel gleich wieder versuchte irgendetwas zu analysieren, war für Jordan nicht einmal überraschend, es war immerhin irgendwo sein Job. Doch das bedeutete noch lange nicht für ihn, dass der Psychologe Recht hatte, nur, weil er Psychologe war. Jordan konnte ja genau so gut Recht haben. Wenn es nach ihm ging, hatte er es sowieso immer. Deswegen überzeugten ihn die Worte seines Lebensgefährten auch ganz und gar nicht, eher im Gegenteil. Sie gaben ihm nur noch mehr Grund für Negativdenken.

 

„Siehst du! Da fängt es schon an! Wieso hatte sie die Adresse? Ich steh' nicht mal im Telefonbuch! Das ist irgendein verrückter Groupie, der mir ihre Tochter unterschieben will, ein Stalker-Groupie wahrscheinlich noch!“, sprach Jordan seine grandiose Idee aus. So musste es schließlich sein, fand er. Mittlerweile hatte er sich einen Namen gemacht, Groupies waren da nicht mehr unüblich. Viele Mädchen himmelten junge, gutaussehende Fußballer an, manche von denen waren auch nett, schüchtern, zurückhaltend. Aber andere waren regelrecht krankhaft, so viel hatte der Kroate schon selbst mitbekommen. Der ein oder andere seiner Kollegen hatte diesbezüglich die ein oder andere Schauergeschichte zu erzählen, von denen Jordan immer hoffte, er würde niemals in so eine involviert werden. Und jetzt war er scheinbar schon mittendrin.

 

„Vielleicht von deiner Mutter, vielleicht aus-“

 

„Klar! Warum sagt mir meine Mutter dann nicht, dass ich ein Kind habe, huh?! Schwachsinn!“

 

„Weil sie dich nicht erreicht hat? Jordan, du bist nie erreichbar! Ich hab dich schon so oft angerufen, erst Freitag wieder, und alles, was ich zu hören kriege, ist ständig die Stimme deiner Voicemail-Ansage!“

 

„Ach. Und das ist jetzt meine Schuld?!“

 

„Das meine ich ja gar nicht“, sagte Angel, seufzte leise. Er stieß sich von der Arbeitsplatte ab, an der er gerade noch gelehnt hatte. Er wollte nicht streiten. Sie hatten schon so viele Streits hinter sich, dass sie eigentlich für ein ganzes Leben reichen würden und gerade jetzt, wo sie so langsam zur Ruhe kamen, älter und reifer wurden, ein Leben zusammen hatten, wollte er es nur noch genießen. Er wollte die Zeit mit Jordan, die er hatte, genießen. Sie hatten beide viel um die Ohren, ihre Jobs nahmen sie ein. Vor allem Jordan war oft weg, zwei Tage am Wochenende mindestens. Dazu kamen noch alles halbe Jahr ein Trainingslager nach dem anderen, Pokalspiele, Länderspiele, für die er meistens bis nach Europa fliegen musste, denn Jordan spielte nicht für die USA. Er spielte für Kroatien. Wahrscheinlich würde es auch nur noch eine Frage der Zeit sein, bis europäische Clubs bei ihm anfragten.

Dass er Jordan in diesen Momenten meistens nicht einmal von sich aus erreichen konnte, war eine Qual für den jungen Mann. Wenn sie sich schon nicht sahen, dann wollte er wenigstens mit ihm reden, übers Telefon zwar, aber besser als gar nicht. Und selbst da waren lange Gespräche eine Rarität. Wenn er überhaupt erreichbar war, war Jordan kurz angebunden. Meistens rief er deswegen schon immer selbst an, wenn er Zeit für Angel hatte. Ansonsten blieb das Handy aus, so verlangte es der Verein. Handyklingeln im Bus, Handyklingen in der Kabine, Handyklingeln beim Mittagessen, beim Physiotherapeuten, bei der Teambesprechung. Das alles wurde bestraft. Und so sehr Angel das auch verstehen konnte, es frustrierte nicht weniger, wenn alles, was er wieder und wieder zu hören bekam, nur diese Voicemail-Ansage war.

 

„Warum ziehst du nicht einfach nur in Betracht, dass es möglich wäre, Jordan?“

 

Eine Antwort darauf wollte Angel gar nicht, er verstand es einfach nur nicht. Doch das war nicht die erste Situation, in der er nicht verstand, wie Jordan wieder und wieder so einen Tunnelblick aufsetzen konnte. Nicht mehr nach links oder rechts sehen, fest auf seiner Meinung beharren, nur, weil es vielleicht einfacher war, angenehmer, akzeptabler. So war er allerdings schon immer. Langsam hatte Angel es zumindest hingenommen, doch dieses Mal war es größer. Es ging um ein kleines Mädchen, um Jordans scheinbare Tochter. Wenn Jordan sich rücksichtslos und stur ihm gegenüber verhielt, war das eine Sache. Das konnte er irgendwie ertragen, doch bei der kleinen Ivana konnte Angel nicht still dasitzen. Das konnte er nicht ertragen. Und da Jordan scheinbar kein Wort mehr herausbrachte, der Herd schon ein Weilchen ausgeschaltet war, verließ er endlich den Raum, um dem kleinen Mädchen nachzueilen und sie wieder nach Hause zu holen.

 

Lange suchen musste Angel sie nicht, er konnte Ivana schon beim aus der Tür Gehen sehen, wie sie auf dem Bordstein an der Straße vor ihrem Haus saß, die Schultern hochgezogen, den Kopf nach vorne auf die Knie gelehnt, über denen auch die Arme zusammengelegt waren. Vorsichtig und wortlos ging er zu dem kleinen Mädchen, sah ein wenig bedrückt zu ihr herunter und setzte sich dann schweigend neben sie. Seinen Blick richtete er ebenso auf die Straße, wie das Mädchen es tat. Kein spezieller Punkt - ehrlich gesagt sah Angel gar nichts, als würde er durch alles hindurch sehen, was sich seinen Augen in den Weg stellte.

 

„Er meint es nicht so“, begann er leise, rührte sich ansonsten keinen Millimeter, genau so wenig, wie er seinen Blick auch nur ein Stückchen aus dem Nichts nahm. „Er kann ganz furchtbare Dinge sagen, das weiß ich. Wahrscheinlich weiß das niemand besser als ich.“

 

Ein schwaches Lächeln lag Angel auf den Lippen. Er war oft dabei, wenn der Kroate wieder schlimme Dinge zu anderen sagte. Dinge, die Gefühle verletzen konnten, diskriminierende Dinge, beleidigende Dinge. Und er würde es niemals selbst sagen, doch die Dinge, die Jordan ihm sagte, waren vermutlich die verletzendsten, die er überhaupt jemandem an den Kopf schmiss. Jedenfalls war das in ihrer Vergangenheit so. Was er allerdings mit seinem guten Glauben an Jordan sagen konnte, war-

 

„Manchmal wird er böse, besonders dann, wenn er Hunger hat. Oder wenn er anderen Kummer hat. Und dann sagt er Sachen, die er eigentlich gar nicht sagen will, weißt du? Dann tut es ihm ganz furchtbar leid, nur kann er das nicht richtig zeigen. So wie er es auch nicht richtig zeigen kann, wenn er jemanden lieb hat.“

Angels Blick ging zur Seite, doch das Mädchen hatte ihr Gesicht noch mehr in ihren Armen begraben, reagierte nicht auf seine Worte. Es ließ den jungen Mann wieder nach Worten suchen, die irgendetwas besser machen könnten. Worte, die er sich die letzten Jahre immer und immer wieder selbst gesagt hatte, Worte, die ihm halfen, wenn er wieder eine schwere Zeit mit Jordan durchmachte. Worte, die ihm immer wieder Mut gemacht hatten, die Hoffnung weckten. Diese Worte zu sich selbst zu sagen, war aber doch anders, als sie einem kleinen Mädchen zu sagen, das verdammt verletzt war, weil ihr Daddy sie verleugnete.

Vorsichtig legte er eine Hand auf ihren Rücken, ganz behutsam.

 

„Ich weiß, es ist schmerzhaft. Und es ist viel verlangt, aber du musst ihm Zeit geben. Wir schaffen das zusammen, okay? Du bist ein großes, starkes Mädchen, das sehe ich sofort, aber wenn du jemanden brauchst, dann bin ich für dich da. Ich werde immer für dich da sein.“

Erleichterung machte sich in Angels Gesicht breit, als das kleine Mädchen sich rührte, den Kopf hob und ihn aus großen, geröteten Augen ansah, ein sanftes Lächeln mischte sich dazu, als Ivana ihre schmalen Arme um ihn schlang – jedenfalls so weit, wie sie reichten – und ihre Wange unterhalb Angels Brust anschmiegte.

 

„Wirklich immer?“

 

„Wirklich immer.“

Looking For The Truth

Bei jedem Vorschwingen knarrte der Holzbalken, an denen die zwei Schaukeln befestigt waren, rhythmisch, bildete mit dem Klirren der ineinander verarbeiteten Metallstäbe der Schaukel und dem dumpfen Klopfen der hölzernen Wippe auf dem darunter eingebuddelten Autoreifen eine Harmonie, wie sie Jordan lange nicht gehört hatte. Er konnte sich nicht erinnern, wann er das letzte Mal auf einem Spielplatz gewesen war. Vor allem auf einem, auf dem Kinder zeitgleich spielten. Wenn man jung war, dann war man vielleicht das ein oder andere Mal dort, wenn es dunkel war. Mit einem guten Freund oder einem hübschen Mädchen. Aber selbst das konnte Jordan in seiner Erinnerung an keinem Moment mehr fest machen. An diesen hier würde er sich aber sicherlich noch lange erinnern. Er mit seinem Lebensgefährten auf einem Spielplatz, zwischen all den Eltern, die mit ihren Kindern da waren und ihnen beim Spielen zusahen. Manche spielten sogar mit ihnen, halfen beim Sandburgen Bauen oder beim Buddeln. Manche empfingen ihr Kind mit ausgebreiteten Armen am Ende der Rutsche, manche saßen aber auch einfach am Rand des Sandkastens oder auf einer Bank und unterhielten sich - so, wie es auch Angel und Jordan taten. Wobei das mit der Unterhaltung so eine Sache war, eigentlich schwiegen sie sich die ganze Zeit über nur an, sahen Ivana oder den anderen Kindern beim Spielen zu.

 

Dass dem Kroaten langweilig war, war ihm anzusehen, dass er dringenden Redebedarf hatte, ebenfalls. Und trotzdem ging es jetzt schon knapp 20 Minuten so. Bis sich ein kleiner Windelträger auf sie zubewegte, die zwei Herren kurz ansah und dann vor ihnen auf den Boden plumpste, um mit seiner roten Plastikschaufel den Sand aufzuwühlen. Vor allem aber, um Jordan immer wieder eine kleine Ladung Sand auf die Schuhe zu schmeißen.

 

„Das glaub' ich jetzt nicht“, grummelte der Kroate vor sich hin, sah das kleine Kind – ein Junge scheinbar – nicht gerade freundlich an, bevor er sich entnervt umblickte. „Wo ist die Mutter von dem Ding?!“

 

„Jordan, bitte. Es ist nur ein bisschen Sand.“

 

„Es ist Dreck! Und der ist auf meinen neuen Schuhen. Weißt du, wie teuer die waren?!“

Im Gegensatz zu Jordan war Angel noch die Ruhe selbst. Er schien es irgendwie zu genießen, dieses ganze Familie-auf-dem-Spielplatz-Gedöns - wenn man von Jordans schlechter Laune absah, jedenfalls. Auch jetzt schaffte er es noch den Kroaten mit einem entspannten Gesicht anzulächeln, so wie er es meistens tat, wenn Jordan rummaulte. So lange, wie sie jetzt schon zusammenlebten, war es für Angel ein Leichtes, mit seiner unregelmäßig wiederkehrenden schlechten Laune umzugehen, ihn bestmöglich aufzumuntern, ihn ein wenig zu bremsen oder es ganz einfach zu ertragen.

 

„Wieso gibst du dafür überhaupt so viel Geld aus? Es sind doch nur Schuhe.“

 

„Du hast einfach keine Ahnung. Das ist die neue Limited Edition der Air Jordan Reihe! Würdest du nicht einfach irgendwas greifen und es mit zur Kasse nehmen, wüsstest du, dass sie besonders cool sind“, kommentierte Jordan Angels schlechten Kleidungsgeschmack. An seinem Kleidungsstil haben sie beide die letzten Jahre gearbeitet, doch ohne den Kroaten an seiner Seite war der junge Mann immer noch hilflos, wenn er Kleidung kaufen ging, fand Jordan. Eigentlich war Angel allerdings einfach desinteressiert, was Mode anging und so lange er nicht herumlief wie ein Penner, war ihm scheinbar egal, was er trug. Er konnte es nicht wirklich verstehen, warum der Sportler dafür so viel Geld ausgab.

 

„Die Schuhe heißen wie du?“, fragte er, musste sich schwer ein Grinsen verkneifen, immerhin wollte er Jordan nicht provozieren. Und das, was Angel als Reaktion bekam, war auch lediglich ein genervtes Augenrollen seitens des Kroaten. Immerhin sprachen sie wieder miteinander.

 

„Nächstes Mal ziehst du dir einfach ein älteres Paar an, dann musst du dich auch nicht ärgern.“

 

„Hey, ich hab zwar angeblich ein Kind, aber deshalb muss ich mich nicht anziehen wie diese Eltern, die sich gehen lassen, klar?“

 

„Fängst du wieder damit an?“, fragte Angel nach einem kurzen Seufzen. Diskutieren mit seinem Lebensgefährten war immer furchtbar anstrengend, weil der Kroate einfach nie nachgeben konnte. Er konnte nie einsehen, wenn er im Unrecht war oder gab es jedenfalls nie zu. Eigentlich verlief so jede Diskussion zwangsläufig über Kurz oder Lang im Sande, doch ein so ernstes Thema konnte Angel kaum einfach so Sande verlaufen lassen.

 

„Was? So ist es doch, ich sehe solche Eltern an jeder Straßenecke.“

 

„Das meine ich nicht. Jordan, du kannst nicht ewig davor weglaufen und dir einreden, dass sie nicht deine Tochter ist. Entweder du akzeptierst es einfach so oder du machst es richtig und kontaktierst deine Ehemaligen. Es hilft niemandem, wenn du einfach nur dasitzt und leugnest. Und am Ende verlierst du damit vielleicht das Wichtigste deines Lebens.“

 

„Ich soll alle anrufen, mit denen ich in den letzten Jahren Sex hatte? Das ist doch voll peinlich. Das ist...total bescheuert.“

 

„Es ist hilfreich.“

Dass es allerdings immerhin ein sinnvoller Weg war, um das Rätsel um das kleine Mädchen zu lösen, sah er ebenfalls ein - auch, wenn er das wirklich nicht wollte. Nach vorne gebeugt und am Rande des Wahnsinns strich sich Jordan durch die Haare, brauchte einen Moment, ehe er wieder etwas sagen konnte. Er musste sich jetzt erst einmal mit dem Gedanken abfinden, vor allem aber musste er überlegen, wie er die ein oder andere Ehemalige ausfindig machen würde. Er hatte nicht von allen die Nummern, jedenfalls jetzt nicht mehr.

 

„Immerhin muss ich sie nicht wegen irgendeiner peinlichen Geschlechtskrankheit anrufen...“, murmelte Jordan völlig bedient.

 

 

***

 

 

Bis nach dem Abendessen hatte es der Sportler tatsächlich gewagt, schon die ein oder andere flüchtige Bekanntschaft aus seiner Vergangenheit anzurufen, doch keine war die Mutter von Ivana und keine von ihnen war jemals schwanger von Jordan gewesen, hatten sie jedenfalls beteuert. Dass Jordan sich zu Teilen regelrecht auslachen lassen musste, machte den Kroaten nicht gerade entspannter und trug vor allem auch nicht dazu bei, dass er noch großartig Lust hatte, weiter herumzutelefonieren. Etwas frustriert legte er das Handy aus der Hand und ließ seinen Körper nach hinten aufs Bett sinken. Er schloss die Augen, zog die Augenbrauen etwas zusammen. Wenigstens ersparte es Angel ihm, blöde Fragen zu stellen, als er das Schlafzimmer betrat, doch mit der unnötigen Info, dass er Ivana in die Badewanne gesteckt hätte, verschonte er den Kroaten nicht. Er musste ja nicht drauf reagieren... Doch als er ein verdächtiges Kratzen von Metall aufeinander hörte, kam Jordan nicht drum herum, die Augen zu öffnen und zu Angel hinüberzusehen, nur, um sich in seiner Vermutung bestätigt zu wissen.

 

„Was machst du da bei meinen Klamotten?“, fragte der Kroate entgeistert, setzte sich glatt wieder auf und war kurz davor zu ihm herüber zu gehen, das Shirt, dass Angel dort vom Bügel nahm wieder in den Kleiderschrank zu packen und ihm die Tür zuzuschlagen. Noch bevor Jordan wirklich bei ihm wäre – so schnell war er nun auch wieder nicht, jedenfalls nicht mehr – bekam er seine Erklärung, die ihm offensichtlich missfiel. Das wusste Jordan sogar schon vorher, manchmal war er es wirklich Leid Recht zu haben.

 

„Ivana hat nichts Anderes zum Anziehen. Sie braucht etwas zum Schlafen und dein T-Shirt eignet sich eben sehr gut als Nachthemd.“

 

„Aber warum dann ausgerechnet meins?! Sie wird es sicher dreckig machen...vollsabbern, irgendwas!“

Unnötig zu erwähnen, dass das T-Shirt, das Angel dort in der Hand hatte, teuer gewesen war.

 

„Beruhig' dich. Sie wird nur darin schlafen, außerdem kann man es wieder waschen“, versuchte Angel Jordan zu trösten, zu beruhigen, zu deeskalieren, irgendwas. „Ivana ist nun mal noch sehr klein, deine Klamotten sind schon deutlich zu groß für sie, aber meine sind es erst recht. Es kommt nur etwas von dir in Frage.“

 

Dass Ivana sicher lieber ein T-Shirt von ihrem Vater anziehen würde, erwähnte der Junge Mann vorsichtshalber gar nicht erst. Noch bevor Angel den Kleiderschrank geschlossen hatte und wieder zu Jordan sah, hatte der sich schon wieder nach hinten fallen lassen und die Augen resignierend geschlossen. Ein Grummeln konnte er sich trotzdem nicht verkneifen.

Für den Kroaten schien dieses Gespräch schon wieder vorbei zu sein, allein schon, weil er seinen Willen nicht bekam und ein wenig beleidigt war, doch für Angel war es das noch nicht. Mit ein paar Schritten über den weichen Teppichboden überbrückte er die Distanz zum Bett und machte es sich dann auf dem Fußende bequem. Das T-Shirt auf seinem Schoß liegen, richtete er seinen Blick auf seine große Liebe.

 

„Übrigens, was ich noch sagen wollte... Wir sollten ihr morgen ein paar Klamotten kaufen. Und ein paar Spielsachen, wir haben nichts da und-“

 

„Schon gut“, kam es nur knapp vom Kroaten, noch bevor Angel seinen Satz beenden konnte. Wirklich große Lust hatte er nicht, mit dem Mädchen einkaufen zu gehen, aber immerhin sah er ein, dass sie nicht tagelang die gleichen Klamotten tragen konnte. Unterwäsche hatte sie auch keine, bis auf die, die sie jetzt anhatte. Und wenn sie etwas hatte, womit sie spielen konnte, dann war Jordan selbst immerhin weniger gefordert, musste sie nicht unterhalten oder um sie kümmern. Doch der Akt des Kaufes war mindestens genau so schlimm, genau so nervig und kostete sicherlich genau so viel Zeit, wenn man es genau betrachtete. Und wie lange würde sie überhaupt hier bleiben?

 

„Ich hab morgen ja frei, ich übernehm' das“, kam es dann doch noch schwach von Jordan, während er sich auf die Seite drehte und es sich auf dem Bett immer bequemer machte. Schon halb weg nickend und nicht einmal umgezogen wurde es immer attraktiver für den Sportler einfach liegenzubleiben und einzuschlafen – Angel eben einfach mit der unliebsamen Aufgabe des Babysittens allein zu lassen und möglichst viel Zeit ohne die kleine Ivana zu verbringen.

Wenigstens wenn er schlief, hatte er seine Ruhe vor all dem Mist, der hier in der Realität auf ihn wartete. Angel erbarmte sich seiner, ließ ihn langsam ins Land der Träume sinken und diesen doch überraschend anstrengenden Tag beenden. Immerhin hatte Jordan heute schon den Rasen gemäht, ein paar Frauen angerufen, sich über kleine Kinder aufgeregt, sich stark um seine Kleidung gesorgt und war ein paar Runden um den Trainingsplatz gejoggt. Das harte Leben des Jordan Samford.

 

Für Angel selbst war der Tag noch nicht vorbei, nachdem er von seinem Lebensgefährten nun mit den elterlichen Pflichten ganz allein gelassen wurde. Mit dem T-Shirt in der Hand machte er sich wieder auf zu Ivana, legte das provisorische Nachthemd auf die Ablage neben der Badewanne und hockte sich zu dem Mädchen hinunter.

 

„Na? Der Schaumfresser hat ja nicht viel übrig gelassen.“

 

„Hahaha, er hatte ganz dollen Hunger!“, kommentierte Ivana kichernd, während der Waschhandschuh über ihrer Hand sich noch an einer der letzten weißen Schaumwölkchen vergriff, die noch auf der Wasseroberfläche schwammen und sie Stück für Stück verputzte.

 

„Wo ist Daddy?“

 

„...Im Bett, er schläft schon. Und für dich wird es auch höchste Zeit ins Bett zu gehen. Komm, ich trockne dich ab.“

 

„Dann möchte ich aber noch eine Geschichte hören.“

 

„Eine Geschichte? Vielleicht... von einer Prinzessin?“, fragte Angel lächelnd. Er hatte zwar keine Märchenbücher zuhause, doch die klassischen Märchen kannte er, konnte sie detailliert genug erzählen. Und wenn er doch einmal improvisieren müsste, er kam sich momentan sowieso selbst wie in einem vor. Die Stiefmutter in einem Märchen. Nicht gerade die schönste Rolle, wenn man bedachte, dass er keines kannte, in dem sie eine liebevolle, fürsorgliche Person war. Einen Moment lang fühlte sich der junge Mann wirklich schlecht, wollte dann doch lieber kein Märchen erzählen, das eine Stiefmutter beinhaltete – nicht, dass Ivana noch einen falschen Eindruck bekäme. Er wollte dies hier – sein Märchen – zu einem besseren machen. Ein Märchen ohne Leid. Ein Märchen ohne Trauer. Ein Märchen ohne Verrat und Betrug. Und ein Märchen ohne böse Stiefmutter.

 

„Bist du traurig?“

 

„Hm? ...Nein. Wieso fragst du?“, fragte Angel verwirrt, blickte zu dem kleinen Mädchen hoch, sie stand mittlerweile in der Badewanne und hatte sich in das Handtuch gekuschelt, das auf dem Badewannenrand bereitgelegt worden war.

 

„Du siehst so aus. Deine Augen sehen aus, als ob du weinen musst.“

Die Worte beseitigten den leichten Film aus Tränenflüssigkeit nicht, vermehrten ihn viel mehr noch und ließen Angel den Kopf schütteln. Er begann das kleine Mädchen abzutrocknen, nicht, dass sie noch zu frieren begann.

 

„Ich bin nicht traurig. Im Gegenteil, ich bin sehr glücklich, dass ich deinen Daddy habe. Und dich.“

Ivana sah zu Angel auf, als dieser sich wieder aufstellte und sie aus der Wanne hob. Kurz brach der Blickkontakt ab, bis sie mit ihrem Kopf durch Jordans T-Shirt gefunden hatte.

 

„Erwachsene sind wirklich komisch. Wenn man glücklich ist, dann lacht man doch und ist fröhlich“, kommentierte sie verständnislos, aber amüsiert über die seltsamen Verhaltensweisen von Angel und allen Erwachsenen, die sie scheinbar auch nicht ganz einsehen konnte. „Ich hoffe, deine Geschichte macht mehr Sinn.“

 

 

***

 

 

Dunkelheit beherrschte die Umgebung, durchzog den Himmel, die Straßen, die Häuser. Ein enger Begleiter der Dunkelheit war Stille. Kein Auto war unterwegs, kein Mensch durchquerte die Straßen, nicht einmal eine Katze streunte durch die Gärten der Nachbarschaft. Little Falls lag in einem tiefen Schlaf, im Kollektiv. Doch gab es meistens Jemanden, der nicht nach den Regeln spielte, wie auch jetzt, als dieser Jemand langsam aber sicher immer unruhiger wurde, sich im Bett hin und her wälzte, bis er schließlich aus dem Reich der Träume fliehen konnte. Im Moment war an erneutes Schlafen auch gar nicht zu denken, so hellwach, wie er sich fühlte. Der Anblick des leeren Bettes lud auch nicht gerade dazu ein, sich wieder hinzulegen. Aber warum war es überhaupt leer?

Die Antwort schon im Kopf, zog es Jordan wie ferngesteuert über den hell erleuchteten Flur. Wäre das hier ein Gruselfilm, wäre es verantwortungslos den Flur unbeleuchtet zu lassen, anderenfalls allerdings auch. Er würde sich am Ende noch weh tun, sich so verletzen, dass er nicht mehr trainieren konnte.

Als Jordan die leicht angelehnte Tür des Gästezimmers aufdrückte, gefolgt von einem hellen, größer werdenden Lichtkegel auf dem schlicht beigefarbenen Teppichboden, bestätigte sich seine Vermutung.

 

Neben dem Mädchen mit dem dunkelblonden Haar lag Angel, nicht einmal richtig zugedeckt. Sie sahen friedlich aus zusammen und ohne es zuerst überhaupt zu realisieren schlichen sich ein paar Gedanken in Jordans Kopf. Wäre es nicht besser für sie alle - einfacher -, wenn Angel Ivanas Vater wäre und nicht er selbst? Er hatte keine Ahnung von Kindern, er konnte nicht wirklich mit ihnen umgehen, eigentlich nervten sie ihn auch und sie passten nicht einmal in seine Lebensplanung. Jedenfalls nicht im Moment. Vielleicht, wenn seine Karriere zu Ende war. Dann, wenn er Zeit hätte, genug Zeit. Wenn er oft zuhause war, wenn er nicht immer verreisen musste. Dann vielleicht. Aber auch wirklich nur vielleicht.

Angel dagegen schien keine Probleme mit Ivanas Auftauchen zu haben. Klar, er konnte mit Kindern umgehen, das wusste Jordan. Aber... Jetzt, wo Jordan darüber nachdachte, wurde ihm klar, dass er nicht so ruhig bleiben würde, wenn Angel plötzlich ein Kind hätte. Wenn er ein Kind mit einer hatte, die Jordan nicht einmal kannte. Oder noch schlimmer, wenn er sie kannte! So etwas schweißt immerhin zusammen, würde Jordan automatisch zum fünften Rad am Wagen machen. Das wollte er definitiv nicht sein.

 

Der Gedanke daran, wie viel besser es doch wäre, wenn Angel Ivanas Vater wäre, wurde also schnell wieder verworfen. Es war besser so, wie es war. Aber noch besser wäre es, wenn er selbst auch nicht ihr Vater wäre, ganz so, wie er es sowieso vermutete.

 

Es wäre doch am besten, oder?

 

Der Kroate ließ das friedliche Bild zurück, schloss die Tür vorsichtig und leise, wollte die beiden immerhin nicht aus ihrer kleinen Welt reißen. Er selbst wandte sich wieder der harten Realität zu, schnappte sich sein iPad und sein iPhone, ging ein paar Nummern und E-Mail-Adressen durch, während der Fernseher im Hintergrund die ekelhafte Stille verdrängte. Es war wirklich verdammt einsam nachts im Wohnzimmer, aber immerhin brachte es ihn eventuell ein paar Schritte weiter. Schlafen konnte er gerade sowieso nicht mehr.

While The Kids Sleep

Der Tag im Einkaufszentrum verging wie im Flug, Ivana musste sich wie eine Prinzessin gefühlt haben. All die neuen Klamotten, all die Haarspangen und Zopfgummis, mit denen sie die hübschesten Frisuren bekommen könnte – vorausgesetzt Jordan und Angel bekamen sie hin. Dazu all die tollen Spielsachen, die sie bekommen hatte, so als wäre Geburtstag und Weihnachten zusammen. Sie konnte sich wünschen, was sie wollte und sie bekam es. Ganz dringend mit musste auch ein kleiner Teddybär mit einer süßen Schleife um den Hals, richtig flauschig und weich. Auch eine Barbie durfte nicht fehlen, sie hatte mindestens so hübsche Klamotten wie Ivana selbst. Und sie waren wirklich hübsch, dank des scheinbar angeborenen guten Geschmacks von Ivana, der mit Jordans sehr gut harmonierte. Angel hatte sich zur Sicherheit völlig herausgehalten, immerhin wusste er genau, dass Jordan von seiner Kleidungsauswahl nicht sonderlich viel hielt. Wegen so etwas mussten sie aber auch keinesfalls streiten. Am Ende zahlte sich seine Zurückhaltung aus.
 

Ivana hatten sie längst ins Bett gebracht, mittlerweile lagen sie selbst in ihrem. Jordan mit einer Sportzeitschrift in der Hand irgendwo zwischen sitzen und liegen, Angel angekuschelt an ihn, lediglich von Jordans Oberarm irgendwie auf Distanz gehalten. Eine seiner Hände glitt über Jordans Brust, streichelte ihn zärtlich, malte kleine ungesehene Bilder und stahl sich irgendwann dann unter das T-Shirt, das der Sportler trug.

„Du solltest das ausziehen“, murmelte er, blickte etwas amüsiert und irgendwie vielsagend zu Jordan. „Du trägst doch sonst auch keins im Bett.“
 

„Ich weiß. Aber jetzt haben wir ein Mädchen im Haus.“
 

„Das ist irgendwie süß“, kommentierte Angel schmunzelnd, kuschelte sich wieder mehr an seinen Arm, der immer noch wie eine Wand zwischen ihnen lag, die Hand dabei weiter auf der warmen Haut des Kroatens liegend. Dieser verdrehte nur die Augen.
 

„Komm schon, kein Vater riskiert, dass sein kleines Mädchen ihn leicht bekleidet sieht. Das ist doch...“
 

„Ist ja gut, ich verstehe dich. Aber ich wünsche mir, dass du es dennoch für mich ausziehst. Nur jetzt.“
 

Die sanfte und doch leicht rauchige Stimme von Angel ließ Jordan von seiner Zeitschrift aufsehen, brachte ihn dazu sie schließlich noch offen auf der Decke ablegen und ein Stückchen hoch zu rutschen, um sich besser aufrecht halten zu können. Ihre Augenpaare trafen sich, als der Sportler begann das T-Shirt an seinem Nacken zu greifen. Er zog es sich über den Kopf, ließ es dann achtlos zu Boden fallen. Erneuter Blickkontakt, der nicht lange hielt, gelöst von Angels rastlosen Augen, die über die gut trainierte, fast stählerne Brust seines Lebensgefährten wanderten, hinunter über jeden noch so kleinen klar definierten Muskel seines Bauches. In sein Blickfeld schlichen sich auch seine eigenen, leicht schwitzenden Finger, die jeden einzelnen dieser Muskeln abtasteten, nachzeichneten, sanft berührten, sodass es dem Kroaten eine leichte Gänsehaut verschaffte.
 

Und jetzt war es an ihm, den fast schon hypnotisierten Blick von Angel zu nehmen, indem er langsam die Augen schloss, während er sich zu ihm vorbeugte und seine Lippen auf die des anderen legte – so selbstverständlich, als wäre das nie ein Problem gewesen. Als wäre es immer so gewesen. Als wären all die Anfangsprobleme, die harten Zeiten, die Angel unter Jordans Verleugnungen durchmachen musste, nie gewesen. Und es fühlte sich so gut an, entlockte dem jungen Psychologen immer noch ein Lächeln.

Unter den intensiver werdenden Küssen, den flüchtiger und rauer werdenden Berührungen, den angeschmiegten zwei Körpern, erhitzten sich die Gemüter der zwei jungen Männer, erhitzte sich ihre Haut, mehr und mehr. Und anstatt sich nur mit dem Reizen von Jordans Brustwarze zufrieden zu geben, glitt Angels Hand zielgerichtet weiter nach unten, ließ sich von dem Gummibund der Shorts nicht aufhalten, brachte seine Finger geschickt unter den Stoff, nur, um dann berühren zu können, wonach er sich gerade sehnte.

 

„H-halt! Das nicht!“, kam es leiser, aber verdammt energisch und fast schon ein wenig panisch von Jordan, ungewohnt für Angel, denn die Zeiten in denen der Kroate noch jeden Versuch intim zu werden abblockte, waren längst vorbei. Genau wie die Zeiten, in denen er sich noch zierte, Angel dort anzufassen. Umso größer war das Fragezeichen in seinen Augen, als er den Sportler ansah.
 

„Warum nicht?“, fragte er sanft, küsste ihn nochmal kurz auf die Lippen, hatte die Hand vorerst aber wieder zurückgezogen. „Ich hab dich schon seit Donnerstag vermisst.“
 

„Wegen dem Mädchen. Wir können das nicht machen.“
 

„Im Ernst, Jordan?“, kam es fast ein wenig amüsiert von Angel, der über die manchmal wiederkehrend prüden Momente von seinem Lebenspartner wirklich nur schmunzeln konnte. „Was denkst du, wie andere Eltern das machen?“
 

„Gar nicht? Oder sie warten wenigstens, bis ihre Kinder nicht zuhause sind. Bei den Großeltern...bei Freunden, irgendwo anders eben.“
 

„Es ist okay, sie schläft. Wir müssen nur etwas leiser sein und wenn du dich dann besser fühlst, schließen wir die Tür ab. Dann wird sie nichts sehen, was sie nicht sehen sollte“, versuchte Angel seinen Lebensgefährten zu beruhigen, zu überzeugen, davon, dass das hier nur natürlich war und niemand von ihm verlangte, jetzt komplett abstinent zu werden.

Sanft strich er Jordan über die Wange, küsste ihn noch einmal, bevor er sich schließlich etwas hinabbeugte, seine Lippen an der Brust des Sportlers absetzte und sanfte Küsse darauf verteilte. Einen kurzen Moment lang spürte er Jordans Hand in seinen Haaren.
 

„Okay...okay, ich schließ' die Tür ab“, kam es dann nervös, ein wenig hektisch vom Kroaten, während er unter Angel etwas unruhig wurde, sich dann unter ihm weg stahl und zur Tür aufmachte. Nur, um wirklich sicher zu sein.

Doch noch bevor er nach dem Schlüssel greifen konnte, bewegte sich die Türklinke, ließ ihn zur Salzsäule erstarren, während er fassungslos auf die Tür starrte. Einen Moment lang wünschte er sich, er wäre schneller gewesen, hätte einfach den Schlüssel geschnappt, ihn umgedreht und gut wäre es gewesen. Aber er konnte sich einfach nicht bewegen, da war die Tür auch schon offen, das kleine Mädchen klebte an seinem Körper und jammerte etwas vor sich hin, das Jordan unter all den zerplatzenden sexy Seifenblasen gar nicht wahrnahm.
 

„Was ist bei diesem Kind eigentlich falsch gelaufen?“, murmelte er stattdessen vor sich hin, nicht gerade begeistert, irgendwie grummelig. Angel dagegen schaffte es aus seiner Überraschung heraus schneller zurück in die Rolle des liebevollen Stiefvaters, blieb allerdings im Bett sitzen, wahrscheinlich weil die leichte Wölbung in seiner Hose unter der Decke besonders gut versteckt werden konnte.
 

„Hattest du einen Albtraum?“
 

„Mh-mh...“, verneinte das kleine Mädchen wortlos, drängte sich dabei mehr an Jordan, der sichtlich überfordert und irgendwie genervt war von der kleinen Klette. Deshalb wurde sie dann auch bestimmend weggeschoben.

„Ich hab Angst... Ich bin ganz alleine und es ist so dunkel. Es ist gruselig!“
 

„Wir hätten ihr auch ein Nachtlicht kaufen sollen“, kommentierte Jordan ein wenig genervt.
 

„Wenn du möchtest, können wir dir die Lampe auf dem Nachttisch anlassen. Und du hast doch den Teddy, der beschützt dich, da musst du keine Angst haben.“
 

„Ich- ich will aber hier bei euch schlafen.“

Die Blicke der beiden jungen Männer, die sich trafen, waren alles andere als wirklich verzückt, doch sie beide waren sich scheinbar immerhin in einem einig – keiner von ihnen wollte derjenige sein, der Sex dem kleinen Mädchen vorzog und sich damit als Rabenvater darstellte.
 

„Ich sagte ja: Wenn sie nicht da sind.“, kommentierte Jordan noch unnötigerweise, um zu zeigen, dass er natürlich völlig Recht behalten hatte, während er zum Bett zurückging und sein Shirt wieder über den Kopf zog. Das würde jetzt definitiv an bleiben. Die Sportzeitschrift verabschiedete sich jetzt auch völlig aus dem Bett, während etwas anderes dafür den Platz in der Mitte fand.

Und so waren Jordan und Angel wieder getrennt durch eine Wand, die dieses Mal in Form eines kleinen Mädchens zwischen ihnen lag, gezwungen unbefriedigt einzuschlafen. Als Familie, nicht als Liebhaber.

Like A Family

„Siehst du ihn? Da hinten, da ist er“, sagte Angel zu dem kleinen Mädchen an seiner Hand und zeigte dabei zum anderen Ende des Fußallplatzes. Während die Ersatztorhüter im weit entfernten Tor ein paar Schüsse des Trainerstabes parierten, waren die Feldspieler in mehrere Kleingruppen aufgeteilt, standen hintereinander Schlange und warteten darauf, dass sie an der Reihe waren, um mit zwei weiteren Spielern eine kleine Flankenkombination durchzuprobieren. Ein Schuss auf das Tor – nein, viel mehr in das Tor – war das Ziel. Dennoch gab es immer nur eine Schusschance, um der drohenden Strafe von zehn Liegestützen zu entgehen, die bei Versagen auf der Stelle abgearbeitet werden musste. Der einzige Torhüter im Tor bekam bei einem Gegentor keine Strafe, lieferte sich allerdings dennoch ein paar motivierende Wortgefechte mit seinen Kollegen.

Es schien eine ziemlich gute Stimmung auf dem Trainingsplatz zu herrschen, erinnerte Angel stark an die Trainingseinheiten damals auf der High School. Die Jungs vom Basketballclub hatten in den meisten Fällen auch immer Spaß beim Training, waren ausgelassen, lieferten sich kleine Privatwettkämpfe untereinander, um sich anzuspornen. Manche Dinge schienen sich nicht einmal zu ändern, wenn man erwachsen wurde. Nicht einmal im Profisport.
 

Es war lange her, dass Angel Jordan beim Training mit seinen Teamkollegen beobachten konnte. Meistens hatte er ihn nur alleine trainieren sehen. Joggen, Sprints, Hanteltraining, Liegestütze, Situps. All das, was der Kroate zuhause oder zu ihrer Studentenzeit im Park absolviert hatte. Streng, verbissen, ernst. Er wollte so dringend besser werden, stärker werden, perfekt werden. Ihn jetzt so ausgelassen auf dem Trainingsplatz zu sehen, einen Schritt näher an seinem großen Ziel, Angel konnte nicht anders als zu lächeln. Er war glücklich, Jordan so zu sehen, vielleicht sogar ein bisschen erleichtert. Und er war natürlich auch endlos stolz auf ihn.

Sein Stolz wurde auch nicht weniger, als Jordan den Ball im Tor versenkte – es war nicht mal ein richtiger Schuss, eher lief er irgendwie in den Ball und traf ihn dennoch gut genug in der Bewegung, um ihn am Torhüter vorbei zu stolpern und im Netz unterzubringen.
 

„Tor! Er hat ein Tor gemacht!“, quietschte Ivana vergnügt, hing halb auf den Zehenspitzen, um besser über die Bande blicken zu können. Angel hätte sie ja hochgehoben und auf die Absperrung gesetzt, damit sie besser sehen kann, doch dahinter war es sicherer, nicht, dass sie noch von einem verunglückten Pass, Torschuss oder einer Faustabwehr getroffen wurde.
 

„Ja, das hat er“, bestätigte Angel, ein Lächeln auf dem Gesicht, während er beobachtete, wie Jordan mit dem Torwart über den etwas missglückten Schuss flachste, den sein Kollege dennoch nicht hatte halten können. Die zwei Männer lachten herzlich und während der Kroate sich gerade wieder auf den Weg machen wollte, um sich an anderer Position wieder anzustellen, gefolgt von einem Klopfen auf seinem Rücken, da stockte der Mittelfeldspieler, suchte die Seitenlinie ab und traf Angels Blick erst, nachdem sein Torhüter-Kollege mit dem Finger auf ihn und Ivana zeigte. Was auch immer sie sprachen - er konnte sie auf die Entfernung natürlich nicht verstehen -, wirklich lange dauerte es nicht, bevor Jordan die Hand kurz zum Gruß in die Luft hielt und sich dann doch wieder anstellte, wo er sich anzustellen hatte. Das Training ging nun einmal vor, das war dem jungen Mann klar, der Kroate würde schon zu ihnen kommen, sobald das Training beendet war. Dann hatten sie definitiv noch genug Zeit, um sich zu unterhalten.
 

Viel geschah auf dem Platz nicht mehr. Noch ein paar Schüsse, dann folgte zum Abschluss der Trainingseinheit das übliche Match zwischen zwei zusammengewürfelten Teams. Während Angel den Trubel auf dem Platz noch verfolgte, dabei eigentlich nur Augen für seinen Jordan hatte, hatte Ivana angefangen den Rasen hinter der Absperrung nach Blumen abzusuchen und war mittlerweile ein Stück weiter an einem Beet gelandet. Fußball war eben doch nicht wirklich spannend für das kleine Mädchen und nicht einmal für ihren Daddy konnte sie genug langfristiges Interesse aufbringen. Sie war eben nicht Angel.
 

„Für einen Moment dachte ich, ich hätte die Kleine gesehen. Wo hast du sie abgesetzt?“, fragte Jordan, als er verschwitzt zu Angel kam, konnte sich nicht mal mehr das Leibchen in Ruhe über den Kopf ziehen, da wurde er schon fast wahllos wirkend von ein paar Leuten angefallen, die sich nun ebenfalls näher an die Bande gedrängt hatten, um ein Autogramm zu ergattern. Sie hielten ihm Trikot, Autogrammkarte, Buch oder einfach irgendein Foto vor die Nase, gemeinsam mit einem offenen Edding. Und wieder hatte der Psychologe das Nachsehen, jedenfalls für diesen Moment. Der Sportler kam den drängenden Bitten nach, machte seinen Job und kritzelte ein paar unleserliche Autogramme auf alles Mögliche – Ausnahme war blanke Haut. Nicht, dass das nie angeboten wurde...
 

„Sorry. Also...“, begann der Sportler wieder, als er die Fans weitestgehend zufriedengestellt hatte, vorerst, denn das waren noch längst nicht alle gewesen.
 

„Schon gut“, entgegnete Angel kurz, ein ehrliches, sanftes Lächeln auf dem Gesicht, das vollkommenes Verständnis ausstrahlte. „Natürlich habe ich Ivana mitgebracht, sie ist da drüben. Die Liebe zum Fußball musst du bei ihr scheinbar erst noch entflammen.“
 

„Haha, wird nicht nötig sein. Und jetzt schmier' dir dieses blöde Grinsen aus dem Gesicht.“

Doch das blöde Grinsen ließ sich nicht durch bloße Worte wegwischen, schon gar nicht, weil die Laune des jungen Mannes einfach zu gut war, viel zu gut. Und sie wurde definitiv nicht schlechter, als sich Ivana wieder zu ihnen gesellte, ein paar Blümchen in der Hand, die sie hoch zu Jordan streckte.
 

„Sieh mal, was ich gefunden habe!“

Begeisterung machte sich nicht gerade auf Jordans Gesicht breit, als er die Blumen ansah. Er war nie wirklich gut darin, seine Entgeisterung versteckt zu halten, erst recht konnte er keine Begeisterung vortäuschen, wo keine war. Und ehrlich gesagt versuchte er so etwas auch nie, das war eben Jordan. Einen Spruch verkniff er sich dann allerdings doch, Ivana war immerhin noch klein und konnte damit sicherlich nicht umgehen. Letztendlich konnte sie ja auch nichts dafür, dass sie ein Kind war und der Sportler ihre Begeisterung für Kinderkram einfach nicht teilte. Genau so wenig, wie für Mädchenkram übrigens, was nur gerecht war, wo sie doch seine Begeisterung für Männerkram auch nicht teilte. Fand er jedenfalls.
 

„Ganz toll“, kommentierte der Kroate kurz, monoton, nicht wirklich überzeugend, doch für das euphorische Mädchen war das genug, um seine Worte als Lob zu interpretieren. Gerade, wo sie auf einer Welle der Vorfreude schwamm.
 

„Können wir jetzt endlich in den Zoo? Ich will die Giraffen sehen!“
 

„Ihr wollt in den Zoo?“, fragte Jordan, zuckte dann aber mit den Schultern. „Ich muss jetzt eh in die Kabine. Viel Spaß. Oh- Und kauft keinen Kram aus dem Souvenirladen. Den braucht kein Mensch.“
 

„Wir drei, Jordan.“
 

„Du machst Witze...“, hoffte Jordan, doch wirklich lange hielt diese Hoffnung nicht an, als er in Angels Gesicht sah. Umso verständnisloser wurde sein eigenes. „Sonntag waren wir auf dem Spielplatz, gestern waren wir für sie einkaufen, heute sollen wir in den Zoo. Und morgen fahren wir nach Disneyland oder was? Meinst du nicht, dass du es ziemlich übertreibst? Das ist doch kein normales Leben mehr für so ein Kind. Die gehen...zur Schule, dann spielen die ein bisschen alleine draußen – im Garten oder auf der Straße. Aber die gehen nicht jeden Tag mit ihren Eltern irgendwo hin.“
 

„Es ist auch definitiv keine normale Woche für die Kleine. Ich habe jetzt frei, das ändert sich aber auch die nächsten Tage wieder. Dann habe ich wieder weniger Zeit, du bist am Wochenende wieder unterwegs, wir müssen die Tage nutzen, die wir jetzt haben. Also bitte, komm mit uns.“
 

„Bitte!“, stimmte auch Ivana mit ein.
 

Jordan musste sich eingestehen, dass sein Lebenspartner irgendwo recht hatte. Für all das hier hatten sie sicherlich schon sehr bald keine Zeit mehr. Wenn sie ihr etwas bieten konnten, dann jetzt. Und genau das war es, was Jordan zu schaffen machte. Er hatte keine Zeit für ein Kind. Er wollte nicht, dass sein Kind so aufwachsen müsste.

„Ist ja gut. Wartet auf dem Parkplatz auf mich“, sagte Jordan noch, als er sich auf den Weg zurück machte, sich seinen Weg durch die restlichen, wartenden Fans bahnte, von Fotos und Autogrammen immer mal wieder aufgehalten wurde.
 

 

***

 
 

Sie hatten schon vieles gesehen, jedenfalls kam es Jordan so vor, doch sie hatten dennoch erst einen Bruchteil des Zoos hinter sich gelassen. Langsam zweifelte er daran, dass sie es überhaupt an einem Tag schaffen würden, alle Tiergehege und Gewächshäuser abzuarbeiten. Jedenfalls sah das Glashaus des Schmetterlingsgartens aus wie eines, vor allem, weil dort natürlich auch Unmengen an Pflanzen mit drin waren. Es war schon verrückt und irgendwie beeindruckend, so viele Schmetterlinge auf einem Haufen zu sehen, aber jegliches Staunen redete er sich selbst wieder aus. Er war ein Mann, ein erwachsener Mann. Und das hier war ein Zoo, spannend vielleicht für Kinder, so sah er es jedenfalls.

Die afrikanischen Tiere, die sie bisher gesehen hatten, waren jetzt auch nicht unbekannt für ihn, dennoch ließ er meistens Angel die Fragen der kleinen Ivana beantworten, las selbst vielleicht mal die ein oder andere Tafel vor, die dort vor den Gehegen standen. Letztendlich war das hier wie ein endlos langer Spaziergang mit ein paar Tieren. Wenigstens konnte Ivana dabei etwas lernen.
 

Nachdem sie den linken Flügel des Zoos abgearbeitet und wieder das Zentrum erreicht hatten, waren die Erwachsenen der Meinung, eine kleine Pause würde ihnen gut tun. Ein bisschen sitzen, ein bisschen essen und viel trinken. Sie standen noch nicht lange an einer der überfüllten Buden an, Jordan konnte bisher nur mit Mühe einigermaßen die Auswahl an Gerichten erkennen. Es war gutes Wetter, es waren die ersten schönen Tage im Jahr, klar, dass viele Leute die Chance nutzten, um ein bisschen Sonne zu tanken, ein bisschen die frische Luft genossen, doch ganz begreifen konnte der Sportler es dennoch nicht. Hatten die alle sonst nichts zu tun? Mussten sie alle heute hier in der Schlange vor ihm stehen?
 

„Ich muss mal“, kam es jetzt von einem hellen Stimmchen neben ihm. Auch das noch...
 

„Was...auf Klo? Jetzt?“
 

„Ja...“

Kinder konnten ja so elendig gequält klingen, wenn sie dringend auf Toilette mussten. So alt wie sie war, war sich Jordan nicht sicher, wie lange sie überhaupt aushalten könnte. Nicht, dass sie sich gleich noch in die Hosen machte. Dass Jordan keine Lust hatte, mit dem Mädchen auf Toilette zu gehen, nicht sicher, ob er ihr dann auch noch den Popo abwischen müsste, schien Angel nicht nur zu ahnen, sondern sogar regelrecht zu wissen.
 

„Ist schon gut, ich geh' mit ihr“, bot er nämlich netterweise an. „Du kannst so lange die Stellung in der Schlange halten und wenn du dran bist-“
 

„Nein, schon gut. Ich geh'“, kam es plötzlich wie aus der Pistole geschossen von dem Kroaten. Ziemlich zu Angels Überraschung. Und ja, Jordan konnte sich wirklich besseres vorstellen, als mit dem Mädchen auf Toilette zu gehen, aber es gab eben auch schlechteres: sich ungeduldig in einer ziemlich langen Schlange die Beine in den Bauch zu stehen. Das konnte er mit seiner Ungeduld gerade wirklich nicht vereinbaren, da kam ihm dieser kleine Ausflug auf das stille Örtchen doch irgendwie gelegen.
 

„Du kannst mir einen Chickenburger bestellen, wenn die sowas haben. Und sonst...du weißt ja, was ich mag.“
 

„Und ich will Pommes!“
 

„Okay, dann bis gleich“, sagte Angel noch, bevor Vater und Tochter Reißaus nahmen, ihn an der Bude stehen ließen, um schnellstmöglich zu den nächsten Toiletten zu kommen. Wie selbstverständlich hatte der Kroate die Hand des kleinen Mädchens gegriffen, zum allerersten Mal überhaupt, er merkte nicht einmal, wie sie glücklich vor sich hin lächelte. Stattdessen suchte sein Blick die Parkschilder nach der nächsten Toilette ab, wahrscheinlich war der Souvenirladen aber doch am nächsten dran. Ausgerechnet der Souvenirladen. Doch bevor sie dort ankamen, bemerkte er seine offenen Schnürsenkel, die schon eine Weile im Dreck unterwegs zu sein schienen, so braun gesprenkelt, wie sie waren.
 

„Das darf doch nicht wahr sein...“, begann Jordan genervt, ließ die Hand von Ivana los und hockte sich runter, versuchte den Dreck von den Schnürsenkeln zu klopfen – vergeblich – und sich die Schuhe wieder zuzubinden. „Warte kurz, Ivana. Ich bin sofort-“

Doch als er wieder aufblickte, da sah er kein kleines Mädchen mehr. Nicht neben sich. Nicht zwischen den Menschen, die um sie herum unterwegs waren. Nicht an einem Gehege, nicht an dem Gebäude des Souvenirladens. Und je länger er sich umschaute, desto größer wurde das Gefühl von Panik, das sich in ihm breit machte.
 

„Ivana? … Ivana?!“
 

Jordan bahnte sich seinen Weg zum Souvenirladen, schaute bei den Toiletten, schaute bei den Souvenirs, fragte Kassiererinnen und andere Besucher, die sich gerade in der Nähe aufhielten. Nichts. Die Panik stieg an. Was sollte er jetzt tun? Was taten andere Eltern in dieser Situation? Vielleicht hatte sie sich verlaufen. Vielleicht wurde sie entführt. Vielleicht- Jordan wollte gar nicht dran denken, dass sie in eines der Gehege gefallen sein könnte.
 

Schwer schluckend, mit Füßen aus Blei schleppte er sich langsam zurück zu Angel, das schlechte Gewissen, die Schuld, erdrückten ihn fast. Aber wenn ihm jetzt jemand helfen könnte, dann vermutlich Angel. Auch, wenn er es ihm gar nicht sagen wollte, er musste es wohl oder übel. So, wie er aussah, blass, Schweiß auf der Stirn, die unruhigen Augen, Angel würde es ihm sowieso ansehen.
 

„Hey, du siehst ja völlig verstört aus. So schlimm kann es doch nicht gewesen sein“, kommentierte Angel amüsiert, er hatte ja keine Ahnung, was los war und-
 

„Das ist nicht lustig!“, fauchte Jordan hastig, bevor er wieder schlucken musste. „Ich hab sie verloren. Ich hab nur kurz nicht hingesehen und dann war sie...weg. Ich hab überall gesucht, Angel. Überall!“

Wie ernst es Jordan war, wie fertig er war, das war jetzt deutlich zu sehen, ließ Angel den Witz, den er eben noch gerissen hatte, bereuen. Und er tat ihm auch ziemlich leid, immerhin konnte er nur zu gut verstehen, wie sich der Kroate fühlen musste. Zu gerne hätte er ihn jetzt in den Arm genommen, ihn einfach an sich gedrückt, ihm beruhigend über den Rücken gestreichelt und ihm die folgenden Worte ins Ohr geflüstert, statt sie über die für ihn viel zu große Entfernung zu sagen.
 

„Tut mir leid, Jordan. Aber jetzt ist ja alles wieder gut.“
 

„...Was?“
 

„Na, sie ist doch wieder da“, bemerkte Angel, deutete an seinem Lebensgefährten vorbei zu dem kleinen Mädchen, das unbemerkt hinter dem Kroaten stand. Jedenfalls hatte Jordan sie bis zu Angels Andeutung nicht bemerkt. Doch anstatt sie erleichtert in die Arme zu schließen – Wer würde so etwas auch von ihm erwarten? - entlud sich die Anspannung, das Blei in seinen Füßen, die Last auf seinen Schultern deutlich anders, auf typische Jordanweise.
 

„Bist du irre?! Ich hab gesagt, du sollst kurz warten und du rennst einfach weg?! Ich hab dich überall gesucht, verdammt!“

So wutentbrannt, so zischend, so energisch wie er das kleine Mädchen ausschimpfte, war es kein Wunder, dass sich Tränen in ihren Augen sammelten, während ihr Gesicht an Farbe zulegte, die Mundwinkel stark nach unten verzogen wurden. Schutz und Hilfe suchend eilte Ivana zu Angel, krallte ihre Hände in seine Hose, vergrub das Gesicht an seinem Bauch und weinte hemmungslos bittere Tränen, die ein Kind weinte, wenn es ihren Daddy böse erzürnt hatte. Dabei war er in erster Linie erleichtert...
 

„Jordan“, kam es ein wenig tadelnd von Angel, unnötig, fühlte sich Jordan doch jetzt schon schlecht genug. Schönreden konnte er es sich jetzt nur noch damit, dass er sie immerhin nicht geschlagen hat. Seine Emotionen einigermaßen in den Griff zu bekommen und vor allem nicht handgreiflich dabei zu werden, das hatte ihn schon für den Verein ein bisschen Training gekostet. Umso mehr zahlte es sich jetzt hier aus. Dennoch konnte er nie so werden wie Angel, der dem kleinen Mädchen behutsam über den Kopf strich. Er konnte so etwas nicht.
 

„Willst...du ein Eis, Ivana?“, fragte Jordan fast schon verkrampft. Er konnte diesen Daddy-Kram nicht. Und er konnte sich nicht entschuldigen...
 

„Hörst du das? Dein Daddy kauft dir ein Eis. Aber vorher essen wir noch etwas Richtiges, ja?“, versuchte Angel mit ruhiger Stimme zu helfen, bisher hatte sich das kleine Mädchen immerhin noch nicht geregt gehabt. Doch jetzt ließ sie lockerer, sah zu Angel auf und nickte kurz, das Gesicht noch ein wenig nass und rot. Er war eben nicht Angel, scheinbar schien nichts richtig zu helfen, was der Kroate tat. Und während sie wieder anstanden, in der scheinbar nicht endenden Schlange vor der Fressbude, ging Jordan dieser Gedanke nicht mehr aus dem Kopf. Er war nicht Angel.
 

„Ich bin mal kurz telefonieren, ja?“, sagte der Kroate knapp, wartete auch nicht auf eine Reaktion als er losging, etwas abseits, das Smartphone schon aus der Hosentasche gezogen.

The Truth Is Revealed

Das Licht im Wohnzimmer war stark gedimmt. Am stärksten erhellten den Raum neben dem Fernseher noch die Kerzen, die Angel unnötigerweise angezündet hatte. Jedenfalls empfand Jordan es als unnötig, gar störend. Nicht, weil er Kerzen und Romantik nicht mochte, er fand es okay, es war ertragbar und irgendwie hatte es ja schon etwas. Doch im Moment war Jordan ganz und gar nicht danach. Die DVD, die sie schauten, war auch mehr ein Vorwand, als wirklich gewollt. Irgendwie versuchte Jordan dem längst überfälligen Gespräch aus dem Weg zu gehen, es vor sich hin zu schieben, wegzulaufen vor all den Antworten, die er gefunden hatte und die er Angel früher oder später mitteilen müsste. Je länger er es hinauszögerte, desto schlimmer würde es werden, da war sich der Kroate sicher. Doch das hieß nicht, dass es mit diesem Gedanken einfacher wurde. Im Gegenteil. Jede Sekunde, die er nur daran denken konnte, quälte ihn, folterte ihn, ließ ihn wünschen, er hätte das alles nie bemerkt, damit sie einfach weiterleben könnten, als Familie, die sie nun irgendwie waren.

Die Hände des Kroaten glitten durch Angels Haare, streichelten ihn schon eine ganze Weile, er konnte sich nicht einmal mehr dran erinnern, wie lange sie hier schon auf dem Sofa am Kuscheln waren. Jedes Zeitgefühl war verloren und von dem Film hatte er nicht mal einen Bruchteil mitbekommen. Jordan war völlig ruhig, völlig abwesend, völlig Gefangen in seinen Gedanken, die wieder und wieder alles abspielten, was passiert war, was er wusste, was er sagen würde.
 

„Was hältst du davon, wenn wir unseren nächsten Urlaub auch an einem Haus am See verbringen?“
 

„Mhm...“
 

„...Jordan?“
 

Fragend drehte Angel den Kopf, schielte zu seinem Lebensgefährten hoch und runzelte die Stirn. Der Angesprochene reagierte wieder nur mit einem Brummen, was ihm ein kurzes, nicht allzu festes Kneifen in die Seite einbrachte, welches wieder mit einem Brummen – deutlich lauter, deutlich genervter und deutlich erschrocken – quittiert wurde. Aber immerhin hatte Angel jetzt Blickkontakt und seine Aufmerksamkeit.
 

„Was ist los? Ich hab dich jetzt schon drei Mal angesprochen und alles, was von dir kam, war 'Mhm'.“
 

„... Oh... Ich hab nur ein bisschen nachgedacht. Nichts Dramatisches“, beteuerte Jordan, sichtlich perplex und durch den Wind wirkend, was Angels Blick nur skeptischer machte. Er wusste, dass der Kroate etwas verheimlichte, dass er irgendetwas in seinem Kopf ausbrütete, worüber er scheinbar nicht sprechen wollte. Er wusste, wie Jordan drauf war, wenn er – wie so oft – vor etwas davon lief. Aber wenn er nicht reden wollte...
 

„Okay... Bist du bezüglich Ivanas Mutter schon voran gekommen? Es ist jetzt drei Tage her...“

Kurzes Schweigen von Jordans Seite, während er die Lippen zusammenpresste. Er wollte es nicht sagen. Aber er musste es.
 

„Mhm. Ich hab sie gefunden“, murmelte er, noch deutlich hörbar für Angel, der seinen Kopf immerhin an die Schulter des Sportlers gelehnt hatte. Daraufhin kam erst einmal nichts mehr von Jordan. Gefolgt von einem Seufzen richtete sich Angel auf, setzte sich aufrecht hin und sah ihn an. Der aber hatte seinen Blick stur auf den Fernseher gerichtet.
 

„Bitte, Jordan. Lass mich nicht weiter nachfragen müssen. Sag es mir. Sag mir, was du weißt.“
 

„Okay. Aber merk dir eines, ja? Egal, was ich dir jetzt sage, ich sage das, weil...ich dich liebe, okay? Was auch der Grund ist, warum ich es eigentlich gar nicht erst sagen wollte...“
 

Auch Jordan richtete sich auf, wagte es, den Blick vom Fernseher zu nehmen und Angel anzusehen, ein Fehler, wie er schnell merkte. Der verwirrte, doch auch ernste Blick, den er dort vorfand, war noch harmlos, war erst der Anfang. Doch es reichte zu wissen, was noch kommen würde, um es nicht mehr ertragen zu können, ihn anzusehen. Jordan musste aufstehen, hatte keine Ruhe mehr, musste ein paar Schritte durch das Wohnzimmer gehen und ihm schließlich den Rücken zudrehen. Er musste es wirklich.
 

„Es dauerte etwas, bis ich sie gefunden hatte. Ich hab alle Ehemaligen kontaktiert, wie du gesagt hast. Manche waren nicht gerade erfreut, vor allem auch, was meine Fragen anging, aber hey, immerhin konnte ich sie dann ausschließen. Und nachdem ich alle abgeklappert hatte, war ich immerhin im Recht. Keine von ihnen hat ein Kind, das Ivana heißt. Und keine von ihnen hat ein Kind von mir.“
 

So Recht wusste Jordan nicht wohin mit sich, war immer noch unruhig, musste ein paar Schritte auf und ab gehen. Seine Hände hatte er in seinen Hosentaschen verbarrikadiert, zu Fäusten geballt. Er wagte keinen Blick zu Angel.
 

„Aber du hattet auch Recht. Sie ist meine Tochter“, sagte Jordan, ein wenig zittrig in der Stimme, gab sich Mühe den großen, festen Kloß in seinem Hals hinunterzuschlucken.
 

„Du sagtest, du hast ihre Mutter gefunden.“
 

„Ja, das hab ich... Erinnerst du dich daran, wie Ivana im Zoo verschwunden ist? Das waren nur Sekunden, ich konnte sie nirgends finden. Als hätte sie sich einfach in Luft aufgelöst. Und als mir Mitchell dann sagte, er hätte beim Training heute morgen gar kein kleines Mädchen, sondern nur dich gesehen, da dämmerte es mir langsam. Und ich denke, langsam dämmert es dir auch.“
 

Jordan wusste, dass es ein Fehler sein würde, er wusste, was ihn erwarten würde, aber so dumm dieser Impuls auch war, er musste sich umdrehen, musste Angel ansehen, um sicher zu sein, das er verstanden hatte. Die weit geöffneten, flackernden Augen sagten genug, sprachen von leichter Panik, vor allem aber von einem tief sitzenden Schmerz, der Angel durchzog. Verzweiflung machte sich in ihnen breit. Jetzt war es Angel, der weglaufen wollte, weglaufen vor der Wahrheit, die kurz davor war, sein Herz herauszureißen und ihn in völligem Wahnsinn zurückzulassen.
 

„Das kann nicht sein, Jordan. Das ist lange vorbei...“

Noch während er diese Worte leise vor sich hin stammelte, erschien das kleine, dunkelblonde Mädchen in der Tür, gekleidet in ein rosa Nachthemd, besetzt mit Schleifen und verziert mit Rüschen, den Teddy in der Hand, den sie gestern im Einkaufszentrum gekauft hatten.
 

„Offensichtlich ist es das nicht. Sie ist nicht echt sondern von dir erschaffen worden. Du musst loslassen, Angel.“
 

„NEEEIIIIIN!!!!“, kreischte das Mädchen, ließ den Teddy fallen als es zu Angel lief, ihn mit ihren kleinen, schwitzenden Händen am Oberarm packte. „Mach, dass er aufhört! Bitte! Lass nicht zu, dass er sowas sagt! Bitte!!!“
 

Ihre Stimme wurde immer flehender, brüchiger. Das und die Verzweiflung auf ihrem Gesicht, die von Tränen gefluteten Augen, ließen Angel nun ebenfalls die Fassung vollends verlieren. Seine Augen brannten, füllten sich unaufhaltsam immer mehr mit Tränen. Tränen, die ihm nur ein Blinzeln später feucht über die Wangenknochen liefen. Jordans Albtraum war eingetroffen, er wusste, dass es so kommen würde. Er wusste, dass Angels Anblick ihm das Herz herausreißen würde. Und genau so fühlte es sich an. Es war unerträglich. Er wünschte, dass es vorbei wäre. Dass er es ihm hätte ersparen können, doch ewig mit dieser Illusion leben?
 

„Lass sie gehen, Angel“, sagte Jordan ruhig, viel ruhiger, als er sich fühlte, viel stärker, als er sich fühlte. Er zeigte nahezu nie, was in ihm vorging, war nach außen hin immer stark und genau jetzt war er sich sicher, dass die Scharade sich auszeichnen würde. Er musste jetzt stark sein, die sichere Zuflucht sein, in der sich Angel behütet und beschützt fühlen könnte. Er musste auf ihn aufpassen, ihn stützen, ihn in den Arm nehmen, aber...
 

„...Paps?“, wimmerte das kleine Mädchen, als Angel die Augen schloss, kurz bevor sie sich unter Tränen auflöste.
 

Langsam ging Jordan auf Angel zu, biss sich kurz auf die Unterlippe, während er sich vor ihn kniete und seine Hand auf den Oberschenkel des jungen Mannes legte. Als dieser die Augen öffnete, glitt Jordans zweite Hand wie von selbst zu Angels Wange, strich über die Tränenspur, die dort noch im Kerzenlicht glitzerte.
 

„Du hast das Richtige getan“, sagte er ruhig, doch der Ausdruck auf Angels Gesicht und der Schmerz in seinen Augen ließen Jordan an all dem Zweifeln, ließen ihn seine eigenen Worte nicht glauben. Wie wahrscheinlich war es, dass Angel hier heile raus kam? Wie wahrscheinlich war es, dass seine Seele nicht wieder einen weiteren, tiefen Riss bekam? Sicher würde Jordan ihm helfen können, das alles durchzustehen, könnte ihm eine Stütze sein, könnte ihm all das Glück vor Augen führen, dass sie zusammen hatten. Aber-
 

„Und jetzt den Rest, Angel...“
 

„W-was...?“

Der ungläubig-verstörte Blick, die zerrissene, schwache Stimme zog Jordans Mundwinkel automatisch ein Stück höher.
 

„Komm schon, du weißt, was ich meine. All das hier...“, sprach Jordan, deutete kurz mit dem Kopf zur Seite. „Als ob ich mit dir in einem Haus wohnen würde. Und ernsthaft, New York City Football Club, was ist das für ein Name? So nennt doch niemand einen Verein, der Ahnung von Fußball hat.“

Jordans Stimme und auch sein Gesichtsausdruck würden spöttisch, völlig ironisch zu dem sanften Streicheln, dass noch immer auf Angels Wange lag. Er konnte Angel zersplittern sehen, durch die Augen, die ihren Glanz gerade verloren, stumpf wurden, starr, leer.

Alles wurde schwarz.

Epilog


 

Angel! Hey, Angel!“

 

Die Worte waren so fern, so schwach, voller Echos, die an Angels Ohr drangen, nicht definierbar, woher, nicht definierbar, wer es war, der sie ihm zukommen lassen wollte. Sie klangen verzweifelt, beunruhigt. Er schien jemandem Sorgen zu bereiten. Doch so sehr es ihm auch Leid tat – immerhin bereitete er sehr ungern anderen Sorge – , so wenig konnte er sich selbst dazu aufraffen, die Augen zu öffnen und nachzusehen, um wen es sich handelte.

Eigentlich war eh schon alles egal. Er hatte alles verloren, was ihm wichtig war. Er hatte Jordan verloren. Angel wusste nicht einmal, wann seine Realität zu einer Illusion wurde. Er konnte sich nicht erklären, wann der Kroate plötzlich aufgehört hatte zu existieren, zu leben und stattdessen ein Erzeugnis seines Verstandes wurde. Er wusste nicht mehr, was er wirklich mit ihm erlebt hatte, welche schönen Momente Wirklichkeit waren, ob überhaupt einer dieser Momente wirklich gewesen war. Aber es hatte sich so wirklich angefühlt...
 

Und jetzt wollte er nicht mehr, wollte nicht mehr aufwachen, nicht mehr in die Realität zurück, nicht in eine Welt ohne Jordan Samford. Sie wäre ohnehin genau so leer, so schwarz wie das, was er hier gerade vorfand, was ihn umgab und ihn regelrecht verschlang. Finsternis, Stille, Nichts.

Doch manchmal, für kleine Augenblicke – jedenfalls kam es Angel so vor -, da hörte er diese Stimme in weiter Ferne. Schwach, leise, nur in Bruchstücken, sodass das Gesagte oft keinen Sinn ergab. Und manchmal, ebenso selten, da spürte er eine wohlige Wärme an der Hand oder am Arm. Manchmal brachte sie auch seine Wange zum Brennen.
 

Bitte...Nicht ohne dich...“

 

Doch egal, wie schön sich diese kurzen Momente anfühlten, egal, welch wohliges Gefühl sich in seinem Körper breit machte, es konnte den Schmerz und die Trauer nicht verdrängen. Nicht einmal mindern. Und anstatt die Guten, die Schönen Dinge zu sehen, die das Leben noch für ihn bereit halten würde, vielleicht, sah Angel nur eine Welt ohne Liebe, ohne Glück und ohne Jordan. Doch die war nicht attraktiv, nicht vielversprechend genug. Sie hielt nur Leid bereit. Einmal schien er es geschafft zu haben, sich selbst etwas vorzumachen, in einer Illusion zu leben, doch noch einmal würde er sich selbst nicht so belügen können. Er würde auf das Ende warten. Und er würde es hier tun, alleine in der Dunkelheit.
 

...an den Strand gehen...“

 

Lass uns an den Strand gehen, das waren normalerweise seine Worte. Worte, die er sagte, wenn es zwischen Jordan und ihm nicht gut lief, wenn die Stimmung angespannt war, wenn sie Stress hatten. Ganz zufällig, völlig unpassend, einfach aus einer Lust heraus, aus Sehnsucht. So wie jetzt. Doch dieses Mal waren es nicht seine eigenen. Trotzdem war die Sehnsucht dieselbe. Wenn es einen Himmel gäbe, dann wäre es für Angel der Strand. Für immer mit Jordan. Für immer den Sand unter den Füßen spüren. Für immer im Wasser raufen. Für immer die Sonne untergehen sehen.
 

Wieder spürte Angel Wärme auf seiner Haut, als ob die untergehende Sonne, die lediglich in seinen Gedanken existierte, ihre letzten Strahlen auf seiner Haut verteilte. Vielleicht war es auch der Gedanke an Jordan, der Geruch seines Parfums, der Angel nur zu bekannt war. Und anstatt der Dunkelheit, die sonst auf einen Sonnenuntergang folgte, wurde es überraschend heller und heller, blendend hell, unaufhaltsam. Vielleicht war es jetzt Zeit. Er hatte lange genug gewartet.
 

Als das gleißende Licht nachließ, offenbarte sich ihm nicht der Himmel, den er sich gewünscht hatte, doch als Hölle war das, was er sah, auch nicht zu bezeichnen. Zwar war das fahle, von Augenringen geplagte Gesicht, in das er blickte nicht strahlend schön wie das eines Engels, doch es war das schönste Gesicht, das sich der junge Mann vorstellen könnte. Und er könnte es bis in alle Ewigkeit sehen. Denn es war Jordans.

Die geröteten Augen wurden größer, glänzten leicht im Licht der Deckenlampe, füllten sich mit Tränen, die der Sportler nicht zurückhalten konnte. Und jetzt spürte Angel auch den festen Griff um seine Hand.
 

„Du hast mir gefehlt“, sagte Angel schwach, ebenso schwach war sein Lächeln. Und so wenig intensiv es nach außen war, so strahlend war es in seinem Inneren. Mit Jordan musste es ähnlich sein, denn so fertig, wie er aussah, verbarg er all sein glückliches Strahlen in seinem Innersten. In erster Linie wirkte er einfach verdammt erleichtert.
 

„...Dann lieg' das nächste Mal nicht einen Monat lang im Koma!“, kam es wütend von dem Kroaten, was so viel hieß wie Du mir auch... in Jordans Sprache. Wie Angel wusste, wurde er wütend, wenn er besorgt war. Er wurde wütend, wenn er glücklich war, wenn er sich freute, wenn er erleichtert war. Er wurde immer wütend, meistens war es was Gutes. Ein großes Liebesgeständnis oder ein weicher Jordan hätten ihn jetzt nur wieder an der Realität zweifeln lassen müssen, denn das da vor ihm war sein Jordan und er liebte ihn genau so.

Aber dennoch verstand er nicht ganz, wieso der hitzköpfige Sportler hier war, wenn das ganz offenbar nicht der Himmel war.
 

„Hab ich das? … Tut mir Leid, ich weiß nicht... so ganz, was passiert ist.“

Er war offenbar im Krankenhaus, jedenfalls verriet das die Ausstattung, ebenso wie die Geräte, an die er angeschlossen waren – und das wunderschöne Nachthemd, das er trug.
 

„Ja... Nachdem Ivana sich aufgelöst hat, bist du völlig zusammengebrochen. Irgendwas hast du gestammelt, dann bist du in Ohnmacht gefallen. Ich hab den Notarzt gerufen, dann hat man dich hier her gebracht, aber du wolltest einfach nicht aufwachen. Also... kam ich jeden Tag hier her, um nach dir zu sehen. Nichts hat sich getan. Und ich dachte, dass du vielleicht nie wieder aufwachen würdest.“
 

Es war deutlich, wie sehr Jordan all das hier geschlaucht hatte. Er sah kränklich aus, ein wenig abgemagert, völlig geschlaucht. Sein Gesicht war fahl, irgendwie ein bisschen eingefallen, nicht nur die psychische Belastung, hatte seinen Körper so ausgezehrt, die sportliche Belastung hatte ihm scheinbar den Rest gegeben.
 

„Ich hab gehofft, dass... wenn ich mit dir rede, dass du dann aufwachst. Aber da es nicht anschlug, blieb am Ende nicht mehr viel Hoffnung übrig. … Ein Monat, Angel. Ein verdammter Monat.“

Es war deutlich, wie sehr Jordan in diesen Monat gelitten hatte, wie sehr es ihn zerrissen hatte und je länger Angel ihn ansah, desto schuldiger fühlte er sich. Und auch, wenn er sich nicht sicher sein konnte, ob das hier real war, ob das hier nicht wieder nur eine Illusion war, war er bereit es zu glauben. Denn dieser Jordan, der völlig gebrochenen Sportler, würde niemals in seinem Kopf entstehen. So etwas würde er Jordan nicht antun. Könnte er gar nicht.
 

„Es tut mir Leid, Jordan.“

Tat es wirklich. Und er würde versuchen, alles in seiner Macht stehende zu tun, um ihn für dieses Leid zu entschädigen. Ganz ohne Illusionen.

„Aber ich versteh' noch nicht so ganz. Es war vorbei, jeder hat seine Kräfte verloren. Du auch.“
 

„Vielleicht nicht“, begann Jordan, wobei das Vielleicht an dieser Stelle auch gestrichen werden müsste. Es war kein Vielleicht, es war ein Definitv. Der Sportler hatte die letzten Wochen Zeit gehabt, wurde ständig von dieser Frage verfolgt, wurde von dem Albtraum verfolgt, von dem er dachte, dass er vorbei war. Und er war sich nicht mehr so sicher, wer überlebt hatte und wer nicht. Ob er verfolgt werden würde oder nicht. Ob ihm jemand nach dem Leben trachtete oder nicht. Da Angel seine Finger mit im Spiel hatte, konnte so gut wie alles eine Illusion sein. Ihre letzten Jahre, der Frieden um sie herum, der den Glauben erzeugt hatte, dass es vorbei war.
 

„Vielleicht hab ich meine Kräfte gar nicht verloren. Wir dachten nur, dass es so wäre“, begann der Kroate das Ergebnis der letzten Wochen des Nachdenkens weiterzugeben. „Ich bin Sportler, Angel. Fußballer, ein Profi. Das ist ein Mannschaftssport. Zu harte Pässe wären genau so unangebracht wie zu schnelle Sprints. Bin ich zu schnell, können mich die Mitspieler nicht richtig anspielen. Schieß' ich zu hart, können meine Mitspieler die Pässe nicht annehmen und verwerten. Ich musste mich anpassen, ich musste mich selbst drosseln, anders hätte es nicht funktioniert. Das alles ist ohne Nachdenken passiert und ohne es zu merken hab ich gelernt die Kräfte zu unterdrücken und in geringem Maß einzusetzen. Also dachten wir, die Kräfte wären weg. Aber das waren sie nicht. Ich hab nur gelernt, sie zu kontrollieren und zu unterdrücken.“
 

Die Erklärung war ernüchternd, ließ Angels Blick langsam ernster werden, wirklich glücklich machte ihn der Gedanke daran nicht. Aus seinem Märchen, ein normales, glückliches Leben mit seinem Prinzen zu führen, wurde scheinbar nichts, gönnte man ihnen nicht. Doch Jordan hatte es geschafft seine Kräfte zu kontrollieren. Sie beide hatten es geschafft den Drang sich gegenseitig umzubringen zu kontrollieren. Es war ein Schritt in die richtige Richtung, ein Schritt in Richtung Normalität. Mehr könnten sie wohl nicht verlangen, nicht, wenn sie zusammen bleiben wollten.
 

„Also wird es niemals enden.“
 

„Nicht, so lange wir beide leben.“



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Kommentare zu dieser Fanfic (7)

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Von:  SuperCraig
2019-04-08T14:35:03+00:00 08.04.2019 16:35
Du hast echt ein Talent dafür, Geschichten zwiespältig enden zu lassen. Die, die ich bisher von dir gelesen habe, waren ähnlich gestrickt, vom "offenen" Ende her.

Also war alles nur ein Trugbild, eine Illusion. Trotzdem: Wer würde dieser einen Illusion entfliehen wollen? Frei sein, wenn Freiheit bedeutet, ständig in Ungewissheit, in Angst zu leben? "Als Erstes opfert man die Freiheit, für Sicherheit" - ein Zitat, welches hier eindeutig zutrifft. Ich kann Angel aber verstehen: An seiner Stelle hätte ich mich auch gewehrt, einen Schutzpanzer aufgebaut.

Die Situation, die sich jetzt eröffnet, muss wirklich niederschmetternd sein. Ewig diesen Drang unterdrücken zu müssen, um nicht das zu Killen, was man liebt, das ist so dermaßen schwarz und trist, ich habe echt Mitleid mit Beiden. (Und das, ob Jordans Abreibung). Auch wenn er es unterdrücken kann, er muss immer in der Angst leben, eines Tages aufzuwachen, und das ausgelöscht zu haben, was ihm doch so viel bedeutet. Kann das der Inhalt seines Lebens sein? Ich hoffe es irgendwo nicht, dafür mag ich sowohl ihn, als auch Angel, zu sehr, von dem, was ich so mitbekommen habe.

Märchen sind meist nur ein Abziehbild der Realität, ein Abklatsch des Originals. Angel lebt wirklich in einem Märchen, aber in einem, das nicht beschönigt, verbessert und mit einem Happy End. Ich hoffe echt, dass die Jungs es irgendwie hinbekommen, das Verlangen, den anderen umzunieten, loszuwerden.

Das war eine echt schöne FF, die zum Nachdenken anregt, und mir den Nachmittag versüßt hat. Auch dein Schreibstil ist angenehm, nicht zu verschachtelt, nicht zu umständlich, aber auch keine 0815-Lückenfüllersätze. Mir gefällt diese emotional-empathische Schreibweise, die der FF anhaftet. Ich konnte mich in beide Männer hineinversetzen, und teilweise ihre Handlungen nachvollziehen. (Ein großer Erfolg bei mir. xD)
Von:  SuperCraig
2019-04-08T14:27:46+00:00 08.04.2019 16:27
Der Plot Twist kam nicht aus dem Nichts, aber, um ehrlich zu sein, ich war doch ein wenig überrascht. Vielleicht hatte ich unterbewusst gehofft, dass doch alles real war.

Die Möglichkeit zu Spekulationen, die hier gegeben ist, macht das ganze Kapitel umso süßer. Was hat Angel schlussendlich doch dazu bewogen, in diese Welt, voller Illusionen, seiner heilen Scheinwelt, ein kleines Mädchen, ein Stück von Jordan, zu holen. Die Hoffnung, dass, wenn Jordan einmal fort sein sollte, was er offensichtlich unterdrückt, doch noch etwas von ihm bei sich hat?

Irgendwie war das Kapitel traurig, aber auch zeitgleich befreiend. Ganz langsam hat sich nämlich beim Lesen der Verdacht eingeschlichen, es kann etwas nicht stimmen. Das Mädchen taucht auf, mit einem Zettel in der Hand, bleibt, verschwindet, nur um dann wiederaufzutauchen.

Die Illusion aufzulösen, muss für Jordan fast härter gewesen sein, als für Angel. Er nimmt seiner Liebe doch den sicheren Hafen, in den sie sich zurückgezogen hat. Die Schwärze, die über Angel hereinbricht, als das Konstrukt seiner "Fantasie" zusammenbricht, sie hat irgendwie etwas Bildhaftes, wirkt wegweisend.
Von:  SuperCraig
2019-04-08T14:22:16+00:00 08.04.2019 16:22
Zuerst das Fußballspiel, bei dem er sich einigermaßen bemüht, nett zu sein (für seine Verhältnisse), dann der Zoobesuch. Da hat wer wirklich ein wenig nachgedacht, oder macht es einfach aus Pflichtgefühl heraus. Spätestens im Zoo drückt sich mir aber die Vermutung auf, dass dem nicht so ist. Er scheint wirklich ein wenig zu akzeptieren, dass das Mädchen seine Tochter ist.

Die Panik, die er schiebt, als sie kurz verschwunden ist. Ich hätte eher gedacht, er wäre froh darüber gewesen, die lästige Klette los zu sein. Gut, das vor Angel zu rechtfertigen würde schwierig werden, aber man merkt doch, wie es ihm nahe geht, und dass er, vielleicht nur ein ganz kleines Bisschen, der Papa ist, und Vatergefühle besitzt.
Von:  SuperCraig
2019-04-08T14:19:40+00:00 08.04.2019 16:19
Genau diese eine Szene habe ich in der FF vermutet. Darum war ich schlussendlich so neugierig, ob sie auftauchen würde, oder nicht.

Das Gespräch bezüglich der Frage, wann man denn intim werden könnte, wenn man ein Kind im Haus hat, war halt einfach...ich grinse immer noch. :D Hat so einen Hauch von Satire gepaart mit Situationskomik, genau mein Ding.

Dass die Kleine auftaucht, das habe ich schon fast ein wenig vermutet. Jordans Reaktion war wieder einmal...Jordan. Es hätte mich nicht gewundert, wenn er ihr die Tür vor der Nase zugeknallt hätte. "Rabenvater" :D.
Von:  SuperCraig
2019-04-08T14:16:20+00:00 08.04.2019 16:16
Also, dass er so einen Modefimmel hat, hätte ich gar nicht erwartet, wobei es korrekterweise "Geschmack" heißen sollte. Wie überfordert er mit dem Mädchen ist; das wiederum passt perfekt in mein Bild von Jordan. Irgendwie betrachtet sie als eine Art Fremdkörper, kann das sein?

Ich finde, du schreibst an manchen Stellen extrem, ich weiß nicht wie ich es ausdrücken soll, emotional wäre das falsche Wort. Einfache Dinge, Situationen, Handlungen, die einen gewissen Touch erhalten, der dem ganzen Setting eine gewisse Würze verleiht, die oft, auch in solchen FFs, einfach vermisst wird.

Das Ende fand ich übrigens sehr niedlich. Man merkt, wie Jordan allmählich doch nachzudenken beginnt. Außerdem, Angels "Bereitschaft", die kleine Ivana zu akzeptieren, tut sicher ihr Übriges, um seine Einstellung gegenüber ihr ein wenig zu ändern. Jordans Gedankengänge sind nachvollziehbar, und alleine die Tatsache, dass er über seinen Schatten springt, und die Mutter des Mädchens ausfindig machen möchte, zeugt irgendwie von einer Art Selbsterkenntnis.
Von:  SuperCraig
2019-04-08T14:10:26+00:00 08.04.2019 16:10
Moah, Angel ist so der Papatyp. :D Wenn man das mit Jordan vergleicht, da liegen ja Welten dazwischen. Wie er sich um die Kleine zu kümmern versucht, zeitgleich noch mit Jordan vermittelt - ich finde das echt bewundernswert. Er muss ihn total lieben, denn, so "ruhig" zu reagieren, wenn da ein Kind auftaucht, das vermutlich der Person gehört, die man liebt, und nicht von einem selbst ist - also ich wäre da explodiert.

Auch seine innere Zerrissenheit: Jordan pflaumt das Mädchen an, und so unterbewusst wirkt es so, als müsse er überlegen, nur ganz kurz, was er machen soll. Natürlich entscheidet er sich, in meinen Augen, richtig, aber trotzdem. Das macht deine Charaktere irgendwie so menschlich. Man kann sich reinfühlen, denkt nach, hinterfragt.
Von:  SuperCraig
2019-04-08T14:07:22+00:00 08.04.2019 16:07
Der Flashback alleine zauberte wieder Gänsehaut. Wie sich Angel an das Gespräch mit Jordan über den Namen eines potentiellen Kindes erinnert hat. Dazu noch der Alltag, die kleinen Problemchen, die Jordan und Angel, wie normale Menschen eben, haben. Wer mäht den Rasen, wer putzt die Fenster, wann? :D Das hat dem Ganzen einen gewissen Hauch von "Alles ist okay" verliehen.

Aber mal im Ernst: Wer bitte setzt ein Mädchen aus, mit einem Zettel in der Hand? Ich meine, das ist ja wohl sowas von Fahrlässig. :D Aber ich verstehe es schon. Will nicht spoilern, aber konnte mich echt nicht dazu aufraffen, vor dem Beenden des Lesens zu kommentieren.


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