Zum Inhalt der Seite

Wenn das Schicksal zum Verräter wird

von

.
.
.
.
.
.
.
.
.
.

Seite 1 / 1   Schriftgröße:   [xx]   [xx]   [xx]

Der Tag, der alles änderte

Takehito hatte offensichtlich Glück im Unglück. Wäre die Polizei nicht zufällig vor Ort erschienen, hätten ihn die in schwarz gekleideten Männer wahrscheinlich ins Jenseits geschickt. Beide Männer schienen keinerlei Skrupel zu haben einen Menschen umzubringen. Das war dem selbsternannten Schülerdetektiv schon klar, als er einem der beiden Männer an der Achterbahn in die Augen gesehen hatte. Allerdings entschloss er sich der Polizei nichts von dem verdächtigen Deal, welchen er kurz zuvor beobachtet hatte, zu berichten. Schließlich hatte er weder Beweise für seine Anschuldigungen, da die beiden verdächtigen Männer offensichtlich das Aufnahmegerät mitgenommen hatten, noch wusste er, ob die anwesenden Polizisten vertrauenswürdig waren. Ihm war klar, dass der "Geschäftspartner" der beiden schwarzen Männer ein höheres Tier in der Polizei gewesen sein musste. Anders konnte Takehito sich nicht erklären, wie der Mann an solche brisante Informationen kommen konnte, welche er den schwarzen Männern übergeben hatte. Allerdings konnte er kein sehr hohes Tier sein, weil er an verschlüsselte Informationen, nach eigener Aussage, nicht heran kam. Dennoch... Korruption in der Tokioter Polizei... Ehe sich Takehito also mit seinem Verdacht an die Polizei wenden konnte, musste er erst einmal herausfinden, welche Kreise dieser Korruptionsfall zog. Er entschloss sich also dazu vorerst auf eigene Faust zu ermitteln und niemanden etwas von den Männern in schwarz zu erzählen.
 

Nachdem er sich etwas beruhigt hatte und der Polizei eine überzeugende Lüge bezüglich seiner Kopfwunde aufgetischt hatte, verließ er das Disneyland und machte sich auf den Weg nach Hause. Mittlerweile war es schon sehr spät geworden und es war dunkel draußen. Während der Teenager durch die Straßen Tokios lief, überschlugen sich seine Gedanken. Anscheinend war ihm erst jetzt wirklich bewusst geworden, was in den letzten Stunden alles geschehen war. Unbewusst lief noch einmal der Deal, den er kurz zuvor beobachtet hatte, vor seinem geistigen Auge ab.
 

Dabei murmelte er: "Diese beiden Männer in schwarz... Mein Gefühl hat mich also mal wieder nicht im Stich gelassen... Ich wusste, dass mit den beiden Typen etwas ganz und gar nicht stimmt..."
 

An einem Schaufenster, in dem er sich spiegelte, kam er zum Stehen und betrachtete sein Ebenbild. Dabei dachte er: "Auf jeden Fall werden diese Typen jetzt nichts unversucht lassen um mich zu finden. Das heißt vor allem für mich, dass ich mich in einer wahnsinnigen Gefahr befinde. Diese beiden Typen werden nichts unversucht lassen um mich zum Schweigen zu bringen. Sie wissen zumindest wie ich heiße. Mit ihrem Spitzel bei der Polizei wird es für die beiden wohl ein Leichtes sein mich ausfindig zu machen. Ich muss ihnen auf jeden Fall zuvor kommen. Ansonsten bin nicht nur ich in Gefahr, sondern auch alle Menschen um mich herum."
 

Inzwischen war Takehito in seinem Elternhaus angekommen. Glücklicherweise war er allein zu Hause, sodass niemand mitbekam wie spät er nach Hause kam. Seine Eltern befanden sich momentan mit seiner jüngeren Schwester Rika im Urlaub. Takehito hatte sich strikt geweigert mit seinen Eltern gemeinsam in den Urlaub zu fahren. Er fand er war ohnehin fiel zu alt für solche Familienausflüge.
 

Völlig geschafft ließ er sich am Schreibtisch seines Vaters nieder. Er wollte direkt mit seiner Recherche beginnen. Irgendetwas musste doch über diese schwarz gekleideten Männer in Erfahrung bringen zu sein. Man musste nur tief genug graben. Da war sich Takehito ganz sicher.
 

Doch ehe sich der Sherlock Holmes der Neuzeit in diese Sache vertiefen konnte, wurde er jäh unterbrochen. Irgendetwas schien er vergessen zu haben. Und dies wurde ihm schlagartig bewusst, als ihm eine, ihm wohl bekannte Stimme, aus dem Hausflur entgegen schallte: "Takehito? Takehito, bist du da? Ich bin es, Manami!" Doch noch ehe er etwas antworten konnte, stand Manami bereits vor ihm. Und ihr Gesichtsausdruck verhieß nichts Gutes.
 

Wütend brüllte sie: "Sag mal, spinnst du eigentlich, Takehito? Erst rennst du im Disneyland davon und lässt mich stehen wie einen Vollidioten und dann tauchst du einfach nicht wieder auf, sodass ich allein nach Hause laufen musste. Ist dir eigentlich klar, dass ich mir totale Sorgen um dich gemacht habe? Und dann komm ich hier her und du hast nichts Besseres zu tun, als seelenruhig in deinen bescheuerten Kriminalromanen zu schmökern! Ich bin fast umgekommen vor Sorge!"
 

Takehito schien ihr gar nicht zu zuhören. Wie ein Irrer blätterte er in alten Tageszeitungen und war völlig in Gedanken versunken. Diese Tatsache machte Manami nur noch wütender. Wutentbrannt riss sie ihm die Zeitung unter der Nase weg.
 

"Sag mal, hörst du mir überhaupt zu?", fragte sie, wobei sie die Antwort eigentlich schon kannte.
 

Nun sah Takehito sie endlich an und entgegnete forsch: "Was stimmt eigentlich nicht mit dir? Du siehst doch, dass ich gerade beschäftigt bin und lese. Da habe ich für dein dummes und sinnloses Gefasel überhaupt keine Zeit. Du hast doch jetzt gesehen, dass es mir gut geht, oder? Ich bin schließlich auch kein kleines Kind mehr. Ich kann sehr gut auf mich selbst aufpassen. Also kannst du jetzt auch gehen!"
 

Seine Worte waren für das junge Mädchen wie ein Stich ins Herz. Noch nie zuvor hatte er ihr gegenüber einen solchen Ton angeschlagen. Zutiefst verletzt stammelte sie: "Ist ja in Ordnung. Das ist aber noch lange kein Grund mich gleich so an zugehen. Entschuldige bitte, dass ich mir Sorgen um dich gemacht habe. Wird nicht wieder vorkommen. Vergrab du dich mal weiter in deinen bescheuerten Kriminalromanen, du Detektivfanatiker! Wenn du so weiter machst, hast du bald keine Freunde mehr!", ohne ein weiteres Wort verließ Manami das Haus der Akanishis und schlug die Tür mit voller Wucht hinter sich zu.
 

Spätestens in diesem Moment, wo das Knallen der Tür durch die stillen Räume schallte, wurde Takehito klar, dass er durchaus etwas falsch gemacht hatte. "Toll, Takehito. Ganz klasse. Das hast du ja mal wieder super hin bekommen!", tadelte er sich selbst. Allerdings wusste er auch, dass es momentan keinen Zweck haben würde ihr ausgerechnet jetzt hinterher zu laufen. Manami würde ihm jetzt ohnehin nicht zuhören und auf stur schalten. Deshalb entschloss er sich, die Sache vorerst auf sich beruhen zu lassen und seine Recherchen durchzuführen.

Takehitos Recherche

Die ganze Nacht hindurch saß Takehito über alten Zeitungsartikeln und alten Polizeiakten seines Vaters. Doch wirklich hilfreich schien das nicht zu sein. Er fand einfach keine Informationen über die schwarzen Männer. Genervt legte er die Zeitungen vom Tisch und fluchte: "Das gibt's doch gar nicht! Irgendwo muss es doch Informationen zu finden geben! Irgendwelche Spuren müssen sie doch bei ihren Verbrechen hinterlassen haben..."
 

Er beschloss die Zeitungsartikel noch einmal ganz in Ruhe durch zu gehen. Vielleicht hatte er eine ganz kleine Kleinigkeit übersehen...
 

Die Vögel zwitscherten bereits und die Morgensonne schien Takehito ins Gesicht. Verschlafen schlug er die Augen auf und rieb sich den Schlaf aus den Augen. "Verdammt! Ich muss wohl eingeschlafen sein..."
 

Vor ihm waren immer noch die alten Tageszeitungen ausgebreitet, welche ihm noch immer keinen Erfolg gebracht hatten. Doch dann schoss dem Detektiv ein Geistesblitz durch den Kopf. "Natürlich! Warum bin ich da nicht schon eher drauf gekommen...Die Bibliothek! Das ist es!", stieß er entschlossen hervor.
 

Er schien auch gar nicht lange fackeln zu wollen. Nachdem er nur fünf Minuten im Badezimmer war, um sich frisch zu machen, stürmte er in den Flur seines Elternhauses, schnappte sich seine Jacke und machte sich unverzüglich auf den Weg zur Bibliothek des Stadtbezirks Koto.
 

Dieser Fall hatte wirklich Takehitos Interesse geweckt. Das war genau das, was er am Detektivsein liebte. Er schien völlig in seinem Element zu sein und in diesem Fall aufzugehen. Es verlangte ihm all seine detektivischen Fähigkeiten ab. Würde der Fall nicht den Anschein machen so gefährlich zu sein, hätte er womöglich sogar Spaß an seiner Recherche gehabt. Dieser mysteriöse Fall um die schwarzen Männer forderte sein gesamtes Können ab. Und das war es, was ihn daran so sehr reizte. Obwohl es ihm bei dem Gedanken an diese Männer eiskalt den Rücken herunter lief. Wäre die Tokioter Polizei am vorigen Abend nicht zufällig aufgetaucht, so würde Takehito jetzt wohl die Radieschen von unten betrachten. Sie hätten ihn ohne mit der Wimper zu zucken aus dem Weg geräumt. Und diese Gestalten machten auf ihn auch keineswegs den Anschein, als würden sie etwas, das sie angefangen hatten, unerledigt lassen. Früher oder später würden sie ihn aufspüren und ihr gescheitertes Vorhaben doch noch in die Tat umsetzen. Dass Takehito noch am Leben war, war für sie wohl ein nicht akzeptables Risiko. Da war er sich ganz sicher. Vom Nachteil war dabei vor allem, dass Takehito im ganzen Land bekannt war als "der Schülerdetektiv des Ostens". Ihn und seinen Aufenthaltsort aufzuspüren, war deshalb nicht sonderlich schwer. Dem war er sich durchaus bewusst. Wenn sie seine Spur nicht schon längst aufgenommen hatten und nur noch auf die passende Gelegenheit warteten ihn unbemerkt aus dem Weg zu räumen. All diese Gedanken kreisten dem jungen Detektiv im Kopf herum, während er auf dem Weg zur Bibliothek war.
 

Und dann endlich hatte Takehito sein Ziel erreicht. Er war sich sicher hier in der Bibliothek fündig zu werden. Niemand könne ungehindert Verbrechen begehen ohne dabei auch nur die kleinste Spur zu hinterlassen. Und so wie die beiden verdächtigen Gestalten wirkten... skrupellos und unberechenbar... hatten sie schon so einige Verbrechen begangen. Das stand für ihn außer Frage. Seine außergewöhnliche Menschenkenntnis und sein ungetrübtes Gespür für die Wahrheit hatten ihn bisher noch nie getäuscht. Und das würden sie auch dieses Mal nicht tun. Doch in welche finsteren Abgründe sich Takehito mit seinen Recherchen begeben würde... Damit hatte er selbst in seinen schlimmsten Albträumen nicht gerechnet.
 

Nachdem er die Bibliothek betreten hatte, begann er auch direkt mit seinen Nachforschungen. Die Bibliothek im Stadtteil Koto bot den Vorteil, dass sie eine sehr große Auswahl an sämtlichen Tageszeitungen hatte, auch aus anderen Regionen.
 

Als erstes nahm sich Takehito allerdings sämtlich vorhandene Ausgaben der Tokioter Tageszeitung vor. Doch selbst nach stundenlangem durchforsten der Zeitungen der letzten Jahrzehnte konnte seine Spürnase nichts finden, was auch nur ansatzweise einen Hinweis auf die in schwarz gekleideten Männer bot. Es schien tatsächlich schier unmöglich zu sein etwas über die beiden oder deren Hintermänner in Erfahrung zu bringen. Auch wenn Takehito dies einfach nicht wahr haben wollte.
 

Als er allerdings noch einmal über diesen höchst verdächtigen Deal nachdachte und versuchte sich an das Gespräch der beiden zu erinnern, fiel es ihm wie Schuppen von den Augen. "Moment mal! Was haben die beiden gesagt? Sie haben die ganze Zeit von Kyoto gesprochen... Was, wenn sich ihre Verbrechen gar nicht in Tokio, sondern in Kyoto zugetragen haben?"
 

Je länger er über diese Tatsache nachdachte, desto plausibler klang es für ihn und er hatte recht schnell einen Entschluss gefasst. In Windeseile räumte er die Zeitschriften zusammen, brachte sie zurück an ihren Ursprungsort und verließ die Bibliothek auf schnellstem Wege.

Eine heiße Spur

Vor der Bibliothek suchte Takehito händeringend nach der nächstbesten Telefonzelle. Er wusste genau wer ihm jetzt wahrscheinlich am ehesten weiterhelfen konnte. Tatsuya Akanishi, Polizeichef von Kyoto und sein Großvater.
 

Er war sich ganz sicher, wenn sich die Verbrechen, welche die schwarzen Männer begangen haben, in Kyoto zugetragen haben, so könne ihm sein Großvater am ehesten Informationen beschaffen.
 

Es dauerte gar nicht lang, bis Takehito eine Telefonzelle gefunden hatte. Doch als er in der Zelle stand, kamen ihm Zweifel. Würde sein Großvater ihm ohne weiteres die Informationen geben, die er wollte, selbst wenn er sie hätte? Denn wenn sein Großvater tatsächlich Informationen zu den schwarz gekleideten Männern hatte, so wusste er sicherlich auch von deren Gefährlichkeit. Dann war es wohl eher unwahrscheinlich, dass sein Großvater ihm die Informationen gab. Allerdings war ihm auch klar, dass er gar keine andere Wahl hatte, nachdem sämtliche Recherchen seinerseits ins Leere gelaufen waren.
 

Widerwillig wählte er am Ziffernblatt des Telefons im Inneren der Telefonzelle die Nummer seines Großvaters. Es hatte gerade zweimal geklingelt, als sein Großvater das Telefonat bereits annahm. "Akanishi, Tatsuya. Wer spricht?", schallte es in den Hörer.
 

"Ojiisan? Ich bin es, Takehito. Ich brauche deine Hilfe." Als Tatsuya wusste wer am anderen Ende war, wirkte er gleich etwas fröhlicher. Er schien sich auch zu freuen von seinem Enkel zu hören. Zu diesem Zeitpunkt wusste er auch noch nicht, was genau sein Enkel eigentlich von ihm wollte.
 

"Was kann ich für dich tun, Hito-Chan?" Kurze Stille. Takehito schien noch einmal zu überlegen, ob er seinen Großvater wirklich fragen sollte.
 

Doch schließlich sprang er über seinen Schatten und formulierte sein Anliegen: "Hör zu, Ojiisan. Ich bin gerade an einem sehr komplizierten Fall dran, bei dem ich auf deine Unterstützung angewiesen bin. Bei meinem letzten Fall bin ich auf zwei zwielichtige Gestalten gestoßen, die ich bei einem äußerst verdächtigen Deal beobachtet habe. Jedenfalls waren diese beiden Gestalten komplett schwarz gekleidet und machten unmissverständlich den Anschein, dass sie vor keinem Verbrechen zurück schrecken würden. Nicht einmal vor Mord. Bei meinen eigenen Nachforschungen bin ich zu der Schlussfolgerung gekommen, dass sie ihre Verbrechen nicht in Tokio begehen, sondern eher in Kyoto. Gab es in Kyoto in den letzten Jahren ungeklärte Verbrechen, die vielleicht etwas damit zu tun haben könnten?"
 

"Takehito, du weißt, dass solche Informationen meiner Schweigepflicht unterliegen. Über Ermittlungen der Kyotoer Polizei darf ich dir eigentlich gar nichts sagen. Ich würde in Teufels Küche kommen und riskiere meinen Job. Mal ganz davon abgesehen, dass deine Eltern mich wahrscheinlich einen Kopf kürzer machen würden, sollten sie erfahren, dass ich dich in deinen Detektivspielen unterstütze.", sprach sein Großvater ernst.
 

Diese Reaktion war für den jungen Nachwuchsdetektiv keine Überraschung. Er hatte durchaus damit gerechnet. Sein Großvater tat sich schon immer schwer damit ihn mit brisanten oder geheimen Informationen zu versorgen, was wohl daran lag, dass er Ärger mit Takehitos Eltern vermeiden wollte. In die detektivischen Fähigkeiten seines Enkels hatte er nämlich großes Vertrauen und wusste um seine außergewöhnlichen Fähigkeiten bestens Bescheid und schätzte sie sehr.
 

Eindringlich sprach Takehito: "Ojiisan, bitte! Du vertraust mir doch, oder? Ich stecke mittlerweile viel zu tief in diesem Fall drin, als dass ich nun meine Ermittlungen ruhen lassen könnte..."
 

Totenstille am anderen Ende des Apparates. Nur das schwere Atmen seines Großvaters verriet ihm, dass er immer noch am Hörer war und noch nicht aufgelegt hatte. Einige Sekunden sagte keiner der beiden etwas, wobei es Takehito vor kam wie eine Ewigkeit. Schließlich unterbrach Tatsuya die Stille.
 

Behutsam sprach er auf seinen Enkel ein: "Es scheint mir, als hättest du dich dieses Mal mit den falschen Leuten angelegt. Diese Sache alleine regeln zu wollen, kann für dich fatale Folgen haben. Takehito, hör zu... Ich habe gute Kontakte zu Interpol. Mir scheint als wärst du hier in Japan nicht mehr sicher. Deine Ermittlungen auf eigene Faust sind viel zu gefährlich. Ich halte es für das Beste, wenn du vorerst das Land verlässt. Zumindest bis es gelungen ist diese Männer fest zu setzen. Im Ausland wärst du vorerst in Sicherheit. Überlass die Ermittlungen in diesem Fall den Profis."
 

Die Worte seines Großvaters kratzten ziemlich am Ego des jungen Detektivs. Energisch unterbrach er: "Auf gar keine Fall! Ich werde nicht vor meinem Schicksal davon laufen! Du musst mir einfach vertrauen! Ich weiß, was ich tue. Ich muss diesen Fall selbst lösen, verstehst du, Ojiisan. Aber deinen Worten nach zu urteilen, weißt du tatsächlich etwas über sie..."
 

Wieder herrschte Stille am anderen Ende. Prinzipiell war Takehitos Reaktion keine Überraschung für Tatsuya. Dass sein Enkel so reagieren würde, war ihm eigentlich von vornherein klar gewesen. Tatsuya ließ einen lauten Seufzer von sich. "Du erinnerst mich immer mehr an mich, als ich in deinem Alter war, Hito-Chan. Hör zu, ich kann dir nicht viel sagen, weil selbst für die japanische Polizei diese Gestalten völlig unbekannt sind und sie ihre Verbrechen ungehindert im Verborgenen ausüben. Ich habe selbst nur ein einziges Mal von einem Fall mitbekommen bei dem in schwarz gekleidete Männer involviert waren. Ob es sich dabei um dieselben Männer handelt, wie in deinem Fall, kann ich natürlich nicht sagen. Allerdings wären das schon zu viele Zufälle auf einmal. Ich selbst habe in diesem Fall nicht ermittelt. Die Ermittlungen in diesem Fall damals oblagen der japanischen Sicherheitspolizei. Und es drangen auch überhaupt keine Ermittlungsergebnisse an die Außenwelt. Ich kann dir nur sagen, dass damals eine junge Frau aus Tokio in diesen Fall involviert war und eine Zeit lang im Mittelpunkt der Ermittlungen stand. Ihr Name war Masami Hirota. Vielleicht solltest du sie mal aufsuchen. Eventuell kann sie dir weitere Informationen geben. Aber sei auf der Hut. Diese schwarz gekleideten Männer und deren Hintermänner scheinen gefähr-..."
 

Tatsuya kam gar nicht dazu seinen Satz zu beenden. Takehito hatte bereits aufgelegt. Schließlich hatte er nun eine heiße Spur, der er unverzüglich nachgehen musste.
 

Entschlossen wählte er die Nummer der Auskunft. Ihm war klar, wenn die japanische Sicherheitspolizei, die PSIA, damals die Ermittlungen in dem besagten Fall übernommen hatte, musste es tatsächlich brisant sein. Das bestärkte ihn in seiner Vermutung, dass von den schwarz gekleideten Männern eine unberechenbare Gefahr ausging. Aber sein Entschluss stand fest. Er wollte die beiden dingfest machen und ihnen das Handwerk legen. Und nichts und niemand konnte ihn von seinem Vorhaben abbringen.
 

Von der Auskunft hatte er die Adresse von Masami Hirota erfahren. Glücklicherweise gab es in ganz Tokio nur eine Frau mit diesem Namen. Ihre Adresse lag nicht weit entfernt vom Disneyland. Takehito war klar. Das konnte keineswegs ein Zufall sein. Diese Frau musste eine Verbindung zu den in schwarz gekleideten Männern haben. Doch bevor er sich auf den Weg zur Adresse von Masami Hirota machte, beschloss er erst einmal zu ermitteln in welchen Fall diese junge Frau damals verwickelt war.
 

Erneut besuchte Takehito die Bibliothek von Koto. Recht schnell hatte er auch gefunden, wonach er suchte, wenngleich die Informationen recht sporadisch waren. Vor einem Monat gab es in Kyoto einen Überfall auf einen Geldtransporter, bei dem insgesamt eine Milliarde Yen erbeutet wurden. Masami Hirota geriet schnell ins Visier der Ermittlungen und galt schnell als Hauptverdächtige. Da die Beute bis zum heutigen Tage nicht gefunden werden konnte und es keine eindeutigen Beweise gab, die für Masami Hirota als Täterin sprachen, wurde sie bisher nicht fest genommen. Auch mit diesen sporadischen Informationen hatte Takehito schnell eine Schlussfolgerung gezogen. Masami Hirota hatte durchaus den Raub begangen. Allerdings war sie nur ausführendes Organ. Die Drahtzieher hinter der ganzen Angelegenheit waren ganz andere und viel mächtiger als Masami selbst.

Zusammentreffen mit Masami Hirota

Entschlossen Masami Hirota mit seinen Schlussfolgerungen zu konfrontieren, machte Takehito sich auf den Weg zur Adresse, welche er von der Auskunft erfahren hatte.
 

Verhältnismäßig schnell erreichte er sein Ziel, kam an besagter Adresse an und betätigte die Klingel. Widererwarten wurde ihm nach dem zweiten Mal Klingeln die Tür geöffnet. Und dann stand sie vor ihm... seine Zielperson... Masami Hirota... eine engelsgleiche junge Frau die auf den ersten Blick den Anschein machte, als könne sie kein Wässerchen trügen oder je einer Fliege etwas zu Leide tun.
 

Die junge Frau schien überrascht zu sein diesen jungen Mann vor ihrer Tür stehen zu haben. Schließlich kannte sie ihn ja auch gar nicht. Der junge Mann vor ihrer Tür war ihr völlig unbekannt. Ohnehin machte es den Anschein, dass sie gerade im Begriff war das Haus zu verlassen. Offensichtlich hatte sie noch etwas vor. Doch Takehito zögerte dennoch nicht. Er war ja den ganzen Weg schließlich nicht umsonst gekommen.
 

Selbstbewusst sprach er sie an: "Entschuldigen Sie bitte vielmals die Störung. Mein Name ist Takehito. Dürfte ich vielleicht kurz eintreten? Ich habe etwas mit Ihnen zu besprechen."
 

Widerwillig gewährte Masami Hirota dem ihr unbekannten Jungen Einlass in ihre Wohnung. Sie schien durchaus neugierig zu sein. Denn obwohl sie diesen Jungen nicht kannte, wollte sie schon gern wissen, was er so dringendes mit ihr zu besprechen hatte. Im Wohnzimmer der jungen Frau angekommen, redete Takehito auch gar nicht lang um den heißen Brei herum. Er fiel direkt mit der Tür ins Haus.
 

Mit dem Rücken zu der jungen Frau gewandt, äußerte er: "Ich weiß über die Umstände des eine Milliarde Yen Raubes in Kyoto Bescheid. Sie, Masami Hirota, haben, wie die Polizei bereits vermutet hat, den Raub begangen. Aber Sie sind nicht der Drahtzieher dieser ganzen Sache. Davon bin ich felsenfest überzeugt. Die Drahtzieher hinter diesem Raubüberfall sind viel mächtiger, als die Polizei denkt und ziehen ihre Fäden aus dem Verborgenen. Ich habe doch recht mit dem was ich sage, oder, Masami Hirota?"
 

Noch ehe er eine Antwort von der jungen Frau bekam, spürte er einen stechenden Schmerz in seinem Nacken. Anstatt ihm zu antworten, hatte Masami ihre Handkante in Takehitos Nacken gejagt, um ihn so außer Gefecht zu setzen. Schon im selben Moment ging der Mittelschüler regungslos zu Boden. Blitzschnell schnappte sich die junge Frau ihre Autoschlüssel und einen Schlüssel für ein Schließfach und wollte ihre Wohnung unverzüglich verlassen. Doch Takehito schien sein Bewusstsein schneller zurück zu erlangen als Masami vermutet hatte. Als sie gerade dabei war das Wohnzimmer zu verlassen, nahm sie erneut dessen Stimme wahr.
 

"Masami... Gehen Sie nicht..."
 

Er richtete sich langsam in eine sitzende Position auf und hielt sich mit einem schmerzverzerrten Gesicht den Nacken. Durchaus überrascht wandte Masami sich zu dem Jungen um. Es war offensichtlich, dass sie ein schlechtes Gewissen hatte dem Jungen Schmerzen zugefügt zu haben.
 

"Sie sind in einer wahnsinnigen Gefahr, Masami. Man will Sie mit Sicherheit umbringen.", fuhr Takehito besorgt fort.
 

Ein leichtes Lächeln legte sich auf die Lippen von Masami. Ihre Augen verrieten allerdings, dass sie fürchterliche Angst hatte. Sie wusste wohl schon was sie erwartete. Dennoch erwiderte sie mit einem Lächeln: "Ich werde trotzdem gehen. Entschuldige... Es tut mir leid, Takehito. Du bist hier her gekommen um mich vor einem großen Unglück zu bewahren. Doch für mich ist es schon längst zu spät. Es gibt absolut nichts, was du für mich tun kannst. Deshalb werde ich gehen."
 

Nach diesem Satz wandte sie ihm den Rücken zu. Doch Takehito reagierte geistesgegenwärtig und warf zielsicher einen Peilsender in ihre Handtasche. Glücklicherweise blieb dies von Masami unbemerkt. Mithilfe des Peilsenders konnte er kurz darauf die Verfolgung der jungen Frau aufnehmen.
 

Eines war ihm klar... Masami Hirota befand sich in höchster Gefahr und er würde alles daran setzen sie zu beschützen. Zielstrebig verfolgte er das Signal des Peilsenders.
 

Während Takehito sie verfolgte, dachte er besorgt: "Ich muss sie irgendwie aufhalten. Sie weiß vermutlich nicht einmal in was für eine wahnsinnige Gefahr sie sich gerade begibt..."
 

Schnell wurde ihm klar, dass Masami Hirota sich auf dem Weg in das abgelegene Industriegebiet, unweit von ihrer Wohnung, befand. Er war ihr bereits dicht auf den Fersen. Allerdings war es für ihn unmöglich sie einzuholen...

Das traurige Schicksal von Masami

Masami hatte bereits ihr Ziel erreicht.
 

Zielstrebig ging sie auf eine der verlassenen Fabrikhallen zu. Es war offensichtlich, dass sie nicht das erste Mal dort war. Zu vertraut bewegte sie sich in diesem weitläufigen Gebiet. Für einen Moment schloss sie ihre Augen, atmete tief durch, ehe sie möglichst selbstbewusst auf den Eingang zuging. Die Angst begleitete sie bei jedem Schritt den sie tat. Aber Masami war klar, jegliche Art von Zweifel durfte sie sich nicht erlauben, wollte zudem ihre Angst nicht zeigen. Zu viel stand für sie auf dem Spiel. Sie wusste ganz genau, was sie wollte. Und da gab es keinen Platz für Angst oder Panik. Sie musste sich jetzt einfach zusammen reißen. Es würde alles schon irgendwie gut gehen.
 

Ohne zu zögern trat sie durch die Tür und blickte sich flüchtig im Raum um. Soweit sie erkennen konnte, hatte sich nichts Nennenswertes verändert. Obwohl es schon eine ganze Weile her war, dass sie diesen Ort betreten hatte. Die zahlreichen kleinen Löcher in den Wänden waren noch immer die, an die sie sich erinnerte. Die meisten der Fenster waren zerbrochen.
 

Doch als sie bemerkte, dass sie dort niemand wie verabredet erwartete, rief sie selbstbewusst in den Raum: "Ich bin da. Wo seid ihr? Zeigt euch!"
 

Doch noch ehe Masami jemanden sehen konnte, ertönte in ihren Ohren diese rabenschwarze, finstere und eiskalte Stimme des Mannes auf den sie scheinbar gewartet hatte. "Gute Arbeit, das muss man dir lassen, Masami Hirota! Oder sollte ich besser sagen... Minami Miyano?"
 

Und dann standen sie vor ihr. Die beiden skrupellosen in schwarz gekleideten Männer. Und es waren tatsächlich genau diese Männer nach denen Takehito suchte. Doch für die junge Frau schien das Erscheinen der beiden keine Überraschung zu sein. Es war also ohne jeden Zweifel klar, dass sie in irgendeiner Verbindung zu diesen zwielichtigen Männern stand.
 

"Lass dein dummes Gerede, Gin! Ich weiß selbst am besten wie ich heiße. Und einem Bastard wie dir werde ich es nicht erlauben meinen bürgerlichen Namen in den Mund zu nehmen. Außerdem haben wir uns hier ja wohl aus einem anderen Grund getroffen!", warf Masami ihrem Gegenüber schnippisch entgegen.
 

Einer der Männer, dessen Name scheinbar Gin zu sein schien, unterbrach sie: "Vorsicht, Püppchen! Du solltest deine Zunge zügeln! Von einem Organisationsmitglied mit einem solch niedrigen Rang, dass es nicht einmal einen Decknamen wert ist, kann ich ja wohl etwas mehr Respekt erwarten!"
 

Es war nicht zu übersehen, dass Gins Worte Masami das Blut in den Adern gefrieren ließ. Der Mann hatte, selbst wenn er nicht sprach, eine so angsteinflößende Aura an sich, dass es wahrscheinlich jedem bei seinem Anblick eiskalt den Rücken herunter lief. Dennoch ließ Masami sich nicht verängstigen. Sie wusste ganz genau was sie wollte.
 

"Wie dem auch sei. Du erinnerst dich doch noch an unseren Deal von vor einem Monat, oder Gin? Ich überfalle den Geldtransporter für euch und erbeute eine Milliarde Yen und im Gegenzug dafür lasst ihr mich und meine Schwester aus den Fängen der Organisation. Ich habe meinen Teil der Abmachung erfüllt. Jetzt seid ihr an der Reihe euren Teil zu erfüllen."
 

Ein diabolisches Grinsen stahl sich auf die Lippen von Gin. Die Skrupellosigkeit funkelte in seinen Augen. Völlig eiskalt und ohne irgendwelche Anzeichen von Emotionen zog Gin eine Waffe, wobei es sich um eine Beretta 92FS handelte, aus seiner Manteltasche und richtete diese auf Masami.
 

Hinterlistig sprach er: "Jetzt mach dich doch nicht lächerlich, Minami. Wir hatten niemals einen Deal mit dir. Es war deine Wunschvorstellung. Wir haben nur einfach nicht widersprochen. Allerdings haben wir auch nie unsere Zustimmung dazu gegeben. Seit wann macht denn auch die Organisation solche Deals? Du bist ziemlich naiv, wenn du wirklich geglaubt hast, dass wir uns auch nur ansatzweise darauf einlassen würden. Deine Schwester ist für uns viel zu wertvoll, als dass wir sie aus unseren Fängen lassen würden. Für dich allerdings... hat die Organisation keine Verwendung mehr. Die Polizei hat dich bereits im Verdacht. Du bist einfach ein zu hohes Risiko für die Organisation... Tut mir leid, Minami..."
 

Und ehe sich Masami versah, gab es einen unwahrscheinlich lauten Knall. Und nur einen Bruchteil einer Sekunde später spürte sie einen stechenden Schmerz in ihrem Bauch und ging blutend zu Boden.
 

Gin und sein Partner hatten erledigt wofür sie ausgesandt wurden. Es gab für sie keinen Grund sich länger wie nötig in diesem Industriegebiet auf zu halten. Aufgrund dessen verschwanden sie genau so schnell wie sie gekommen waren.

Die Organisation

Als Takehito am Industriegebiet ankam, war das erste was er vernahm ein Schuss. "Ein Schuss!", stieß er erschrocken hervor.
 

Die Tatsache, dass jemand ganz in der Nähe mit einer Waffe um sich schoss, beunruhigte ihn schon ziemlich. Er wusste aber auch, dass der Schuss wahrscheinlich etwas mit Masami zu tun haben musste. Er wusste, er musste sich beeilen, wenn er ihr noch irgendwie helfen wollte.
 

Zielstrebig begab er sich in die Lagerhalle aus der er zuvor das Geräusch des Schusses vernommen hatte. Dabei sah er sich immer wieder flüchtig um. Masami wäre schließlich nicht geholfen, wenn er sich selbst auch noch in Gefahr bringen würde. Doch bisher schien die Luft rein zu sein. In der Fabrikhalle angekommen bewahrheiteten sich seine schlimmsten Befürchtungen.
 

Die junge Frau, Masami Hirota, lag blutüberströmt am Boden. Jemand hatte sie offensichtlich skrupellos nieder geschossen. Dieser Anblick war selbst für den jungen Detektiv, der schon einiges gesehen und miterlebt hatte, fürchterlich. Der Schütze schien allerdings nicht mehr vor Ort zu sein.
 

Wie angewurzelt stand er in der Tür und stieß besorgt hervor: "Masami!"
 

Er rannte auf die junge Frau zu und legte behutsam ihren Kopf auf seinen Schoss, nachdem er sich hin gekniet hatte.
 

Besorgt musterte er sie und ihre stark blutende Wunde am Bauch und sprach: "Masami, können Sie aufstehen?"
 

Schwach öffnete die junge Frau ihre Augen und sah Takehito ins Gesicht.
 

"Takehito? Was machst du denn hier? Woher wusstest du, dass ich hier bin?", fragte Masami mit zittriger Stimme.
 

Takehito erwiderte sofort: "Bevor Sie die Wohnung verlassen hatten, konnte ich einen Peilsender in ihre Handtasche schnippen. Ich war mir ganz sicher, dass Sie die Leute treffen würden, die die wahren Drahtzieher des Überfalls auf den Geldtransporter waren. Ich hatte vorhin ja leider keine Möglichkeit Ihnen alles zu erklären."
 

Die junge Frau sah ihn eindringlich an. Dieser Junge war ganz offensichtlich kein einfacher Mittelschüler.
 

Überrascht stieß sie hervor: "Wer- Wer bist du? Sag es mir!"
 

Takehito wandte kurzzeitig seinen Blick von Masami ab. Er war sich nicht sicher, ob er seine Identität vor ihr wirklich preisgeben sollte. Schließlich stand sie mit den in schwarz gekleideten Männern in Verbindung und sie waren ganz sicher hinter ihm her. Nach einem kurzen Moment der Stille entgegnete er schließlich: "Mein Name ist Takehito Akanishi. Meines Zeichens Detektiv."
 

Masamis Augen weiteten sich. Nachdenklich stammelte sie: "Akanishi... Takehito Akanishi... ein Detektiv... ja, ich... ich habe von dir in der Zeitung gelesen."
 

Schwach richtete sie ihren Blick an die Decke und fuhr fort: "Die beiden Männer, die ich angeheuert hatte um mir bei den Raub behilflich zu sein, wurden getötet. Und mich hat es jetzt offensichtlich auch erwischt. Wahrscheinlich war das von Anfang an mein Schicksal. Ich hätte es wissen müssen... Es war die Organisation..."
 

Masami war plötzlich ungewöhnlich redselig. Als sie erfahren hatte, um wen es sich bei Takehito handelte, hatte er ihr Vertrauen gewonnen. Und er schien nun tatsächlich an die Informationen zu kommen, die der Grund dafür waren, dass er sie überhaupt aufgesucht hatte. Doch er hatte keinerlei Vorstellung in was für einen Fall er dort hinein geschlittert war.
 

"Organisation?", hakte Takehito wissbegierig nach.
 

Masami sah ihn ernst an und versuchte ihm alles mitzuteilen, was sie wusste: "Sie ist mysteriös und weit verzweigt. Eine große Organisation verschleiert von Mysterien. Wer einmal in ihren Bann gerät, den lässt sie nicht mehr los und alles was ich weiß ist, dass ihre Farbe schwarz ist."
 

"Schwarz sagen Sie?", unterbrach er die junge Frau erneut.
 

"Ja, Takehito. Das ist die Farbe, die sie hauptsächlich tragen. Die Leute, die in der Organisation etwas zu sagen haben, sind alle schwarz gekleidet. Schwarz wie das Böse... Genau wie Krähen... Schwarze Klamotten... Ihre Kleidung ist genauso schwarz wie ihre verdorbene Seele..."
 

Schlagartig schossen Takehito die Bilder der beiden in schwarz gekleideten Männer aus dem Disneyland in den Kopf. Jetzt war alles klar... Nun bestand kein Zweifel mehr. Sein Gefühl hatte ihn erneut nicht getrübt. Von Anfang bis Ende hatte er mit all seinen Vermutungen Recht behalten. Bei den Männern, die die Drahtzieher bei dem Überfall waren und den skrupellosen Männern aus dem Disneyland handelte es sich um ein und dieselben Männer. Daran gab es nun absolut keinen Zweifel mehr.
 

Masami packte Takehito am Arm und fuhr zunehmend schwächer fort: "Die schwarze Organisation verübt seit Jahren Verbrechen im Raum Kyoto. In der Szene sind sie längst eine feste Größe. Jeder versucht sie zu meiden und ihnen unter gar keinen Umständen in die Quere zu kommen, denn wer ihnen einen Strich durch die Rechnung macht, endet am Ende genauso wie ich jetzt. Bei ihren Verbrechen gehen sie geschickt vor und hinterlassen nie irgendwelche Spuren. Sie sind wie ein böser Schatten, der sich auf Kyoto gelegt hat. Das reine Böse, dem nicht einmal die japanische Polizei gewachsen ist. Sie sind organisiert und verhalten sich immer unauffällig. Niemand kennt sie. Sie sind wie böse Geister. Um ihre Identitäten zusätzlich zu verschleiern, haben alle hochrangigen Mitglieder sogenannte Decknamen. Diese Decknamen beschränken sich ausschließlich auf Spirituosen. Gin und Wodka sind die einzigen hochrangigen Mitglieder mit denen ich bisher Bekanntschaft gemacht habe. Ihre Boshaftigkeit und Skrupellosigkeit ist absolut grenzenlos. Das musste ich nun am eigenen Leib erfahren. Gin hat keine Sekunde gezögert mich aus dem Weg zu räumen. Ich stelle wohl ein zu hohes Risiko für die Organisation dar. Deshalb mussten sie mich beseitigen. Ich möchte dich um einen letzten Gefallen bitten, Takehito. Es ist sehr wichtig."
 

Zaghaft hielt sie ihm einen Schließfachschlüssel entgegen. "Hier. Der echte Schlüssel. Der, den sie mitgenommen haben, ist der Falsche. Ich habe die Kerle ganz schön reingelegt, nicht wahr? Der hier passt zu einem Schließfach am Ortsausgang vom Bahnhof Koto."
 

Masami kauerte sich vor Schmerzen und hustete stark. Takehito musterte sie besorgt. Mit schwachen glasigen Augen sah Masami ihn an und wisperte schwach: "Ich zähle auf dich, kleiner Detektiv. Das Geld muss zur Polizei. Beeil dich, bevor die rauskriegen, dass sie reingelegt worden sind. Mich werden diese Mistkerle... jedenfalls... nie wieder... benutzen..."
 

Nach diesem Satz schloss Masami geschwächt ihre Augen und binnen weniger Sekunden verließ auch der letzte Hauch Leben ihren Körper. Masami Hirota war in Takehitos Armen gestorben. Bestürzt riss er die Augen auf. Er hatte zwar jetzt die Informationen, die er wollte, aber... zu welchem Preis.
 

Selbst ihn, der durchaus mit dem Tod vertraut war, ließ das traurige Schicksal der jungen Frau nicht kalt. Und vor allem die Umstände ihres Todes. Behutsam legte er die Leiche der jungen Frau auf den Boden. Es dauerte einige Sekunden ehe er begreifen konnte, was geschehen war.
 

Kurz darauf zückte er sein Handy und wählte die Telefonnummer des Polizeihauptquartiers der Präfektur Chiba. Nachdem es zweimal geklingelt hatte, wurde das Telefonat angenommen. "Hallo?... Ja, guten Tag... Ich möchte gern Inspektor Hyuga sprechen..."
 

Seine Stimme wirkte zittrig und gebrochen. Der Tod von Masami schien ihn wirklich unheimlich nahe zu gehen. Er hatte es einfach nicht geschafft sie zu beschützen. Wäre er nur etwas schneller gewesen, hätte er sie vielleicht vor dem sicheren Tod bewahren können. Noch nie zuvor hatte Takehito sich so hilflos gefühlt.
 

Nur kurze Zeit später tauchte die Polizei am Tatort auf. Da die einzigen Fingerabdrücke, die man auf der Pistole gefunden hatte von Masami stammten, wurde geschlussfolgert, dass sie Selbstmord begangen hätte. Die Polizei war ihr dicht auf den Fersen gewesen, und man dachte, sie hätte es bemerkt. Die Milliarden wurden sichergestellt und der Fall schien abgeschlossen zu sein.
 

Aber weit gefehlt. Dieser Fall war noch lange nicht abgeschlossen. Takehito würde diese Männer in schwarz nie vergessen und eines Tages würde er sie finden und überführen. Das war für ihn so sicher wie das Amen in der Kirche...

Gewissensbisse

Nachdem die Polizei Takehitos Aussage bezüglich zum Fund der Leiche, protokolliert hatte, durfte er endlich nach Hause gehen.
 

Nervlich war er längst völlig am Ende. Alles um ihn herum wirkte so irreal. War das alles wirklich geschehen? Konnte das nicht einfach ein böser Traum sein, aus dem er jede Minute erwachen würde?
 

Schweren Schrittes machte er sich auf den Heimweg. Das Laufen fiel ihm schwer. Es war auch eher ein dahin schleichen. Von den Informationen, die Takehito von Masami in Bezug auf die schwarze Organisation erhalten hatte, erzählte er den anwesenden Polizisten natürlich nichts. Zum einen wusste er immer noch nicht welche Kreise der Korruptionsfall zog und zum anderen... Was hätte er auch sagen sollen? Er hatte weder Beweise dafür, dass diese schwarze Organisation existierte, noch dass sie in den besagten Fall involviert waren. Was also hätte er der Polizei sagen sollen? Selbst für ihn selbst klang das ganze so absurd, dass er es kaum glauben konnte.
 

Doch momentan hatte er ein weitaus präsenteres Problem, als sich über die schwarze Organisation den Kopf zu zerbrechen. Selbstvorwürfe plagten ihn. Wäre er nur etwas eher bei Masami gewesen, hätte er ihr alles erklären können. Wohlmöglich hätte er sie aufhalten können und sie so vor dieser offensichtlichen Dummheit bewahren können. Masami hatte den Tod keinesfalls verdient.
 

Doch neben seinen Selbstvorwürfen stieg in ihm auch unheimliche Wut auf. Wut auf die schwarze Organisation. Wut auf deren Handeln und dass ihnen bisher noch niemand Einhalt gebieten konnte. Warum hatte Masami nur diese offensichtliche Dummheit begangen. Es war doch offensichtlich gewesen, dass sie bereits geahnt hatte wie das enden würde.
 

"Verdammt! Verdammt! Verdammt!", fluchte Takehito innerlich.
 

Die Geschehnisse der letzten Stunden wühlten ihn innerlich auf. Noch immer fiel es ihm schwer die Vorkommnisse wirklich zu begreifen. Er hatte nicht einmal bemerkt, dass noch immer das Blut von Masami an seiner Kleidung und seinen Händen haftete. Das war ihm völlig gleich. Zu unwirklich schien das Ganze. Eine schwarze Organisation, die ungehindert Verbrechen begehen konnte, indem sie so geschickt waren keine Beweise zu hinterlassen, und offensichtlich perfekt organisiert waren. Wer würde denn solch einer Schauergeschichte Glauben schenken? Man konnte fast meinen diese Geschichte entsprang einem recht guten Kriminalroman. Doch sie war finstere Realität. All das war wirklich geschehen. Und eines war Takehito nun klar... Diese Organisation war noch gefährlicher und unberechenbarer als er es vermutet hatte.
 

Völlig niedergeschlagen kam er endlich an seinem Elternhaus an. Er stieß einen tiefen Seufzer aus. Doch dann wurde er jäh aus seinen Gedanken gerissen. Eine ihm wohl bekannte Stimme drang in sein Ohr.
 

"Hey, Detektivspinner!"
 

Diese Worte konnten nur von einer Person stammen. Takehito wandte sich kurzer Hand um und hob seinen Blick an. Wie bereits zu erwarten war, erblickte er Manami. Wieder seufzte er, erwiderte allerdings nichts. Ihm war einfach nicht nach Reden zumute. Als Manami allerdings das Blut an seiner Kleidung und seinen Händen sah, reagierte sie direkt panisch: "Takehito! Bist du verletzt? Überall an dir haftet Blut!"
 

Erst jetzt blickte er an sich hinunter und bemerkte, dass er Masamis Blut an sich trug. Nach einem tiefen Seufzer sprach er betrübt: "Nein. Alles in bester Ordnung. Ich bin nicht verletzt. Es handelt sich hierbei nicht um mein Blut."
 

"Es ist ihres...", fuhr er in Gedanken fort.
 

Manami kam derweil auf ihn zugelaufen und sprach mit einem schnippischen Unterton in ihrer Stimme: "Na wenn du meinst. Du musst es ja wissen. Hast du dich denn mittlerweile wenigstens etwas beruhigt? Du hast dich ja gestern aufgeführt wie ein Idiot!"
 

Angesprochener warf dem nichts ahnenden Mädchen einen Blick zu, der Bände sprach und entgegnete genervt: "Verschon' mich mit deinem kindischen Gefasel, ja! Ich habe ganz andere Probleme und vor allem habe ich einen anstrengenden Tag hinter mir. Also verschon mich bitte, ja!"
 

Ohne ein weiteres Wort verschwand er in seinem Elternhaus und ließ Manami an Ort und Stelle stehen wie bestellt und nicht abgeholt.
 

Völlig überrumpelt blickte sie im nach. Aber sie war überhaupt nicht wütend über seine Reaktion. Im Gegenteil... sie machte sich schreckliche Sorgen um ihren Freund. Irgendetwas stimmte ganz und gar nicht mit ihm. Seit sie gemeinsam mit ihm vor einigen Tagen im Disneyland war, war er wie ausgewechselt. Er schien völlig neben sich zu stehen. Eigentlich hatte sie erwartet, dass er vor Selbstverliebtheit nur so strotzen würde, nachdem er den Mordfall, der sich dort ereignet hatte, so grandios gelöst hatte. Aber das komplette Gegenteil schien der Fall zu sein. Und genau das machte das Mädchen stutzig. Irgendetwas musste ihrem Freund tierisch zu schaffen machen. Aber was nur? Was war geschehen, dass er sich nun so verhielt?
 

Manami wollte Antworten. Doch sie musste sich genau überlegen wie sie ihm diese Antworten entlocken konnte. Dabei musste sie gerissen vorgehen, denn einfach so würde Takehito ihr wohl nicht Rede und Antwort stehen.

Das nächste Ziel der Organisation

Als Takehito die Tür hinter sich geschlossen hatte, hatte er bereits im nächsten Moment ein schlechtes Gewissen. Er hatte es schon wieder getan. Er hatte seinen Frust und Ärger an Manami ausgelassen. Gerade an ihr, die eigentlich am aller wenigsten für das Ganze konnte. Bereits gestern hatte er sie vor den Kopf gestoßen. Und jetzt schon wieder. Und dabei hatte sie sich einfach nur um ihn gesorgt. Er wusste, dass sein Verhalten seiner Freundin gegenüber in den letzten beiden Tagen ziemlich unfair war. Allerdings war er auch viel zu stolz um sich zu entschuldigen.
 

Während er sich nun auch noch über sein Verhalten gegenüber seiner besten Freundin ärgerte, ließ er sich am Schreibtisch seines Vaters in dessen Arbeitszimmer nieder.
 

Recht schnell konzentrierten sich seine Gedanken wieder erneut auf Masami. Noch immer konnte er nicht so recht begreifen, was in den letzten Stunden geschehen war.
 

Einige Zeit saß er einfach auf dem Stuhl am Schreibtisch seines Vaters und war nicht in der Lage einen klaren Gedanken zu fassen. Bis er sich schließlich doch endlich wieder fasste.
 

Er konnte jetzt nicht untätig rumsitzen und in Selbstvorwürfen versinken. Geschehenes war geschehen. Daran konnte er, ganz gleich wie sehr er es auch wollte, nichts ändern. Masami hatte ihm ihr Leben anvertraut. Das konnte er jetzt nicht ohne weiteres ignorieren. Für ihn war es an der Zeit zu handeln. Bevor noch jemand durch die Machenschaften der schwarzen Organisation sein Leben lassen musste.
 

"Okay, Takehito. Du musst dich jetzt zusammen reißen!", sprach er tadelnd zu sich selbst.
 

Sein Entschluss stand fest... Er würde bis zum bitteren Ende gegen die schwarze Organisation ermitteln. Komme was wolle. Genau das war es, was auch Masami gewollt hätte.
 

Er breitete vor sich ein leeres Blatt Papier aus und nahm all seine Konzentration zusammen. Ihm war klar, dass die Organisation mindestens zwei potentielle nächste Ziele hatte.
 

Zum einen war er definitiv ein Ziel der schwarzen Organisation. Er hatte sie bei ihrem verdächtigen Deal beobachtet. Sollte die Organisation also so agieren, wie er es bisher vermutete, so war Takehito ein hohes Risiko für die Organisation. Sie hatten ja sogar ein Mitglied aus ihren eigenen Reihen aus dem Weg geräumt, da es ein zu hohes Risiko darstellte sie am Leben zu lassen. Warum sollten sie also ausgerechnet bei ihm eine Ausnahme machen. Sie waren hundert prozentig hinter ihm her und ihm wahrscheinlich dicht auf den Fersen. Das war so sicher wie das Amen in der Kirche.
 

Des Weiteren suchten sie offensichtlich nach jemanden, den sie beseitigen wollten. Takehito musste nur herausfinden wer derjenige war und das am besten noch vor ihnen.
 

"Moment mal... was haben sie noch gleich damals im Disneyland gesagt?"
 

Takehito versuchte sich ganz genau an diesen verdächtigen Deal zu erinnern. Sein Tonmitschnitt hätte ihm jetzt wahrscheinlich ungemein geholfen. Den hatten ihm allerdings die Männer in schwarz abgenommen, nachdem sie ihn nieder geschlagen hatten.
 

"Takehito, denk nach... Denk nach, verdammt nochmal!", murmelte er und schlug sich mit der flachen Hand immer wieder gegen die Stirn.
 

Und so langsam schienen die Erinnerungen zurück zu kehren. Er war sich sicher, dass die beiden Männer, welchen er im Disneyland begegnet war, Gin und Wodka gewesen sein mussten. Von den beiden Decknamen hatte auch Masami gesprochen. Auch wenn ihm ihre Identitäten unbekannt waren, so kannte er zumindest ihre Decknamen.
 

Gin und Wodka waren also ausführende Organe der schwarzen Organisation. So weit so gut. Klar war auch, dass die Organisation selbst nicht wusste, nach wem genau sie suchten. Sonst wären sie wohl kaum das Risiko eingegangen einen Polizisten zu bestechen. Das Risiko, dass die dunklen Machenschaften der schwarzen Organisation auffliegen könnten, war viel zu hoch. Also hatten sie offensichtlich keine andere Wahl als dieses Risiko einzugehen. Allerdings hatten die beiden Männer noch eine dritte Spirituose erwähnt... SHERRY.
 

Aber wer war dieser Sherry?
 

Offensichtlich schien es auch ein Deckname zu sein. Doch wenn diese Person, nach der sie suchten, einen Decknamen hatte, dann war es doch ganz offensichtlich ebenfalls ein Organisationsmitglied. Weshalb wussten sie dann nicht nach wem sie suchten? Sie müssten doch ihre Mitglieder kennen. Wer zur Hölle war also Sherry? War er ein Organisationsmitglied oder nicht? Mit der flachen Hand schlug Takehito auf den Tisch.
 

"Das ergibt doch alles überhaupt keinen Sinn!", brüllte er verzweifelt.
 

Je mehr er darüber nachdachte, desto verzwickter erschien ihm das Ganze. Irgendwie passte kein Puzzlestück zum anderen. Nur eines war sicher... Egal ob Organisationsmitglied oder nicht. Sherry sollte ihr nächstes Opfer werden.
 

Glück im Unglück war bisher nur, dass sie nichts wirklich über ihn wussten. Leider wusste Takehito genau so wenig. Er wusste eigentlich genau so wenig über Sherry wie die Männer in schwarz.
 

Es gab nur zwei Informationen, die er hatte: Erstens, Sherry war im Jahr 1983 geboren. Und zweitens, er oder sie war in Kyoto geboren und lebte seit geraumer Zeit in Tokio.
 

Das erklärte zumindest weshalb Gin und Wodka sich momentan in Tokio aufhielten, wo die Organisation doch eher im Raum Kyoto agierte. Doch diese Informationen halfen ihm nicht weiter. Wie sollte er mit diesen sporadischen Informationen auch nur im Entferntesten herausfinden wer Sherry war. Und das noch vor den Männern in schwarz. Doch wenn es so einfach gewesen wäre, hätten sie Sherry wahrscheinlich schon längst gefunden.
 

Doch Takehito genoss einen Vorteil. Sein Großvater war immerhin der Polizeichef von Kyoto. Er könnte ihm sicherlich Informationen darüber beschaffen, welche Personen im Jahr 1983 geboren wurden und von Kyoto nach Tokio gezogen waren.
 

Takehito zögerte nicht lang. Erneut beschloss er seinen Großvater um Unterstützung zu bitten. Doch im Gegensatz zum Morgen schrieb er ihm lediglich eine SMS. Er hatte momentan keinen Nerv für sinnlose Diskussionen in denen sein Großvater versuchte ihm den Ernst der Lage bewusst zu machen. Dem war er sich durchaus selbst bewusst. Er wusste worauf er sich einließ. Das änderte jedoch nichts an der Tatsache, dass er diese Informationen zwingend benötigte um einen Mord zu verhindern. Er hoffte einfach nur, dass sein Großvater ihm diese Informationen, welche er wollte, überlassen würde ohne groß nach zu fragen.

Manamis Sorgen

Es war bereits weit nach Mitternacht, als Manami aus dem Fenster ihres Zimmers blickte. Von dort aus konnte sie Takehitos Elternhaus sehen.
 

Noch immer brannte in dem Arbeitszimmer seines Vaters Licht.
 

Sie wusste, dass er momentan allein in dem großen Haus war. Deshalb konnte nur er sich momentan in dem Arbeitszimmer aufhalten. Ein Blick auf die Uhr verriet ihr, dass es bereits nach eins war. Besorgt sah sie aus dem Fenster.
 

"Was machst du nur, Takehito?", murmelte sie leise vor sich hin.
 

Ihre Sorge um ihren Freund wurde immer größer. Was war nur los mit ihm? Eines war ihr klar. Irgendetwas musste ihm wirklich zu schaffen machen. Anders konnte sie sich sein Verhalten einfach nicht erklären.
 

Aber sie wusste sich absolut keinen Reim darauf zu machen. Als die beiden letztens gemeinsam im Disneyland waren, war er noch ganz der Alte. Und urplötzlich legte er ein völlig anderes, für ihn untypisches Verhalten, an den Tag. Irgendetwas musste seitdem geschehen sein. Irgendetwas, von dem sie nichts wusste. Vielleicht war sogar etwas im Disneyland vorgefallen. Das würde zumindest erklären, weshalb er sie im Disneyland hat stehen lassen und sie allein nach Hause gehen musste. Aber warum sagte er es ihr nicht einfach?
 

Manami war ratlos. Er konnte bisher über alles mit ihr reden. Also, warum tat er es nicht einfach? War es so schrecklich, dass er es nicht sagen konnte? Oder steckte doch noch etwas anderes dahinter?
 

Sie seufzte.
 

Es würde jetzt keinen Sinn machen sich darüber den Kopf zu zerbrechen. Sie würde ohnehin nur von ihm selbst Antworten auf ihre Fragen bekommen.
 

Und genau aus diesem Grund beschloss sie ihn gleich Frühs zur Rede zu stellen. Sobald die Sonne aufginge, würde sie zu ihm gehen und Antworten verlangen.

Die Suche nach der Nadel im Heuhaufen

Zur selben Zeit saß Takehito immer noch am Schreibtisch seines Vaters.
 

Er hatte sich seit Stunden nicht vom Fleck bewegt. Es war offensichtlich, dass er völlig in seinen Gedanken versunken war. Noch immer kreisten sie um Sherry. Die Person, nach der die schwarze Organisation zu suchen schien. Ihm war klar, je länger er brauchen würde Sherry aufzuspüren, desto höher war die Wahrscheinlichkeit, dass ihm die schwarze Organisation zuvor kommen würde.
 

Die Zeit war momentan sein größter Feind.
 

Wenn es der Organisation tatsächlich gelingen sollte Sherry vor ihm zu finden, würde ihn wohl dasselbe Schicksal erleiden wie vor ein paar Stunden Masami. Und das wollte er unter keinen Umständen zulassen. Er würde alle Hebel in Bewegung setzen um Sherry vor den Männern in schwarz zu finden.
 

Er ballte seine rechte Hand zur Faust und schlug damit auf den Tisch. Wieder sah er Masami vor seinem inneren Auge, blutüberströmt, der er das Leben hätte retten können, wäre er nur etwas schneller gewesen. Und er wusste, dieser Fehler würde ihm sicher kein zweites Mal unterlaufen.
 

Doch dann wurde er schlagartig aus seinen Gedanken gerissen.
 

Das Telefon im Arbeitszimmer seines Vaters begann zu läuten. Erschrocken fuhr er zusammen. Die Ereignisse der letzten Stunden schienen bereits Spuren hinterlassen zu haben. Nie zuvor war er so schreckhaft gewesen. Doch er hatte sich dann doch recht schnell wieder gefangen.
 

Instinktiv wusste er, nur eine Person konnte jetzt zu dieser fortgeschrittenen Stunde noch anrufen... Sein Großvater. Schließlich hatte er auf seinen Anruf bereits gewartet. Doch er zögerte. Er war sich plötzlich gar nicht mehr so sicher ob er das Telefongespräch annehmen sollte. Er kannte seinen Großvater nur zu gut. Er dachte über den Grund seines Anrufes nach. Würde er ihm jetzt eine Moralpredigt halten, dass er die ganze Angelegenheit der Polizei überlassen sollte? Das würde zumindest gut zu ihm passen. Es wäre schließlich nicht das erste Mal, dass sein Großvater versuchen würde ihm die Ermittlungen in diesem Fall auszureden. Vielleicht hatte er ihm aber auch die gewünschten Informationen besorgt, um die er ihn gebeten hatte.
 

Takehito hatte keine Wahl. Um es heraus zu finden, musste er wohl oder übel ans Telefon gehen.
 

"Akanishi, Takehito. Guten Abend.", meldete er sich vornehm, als wüsste er nicht wer am anderen Ende der Leitung war.
 

Und schon erklang, wie bereits erwartet, die Stimme seines Großvaters: " Jetzt tu mal nicht so, als würdest du nicht wissen, wer am anderen Ende der Leitung ist. Wer sollte dich denn bitte sonst zu so später Stunde anrufen? Oder hast du etwa jemand anderen erwartet. Wie dem auch sei. Ich habe dir noch etwas zu sagen... Du hast wirklich Nerven, Hito-Chan! Erst legst du heute Morgen einfach auf, ohne mich aussprechen zu lassen und dann bittest du mich erneut um Hilfe... Also, Hito-Chan, hör mir jetzt bitte ganz genau zu. Und ich möchte, dass du mich zur Abwechslung mal ernst nimmst. Dieser Fall, in den du dort hinein geraten bist, ist nicht einer von deinen bisherigen Fällen. Bisher fand ich deine detektivischen Fähigkeiten ja durchaus überragend. Aber dieser Fall ist anders. Und vor allem scheint er mir höchstgefährlich zu sein. Damit sollte sich ein Schülerdetektiv nicht beschäftigen. Hier sind offensichtlich Mächte am Werk, die außerhalb deiner Vorstellungskraft liegen. Mächte, denen du nicht gewachsen bist. Du begibst dich in wahnsinnige Gefahr, wenn du diesbezüglich weiter ermittelst. Ich weiß, dass du deinen eigenen Kopf hast... Aber... bitte Takehito. Du solltest wenigstens dieses eine Mal auf deinen alten Großvater hören. Es gibt nichts, was du gegen sie ausrichten könntest. Überlass die Ermittlungen dieses Mal den Profis. Ich bitte dich nicht als Polizeichef von Kyoto darum, sondern als dein Großvater, der seinen Enkel noch ein paar Jahre bei sich haben will. Ich bitte dich deine Ermittlungen in diesem Fall einzustellen..."
 

Takehito rollte mit den Augen. Nur gut, dass Tatsuya ihn nur hören und nicht sehen konnte. Es war genau das geschehen, was er bereits vermutet hatte. Und eigentlich war es ihm doch von vorn herein klar gewesen. Sein Großvater wäre eben nicht sein Großvater, wenn er nicht erneut versucht hätte ihn von seinen Ermittlungen abzuraten. Takehito hätte sich wahrscheinlich auch gewundert, wenn er es nicht getan hätte. Prinzipiell ging es ihm ja dabei auch nicht darum seinen Enkel zu bevormunden. Im Gegenteil. Er wusste genau, dass sein Großvater der einzige aus seiner Familie war, der tiefes Vertrauen in ihn hatte. Noch nie hatte Tatsuya an den Schlussfolgerungen seines Enkels gezweifelt. Oft hatte der junge Detektiv sich ein so tiefes Vertrauen auch von seinen Eltern gewünscht. Tatsuyas erneute Moralpredigt war einzig und allein darin begründet, dass er sich Sorgen um seinen ältesten Enkel machte, weil er ihm selbst einfach so verdammt ähnlich war. Doch auch wenn Takehito das klar war, nervten ihn momentan die Worte seines Großvaters.
 

Genervt unterbrach er ihn schließlich: "Ich weiß ja, dass du dir einfach nur Sorgen um mich machst, aber... Es tut mir leid, Ojiisan, aber..."
 

Doch noch ehe er seinen Satz beenden konnte, fiel ihm sein Großvater bereits ins Wort: "Ja, ja, ich weiß, Hito-Chan. Du brauchst gar nicht weiter sprechen. Ich weiß schon, was du mir sagen willst. Zumindest ungefähr. Du bist mir einfach viel zu ähnlich. In deinem Alter war ich ganz genau wie du jetzt. Es gab nur einen Unterschied... Ich habe mich nicht Hals über Kopf in mein Verderben gestürzt. Dass deine Ermittlungen in diesem Fall gefährlich sind, weißt du wohlmöglich selbst. Das hätte ich dir nicht sagen brauchen. Und trotzdem weichst du keinen Millimeter von deinem Standpunkt ab. Mir war schon vor unserem Telefonat klar, dass du nicht aufhören wirst in diesem Fall zu ermitteln. Und auch wenn du mir nicht alles erzählst... Du wirst sicher deine Gründe haben, dass dich der Fall so fesselt. Ich vertraue dir Takehito. Ich bin mir sicher, du weißt was du tust. Und deshalb habe ich einen Entschluss gefasst. Wenn ich dich nicht schon davon abhalten kann in diesem Fall zu ermitteln, werde ich dich zumindest mit allen Mitteln, die mir zu Verfügung stehen unterstützen. Und genau aus diesem Grund habe ich dir auch die Informationen besorgt um die du mich gebeten hast."
 

Takehitos Augen weiteten sich. Hatte er da gerade richtig gehört?
 

"Ist das dein Ernst?", stieß er verwundert hervor.
 

Sein Großvater entgegnete sofort: "Ja. Das ist mein voller Ernst. Allerdings war es gar nicht so einfach dir diese Informationen zu beschaffen, wie ich ursprünglich dachte. Das hat mich noch einmal in dem Verdacht bestätigt, dass du dich da an einer ganz gefährlichen Sache fest gebissen hast. Nichtsdestotrotz werde ich dir jetzt all die Informationen geben, die ich in Erfahrung bringen konnte. Wobei mir ehrlich gesagt nicht ganz klar ist, was genau dir eigentlich diese Informationen bringen sollen. Aber ich vertraue dir. Ich bin mir ganz sicher, dass du weißt was du tust. Du wirst schon einen Grund gehabt haben nach genau diesen Informationen gefragt zu haben. Also, hör zu, Takehito..."
 

Damit hatte er wirklich nicht gerechnet. Er wusste zwar, dass sein Großvater ihm vertraute, aber dass er ihm tatsächlich die Informationen besorgen würde... damit hatte er nicht gerechnet. Geistesgegenwärtig schnappte er sich ein Stück Papier und schrieb die Informationen, die ihm sein Großvater übermittelte mit.
 

"Es gibt insgesamt zehn Kinder, die im Jahr 1983 in Kyoto geboren wurden, dort mit ihren Familien lebten und dann im Laufe der Zeit nach Tokio gezogen sind. Ich werde sie dir jetzt einem nach dem anderen aufzählen... Erstens Miyu Suzuki, ein Mädchen, geboren am 06. Februar und lebt seit 1991 in Tokio. Zweitens Saburou Yamamoto, ein Junge, geboren am 19. März und lebt seit 1989 in Tokio. Drittens Kenta Tanaka, geboren am 28. Mai und lebt seit 1990 in Tokio. Viertens Daisuke Kato, ein Junge, geboren am 18. Juni und lebt seit 1994 in Tokio. Fünftens Honoka Kobayashi, ein Mädchen, geboren am 25. August und lebt seit 1993 in Tokio. Sechstens Koharu Watanabe, ebenfalls ein Mädchen, geboren am 21. September und lebt seit 1986 in Tokio. Siebtens Tsuyoshi Sato, ein Junge, geboren am 03. Oktober und lebt seit 1984 in Tokio. Achtens Sotoshi Takahashi, ein Junge, geboren am 11. November und lebt seit 1987 in Tokio. Und neuntens Hiroshi Ito, ein Junge, geboren am 10. Dezember und lebt seit 1985 in Tokio. Ich werde dir später noch per SMS die aktuellen Meldeadressen dieser Personen in Tokio zukommen lassen. Mehr kann ich leider nicht für dich tun, Hito-Chan."
 

Takehito notierte sich alles gewissenhaft. Name, Geburtsdatum, Umzug nach Tokio... all diese Informationen könnten ihm noch von Nutzen sein. Doch dann fiel ihm etwas auf.
 

Sofort sprach er in den Hörer: "Moment, Moment, Moment! Du hast doch gerade gesagt, dass es zehn Kinder sind, die im Jahr 1983 geboren sind und dann nach Tokio gezogen sind. Du hast mir aber gerade lediglich neun Namen genannt. Wer ist das zehnte Kind?"
 

"Das ist genau das, was ich meinte, als ich dir vorhin sagte, dass es nicht so einfach war dir die Informationen zu beschaffen, die du wolltest. In der Tat waren es zehn Kinder, die 1983 geboren wurden und dann nach Tokio gezogen sind. Allerdings bin ich nur an Informationen über die neun Kinder gekommen, die ich dir eben genannt habe. Das war vergleichsweise auch gar nicht schwer. Allerdings konnte ich nichts über dieses zehnte Kind in der Datenbank finden. Alle Daten zu diesem Kind waren verschlüsselt und nicht einmal ich als Polizeichef hatte die Berechtigung diese Daten einzusehen. Aus irgendeinem Grund sollen diese Daten geheim sein und bleiben. Verstehst du, was ich dir damit sagen will? Es ist doch nicht normal, dass die Daten eines Teenagers so stark geschützt werden. Jemand will unter keinen Umständen, dass jemand erfährt wer dieses zehnte Kind ist. Nicht einmal wir als Polizei sollen wissen um wen es sich bei dieser Person handelt. Aber ich kann dir in diesem Punkt einfach nicht helfen. Ich habe alles versucht um an die Informationen des Kindes zu kommen. Aber vergebens... Nun liegt es an dir, was du daraus machst. Wann immer du Hilfe brauchst, kannst du mich kontaktieren. Und noch etwas, Hito-Chan... Sei bitte vorsichtig."
 

Mit diesem Satz beendete Tatsuya das Telefonat mit seinem Enkel. Takehito ließ noch einmal seinen Blick über seine Notizen schweifen. Wirklich schlauer war er nun nicht. Zwar hatte er die Informationen, die er wollte, wusste allerdings nicht, was genau er mit diesen Informationen anfangen sollte.
 

Doch ihn beunruhigte eine ganz andere Sache. Und zwar, dass die Informationen über das zehnte Kind so geheim zu sein schienen, dass nicht einmal Tatsuya Akanishi als Polizeichef von Kyoto an diese Informationen kam. Das war doch alles kein Zufall mehr. Warum zur Hölle sollten die Daten eines Teenagers so brisant sein, dass sie so geheim gehalten werden mussten? Dafür musste es einen Grund geben.
 

Für den pfiffigen Schülerdetektiv gab es nur eine plausible Erklärung.
 

Dieses zehnte Kind musste Sherry sein. Daran bestand kein Zweifel.
 

Das positive an der Sache war, dass die schwarze Organisation noch nicht wusste wer Sherry war. Denn wenn selbst der Kyotoer Polizeichef nicht an diese Information kam, war es für die schwarze Organisation schier unmöglich.
 

Das negative an der Sache war allerdings, dass auch er selbst immer noch nicht wusste wer Sherry war. Und er hatte keine Ahnung wie er es herausfinden sollte. Dieses Mysterium schien unlösbar zu sein.
 

Als Takehito so in seinen Gedanken versunken war, fielen ihm die Augenlieder zu. Es dauerte nicht lang und er schlief erschöpft ein...

Dunkle Wolken ziehen auf

Manami wurde bereits durch die ersten Sonnenstrahlen sanft aus dem Schlaf geweckt. Langsam öffnete sie ihre Augen, nur um sie kurz darauf wieder zusammen zu kneifen, weil die Sonne so stark blendete.
 

Erholt rieb sie sich den Schlaf aus den Augen und streckte sich ausgiebig, woraufhin sie dann endlich ihre Augen aufschlagen konnte.
 

Ihr erster Gedanke an diesem Morgen galt Takehito. Im nächsten Moment warf sie einen Blick aus dem Fenster, hinüber zu seinem Elternhaus. Auch wenn es durch das helle Sonnenlicht mittlerweile schwer zu erkennen war... In dem Arbeitszimmer von seines Vater brannte noch immer das Licht.
 

Manami seufzte.
 

Es gab eigentlich nur zwei Möglichkeiten.
 

Entweder war er am Schreibtisch eingeschlafen oder er hatte die Nacht durch gemacht. Wobei ersteres ihr durchaus plausibler erschien, denn wenn er noch wach gewesen wäre, dann hätte er das Licht schon längst gelöscht, weil es mittlerweile hell genug draußen war.
 

Wieder ein seufzen von ihr.
 

Offensichtlich hatte sie allen Grund dazu sich um ihren besten Freund zu sorgen. Daran hatte sie nun keinen Zweifel mehr. Nach dem Frühstück würde sie ihm definitiv einen Besuch abstatten. Und sie würde erst wieder gehen, wenn Takehito ihr endlich sagen würde was ihn beschäftigte. Dieses Mal würde sie sich nicht abwimmeln lassen.
 

Auch während sie sich im Badezimmer fertig machte, hielt sie an ihrem Entschluss fest. Zwar wusste sie, dass es ihm wahrscheinlich nicht gefallen würde, allerdings war ihr das ziemlich egal. Wie gesagt, so getan.
 

Blitzschnell nahm Manami ihr Frühstück zu sich. Dabei war sie tief in Gedanken versunken. Sie machte sich bereits Gedanken darüber, wie sie am schlauesten bei der ganzen Sache vorgehen sollte. Sie kannte Takehito gut und wusste, er würde nicht ohne weiteres über seine Probleme reden. So war er ganz einfach. Sie seufzte. Dass sie so tief in Gedanken versunken war, blieb natürlich auch von ihrer Großmutter nicht unbemerkt.
 

Besorgt sprach sie: "Nami Kind? Was bedrückt dich? Du bist so tief in Gedanken versunken."
 

Auf eine Antwort wartete sie vergebens. Ihre Enkelin schien sie überhaupt nicht wahr zu nehmen. Sie stopfte einfach nur ihr Essen in sich hinein. Und schließlich sprang sie urplötzlich auf.
 

Nachdem sie ihr Geschirr abgeräumt hatte, begab sie sich in den Flur und zog sich ihre Schuhe an.
 

Verwundert folgte ihre Großmutter Erie ihr in den Flur und fragte: "Nami-Chan? Wo willst du denn so früh schon hin? Jetzt rede doch endlich mal mit mir. Ich sehe doch, dass irgendetwas nicht stimmt."
 

"Ich gehe zu Takehito. Ich werde wohl nicht vor dem Abendessen zurück sein. Du brauchst also mit dem Mittagessen nicht auf mich warten.", entgegnete sie kurz und verließ sogleich das Haus.
 

Das letzte, was sie jetzt gebrauchen konnte, war eine Diskussion mit ihrer Großmutter, die ohnehin der Meinung war, dass Takehito kein guter Umgang für ihre Enkeltochter sei. Darauf konnte sie jetzt gut und gern verzichten. Sie war schließlich alt genug um selbst zu entscheiden mit wem sie befreundet sein wollte. Außerdem war sie immer noch der Meinung, dass das Schicksal sie und Takehito aus einem bestimmten Grund zueinander geführt hatte. Alles im Leben... Jede Begegnung, ob positiv oder negativ, hatte irgendeinen Sinn. Und Takehito schien jetzt offensichtlich ihre Hilfe zu brauchen. Auch wenn er sich das selbst nie eingestehen würde. Aber er musste ihr jetzt einfach Antworten geben. Vorher würde sie ihn nicht in Ruhe lassen.
 

Doch an der Straße angekommen, hielt das junge Mädchen kurzerhand inne. Sie hatte keine Ahnung wie sie ihm gegenüber treten sollte. Was hatte sie sich nur bei der ganzen Sache gedacht? Als ob er ihr einfach so sagen würde was ihn bedrückt. Manami stieß einen lauten Seufzer aus.
 

"Er macht sich manchmal überhaupt keine Gedanken über die möglichen Folgen, wenn er sich von seinem Sinn für Gerechtigkeit mitreißen lässt und nach der Wahrheit sucht. Aber dann nimmt er wieder alles allein auf sich um niemanden weh zu tun. Das ist eben ein Charakterzug von ihm. Ein gefährlicher Charakterzug. Wobei ich zugeben muss, dass ich ihn gerade wegen diesem Charakterzug unheimlich ins Herz geschlossen habe. Und ich finde ihn sehr interessant. Aber ich frage mich, ob er überhaupt weiß, dass er auf diese Weise einen Duft verströmt, der alle Mädchen betört. Mich eingeschlossen... Der ihn andererseits aber auch sehr einsam machen kann... Takehito...", murmelte sie nachdenklich vor sich hin.
 

Wieder ein Seufzen von ihr.
 

Takehitos typischste Charaktereigenschaft war, dass er alles mit sich selbst ausmachte. Allein aus diesem Grund war es durchaus unwahrscheinlich, dass er ihr sagen würde, was ihn bedrückt. Ganz gleich wie hartnäckig sie auch blieb.
 

Manami war ratlos.
 

Was sollte sie nur tun? Wie konnte sie ihm nur helfen? Ihre anfängliche Überzeugtheit wich nun völlig.

Der schwarze Schatten

Manami stand wie angewurzelt am Straßenrand, nur ein paar Schritte von Takehitos Elternhaus entfernt. Ihr Blick ruhte auf dem Fenster, das ins Arbeitszimmer von seinem Vater führte. Das Licht im Inneren brannte noch immer. Aus dem Inneren des Hauses waren keinerlei Geräusche zu vernehmen. Allem Anschein nach schien Takehito tatsächlich noch zu schlafen.
 

Doch dann wurde das junge Mädchen aus ihren Gedanken gerissen.
 

Laute Motorengeräusche rissen sie aus ihren Gedanken und sie schienen näher zu kommen. Es war äußerst ungewöhnlich, dass ein Auto diese Straße entlang fuhr, deshalb hatte dieses Motorengeräusch sie auch so ruckartig aus ihren Gedanken gerissen. Als sie sich umwandte, sah sie den Wagen, der diese Geräusche verursachte.
 

Es war ein schwarzer Porsche 356 A. Zwar ein Oldtimer, aber ein äußerst schönes Modell. Manamis Blick ruhte nun auf diesem Wagen, der ungewöhnlich langsam die Straße hinauf fuhr. In Schrittgeschwindigkeit fuhr der Wagen an ihr vorbei. Eine ungewöhnliche Aura ging von diesem Wagen aus. Sie konnte sie mit jeder Faser ihres Körpers spüren.
 

Als der Wagen dann an ihr vorbei fuhr, trafen sich flüchtig die Blicke von ihr und des Beifahrers. Er war genau so schwarz gekleidet wie die Farbe des Autos. Seinen Hut hatte er tief ins Gesicht gezogen. Dennoch konnte Manami ihm für einen kurzen Augenblick in seine jadegrünen Augen schauen.
 

In diesem Moment, als sich die Blicke der beiden trafen, durchzog das Mädchen ein Gefühl, welches sie so noch nie zuvor gefühlt hatte.
 

Dieser Augenblick, wenngleich es nur für wenige Sekunden war, als sich ihre Blicke trafen, ließ Manami vor Furcht erstarren. Sein flüchtiger Blick schien sie schier zu durchbohren. Noch nie zuvor hatte etwas ihr mehr Angst eingejagt, als dieser Blick.
 

Panisch dachte sie: "Was ist das? Was zur Hölle ist das? Dieses Gefühl..."
 

Noch immer war sie starr vor Schreck. Die Furcht lief ihr eiskalt den Rücken herunter. Wie versteinert stand sie am Straßenrand und konnte sich nicht rühren. Sie konnte es sich beim besten Willen nicht erklären warum, aber aus irgendeinem Grund jagten ihr dieser Porsche 356 A und der in schwarz gekleidete Beifahrer eine wahnsinnige Angst ein. Doch aus welchem Grund nur? Sie hatte diesen Mann noch nie zuvor gesehen. Oder vielleicht doch?
 

Es dauerte einige Augenblicke ehe das Mädchen sich gefangen hatte. Sie versuchte sich an das Gesicht des Beifahrers zu erinnern. Irgendwoher kannte sie diesen Mann. Aber woher nur?
 

Doch dann fiel es ihr wie Schuppen von den Augen. Das war einer der beiden Männer aus dem Disneyland. Da war sie sich ganz sicher. Aber was machte er hier? Manami hatte diesen Mann noch nie zuvor gesehen und jetzt, urplötzlich, gleich zwei Mal in kürzester Zeit. Das konnte doch unmöglich ein Zufall sein.
 

Als sie sich dann umwandte, war dieser schwarze Porsche wie vom Erdboden verschluckt. Er musste wohl in eine andere Straße abgebogen sein.
 

Erst jetzt bemerkte das Mädchen ihren erhöhten Puls und dass ihr Herz bis zum Hals schlug. Sie atmete ganz langsam ein und aus um ihren Puls schnellstmöglich wieder unter Kontrolle zu bekommen. Noch immer konnte sie sich nicht erklären was gerade mit ihr los war. So kannte sie sich selbst gar nicht.
 

Doch sie tat es dann doch recht schnell als Überreaktion ab. Wohlmöglich lag es daran, dass sie sich momentan so um Takehito sorgte. Und da war er wieder. Der Grund weshalb sie eigentlich hier auf der Straße stand.
 

Er war der Grund dafür.

Spurensuche á la Manami

Bedrückt ließ Manami erneut ihren Blick in Richtung Takehitos Elternhaus wandern.
 

Insgeheim hoffte sie, dass ihre Sorge unbegründet war.
 

Es gab nur eine Möglichkeit das heraus zu finden... Sie musste ihn zur Rede stellen.
 

Schließlich fasste sie sich ein Herz und begab sich zur Haustür von Takehitos Elternhaus.
 

Nachdem sie einen tiefen Seufzer von sich gelassen hatte, betätigte sie die Klingel. Doch selbst nach einigen Minuten warten, rührte sich nichts. Doch so schnell wollte sie nicht aufgeben. Sie betätigte die Klingel ein zweites Mal. Wieder nichts... Was nun? Warum öffnete er die Tür nicht? War ihm vielleicht etwas zugestoßen? Nein. Sie schüttelte den Kopf. An so etwas durfte sie gar nicht denken. Wahrscheinlich schlief er einfach nur tief und fest. Sie legte ihre Hand auf die Türklinke. Einen kurzen Moment zögerte sie, ehe sie die Türklinke nach unten drückte.
 

Entgegen ihrer Erwartungen war die Tür nicht verschlossen und ließ sich ohne weiteres öffnen. Und nun? Sollte sie einfach so hinein gehen? Das war eigentlich nicht ihre Art. Aber ihre Sorge um Takehito war größer als ihre gute Erziehung.
 

Mit leisen Schritten betrat Manami das Haus der Akanishis. Auch wenn sie nicht zum ersten Mal in diesem Haus war, hatte sie dennoch ein schlechtes Gewissen. Sie hatte kein gutes Gefühl dabei das Haus jetzt einfach so ungefragt zu betreten. Aber jetzt war sie einmal im Haus, jetzt konnte sie auch nach Takehito schauen.
 

Zielstrebig ging sie zu dem Zimmer, in dem sie ihn vermutete...
 

Das Arbeitszimmer seines Vaters. Leise schlich sie in das Zimmer.
 

Und dann sah sie ihn. Er hatte seine Arme auf den Schreibtisch gelegt, vergrub seinen Kopf darin und schien seelenruhig zu schlafen. Dieser Anblick zauberte Manami ein Lächeln ins Gesicht. Er sah so friedlich aus wie er dort lag. Von was er wohl gerade träumte? Sie hätte ihm wahrscheinlich noch Stunden zuschauen können. Allerdings würde das auch nichts an der Tatsache ändern, dass sie sich unheimlich Sorgen um ihn machte.
 

Leise schlich sie in Richtung Schreibtisch. Sie wollte ihn wecken, um endlich Antworten von ihm Verlangen zu können. Sie wollte endlich wissen, was ihn beschäftigte. Ansonsten würde sie vor Sorge noch verrückt werden. Sie stand ja jetzt schon völlig neben sich. Sie stand bereits vor dem Schreibtisch und wollte Takehito wach rütteln.
 

Doch noch ehe sie ihr Vorhaben in die Tat umsetzen konnte, zog etwas völlig anderes ihre Aufmerksamkeit auf sich.
 

Und zwar ein Blatt Papier mit Notizen, das neben dem schlafenden Schülerdetektiv lag. Es war eindeutig Takehitos Handschrift.
 

Manami war hin und her gerissen.
 

Sollte sie es wirklich wagen?
 

Ein letztes Mal warf sie einen prüfenden Blick auf ihren Freund. Er schien noch immer tief und fest zu schlafen.
 

Sie nahm das Blatt Papier an sich. Doch sie war sich unsicher. Es war eigentlich nicht ihre Art in den Sachen von anderen herum zu schnüffeln. Aber hatte sie denn eine Wahl? Vielleicht würde sie ja so herausfinden, was momentan mit Takehito los war.
 

Schließlich sprang sie über ihren Schatten und überflog neugierig seine nächtlichen Notizen. Doch recht schnell wurde ihr klar, dass sie diese Notizen nicht weiter brachten. Es stand nichts Besonderes auf dem Blatt. Nachdenklich runzelte sie die Stirn.
 

"Miyu Suzuki... Saburou Yamamoto... Kenta Tanaka... Was zum Henker ist das? Das sind Namen... schön... Aber warum?"
 

Sie war enttäuscht.
 

Sie hatte sich wirklich mehr erhofft. Wobei sie sich dennoch fragte, weshalb Takehito diese Namen nieder geschrieben hatte. Auch dafür musste es einen Grund geben. Dieser Krimifreak tat nichts ohne irgendeinen Grund dafür zu haben. Und erst recht nicht, wenn er sich deshalb die Nacht um die Ohren schlug.
 

Noch einmal ließ sie ihren Blick über die notierten Namen schweifen. Vielleicht handelte es sich ja um ein Rätsel oder einen Code.
 

Doch sie sollte gar nicht dazu kommen sich weiter Gedanken darüber zu machen, denn in diesem Moment schlug Takehito die Augen auf.

Erwischt

Manami war so fixiert auf das Blatt Papier, dass sie gar nicht mitbekam, dass Takehito langsam zu sich kam. Dieser allerdings bemerkte sofort, dass jemand vor dem Schreibtisch stand.
 

"Haben sie mich etwa gefunden?", schoss es ihm direkt in den Kopf.
 

Verschlafen richtete er seinen Blick auf. Erleichtert stellte er fest, dass es lediglich Manami war, die vor dem Schreibtisch stand. Im ersten Moment beruhigte ihn das ungemein. Als er allerdings im nächsten Moment feststellen musste, dass ausgerechnet sie gerade dabei war in seinen nächtlichen Notizen zu lesen, war er schlagartig hell wach.
 

Mit einem Ruck riss er ihr den Zettel aus der Hand. Diese hatte bis dahin noch gar nicht bemerkt, dass er aufgewacht war. Umso mehr erschreckte sie sich, als plötzlich das Blatt Papier aus ihren Händen verschwand. Ein wahnsinniger Schreck fuhr ihr durch die Glieder. Es lag wahrscheinlich überwiegend an ihrem schlechten Gewissen, dass sie sich derart erschreckte.
 

Wütend brüllte Takehito: "Sag mal spinnt du jetzt völlig!? Was fällt dir ein!? Hast du vielleicht schon mal was von Privatsphäre gehört? Was gibt dir bitte das Recht dazu in meinen Sachen herum zu schnüffeln? Das geht dich alles überhaupt nichts an! Kümmere dich doch um deinen eigenen Kram! Was machst du überhaupt hier? Wie kommst du hier rein?"
 

Manami, die sich mittlerweile von ihrem Schrecken weitestgehend erholt hatte, erwiderte ruhig: "Ich wünsche dir auch einen guten Morgen, Takehito. Ich freue mich auch dich zu sehen. Aber du brauchst nicht gleich so auszuflippen. Ich kann dir das alles erklären. Zu aller erst tut es mir leid, dass ich hier einfach so reingeplatzt bin. Ich habe zweimal geklingelt, aber du hast nicht reagiert. Die Eingangstür war nicht abgesperrt. Ich wollte einfach nur nach dem Rechten sehen. Takehito... ich habe mir einfach nur Sorgen um dich gemacht. Dir hätte ja auch was passiert sein können. Ich wollte einfach nur schauen ob es dir gut geht. Seit unserem Ausflug ins Disneyland hast du dich einfach total merkwürdig verhalten und warst mir gegenüber so abweisend. Ich habe mir wirklich Sorgen um dich gemacht."
 

"Und dass die Tür nicht abgesperrt war, gibt dir das Recht einfach so in mein Haus einzudringen? Und weil du dann einmal hier warst, dachtest du dir gleich noch, dass es in Ordnung sei in meinen Sachen herum zu schnüffeln? Was stimmt nicht mit dir? Meine Angelegenheiten gehen dich überhaupt nichts an! Also, warum schnüffelst du hier rum?", unterbrach er sie energisch, woraufhin Manami sich direkt verteidigte: "Das war überhaupt nicht meine Absicht! Ich habe hier nicht rum geschnüffelt. Das würde mir nicht einmal im Traum einfallen. Du kennst mich doch. Ich würde niemals in fremden Sachen herum schnüffeln. Wie kommst du also darauf? Und außerdem, was sollte es hier denn zum Schnüffeln geben? Als ob ich mich auch nur ansatzweise für deinen Detektivkram interessiere!"
 

Takehito sah sie skeptisch an. Sie redete sich gerade um Kopf und Kragen. Wollte sie ihn jetzt komplett verarschen? Was glaubte sie denn wen sie dort vor sich hatte? Das hätte sie vielleicht Kazuhiro oder Akiharu weiß machen können, aber doch nicht ihm. Er hatte doch kurz zuvor mit seinen eigenen Augen gesehen, dass sie neugierig in seinen Notizen gelesen hatte.
 

Mit einem sarkastischen Unterton in seiner Stimme zischte er: "Ach ja? Schenkst du deinen Worten gerade selber Glauben? Du willst mir also ernsthaft weiß machen, dass du hier nicht herum geschnüffelt hast? Und meinen Notizzettel hattest du dann warum in der Hand? Kannst du mir das dann vielleicht auch mal erklären?"
 

Ertappt.
 

Das hätte sie sich ja denken können. Bei ihrer Ausrede kam sie sich ja selbst ziemlich blöd vor. Wie konnte sie auch glauben, dass sie ausrechnet den Schülerdetektiv des Ostens mit einer so dämlichen Ausrede an der Nase herum führen konnte. Sie wusste, dass sie aus dieser Nummer wohl nicht mehr raus kam. Was hätte sie ihm auch sagen sollen? Schließlich hatte er persönlich ihr den Zettel aus der Hand gerissen. Demnach hatte es wenig Sinn zu leugnen, dass sie ihn in der Hand hatte und darin gelesen hatte.
 

Verlegen stotterte sie: "Ich... also... naja... Okay! Es hat ja eh keinen Zweck. Ich gebe es ja zu. Ja, ich habe in deinen Notizen gelesen. Aber es ist nicht so wie du denkst. Es sah schlimmer aus, als es eigentlich war. Ich habe es keineswegs getan, weil ich dir irgendwie nach spionieren wollte oder so. Das musst du mir wirklich glauben. Du weißt, dass ich das niemals tun würde. Oder habe ich dir schon jemals hinterher spioniert. Wenn du das wirklich glaubst, dann enttäuschst du mich wirklich. Ich habe mir einfach nur Sorgen um dich gemacht, Takehito. Du warst so verändert in den letzten Tagen. Ich habe mich einfach gefragt, was mit dir los ist. Das in den letzten Tagen warst einfach nicht mehr du. Überleg doch mal wie du mich in den letzten zwei Tagen behandelt hast. Ist dir eigentlich klar, wie mich deine Worte verletzt haben? Du hast mich behandelt wie den letzten Dreck. Und dabei hatte ich dir nicht einmal etwas getan. Allerdings habe ich es dir nicht übel genommen. Ich wusste, dass dich irgendetwas belasten muss. Wenn du nicht immer alles nur mit dir selbst ausmachen würdest, dann hätte ich dich ja auch ganz einfach fragen können. Aber du redest ja nicht über deine Probleme. Wenn ich dich gefragt hätte, hättest du mir ganz bestimmt nicht geantwortet."
 

"Aus gutem Grund!", warf Takehito dazwischen.
 

"Siehst du, Takehito! Genau das meine ich. Was hatte ich also bitte für eine andere Wahl? Ich wusste mir einfach nicht anders zu helfen. Ich hatte einfach gehofft, dass ich aus deinen Notizen erfahre, was eigentlich mit dir los ist. Aber ganz ehrlich... Ich verstehe beim besten Willen nicht warum du dich jetzt eigentlich so aufspielst. Du tust ja fast so, als hättest du ein Staatsgeheimnis nieder geschrieben. Daran kann ja wohl nichts geheimes sein. Das sind doch einfach nur Namen von Jungen und Mädchen, die in Kyoto geboren sind. Was soll daran bitte so geheim sein? Aber keine Sorge, ich werde mit niemanden über diese Namen sprechen. Warum auch..."
 

Takehito unterbrach sie mürrisch: "Du willst es nicht verstehen, oder? Das gibt dir doch noch lange nicht das Recht..."
 

Schlagartig hielt er inne. Was hatte sie gerade gesagt? Hatte er sich gerade verhört? Oder war er einfach schon völlig paranoid?
 

Mit großen Augen sah er Manami an und stieß überrascht hervor: "Moment, Moment, Moment... Woher weißt du das?"

Ein ungeahnter Verdacht

Perplex klimperte Manami mit ihren rehbraunen Augen.
 

"Woher weiß ich was?", fragte sie so unschuldig wie ein kleines Kind.
 

Doch Takehito schien völlig außer sich zu sein. Völlig in Rage sprang er von seinem Stuhl auf und schlug mit beiden Händen flach auch den Tisch.
 

"Manami! Jetzt stell dich doch nicht dümmer an, als du bist! Du weißt doch ganz genau, was ich meine. Woher weißt du, dass diese Personen aus Kyoto stammen? Dass du in meinen Sachen herum geschnüffelt hast, sei jetzt erst einmal dahin gestellt. Aber woher weißt du das? Diese Tatsache habe ich nirgends auf meinen Notizen vermerkt. Woher weißt du das dann also?", brüllte er energisch.
 

Nun verstand sie gar nichts mehr. Sie legte ihren Kopf schief und sah ihren Freund ungläubig an. Noch immer verstand sie nicht ganz, was er jetzt eigentlich genau von ihr wollte. Was ihn eigentlich so tierisch aufregte. War es immer noch die Tatsache, dass sie in seinen Notizen gelesen hatte? Nein. Das war es nicht. Ihn regte scheinbar einfach nur die Tatsache auf, dass sie wusste, dass diese Personen in Kyoto geboren wurden. Aber warum nur?
 

Schließlich erwiderte sie: "Ich verstehe jetzt ehrlich gesagt dein Problem nicht. Du willst jetzt also von mir wissen woher ich weiß, dass diese Personen in Kyoto geboren sind? Ich weiß zwar nicht warum dir das so wichtig ist, aber wenn du es unbedingt wissen willst... Miyu, Saburou, Kenta, Daisuke, Honoka, Koharu, Tsuyoshi, Sotoshi und Hiroshi... Das sind alles Namen von Jungen und Mädchen, die in Kyoto in demselben Jahr geboren wurden wie ich. Wir haben alle zusammen denselben Kindergarten damals besucht. Ich kann mich deshalb so genau daran erinnern, weil dieser Jahrgang damals eine sehr geringe Geburtenrate hatte und dadurch unsere Gruppe im Kindergarten recht klein und überschaubar war. Ich kann mich zwar nicht wirklich an die Personen an sich erinnern, aber an ihre Namen kann ich mich sehr gut erinnern. Ich hatte schon immer ein recht gutes Namensgedächtnis. So, und was hast du jetzt davon?"
 

Urplötzlich und ohne jeglichen ersichtlichen Grund änderte sich Takehitos Gesichtsausdruck. Seine Gesichtszüge entglitten ihm und es war kaum noch zu interpretieren was gerade in ihm vorging. Schockiert ließ er sich in seinen Stuhl zurück fallen. Seine Augen waren weit aufgerissen und frei von jeglichen Emotionen. Jeglicher Hauch an Glanz war daraus gänzlich verschwunden. Sein Gesicht wurde kreidebleich und glich mittlerweile einem Sack Mehl. Manamis Worte schienen ihn gerade völlig aus der Fassung gebracht zu haben. Noch nie zuvor hatte sie ihn in einer derartigen Verfassung gesehen. Irgendetwas schien ihm gerade den Boden unter den Füßen weg zu reißen.
 

Immer wieder hörte er ihre eben gesagten Worte in seinem Ohr wider hallen. Er musste sich verhört haben. Das konnte doch unmöglich sein... Das durfte einfach nicht sein. Das konnte doch alles nur ein böser Traum sein. Zum aller ersten Mal in seinem Leben fühlte der selbsternannte Meisterdetektiv sich hilflos, ohne Aussicht auf einen Ausweg. Sein Körper fühlte sich an wie betäubt, unfähig sich auch nur einen einzigen Millimeter zu rühren. Er wusste nicht mehr was er glauben sollte. Seine ganze Welt schien mit einem Mal völlig zusammen zu brechen.
 

Auf diese Idee wäre Takehito nie und unter gar keinen Umständen gekommen. Diese Möglichkeit wäre ihm niemals in den Sinn gekommen. Warum ausgerechnet sie? Warum Manami? Niemals hätte er damit gerechnet, dass dieser Fall eine derartige Wendung nehmen könnte. Die Eventualität, dass ausgerechnet sie mit diesem Fall zusammen hängen würde, hätte er nie in Betracht gezogen. Das alles ergab immer weniger Sinn. Doch je mehr er darüber nachdachte, desto klarer wurde ihm, dass das gerade Realität war. Und eigentlich hätte er da auch selbst drauf kommen können. Natürlich... Jetzt wo sie es sagte, fiel es ihm wie Schuppen von den Augen. Manami war ebenfalls im Jahr 1983 geboren und war erst mit ihrer Familie nach Tokio gezogen, nachdem sie einige Jahre in Kyoto gelebt hatten. Warum war er da nur nicht selbst drauf gekommen? Sollte sie tatsächlich das zehnte Kind sein? Sollte das tatsächlich der Fall sein, dann war er jetzt zumindest schon einmal einen Schritt weiter. Allerdings verkomplizierte das die ganze Sache ungemein. Irgendwie wurde dieser Fall von Stunde zu Stunde undurchsichtiger. Er trug akribisch immer mehr Informationen zusammen, die einfach nicht zueinander passten. Manami sollte also wirklich das zehnte Kind sein? Nun ergab das Ganze noch viel weniger Sinn. Doch wenn dem wirklich so war, dass sie das zehnte Kind war, dann waren es auch ihre Daten die streng geheim waren. Aber das war momentan die plausibelste Erklärung. Wäre dem nämlich nicht so gewesen, hätte sein Großvater ihm ihren Namen ebenfalls genannt, als er die Kinder aufzählte. Das hatte er aber nicht getan. Er hatte ihren Namen nicht erwähnt.
 

Er wusste...
 

Dafür konnte es nur eine plausible Erklärung geben...
 

Manami konnte nur das Kind sein, dessen Daten so geheim waren, dass niemand Zugang dazu haben durfte. Ihre Daten sollten für jedermann unzugänglich gemacht werden. Aber warum nur? Was war der Grund dafür? Was an ihren Daten sollte denn so brisant sein, dass sie unter allen Umständen geheim gehalten werden mussten? Bis vor wenigen Minuten dachte er noch, dass seine Freundin eine völlig normale Mittelschülerin war. Und jetzt? Wer war dieses Mädchen? Doch noch viel wichtiger war die Frage... Wer hatte dafür gesorgt, dass ihre Daten auf diese Weise verschlüsselt wurden? Wer sollte ein Interesse daran haben? Dafür musste es doch einen Grund geben. Das macht doch jemand nicht einfach so. Jemand wollte verhindern, dass man Manami findet. So viel war ihm klar. Doch es gab noch eine weitere Tatsache, die ihn momentan noch viel mehr beunruhigte... Was um alles in der Welt hatte Manami mit den Männern in schwarz und der schwarzen Organisation zu tun? Was verband sie mit diesen skrupellosen Kriminellen?
 

Während Takehito offensichtlich völlig in Gedanken versunken war, musterte Manami ihn besorgt. Seit sie ihm geantwortet hatte, kam von ihm keinerlei Reaktion mehr. Wie angewurzelt saß er regungslos auf seinem Stuhl. Er wirkte völlig abwesend, als wäre er gerade in einem Paralleluniversum. Und dann begann er auch noch am ganzen Körper zu zittern wie Espenlaub.

Gehirnwäsche

Nach einigen Minuten des Schweigens sprach Manami zaghaft: "Takehito? Takehito, was ist denn los? Hallo? TAKEHITO!"
 

Diese Worte rissen ihn aus seinen Gedanken. Er schien so langsam zu begreifen, dass das alles gerade wirklich geschah, wobei er noch immer nicht fassen konnte, welche Katastrophe sich gerade augenscheinlich anbahnte.
 

Fassungslos murmelte er: "Du bist also auch im Jahr 1983 in Kyoto geboren..."
 

"Ja natürlich. Aber das weißt du doch.", entgegnete Manami, wobei ihr eigentlich klar war, dass seine Worte gerade gar nicht an sie gerichtet waren, sondern eher eine Memo an ihn selbst waren.
 

Dennoch antwortete sie. Und in diesem Moment blickte er ihr ernst ins Gesicht. Sein fester Blick schien sie schier zu durchbohren. Sie kannte diesen Blick von ihm nur all zu gut. Allerdings hatte er diesen Blick sonst nur, wenn er an der Lösung eines Falles dran war. Sah er in ihr jetzt etwa einen Fall? Oder wie sollte sie seinen Blick deuten?
 

"Kannst du mir vielleicht mal verraten weshalb du mich plötzlich so ansiehst? Habe ich vielleicht was im Gesicht?", fragte sie skeptisch.
 

Auch dieser lockere Spruch von ihr schien ihn nicht aufzulockern. Seine Miene war immer noch ernst, ja schon fast furchteinflößend.
 

Und dann endlich brach er sein Schweigen und sagte etwas: „Manami, sag mal... An was erinnerst du dich alles aus deiner Kindheit in Kyoto?"
 

Das junge Mädchen kam ins Grübeln. Eine ganze Weile schien sie ernsthaft zu überlegen, ehe sie schließlich antwortete: "Meine Kindheit in Kyoto? Warum willst du das jetzt plötzlich wissen? Ganz ehrlich... Ich verstehe wirklich nicht, was das hier jetzt zur Sache tut. Aber jetzt wo du danach fragst... Ich habe bisher noch nie darüber nachgedacht, aber... um ehrlich zu sein... wenn ich jetzt darüber nachdenke... Ich kann mich an absolut nichts erinnern. An rein gar nichts. Also ich weiß schon, dass ich in Kyoto geboren bin und dass ich dort einige Jahre gelebt habe. Ich weiß auch noch ganz genau wie unser Haus aussah und wie wir dort gelebt haben. Aber an mehr kann ich mich einfach nicht erinnern. Ich könnte nicht einmal sagen, was ich in Kyoto alles erlebt habe, wo ich in den Kindergarten gegangen bin oder mit welchen Menschen ich bzw. meine Familie dort zu tun hatten. Es ist als wäre dort einfach ein schwarzes Loch in meinem Kopf. Es kommt mir fast so vor, als hätte es meine Kindheit in Kyoto gar nicht gegeben. Ich kann mich erst wieder an Ereignisse erinnern, die dann bereits in Tokio waren. Alles, was zuvor in Kyoto geschehen war, ist wie gelöscht. Als ob jemand mein Gehirn manipuliert hat. Das ist doch der absolute Irrsinn. Ich verstehe es einfach nicht. Warum ist das nur so, Takehito? Was ist mit mir passiert?"
 

Mit großen hoffnungsvollen Augen sah sie ihn an. Es war offensichtlich, was sie wollte. Wobei es ihr selbst eigentlich hätte klar sein müssen... Als ob Takehito eine Antwort auf ihre Frage hatte. Wenn sie es schon nicht wusste, woher sollte denn dann bitte er es wissen? Ein leichtes Lächeln umspielte ihre Lippen, als von ihrem Freund keine Antwort kam.
 

"Du kannst mir auch keine Antwort darauf geben, oder Takehito? Aber jetzt ergibt endlich alles einen Sinn. Schon immer hatte ich das Gefühl, dass etwas an mir anders ist. Ich habe mich nie vollständig gefühlt. Und jetzt weiß ich auch warum. Es ist, weil mir ein Stück aus meinem Leben fehlt. Doch wer hat mir dieses Stück genommen? Und vor allem warum? Wer bin ich wirklich, Takehito?", murmelte sie, woraufhin angesprochener seinen Kopf schüttelte.
 

Es war nicht zu übersehen, dass Manami wirklich litt. Aber sie hatte auch recht mit dem was sie sagte. Jemand hatte ihr aus irgendeinem Grund ihre Vergangenheit genommen und deshalb fühlte sie sich schon immer anders. Oder es in ihren Worten auszudrücken... Sie fühlte sich unvollständig. Takehito schossen nun erneut etliche Gedanken durch den Kopf. Und schon wieder etwas, was nicht einfach nur Zufall gewesen sein konnte. Anscheinend hatte nicht nur jemand dafür gesorgt, dass Manamis Daten geheim gehalten wurden, sondern auch dafür, dass sie sich nicht an ihre Kindheit in Kyoto erinnern konnte. Doch was war nur der Grund dafür? Er konnte es sich beim besten Willen nicht erklären. Es war doch zum verrückt werden. Sollte seine langjährige Freundin denn wirklich etwas mit der schwarzen Organisation zu tun haben? Nein! Das konnte einfach nicht sein. Niemals. Das war doch überhaupt nicht möglich. Sie konnte doch nicht wirklich etwas mit solchen Verbrechern zu tun haben. Oder etwa doch? Was war, wenn er sich irrte?
 

Es gab für ihn nur eine einzige Möglichkeit das heraus zu finden. Langsam erhob er sich von seinem Stuhl und ging auf die andere Seite des Schreibtisches, wo Manami stand und ihn gespannt musterte. Als er direkt vor ihr stand, kam er zum Stehen und sah ihr tief in die Augen. In diesem Moment wusste sie, dass ihm eine wirklich wichtige Angelegenheit auf der Seele brannte. Dass diese Angelegenheit allerdings ihr gesamtes bisheriges Leben auf den Kopf stellt und alles bis dahin geschehene in Frage stellen würde... damit hatte sie absolut nicht gerechnet.
 

Noch immer ruhte sein Blick auf ihr. Er wandte seinen Blick nicht von ihr ab.
 

Und dann endlich brach er sein Schweigen: "Manami, ich werde dich jetzt gleich etwas fragen, was sehr wichtig ist. Und ich möchte dich bitten, dass du mir die Wahrheit sagst, ganz gleich was es auch ist. Ganz egal wie diese Wahrheit auch aussehen mag. Das ist wirklich wichtig, hörst du."

Im Visier der Organisation

Takehito war ihr gegenüber so ernst, wie er es nur selten war. Die angespannte Situation war förmlich zu spüren, sodass Manami sich nicht zu mehr in der Lage sah, als einfach nur zu nicken.
 

Natürlich würde sie ihm die Wahrheit sagen. Sie sah überhaupt keinen Sinn darin ihn zu belügen. Zweifelte er jetzt etwa auch noch an ihrer Ehrlichkeit ihm gegenüber? War das jetzt sein Ernst? Sie hatte ihm doch niemals einen Anlass dazu gegeben zu glauben sie würde ihn belügen. Allerdings war ihr auch klar, dass er so etwas nicht einfach so sagte. Er musste seine Gründe dafür haben.
 

Doch sie hatte keine Zeit weiter darüber nachzudenken.
 

Ihr Freund atmete merklich noch einmal schwer aus, ehe er seine Frage über seine Lippen brachte: "Ich stelle dir diese Frage jetzt ein einziges Mal. Kennst du zwei Männer mit den Namen Gin und Wodka?"
 

Als das junge Mädchen die beiden Namen, Gin und Wodka, in ihren Gehörgängen vernahm, durchzog ihr Körper ein unbeschreibliches Gefühl. Ein Gefühl, das sie so überhaupt nicht kannte und ihren Körper binnen weniger Minuten völlig unter Kontrolle nahm. Ihr Puls begann zu rasen und ihr Herz pulsierte stark. Es fühlte sich an als würde ihr das Herz jeden Augenblick aus der Brust springen. Ihre Atmung beschleunigte sich unkontrollierbar. Panik schnürte ihr die Kehle zu. Ein eiskalter Schauer lief ihr den Rücken herunter und ließ ihr die Nackenhaare zu Berge stehen. Ihre Hände wurden kalt und schwitzig. Auch wenn sie dieses Gefühl so nicht kannte, wusste sie, dass sie gerade panische Angst bekam, wobei sie sich aber absolut nicht erklären konnte warum. Sie ballte ihre linke Hand zur Faust und legte sie auf ihre Brust. Und selbst an ihrer Faust konnte sie noch immer ihren heftigen Herzschlag spüren. Unfähig etwas zu sagen, atmete sie schwer ein und aus. Ihr Körper schien sich gerade selbstständig zu machen und sie war nicht fähig wieder die Kontrolle darüber zurück zu erlangen.
 

Der Meisterdetektiv blickte ihr in ihre weit aufgerissenen Augen, die nur noch Angst und Panik ausdrückten. Anhand ihrer Reaktion war ihm klar, dass seine Vermutung zutraf. Wie gern hätte er gewollt, dass er zur Abwechslung mal falsch lag. Doch Manamis Körper sprach gerade Bände.
 

Er ließ einen lauten Seufzer von sich und sprach dann: "Also doch. Ich habe mit meiner Vermutung Recht. Du kennst diese beiden Männer tatsächlich. Die schwarze Organisation, Gin, Wodka... das alles sagt dir doch etwas. Ansonsten würdest du jetzt nicht so reagieren."
 

Manami, noch immer unfähig auch nur ein einziges Wort über ihre Lippen zu bringen, schüttelte einfach nur ihren Kopf.
 

"Ach ja? Und warum hast du dann solche Angst? Ich sehe doch, dass etwas nicht mit dir stimmt...", stieß der Junge hervor, der sich mittlerweile wirklich um seine Freundin sorgte.
 

Und endlich war sie in der Lage etwas zu erwidern: "Takehito, du musst mir glauben. Ich kenne keine schwarze Organisation. Und auch Gin und Wodka sind mir völlig unbekannt. Aber... aus irgendeinem Grund reagiert mein Körper völlig panisch, nur weil ich die Namen gehört habe. Takehito, ich habe Angst... panische Angst. Allerdings weiß ich nicht warum. Noch nie zuvor in meinem Leben habe ich dieses Gefühl von Angst so intensiv gespürt. Ich kann mir das selbst nicht erklären..."
 

Verwirrt blickte das Mädchen auf ihre Hände. Ihm war klar, dass sie ihm gerade die Wahrheit sagte. Offensichtlich konnte sie sich wirklich nicht erklären weshalb sie so panisch reagierte.
 

Allerdings stand für Takehito fest, dass Manami durchaus in irgendeiner Verbindung zur schwarzen Organisation stand. Und das, obwohl sie es selbst nicht einmal wusste. Aber was war diese Verbindung? Je mehr Puzzleteile er zusammen fügte, desto unklarer wurde ihm das Ganze. Das alles ergab noch immer keinen Sinn. Doch dann wurde er unsanft aus seinen Gedanken gerissen.
 

"Moment, dieses Gefühl hatte ich heute schon einmal... Wo war das nur?", sprach sie laut vor sich lang hin.
 

Takehito legte beide Hände auf ihre Schultern und rief aufgebracht: "Wann und wo war das, Manami?"
 

Diese dachte offensichtlich darüber nach. Er hatte eine ganz schlechte Vorahnung, wobei er insgeheim hoffte, dass seine Freundin diese Vorahnung nicht bestätigen würde. Abwartend sah er sie an. Und dann fiel es ihr wieder ein.
 

"Ja genau. Es war als ich zu dir gelaufen bin. Ich war noch einige Schritte von deinem Haus entfernt. Da habe ich plötzlich ein Motorengeräusch vernommen. Als ich mich dann umwandte, sah ich einen schwarzen Porsche. Es war schon ungewöhnlich, dass der Wagen diese Straße entlang fuhr. Aber noch viel merkwürdiger fand ich, dass er extrem langsam gefahren ist. Ich konnte allerdings nur flüchtig den Beifahrer sehen. Er war komplett schwarz gekleidet. Und als seine jadegrünen Augen meinen Blick trafen, habe ich genau dasselbe gefühlt wie gerade eben. Das war exakt dasselbe Gefühl."
 

"Gin und Wodka...", dachte Takehito ehe er panisch erstarrte.
 

Ihm war zwar klar gewesen, dass es nur eine Frage der Zeit war, ehe sie ihn finden würden, aber das es so schnell gehen würde...
 

Zumindest schienen sie noch immer nicht zu wissen wer Sherry war. Ansonsten hätten sie Manami wahrscheinlich gleich dort entführt oder gar umgebracht. Denn wenn er mit seinen Schussfolgerungen richtig lag, war seine unschuldig wirkende Freundin Sherry und die Person, nach der die schwarze Organisation suchte. Da bestand nach allem was er zusammen getragen hatte kein Zweifel mehr. Er musste sich jetzt ganz schnell seine nächsten Schritte überlegen. Ihre Sicherheit und sie vor der schwarzen Organisation zu schützen, hatte oberste Priorität. Doch wie konnte er für Ihre Sicherheit sorgen, wenn die Organisation sowohl hinter ihm als auch hinter ihr her war? Er stand mit dem Rücken zur Wand. Was sollte er nur tun? Er war in der Zwickmühle und wusste nicht, was er als nächstes tun sollte.
 

Doch dann wurde er erneut unsanft aus seinen Gedanken gerissen.
 

"Takehito, es ist schon wieder da... Dieses Gefühl... Irgendetwas stimmt nicht...", wisperte Manami, die erneut in panische Angst verfallen war.
 

Geistesgegenwärtig blickte er aus dem Fenster.
 

Ein schwarzer Porsche 356 A... Und im Inneren des Wagens saßen sie... Die beiden schwarz gekleideten Männer aus dem Disneyland... Die Mörder von Masami Hirota... Gin und Wodka... In Schrittgeschwindigkeit fuhr der Wagen an Takehitos Haus vorbei. Vorerst schien von ihnen keine Gefahr aus zu gehen. Augenscheinlich schienen sie nur die Lage zu checken. Es war allerdings nur eine Frage der Zeit, ehe sie handeln würden. Das war so sicher wie das Amen in der Kirche.
 

Ihm war klar...
 

Sie mussten hier weg.
 

Er musste Manami und sich in Sicherheit bringen.
 

Und das schnellstmöglich...

Takehtios Gedanken

Seit den jüngsten Vorkommnissen waren mittlerweile zwei Tage vergangen.
 

Takehito hatte Manami in die Situation eingeweiht in der sie sich momentan befanden.
 

Anfangs war sie nicht gewillt ihm zu glauben. Viel zu unwirklich klang das Ganze. Als er ihr allerdings die Fakten, welche er bisher zusammen getragen hatte, offen legte, musste sie sich eingestehen, dass seine Schlussfolgerungen durchaus plausibel klangen.
 

Den Mord an Masami Hirota verheimlichte er ihr allerdings, um ihr nicht noch mehr Angst zu machen, als sie ohnehin schon hatte.
 

Während sie vorerst so tun sollte, als sei alles in bester Ordnung, nachdem er ihr eindringlich klar gemacht hatte, dass sie niemandem gegenüber auch nur ein Sterbenswörtchen über die schwarze Organisation verlieren durfte, musste er sich irgendwas überlegen. Er musste sich irgendwas einfallen lassen um sich und vor allem seine Freundin in Sicherheit zu bringen. Und noch viel wichtiger war es, dass die Familien der beiden aus dem ganzen heraus gehalten werden.
 

Takehito war durchaus bewusst, dass auch seine Eltern und seine Schwester in aller höchster Gefahr waren, sollten ihn die Männer in schwarz hier zu Hause auflauern. Dort bleiben, war also keine Option. Die beiden mussten weg. Weg von ihren Familien. Weg von ihren Freunden. Sollte irgendetwas schief gehen, sollten zumindest sie in Sicherheit sein. Die, die am allerwenigsten mit der ganzen Sache zu tun hatten.
 

Aber was sollte er nur tun?
 

Sich irgendwo in Tokio zu verstecken, machte wenig Sinn. Hier war er bekannt wie ein bunter Hund. Egal wo er hin gehen würde... Hier in Tokio würde er immer erkannt werden.
 

Eine andere Idee musste her.
 

Es musste etwas sein, was das praktische mit dem nützlichen verbinden würde. Denn auch wenn er die Menschen in seiner Umgebung in Sicherheit wissen wollte, so wollte er auch weiter gegen die schwarze Organisation ermitteln. Nur dann würden Manami, er und all die Menschen in ihrem Umfeld eines Tages wieder in Sicherheit leben können.
 

Und dann kam ihm eine Idee.
 

Wo könne man am besten gegen die schwarze Organisation ermitteln, wenn nicht direkt vor Ort? Er und Manami müssten nach Kyoto.
 

Doch dafür musste ein durchdachter Plan her, um keinen Verdacht zu erwecken oder dass sich gar jemand um sie sorgen würde.
 

Stundenlang dachte er über seinen Plan nach, ehe er etwas Sinnvolles und Durchdachtes zustande gebracht hatte.
 

Nun ging es an die Umsetzung.
 

Diese musste schnellstmöglich von statten gehen, damit das Leben beider Familien erst einmal sicher war.
 

Doch seinen Plan in die Tat umsetzen, konnte er nicht allein. Dafür brauchte er Unterstützung. Dabei kam ihm natürlich wieder direkt sein Großvater in den Sinn. Takehito wusste er würde ihm auf jeden Fall helfen, ohne unangenehme Fragen zu stellen. Er wusste sein Großvater vertraute seinem Enkel blind und wusste seine Fähigkeiten durchaus zu schätzen.
 

Aus diesem Grund entschloss er sich recht schnell dazu seinen Großvater um Unterstützung zu bitten.
 

Am Telefon schilderte er seinem Großvater seinen Plan...

Manamis Gedanken

Währenddessen saß Manami in ihrem Zimmer auf ihrem Bett.
 

Völlig zusammen gekauert und in Gedanken versunken. Noch immer hoffte sie, dass all das, was Takehito ihr vor einigen Tagen erzählt hatte, nur ein böser Albtraum war. Ein Traum, aus dem sie hoffentlich bald erwachen würde. Aber wenn sie ehrlich zu sich selbst war, wusste sie eigentlich, dass diese Hoffnung vergebens war.
 

Das alles was in den letzten Stunden geschehen war, wirkte so irreal. Eine schwarze Organisation, die offenbar ungehindert ihren schwarzen Machenschaften nachgehen konnte... Das war doch der absolute Irrsinn. Das würde doch niemand glauben. Und dann war es aber wieder so real, dass wenn sie auch nur an die schwarze Organisation und an die Namen Gin und Wodka dachte – auch nur der aller kleinste Gedanke – lief es ihr eiskalt den Rücken herunter. Der bloße Gedanke an sie jagte ihr eine wahnsinnige Angst ein.
 

Noch immer verstand sie nicht warum das so war. Sie verstand sich selbst nicht mehr. Wie konnte sie nur von einem Gedanken geplagt solche Angst empfinden? Wie war das möglich?
 

Ihr Blick war stur an die Wand gerichtet. Was zur Hölle war ihre Verbindung zur schwarzen Organisation? War sie wirklich Sherry, nach der die Organisation so fieberhaft suchte? Hatte Takehito ihr wirklich alles erzählt? Oder behielt er pikante Details für sich, um sie nicht unnötig zu beunruhigen oder ihr gar noch mehr Angst zu machen? Konnte sie ihm wirklich blind vertrauen? Und warum um alles in der Welt konnte sie sich nicht an ihre Kindheit in Kyoto erinnern?
 

All diese Fragen schwirrten dem verzweifelten Mädchen im Kopf herum und ließen sie seit Tagen nicht zur Ruhe kommen. Und der Krimifreak hatte sich auch noch nicht gemeldet. Offensichtlich tat er sich schwer damit, sich einen Plan zu überlegen um die schwarze Organisation zu täuschen. Gerne hätte sie ihm dabei geholfen einen guten Plan auszuhecken... Allerdings war Takehito eher ein Einzelgänger was diese Sachen anbelangte. Deshalb wollte sie ihm zumindest damit helfen, indem sie krampfhaft versuchte sich an ihre Zeit in Kyoto zu erinnern. An die Zeit bevor sie mit ihren Eltern nach Tokio gezogen war. Damit hätte sie sich zumindest erklären können, weshalb die schwarze Organisation ausgerechnet an ihr Interesse hatte. Wahrscheinlich hätte das auch dem selbsternannten Meisterdetektiv in seinen Ermittlungen geholfen.
 

Sie ließ einen tiefen verzweifelten Seufzer von sich.
 

Nichts... Da war einfach nichts.
 

Egal wie sehr sie auch versuchte sich an irgendetwas zu erinnern... es wollte ihr einfach nicht gelingen. Es war als wäre in ihrem Kopf ein großes schwarzes Loch, welches all ihre Erinnerungen an Kyoto in sich verschlungen hatte. Doch wie war das nur möglich? Es musste doch irgendeinen Grund haben, weshalb sie sich an nichts erinnern konnte.
 

Gern hätte sie ihre Großmutter oder ihre Eltern nach ihrer Kindheit in Kyoto gefragt. Aber wie sollte sie das anstellen? Sie musste das Gespräch zwangsläufig auf die schwarze Organisation lenken, um an die gewünschten Informationen zu kommen. Allerdings hatte sie Takehito gegenüber hoch und heilig versprochen, dass sie keiner Menschenseele gegenüber die schwarze Organisation erwähnt. Wie sollte sie es also anstellen? Es war schier unmöglich.
 

Wieder seufze sie.
 

Und selbst wenn ihre Eltern oder ihre Großmutter von der Existenz der schwarzen Organisation wüssten und auch im Klaren darüber waren in welcher Verbindung sie zu der Organisation stand, so würden sie es ihr vermutlich nicht sagen. Denn dann wüssten sie auch welche Gefahr von der Organisation ausging. Zudem hat jemand ja nicht ohne Grund dafür gesorgt, dass ihre Daten verschlüsselt wurden. Wer auch immer das gewesen war.
 

Noch so eine Frage, die ihr einfach nicht aus dem Kopf ging. Wer hatte für die Verschlüsselung ihrer Daten gesorgt? Und warum? Was war der Grund dafür gewesen?
 

Eines war klar... Nur jemand mit viel Einfluss konnte dafür sorgen. Doch so jemanden kannte sie nicht.
 

Sie schien sich in einer schier aussichtslosen Situation zu befinden. Wer war sie wirklich?
 

Das Klingeln ihres Handys riss Manami unsanft aus ihren Gedanken. Sie erschreckte fast zu Tode, als der Klingelton ihres Handys ertönte. Am anderen Ende war Takehito, der sie unverzüglich zu sich bestellte.

Ein Plan mit weitreichenden Folgen

Nur wenige Minuten später saß Manami in der Küche der Akanishis und schlürfte eine heiße Schokolade.
 

Takehito saß ihr gegenüber und schien völlig in Gedanken versunken zu sein.
 

Das junge Mädchen unterbrach schließlich die Stille: „Und ich sollte jetzt warum so eilig hier her kommen? Nur damit wir uns anschweigen und darauf warten, dass die schwarze Organisation hier auftaucht und uns zum Schweigen bringt? Klasse! Auf mein sicheres Ende kann ich auch auf meinem Bett warten."
 

Er unterbrach sie mit ernster Miene: „Schwachsinn! Hör sofort auf so einen Schwachsinn von dir zu geben! Hörst du! Solange ich lebe, werde ich auf gar keinen Fall zulassen, dass dir etwas zustößt. Das verspreche ich dir, Manami. Ich werde dich bis zum bitteren Ende mit meinem Leben beschützen."
 

Mit großen Augen sah sie ihren gegenüber an. Niemals hätte sie mit einer solchen Reaktion von ihm gerechnet. Und sein Gesichtsausdruck verriet ihr, dass er es durchaus ernst meinte.
 

Allerdings hatte sie keine Zeit weiter darüber nach zu denken, denn er hatte längst schon wieder das Wort ergriffen: „Hör zu Manami... Ich habe mir etwas überlegt. Etwas, womit ich uns zumindest etwas Zeit verschaffen kann. Die Frage ist nur... Fühlst du dich stark genug um das gemeinsam mit mir durch zu ziehen?"
 

Sie schluckte.
 

Sie hatte keinen blassen Schimmer, was sie erwarten würde. Dennoch versuchte sie stark und überzeugend zu wirken.
 

„Dafür müsstest du mir erst einmal sagen, was du dir überlegt hast."
 

Sein Blick wich ihr nicht mehr aus. Sein Blick lag starr auf ihr. So ernst, dass man die Anspannung, die auf seinen Schulter ruhte, förmlich spüren konnte. Es schien ein unglaublicher Druck auf ihm zu lasten.
 

Dann endlich begann er von seinem Plan zu berichten: „Du und ich... wir müssen Tokio für eine Weile verlassen. Hier wären wir nicht sicher. Jeder hier in Tokio kennt mein Gesicht. Schließlich bin ich hier ein bekannter Schülerdetektiv. Hier zu bleiben ist demnach keine Option. Es würde nicht lange dauern bis sie uns gefunden haben. Außerdem scheinen sie ja schon zu vermuten, dass Sherry sich in Tokio aufhält. Sonst würden sie ja nicht hier nach Sherry suchen. Wenn ich mit meinen Schlussfolgerungen richtig liege und du tatsächlich Sherry bist, dann bist du hier einfach nicht sicher. Ich habe bereits alle nötigen Schritte in die Wege geleitet, damit wir beide in einer anderen Stadt untertauchen können. Nach langem Überlegen, habe ich mich dazu entschlossen, dass wir beide in Kyoto untertauchen werden."
 

Entsetzt unterbrach Manami ihn: „Kyoto? Bist du von allen guten Geistern verlassen? Du selbst hast mir doch erzählt, dass die schwarze Organisation fast ausschließlich in Kyoto agiert. Warum also ausgerechnet Kyoto? Ich glaube wirklich, dass du langsam spinnst."
 

Sein Blick hatte sich keineswegs geändert. Er schien keine Witze zu machen. Er schien das gerade wirklich ernst zu meinen.
 

In selber Tonlage fuhr er fort: „Du solltest mich auch mal ausreden lassen, Manami. Ich denke nicht, dass ich spinne. Ich denke eher, dass du mich ziemlich unterschätzt. So langsam solltest du wissen, dass ich ganz genau weiß, was ich tue. Natürlich mag diese Idee erst einmal völlig verrückt klingen, vorerst in Kyoto Schutz zu suchen. Je länger ich allerdings darüber nachdenke, desto genialer finde ich diese Idee. Denk doch ganz einfach mal darüber nach, Manami. Wer würde schon damit rechnen, dass wir ausgerechnet in ihrem Territorium Schutz suchen. Wer, Manami? Nur ein Vollidiot wäre auf eine eigentlich so absurde Idee gekommen. Aber ganz genau das können wir uns zum Vorteil machen. Ein Vorteil, den wir uns durchaus zu Nutze machen können."
 

Takehito hielt kurz inne, um seine Worte kurz auf Manami wirken zu lassen. Allerdings war es schwierig für ihn wirklich zu interpretieren wie sie über diesen Plan dachte, denn sie zeigte bisher keine wirkliche Reaktion darauf.
 

„Und weiter?", fragte sie schneller nach als er es erwartet hatte.
 

Ihrer Bitte folge leistend fuhr er fort: „Naja, denk doch mal etwas weiter... In Kyoto würden sie uns doch als aller letztes vermuten. Ehe sie auf die Idee kommen, dass wir uns dort aufhalten könnten, habe ich sie überführt und wir sind wieder in Sicherheit. Am wichtigsten ist es jetzt für uns, dass wir uns etwas Zeit verschaffen. Und genau damit würde uns das gelingen. Da bin ich mir eigentlich ziemlich sicher."
 

Dann schwieg er wieder.
 

„Und wie hast du dir das Ganze vorgestellt, wenn ich fragen darf. Was sollen wir bitte unseren Eltern erzählen? Willst du dich etwa klammheimlich aus dem Staub machen? Sie werden umkommen vor Soge! Hast du in deinem ach so tollen Plan darüber mal nachgedacht?", ermahnte sie ihn.
 

Ein verschmitztes Lächeln stahl sich auf seine Lippen.
 

„Aber, aber! Für wen hältst du mich denn, Manami. Du scheinst zu vergessen, wer hier vor dir sitzt. Ich habe alles gründlich und bis ins kleinste Detail durchdacht. Diese Typen wissen ganz genau wer ich bin. Sie wissen sowohl wie ich aussehe und vor allem kennen sie meine Namen. Dann könnte ich genauso gut hier in Tokio bleiben. Das würde absolut nichts ändern. Selbst in Kyoto würde es keinen Tag dauern bis sie Takehito Akanishi ausfindig gemacht haben. Und früher oder später werden sie auch herausfinden, dass Manami Saitou Sherry ist. Die Person nach der sie eigentlich suchen. Und das würde unweigerlich das Ende für uns beide bedeuten. Sie würden uns ohne mit der Wimper zu zucken aus dem Weg räumen, um ihr Geheimnis zu wahren. Und es gäbe absolut nichts, was wir beide dagegen tun könnten. Was aber, wenn sich Manami Saitou und Takehito Akanishi gar nicht mehr in Japan befinden würden?"
 

Manami hakte überrascht aber auch verwirrt nach: „Jetzt versteh ich gar nichts mehr. Kannst du mir mal verraten wie du das machen willst? Wie willst du bitte an zwei Orten gleichzeitig sein?"
 

Das verschmitzte Lächeln auf seinem Gesicht wurde noch breiter. Er schien sich mit seinem Plan wirklich sicher zu sein.
 

Überzeugt setzte er seine Ausführungen fort: „Manami, jetzt sei doch nicht so naiv! Du denkst viel zu stur. Denk doch mal etwas gerissener. Manami Saitou und Takehito Akanishi werden sich für unbestimmte Zeit aufgrund eines Schüleraustausches in New York aufhalten. So werden sich zumindest unsere Familien keine Sorgen um uns machen. Für sie befinden wir uns offiziell in New York. Wie zwei ganz normale Austauschschüler. Und selbst wenn die Organisation uns anhand unserer Namen ausfindig machen sollte, müssen sie schlussendlich feststellen, dass wir uns leider gar nicht mehr im Land befinden. Ich bezweifle, dass sie uns einfach nur aufgrund eines Verdachtes nach New York folgen würden. In Wirklichkeit werden wir beide uns allerding unter falschem Namen in Kyoto aufhalten."
 

„Falsche Namen?", hakte das junge Mädchen erneut nach.
 

Der gewiefte Detektiv nickte.
 

„Ja ganz recht. Du hast richtig gehört, Manami. Mithilfe meines Großvaters werde ich dafür sorgen, dass alle Spuren von Manami Saitou und Takehito Akanishi nach New York führen. Zeitgleich werden wir beide eine andere Identität annehmen und das Leben eines anderen führen. Wir werden komplett andere Menschen sein. Manami und Takehito wird es für längere Zeit nicht mehr geben. Das bedeutet vor allem unser bisheriges Leben ausnahmslos hinter uns zu lassen. Kein Kontakt zu Freunden oder Familie. Und am aller wichtigsten... wir dürfen niemandem außer uns selbst vertrauen. Niemandem unsere wahre Identität preisgeben. Kannst du das Manami?"
 

Er hielt inne und ließ seine Worte auf sie wirken. Er musterte ihr Gesicht, um irgendetwas aus ihren Gesichtszügen abzulesen. Doch nichts. Ihr Gesicht war frei von jeglichen Emotionen. Sie machte auch nicht den Anschein, als würde sie so schnell etwas sagen wollen.
 

In diesem Moment schob er ihr einen Personalausweis zu, auf dem ein Bild von ihr haftete und fügte hinzu: „Ich habe bereits mithilfe meines Großvaters einen Ausweis für unsere neuen Identitäten anfertigen lassen. Sieh es einfach als eine Art Zeugenschutzprogramm."
 

Er zwinkerte.
 

Manami hingegen war eher fassungslos.
 

Wie konnte er das alles nur so auf die leichte Schulter nehmen? Schließlich ging es hier um beider Leben, welches sich nun von Grund auf ändern würde. Er tat ja fast so, als wäre das Annehmen einer anderen Identität fast so, als würde man sich ein neues Paar Schuhe zulegen. Sie warf einen Blick auf den gefälschten Ausweis in ihren Händen.
 

„Hirofumi, Yumi" stand darauf geschrieben.
 

Das sollte also in Zukunft ihr neuer Name sein? Unter diesem Namen sollte sie in Kyoto leben? Würde ein anderer Name auch einen anderen Menschen aus ihr machen? Sie war sich unschlüssig wie sie reagieren sollte. Sie wusste einfach nicht was sie tun sollte.
 

Doch dann riss Takehito sie auch schon aus ihren Gedanken: „Jetzt mach doch nicht so ein Gesicht. Yumi ist doch gar kein so schlechter Name, oder? Ich werde die Identität von Junichiro Hirofumi annehmen. Du wunderst dich jetzt sicher warum ich mich für denselben Familiennamen entschieden habe... Nun ja, ganz einfach... Irgendwie musste es ja plausibel wirken, dass Yumi und Junichiro zur selben Zeit in Kyoto auftauchen. Und vor allem musste es erklärbar sein, aus welchem Grund wir beide uns kennen. Da war es das einfachste, was mir einfiel, uns zu Geschwistern zu machen. Deshalb habe ich mich dazu entschieden, dass Yumi und Junichiro Zwillingsgeschwister sind. Des Weiteren habe ich beschlossen, uns beide etwas älter zu machen. Von unserer geistigen Reife her wird das auch kaum auffallen. Sowohl du, als auch ich, sind für unser Alter unheimlich reif. Außerdem... Dein Geburtsjahr beizubehalten, würde zwangsläufig Rückschlüsse auf deine wahre Identität zulassen. Was sagst du dazu, Manami?"
 

Noch immer war sie ganz still. Yumi und Junichiro Hirofumi... Zwillingsgeschwister... Geburtsjahr 1981... Wie konnte sie da noch sie selbst sein? Sie hatte Angst sich selbst zu verlieren. Doch hatte sie überhaupt eine andere Wahl? In Wirklichkeit hatte sie doch gar keine andere Option...
 

Dennoch plagten sie Zweifel. Noch immer konnte sie nichts antworten. War sprachlos. Prinzipiell klang dieser Plan durchaus gut. Takehito machte seinem Ruf wirklich Ehre. Er hatte wirklich an alles gedacht. Lückenlos hatte er alle Eventualitäten in Betracht gezogen. Es war absolut nichts daran auszusetzen.
 

Dennoch war seine Frage durchaus berechtigt.
 

Konnte sie das? Konnte sie ihr bisheriges Leben hinter sich lassen? Was war mit Akiharu und Kazuhiro? Ein Leben ohne die beiden konnte sie sich beim besten Willen nicht vorstellen. Niemand konnte ihr garantieren, dass sie die beiden jemals wieder sehen wird. Niemand konnte ihr sagen wie lange sie im Schutz ihrer neuen Identität leben müsste. Was war, wenn es für immer war? Sie stieß einen tiefen Seufzer aus. Noch immer wartete Takehito auf eine Antwort, wobei ihr Schweigen schon längst Bände sprach. Doch wie sollte sie ihm ihr Zweifel klar machen? Er war so überzeugt von seinem Plan. Und er selbst hatte doch schon längst seine Entscheidung getroffen. Doch was war mit ihr? Zumindest wäre sie in ihrem neuen Leben nicht ganz allein. Sie hatte immer noch Takehito an ihrer Seite. Doch würde ihr das reichen? Sie wusste es nicht.
 

Takehito ergriff die Initiative und unterbrach die Stille zwischen den beiden: „Dass du mir nicht sofort antworten kannst, verstehe ich, Manami. Es ist tatsächlich ein großer Schritt. Ich weiß, dass ich dir damit viel abverlange. Wohlmöglich gar zu viel. Aber es ist die einzige Möglichkeit um uns etwas Zeit zu verschaffen und unsere Familien in Sicherheit zu wissen. Nimm dir etwas Zeit um darüber nachzudenken. Morgen früh werde ich meinen Plan in die Tat umsetzen und werde nach Kyoto aufbrechen. Um 10 Uhr hält das Taxi vor meiner Haustür und bringt mich zum Bahnhof... Wenn du mit all den Umständen, die ich dir eben genannt habe, leben kannst dann komm. Solltest du nicht erscheinen, weiß ich, dass du dich dagegen entschieden hast. Es ist einzig und allein deine Entscheidung..."

Manamis Entschluss

Ohne Takehito eine Antwort zu geben, die er eigentlich verdient hatte, verließ Manami auf schnellstem Wege das Haus der Akanishis.
 

Sie war völlig in Gedanken versunken.
 

Dieser Plan, den sich dieser Detektiv da ausgedacht hatte... Er war so überzeugt von seinem Plan. Er war der Meinung, dass es keine andere Möglichkeit für die beiden gab. Doch Manami hatte ernsthafte Zweifel an seinem Plan. Hatte er bei seinen Überlegungen auch mal über die Konsequenzen nachgedacht? Was es eigentlich für die beiden bedeutete? Klar war es erst einmal einfach gesagt...
 

Aber den Plan dann auch tatsächlich in die Tat umzusetzen und mit allen Konsequenzen die dieser Plan mit sich brachte... war noch einmal etwas völlig anderes. Sie war sich nicht sicher ob er sich darüber überhaupt Gedanken gemacht hatte.
 

Wie ein Häufchen Elend schlich sie die Straße zu ihrem Elternhaus hinunter. Kaum zu einem klaren Gedanken fähig. Als sie dann schließlich vor ihrem Elternhaus stand, richtete sie ihren Blick auf. Und plötzlich wurde ihr klar, dass ihr all das unheimlich fehlen würde. Ihr ganzes bisheriges Leben und alles was damit zu tun hatte, würden ihr fehlen. Natürlich würde sie lügen, würde sie sagen, dass sie mit ihrem momentanen Leben glücklich war. Es gab vieles womit sie unzufrieden war. Es gab auch Sachen, die sie vielleicht anders machen würde. Aber es war eben ihr Leben. Das Leben von Manami Saitou mit all seinen Höhen und Tiefen. Mit Erfahrungen und Erinnerungen, welche sie nicht missen wollte... die einfach zu ihrem Leben gehörten und sie zu dem Menschen gemacht hatten, der sie heute war.
 

Ihre Gefühle fuhren Achterbahn. Sie konnte ihr Elternhaus jetzt nicht betreten. Das störte sie allerdings recht wenig. Wohlmöglich wäre ihr dort ohnehin die Decke auf den Kopf gefallen. Oder ihre Großmutter hätte direkt gemerkt, dass sie irgendetwas beschäftigte und hätte sie ausgequetscht wie eine Tomate.
 

Deshalb lief sie doch lieber weiter die Straße hinab. Die frische Luft und das Alleinsein schienen ihr wirklich gut zu tun. Noch immer tief in Gedanken versunken, war ihr Blick stur auf den Boden gerichtet. Das junge Mädchen wusste... Was auch geschehen mag... Sie musste eine Entscheidung treffen. Doch welche? Welche Entscheidung war die richtige? Gab es in dieser Situation überhaupt eine falsche oder richtige Entscheidung? Und wenn ja... welche war falsch und welche war richtig?
 

Ihre Gedanken überschlugen sich.
 

Würde sie sich dafür entscheiden, so würde sie das Gefühl haben sie würde sich selbst verraten. Sie war nicht Yumi Hirofumi. Und sie wollte es eigentlich auch nicht sein.
 

Würde sie sich allerdings dagegen entscheiden, so würde sie nicht nur sich, sondern auch alle Menschen in ihrer Umgebung in eine wahnsinnige Gefahr bringen. Takehito hatte ihr unmissverständlich klar gemacht wie gefährlich die schwarze Organisation war und welche Gefahren von ihr ausgingen. Sie wollte keineswegs, dass jemand ihretwegen zu Schaden kommen musste.
 

Mit verzweifeltem Blick sah sie in den Himmel und ließ einen tiefen Seufzer von sich.
 

„Was soll ich nur tun?", fragte sie in den Himmel, als wüsste dieser eine Antwort.
 

Die Sonne war bereits untergegangen und Tokio war in tiefe Finsternis gehüllt. Einzig und allein das Strahlen des Vollmonds erhellte die Straßen.
 

Bis jetzt war Manami durch die Straßen von Koto gelaufen. Lange hatte sie sich Gedanken über Takehitos Plan gemacht.
 

Als sie ihr Elternhaus betrat, erwartete ihre Großmutter sie bereits sehnsüchtig. Sie schien sich um ihre Enkelin gesorgt zu haben. Verständlich. Schließlich war sie vor ein paar Stunden einfach so verschwunden und bis jetzt nicht wieder aufgetaucht. Umso erleichterter war Erie, als ihre Enkelin wohlbehalten in der Tür stand.
 

Als ihr allerdings Manamis geknickte Haltung auffiel und ihr bedrücktes Gesicht ins Auge fiel, fragte sie besorgt: „Nami-Chan? Ist bei dir alles in Ordnung? Wo warst du denn bis jetzt? Ich habe mir wirklich Sorgen um dich gemacht. Wo kommst du denn jetzt erst her? Ist etwas passiert? Du wirkst so bedrückt?"
 

Eries Sorge um ihre Enkelin wurde in den letzten Tagen immer größer, denn sie war ungewohnt verschlossen ihr gegenüber. Das kannte Erie nicht von ihrer Enkeltochter. Sie hoffte, dass Manami endlich mit ihr über das sprechen würde, was sie seit Tagen zu belasten schien. Aber ihre Hoffnung blieb vergebens.
 

Wenig überzeugend entgegnete sie: „Es ist alles in bester Ordnung. Mach dir bitte keine unnötigen Sorgen. Ich war einfach nur etwas spazieren und habe dabei völlig die Zeit vergessen. Bitte verzeih. Das nächste Mal werde ich dir Bescheid geben, damit du dich nicht sorgst. Ich werde jetzt auf mein Zimmer gehen."
 

Ohne ein weiteres Wort und ohne ihrer Großmutter eines Blickes zu würdigen, verschwand das traurige Mädchen in ihr Zimmer. Die Begegnung mit ihrer Großmutter und ihre spürbare Sorge um Manami, trafen das junge Mädchen mitten ins Herz. Neben Akiharu und Kazuhiro würde sie ihr am meisten fehlen... ihre Großmutter...
 

Auch der Schlaf der Nacht blieb ihr versagt. Zu viele Gedanken kreisten in ihrem Kopf herum, die sie einfach nicht zur Ruhe kommen ließen. Sie hatte keine Ahnung wie es weiter gehen sollte.
 

Immer und immer wieder sah sie sich den Ausweis von Yumi Hirofumi an. Ihr Ausweis... Noch immer konnte sie sich nicht vorstellen, als Yumi zu leben.
 

Sie blickte aus ihrem Fenster, hinauf zum sternenklaren Himmelszelt.
 

Die Morgendämmerung war schon in Ansätzen zu erkennen.
 

Und Manami hatte endlich eine Entscheidung getroffen...

Der Morgen des neuen Anfangs

Als die ersten Sonnenstrahlen Takehitos Nasenspitze kitzelten, schlug er seine Augen auf. Er streckte sich ausgiebig und rieb sich den Schlaf aus den Augen. Die erste Nacht seit langem, die er mal wieder durch schlafen konnte. In den letzten Nächten blieb der Schlaf eher sporadisch. Immer wieder wurde er von seinen Gedanken aus dem Schlaf gerissen. Scheinbar hatte sich sein Körper in vergangener Nacht das geholt, was ihm dringend fehlte... erholsamen Schlaf.
 

Nachdem er die Augen aufgeschlagen hatte und nach wenigen Sekunden voll bei Sinnen war, lagen seine ersten Gedanken bei Manami. Er fragte sich ob sie sich inzwischen wohl entschieden hatte. Und wenn ja... Wie hatte sie sich wohl entschieden? Wirklich begeistert schien sie von dem Plan ja nicht gewesen zu sein. Das hatte er anhand ihrer Reaktion bereits gemerkt. Doch mittlerweile konnte er sie gut verstehen. Es verlangte dem jungen Mädchen unheimlich viel Mut ab ihre Identität, also quasi sich selbst, aufzugeben. Und nicht nur das. Sie müsste nicht nur sich selbst aufgeben, sondern auch ihr ganzes Leben, ihre Familie und ihre Freunde. Er wusste, dass sie ein sehr liebevoller Mensch war und ihre Freunde ihr das wichtigste auf der Welt waren. Und ausgerechnet sie hinter sich zu lassen und keinen Kontakt zu ihnen haben zu dürfen... Das war für sie wahrscheinlich das Schlimmste an der ganzen Sache. Das war ihm durchaus klar. Und wäre es nicht zwingend notwendig gewesen, hätte er so etwas niemals von ihr verlangt. Von niemandem würde er jemals so etwas verlangen. Aber ungewöhnliche Situationen verlangen eben ab und an auch mal ungewöhnliche Maßnahmen. Er hoffte einfach nur, dass sie sich ihm anschließen würde. Dass sie sich für das Richtige entschieden hatte. Wenn man hierbei überhaupt von etwas „Richtigem" sprechen konnte. Sollte sie sich dagegen entschieden haben, würde er vor dem nächsten Problem stehen. Er wüsste ansonsten nicht wie er sie beschützen sollte.
 

Er hatte inzwischen das Badezimmer betreten. Nachdenklich betrachtete er sein Ebenbild, welches sich in dem großen Badezimmerspiegel spiegelte. Er wurde melancholisch. Das sollte vorerst auf unbestimmte Zeit das letzte Mal sein, dass er in seinem vertrauten Umfeld aufwachte. Alles was ihm vertraut war, würde er nun hinter sich lassen müssen. Diese Gedanken stimmten ihn schon fast traurig. Und für einen winzigen Moment keimten auch in ihm Zweifel auf.
 

Plötzlich war er sich gar nicht mehr so sicher. War es wirklich richtig, was er hier tat? Hatte er sich das alles auch wirklich gut überlegt? Hätte er nur etwas mehr Zeit gehabt... Dann wäre ihm unter Umständen vielleicht doch noch eine andere Option eingefallen. Irgendetwas womit Manami auch leben konnte. Doch was hätte ihm groß anderes einfallen sollen? Viele Möglichkeiten gab es in der momentanen Situation eigentlich nicht. Dass sie Tokio verlassen mussten, war aufgrund gegebener Tatsachen Fakt. Egal wie er es drehte und wendete... Tokio mussten sie verlassen. Da gab es keine andere Möglichkeit.
 

Schnell erstickte er seine aufkommenden Zweifel in Euphorie. So oder so... Jetzt gab es ohne hin kein Zurück mehr. Er hatte sich diesen Plan selbst ausgedacht, jetzt musste er ihn wohl oder übel auch durch ziehen. Für Zweifel war jetzt der denkbar schlechteste Moment. Also warum sollte er ausgerechnet jetzt anfangen an seinem gut durchdachten Plan zu zweifeln.
 

Schnell wusch er sich mit kaltem Wasser den Schlaf und die Zweifel aus seinem Gesicht, um kurz darauf damit zu beginnen seine Koffer zu packen. Wenigstens ein bisschen was müsste er mitnehmen. Er konnte sich ja in Kyoto nicht alles neu kaufen. Und außerdem... Ein paar persönliche Sachen würden den Abschied von Tokio und den Neuanfang in Kyoto vielleicht etwas leichter machen. Zumindest versuchte er sich das einzureden.
 

Und schon wieder kamen ihm Zweifel. Warum nur? Bis gestern war er von seinem Plan noch total überzeugt. Und nun kamen plötzlich diese Zweifel in ihm hoch. Warum nur?
 

Doch noch ehe die Zweifel in ihm größer werden konnten, war es bereits so weit.
 

Pünktlich um 10 Uhr stand Takehito mit zwei randvoll gepackten Koffern vor seinem Elternhaus und wartete auf sein Taxi, welches ihm zum Bahnhof von Koto bringen sollte. Von dort aus würde es mit dem Shinkansen weiter Richtung Kyoto gehen. Jetzt wurde es also wirklich ernst.
 

Der Blick auf die Uhr verriet ihm, dass es bereits kurz nach zehn war. Er wurde zunehmend nervöser. Immer wieder wandte er sich um und schien etwas zu suchen. Manami war noch immer nicht aufgetaucht und diese Tatsache beunruhigte ihn. Am Tag zuvor hatte er ihr unmissverständlich klar gemacht, dass er pünktlich um 10 Uhr aufbrechen würde. Er stand eigentlich nur noch dort, weil das Taxi sich zu verspäten schien. Dass sie noch immer nicht dort war, konnte eigentlich nur eines bedeuten... Auch wenn er es nicht wahr haben wollte... Sie hatte sich tatsächlich dagegen entschieden. Es war offensichtlich, dass sie seinen Plan ablehnte und in Tokio bleiben wollte.
 

Er ließ einen lauten Seufzer von sich.
 

Wenn er ehrlich war, dann war es ihm eigentlich bereits gestern schon klar gewesen. Er wusste schon gestern wie sie sich entscheiden würde. Das hatte er allein anhand ihres Gesichtsausdrucks geschlussfolgert. Er hatte damit einfach zu viel von ihr verlangt. Sie war einfach nicht stark genug für so etwas. Wie auch? Sie war gerade mal 15 Jahre alt. Was wollte man da schon groß erwarten. Sie war schließlich noch ein Kind. Doch nun stand er vor dem nächsten Problem. Wie um alles in der Welt sollte er jetzt für ihren Schutz sorgen? Ihre Entscheidung gegen den Plan verkomplizierte die ganze Sache nun wieder ungemein.
 

Doch viel Zeit um weiter darüber nach zu denken blieb ihm nicht.
 

Das Quietschen der Bremsen des Taxis, welches direkt vor seiner Nase zum Stehen kam, riss ihn aus seinen trüben Gedanken.
 

Jetzt war es also soweit.
 

Er würde jeden Moment in dieses Taxi steigen und allein nach Kyoto aufbrechen. Ohne Manami. Ohne zu wissen, was die Zukunft bringen wird und ob sein Plan wirklich so gut war, wie er bisher dachte.
 

Der Taxifahrer stieg aus dem Wagen und half ihm zuvorkommend seine Koffer im Kofferraum zu verstauen. Als das erledigt war, nahm der Taxifahrer wieder auf dem Fahrersitz Platz. Takehito öffnete die Autotür zur Rücksitzbank.
 

Ein letztes Mal wandte er sich um. Ein aller letzter Blick auf sein Elternhaus... auf seine vertraute Umgebung... Er hoffte einfach nur, dass es nicht das letzte Mal sein würde, dass er es sieht... dass er eines Tages als Takehito Akanishi dorthin zurückkehren könne.
 

Doch als er gerade im Begriff war ins Taxi zu steigen, geschah das Unmögliche. Das Rufen einer ihm wohl bekannten Stimme hinderte ihn am Einsteigen.
 

„Takehito, warte!", hallte eine liebliche Stimme durch die Straße.
 

Überrascht wandte er sich um und war noch viel überraschter, als es Manami war, die auf ihn zugelaufen kam. Mit der rechten Hand zog sie einen Koffer hinter sich her.
 

„Ma - Nami... Du - du kommst also doch mit mir nach Kyoto?"
 

Mittlerweile stand sie vor ihm und nickte zaghaft. Doch wirklich glücklich schien sie mit ihrer Entscheidung nicht zu sein. Das konnte man von ihrem Gesicht ablesen. Sie schien innerlich immer noch gegen ihre Entscheidung zu kämpfen.
 

„Hatte ich denn eine andere Wahl? Wohl kaum... Ich bin nur hier um Akiharu und Kazuhiro in Sicherheit zu wissen...", murmelte sie in einem kaum hörbaren Ton.
 

Nachdem Takehito ihr geholfen hatte ihren Koffer im Kofferraum zu verstauen, nahmen beide auf der Rücksitzbank des Taxis Platz.
 

Die Reise in ein neues und ungewisses Leben konnte beginnen.

Die Reise nach Kyoto

Nur knapp eine Stunde später saßen Manami und Takehito im Shinkansen nach Kyoto.
 

Takehito hatte offensichtlich zuvor zwei Plätz im Shinkansen reserviert. Wenigstens hatte er darauf verzichtet Plätze in der Business Class zu reservieren, was für ihn eigentlich typisch gewesen wäre. Er hatte sich Manami zu liebe mit der Economy Class zufrieden gegeben. Wenigstens bei dieser Sache hatte er mal Rücksicht auf sie genommen.
 

Sie saß am Fenster. Ihr Blick war stur nach draußen auf die vorbeiziehende Landschaft gerichtet. Kilometer für Kilometer zog die Landschaft an ihr vorbei. Und mit jeder Minute kamen sie Kyoto immer näher. Manami schien völlig in Gedanken versunken zu sein. Noch immer hatte sie kein einziges Wort mit Takehito gesprochen.
 

Seit dem die beiden ins Taxi gestiegen waren, hatten sie kein einziges Wort miteinander gesprochen. Ohnehin war sie für ihre Verhältnisse heute ganz besonders schweigsam. Immer wieder schielte Takehito zu ihr hinüber, wagte allerdings nichts zu sagen. Zu groß war seine Angst, dass er unter Umständen etwas Falsches sagen könnte. Es gab für ihr Schweigen durchaus einen Grund. Hätte er nun noch etwas Falsches gesagt, hätte das die ganze Sache wohlmöglich noch schlimmer gemacht. Also hielt er es für das Beste zu schweigen.
 

Doch dann war es schließlich Manami, die endlich ihr Schweigen brach und etwas sagte.
 

„Takehito... Sag mal... Wie hast du dir das eigentlich genau vorgestellt? Du hast dir doch sicher schon etwas überlegt. Ich denke es ist langsam an der Zeit, dass du mich mal in deine Pläne einweihst. Wie geht es weiter, wenn wir dann in Kyoto angekommen sind?", kam es monoton über ihre Lippen.
 

Es war offensichtlich, dass sie mit ihren Gedanken bereits in Kyoto war und sich Sorgen darum machte, wie es dort wohl weiter gehen sollte. Takehito hatte ja noch gar nicht die Gelegenheit gehabt ihr alles bis ins kleinste Detail zu erläutern. Bisher hatte er es auch nicht für nötig gehalten, da er ja bis vor ein paar Stunden noch nicht einmal wusste, wie genau sich sie entscheiden würde. Doch nun schien es tatsächlich an der Zeit zu sein sie in die Details einzuweihen.
 

Er entgegnete ruhig: „Ich habe für alles gesorgt Manami. Mach dir darüber bitte keine Gedanken. Mein Großvater weiß über meinen Plan Bescheid. Er kennt zwar nicht die Hintergründe des Ganzen, aber er ist der einzige aus meiner Familie, der mir blind vertraut und mir hilft, ohne unangenehme Fragen zu stellen. Er hat es akzeptiert, dass ich ihm keine Details erzählen kann. Mein Großvater hat für uns beide ein Appartement in einem abgelegenen Stadtteil von Kyoto angemietet. Dort werden wir fürs erste wohnen. Ich hielt es für das Beste wenn wir beide zusammen wohnen. Aber keine Sorge... Du hast natürlich dein eigenes Zimmer, das du dir nach Belieben gestalten kannst. Heute ist Sonntag. Ich schätze da wird nicht mehr viel passieren. Außerdem ist ungewiss wann genau wir in Kyoto ankommen werden. Lass uns erst einmal ankommen und unser Appartement in Augenschein nehmen. Danach sehen wir weiter. Ach ja... Ab morgen werden wir zwei dann den ersten Jahrgang der dortigen Oberschule besuchen. Mein Großvater hat bereits alle Formalitäten erledigt und uns an der Schule angemeldet. Da Yumi und Junichiro offiziell zwei Jahre älter sind, müssen wir auch eine höhere Klassenstufe besuchen."
 

Er bemerkte recht schnell, dass seine Freundin ihn mit weit aufgerissenen Augen anstarrte. Aus diesem Grund hielt er kurzerhand inne und stoppte in seinen Ausführungen. Sie konnte nicht wirklich fassen, was sie gerade aus seinem Mund gehört hatte. War das sein Ernst? Davon, dass die beiden dort wie ganz normale Teenager die Schule besuchen würden, war nie die Rede gewesen. Davon hatte er zuvor kein einziges Wort erwähnt.
 

„Sag mal geht's noch? Du willst mir jetzt ernsthaft weiß machen, dass wir dort ganz normal zur Schule gehen werden? Was stimmt nicht mit dir, Takehito? Du willst in Kyoto ein Leben führen, als sei nichts gewesen? Als würde uns nicht eine gefährliche Organisation verfolgen, die es wahrscheinlich auf unser beider Leben abgesehen hat? Das kann doch nicht wirklich dein Ernst sein. Davon war zuvor überhaupt nicht die Rede.", stieß sie energisch hervor.
 

Es war unschwer zu erkennen, dass ihr die Tatsache, dass sie in Kyoto ganz normal zur Schule gehen sollte überhaupt nicht gefiel. Sie schien auch gar keinen Sinn darin zu sehen. Schließlich waren er und sie aus einem ganz anderen Grund in Kyoto.
 

Takehito, für den das allerdings selbstverständlich war, entgegnete: „Hä? Ja natürlich. Das ist doch eigentlich selbstverständlich. Ich verstehe nicht, weshalb dich das jetzt so überrascht. Was hattest du denn erwartet? Dachtest du wir würden in Kyoto rum sitzen und Däumchen drehen? In unseren vier Wänden darauf warten, dass die Organisation überführt wird? Ich bitte dich. Da hättest du auch von selbst drauf kommen können. Ich dachte das sei dir klar gewesen? Wir können doch nicht nur in unserem Appartement herum sitzen. Und mal ganz davon abgesehen... Zwei Teenager, die nicht wie jeder andere in unserem Alter die Schule besuchen, würden doch unnötig Aufsehen erregen. Das würde doch sofort auffallen. Wir wären wahrscheinlich sofort in aller Munde. Und das war ja gerade das, was wir mit unseren verdeckten Identitäten verhindern wollten. Das war ja Sinn und Zweck der Sache. Diese Identitäten sollen uns davor bewahren unnötig Aufsehen zu erregen. Also werden wir wohl oder übel auch die Schule dort besuchen müssen. Ansonsten hätten wir auch genauso gut in Tokio bleiben können. Dann hätten wir uns die ganze Aktion hier sparen können. Aber keine Sorge... Wir werden uns im Kyotoer Stadtteil Nishikyo aufhalten. Es ist der kleinste und unscheinbarste Stadtteil von Kyoto. In diesem Stadtteil würde man uns wohl als aller letztes vermuten. Und dort sind wir weit genug entfernt von dem Stadtteil in dem unsere Großeltern leben. Das mindert die Wahrscheinlichkeit jemandem zu begegnen, der uns erkennen oder gar unsere Identitäten verraten könnte. Dass unsere Großeltern in Kyoto leben und wir bereits viele Ferien dort verbracht haben, hat die ganze Sache etwas schwieriger gemacht. Aber ich denke, dass es eher unwahrscheinlich ist in Nishikyo jemandem zu begegnen, der uns kennt. Die Oberschule, die wir dort besuchen werden, ist nicht weit von unserem Appartement entfernt und ist im Vergleich zu unserer Schule in Tokio eher klein. Wahrscheinlich wirst du dich erschrecken, wenn du das Schulgelände betrittst. Die Anzahl an Schülern dort ist Vergleichsweise zu anderen Schulen sehr gering. Alle Schüler dort kennen sich untereinander. Das wäre an unserer Schule in Tokio undenkbar."
 

Manamis Gesichtsausdruck hatte sich noch immer nicht geändert. Seine Worte schienen sie nicht wirklich zu besänftigen. Er schien das alles so auf die leichte Schulter zu nehmen. Wie konnte er das alles nur so locker sehen? Sie verstand die Welt nicht mehr. Sie konnte nicht fassen, was er dort gerade von sich gab. Was redete er da eigentlich? Er wollte sonst immer so schlau sein... Und dann war er ausgerechnet in der jetzigen Situation so unvorsichtig? Sie hätte platzen können vor Wut.
 

„Und was ist, wenn unter unseren potentiellen Klassenkameraden jemand ist, der zu den Männern in schwarz gehört? Und dort zur Schule geht um dort nach Sherry zu suchen? Hast du auch nur eine Sekunde mal darüber nachgedacht? Hast du auch nur einen einzigen Gedanken an diese Möglichkeit verschwendet? Ich denke du bist ein Detektiv! Und dann bist du so unvorsichtig? Mir scheint, als hättest du in deinem ach so tollen Plan ein paar kleine Details außer Acht gelassen. Vielleicht haben sie in sämtlichen Schulen Kyotos Spione eingeschleust um nach mir zu suchen. Niemand von uns weiß wie weit verzweigt diese Organisation ist und welchen Einfluss sie haben. Wenn denen Sherry so wichtig ist, werden sie sicher nicht nur zwei ihrer Mitglieder darauf ansetzen nach ihm oder ihr zu suchen. Ich kann mir gut vorstellen, dass noch mehr Mitglieder auf der Suche nach Sherry sind oder zur Informationsbeschaffung ausgesandt wurden. Wie kannst du dir bitte sicher sein, dass sich nicht einer von ihnen an unserer neuen Schule aufhält? Also, wenn du mich fragst, ist das viel zu gefährlich.", unterbrach sie ihn forsch.
 

„Blödsinn! Jetzt werd' mal nicht paranoid! Das, was du dir da in deinem Kopf zusammen spinnst, ist absoluter Irrsinn. Als ob ein Oberschüler zur schwarzen Organisation gehört..."
 

Wieder fiel sie ihm ins Wort: „Ach nein? Du hältst dich für ziemlich schlau, was? Du willst doch sonst auch immer so schlau sein! Mit paranoid haben meine Bedenken rein gar nichts zu tun. Ich selbst bin schließlich auch nur eine Mittelschülerin und habe dennoch ganz offensichtlich etwas mit dieser schwarzen Organisation am Hut. Und nun? Willst du mir in Anbetracht dieser Tatsache immer noch sagen, dass es so abwegig ist, dass ein Oberschüler der schwarzen Organisation angehört?"
 

„Okay. Ich gebe es ja zu... So abwegig mag deine Theorie gar nicht sein. Und um ehrlich zu sein, habe ich über diese Tatsache auch schon nachgedacht. Aber selbst wenn es so wäre, dass sie Agenten irgendwo einschleusen um nach Sherry zu suchen... Dann würden sie ihre Agenten wohl kaum in einer Oberschule einschleusen. Das würde keinen Sinn machen. Wenn dann müssten sie sie schon in einer Mittelschule unterbringen. Aus dem einfachen Grund, weil, wie du eben selbst festgestellt hast, bist du eine Mittelschülerin. Sie wissen zwar nicht wer Sherry ist, aber sie kennen zumindest das Geburtsjahr. Sie wissen, dass Sherry im Jahr 1983 geboren wurde. Und Kinder die in diesem Jahr geboren wurden, sind zum jetzigen Zeitpunkt 15 Jahre alt und besuchen die Mittelschule. Das heißt sie suchen nach einem Mittelschüler, nicht nach einem Oberschüler. Das ist auch der Grund, weshalb ich mich dazu entschieden hatte uns etwas älter zu machen. Einfach um dieser Eventualität aus dem Weg zu gehen. Außerdem habe ich wie gesagt, diese Option bereits vor dir in Betracht gezogen und habe meinen Großvater bereits alle unsere Mitschüler gründlich überprüfen lassen. Einfach um auf Nummer sicher zu gehen. Über niemanden von ihnen konnte etwas Verdächtiges gefunden werden. Rein gar nichts. Das sind alles ganz normale Oberschüler. Es ist also alles in bester Ordnung. Du brauchst dir diesbezüglich keine Gedanken machen, Manami. Vertrau mir.", erklärte er ihr behutsam.
 

Auch wenn sie noch immer nicht begeistert war, musste sie es wohl oder übel akzeptieren.
 

Eigentlich ärgerte sie auch nicht die Tatsache, dass sie und Takehito dort die Schule besuchen würden. Viel mehr ärgerte sie sich darüber, dass dieser Krimifreak erneut über ihren Kopf hinweg entschieden hatte.
 

Aber es hätte jetzt auch wenig Sinn gemacht sich darüber aufzuregen oder gar einen Streit mit ihm vom Zaun zu brechen. Er würde schon wissen was er tut. Zumindest hoffte sie das und redete sich das auch immer und immer wieder ein.
 

Sie versuchte es positiv zu sehen.
 

So konnte ihr so schnell zumindest nicht die Decke auf den Kopf fallen.
 

Sie richtete ihren Blick wieder aus dem Fenster. Auf weitere Diskussionen schien sie keine Lust zu haben.
 

Und wieder herrschte zwischen den beiden Teenagern diese unangenehme Stille, die Takehito absolut nicht gefiel.

Ankunft in der Ungewissheit

Nach einer dreistündigen Zugfahrt mit dem Shinkansen hatten Manami und Takehito dann endlich ihren Zielbahnhof erreicht.
 

Ein mulmiges Gefühl lag dem jungen Mädchen im Bauch. Sie hatte immer noch berechtigte Zweifel an dieser ganzen Angelegenheit. Aber jetzt gab es ohnehin kein Zurück mehr.
 

Dennoch machte ihr ihre ungewisse Zukunft sehr zu schaffen. Nicht zu wissen wie es weiter gehen würde, raubte ihr fast den Verstand. Noch immer konnte sie nicht verstehen, dass dieser Krimifreak die ganze Situation so gelassen sehen konnte.
 

Es war noch früher Nachmittag an einem sonnigen Sonntag, als die beiden in Kyoto ankamen. Noch immer hatte Manami nichts wieder gesagt. Seit der Diskussion über den Schulbesuch in Kyoto schwieg sie wie ein Grab. Das junge Mädchen wirkte traurig und niedergeschlagen. Man musste kein Detektiv sein um das zu erkennen. Natürlich blieb dies von ihrem Freund nicht unbemerkt und er hatte durchaus Mitleid mit seiner Begleiterin. Ihm schien erst jetzt völlig bewusst zu werden, was er da eigentlich von den beiden Teenagern abverlangte. Auch wenn er nach außen völlig ruhig und entspannt wirkte, sah es in ihm ganz anders aus. Bei der Entwicklung seines Planes war ihm wohl bewusst, dass es nicht einfach sein würde diesen in die Tat umzusetzen. Dass er allerdings schon jetzt, ganz zu Beginn des Unterfangens ins Grübeln geriet, hatte er nicht geahnt. Aber er musste jetzt stark sein. Nicht nur für sich, sondern auch für Manami. Er musste ihr in der jetzigen Situation den Halt und die Sicherheit bieten, die sie so dringend benötigte.
 

Dennoch... Völlig auf sich allein gestellt, während eine kriminelle Vereinigung nach ihnen suchte, in einer Stadt, die den beiden völlig fremd war, sollten sie nun unter falschem Namen in den nächsten Wochen oder Monaten Schutz finden.
 

Selbst er schien nach und nach zu begreifen, dass das eigentlich der absolute Irrsinn war. Die Geschichte klang, als würde sie einem ganz schlechten Kriminalroman entsprungen sein. Allerdings war es Realität und Manami und Takehito waren die Hauptprotagonisten dieses schlechten Krimis.
 

Doch nun war es einfach so.
 

Er hatte sich diesen Plan überlegt, jetzt musste er auch dahinter stehen und es ohne jeden Zweifel durch ziehen. Solange er und seine Freundin zusammen waren, war es an sich auch nur halb so schlimm. Ein Zurück gab es jetzt ohnehin nicht mehr. Wohl oder übel mussten die beiden Teenager nun mit der Situation leben. Wobei Takehito sich noch immer nicht ganz sicher war, ob Manami dem Druck standhalten könne, der zwangsläufig auf ihr lastete. Aber es brachte auch nichts sich jetzt Gedanken darüber zu machen und sich den Kopf darüber zu zerbrechen. Auch wenn er wusste, dass er ein begnadeter Detektiv war... in die Zukunft sehen, konnte er nicht. Ob sein Plan wirklich so gut durchdacht war wie er dachte und Manami die Kraft hatte den Plan bis zum bitteren Ende durch zu ziehen, würde einzig und allein die Zukunft zeigen. Und erst, wenn es dann tatsächlich so war, dass sie unter dem enormen Druck zusammen brach... dann konnte er sich immer noch überlegen wie es weiter gehen sollte. Ihm würde dann sicher auch etwas einfallen.
 

Wie angewurzelt stand Manami auf dem Bahnsteig und blickte ins Leere.
 

„Ich halte es für das Beste, wenn wir jetzt erst einmal zu unserem Appartement aufbrechen. Mein Großvater hat sich wirklich Mühe gegeben uns ein schönes Appartement auszusuchen. Es wird dir sicher gefallen, Manami.", stieß er zaghaft hervor.
 

Er versuchte so überzeugend wie nur möglich zu klingen, in der Hoffnung ihre Stimmung ein Müh zu heben. Vergebens... Ihre Stimmung schien sich mit nichts verbessern zu lassen. Sie schien am Boden zerstört zu sein. Und dafür gab es auch einen Grund. Ihr ganzes Leben war bisher von Schatten und Enttäuschungen überhäuft... Ihre Eltern schienen sie abgrundtief zu hassen, ihre Mitschüler mieden ihre bloße Anwesenheit und jetzt... Jetzt musste sie auch noch vorgeben jemand zu sein, der sie in Wirklichkeit gar nicht war. Würde ihr in ihrem Leben auch jemals etwas Gutes wiederfahren?
 

Immer wieder fragte sie sich, was sie getan haben musste, dass ihr nichts Gutes vergönnt war. Aber vielleicht hatte sie das alles auch wirklich verdient.
 

Monoton erwiderte sie schließlich: „Vermutlich..."
 

Mehr als dieses eine Wort brachte sie nicht über ihre Lippen.
 

Takehito seufzte.
 

Wie konnte er sie nur wieder etwas aufheitern? Mit was konnte er ihr nur eine Freude machen? Ihm tat es in der Seele weh seine beste Freundin so leiden zu sehen. So langsam aber sicher war er ratlos.
 

Schweigsam begaben sich die beiden Teenager zu Fuß auf den Weg zu ihrem Appartement. Dieses war gar nicht so weit entfernt von dem Bahnhof, an dem sie aus dem Shinkansen ausgestiegen waren. Meter für Meter setzten die Teenager einen Fuß vor den anderen. Bis Manami urplötzlich stehen blieb. Takehito wandte sich zu ihr um und sah ihr fragend ins Gesicht.
 

„Was ist?", fragte er sie besorgt.
 

Sie starrte auf den Boden. Es schien als würde sie jeden Moment anfangen zu weinen.
 

„Takehito, kann... kann ich dich etwas fragen?", murmelte sie in einem kaum hörbaren Ton.
 

„Nur zu. Du kannst mich fragen was immer du möchtest...", entgegnete er.
 

Es dauerte auch nur einige Sekunden, ehe sie dann ihre Frage über ihre Lippen brachte: „Bist du zufrieden, Takehito? Bist du glücklich damit, wie es gerade ist?"
 

Sofort erwiderte er: „Wie kommst du darauf? Meinst du wirklich, dass mich die momentane Situation in der wir uns befinden zufrieden stimmt? Wohl kaum. Ich würde jetzt auch viel lieber in Tokio in einem Café sitzen und unbeschwert einen Kaffee schlürfen. Glaub mir, Manami... Hätte es eine andere Möglichkeit gegeben, hätte ich das alles hier niemals von dir verlangt."
 

„Hättest du dich gern von ihr verabschiedet?", wurde er von ihr unterbrochen.
 

Mit großen Augen sah er sie an.
 

„Verabschiedet? Von wem?", hakte er neugierig nach.
 

Mit brüchiger Stimme fuhr sie fort: „Von Sakura... Ich weiß wie wichtig sie dir ist. Auch wenn du es nie ihr gegenüber zugeben würdest... ich weiß dass du sie magst. Fühlst du dich gut damit, dass du dich nicht von ihr verabschiedet hast?"
 

Urplötzlich wurde sein Gesichtsausdruck sehr traurig. Noch nie zuvor hatte sie den sonst so souveränen Krimifreak gesehen. Scheinbar hatte sie mit ihrer Aussage mitten ins Schwarze getroffen. Er richtete seinen Blick auf den Boden. Es dauerte eine Weile ehe er antworten konnte.
 

Überzeugt sprach er: „Es ist schon ganz gut so wie es ist, Manami. Ich hatte meine Gründe mich nicht von Sakura zu verabschieden. Ich will einfach nicht, dass sie mich vermisst und traurig ist. Deshalb ist es wahrscheinlich ganz gut so, dass ich einfach so verschwunden bin. Hätte ich mich von ihr verabschiedet, wäre ich gezwungen gewesen in ihr trauriges Gesicht zu schauen. Außerdem hätte ich sie wahrscheinlich nicht anlügen können. Wenn sie von mir alles über die Umstände meines Verschwindens erfahren würde, dann würde sie nur noch mehr leiden, weil sie sich um mich sorgen würde. Und ich weiß, dass ich das niemals ertragen könnte. Ich will nicht, dass sie sich Sorgen um mich macht. Was hätte ich ihr auch sagen sollen? Das einzige was ich ihr hätte sagen können ist, dass sie auf mich warten soll. Und selbst das wäre ziemlich egoistisch gewesen. Ich hätte ihr nämlich im gleichen Atemzug sagen müssen, dass ich sie nicht einmal besuchen kommen kann. Ich hab keine Ahnung wie lange wir als Yumi und Junichiro hier leben müssen. Was hätte ich ihr also sagen sollen? Ich kann sie doch nicht auf ewig vertrösten. Das hat sie nicht verdient. Das macht mich selbst total verrückt. Ich will nicht schuld daran sein, dass sie vor Sehnsucht zergeht und weint. Das könnte ich einfach nicht ertragen. Das einzige, was ich möchte ist, dass Sakura glücklich ist. Auch wenn das bedeutet, dass ich aus ihrem Leben verschwinden muss."
 

Ohne ein weiteres Wort zu sagen, wandte er sich um und wollte seinen Weg fortsetzen.
 

„Takehito, warte...", stieß Manami hervor.
 

Doch für Takehito schien die Unterhaltung beendet zu sein.
 

Ohne sie anzusehen, stieß er hervor: „Lass es einfach, Manami. Ich möchte nicht weiter darüber reden."
 

Sie akzeptierte seinen Wunsch und ging nicht weiter auf dieses Thema ein. Schweigsam folgte sie ihm.

Das neue Zuhause

Bereits nach einem halbstündigen Fußmarsch hatten die beiden Teenager das Hochhaus erreicht, in dem sich ihr Appartement befand. Manami sah an den hohen Mauern des Hauses hinauf. Hier sollte sie also auf unbestimmte Zeit leben? In den Mauern dieses Hochhauses? Noch immer konnte sie nicht begreifen, dass sich ihr Leben in den letzten paar Tagen so sehr verändert hatte. Was sie wohl in Zukunft noch alles erwarten würde? Noch nie war ihre Zukunft so ungewiss, wie sie es jetzt war.
 

Schließlich riss Takehito sie aus ihren Gedanken: „Schau mal!"
 

Sie richtete ihren Blick in seine Richtung. Mit seinen Fingern deutete er auf ein Klingelschild.
 

„Unsere Namen stehen bereits auf dem Klingelschild."
 

Sie wusste nicht ob sie weinen oder schreien sollte. „Yumi & Junichiro Hirofumi" stand darauf geschrieben. Und da war es wieder. Das, was sie am aller meisten an dieser ganzen Sache hier störte... Sie war jetzt nicht mehr Manami. So lange sie sich verdeckt in Kyoto aufhielten, war sie Yumi. Daran musste sie sich scheinbar erst gewöhnen. Auf seine Aussage bezüglich des Klingelschildes reagierte sie nicht.
 

Mit leisen Sohlen betrat sie nun endlich das Hochhaus. Takehito folgte ihr unauffällig. Aufgrund ihrer Koffer nutzen die beiden den Fahrstuhl, um in die 15. Etage zu gelangen. Und dort, am Ende des Flurs befand es sich. Das Appartement, welches auf unbestimmte Zeit das Zuhause der beiden sein würde. Takehito drehte den Schlüssel im Schlüsselloch um. Ein leises Klicken, welches das Aufschließen verursachte, gewährte ihnen dann schließlich Zutritt.
 

Das Appartement war nicht sehr groß, aber durchaus ausreichend für zwei Personen. Der Lange Flur hatte an jeder Wandseite je zwei Räume. Auf der linken Seite befanden sich Küche und ein Schlafzimmer und auf der rechten Seite noch ein Schlafzimmer und das Badezimmer. Am Ende des Flurs befand sich dann noch ein großzügig geschnittenes Wohnzimmer. Das komplette Appartement wirkte unglaublich hell und freundlich. Zudem war es schon komplett möbliert und mit den wichtigsten Utensilien für das tägliche Leben ausgestattet. Dafür hatte wahrscheinlich sein Großvater gesorgt.
 

Und dann endlich brach sie wieder ihr Schweigen: „Du, Takehito... Ich glaube ich muss mich bei dir entschuldigen. Es tut mir wirklich leid. Ich habe die ganze Zeit dir die Schuld an meiner momentanen Situation gegeben. Aber eigentlich kannst du ja gar nichts dafür. Du kannst überhaupt nichts dafür, dass ich eine Verbindung zur schwarzen Organisation habe. Du versuchst einfach nur mich zu beschützen. Du gibst dir wirklich die größte Mühe und ich... ich bin kein bisschen dankbar. Es war in den letzten Tagen einfach alles zu viel für mich. Ich bin mit der ganzen Situation überfordert. Gib mir einfach etwas Zeit für mich. Ich muss das ganze hier erst einmal verarbeiten. Es wäre einfach nur schön, wenn ich jetzt etwas Zeit für mich hätte."
 

Ein Lächeln stahl sich auf seine Lippen. Endlich hatte sie wieder halbwegs normal mit ihm gesprochen.
 

Erleichtert sagte er: „Du bekommst alle Zeit der Welt von mir, Manami. Such dir eines der Zimmer aus. Dann kannst du dich dorthin zurückziehen."
 

Sie entschied sich für das Zimmer auf der linken Seite und zog sich sogleich dorthin zurück. Das Zimmer war sporadisch und liebevoll eingerichtet. Zum ersten Mal kam ein Lächeln über ihre Lippen. Mit ein paar persönlichen Accessoires konnte man sich dort durchaus wohl fühlen. Auch wenn es ihr im Moment noch recht schwer fiel.
 

Nachdem sie sich sorgfältig im Raum umgesehen hatte und ihren Koffer ausgepackt hatte, ließ sie sich erschöpft auf ihr Bett fallen. Es war überaus weich und schien noch neu zu sein. Doch schon nach wenigen Minuten holte sie der fehlende Schlaf der letzten Nacht ein. Der Körper holt sich eben irgendwann das, was ihm fehlte. Und so war es nun auch bei ihr. Nur wenige Sekunden nachdem ihr die Augen zugefallen waren, fiel sie in einen tiefen Schlaf.
 

Am Abend warf Takehito noch einmal einen prüfenden Blick in ihr Zimmer. Nachdem sie seit ihrer Ankunft in Kyoto ihr Zimmer nicht mehr verlassen hatte, machte er sich allmählich etwas Sorgen um seine Begleiterin. Als er sie in ihrem Bett seelenruhig schlafen sah, zauberte ihm das erneut ein Lächeln ins Gesicht. Anscheinend war sie doch stärker als er es vermutet hatte. Er schloss die Tür wieder und verschwand dann ebenfalls in sein Zimmer um in den Schlaf zu finden.
 

Der nächste Tag würde für die beiden Teenager noch einmal ganz besonders anstrengend werden...

Der erste Morgen als Yumi und Junichiro

Lange hatte es gedauert, ehe Takehito in den Schlaf kam. Lange war er noch tief in Gedanken versunken. Die Geschehnisse der letzten Stunden hatten ihn doch mehr aufgewühlt als er es erwartet hätte. Doch auch als er dann endlich in den Schlaf fand, machte es das nicht besser, denn er wurde in dieser Nacht erneut von seinen Albträumen eingeholt.
 

In den letzten Tagen träumte er fast immer dasselbe. Zwei schwarze Gestalten, deren Gesichter vom Schatten verborgen blieben, verfolgten ihn und Manami. Und sie hatten keine Chance zu entkommen.
 

Als dann die Sonne langsam aufging, wurde er unsanft von seinem Wecker aus dem Schlaf gerissen. Schweißgebadet schlug er die Augen auf und er fühlte sich als hätte er die ganze Nacht nicht geschlafen. Er fühlte sich an diesem Morgen wie gerädert. Die Nacht war nicht wirklich erholsam gewesen. Aber es nütze nichts zu jammern. Schließlich sollte das neue Leben der Teenager heute erst so richtig beginnen.
 

Mühsam rappelte er sich auf. Heute würden Manami und er als Yumi und Junichiro ihren ersten Schultag haben. Ihr neues Leben würde heute erst so richtig starten. Auch wenn er wusste worauf er sich einlassen würde, hatte er doch ein mulmiges Gefühl in der Magengegend. Würde Manami es schaffen als Yumi zu leben? Vor allem in der Schule keinen Verdacht zu erwecken?
 

Er schlich sich auf leisen Sohlen aus seinem Zimmer. In der Wohnung war es noch still. Kein Geräusch war zu vernehmen. Das ließ ihn vermuten, dass seine Freundin noch schlief. Kein Wunder. Auch für sie war der gestrige Tag ziemlich nervenaufreibend gewesen. Deshalb fasste er an diesem Morgen einen Entschluss. Er wollte sie etwas aufmuntern und ihr eine Freude machen. Sicher würde sie sich dann etwas besser fühlen. Also führte sein erster Gang in die Küche. Dort deckte er liebevoll den Frühstückstisch. Er wusste, dass sie sich darüber sicher freuen würde.
 

Dann begab er sich in ihr Zimmer. Zu gern hätte er ihr noch etwas Ruhe gegönnt, aber wenn sie an ihrem ersten Schultag zu spät kamen, hätte das gleich ein schlechtes Licht auf die beiden geworfen. Also musste er sie nun wecken. Leise schlich Takehito in Manamis Zimmer. Noch immer schlief sie tief und fest. Die letzten Tage mussten sie echt fertig gemacht haben. Einige Zeit sah er ihr einfach nur zu wie sie schlief. Stundenlang hätte er sie beobachten können. Der Anblick verzauberte ihn. Ihr Gesicht, während sie einfach nur so da lag und schlief, wirkte so engelhaft und bezaubernd. Noch immer konnte er es nicht glauben. Und dieser Anblick machte es noch schwerer.
 

„Kaum vorstellbar, dass dieses engelsgleiche Wesen etwas mit den Männern in schwarz und der schwarzen Organisation zu tun hat...", schoss es ihm ohne Vorwarnung und ohne erfindlichen Grund durch den Kopf.
 

Liebevoll strich er ihr eine Strähne ihrer Haare aus ihrem Gesicht. In diesem Moment schlug sie ihre Augen auf.
 

„Ta-kehito...", murmelte sie verschlafen.
 

Zu mehr war sie so früh am Morgen scheinbar noch nicht in der Lage. Aber es war offensichtlich, dass sie sich darüber freute ihn zu sehen. Generell machte sie an dem heutigen Tag schon einen etwas entspannteren Eindruck, wie am Tag zuvor.
 

„Guten Morgen. Ich hoffe du hast gut geschlafen. Du solltest dich jetzt allerdings etwas beeilen. Wir haben heute unseren ersten Schultag. In der Küche wartet bereits Frühstück auf dich. Wenn du dich also etwas beeilst, kannst du noch etwas essen, bevor wir zur Schule gehen."
 

Er zwinkerte ihr zu und verließ dann auch schon ihr Zimmer.
 

Langsam rappelte Manami sich auf. Heute würde sie also als Yumi Hirofumi die Senshin-Oberschule in Kyoto besuchen.
 

Sie seufzte.
 

Das alles war also wirklich kein Traum gewesen. Das alles war real und geschah gerade wirklich. Als nächstes fiel ihr Blick auf ihre neue Schuluniform. Sie war so völlig anders als ihre alte. Wobei ihr die Farbe eigentlich recht gut gefiel. Die Schuluniform der Senshin Oberschule bestand aus einem blauen Rock, einer weißen Langarmbluse, einem blauen Blazer und einer grünen Krawatte. Sie wirkte sehr schlicht und dennoch elegant.
 

Eine Stunde später, nachdem sowohl Manami, als auch Takehito sich im Bad gerichtet hatten und zum aller ersten Mal ihre neuen Schuluniformen angelegt hatten, saßen sie gemeinsam am Frühstückstisch. Das erste gemeinsame Frühstück in ihrem neuen Leben. Die Situation war noch immer merklich angespannt. Niemand traute sich wirklich etwas zu sagen. Keiner der beiden wusste wie er sich dem anderen gegenüber verhalten sollte.
 

„Hast du gut geschlafen?", fragte Takehito schließlich vorsichtig.
 

Er hoffte einfach nur, dass es ihr mittlerweile besser ging als gestern. Hatte sie ihre Meinung endlich geändert, nachdem sie eine Nacht drüber geschlafen hatte? Ein Lächeln auf ihrem Gesicht verriet ihm, dass dies durchaus möglich war. Es war das erste Mal, dass er sie seit ihrer Ankunft in Kyoto lächeln sah.
 

Dann antwortete sie ihm schließlich: „Der Schlaf hat mir wirklich gut getan. Ich muss zugeben, dass die Nacht recht erholsam war. Und irgendwie ist es heute tatsächlich nicht mehr ganz so schlimm wie gestern. Natürlich würde ich lügen, würde ich sagen, dass ich mit der momentanen Situation glücklich bin, aber... Es ist okay. Ich weiß, hättest du eine andere Wahl gehabt, hättest du all das hier nicht von mir verlangt. Das ist mir klar geworden Takehito. Ich war wirklich wütend auf dich, weil ich nicht verstehen konnte, dass du das alles so auf die leichte Schulter nimmst... aber... als ich dich gestern nach Sakura fragte..."
 

„Bitte fang nicht wieder davon an. Ich dachte ich hätte mich gestern klar und deutlich ausgedrückt... Ich möchte nicht über Sakura reden...", unterbrach er sie.
 

Das junge Mädchen nickte und fuhr sogleich fort: „Das weiß ich. Ich wollte dir auch einfach nur sagen, dass mir dieses Gespräch gestern klar gemacht hat, dass dir das alles nicht so gleichgültig ist, wie ich anfangs dachte. Und das hat mir wirklich geholfen das alles zu verstehen und zu akzeptieren. Und außerdem... ich glaube ich muss mich bei dir entschuldigen, Takehito. Tut mir wirklich leid, dass ich gestern so unerträglich war. Die ganzen Geschehnisse der letzten Tage und vor allem dieser Schritt gestern waren einfach zu viel für mich. Ich konnte das alles nicht verarbeiten... Ich hoffe du verstehst wie ich das meine... Bitte verzeih mir, Takehito. Heute geht es mir schon etwas besser. Und wie ich bereits erwähnte... Ich würde zwar lügen, wenn ich behaupte, dass ich glücklich mit der Situation bin, aber zumindest... habe ich mich mittlerweile damit abgefunden."
 

Ein zufriedenes Lächeln legte sich auf seine Lippen. Offensichtlich hatte er ihr Unrecht getan. Er hatte sich wahrscheinlich grundlos gesorgt. So langsam schien sie sich mit der aktuellen Situation abzufinden.

Die Aura der schwarzen Organisation

Bereits eine halbe Stunde später waren Manami und Takehito als Yumi und Junichiro auf dem Weg zu ihrer neuen Schule. Die Senshin Oberschule war nicht weit von dem Appartement der beiden Teenager entfernt. Sie war quasi nur einen Katzensprung entfernt. Sie mussten lediglich einen fünfzehn minütigen Fußmarsch auf sich nehmen. Dies schien durchaus erträglich zu sein. So hatte Manami zumindest Zeit sich in ihre Rolle als Yumi hinein zu denken. Jetzt wurde es also ernst. Sie durfte sich in der Schule bloß nicht verplappern. Zu viel hing von alledem ab. Immer wieder kreisten ihre Gedanken um die Männer in schwarz und die schwarze Organisation. Noch immer wirkte das alles so irreal.
 

Doch dann wurde sie plötzlich aus ihren Gedanken gerissen.
 

Sie vernahm ein lautes genervtes Seufzen von ihrem Begleiter. Neugierig blickte sie zu ihm hinüber. Takehito sah völlig genervt in den strahlend blauen Himmel, während er einen Fuß vor den anderen setzte. Es war offensichtlich, dass es eine Sache gab, die ihm gerade tausend Mal lieber gewesen wäre... Viel lieber hätte er all seine Energie dafür eingesetzt gegen die schwarze Organisation zu ermitteln, anstatt in einer Schule zu sitzen, welche er ohnehin nach der Überführung der Organisation schnellstmöglich wieder verlassen würde.
 

Die Hälfte des Weges hatten die beiden Teenager bereits hinter sich gebracht.
 

„Hey, Junichiro, was ist denn los mit dir? Du machst ja ein Gesicht wie sieben Tage Regenwetter. Solltest du dich nicht eigentlich auf den ersten Schultag freuen?"
 

Er hatte beide Arme hinter seinen Kopf verschränkt. Aus den Augenwinkeln schielte er sie an. Er war überaus überrascht über ihre Worte. Zum einen hatte sie ihn zum aller ersten Mal seit ihrer Ankunft in Kyoto mit Junichiro, also mit seinem neuen Namen, angesprochen und zum anderen schien sie so langsam wieder die alte zu werden. Genau diese schnippische Art hatte er in den letzten Tagen an ihr vermisst. Dennoch war ihm nicht so recht klar, worauf sie eigentlich hinaus wollte. Aber er hatte auch keine Zeit weiter darüber nachzudenken, denn seine Freundin hatte bereits erneut das Wort ergriffen.
 

„Sicher bist du traurig, weil du Sakura vermisst. Aber allem voran bist du wahrscheinlich völlig genervt davon, weil du deine kostbare Zeit damit verschwenden musst um in der Schule zu sitzen, anstatt deine Ermittlungen gegen die schwarze Organisation voran zu treiben. Dir wäre es doch ganz lieb, sie am besten gestern als heute festzusetzen. Habe ich recht, Junichiro?"
 

„Was?", stieß er unschuldig hervor.
 

Er tat so als wüsste er nicht wovon sie redete. Dumm stellen konnte er sich schon immer gut. Das fiel ihm nicht schwer. Doch er hatte die Rechnung ohne Manami gemacht. Schließlich kannte dieses junge Mädchen ihn mittlerweile gut genug und offensichtlich besser als er dachte.
 

Provozierend fuhr sie fort: „Jetzt tu doch nicht so. Ich kenne dich doch. Sag mal, Junichiro... Oder wäre es dir vielleicht noch viel lieber, wenn diese Kerle hier auftauchen würden? Wenn sie hier einfach so, ohne jede Vorwarnung auftauchen würden und dir gegenüber stehen würden...?"
 

Ein schelmisches Grinsen lag dabei auf ihren Lippen. Wie konnte sie nur so etwas sagen? Sein Blick verfinsterte sich allmählich.
 

„Du, Yumi! Was redest du denn da? Bist du dir eigentlich im Klaren darüber was du gerade gesagt hast? Hast du darüber auch mal im Geringsten nachgedacht? Findest du das ganze hier etwa mittlerweile lustig? Das ist hier alles kein Spaß, verstehst du? Das wäre das Schlimmste, was passieren könnte. Der absolute Worst Case. Wenn diese zwei skrupellosen Kerle in einer Schule voller Kinder auftauchen würden... Dann würde wahrscheinlich ein kaum auszumalendes Unglück geschehen. Nicht auszumalen welche Katastrophe das Ganze nach sich ziehen würde. Diese Kerle sind einfach unberechenbar. Ich will gar nicht wissen, was sie dann mit der Schule und all den Kindern dort anstellen würden. Du solltest vorher nachdenken, bevor du dir so etwas wünschst."
 

Mittlerweile hatten die beiden die Senshin Oberschule erreicht. Kurz blieb Manami am Eingang zum Schulgelände stehen. Sie schien wirklich überaus überrascht zu sein. Das Schulgelände war, verglichen mit ihrer alten Schule in Tokio, sehr klein. Und auch das Schulgebäude war ziemlich mickrig. Nie hätte sie dieses Gebäude für eine Schule gehalten. Kyoto war schließlich eine fast genauso große Stadt wie Tokio. Wie konnte es dort also so kleine Schulen geben. Allem Anschein nach hatte Takehito recht gehabt, als er sagte, dass sie überrascht sein würde wie klein die Schule in Wirklichkeit war.
 

Der Schulhof war wie leer gefegt. Es war kein einziger Schüler zu sehen. Wahrscheinlich hatten sie sich bereits in ihren Klassenzimmern eingefunden. Als Manami ihren ersten Fuß auf das Schulgelände setzte, war es um sie geschehen. In ihr machte sich nun allmählich doch Nervosität breit. Als sie dann Takehitos Hand auf ihrer Schulter spürte, beruhigte sie das. Sie wusste sie war nicht allein. Er war bei ihr. Also konnte es gar nicht schlimm werden.
 

Gemeinsam betraten die beiden Teenager das Schulgelände und schließlich das Schulgebäude. Als die beiden den langen Flur zu ihrem Klassenzimmer entlang liefen, herrschte zwischen den beiden eine beängstigende Stille. Keiner wagte etwas zu sagen. Sowohl Manami als auch Takehito schienen völlig in Gedanken versunken zu sein.
 

Doch dann wurde der junge Detektiv schließlich unsanft aus seinen Gedanken gerissen.
 

Wie aus dem Nichts erschien ein Mann, welcher völlig in schwarz gekleidet war und lief an den beiden Teenagern vorbei. Ihm fuhr ein wahnsinniger Schreck durch seine Glieder. Wo kam der Mann plötzlich her? Kurz zuvor war der Flur noch menschenleer gewesen. Nach dem Gespräch kurz zuvor mit Manami, war er stark sensibilisiert auf das Thema Männer in schwarz und schwarze Organisation, weshalb er beim Anblick des in schwarz gekleideten Mannes direkt panisch reagierte. Sein Blick haftete an dem Mann und folgte jedem seiner Schritte. Takehito verlor jegliche Farbe im Gesicht.
 

„Ist das etwa einer von denen?", schoss es ihm schließlich in den Kopf.
 

Manami bemerkte sofort, dass etwas seinen Blick fesselte. Sie folgte seinem Blick und sah sich den Mann ebenfalls ganz genau an. Sie wusste direkt an was er in diesem Moment dachte.
 

Schnell widersprach sie seinem Gedanken: „Junichiro, ich bitte dich. Sei bitte nicht albern!"
 

In diesem Moment verflog seine Panik recht schnell. Er wandte seinen Blick von dem Mann ab. Überrascht musterte er seine Freundin.
 

Diese sah ihm tief in die Augen und fuhr überzeugend fort: „Ich sag dir jetzt mal was, Junichiro... Man kann es sowohl fühlen, als auch riechen. Ja das stimmt. Jetzt wird mir so einiges klar. Das erklärt warum mein Körper bei Gin und Wodka so in Panik verfallen ist und ich absolut nicht verstehen konnte warum. Jetzt ergibt das auch endlich einen Sinn. Es gibt da scheinbar so eine Aura und einen spezifischen Geruch, den nur Menschen an sich tragen, die einmal in der Organisation waren. Und allem Anschein nach habe ich die Fähigkeit diese Aura wahr zu nehmen... Und das liegt wahrscheinlich darin begründet, dass ich selbst eine Verbindung zu dieser Organisation habe und selbst mal ein Teil von ihnen gewesen sein muss."
 

Derweil bemerkt sie, dass Takehito gerade dabei war ihren Arm anzuheben. Als sie sich ihm dann zuwandte, sah sie wie er an ihrem Arm herum schnüffelte.
 

„Donnerwetter... Ich bin wirklich begeistert... Also der Geruch von dem du gerade gesprochen hast, ist ehrlich gesagt gar nicht mal so übel. Also wenn alle Mitglieder der schwarzen Organisation so riechen, haben sie einen echt guten Geschmack, was Parfüme und Cremes angeht.", murmelte er dabei genüsslich.
 

Genervt riss das junge Mädchen ihren Arm wieder an sich, sah diesen Krimifreak schief von der Seite an und zischte: „Sag mal geht's noch? Du benimmst dich echt wie ein kleines Kind. Nicht zu fassen. Und dabei warst ausgerechnet du derjenige, der mir vorhin noch vorgepredigt hatte, dass das alles hier kein Spaß ist. Und jetzt benimmst du dich selbst noch viel kindischer. Wenn du dich in der Klasse auch gleich so benimmst, dann fällt es gleich auf, dass wir eigentlich viel jünger als die anderen sind."
 

Nun sah er sie neckisch an und konterte: „Okay, dann gehen wir die ganze Sache mal ganz anders an... Deine außergewöhnlich feine Nase hat allerdings damals im Disneyland, als wir zum ersten Mal auf Gin und Wodka getroffen sind, total versagt. Oder willst du mir jetzt sagen, dass die beiden einen anderen Geruch an sich haben?"
 

„Naja, um ehrlich zu sein hatte ich damals schon so eine Ahnung, dass etwas mit diesen beiden zwielichtigen Gestalten nicht stimmte. Ich hatte durchaus das Gefühl, dass die beiden gefährlich sind.", erwiderte sie überzeugt.
 

Er unterbrach sie genervt: „Ist das dein beschissener Ernst? Und kannst du mir denn vielleicht mal verraten warum du mir nicht gleich etwas gesagt hast?"
 

Sie starrte stur auf den Boden und erklärte ernst: „Du hättest mir doch überhaupt nicht zugehört. Du warst so vertieft in diesen Mordfall, dass du alles um dich herum ausgeblendet hast. Selbst wenn ich dir damals etwas gesagt hätte, hättest du mich ganz sicher nicht ernst genommen. Außerdem bin ich mir damals nicht hundertprozentig sicher gewesen. Es war einfach nur so ein ungutes Gefühl, welches ich damals hatte. Zum damaligen Zeitpunkt wusste ich nichts von der schwarzen Organisation und auch nicht, dass ich mit ihr in irgendeiner Verbindung stehe oder gar ihre Aura spüren kann. Das wusste ich damals alles noch gar nicht. Hätte ich damals gewusst, was ich heute weiß, hätte ich ganz sicher anders reagiert. Ich konnte dieses Gefühl einfach nicht einordnen. Ich wusste nichts damit anzufangen. Was mich allerdings noch viel mehr beunruhigt... Ich hatte damals das Gefühl als sei noch jemand von ihnen anwesend. Ja, eine Person, die noch mächtiger und furchteinflößender als Gin und Wodka war. Und es schien so, als könnte ich ihre bösartige Aura mit all meinen Sinnen spüren."
 

Ihre Worte brachten ihn zum Grübeln. Was hatte das alles nur zu bedeuten?

Eine schlimme Befürchtung

Mittlerweile standen die Teenager bereits seit geschlagenen 10 Minuten vor der Tür des Klassenzimmers ihrer neuen Klasse und warteten darauf, dass der Klassenlehrer sie endlich herein bat.
 

Und dann endlich wurde die Klassenzimmertür ruckartig aufgerissen. Manami und Takehito fuhr in diesem Moment ein kurzer Schreck durch ihre Glieder. Als sich die beiden Teenager von ihrem Schrecken erholt hatten, strahlte ihnen eine junge Frau entgegen. Offensichtlich war sie es gewesen, die die Klassenzimmertür aufgerissen hatte. Es schien sich bei dieser Frau offensichtlich um ihre Klassenlehrerin zu handeln.
 

Für eine Lehrerin war sie noch recht jung. Nach Takehitos Schätzung war sie vielleicht Ende 20, Anfang 30. Sie war überaus gutaussehend, hatte kurzes blondes Haar und strahlend blaue Augen. Auf der Nase trug sie eine ziemlich auffällige Brille, die ihre liebevollen Gesichtszüge gut zur Geltung brachten. Der junge Detektiv war völlig fixiert auf die junge Frau vor ihm, die mit ihrer Kleidung ihre makellose Figur und ihre weiblichen Reize gekonnt in Szene setzte und sich deshalb wahrscheinlich vor Verehrern kaum retten konnte. Diese Frau war sicher ein Männermagnet und gerade unter den männlichen Schülern an dieser Schule sehr beliebt.
 

Und während er gedanklich mit der Frau ihm gegenüber beschäftigt war, hatte Manami hingegen ein ganz anderes Problem. Denn genau in dem Moment, als sich die Klassenzimmertür geöffnet hatte, zeigt ihr Körper Symptome, die ihr nicht unbekannt waren. Erneut schien ihr Körper auf etwas zu reagieren. Angst, Furcht und Panik waren es, die ihr die Kehle zu schnürten.
 

Da war sie. Sie war sich ganz sicher.
 

Die Aura der schwarzen Organisation.
 

Es bestand kein Zweifel. Allerdings war es dieses Mal anders als bei Gin und Wodka. Sie spürte die Aura nicht ganz so intensiv und konnte den Ursprung der Aura niemandem direkt zuordnen. Dieses Gefühl beunruhigte sie noch viel mehr. Das bedeutete nämlich vor allem eines... Sie wusste also nicht von wem die Aura der schwarzen Organisation ausging. Eines war ihr allerdings ohne jeden Zweifel klar. Jemand aus der schwarzen Organisation befand sich in ihrer Klasse.
 

Doch sie hatte keine Zeit weiter darüber nachzudenken, denn die junge Frau, welche den beiden Teenagern die Tür zum Klassenzimmer geöffnet hatte, riss sie urplötzlich aus ihren Gedanken.
 

„Oh, welcome you two. Please come in. Eure Classmates erwarten euch bereits. Sorry, dass ihr musstet waiting so long.", sprach sie fröhlich.
 

Doch auch diese freundlichen Worte konnten Manami nicht beruhigen. Sie war immer noch in Panik versetzt und wurde minütlich immer ängstlicher. Takehito sah flüchtig zu ihr hinüber und bemerkte sofort ihre Panik. Für Menschen, die sie kannten, war das auch nicht schwer zu erkennen. Die Angst stand ihr förmlich ins Gesicht geschrieben. Ihm war sofort klar... irgendetwas stimmte ganz und gar nicht mit ihr.
 

Allerdings hatte er keine Möglichkeit sich weiter diesem Tatbestand zu widmen, denn die Klassenlehrerin der Teenager wartete offensichtlich sehnsüchtig darauf, dass die beiden Teenager endlich ihrer Bitte Folge leisteten und den Klassenraum betreten würden.
 

Takehito wollte Manami den Vortritt lassen. Allerdings war unschwer zu erkennen, dass sie sich davor sträubte den Klassenraum zu betreten.
 

Panisch flüsterte das junge Mädchen: „Hey, Takehito, tu mir bitte einen Gefallen... Bitte geh du vor... Ich kann dieses Klassenzimmer nicht als erstes betreten. Du musst unbedingt voran gehen... Ich habe Angst..."
 

„Yumi?", hauchte er besorgt.
 

Aus welchem Grund hatte sie nur urplötzlich so viel Angst? Er konnte es sich beim besten Willen nicht erklären und er konnte sich auch absolut keinen Reim darauf machen. Ihr Verhalten ergab für den selbsternannten Schülerdetektiv keinen Sinn. Er konnte sie aber auch nicht fragen, da die Klassenlehrerin noch immer ungeduldig darauf wartete, dass Manami und er endlich das Klassenzimmer betreten würden. Also tat er ihr zumindest den Gefallen, ging voran und betrat als erster das Klassenzimmer. Manami folgte ihm auf leisen Sohlen und zitterte dabei am ganzen Körper.
 

Als die beiden dann das Klassenzimmer betraten, schnürte sich ihre Kehle von Minute zu Minute mehr zu.

Ein Wolf im Schafspelz?

Die Aura der schwarzen Organisation war immer stärker, intensiver und deutlicher zu spüren, sodass es absolut keinen Zweifel mehr gab. Manamis schlimmste Befürchtungen schienen sich tatsächlich zu bewahrheiten. Als hätte sie es bereits gestern geahnt. Sie war völlig apathisch. Sie waren also wirklich hier. Sie waren hier und suchten nach ihr. Sie musste Takehito irgendwie warnen. Irgendwie musste sie ihm mitteilen in welch misslicher Lage sie sich gerade befanden. Und das am besten bevor irgendwer Verdacht schöpfte oder noch schlimmere Sachen passieren konnten.
 

Doch wie sollte sie das nur tun?
 

Die Angst schnürte ihr die Kehle zu. Hinzu kam, dass die beiden gerade von mindestens fünfzehn Schülern angestarrt wurden. Selbst wenn sie wollte, konnte sie keinen Ton heraus bringen. Es war ihr einfach nicht möglich irgendetwas zu sagen. Sie musste ziemlich dümmlich wirken, wie sie so vor der Klasse stand.
 

Derweil hallte es von einer der Sitzbänke: „Das sind also unsere neuen Mitschüler, Miss Saintemillion?"
 

Die junge Frau, welche die beiden unscheinbaren Teenager in den Klassenraum begleitet hatte, nickte.
 

„That's right!", fügte sie fröhlich hinzu.
 

Dann wandte sie sich den beiden zu und fuhr fort: „My name is Jodie Saintemillion. Ich begrüße euch im Namen der Klasse 1B recht herzlich an der Senshin High School. Ich bin the class teacher of this great class. I will teach you in English. I hope you'll have fun with us."
 

Während Jodie ziemlich euphorisch die beiden Teenager in der Klasse willkommen hieß, wandte Takehito sich Manami zu und flüsterte: „Hey, Yumi! Was ist denn nur los mit dir? Sag mal, hast du etwa vor unserer Klassenlehrerin Miss Saintemillion so viel Angst? Jetzt werd mal nicht paranoid. Ich habe dir doch versichert, dass mein Großvater jeden hier an der Schule gründlich durchleuchtet hat. Diese Frau ist völlig harmlos."
 

Das ängstliche Mädchen erwiderte nichts. Sie konnte nicht. Es war, als würde ihr ein dicker Kloß im Hals stecken, welcher jeden Ton im Keim erstickte. Panisch stand sie neben ihrem vermeintlichen Bruder und starrte einfach nur auf den Boden. Sie wagte es nicht sich im Raum umzusehen. Zu groß war ihre Angst, dass sich ihre Blicke und die Blicke der Person, von der diese angsteinflößende Aura ausging, trafen. Jede Faser ihres Körpers zitterte und ihr Gesicht war kreidebleich.
 

Und ohnehin hatte Jodie bereits erneut das Wort ergriffen: „I have an idea. Stellt euch doch euren Klassenkameraden kurz vor, damit sie wissen mit wem genau sie es zu tun habe."
 

Aufgrund von Jodies Tonlage wurde deutlich, dass das keine Bitte sondern eine Aufforderung war. Manami krallte ihre Hände fest in den Rock ihrer Schuluniform. Sie konnte die Aura der schwarzen Organisation nun mit jeder Faser ihres Körpers spüren. Ihr Herz pulsierte so stark, dass es sich anfühlte, als würde es ihr jede Sekunde aus der Brust springen. Alles um sie herum verstummte. Sie nahm nur noch diese Aura wahr. Zu etwas anderem war sie in der momentanen Situation einfach nicht fähig.
 

Takehito musterte sie noch immer besorgt.
 

Damit die beiden nicht unnötig auffielen, übernahm er schließlich die Antwort und versuchte sich aus dieser prekären Situation heraus zu reden: „Mein Name ist Junichiro Hirofumi und das hier ist meine Schwester Yumi Hirofumi. Wir freuen uns sehr euch kennen zu lernen und hoffen, dass ihr uns in eure Klassengemeinschaft aufnehmt. Wir sind neu hier in Kyoto und gestern erst angereist."
 

Während er sprach, beobachtete er seine Klassenkameraden ganz genau. Sobald sich jemand von ihnen auffällig benehmen würde, musste er schließlich umgehend reagieren. Und auch für Manamis Verhalten musste es schließlich einen Grund geben. Sein Großvater hatte zwar zuvor alle Klassenkameraden und Lehrer gründlich überprüft und konnte nichts Verdächtiges finden, aber Vertrauen war gut, Kontrolle allerdings besser. Er musste sich selbst davon überzeugen, dass er und seine Begleiterin vorerst in Sicherheit waren. Er wirkte dabei sehr ernst und angespannt.
 

„Where do you come from?", riss Jodies Stimme Takehito aus seinen Gedanken.
 

Dieser sah sie überrascht an. Mit ausgerechnet dieser Frage hatte er absolut nicht gerechnet. Er musste sich schnell etwas einfallen lassen. Er musste unverzüglich etwas antworten, ansonsten würde er sofort Verdacht erregen.
 

Sichtlich nervös stotterte er: „Wir... ähm... wir... also... Wir kommen aus Nagoya. Die wunderschöne Hafenstadt in der Präfektur Aichi."
 

Geschafft.
 

Gott sei Dank war er gut darin sich blitzschnell irgendetwas aus den Fingern zu ziehen. Und Gott sei Dank war sein Allgemeinwissen fast grenzenlos. Und Jodie schien es laut ihrem Gesichtsausdruck auch zu glauben. Zumindest machte sie keineswegs den Eindruck, als würde sie an seinen Aussagen zweifeln.
 

Dann wandte er sich erneut Manami zu und zischte: „Du, Yumi, hör mal zu... Glaubst du nicht, dass es langsam an der Zeit wäre, dass du auch mal etwas sagst? Kannst du dir nicht auch einfach mal was überlegen und Miss Saintemillion antworten?"
 

Noch immer war sie starr vor Angst. Die Panik stand ihr förmlich ins Gesicht geschrieben.
 

„Yumi?", flüsterte er besorgt.
 

So langsam schien ihm klar zu werden, dass ihr Zustand ernst war und es dafür durchaus einen Grund geben musste. Manami hingegen war völlig in ihren Gedanken versunken und bekam nichts um sich herum mit.
 

Panisch dachte sie: „Was ist das? Was zur Hölle ist das? Ich kann es ganz genau spüren. Jede Faser meines Körpers nimmt es wahr. Dieser beängstigende stechende Schmerz, der mich schier zu durchbohren scheint. Es ist genau wie damals, als wir Gin und Wodka zum aller ersten Mal im Disneyland begegnet sind und ich spürte, dass noch jemand anderes dort war... eine noch viel mächtigere Person. Ich bin mir ganz sicher. Sie sind hier. Sie sind bereits hier. Und sie suchen nach mir. Ich kann es ganz genau spüren. Eines ihrer Mitglieder befindet sich in dieser Klasse... mitten unter uns... ganz in meiner Nähe. Da besteht absolut kein Zweifel. Ist er meinetwegen hier? Verfolgt er mich etwa im Auftrag der Organisation? Oder ist das alles doch nur reiner Zufall? Aber was spielt das schon für eine Rolle... Wenn heraus kommen sollte, dass ich Sherry bin... die Person nach der die Organisation so fieberhaft sucht... dann werden alle Leute hier an dieser Schule kompromisslos ausgemerzt. Und ich bin an all dem Schuld. Dies geschieht alles nur meinetwegen. Sie sind in großer Gefahr... Die Lehrer, die Schüler... und Takehito natürlich auch. Bitte lieber Gott... Ich flehe dich an... Lass mich bitte nicht auffliegen..."
 

Sie betete, dass alles gut werden würde. Sie flehte Gott an, dass er sie beschützen würde. Es stand einfach viel zu viel auf dem Spiel. Sollte sie tatsächlich auffliegen, würde das mit großer Wahrscheinlichkeit in einer absoluten Katastrophe enden. Da war sich sie ganz sicher.
 

Und während sie völlig in Gedanken versunken war, musste sich Takehito auch schon der nächsten Frage von Jodie stellen: „What about your parents? What are they doing?"
 

Wieder eine Frage mit der er absolut nicht gerechnet hatte. Wieso war diese Lehrerin nur so neugierig? Er hatte überhaupt nicht darüber nachgedacht, dass jemand nach ihrer Herkunft oder nach ihren Eltern fragen könnte. Und nun hatte er den Salat. So langsam aber sicher gingen ihm nämlich die Ideen aus. Genervt wandte er sich seiner Begleiterin zu, die bisher noch kein einziges Wort gesprochen hatte und ihn scheinbar völlig auflaufen ließ.
 

„Yumi, hey, Yumi, du sag mal... Es wäre nett, wenn du dich auch mal an dem Gespräch beteiligen könntest. Hast du nicht noch eine Idee, was wir sagen könnten? Ich bin es echt Leid hier ganz allein den Kopf für uns beide hin zu halten. Du könntest ruhig auch mal etwas zu der ganzen Sache hier sagen.", zischte er leise, sodass niemand außer sie ihn hätte hören können.
 

Dabei haftete sein Blick auf ihrem Gesicht. Noch immer war offensichtlich, dass sie völlig in Panik versunken war. Ihr Gesicht war kreidebleich, ihre Augen völlig emotionslos, kalter Schweiß lag auf ihrer Stirn und ihr Körper zitterte. So langsam machte er sich ernsthafte Sorgen um sie. Für ihr Verhalten musste es einen Grund geben, soviel war ihm bereits klar. Doch wie sollte er ihr helfen oder Mut zusprechen, wenn sie seit dem Betreten des Klassenzimmers kein einziges Wort von sich gegeben hatte. Das passte überhaupt nicht zu ihr. Irgendetwas schien sie in Panik versetzt zu haben. Doch was nur? Was machte dem jungen Mädchen nur so viel Angst? Doch er wurde erneut von Jodie aus seinen Gedanken gerissen. Diese Frau schien wirklich ein Talent dafür zu haben.
 

„You don't have to talk about it. Es geht mich ja auch gar nichts an. Keep calm little princess. You don't have to be afraid. Es tut dir niemand etwas. All of your classmates are really nice. Glaub mir."
 

Noch immer reagierte Manami nicht. Wie angewurzelt stand sie an einer Stelle und krallte ihre Hände noch immer in den Rock ihrer Schuluniform. Sie sah Jodie nicht einmal an. Ihr Blick war stur auf den Boden gerichtet.
 

„Yumi ist...", begann Takehito erneut für sie zu antworten.
 

Schließlich musste er dafür sorgen, dass die beiden durch ihr Verhalten nicht unnötig Aufsehen erregten. Doch in diesem Moment packte Manami seine Hand und hielt sie ganz fest. Überrascht sah er zu ihr hinüber. Ihre Hand war eiskalt und kalter Schweiß machte sie ganz feucht. Er verstand ihre Geste sofort, ohne dass er sie ansah.
 

Er wandte sich wieder seiner Lehrerin zu und fuhr fort: „Sie müssen Yumi entschuldigen. Sie ist einfach nur sehr schüchtern und gerade Fremden gegenüber sehr verschlossen. Wir ergänzen uns als Zwillingsgeschwister einfach perfekt. Ich bin in solchen Situationen Yumis Mund. Verstehen Sie was ich meine? Sie muss einfach nur etwas auftauen."
 

Auch diese plumpe Ausrede schien Jodie dem Teenager abzukaufen. Was hatte sie auch für eine andere Wahl als ihm zu glauben. Zumindest schien es so als würde sie ihm glauben. Dennoch entging es seinem scharfsinnigen Blick nicht, dass Jodie durchaus verdächtig reagierte, als sie sah wie krampfhaft sich Manami an seine Hand fest klammerte. Am liebsten hätte sie seine wärmende Hand nie wieder los gelassen. Seine Hand zu halten gab ihr zumindest ein winzig kleines Gefühl von Sicherheit. Wäre er nicht bei ihr gewesen, hätte sie wohlmöglich schon panisch das Klassenzimmer verlassen. Doch so lange er an ihrer Seite war, fühlte sie sich sicher.
 

„Manami hat bestimmt solche wahnsinnige Angst, weil sie glaubt es seien Leute aus der schwarzen Organisation hier in der Klasse. Anders kann ich mir ihr Verhalten nicht erklären. Ihre Angst scheint grenzenlos zu sein. Allerdings habe ich keinen blassen Schimmer wie Manami auf die absurde Idee kommt, dass einer von ihnen hier sein könnte. Und ich habe auch keinen leisesten Verdacht, wer hier irgendetwas mit diesen schwarzen Gestalten zu tun haben könnte...", schoss es ihm durch den Kopf, als er ihre kalten Fingerspitzen in seiner Handfläche spürte.
 

Was machte ihr nur solche Angst? Hatte sie tatsächlich einen Grund? Oder wurde sie nur langsam paranoid. Ihm fiel es schwer das einzuschätzen. Theoretisch war er sich ganz sicher, dass niemand von den Männern in schwarz unter seinen Klassenkameraden sein konnte. Schließlich hatte sein Großvater alle Personen an dieser Schule bis ins kleinste Detail durchleuchtet. Selbst die Putzfrau und den Hausmeister hatte er nicht ausgelassen. Über niemanden konnte etwas gefunden werden. Und in solchen Angelegenheiten, da war er sich absolut sicher, konnte er seinem Großvater vertrauen. Er war in solchen Sachen äußerst gründlich. Weshalb hatte dann aber Manami nur solche Angst?
 

Sie stand noch immer völlig neben sich. Von dem was Takehito erzählte, bekam sie nichts wirklich mit. Sie hörte zwar seine Worte, vernahm sie allerdings nur unbewusst. Noch immer versuchte sie heraus zu finden von wem ihrer Klassenkameraden diese angsteinflößende Aura ausging. Oder ging sie gar von ihrer Klassenlehrerin aus? Sie musste es unbedingt herausfinden. Sollte sich tatsächlich ein Organisationsmitglied unter ihren Klassenkameraden befinden, drohte Takehitos Plan bereits jetzt zu scheitern. Und dabei hatte sein Plan noch nicht einmal richtig begonnen. Und das würde vor allem eines bedeuten... dass die beiden Teenager dort keinesfalls sicher waren. Doch woher sollte die Organisation wissen, dass sich die beiden ausgerechnet an dieser Schule aufhalten würden? Das ergab alles überhaupt keinen Sinn. Oder waren sie vielleicht doch aus einem völlig anderem Grund dort? Vielleicht handelte sich das alles nur um einen dummen Zufall. Doch egal aus welchen Grund auch immer sie dort waren... Das spielte prinzipiell überhaupt keine Rolle. Sie und Takehito befanden sich definitiv in Gefahr. Das war jedenfalls Fakt. Spätestens wenn diese Typen herausfinden würden wer Yumi und Junichiro wirklich waren. Takehito konnte diese Lüge schließlich nicht ewig aufrecht halten. Das könnte selbst er nicht, auch wenn er immer denkt, dass er ziemlich gerissen sei. Früher oder später würde irgendjemand ihre wahren Identitäten herausfinden. Und selbst wenn derjenige kein Mitglied der schwarzen Organisation war, so würde diese brisante Information wohl schneller als gehofft bei ihnen landen.
 

Sie musste sich jetzt zusammen reißen. Es war jetzt nicht der richtige Zeitpunkt die Nerven zu verlieren. Es gab jetzt etwas wichtigeres, das sie sich widmen musste.
 

Sie konzentrierte sich.
 

Sie musste herausfinden von wem die Aura der schwarzen Organisation ausging. Auch wenn es ihr unheimliche Angst machte. Am liebsten wäre sie sofort davon gelaufen und hätte sich in Sicherheit gebracht. Sich am liebsten irgendwo versteckt wo sie niemand finden würde. Allerdings hätte genau das erstrecht die Aufmerksamkeit aller auf sie gezogen. Das war also keine Option. Und eigentlich musste sie ja nur herausfinden von wem diese angsteinflößende Aura ausging. Mit diesem Wissen wären sie und Takehito zumindest schon mal einen Schritt weiter. Dann könnten sie sich einen Plan machen.

Angst vs. Willensstärke

Manami schloss ihre Augen und konzentrierte sich einzig und allein auf die Aura, die sie mit jeder Faser ihres Körpers spüren konnte.
 

Doch nichts.
 

Urplötzlich war die Aura wie weggeblasen.
 

Sie spürte nur noch ihren rasend schnellen Herzschlag an ihrer Brust.
 

Sie war verwirrt.
 

Wie war das nur möglich gewesen? Bis vor wenigen Sekunden konnte sie die Aura noch mit jeder Faser ihres Körpers spüren. Doch nun war sie einfach verschwunden. Fast so als hätte es sie gar nicht gegeben. Als wäre sie gar nicht da gewesen... als hätte sie sich all das nur eingebildet. Aber das hatte sie nicht. Sie war sich ganz sicher. Das was sie bis eben gefühlt hatte war real.
 

Hastig sah sie sich um. Hatte vielleicht irgendjemand den Raum verlassen, ohne dass sie es bemerkt hatte? Nein, alle Schüler saßen noch an ihren Plätzen. Und niemand von ihnen machte den Anschein als würden sie etwas mit der schwarzen Organisation am Hut haben. Sie wusste sich einfach keinen Reim darauf zu machen.
 

Allerdings hatte sie auch keine Zeit sich weiter darüber Gedanken zu machen, denn Takehito hatte ihr sanft seinen Ellenbogen in die Seite gestupst und flüsterte: „Hey, Yumi. Jetzt reiß dich gefälligst malzusammen. Was ist denn nur los mit dir? Miss Saintemillion spricht mit dir."
 

Nicht einmal das hatte sie mitbekommen. Nichts von dem, was in den letzten Minuten um sie herum geschehen war, hatte sie mitbekommen. Zu sehr war sie in ihren Gedanken versunken. Doch nachdem die Aura, welche ihr zuvor solche Angst eingejagt hatte, verschwunden war, konnte sie endlich wieder einen klaren Gedanken fassen.
 

„Entschuldigen Sie bitte, Miss Saintemillion. Ich wollte nicht unhöflich wirken. Ich war gerade ganz woanders mit meinen Gedanken.", gab sie kleinlaut von sich.
 

Fröhlich strahle ihre Klassenlehrerin sie an und erwiderte: „Oh, no problem. Du bist sicher very aufgeregt."
 

Die strahlend blauen Augen von Jodie funkelten Manami an. Sie hatte einen ganz besonderen Glanz in ihren Augen. Dem verängstigten Mädchen war klar... diese Frau konnte unmöglich der schwarzen Organisation angehören. Dafür war sie viel zu nett und freundlich. Das konnte unmöglich gespielt sein. Es schien kein Hauch von Boshaftigkeit an ihr zu haften. Oder aber sie konnte sich gut verstellen. Sollte ihre Annahme jedoch richtig sein, so hieße das im Umkehrschluss zwangsläufig, dass einer ihrer Klassenkameraden zu IHNEN gehören musste.
 

„Okay, you two. Ich würde vorschlagen, dass ihr euch jetzt setzt. Yumi, setz du dich bitte in die zweite Reihe, direkt neben Subaru. Und Junichiro, du gehst bitte nach ganz hinten und setzt dich neben Akako. Beeilt euch bitte. I want to start the Unterricht."
 

Beide nickten zustimmend. Es wäre ihnen zwar lieber gewesen, wenn sie nebeneinander hätten sitzen können, aber sie wollten nicht direkt am ersten Tag eine Diskussion mit ihrer Klassenlehrerin vom Zaun brechen. Deshalb nahmen sie es vorerst so hin.
 

Gezielt bewegten sich die beiden Teenager auf die Schulbänke zu. Als Manami an dem ihr zugewiesenen Platz angekommen war und sich setzen wollte, packte Takehito sie am Arm und hinderte sie so am Hinsetzen. Endlich konnte er sie fragen, was ihm seit dem Betreten des Klassenzimmers auf der Zunge lag.
 

„Kannst du mir jetzt vielleicht mal verraten, was eigentlich mit dir los ist? Du hast uns beide da stehen lassen wie zwei Vollidioten. Ich verlange eine Erklärung von dir.", hauchte er ihr ziemlich forsch ins Ohr.
 

War das jetzt sein Ernst? Wie konnte er denn jetzt antworten verlangen? Schließlich hätte sie jemand belauschen können. Natürlich war ihm ihr Verhalten keineswegs entgangen. Irgendetwas stimmt nicht mit ihr. Ihr war durchaus klar, dass der Detektiv sie durchschaut hatte und sie ihm Antworten schuldig war. Allerdings war das gerade kein guter Zeitpunkt.
 

„Ich glaube, dass das gerade nicht der richtige Zeitpunkt ist sich darüber zu unterhalten. Und vor allem ist es absolut der falsche Ort. Wir reden später.", flüsterte sie so leise es ging.
 

Dabei hatte sie schon längst gemerkt, dass die Blicke ihres Banknachbars auf sie gerichtet waren. Wie hatte Jodie ihn doch gleich genannt?
 

Subaru.
 

Sie konnte aus dem Augenwinkel sehen, dass Subaru sie anstarrte. Er war ein gutaussehender junger Japaner. Sein hellbraunes Haar war ziemlich ungewöhnlich anzusehen, da man diese Haarfarbe in Japan eher selten zu Gesicht bekam. Auf seiner Nase trug er eine schlichte Brille. Und dahinter verbargen sie sich... Sein jadegrünes Augenpaar, was er gerade auf die beiden Neuen gerichtet hatte. Sein Blick schien sie schier zu durchbohren. Warum starrte er sie nur so an? Hatte er vielleicht etwas von dem Gespräch zwischen den beiden mitbekommen?
 

Manami ließ sich schließlich auf den ihr zugewiesen Stuhl sinken. Mittlerweile hatte ihr Sitznachbar, dessen Name Subaru war, seinen Blick von ihr abgewandt. Darüber war sie durchaus erleichtert, denn irgendwas an seinem Blick ließ ihr einen kalten Schauer über den Rücken laufen. Und trotzdem hatte dieser junge Mann etwas an sich, was sie fesselte. Ihn umgab eine Aura, die ihr Interesse geweckt hatte. Und das obwohl sie es selbst am aller wenigsten verstand.
 

Allerdings wollte sie sich auch nicht weiter an diesem Gedanken aufhalten. Schließlich hatte sie momentan ganz andere Probleme. Deshalb schenkte sie Subaru keine weitere Beachtung. Dennoch schielte er immer wieder unauffällig zu ihr hinüber. Scheinbar hatte seine neue Klassenkameradin aus irgendeinem Grund auch sein Interesse geweckt. Manami war das momentan allerdings egal.
 

Noch immer zitterte ihr Körper wie Espenlaub. Es viel ihr schwer sich zu beruhigen. Ihr Körper schien sich selbstständig gemacht zu haben. Krampfhaft versuchte sie ihr Zittern zu unterdrücken. Sie wollte unter keinen Umständen, dass dieser Subaru etwas mitbekommt. Aber es war ihr einfach nicht möglich. Sie zitterte noch immer am ganzen Körper. Auch wenn sie die Aura der schwarzen Organisation nicht mehr spüren konnte, hatte sie Schwierigkeiten sich zu beruhigen und ihren Herzschlag zu normalisieren. Das laute Pochen ihres Herzens übertönte selbst die Stimme ihrer Lehrerin, die währenddessen ihren Unterricht begonnen hatte. Von dem Unterrichtsgeschehen bekam das junge Mädchen allerdings überhaupt nichts mit. Mit ihren Gedanken war sie schon längst wieder ganz woanders. Ihre Hände krallte sie noch immer ganz fest in den Rock ihrer Schuluniform. Ihre Hände schienen sich regelrecht zu verkrampfen. Ihren Kopf hielt sie gesenkt und ihr Blick war stur auf den Tisch vor ihr gerichtet. Sie war innerlich so unheimlich aufgewühlt, dass ihre Gedanken in ihrem Kopf nur so herum kreisten.
 

„Am besten wäre es doch wenn ich endlich sterben würde. Ja, so wäre es wohl am besten. Selbst wenn ich mich wirklich irre und niemand von ihnen sich hier an der Schule meinetwegen aufhält, sodass ich hier unversehrt heraus käme... würde ich spätestens mit dieser Person konfrontiert werden, wenn meine wahre Identität auffliegt. Ich werde früher oder später zwangsläufig mit dieser Person zusammen treffen. Ob ich will oder nicht... Ich bin es... Ich bin das Verbindungsglied zur schwarzen Organisation. Es wäre wirklich besser, wenn ich nicht mehr da wäre. Das ist mir schon so lange klar. Schon in dem Augenblick als Takehito mir klar machte, dass ich Sherry bin, dass sie hinter mir her sind und ich in irgendeiner Verbindung zu IHNEN stehe. Oh Mann, Manami... wie konntest du nur so dumm sein und denken du könntest ihnen mit einem solch billigen Trick entkommen.", schoss es ihr durch den Kopf.
 

Sie schien innerlich bereits aufgegeben zu haben. Sie hatte einfach keine Kraft mehr gegen ihr Schicksal anzukämpfen. Es sollte offensichtlich ihr Schicksal sein durch die Hände der schwarzen Organisation zu sterben. Warum sollte sie also dagegen ankämpfen? Eine einzelne Träne bahnte sich ihren Weg über ihre Nasenspitze und tropfte von dort aus auf den Tisch. Sie war verzweifelt. Sie wusste weder ein noch aus. Egal was sie auch tun würde... schlussendlich würde sie sich immer und immer wieder im Kreise drehen. Sie musste dem Ganzen ein Ende setzen. Solange es noch möglich war ohne jemand unschuldigen in Gefahr zu bringen. Und wenn das bedeutete dass sie sterben musste um alle anderen Menschen in ihrem Umfeld damit in Sicherheit zu bringen, dann würde sie das durchaus in Kauf nehmen. Für sie stand fest... Zum Nutzen der Allgemeinheit würde sie mit Freude den Tod begrüßen. Diese Entscheidung hatte sie bei vollem Bewusstsein getroffen. Und ihr Entschluss stand fest. Niemand konnte sie davon abbringen.
 

Eine Träne nach der anderen bahnte sich ihren Weg über ihre Nasenspitze hinunter auf den Tisch. Doch dann wurde sie urplötzlich und ohne jede Vorahnung aus ihren Gedanken gerissen.
 

„Hey, ist bei dir alles in Ordnung? Du weinst ja..."
 

Erschrocken blickte sie auf und sah ihrem Banknachbar Subaru direkt in seine jadegrünen Augen. Der Klang seiner Stimme fuhr ihr durchs Mark und bescherte ihr eine Gänsehaut von Kopf bis Fuß. Doch sie konnte keineswegs einschätzen ob diese Gänsehaut positiver oder negativer Natur war. Doch nur durch seine Stimme hatte Subaru es geschafft sie völlig aus der Bahn zu werfen. Es viel ihr schwer diesen jungen Mann einzuschätzen. Etwas Geheimnisvolles ging von ihm aus. Er schien anders als ihre anderen Klassenkameraden zu sein. Zumindest wurde sie das Gefühl nicht los, dass er kein gewöhnlicher Oberschüler war.
 

„Schon gut. Du brauchst es mir nicht sagen. Prinzipiell geht es mich ja auch gar nichts an. Entschuldige bitte meine aufdringliche Art.", flüsterte er, nachdem er vergeblich auf ihre Antwort gewartet hatte.
 

Dabei wandte er sich dann schließlich von ihr ab. Wahrscheinlich kam er sich gerade ziemlich blöd vor sie gefragt zu haben. Und erst recht weil sie ihm nicht geantwortet hatte. Allerdings hatte ihre Sprachlosigkeit durchaus einen Grund. Subaru hatte sie allein durch seine Stimme so gefesselt, dass sie einfach nicht in der Lage gewesen war ihm zu antworten.
 

Sie konnte ihren Blick nicht mehr von ihm abwenden. Sie war wie gefesselt an ihn. Mehrere Minuten haftete ihr Blick an ihm.
 

„Hat es einen bestimmten Grund, weshalb du mich so anstarrst? Habe ich vielleicht etwas im Gesicht?", kam es schließlich über seine Lippen, ohne dass er sie dabei ansah.
 

Woher wusste er das? Wie konnte er sehen, dass sie ihn anstarrte, ohne sie anzusehen? Ihr war diese Situation sichtlich unangenehm. Ein Rotschimmer legte sich auf ihre Wangen, während sie blitzschnell ihren Blick von ihm anwandte.
 

„Entschuldige bitte...", murmelte sie in einem kaum hörbaren Ton.

Retter in der Not

Das laute Läuten der Schulglocke erlöste sie schließlich aus dieser unangenehmen Situation.
 

Endlich.
 

Die Stunde war vorüber.
 

Auch wenn Manami rein gar nichts von dieser Unterrichtsstunde mitbekommen hatte. Die Pause würde sie auf jeden Fall nutzen um mit Takehito zu sprechen. Er wüsste in der jetzigen Situation ganz sicher was zu tun war oder würde sich irgendeine Lösung überlegen, jetzt wo klar war, dass die schwarze Organisation bereits dort war.
 

Doch dazu sollte sie vorerst nicht kommen, denn als sie sich von ihrem Stuhl erheben wollte, hatte sich bereits eine Traube an Schülern um sie herum gebildet.
 

Sie war sichtlich verwirrt.
 

Vier junge Männer standen um sie herum und musterten sie aufmerksam. Sie betrachteten das junge Mädchen von oben bis unten. Dem schüchternen Mädchen war die Situation sichtlich unangenehm. Doch sie sah auch momentan keine Möglichkeit dieser prekären Situation zu entkommen. Sie konnte auch überhaupt nichts sagen. Zu überrumpelt war sie von den vier jungen Männern, die um sieherum standen. Was konnten sie nur von ihr wollen? Aber sicher würde sie es bald erfahren.
 

Dann ergriff endlich einer der Jungen das Wort: „Yumi war dein Name, nicht wahr?"
 

Der Junge ihr gegenüber hatte braunes Haar, grüne Augen und einen gepflegten Bart am Kinn. Allerdings wirkte dieser junge Herr ihr gegenüber alles andere als sympathisch. Es dauerte eine Weile ehe sie nickte. Diese Tatsache hätte sie ja fast vergessen. Es würde wohl tatsächlich noch etwas dauern, ehe sie sich an ihren neuen Namen gewöhnt hatte.
 

„Mein Name ist Ryusuke Higo. Freut mich dich kennen zu lernen. In Nagoya scheint es wirklich unheimlich schöne Frauen zu geben. Das liegt wahrscheinlich an der Hafenluft. Hast du eigentlich einen Freund, Yumi?", fuhr der Junge unbehelligt fort.
 

Überrascht sah sie ihn an. Hatte sie gerade richtig gehört? Grundsätzlich fühlte sie sich ja schon geschmeichelt. Aber es war klar, dass dieser Ryusuke total oberflächlich war. Er kannte sie kein bisschen und wusste absolut nichts über sie und dennoch versuchte er schon jetzt mit ihr zu flirten. Klar, dass er nur aufgrund ihrer äußeren Erscheinung von ihr verzaubert war. Was nicht sonderlich verwunderlich war, denn Manami war ein wirklich hübsches Mädchen. Aber solch offensichtliche Oberflächlichkeit war überhaupt nichts für sie. Doch noch ehe sie reagieren konnte, vernahm sie ein leichtes Kichern. Es kam von ihrem Banknachbar Subaru.
 

„Kannst du mir mal verraten was es da zu lachen gibt, Subaru?", brüllte Ryusuke ihm entgegen.
 

Es war unschwer zu erkennen, dass die beiden jungen Männer sich nicht sonderlich leiden konnten. Subaru würdigte ihm keines Blickes.
 

Dennoch erwiderte er: „Du bist so lächerlich, Ryusuke. Da kann man wirklich nur drüber lachen. Hast du es wirklich so nötig?"
 

Ryusuke schlug mit der flachen Hand auf den Tisch und brüllte: „Was mischst du dich denn da jetzt ein? Das sagt gerade der Richtige! Du brichst doch hier einem Mädchen nach dem anderen das Herz. Seit du an dieser Schule aufgetaucht bist, haben wir Normalos doch überhaupt keine Chance mehr bei den Mädchen. Alle fliegen nur auf dich. Wobei ich mich ernsthaft frage, was sie an dir so toll finden!"
 

Manami fiel ihm direkt ins Wort. Das letzte was sie jetzt wollte war, dass die beiden ausgerechnet wegen ihr einen Streit vom Zaun brachen.
 

„Hey! Jetzt streitet euch doch nicht. Dafür gibt es überhaupt keinen Grund. Ryusuke, es tut mir wirklich leid dir das sagen zu müssen, aber ich habe momentan überhaupt kein Interesse an einem Freund. Das hat absolut nichts mit dir zu tun. Ich setze momentan nur einfach andere Prioritäten in meinem Leben."
 

Sie hatte versucht es ihm so nett wie nur möglich bei zu bringen. Schließlich erhob sie sich von ihrem Stuhl und wollte endlich zu Takehito stoßen um mit ihm über ihre Bedenken zu sprechen. Das erschien ihr wichtiger als sich weiter mit Ryusuke und seinen Freunden auseinander zu setzen. Allerdings war sie in ihrer Annahme, Ryusuke mit ihrer Aussage abgewimmelt zu haben, ziemlich falsch gewickelt. Als sie an ihm vorbei gehen wollte, packte er sie am Arm und hinderte sie so am Gehen. Leicht erschrocken blickte sie ihn an.
 

„Yumi, jetzt stell dich doch nicht so quer. Du kennst mich doch noch gar nicht. Lass uns doch wenigstens mal gemeinsam Essen gehen. So kannst du mich kennen lernen.", sprach er überzeugt.
 

Sie konnte kaum fassen wie penetrant dieser Junge war. Stand etwa auf ihrer Stirn geschrieben „Bitte date mich"? Wohl kaum.
 

„Ryusuke, ich sagte doch... Ich habe kein Interesse.", erwiderte sie nun etwas energischer.
 

Doch auch das schien keinerlei Wirkung zu zeigen. Was stimmte nicht mit diesem Kerl?
 

Ryusuke verfestigte seinen Griff um ihr Handgelenk und rief forsch: „Jetzt stell dich doch nicht so an! Gib mir doch wenigstens mal eine Chance... Danach kannst du mir immer noch einen Korb geben!"
 

Ihr war die ganze Sache immer unheimlicher. Sie fühlte sich von ihrem aufdringlichen Klassenkameraden Ryusuke sichtlich bedrängt. Immer wieder versuchte sie sich aus seinem Griff zu befreien. Vergeblich.
 

„Ryusuke, bitte lass mich los. Du tust mir weh!", flehte sie ihn an.
 

Doch dieser machte nicht den Eindruck, als würde er von ihr ablassen wollen, solange sie ihm nicht eine Chance gab. Offensichtlich wollte er unbedingt ein Date mit ihr und konnte oder wollte ihr nein einfach nicht akzeptieren. Wo war nur Takehito, wenn man ihn mal wirklich brauchte? Er hätte sie sicher beschützt und sich für sie eingesetzt.
 

Doch dann war es jemand anderes, der sich völlig unerwartet für sie einsetzte. Subaru stand von seinem Stuhl auf und packte Ryusuke grob am Arm.
 

„Hast du nicht gehört, Ryusuke? Bist du taub? Oder was ist dein Problem? Du sollst sie los lassen! Und ich empfehle dir dieser Bitte schnellstmöglich nach zu kommen. Ansonsten sorge ich dafür.", sprach Subaru mit ruhiger aber fordernder Stimme.
 

„Willst du mir jetzt drohen? Jetzt hör mir mal zu, Subaru. Jetzt empfehle ich dir mal was... Misch dich da nicht ein! Das geht dich hier einen feuchten Dreck an!", schrie Ryusuke Subaru an.
 

In diesem Moment riss Subaru ihn von Manami los, drehte seinen rechten Armauf seinen Rücken und fixierte ihn dann gewaltsam auf dem Tisch.
 

„NochFragen?", hauchte er ihm eindringlich ins Ohr.
 

Ryusuke versuchte sich zu wehren und sich aus seinem Griff zu befreien. Vergebens. Subaru schien genau zu wissen was er dort tat und sein ungeliebter Klassenkamerad hatte keine Möglichkeit sich gegen ihn zu wehren. Schließlich gab er dann nach.
 

„Schon gut. Ich hab's ja kapiert. Und jetzt lass mich verdammt nochmal los, Subaru!"
 

Auch wenn es Subaru offensichtlich gefiel ihn so hilflos zu sehen, ließ er schließlich von seinem hilflosen Klassenkameraden ab, fügte allerdings noch hinzu: „Ich gebe dir einen guten Rat, Ryusuke. Halt dich in Zukunft von ihr fern. Sie hat dir ja wohl klar und deutlich zu verstehen gegeben, dass sie kein Interesse an dir hat. Wenn du auch nur einen Funken Selbstachtung in dir trägst, akzeptierst du das auch. Zudem halte ich es für angebracht, wenn du dich bei dieser jungen Dame entschuldigst."
 

Es war offensichtlich, dass es sich dabei nicht um eine Bitte von ihm handelte. Anhand seiner Tonlage machte er unmissverständlich klar, dass es sich dabei um eine Aufforderung handelte. Widerwillig entschuldigte Ryusuke sich bei Manami und zog gleich darauf mit seinen drei Kumpanen von Dannen.
 

„Ein komischer Typ...", schoss es Manami in den Kopf.
 

Dann war ihr Blick auf Subaru gerichtet. Erneut war sie sprachlos. Es fiel ihr sichtlich schwer zu begreifen, was gerade geschehen war. Völlig selbstlos hatte dieser Junge sich für sie eingesetzt. Und das, obwohl er sie eigentlich gar nicht kannte. Ohne auch nur im Entferntesten eine Gegenleistung dafür zu erwarten. Und jetzt saß er völlig cool auf seinem Stuhl, vergrub seine Hände in seinen Hosentaschen und war die Ruhe selbst. Es machte keineswegs den Anschein als wäre er irgendwie aufgebracht oder ähnliches. Fast so, als wäre zuvor gar nichts geschehen. Vielleicht hatte er solche Konfrontationen mit Ryusuke öfter? Das würde zumindest erklären, weshalb ihn diese Auseinandersetzung so völlig kalt ließ.
 

Doch noch ehe sich das Mädchen bei ihrem Retter in der Not für seinen Einsatz bedanken konnte, wurde sie unsanft am Handgelenk gepackt. Sie erschrak fast zu Tode. War es etwa dieser Ryusuke? Hatte er es noch immer nicht kapiert?
 

Sie wandte sich um.
 

Es war Takehito, der ihr Handgelenk packte und sie nun hinter sich her zerrte, hinaus auf den Flur.

Klare Worte

Takehito wollte endlich Antworten von Manami. Ihr Verhalten hatte zwar bereits Bände gesprochen, doch erneut hoffte er, dass er mit seiner Vermutung falsch lag. Das durfte einfach nicht sein. Er musste sich irren. Und er war fest davon überzeugt, dass sie ihm gleich seine Bedenken nehmen würde. Wenn er allerdings ehrlich zu sich selbst war, war die Wahrscheinlichkeit dafür eher gering. Bis dato hatte er sich noch nie geirrt. Warum sollte es gerade jetzt der Fall sein?
 

Trotzdem... die Hoffnung stirbt bekanntlich zuletzt. Sollte er allerdings mit seiner Vermutung richtig liegen, würde das seinen ganzen Plan zunichtemachen. Als die beiden weit genug vom Klassenzimmer entfernt waren, sodass Takehito sich ganz sicher sein konnte, dass niemand sie belauschen konnte, presste er Manami an die Wand und stütze sich mit beiden Armen daran ab.
 

„So... kannst du mir jetzt vielleicht mal verraten, was eigentlich mit dir los ist? Du hast uns vor der gesamten Klasse da stehen lassen wie Vollidioten! Ist dir eigentlich klar wie blöd ich mir vorkam? Ich glaube du bist mir so einige Antworten schuldig... Also? Was verdammt nochmal ist los mit dir?", flüsterte er besorgt.
 

Auch wenn er sich über ihr Verhalten vor der Klasse ärgerte, machte er sich dennoch Sorgen um seine beste Freundin. Sie sah ihn mit großen Augen an. Natürlich war ihr klar, dass er bereits die Ursache ihres Verhaltens erahnen konnte. Er kannte sie mittlerweile besser als jeder andere. Auch wenn sie ihm gern etwas anderes gesagt hätte... etwas weniger weitreichendes... Und sie brauchte auch gar nichts sagen, denn ihre Blicke bestätigten ihn bereits in seiner Vermutung. Er kannte sie einfach viel zu gut.
 

„Manami, hör zu... Das ist hier wirklich kein Spaß... Bist du dir wirklich ganz sicher, dass sich einer von IHNEN unter unseren Klassenkameraden befindet? Jetzt sag schon!", fragte er aufgebracht.
 

Sie schüttelte zaghaft ihren Kopf. Sie wusste, dass ihm ihre Antwort nicht gefallen würde. Schließlich war er ein Detektiv. Für ihn zählten nur Fakten und Beweise. Alles was man ihm sagte, musste man ihm auch beweisen können.
 

Nachdem sie einen Seufzer von sich gelassen hatte, erklärte sie leise: „Mit Gewissheit kann ich es natürlich nicht sagen. Das ist ganz einfach so. Aber... Du musst zugeben, dass du doch auch ein komisches Gefühl hast, seit wir beide das Klassenzimmer betreten haben, oder!? Du fühlst es doch auch. Irgendetwas stimmt hier ganz und gar nicht Takehito. Ich war von Anfang an dagegen diese Schule hier zu besuchen. Und jetzt ist es zu spät. Fakt ist jedenfalls, dass ich genau in dem Moment, als Miss Saintemillion die Tür zum Klassenzimmer geöffnet hatte, IHRE Aura spüren konnte. Ja genau, es war ohne jeden Zweifel die Aura der schwarzen Organisation und ich konnte sie mit jeder Faser meines Körpers spüren. Ich hatte Angst Takehito... Panische Angst!"
 

„Verdammt. Das kann doch nicht möglich sein. Mein Großvater hat doch jeden einzelnen von ihnen gründlich unter die Lupe genommen. Ich kann mir nicht vorstellen, dass ihm ausgerechnet das durch die Lappen gegangen ist. Und wer von ihnen ist es? Wer von ihnen gehört zur schwarzen Organisation? Von wem ging diese Aura aus?", unterbrach er sie.
 

Das junge Mädchen ließ wieder einen Seufzer von sich, denn genau in diesem Punkt bestand das Problem.
 

„Ich weiß, dass dir das jetzt nicht gefallen wird, aber... Ich habe keine Ahnung. Genau das war ja mein Problem, weshalb ich wie ein Vollidiot vor der Klasse stand. Ich konnte diese Aura niemandem direkt zuordnen. Es war ganz merkwürdig. Es war fast so, als würde derjenige wissen, dass ich seine Aura spüren kann und hat sie deshalb verschleiert. Und als ich mich auf die Aura konzentrieren wollte, um heraus zu finden von wem sie ausging, war sie urplötzlich verschwunden."
 

„Verschwunden?", unterbrach er sie erneut.
 

Sie nickte.
 

Noch immer konnte sie sich nicht erklären, wie die Aura einfach so verschwinden konnte, wenn sie sie doch zuvor mit jeder Faser ihres Körpers spüren konnte. Nachdem der Detektiv über die Worte seiner Freundin nachgedacht hatte, musterte er sie mit einem schnippischen Blick.
 

Genervt zischte er: „Sag mal, Yumi... Willst du mich eigentlich auf den Arm nehmen? Vorhin hast du mir noch gesagt, dass man es fühlen und riechen kann, wenn jemand in der schwarzen Organisation war. Und wieder einmal scheint dich deine ach so feine Nase gehörig im Stich zu lassen. So langsam reicht es wirklich, Yumi. Verstehst du überhaupt den Ernst der Lage? Ich weiß, dass es dir absolut nicht passt, dass wir jetzt hier in Kyoto sind und hier zur Schule gehen... Ich weiß auch, dass du am liebsten zurück nach Tokio willst, zu Akiharu und Kazuhiro... Aber weißt du was ich glaube? So langsam wirst du paranoid. Du steigerst dich da einfach in was rein. Du hast einfach überreagiert, weil dir die ganze Sache hier nicht passt. Es ist absolut nicht möglich, dass sich einer von IHNEN unter unseren Klassenkameraden befindet. Das habe ich dir schon mehr als einmal gesagt. Mein Großvater hat jeden einzelnen bis ins kleinste Detail durchleuchtet."
 

Manami sah Takehito mit großen Augen an. Es war offensichtlich, dass er ihr kein einziges Wort glaubte. Von wegen sie habe überreagiert. Und dass ihr die gesamte Situation hier nicht passte, hatte damit auch rein gar nichts zu tun. Sie wusste ganz genau was sie gefühlt hatte und in dem war sie sich hundertprozentig sicher. Und wenn er ihr nicht glauben wollte, dann war das ebenso. Selbst davon wollte sie sich nicht beirren lassen.
 

Traurig sah sie zu Boden und sprach leise mit brüchiger Stimme: „Ganz ehrlich, Takehito... Nein... Junichiro! Glaub was du willst! Ich weiß, was ich gefühlt habe. Und wenn ich mir selbst nicht mehr vertrauen kann, wem denn sonst? Und deshalb habe ich einen Entschluss gefasst... Es hat keinen Zweck weiter davon zu laufen. Das macht uns doch nicht glücklich. Willst du den Rest deines Lebens davon laufen und dich irgendwo verstecken? Was ist das denn für ein Leben? Früher oder später werden sie mich finden. Ich möchte einfach niemanden in Gefahr bringen oder der Grund dafür sein, dass gar jemand verletzt wird. Ich bin es... Ich bin das Verbindungsglied zur schwarzen Organisation... Aus welchem Grund auch immer... Und damit bringe ich jeden in meinem näheren Umfeld in eine wahnsinnige Gefahr. Ich möchte das nicht Takehito. Ich könnte es mir niemals verzeihen, wenn jemandem etwas meinetwegen zustößt."
 

„Moment, Moment, Moment... Was zur Hölle willst du mir damit sagen?", unterbrach er sie überrascht.
 

Er war gespannt, was seine Freundin ihm zu sagen hatte. Eine einzelne Träne bahnte sich ihren Weg über ihre Wange. Es fiel ihr sichtlich schwer ihm ihren Entschluss mitzuteilen. Ihr war klar, dass es ihm keineswegs gefallen würde. Aber auch er könnte sie nicht davon abbringen. Und genau deshalb offenbarte sie ihm ihren Entschluss.
 

Mit brüchiger Stimme fuhr sie fort: „Du weißt genau so gut wie ich, dass es nur eine einzige Lösung gibt um diesen Wahnsinn zu beenden. Du weiß genau was ich meine... Ich muss sterben... Wenn ich nicht mehr lebe, dann hat die Organisation..."
 

„Hör sofort auf so einen Schwachsinn von dir zu geben! Sag mal spinnst du! Wie kommst du auf eine so absurde Idee? Ich will so einen Blödsinn nicht hören! Und erstrecht nicht aus deinem Mund! Haben wir uns verstanden?", brüllte er sie an, während er seine Hände zu Fäusten geballt hatte und damit immer und immer wieder gegen die Wand schlug.
 

Er konnte es nicht ertragen diese Worte aus ihrem Mund zu hören. Wie konnte sie nur so schnell aufgeben? Bisher verlief doch alles bestens nach Plan. Und dass sich jemand aus der schwarzen Organisation unter ihren Klassenkameraden befand, stand doch überhaupt noch nicht fest. Selbst wenn sie die Aura der schwarzen Organisation gefühlt hat... Das konnte vielerlei Gründe haben. Das war doch aber noch lange kein Grund direkt die Flinte ins Korn zu werfen. Takehito war innerlich so wütend über Manamis Worte, dass er hätte explodieren können. Er wusste allerdings, dass das die Situation wahrscheinlich noch verschlimmern würde.
 

Doch er kam gar nicht dazu noch etwas zu sagen.

Erneute Konfrontation mit der Angst

„Ist bei euch alles in Ordnung?", erklang eine Stimme, welche Manami erneut eine Gänsehaut bescherte.
 

Erschrocken blickten die beiden Teenager zur Seite. Sie wussten sofort, dass jemand neben ihnen stehen musste. Und dann sahen sie ihn... Subaru. Souverän und Selbstbewusst. Seine Hände in den Hosentaschen vergrabend, stand er neben dem vermeintlichen Geschwisterpaar und musterte es neugierig. Wo kam der nur so plötzlich her? Weder Manami noch Takehito hatten bemerkt, dass sich ihnen jemand genähert hatte.
 

Dem Detektiv stockte der Atem. Hatte Subaru die beiden etwa belauscht? Hatte er etwas bezüglich der schwarzen Organisation mitbekommen? Hatten die beiden doch in irgendeiner Art und Weise Verdacht erregt?
 

Und zu allem Überfluss musste er auch noch feststellen, dass Subaru nicht allein war. Er wurde von noch zwei weiteren Personen begleitet, die neben ihm standen. Es war ein Mädchen mit langem dunklem Haar, welches er zuvor schon einmal gesehen hatte. Sie war in derselben Klasse wie die beiden Teenager. Und ein junger Mann, welcher ebenfalls dunkles Haar hatte. Ihn hatte Takehito allerdings zuvor noch nie gesehen. Beide trugen allerdings dieselbe Schuluniform wie die anderen. Demnach waren Subarus Begleiter ebenfalls Schüler der Senshin Oberschule, wobei der junge Mann, den Takehito nicht kannte, wohl einen der höheren Jahrgänge besuchen musste. Allerdings interessierte sich der Detektiv gerade herzlich wenig dafür wer die drei waren oder wo sie her kamen. Viel mehr interessierte er sich dafür, aus welchem Grund sie sich gerade in der Nähe der beiden Teenager aufhielten.
 

Doch noch ehe er die Möglichkeit hatte zu reagieren, ergriff bereits der Junge, welcher offensichtlich aus einem höheren Jahrgang stammte, das Wort: „In deinem Alter sollte man mittlerweile wissen wie man sich benimmt. Mit einer Frau redet man so nicht. Und erstrecht nicht, wenn es sich dabei um deine Schwester handelt. Du solltest dir wirklich einen anderen Ton ihr gegenüber angewöhnen. Was war denn der Grund für euren Streit?"
 

Takehito sah genervt zu den drei Gestalten, die ihm gegenüber standen. Hatten die keine eigenen Probleme? Niemand hatte sie um ihre Meinung gebeten.
 

„Was geht euch das denn bitte an? Mischt ihr euch immer in anderer Leute Gespräche ein? Ihr habt doch überhaupt keine Ahnung. Ihr solltet euch nicht in Angelegenheiten einmischen, von denen ihr keinen Plan habt. Wie ich mit meiner Schwester rede, ist immer noch mein Problem.", maulte er.
 

In diesem Moment, als er seinen Satz ausgesprochen hatte, durchzog es Manami wie ein Blitz.
 

Da war es wieder... dieses Gefühl... Es war die Aura der schwarzen Organisation. Sie konnte sie klar und deutlich spüren. Es war ohne jeden Zweifel genau dieses Gefühl. Sie mussten ganz in der Nähe sein. Doch wie war das plötzlich möglich? Wo kam diese Aura so plötzlich her? Ein starkes Pulsieren fuhr ihr durch ihren Körper, der sich gerade erst von der letzten Panikattacke erholt hatte. Panisch riss sie ihre Augen auf und sah sich hastig um. Wo kam sie her? Von wem ging diese Aura aus? Sie wusste... Es war haargenau dasselbe Gefühl, wie das, was sie gespürt hatte, als sich die Tür zum Klassenzimmer geöffnet hatte. Da war sie sich ganz sicher. Und wieder konnte sie den Ursprung der Aura niemandem direkt zuordnen. Dennoch... Dieses Gefühl konnte sie sich nicht einbilden. Das war absoluter Schwachsinn, was Takehito da dachte. Es war real und sie konnte es mit jeder Faser ihres Körpers spüren. Doch von wo kam sie? Es war niemand auf dem Flur zu sehen, außer Takehito und Subaru mit seinen beiden Begleitern.
 

Und je länger Manami sich die drei Personen, die noch immer vor ihr und ihrem vermeintlichen Bruder standen, betrachtete, desto intensiver wurde das Gefühl. Instinktiv suchte das verängstigte Mädchen Schutz hinter ihrem Begleiter und krallte sich panisch an seinem linken Oberarm fest. Das Atmen fiel ihr durch die aufsteigende Panik in ihr immer schwerer. Ernst musterte sie die Personen vor sich.
 

„Dieses Gefühl...", fuhr es ihr in den Kopf.
 

Besorgt wandte Takehito seinen Blick zu ihr um. Anhand ihres Gesichtsausdrucks wusste er sofort, dass irgendetwas nicht stimmte. Ihm war klar, dass ihre Reaktion einen Grund haben musste. Doch welchen nur? Spürte sie wieder die Aura der schwarzen Organisation?
 

„Ein Blick, der die Beute regelrecht aufspießt... Eine Anspannung, die bis in mein Innerstes vordringt... Ein Blick den ich nicht sehe, aber spüre und der mich schier zu durchbohren scheint...", fuhr Manami derweil ihren Gedanken fort.
 

Erneut schnürten ihr Angst und Panik ganz langsam die Kehle zu. Wie sehr sie dieses Gefühl hasste. Wieder begann sie am ganzen Körper vor Angst zu zittern. Schweißperlen bildeten sich in ihrem Gesicht. Die Aura der schwarzen Organisation wurde immer intensiver spürbar und ließ sie nicht mehr los. Dieses Gefühl schien sie innerlich aufzufressen und nach und nach völlig die Kontrolle über ihren Körper zu übernehmen. Ihr Herzschlag hatte sich ohnehin schon selbstständig gemacht. Sie krallte sich immer fester in Takehitos Oberarm. Sie verkrampfte sich immer mehr.
 

„Was ist denn los mit dir, Yumi?", flüsterte er ihr besorgt zu.
 

Ihr Zustand bereitete ihm nach und nach doch Sorgen. Doch sie war nicht in der Lage zu antworten. Zum einen schnürten ihr Angst und Furcht die Kehle zu und zum anderen war sie gedanklich nur bei dieser Aura, sodass sie einfach nicht in der Lage war auch nur ein einziges Wort über ihre Lippen zu bringen.
 

„Sie sind hier... Irgendwo ganz in der Nähe... Ganz ohne jeden Zweifel... Ein Mitglied der schwarzen Organisation... Aber warum nur? Warum sind sie ausgerechnet hier, an diesem Ort? Sind sie wirklich meinetwegen hier? Wenn dem so ist... Warum lassen sie mich dann noch am Leben? Was auch immer der Grund dafür ist... Ich bin mir nun ganz sicher, dass sich jemand von ihnen hier befindet... Ganz ohne jeden Zweifel... Wie? Wie kann das sein? Wie ist das nur möglich? Nein, ich habe keine Zeit darüber nachzugrübeln... Ich muss hier weg! Ich muss ganz schnell hier weg! Sonst werden sie alle...", überschlugen sich ihr wirre Gedanken.
 

Es war ihr einfach nicht möglich auch nur einen klaren Gedanken zu fassen. Die Aura der schwarzen Organisation brachte sie erneut völlig aus der Fassung.
 

Doch bereits im nächsten Moment...
 

„Es ist weg...", hauchte sie.
 

Und wieder war die Aura der schwarzen Organisation verschwunden. Sie war einfach weg. Wie vom Erdboden verschluckt. Genauso wie es vor kurzem schon einmal der Fall gewesen war, als sie die Aura beim Betreten des Klassenzimmers wahrgenommen hatte. Jetzt verstand sie gar nichts mehr. Wie war das nur möglich? Wie konnte das sein? Erst nahm dieses Gefühl ihren Körper gefangen und dann war es urplötzlich verschwunden. Oder hatte Takehito vielleicht doch recht mit dem was er sagte? Bildete sie sich das ganze mittlerweile ein? Wurde sie so langsam paranoid? Nein! Daran durfte sie gar nicht denken. Sie wusste was sie gefühlt hatte. Es gab keinen Grund an sich zu zweifeln. Es schien so, als würde die ganze Situation sie um den Verstand bringen und als würde sie langsam irrewerden.
 

„Hey, Yumi. Jetzt sag doch mal was. Ist alles in Ordnung mit dir?", fragte Takehito, der offensichtlich noch immer überaus besorgt zu sein schien.
 

Allmählich schaffte sie es sich zu beruhigen und ihren Puls zu normalisieren.
 

In einem kaum hörbaren Ton stammelte sie: „Ja... Schon gut... Alles in bester Ordnung... Mach dir bitte keine Gedanken... Ich komme schon klar..."
 

Wirklich überzeugend wirkte es zwar nicht, was sie da gerade von sich gab, aber was hätte sie auch anderes sagen sollen? Dass sie erneut die Aura der schwarzen Organisation gefühlt hat? Er würde ihr ohnehin kein einziges Wort glauben. Das hatte er ihr bereits zuvor klar und deutlich zu verstehen gegeben. Genau deshalb hielt sie es für das Beste ihm vorerst davon nichts zu sagen. Mit ernster Miene wandte das junge Mädchen sich den drei Personen vor sich zu.
 

„Sie sind definitiv hier... da besteht für mich absolut kein Zweifel mehr... Und da sich auf diesem Flur nur wir fünf befinden, lässt das nur einen einzigen Schluss zu... Einer dieser drei muss es sein... Derjenige, von dem vorhin diese Spannung ausging. Ein Mitglied der schwarzen Organisation. Ich muss ganz schnell herausfinden wer von den dreien es ist. Ich muss endlich etwas unternehmen, sonst werden alle Schüler an dieser Schule in die ganze Sache hinein gezogen. Das muss ich unter allen Umständen verhindern!", war der erste klare Gedanke, den sie nach ihrer Panikattacke fassen konnte.
 

In einer Sache hatte Takehito recht mit dem was er sagte... Sie konnte jetzt nicht einfach das Handtuch werfen dafür gab es zum jetzigen Zeitpunkt auch überhaupt keinen Grund. Ja, es hielt sich offenbar ein Organisationsmitglied ganz in ihrer Nähe auf... Allerdings schienen sie noch nicht zu wissen, dass Manami und Sherry ein und dieselbe Person waren. Denn dann würde sie wahrscheinlich schon längst nicht mehr frei herum laufen. Und selbst wenn sie diese Information bereits hatten, wussten sie nicht, dass sie sich momentan als Yumi in Kyoto aufhielt. Manami Saitou war offiziell aufgrund eines Schüleraustausches in New York. Es bestand also vorerst kein Grund in völliger Panik zu versinken.
 

Es gab jetzt erst einmal nur eines, worauf sie sich konzentrieren musste. Sie musste herausfinden, wer von den drei Personen vor ihr ein Organisationsmitglied war, wobei sie eigentlich auch schon einen konkreten Verdacht hatte...

Die Neuen

Nachdem sowohl Takehito, als auch Subaru mit seinen beiden Freunden verschwunden waren, blieb Manami allein im Schulflur zurück.
 

Endlich hatte sie etwas Zeit für sich. Zeit um etwas herunter zu kommen. Zeit um ein wenig nachzudenken. Noch immer konnte sie nicht wirklich glauben, was sie hier eigentlich genau tat.
 

Sie stellte sich an die große Fensterfront des Flurs und blickte hinaus auf den Schulhof. Mittlerweile waren dunkle Wolken aufgezogen und es hatte begonnen zu regnen. Dieser triste Anblick ließ sie seufzen. Noch immer war sie mit ihren Gedanken bei der schwarzen Organisation. Wenn sie nur wüsste welche Verbindung zwischen ihr und diesen Verbrechern bestand. Dann hätte sie wenigstens die Chance gehabt sich eine Lösung oder zumindest einen Plan zu überlegen. Doch so lange sie das nicht wusste, hatte sie auch keine Möglichkeit etwas zu unternehmen.
 

Es war alles so unglaublich verzwickt.
 

Es musste doch irgendeine Möglichkeit geben. Das junge Mädchen war ratlos. Wenn doch nur Akiharu jetzt bei ihr sein könnte. Im Gegensatz zu Takehito hätte er ihr geglaubt oder sie zumindest ernst genommen.
 

Sie war in den letzten Tagen, seit sie von der Existenz der schwarzen Organisation und ihrer Verbindung zu ihnen wusste, von so vielen Gedanken geplagt. Noch nie hatte das sonst so lebendige Mädchen darüber nachgedacht wie und unter welchen Umständen sie eines Tages hätte sterben können. Das sollte man in ihrem Alter auch eigentlich nicht tun. Aber in den letzten Tagen musste sie immer öfter darüber nachdenken. Und eines wusste sie seitdem ganz genau: Anstelle von jemanden zu sterben, den sie liebt... schien ihr ein guter Weg sein zu gehen. Und seit sie von der Existenz und der Gefährlichkeit der schwarzen Organisation wusste, war ihr das klarer als je zuvor. Um einen geliebten Menschen vor dem sicheren Tod zu bewahren, würde sie mit Freude den Tod begrüßen. Sie würde es niemals und unter gar keinen Umstanden zulassen, dass ihren liebsten Menschen etwas passierte.
 

Daher bereute sie es auch keineswegs Tokio verlassen zu haben. Nur so war es ihr möglich gewesen die Menschen, die sie liebte in Sicherheit zu wissen.
 

Dennoch vermisste sie das schöne Tokio... ihr Tokio... ihre geliebte Heimat. Sie vermisste einfach alles... Den Trubel auf den Straßen... Die Menschenmassen... Die facettenreichen Farben an den Leuchtreklamen... Ihr bekanntes und lieb gewonnenes Umfeld... Und allem voran... ihren liebevollen, durch geknallten, chaotischen besten Freund Akiharu. Seit die beiden miteinander befreundet waren, waren sie nie lange voneinander getrennt gewesen. Ihr fehlten auch ihre anderen Freunde... Sakura... Rika... Und ihr Bruder Kazuhiro... Sie alle fehlten ihr so sehr...
 

Und nun wusste das einsame Mädchen nicht einmal ob und wann sie ihre liebgewonnenen Freunde wieder sehen würde. Doch da musste sie jetzt durch. Alles andere hätte die Menschen, die ihr so viel bedeuteten, in Gefahr gebracht. Und das musste sie unter allen Umständen verhindern. Sie war jetzt Yumi und lebte in Kyoto.
 

Und das war auch gut so.
 

Dachte sie zumindest.
 

Auf jeden Fall fühlte es sich richtig an. Wenn da nur nicht diese schier grenzenlose Angst vor der schwarzen Organisation und den Männern in schwarz gewesen wäre.
 

Und dann war der Stadtteil Nishikyo auch noch so völlig anders als ihr geliebtes Tokio. Gegen Tokio wirkte es fast wie eine Kleinstadt. Früher verbrachte sie fast jeden Sommer zwei Wochen ihrer Ferien bei ihren Großeltern in Kyoto. Das war allerdings schon eine Ewigkeit her. Außerdem lebten ihre Großeltern in einem weitaus belebteren Viertel von Kyoto. Doch um die Wahrscheinlichkeit zu minimieren, dass sie jemand erkennen konnte, mussten sich die beiden Teenager in dem abgelegensten, unscheinbarsten und langweiligsten Stadtteil Kyotos aufhalten.
 

Doch es gab auch einen Vorteil an dieser ganzen Sache. Manami hatte ihren Freiraum. Sie musste sich nach niemandem mehr richten. Das brachte durchaus Vorteile mit sich. Wobei das auch der Einzige an der ganzen Sache war.
 

Ansonsten brachte dieser tolle Plan, den sich dieser Krimifreak ausgedacht hatte, nur Probleme mit sich und stellte ihr gesamtes Leben auf den Kopf.
 

Und dann musste sie auch noch auf eine neue Schule gehen... es war März... Mitten im Schuljahr... Zwei Jahrgangsstufen über ihrem eigentlichen Jahrgang... Sie war quasi über Nacht von einer Mittelschülerin zu einer Oberschülerin geworden... ganz große Klasse.
 

Doch dann wurde das Mädchen schließlich und urplötzlich aus ihren Gedanken gerissen.
 

Einer ihrer neuen Mitschüler kam auf sie zu gelaufen. Ein schlanker gut aussehender Japaner mit dunklem Haar und blauen Augen. Was konnte er nur von ihr wollen? Insgeheim hoffte sie, dass er nicht ebenfalls so ein komischer Kauz war wie Ryusuke. Noch so einen Kandidaten konnte sie absolut nicht gebrauchen.
 

„Hey! Du bist also Yumi Hirofumi, die Neue aus unserer Klasse. Freut mich dich kennen zu lernen. Mein Name ist Kaito Koruba. Vielleicht hast du mich vorhin schon gesehen, als du vor der Klasse standest. Theoretisch bin ich ja auch eigentlich nicht zu übersehen. Ich bin das Auge und das Ohr an diesem Ort. Wenn du irgendetwas wissen willst, frag mich einfach. Niemand weiß mehr über diese Schule und die Schüler hier als ich. Ich weiß einfach alles. Ähm... Brauchst du vielleicht irgendwas? Ich stehe dir gern zur Verfügung. Eine Führung durch das Schulgebäude? Ein Date für die Mittagspause? Eine starke Schulter um dich daran auszuweinen? Lass es mich einfach wissen.", quasselte der quirlige Junge auf sie ein.
 

Er redete überaus schnell und ohne Punkt und Komma. Manami sah ihn mit großen Augen an. Im ersten Moment war sie völlig sprachlos und nicht in der Lage irgendwie zu reagieren. Kaito hatte sie mit so viel Euphorie aus ihren Gedanken gerissen, dass sie erst einmal gar nichts sagen konnte. Zumindest war Kaito ihr aber schon einmal sympathischer als Ryusuke. Das war aber auch nicht sonderlich schwer gewesen, nach dem was er abgezogen hatte. Händeringend suchte das verdutzte Mädchen nach Worten.
 

„Ähm... äh... Ich... Ich bin eher der... still vor sich hin leidende Typ. Aber danke für das Angebot. Ich werde vielleicht bei Gelegenheit darauf zurückkommen."
 

Zu mehr kam sie gar nicht, denn Kaito holte bereits schon wieder tief Luft. Es war offensichtlich, dass er jeden Moment wieder drauf los quatschen wollte. Das sonst so zurückhaltende Mädchen war mit so viel Euphorie seinerseits offensichtlich völlig überfordert. Sie ahnte bereits Schlimmes, als Kaito erneut seinen Mund öffnete. Sie wäre im Moment viel lieber allein gewesen. Aber das konnte sie ihm ja schlecht sagen.
 

Das Läuten der Schulglocke erlöste sie schließlich aus dieser Situation.
 

„Wir sollten zurück in die Klasse.", murmelte sie noch schnell.
 

Gemeinsam mit Kaito begab sie sich wieder ins Klassenzimmer.

Neue Freunde wider Willen

In der Mittagspause traten Manami und Takehito gemeinsam in die Kantine der Senshin Oberschule. Es war keine große Kantine. Kein Vergleich zu der Kantine in der Schule in Tokio in der die beiden Teenager sonst ihr Mittag zu sich nahmen. In dem kleinen Raum fanden lediglich ein paar Tische Platz. Aber für die überschaubare Zahl an Schülern in der Senshin Oberschule durchaus ausreichend.
 

Die beiden Neuankömmlinge sahen sich um. Wo sollten sie sich nur hin setzen? Es schien sich bereits an jedem Tisch eine kleine Clique gebildet zu haben.
 

Doch dieses Problem sollte sich schnell in Luft auflösen.
 

Kaito Koruba rief Manami und Takehito direkt an seinen Tisch: „Yumi! Junichiro! Setzt euch zu uns!"
 

Kaito saß mit drei weiteren Mitschülern aus ihrer neuen Klasse an einem Tisch. An dem Tisch saßen: Aoko Nakamori, ein hübsches junges Mädchen mit dunklem Haar und blauen Augen. Links neben ihr saß Kaito Koruba, mit dem Manami ja schon Bekanntschaft gemacht hatte. Rechts neben Aoko saß Akako Koizumi, ein großes schlaksiges Mädchen mit violettem Haar und dunklen Augen. Und direkt neben ihr saß Saguru Hakuba, ein äußerst gut aussehender junger Mann mit blondem Haar. Es war unschwer zu erkennen, dass er kein gebürtiger Japaner war. Er schien seine Wurzeln im europäischen Raum zu haben, so vermutete Takehito.
 

Entgegen Manamis Erwartung gesellte sich ihr Begleiter direkt zu seinen Klassenkameraden. Das junge Mädchen war genervt. Musste das wirklich sein? Widerwillig folgte sie ihm. Das ganze schien ihr aber keineswegs zu passen. Sie hatte kein Interesse daran, irgendwelche Freundschaften an dieser Schule zu knüpfen. Absolut nicht. Ihr primäres Ziel war es schließlich schnellstmöglich nach Tokio zu ihren wirklichen Freunden zurück zu kehren. Sie wollte so schnell wie möglich zurück zu Kazuhiro, Akiharu, Sakura und Rika. Deshalb sah sie keine Veranlassung darin eine engere Bindung zu den Schülern hier aufzubauen. Das würde am Ende den Abschied nur umso schwerer machen, wenn sie und Takehito nach Tokio zurückkehren würden. Und diesen Schmerz wollte sie um jeden Preis vermeiden. Also zog sie es vor Abstand von den Schülern hier zu halten und ihr eigenes Ding durch zu ziehen. Ihr vermeintlicher Bruder allerdings schien da ganz anderer Meinung zu sein.
 

Sie setzten sich also zu ihren neuen Mitschülern. Allerdings war es unschwer zu erkennen, dass Manamis Begeisterung sich durchaus in Grenzen hielt.
 

Noch bevor die beiden etwas sagen konnten, ergriff Kaito, der offensichtlich sehr gern viel und schnell redete, bereits das Wort: „ Ich bin Kaito Koruba. Manami und ich hatten ja bereits das Vergnügen. Darf ich euch dann noch meine Freunde vorstellen? Das sind die wunderschöne Aoko Nakamori, die ruhige und zurückhaltende Akako Koizumi und der selbsternannte Schülerdetektiv Saguru Hakuba."
 

Bei dem Wort Schülerdetektiv wurde Takehito hellhörig. Jetzt wo Kaito es sagte und er sich Saguru näher ansah, erkannte er ihn. Er hatte schon öfter von ihm gelesen. Er hatte bereits viele knifflige Fälle hier in Kyoto gelöst. Alle begrüßten die beiden Neuen im Chor. Es war offensichtlich, dass diese vier Schüler durchaus an einer Freundschaft mit den beiden Neuankömmlingen interessiert waren. Sie hatten scheinbar direkt eine Sympathie ihren neuen Klassenkameraden gegenüber empfunden.
 

Während Takehito sich augenscheinlich darüber freute, direkt Anschluss gefunden zu haben, hätte Manami sich viel lieber an einen der freien Tische gesetzt und ihre Ruhe genossen. Denn erst jetzt bemerkte sie, dass es in dem Raum noch einen einzigen freien Tisch gab, der weit abseits von der Menge stand. Das wäre der perfekte Platz für sie gewesen. Aber damit hätte sie wohl unnötig die Aufmerksamkeit aller auf sich gezogen. Genau aus diesem Grund ließ sie die ganze Sache hier gerade über sich ergehen.
 

Doch dann sprach Aoko sie an: „ Mach dir wegen Ryusuke keinen Kopf, Yumi. Du weißt doch wie Jungs so sind. Sobald ein neues Mädchen an die Schule kommt, ist es doch wieder wie in der ersten Klasse. Und du bist in diesem Moment dann eben das schöne neue Spielzeug. Ryusuke ist immer so. Sobald ein neues Mädchen auf diese Schule kommt, das auch noch halbwegs gut aussieht, versucht er sie zu umwerben, in der Hoffnung endlich auch mal eine Freundin abzubekommen. Sein Verhalten ist also für ihn völlig normal. Aber nach Subarus klarer Ansage wird er dich in Zukunft wohl in Ruhe lassen und sich von dir fern halten. Ich bin mir sicher er wird dich ab jetzt in Frieden lassen. Mach dir also keinen Kopf."
 

Manami nickte nur, erwiderte allerdings nichts.
 

Doch dann zog etwas völlig anderes ihre Aufmerksamkeit auf sich. An der Frontseite der Kantine war eine riesige Fensterfront durch die man hinaus auf den Schulhof schauen konnte. Manami saß mit dem Rücken zu den Fenstern. Doch aus einem ihr bis heute unerfindlichen Grund wandte sie sich genau in diesem Moment um. Ein inneres Gefühl sagte ihr einfach, dass sie sich umdrehen sollte. Es war fast wie eine innere Eingebung. Es war, als würde das Schicksal genau das für sie vorgesehen haben. Schließlich wandte sie sich um und blickte durch die riesige Fensterfront hinaus auf den Schulhof. Und dann sah sie sie. Eine fünfköpfige Gruppe von Schülern, wie sie an der Fensterfront entlang liefen und auf den Außenzugang der Kantine zugingen. Etwas Geheimnisvolles ging von ihnen aus und fesselte Manami förmlich. Ihr Blick haftete an diesen fünf Schülern, von denen ihr drei bereits bekannt vorkamen. Aus einem ihr unerfindlichen Grund konnte sie ihren Blick nicht mehr von ihnen abwenden. Wer waren sie nur? Sofort hatten diese fünf Schüler ihr Interesse geweckt. Eine ungewöhnliche Aura umgab diese Gruppe von Schülern. Doch was war es nur? Was für ein Geheimnis umgab diese fünf Schüler?
 

Die Neugier des Mädchens war entfacht und nun wollte es unbedingt wissen.

Die Okiya Geschwister

„Wer ist das?", platze es schließlich aus Manami heraus.
 

Sie hatte diese Frage gestellt ohne groß darüber nachzudenken. Es war ihr gleichgültig was die anderen von ihr denken würden. Sie wollte einfach nur wissen wer diese Schüler waren. Die Worte waren ohnehin bereits über ihre Lippen gerutscht, noch bevor sie darüber nachgedacht hatte. Aoko, Akako, Kaito und Saguru wandten zeitgleich ihren Blick zur großen Fensterfront. Natürlich waren diese fünf Schüler keine Unbekannten für sie. Sie wussten direkt, wer diese Schüler waren.
 

Mit einem breiten Grinsen auf den Lippen erwiderte Aoko: „Das sind die Okiyas."
 

Akako fügte mit einem genauso breitem Grinsen hinzu: „Das sind die Pflegekinder von Dr. Okiya, unserem Schularzt. Eine ziemlich abgefahrene Geschichte. Die Familie Okiya ist unter den Schülern hier das Gesprächsthema Nummer eins. Ursprünglich stammen sie wohl alle aus Amerika, aber wenn man sich die fünf Mal anschaut und ihre Namen hört, müssen sie zwangsläufig japanische Wurzeln haben. Selbst wenn sie in Amerika geboren sind, muss zumindest ein leibliches Elternteil Japaner gewesen sein. Dr. Okiya lebte wohl nach eigener Aussage lange in den USA und hat dort in einer renommierten Klinik gearbeitet. Dort hat er dann seine Pflegekinder bei sich aufgenommen. Als er dann den Entschluss gefasst hatte zurück nach Japan zu kommen, hat er seine Pflegekinder kurzerhand mitgebracht. Bereits in den USA müssen sie unsere Sprache gelernt haben. Sie sprechen fließend japanisch. Selbst das finde ich schon ziemlich merkwürdig. Bei niemandem von ihnen hört man einen Akzent. Naja, wie auch immer... sie leben jetzt seit einem knappen halben Jahr hier im Stadtteil Nishikyo und besuchen unsere Schule."
 

Aoko und Akako tauschten ein Grinsen miteinander, bevor Aoko noch einmal das Wort ergriff: „Die Okiyas sind wirklich merkwürdig. Und wenn ich sage merkwürdig, dann meine ich auch merkwürdig. Mit niemandem an dieser Schule habe sie je großartig ein Wort gewechselt. Sie bleiben immer unter sich... Versuchen stets den Kontakt zu anderen Schülern zu meiden. Ziemliche Einzelgänger wenn du mich fragst."
 

Manamis Blick war noch immer fixiert auf diese fünf Schüler. Und je mehr Aoko und Akako von ihnen erzählte, desto größer wurde ihr Interesse an ihnen. Auch Takehitos Blick war mittlerweile auf die Fünfer Gruppe gerichtet. Unter ihnen waren sowohl Subaru als auch der Junge und das Mädchen, welche ihn bereits am Morgen begleitet hatten. Dennoch wunderte Takehito sich durchaus darüber welches Interesse Manami an ihnen hatte. Seit die beiden Teenager in Kyoto angekommen waren, tat dieses Mädchen nichts ohne Hintergedanken. Es musste also einen tieferen Grund haben, weshalb sie so sehr an ihnen interessiert war. Im Nächsten Moment öffnete sich die Tür zur Kantine, die fünf Schüler betraten nacheinander den Raum und begaben sich zielstrebig zu dem noch freien Tisch im Raum. Deshalb war der Tisch also frei gewesen. Anscheinend war das ihr „Stammtisch" gewesen. Und es wurde klar, welche Stellung diese fünf Schüler an der Schule hatten. Kein anderer Schüler hatte es nämlich gewagt, sich an diesen Tisch zu setzen. Anscheinend wussten alle, dass es ihr Tisch war. In diesem Moment war Manami kurzzeitig froh darüber, dass sie sich nicht ausgerechnet an diesen Tisch gesetzt hatte.
 

„Also um ehrlich zu sein, Yumi... Wenn du mich fragst, sind die irgendwie freaky. Eine total schräge Familienkonstellation. Sie gehören irgendwie alle zusammen. Du weißt schon was ich meine... so richtig zusammen. Ähm... siehst du das Mädchen dort mit dem langen dunklen Haar? Sie ist wirklich außergewöhnlich schön für ihr Alter. Viele Jungs an dieser Schule sind hinter ihr her... Das ist Ran... Ran Okiya. Sie ist eine Klassenstufe über uns. Und der große dunkelhaarige, der da neben ihr läuft, ist Shinichi... Shinichi Okiya. Ein ziemlich pfiffiges Köpfchen und ein absolutes Fußballgenie. Unser Fußballclub wollte ihn unbedingt in ihrer Mannschaft haben, um bei den Schulmeisterschaften endlich mal eine reelle Chance zu haben. Shinichi allerdings hat dankend abgelehnt. Offensichtlich hatte er kein Interesse mit anderen Schülern dieser Schule in einem Club zu sein. Ran und Shinichi sind sozusagen ein Paar. Mich würde ja wirklich mal interessieren ob so etwas überhaupt erlaubt ist.", sprach Aoko, wurde allerdings direkt von Akako unterbrochen: „Aoko! Hör auf so zu reden! Was soll daran bitte nicht erlaubt sein? Sie sind ja eigentlich nicht verwandt."
 

„Ja, aber sie leben ja schließlich zusammen. So wie Bruder und Schwester. Das ist schon ziemlich merkwürdig. Das wäre dasselbe, wie wenn Yumi und Junichiro irgendwie was am Laufen hätten. Das ist doch ekelhaft... Und..."
 

Noch ehe Aoko ihren Satz beenden konnte, betraten die nächsten beide die Kantine.
 

Aufgebracht fuhr Aoko fort: „Okay... Die kleine da mit dem dunklen Haar, welches mit der Schleife zu einem Zopf zusammen gebunden ist, das ist Kazuha... Kazuha Okiya. Sie ist ziemlich schräg drauf. Wahrscheinlich von den fünfen die Schrägste. Sie gehört zu Heiji... Heiji Okiya, dem Jungen mit dem schwarzen Haar, der dunkleren Hautfarbe und dem leidenden Gesichtsausdruck. Die beiden sind auch irgendwie so eine Art Paar. Naja, kein Wunder, dass Dr. Okiya diesen Ruf bei uns an der Schule hat."
 

„Was denn für einen Ruf?", hakte Manami nach.
 

„Ähm... Dr. Okiya ist bei uns so etwas wie ein Pflege - Schrägstrich - Kuppelvater. Außerdem geht schon eine Weile das Gerücht an der Schule herum, dass Dr. Okiya und Miss Saintemillion ein Techtelmechtel miteinander haben, wenn du verstehst was ich meine. Also wenn ihr mich fragt eine ziemlich schräge Familie. Da treibt es anscheinend jeder mit jedem. Die sind alles andere als normal."
 

Aoko und Akako sahen sich an und begannen zu kichern.
 

„Vielleicht hab ich ja eines Tages ein wenig Glück und Dr. Okiya adoptiert mich auch...", zischte Akako in einem nicht deutbaren Unterton in ihrer Stimme und hatte dabei ein schelmisches Grinsen auf ihren Lippen.
 

Doch nur kurz darauf widmete Manami wieder direkt ihre Aufmerksamkeit etwas bzw. jemand anderem. Der letzte von den fünfen betrat den Raum. Es war Subaru. Während er durch die Tür schritt, schob er seine Brille mit dem Mittel- und Zeigefinger der rechten Hand die Nase lang hoch. Sofort legte sich eine wohlige Gänsehaut auf Manamis Körper. Dieser Junge hatte etwas Faszinierendes an sich. Selbst mit dem lautlosen Betreten der Kantine, zog er die Aufmerksamkeit aller auf sich. Mit seiner bloßen Anwesenheit zog er alle Blicke auf sich. Doch niemand wagte es ihn länger als ein paar Sekunden anzusehen. Manami war die einzige, die ihren Blick nicht von ihm abwendete. Von Anfang an wurde sie von diesem Jungen angezogen. Irgendwie schien er auf sie wie ein Magnet zu wirken. Doch warum nur? Weshalb hatte dieser Junge eine solche Anziehungskraft auf sie? Sie konnte es beim besten Willen nicht verstehen. Zumal sie seit der Begegnung auf dem Schulflur das beängstigende Gefühl nicht loswurde, dass die Aura der schwarzen Organisation von ihm ausgegangen war. Allerdings war sie sich bisher noch nicht ganz sicher.
 

„Und wer genau ist das?", fragte sie wissbegierig, wobei sie hoffte, dass Aoko oder Akako ihr mehr über diesen geheimnisvollen Jungen erzählen könnten. Um heraus zu finden ob er der schwarzen Organisation angehörte, brauchte sie mehr Informationen. Auf Aokos Lippen breitete sich ein breites Grinsen aus.
 

„Das ist Subaru Okiya. Was soll ich dir groß über ihn sagen? Er sieht einfach wahnsinnig gut aus. Ganz offensichtlich... Fast alle Mädchen an dieser Schule stehen auf ihn. Sobald er einen Raum betritt kann man genau sehen, wie ihn alle Mädchen hinter her schmachten. Allein wie er sich bewegt, wie er spricht... Er ist nicht so ein kindischer Idiot wie die ganzen anderen Jungs hier an dieser Schule. Das finden die Mädchen wahrscheinlich auch so faszinierend an ihm. Er ist sozusagen der Senpai schlechthin hier an unserer Schule. Aber scheinbar... ist hier niemand gut genug für ihn. Er hat bisher jedes Mädchen abblitzen lassen und damit unzählige Herzen gebrochen. Wobei mir persönlich das völlig egal ist... Ich bin nämlich eines der wenigen Mädchen hier, die nicht auf ihn fliegt. Also... Tja... Ganz im Ernst, Yumi. Ich sage dir jetzt mal was. Verschwende deine Zeit nicht an diesem Jungen. Dieser Kerl ist unerreichbar für jede von uns.", sprach Aoko leise, um sicher zu gehen, dass die Okiyas sie nicht hören konnten.
 

Auf Manamis Gesicht bildete sich zum ersten Mal an diesem Tag ein Lächeln.
 

„Keine Sorge, Aoko. Das hatte ich auch nicht vor. Als ich vorhin zu Ryusuke sagte, dass ich momentan kein Interesse an einem Freund hätte, war das nicht gelogen.", murmelte sie.
 

War ja klar gewesen, dass Aoko direkt dachte, dass sie aus diesem Grund Interesse an Subaru hatte. Theoretisch gesehen wäre das in ihrem Alter auch völlig normal gewesen sich zu verlieben. Aoko konnte ja nicht ahnen, dass dieses Mädchen in ihrem Alter bereits ganz andere Sorgen hatte und ihr Interesse an Subaru einen völlig anderen Grund hatte. Das konnte sie ihr ja schlecht sagen.
 

Erneut wandte Manami sich um und musterte Subaru aufmerksam. Alles um sie herum verstummte. Sie bekam nicht mehr von dem mit, was um sie herum geschah. Sie konzentrierte sich einzig und allein auf Subaru. Doch die Aura der schwarzen Organisation war nicht zu spüren. Nicht einmal ein winziger Funke. Wäre ja auch zu einfach gewesen. Und obwohl sie schon längst hätte weg schauen können, konnte sie es einfach nicht. Subaru hatte sie bereits völlig in seinen Bann gezogen. Und das obwohl er nicht einmal etwas getan hatte. Er saß einfach nur auf seinem Stuhl und starrte ins Leere.
 

Doch dann trafen sich ihre Blicke. Sein jadegrünes Augenpaar, das ihren Körper schier zu durchbohren schien, ließ ihr einen Schauer über den Rücken laufen. Und im selben Moment spendeten seine Augen so unheimlich viel Wärme. Keiner der beiden wandte seinen Blick von den jeweils anderen ab. Auch sie schien aus irgendeinem Grund sein Interesse geweckt zu haben.

Manamis Verdacht

Nach der Mittagspause gingen Manami und Takehito den Flur zu ihrer nächsten Unterrichtsstunde entlang. Sie hatten sich gekonnt von ihren neuen Klassenkameraden abgekapselt. Es hatte durchaus einen Grund, weshalb er mit ihr allein sein wollte. Und er hatte auch keineswegs vor lange um den heißen Brei herum zu reden.
 

„So, Yumi... Wird Zeit, dass du mir mal eine Erklärung gibst. So langsam ergibt dein Verhalten selbst für mich keinen Sinn mehr. Kannst du mir jetzt vielleicht mal verraten, weshalb du ein so starkes Interesse an Subaru Okiya und dessen Familie hast? Ich bezweifle, dass du Akako und Aoko einfach so nach ihm gefragt hast oder weil er dir gar gefällt. Da steckt doch noch irgendwas anderes dahinter, oder? Du verhältst dich den ganzen Tag schon so seltsam.", fragte er sie skeptisch.
 

Das Mädchen seufzte.
 

Eigentlich war ihr klar, dass dem Detektivspinner früher oder später ihr Verhalten hinterfragen würde.
 

„Was willst du denn jetzt von mir hören, Junichiro? Natürlich gibt es einen Grund für mein starkes Interesse an der Familie Okiya. Kommt dir das nicht auch alles ziemlich merkwürdig vor? Hör zu... Ich weiß, du glaubst mir nicht, aber ich kann es fühlen bei diesem Kerl...", sprach sie überzeugt, wobei er sie skeptisch musterte.
 

Worauf wollte sie hinaus? Er konnte es sich bereits denken, ohne dass sie es ausgesprochen hatte.
 

Direkt unterbrach er sie: „'Diesem Kerl'? Meinst du damit etwa Subaru Okiya? Das verstehe ich nicht. Welches Gefühl bekommst du denn bitte bei ihm? Das müsstest du mir wirklich mal genauer erklären."
 

„Er riecht... einfach wie jemand aus der schwarzen Organisation. Da bin ich mir einfach sicher.", fuhr sie in selber Tonlage fort.
 

„Du fühlst es also immer noch, wenn er in der Nähe ist? Und dann auch nur wenn ausschließlich er in der Nähe ist? Willst du mir das damit sagen?", hakte er nach.
 

So langsam schien auch sein Misstrauen geweckt zu sein. So dachte seine Begleiterin zumindest.
 

Das junge Mädchen schüttelte ihren Kopf und murmelte: „Nein... nicht direkt... ich hatte dieses Gefühl bisher nur, als wir zum ersten Mal vor unserer neuen Klasse standen und als wir ihm mit den beiden anderen auf dem Flur begegnet sind. Nichtsdestotrotz bin ich mir absolut sicher... Die Quelle dieses sonderbaren Gefühls muss auf jeden Fall er gewesen sein. Das ist definitiv ein Zeichen der Präsenz derer, die uns beide verfolgen, Junichiro."
 

Takehito sah Manami schief von der Seite an und zischte: „Yumi, bist du dir sicher, dass du dir nicht einfach viel zu viele Gedanken darüber machst?"
 

Das war ja klar gewesen. Warum sie es überhaupt nochmal versuchte. Eigentlich hätte sie sich ja denken können, dass er ihr kein einziges Wort glauben würde. Deshalb hielt sie es für das Beste zu der ganzen Sache gar nichts mehr zu sagen.
 

Dennoch hatte sie für sich einen Entschluss gefasst.
 

Sie wollte auf eigener Faust ermitteln. Sie brauchte diesen Detektivfreak dafür nicht. Sie würde auch allein irgendwie an Informationen kommen. Sie musste ja einfach nur herausfinden, ob sie mit ihrer Vermutung Subaru gegenüber richtig lag. Sie wollte es dem selbsternannten Schülerdetektiv beweisen. Sie wollte ihm beweisen, dass sie sich das Ganze nicht einbildete.
 

Eines stand allerdings auf jeden Fall fest... Subaru war kein einfacher Oberschüler. Da war sich Manami ganz sicher...

Widersprüchliches Verhalten

Manami und Takehito betraten schließlich den Klassenraum. Die nächste Unterrichtsstunde stand bereits an. Japanisch. Eigentlich eines von Manamis Lieblingsfächern. Doch heute konnte sie einfach keinen Gefallen daran finden. Ohnehin hatte sie keinen Nerv sich auch nur in irgendeiner Form dem Unterrichtsgeschehen zu widmen. Sie hatte ganz andere Probleme.
 

Als das junge Mädchen mit ihrem vermeintlichen Bruder an ihrer Seite den Raum betrat, saß Subaru bereits an seinem Platz. Warum musste ausgerechnet er neben ihr sitzen? Es hätte jeder andere neben ihr sitzen können... Warum ausgerechnet er? Aber sie konnte es jetzt nun mal nicht ändern. Sollte er wirklich etwas mit der schwarzen Organisation zu tun haben, so wie sie es vermutete, würde er ihr wohl kaum in aller Öffentlichkeit etwas antun.
 

Sie musterte ihn unbewusst.
 

Völlig tiefenentspannt saß er auf seinem Stuhl. Seine Hände vergrub er tief in seinen Hosentaschen. Doch im nächsten Moment trafen sich erneut die Blicke der beiden. Subarus jadegrüne Augen, die sie schier zu durchbohren schienen... Sie hätte sich darin verlieren können.
 

Doch etwas war dieses Mal anders.
 

Sein Blick hatte sich verändert. In seinem Blick war dieses Mal auch ein Hauch von Verachtung. Aber warum? Sie hatte ihm doch überhaupt nichts getan. Es musste also einen anderen Grund für diesen Blick geben. Oder hatte er vielleicht bereits etwas von ihrem Verdacht mitbekommen? Hatte er Angst aufzufliegen?
 

Egal.
 

Das war das letzte worüber sie sich Gedanken machen wollte. Was Subaru dachte oder fühlte, war ihr so ziemlich egal. Sie wollte einfach nur die Wahrheit über ihn in Erfahrung bringen. Alles andere spielte für sie momentan überhaupt keine Rolle. Sie durfte sich jetzt einfach nichts anmerken lassen.
 

Selbstbewusst ließ sie sich auf dem Platz neben Subaru nieder. Doch von ihm kam keinerlei Reaktion. Kein Blick, kein Wort... Nichts... Er schien sie offensichtlich vollkommen zu ignorieren. Im Gegensatz zum Morgen, wo er sie Ryusuke gegenüber so bedingungslos verteidigt hatte, schien er sie nun zu tiefst zu verachten. Es machte tatsächlich den Anschein als hätte er binnen weniger Stunden seine Meinung ihr gegenüber komplett geändert. Er schien plötzlich ein völlig anderer Mensch zu sein. Das verwirrte Mädchen konnte sich beim besten Willen nicht erklären warum das so war. Und was noch viel schlimmer war... Es störte sie sogar ein wenig. Aber warum nur?
 

Nur ein einziges Mal, während der gesamten Unterrichtsstunde, trafen sich für einen kurzen Moment ihre Blicke. Subarus Blick ließ ihr förmlich das Blut in den Adern gefrieren. Tiefste Verachtung lag in seinem Blick. Noch immer konnte sie einfach nicht verstehen warum. Was hatte er nur so plötzlich für ein Problem mit ihr?
 

Verzweifelt versuchte sie sich damit abzulenken dem Unterrichtsgeschehen zu folgen. Doch es wollte ihr einfach nicht gelingen. Das Problem schwarze Organisation rückte für Manami vorerst in den Hintergrund. Subaru war gerade dabei sich zu einem viel größeren zu entwickeln.
 

Noch bevor das Läuten der Schulglocke erklang, sprang ihr Sitznachbar ruckartig von seinem Stuhl auf und verließ in dem Moment, als es dann schließlich läutete unverzüglich den Klassenraum. Es machte unmissverständlich den Anschein als sei es für ihn unerträglich gewesen neben ihr sitzen zu müssen. Was war nur plötzlich los mit ihm? Und viel wichtiger... Was war nur mit ihr selbst los? Warum juckte sie das überhaupt? Eigentlich sollte sie diese Tatsache überhaupt nicht tangieren. Dafür gab es überhaupt keinen Grund. Wenn Subaru tatsächlich ein Organisationsmitglied war, konnte es für sie ja theoretisch nur vom Vorteil sein, dass er sie ignorierte. Das bedeutete zumindest, dass SIE nicht ihretwegen hier waren oder aber wussten wer Yumi wirklich war. Subarus Verhalten machte ihr klar, dass sie ihre Rolle als Yumi bisher scheinbar ganz gut gespielt hatte. So weit so gut. Doch warum störte sie sich daran dann so? Irgendwie wurde sie von diesem Jungen angezogen. Er hatte eine Aura an sich, die sie völlig in ihren Bann gezogen hatte. Dafür musste es einen Grund geben. So langsam aber sicher begann das junge Mädchen an ihrem gesunden Menschverstand zu zweifeln.
 

Sie saß noch immer wie angewurzelt auf ihrem Platz. Nachdenklich war ihr Blick aus dem Fenster gerichtet. Sie war völlig in Gedanken versunken. Ihre Gedanken kreisten einzig und allein um ihren Mitschüler, der sie so in ihren Bann gezogen hatte.
 

„Sag mal, willst du hier vielleicht Wurzeln schlagen? Die Stunde ist doch schon längst vorbei. Du darfst aufstehen.", riss Takehito sie schließlich aus ihren Gedanken.
 

Doch als Angesprochene ihm ihren Blick zuwandte, zog bereits wieder etwas anderes ihre Aufmerksamkeit auf sich. Etwas, was sie den ganzen Tag schon immer wieder in ein Paralleluniversum zog und alles um sie herum verstummen ließ. Denn erst jetzt bemerkte sie, dass Subaru den Klassenraum erneut betreten hatte und eine hitzige Diskussion mit dem Lehrer führte. Das neugierige Mädchen versuchte etwas aus dem Gespräch aufzuschnappen. Was konnte er nur von dem Lehrer wollen. Erst war er Hals über Kopf aus dem Raum gestürmt und nun war er von selbst zurückgekehrt und suchte das Gespräch mit dem Lehrer. Warum nur?
 

„Ich bitte Sie inständig, Sensei. Ist es denn wirklich nicht möglich, dass ich auf einem anderen Platz sitze? Nicht einmal wenn sich einer meiner Klassenkameraden bereit erklären würde mit mir den Platz zu tauschen?", fragte Subaru seinen Lehrer eindringlich, wobei angesprochener sofort widersprach.
 

„Hör zu, Subaru. Theoretisch wäre es schon möglich. Allerdings halte ich das für völlig unnötig. Außerdem bist du der Klassenbeste. Yumi ist neu an dieser Schule. Ich weiß nicht wie weit sie mit dem Stoff an ihrer alten Schule war. Du könntest sie die ersten Wochen etwas unterstützen. Deshalb kann ich deiner Bitte nicht nachgehen. Ich möchte dich bitten das zu akzeptieren."
 

Es war unschwer zu erkennen, dass der Lehrer keine Veranlassung darin sah, Subaru auf einen anderen Platz zu setzen. Zumal alle Plätze in der Klasse durch die beiden Neuzugänge bereits besetzt waren. Allerdings schien Subaru das nicht hören zu wollen. Was war nur los mit ihm? Warum wollte er plötzlich nicht mehr neben ihr sitzen? Stank sie etwa? Nein, das konnte es nicht sein. Aber was war dann der Grund für seine plötzliche Ablehnung ihr gegenüber?
 

Es dauerte nicht lang ehe Subaru Manamis Blick in seinem Nacken bemerkte. Ihm war sofort klar, dass sie ganz genau hören konnte, was er gerade mit seinem Lehrer besprochen hatte. Er hatte zuvor nicht einmal bemerkt, dass sie den Raum noch gar nicht verlassen hatte.
 

Unverzüglich ließ er die Diskussion mit seinem Lehrer ruhen und gab schließlich nach.
 

Genervt stieß er hervor: „Na schön. Kann man anscheinend nichts machen. Dann muss ich dieses Leid wohl ertragen!"
 

Nach diesen Worten stampfte er wütend aus dem Klassenzimmer. Während Manami ihm nach blickte, ließ sie einen tiefen Seufzer von sich. Was zur Hölle war denn nun eigentlich sein Problem mit ihr? Sie musste ja wirklich abstoßend auf ihn wirken, wenn es für ihn sogar unerträglich war neben ihr zu sitzen.
 

„Hallo? Haaalloooo! Erde an Yumi? Sag mal schläfst du?", riss Takehito sie erneut aus ihren Gedanken.
 

Mit großen Augen sah sie ihn an. Ihr war sofort klar, dass er etwas sagen wollte. Gespannt wartete sie darauf, was er ihr wohl sagen würde. Jedenfalls schien es ihm wirklich wichtig zu sein. Das konnte sie anhand seines Blickes erkennen.
 

Und dann endlich sagte er, was ihm scheinbar schon lange auf der Zunge lag: „Hör zu, Yumi. Ich bin vorhin leider nicht mehr dazu gekommen dir das zu sagen... aber... lauf bitte nicht weg. Hast du das verstanden, Yumi? Es ist das erste Mal, dass ich dich wirklich ernsthaft um etwas bitte. Du darfst nicht davon laufen... Nicht vor deinem eigenen Schicksal. Das musst du mir versprechen. Und im Gegenzug verspreche ich dir auch was... Ich werde dich bis zum bitteren Ende beschützen, Yumi. Ich werde alles dafür tun, dass du in Sicherheit bist. Ich könnte es nicht ertragen in einer Welt zu leben, in der du nicht mehr bist. Und genau deshalb darfst du nicht aufgeben, Yumi."
 

Seine Worte zauberten ihr ein Lächeln ins Gesicht. Solche Worte hatte sie bisher von ihm noch nicht oft gehört. Sie wusste, wenn es hart auf hart kommen würde, könne sie sich blind auf ihn verlassen. Er würde alles geben um sie zu beschützen. Da bestand nach allem, was bisher geschehen war, kein Zweifel mehr.
 

Dennoch änderte das nichts an der Tatsache, dass er ihr bezüglich Subaru Okiya keinen Glauben schenkte. Und wieder blieben ihre Gedanken bei Subaru hängen. Wieder musste sie sich fragen, was genau eigentlich sein Problem war. Und vor allem so urplötzlich...

Paranoia oder Wahrheit?

Der Rest des Tages verlief ohne weitere Zwischenfälle. Auch eine erneute Konfrontation mit Subaru blieb aus.
 

Als der Unterricht dann endlich vorüber war und Manami und Takehito in ihr Appartement zurückkehrten, verzog sich das bedrückte Mädchen direkt auf ihr Zimmer. Auf dem Heimweg hatte sie kein einziges Wort mit ihrem Begleiter gesprochen und wollte jetzt einfach nur allein sein.
 

Sie brauchte Zeit für sich... Zeit um die Geschehnisse des Tages zu verarbeiten. In den letzten Stunden war so viel geschehen. Sie war gar nicht in der Lage gewesen all das zu verarbeiten. Am heutigen Tag hatten sich ihr so viele Eindrücke geboten. Eindrücke, die sie einfach nicht zur Ruhe kommen ließen. Innerlich war sie so unglaublich aufgewühlt. Sie hatte heute sowohl positive als auch negative Erfahrungen gemacht. Und noch immer fragte sie sich fieberhaft... War es wirklich richtig was sie hier tat?
 

Gab es denn wirklich keine andere Möglichkeit? Es konnte doch nicht das einzige gewesen sein, was sie tun konnten. Es gab immer eine andere Möglichkeit. Doch welche hätten sie gehabt? Hätte es eine andere Möglichkeit gegeben, so hätte Takehito diese mit Sicherheit ebenfalls in Betracht gezogen. Da war sie sich ganz sicher.
 

Wie ein Häufchen Elend ließ das erschöpfte Mädchen sich auf ihr Bett fallen und kauerte sich zusammen. War sie jetzt überhaupt noch sie selbst? Wie konnte sie sich als Yumi noch selbst treu bleiben? Das war doch der absolute Irrsinn. Eines ihrer obersten Prinzipien war immer, sich selbst treu zu bleiben. Und nun... Tat sie genau das Gegenteil und verleugnete sich selbst. Diese ganze Heimlichtuerei ging nicht spurlos an ihr vorbei. Das Lügen und sich selbst zu verleugnen fielen ihr unheimlich schwer. Das junge Mädchen war eigentlich von Natur aus ein grundehrlicher Mensch. Alle Menschen um sie herum so zu belügen, war das komplette Gegenteil von dem Menschen, der sie eigentlich immer war und immer sein wollte.
 

Mit einem Ruck fegte sie ihr Lehrbuch, welches ausgebreitet vor ihr lag, von ihrem Bett. Als es dann schließlich auf dem Boden landete, verursachte es einen ziemlichen Krach. Doch das war ihr in diesem Moment völlig egal. An irgendetwas musste sie ihre Wut auslassen. Und ihr Lehrbuch war eben in diesem Moment das einzige, was dafür in greifbarer Nähe war.
 

Das verzweifelte Mädchen ließ einen tiefen Seufzer von sich. Sie fühlte sich, als wäre sie in all ihren Sinnen getrübt. Noch nie zuvor hat sie sich so hilflos und betäubt gefühlt. Sie verstand sich selbst nicht mehr.
 

Und als ob das alles nicht schon genügend Verwirrung stiftete und all ihre Kraft kostete, öffnete sich jetzt auch noch ihre Zimmertür. Sie wollte doch einfach nur allein sein. Was war daran denn bitte so schwer zu verstehen?
 

Takehito trat vorsichtig in ihr Zimmer und musterte sie besorgt. Der Krach den das Buch verursacht hatte, welches sie von ihrem Bett gefegt hatte, hatte wohl die Aufmerksamkeit dieses Krimifreaks geweckt und ihn dazu veranlasst nach dem Rechten zu sehen. Anhand des Anblickes, der sich ihm bot, war ihm klar, dass es etwas gab, was seiner besten Freundin auf der Seele brannte und sie offensichtlich zu belasten schien.
 

Langsam ließ er sich neben ihr auf ihrem Bett nieder. Er wusste nicht, ob sie gerade ausgerechnet ihn in seiner Nähe haben wollte, aber er wollte jetzt einfach für sie da sein. Und solange sie ihn nicht weg schickte, schien es für ihn auch völlig in Ordnung zu sein.
 

Der besorgte Junge ließ einen tiefen Seufzer von sich, ehe er sie ansah und ganz ruhig zu ihr sprach: „Manami, was ist nur los mit dir? Und sag mir jetzt bitte nicht, dass alles in bester Ordnung sei. Mit dieser Lüge kommst du bei mir nicht weit. Ich sehe doch, dass mit dir etwas nicht stimmt. Und ganz ehrlich? Die Wut an deinem Buch auszulassen, macht die Situation auch nicht wirklich besser. Rede doch bitte mit mir, Manami. Was ist los?"
 

Sie konnte nicht glauben, dass er sie das gerade wirklich fragte. War er in den letzten Stunden in einem Paralleluniversum gewesen?
 

Energisch entgegnete sie: „Was mit mir los ist? Das fragst du mich jetzt wirklich im Ernst? Wie wäre es wenn du zur Abwechslung auch mal nachdenkst? Aber gut... Ich werde dir sagen, was mit mir los ist! Yumi und Junichiro... Das sind doch nicht mehr wir, oder? Wir sind doch gar nicht mehr wir selbst. Ich muss mich krampfhaft verstellen um die Rolle als Yumi so perfekt wie möglich zu spielen, damit wir nicht unnötig Aufsehen erregen. Ich fühle mich so hilflos, Takehito. In letzter Zeit frage ich mich immer wieder, wer ich eigentlich bin... Manami, Yumi, Sherry... Ich weiß einfach nicht mehr wer ich bin und ich weiß auch nicht mehr, wo ich überhaupt hin gehöre und wo mein Zuhause ist. Seit du mir von allem, was die schwarze Organisation betrifft, erzählt hast, habe ich einfach das Gefühl, dass es auf dieser Erde keinen Platz für mich gibt. Dass ich nirgends hin gehöre."
 

Ihre Worte machten ihn wütend. Wie konnte sie nur so denken?
 

Sofort unterbrach er sie: „Hör sofort auf so einen Blödsinn von dir zu geben! Ich kann es nicht mehr hören! Wie oft muss ich es dir denn noch sagen? Du sollst nicht vor deinem eigenen Schicksal davon laufen! Heute Morgen hatte es für mich wirklich den Anschein gemacht, als hättest du dich mit all dem abgefunden. Und jetzt? Ist es etwa wegen diesem Subaru Okiya? Ist er der Grund, weshalb du jetzt alles wieder in Frage stellst? Sag es mir Manami!"
 

Sie horchte auf.
 

Dieser Detektivfanatiker schien sie doch besser zu kennen als sie dachte. Und mit dem was er sagte, hatte er durchaus Recht. Die Begegnung mit Subaru hatte sie völlig aus der Bahn geworfen. Ihr betretenes Schweigen war derweil Antwort genug für ihn.
 

„Ich habe also Recht mit dem was ich sage? Ich weiß, dass ich Recht habe! Ich bin schließlich Detektiv." S
 

ie sah ihm mit einem finsteren Blick ins Gesicht.
 

„Was willst du denn jetzt von mir hören? Ja, es stimmt. Die Begegnung mit Subaru Okiya hat mich völlig aus der Bahn geworfen. Aber dafür gibt es auch durchaus einen Grund. Irgendetwas stimmt mit diesem Kerl nicht. Da bin ich mir absolut sicher. Eines ist jedenfalls klar. Er ist kein normaler Oberschüler.", erwiderte sie, woraufhin sie erneut direkt von ihrem Freund unterbrochen wurde: „Meinst du nicht auch, dass du so langsam aber sicher paranoid wirst? Es gibt absolut nichts, was darauf hinweist, dass etwas mit ihm nicht stimmt. Subaru Okiya ist ein ganz normaler Oberschüler. Finde dich endlich damit ab. Du kannst keine Beweise für etwas finden, was nicht so ist."
 

Manami sprang urplötzlich von ihrem Bett auf, ging zu ihrer Zimmertür, öffnete diese und zischte: „Du glaubst mir also immer noch nicht? Gut. Dann sehe ich allerdings auch keinen Sinn darin, dass wir uns weiter darüber unterhalten. Ich halte es für das Beste, wenn du jetzt gehst."
 

Takehito akzeptierte ihren Wunsch und verließ ihr Zimmer ohne ein weiteres Wort.
 

Keiner der beiden ahnte auch nur im Geringsten, was sich über ihnen zusammen braute. Hätte Takehito zum damaligen Zeitpunkt von all dem gewusst, so hätte er wohlmöglich anders reagiert und ihre Befürchtungen ernst genommen.
 

Doch noch immer war ihm nicht klar, wie gefährlich und umfangreich dieser Fall tatsächlich war...

Die sich nähernde Finsternis

Einige Straßen weiter, in einem gut situierten Wohnviertel von Nishikyo. Es war bereits dunkel geworden draußen und mitten in der Nacht. Auf den Straßen war es totenstill. Es war keine Menschenseele mehr unterwegs. Einzig und allein die Straßenbeleuchtung erhellte die Straße ein wenig.
 

Dort stand ein großer Wohnblock, welcher bereits von außen erahnen ließ, dass sich im Inneren ausschließlich Luxusappartements befanden.
 

Im 20. Stock dieses Wohnkomplexes stand Subaru bereits seit einer gefühlten Ewigkeit vor einer Wohnungstür, welche sich am Ende des Flurs befand. Wie angewurzelt stand er dort und rührte sich keinen Millimeter. Es schien als wäre er ganz tief in Gedanken versunken und es war offensichtlich, dass er innerlich mit sich rang die Klingel zu betätigen. Immer wieder hob er seinen Finger in Richtung Klingel, zog ihn allerdings genauso schnell wieder zurück. Irgendetwas schien ihn daran zu hindern zu klingeln. Doch was war es nur?
 

Dennoch war der Gesamteindruck den sein Erscheinungsbild bot, ein ganz anderer als in der Schule. Er strahlte eine unheimliche Autorität und Souveränität aus, die für einen Oberschüler des ersten Jahrgangs durchaus ungewöhnlich war. Es schien fast so als würde ein völlig anderer Mensch dort stehen. Was hatte das alles nur zu bedeuten? Während er angespannt seine Hände in seinen Hosentaschen vergrub, war sein ernster und finsterer Blick auf das Klingelschild direkt vor ihm gerichtet. „Jodie Saintemillion" stand darauf geschrieben. Es schien sich bei dieser Wohnung also um die seiner Klassenlehrerin zu handeln. Doch... Was um alles in der Welt wollte er zu dieser unmenschlichen Uhrzeit bei seiner Klassenlehrerin? Das war ja alles andere als normal, dass ein Schüler seiner Lehrerin zu so später Stunde einen Besuch abstattete. Das alles erschien doch recht merkwürdig zu sein.
 

Und dann wagte der junge Mann es endlich. Sein Finger ruhte auf der Klingel. Nur ein Bruchteil einer Sekunde darauf, konnte er das Läuten der Klingel aus dem Inneren der Wohnung vernehmen.
 

„Who is it?", meldete Jodie sich schon kurz darauf an der Gegensprechanlage.
 

Auch sie schien noch wach zu sein.
 

Der selbstbewusste Oberschüler vergrub seine Hände erneut in seinen Hosentaschen und sprach bestimmend: „Ich bin es!"
 

Er brauchte auch nichts weiter sagen. Ohne dass er seinen Namen erwähnt hatte, war Jodie offensichtlich klar gewesen, wer dort vor ihrer Tür wartete. Sie schien auch keineswegs überrascht über den Besuch ihres Schülers zu sein. Es machte eher den Anschein, als wäre es für sie das Normalste der Welt oder dass sie seinen Besuch gar erwartet hatte.
 

Mit einem Ruck wurde ihm die Tür geöffnet.
 

Fröhlich rief seine Lehrerin ihm entgegen: „Hello my little darling. Nice to see you. What gives me the honor?"
 

Subaru musterte die junge Frau vor sich. Jodie hüllte ihren scheinbar nackten Körper lediglich in einen knappen Morgenmantel, der ihre weiblichen Reize gekonnt umspielte. War es denn normal, dass eine Lehrerin ihrem Schüler in einem solchen Aufzug die Tür öffnete? Wohl kaum... Jede normale Lehrerin hätte sich etwas angezogen, bevor sie einem Schüler die Tür öffnete.
 

„Please excuse my appearance, darling. I was taking a bath a few minutes ago.", fügte Jodie mit einem schelmischen Grinsen auf den Lippen hinzu.
 

Es war ganz offensichtlich, dass sie ganz genau wusste was sie dort tat und ihre Reize gezielt einsetzte. Ihrem Schüler halbnackt gegenüber zu treten, schien durchaus beabsichtigt gewesen zu sein. Subaru schien davon allerdings wenig beeindruckt zu sein.
 

Unsanft schob er seine Lehrerin zur Seite und verschaffte sich somit Zutritt zu ihrer Wohnung. Doch auch das schien sie keineswegs zu stören. So als wäre auch das das normalste der Welt.
 

Behutsam schloss die junge Frau leise die Tür und folgte ihrem Schüler in ihr Wohnzimmer. Es war unschwer zu erkennen, dass es nicht das Erste Mal war, dass er dort war. Völlig vertraut bewegte er sich in den Räumlichkeiten seiner Klassenlehrerin. Er war wohl regelmäßig bei ihr zu Gast. Zumindest machte es den Anschein.
 

Jodie näherte sich Subaru, lehnte ihren Körper an dem seinen und hauchte ihm mit einem erotischen Unterton in der Stimme in sein Ohr: „Did you miss me so much, my Darling?"
 

Die beiden schienen ganz ohne jeden Zweifel mehr zu verbinden als eine einfache Lehrer-Schüler-Beziehung. Viel mehr... Wenn man sah, wie sich Jodie Subaru näherte, wie sie ihn berührte, wie sie seine Nähe suchte und genoss und wie sie sich ihm gegenüber verhielt... hätte man fast meinen können die beiden hätten eine Affäre oder gar eine feste Beziehung gehabt. Eine Beziehung zwischen Lehrer und Schüler... auch in Japan war so etwas nicht gestattet.
 

Doch Subaru machte nicht den Anschein als würde er auf Jodies Avancen eingehen. Er wandte sich zu ihr um und sah ihr tief in ihre blauen Augen.
 

Kühl wies er sie ab: „Jodie, was soll der Blödsinn. Hör sofort auf mit dem Schwachsinn. Benimm dich gefälligst den Gegebenheiten entsprechend. Und lass diesen sinnlosen Akzent! Ich weiß, dass du unsere Sprache fließend sprichst."
 

Jodie ließ sich auf ihrem Sofa nieder, überschlug ihre Beine und entgegnete ernst: „Ist ja schon gut. Meine Güte... Was bist du denn so unentspannt? Du bist doch sonst auch für solche Späße zu haben. So kenne ich dich ja gar nicht. Entspann dich mal wieder ein wenig. Dann sag mir doch wenigstens weshalb du hier bist. Meinetwegen bist du ja leider offensichtlich nicht hier. Also, warum suchst du mich zu einer so unmenschlichen Uhrzeit auf? Dafür gibt es doch ganz sicher einen Grund."
 

Er lehnte sich gegen die Wand neben dem Wohnzimmerfenster. Für einen kurzen Moment war er ganz still. Es schien als würde er überlegen ob er ihr wirklich den Grund für seinen Besuch mitteilen sollte oder doch besser unverrichteter Dinge wieder gehen sollte. Seine Hände vergrub er noch immer in seinen Hosentaschen. Das schien tatsächlich eines seiner Markenzeichen zu sein. Eine beängstigende Stille durchzog den Raum. Auch Jodie sagte nichts. Sie schien noch immer ungeduldig auf eine Antwort von ihm zu warten. Mit großen Augen musterte sie ihn. Sein ernster Blick aus dem Fenster machte sie nur noch neugieriger.
 

Als er schließlich ihr seinen Blick zuwandte, brach er endlich sein Schweigen: „Hör zu, Jodie... Ich glaube, langsam scheint Bewegung in die ganze Sache zu kommen."
 

Überrascht sah sie ihn an.
 

„Bewegung? Wie meinst du das? Kannst du mir das vielleicht mal erklären? Moment... Du meinst...", stieß sie hervor und hielt im nächsten Moment inne.
 

So langsam schien ihr der Grund für seinen Besuch zu dämmern. Sie und Subaru schienen sich ganz offensichtlich auch ohne Worte zu verstehen.
 

Überzeugt nickte er und fuhr fort: „Jetzt sei doch mal ehrlich, Jodie. Denk doch mal ganz kurz ein wenig nach. Findest du es nicht auch ziemlich merkwürdig, dass Yumi und Junichiro ganz plötzlich völlig aus dem Nichts hier in Kyoto aufgetaucht sind? Sie sind hier ohne irgendeine Vergangenheit aufgetaucht. Fast so, als gäbe es Yumi und Junichiro noch gar nicht so lange. Junichiro scheint mir etwas unauffälliger zu sein, wobei die Antworten auf deine Fragen ziemlich dürftig waren. Fast so als hätte er sich die Antworten in diesem Moment aus den Fingern gesaugt. Und dieses Mädchen... Yumi... Sie hat sich von Anfang an ganz merkwürdig verhalten. Den anderen Schülern scheint das gar nicht aufgefallen zu sein. Aber mir entgeht nichts. Sie hat sich insbesondere mir gegenüber ganz auffällig verhalten. Ich vermute sie ahnt bereits unsere Anwesenheit. Es stimmt scheinbar, was man sich über sie erzählt. Sie scheint tatsächlich die Fähigkeit zu besitzen diese außergewöhnliche Aura zu spüren."
 

Dabei lag ein finsteres Grinsen auf seinen Lippen.
 

Jodie sprang von ihrem Sofa auf und rief aufgebracht: „Ist das dein Ernst? Willst du mir jetzt ernsthaft damit sagen, dass Yumi es ist? Du denkst also, dass Yumi Sherry ist? Willst du mir das damit sagen?"
 

Er entgegnete nichts. Sein Blick war stur aus dem Fenster gerichtet. Angesichts der Situation war er dennoch die Ruhe in Person. Jodie hingegen schien plötzlich ziemlich aufgeregt zu sein.
 

„Dann haben wir Sherry also endlich gefunden. Dann müssen wir sofort die anderen davon in Kenntnis setzen!", rief sie, während sie nach ihrem Handy griff.
 

Noch ehe sie ihren geplanten Anruf tätigen konnte, stand urplötzlich und völlig unerwartet Subaru vor ihr und packte sie unsanft am Arm, was sie in ihrer Bewegung stoppen ließ. Mit großen Augen blickte sie ihn an.
 

Als sich schließlich ihre Blicke trafen, sprach er energisch: „Warte, Jodie! Es ist noch nicht an der Zeit die anderen davon in Kenntnis zu setzen. Wir sollten damit noch warten. Das sollte vorerst unter uns bleiben. Bisher handelt es sich ja lediglich um eine Vermutung von mir. Mit Gewissheit kann ich natürlich noch nicht sagen, ob es sich bei Yumi tatsächlich um Sherry handelt. Dafür gibt es noch zu viele Ungereimtheiten und zu viele Sachen, die einfach nicht zueinander passen. Bisher ist es lediglich Fakt, dass Yumi sich ungewöhnlich verhält. Bevor ich wirklich mit hundert prozentiger Sicherheit sagen kann, dass es sich bei Yumi um Sherry handelt, muss ich erst noch einige Nachforschungen anstellen. Du musst mir jetzt einfach vertrauen, Jodie. Fakt ist Yumi und Junichiro hüten ein Geheimnis. Das ist offensichtlich. Ich habe bereits auch schon einen Plan..."
 

„Was hast du denn vor?", unterbrach sie ihn entsetzt.
 

Mit einem breiten Grinsen auf den Lippen erwiderte er: „Es ist besser wenn du nicht zu viel weißt, Jodie. Du kennst doch meine Devise. Nur wenn du es schaffst deine Freunde zu täuschen, wirst du auch in der Lage sein deine Feinde zu täuschen. Vertrau mir einfach, Jodie."
 

Mit diesem Satz wandte er ihr den Rücken zu und wollte augenscheinlich ihre Wohnung verlassen.
 

„Warum hast du mir das dann alles überhaupt erzählt? Warum hast du ausgerechnet mich eingeweiht? Wenn ich unsere Organisation davon in Kenntnis setzen würde, könnten wir endlich zuschlagen. Der Grund weshalb wir nach Japan gekommen sind... Unser Ziel ist doch zum Greifen nah."
 

Ohne sich ihr zuzuwenden, entgegnete er: „Weil ich dir von allen am meisten vertraue, Jodie. Niemandem aus unserer Organisation vertraue ich so sehr wie dir. Und weil ich weiß, dass du mir genauso vertraust. Du würdest nie das Gegenteil von dem tun, um das ich dich bitte. Auch wenn wir beide unsere ganz eigenen Ziele verfolgen, weiß ich, nach all den Jahren die wir nun schon Seite an Seite arbeiten, dass ich dir blind vertrauen kann. Und außerdem... Ich wollte einfach, dass jemand davon weiß, für den Fall, dass irgendetwas schief geht."
 

Besorgt packte sie ihn am Arm und murmelte: „Übertreib es bitte nicht. Ich weiß, dass du in dieser Angelegenheit schnell dazu neigst unüberlegt zu handeln. Ich bitte dich... Pass auf dich auf. Und sollte es tatsächlich so sein, dass Yumi Sherry ist... denk daran, dass sie ein 15 jähriges Mädchen ist. Im Grunde ist sie noch ein Kind. Vergiss das bitte nicht. Ich hoffe einfach du weißt was du tust."
 

Es war offensichtlich, dass Jodie und Subaru tiefes Vertrauen verband. Ohne ein weiteres Wort verließ er die Wohnung und ließ eine völlig in Gedanken versunkene Jodie zurück...
 

Eines war nun jedenfalls klar... Jodie war keinesfalls eine normale und einfache Englischlehrerin. Und Subaru war auch kein einfacher Oberschüler. War an Manamis Vermutung vielleicht doch etwas dran? Gehörten sowohl Jodie als auch Subaru der schwarzen Organisation an? Zumindest machte dieses Treffen der beiden alles andere als einen seriösen Eindruck. Von all den Geschehnissen, welche sich nur ein paar Straßen weiter gerade abspielten, ahnten Manami und Takehito nichts...

Plötzliches Verschwinden

Als Manami am nächsten Morgen die Augen aufschlug, war sie noch immer wütend. Sie bekam in dieser Nach kaum ein Auge zu... Sie war unausgeschlafen, völlig übermüdet und ziemlich gereizt. Und dafür gab es mehr als nur einen Grund.
 

Zum einen war sie wütend auf Takehito, da er ihr in Bezug auf Subaru Okiya noch immer nicht glaubte. Ganz egal, wie oft sie es ihm auch noch sagen würde... Er würde ihr kein einziges Wort glauben. Wieder hatte er ihre Bedenken als Überempfindlichkeit und Paranoia abgetan. Und genau das würde er immer und immer wieder tun. Er nahm sie absolut nicht ernst.
 

Und zum anderen war sie noch viel wütender auf sich selbst, da sie erneut so blöd gewesen war diesem selbstverliebten Detektivfanatiker von ihren schlimmsten Befürchtungen zu erzählen, wobei sie ja eigentlich wusste, dass er ihr nicht glaubte. Was hatte sie sich denn gedacht? Dass er seine Meinung über Nacht geändert haben könnte? Selbst wenn es so gewesen wäre, was durchaus unwahrscheinlich war, hätte dieser eingebildete Krimifreak das niemals zugegeben. Dafür war er viel zu stolz. Er glaubte nur das, was man ihm rational und schlüssig mit hieb und stichfesten Schlussfolgerungen darlegen und beweisen konnte. Aber das konnte Manami nicht. Noch nicht. Bisher war es nur ein Gefühl. Aber sie würde schon noch Beweise für ihre Befürchtungen finden und dann könne sie es diesem Freak endlich beweisen. Sie hoffte nur, dass es bis dahin nicht schon längst zu spät war.
 

Immer wieder fragte sie sich wie sie erneut so blöd gewesen sein konnte. Und diese Wut machte ihr wieder eines klar... Sie vermisste ihren besten Freund Akiharu. Er stand immer bedingungslos an ihrer Seite. Seit die beiden miteinander befreundet waren, wusste sie, dass es immer jemanden geben würde, der zu ihr stehen würde. Egal was auch passieren würde. Akiharu hätte ihr ganz sicher geglaubt. Er hatte ihr immer geglaubt. Manami hatte ihm ja auch nie einen Grund gegeben an ihrer Ehrlichkeit zu zweifeln. Und genau aus diesem Grund wusste sie, dass er ihr in diesem Fall, was Subaru Okiya betraf, ganz sicher auch geglaubt hätte.
 

Und da war er wieder.
 

Der Grund des ganzen Übels.
 

Der Grund weshalb sie sauer auf sich selbst und auf Takehito war.
 

Subaru Okiya.
 

Warum hatte sich dieser sonderbare Kerl ihr gegenüber nur so merkwürdig verhalten? Zum Schluss machte es gar den Anschein als wäre er völlig angewidert von der Tatsache, dass er neben ihr sitzen musste. Ihre bloße Anwesenheit schien ihm zu Wider zu sein. Aber aus welchem Grund nur?
 

Immer wieder musste sie an seine unerklärlichen, hasserfüllten Blicke denken, die ihr das Blut in den Adern gefrieren ließen. Dieser seltsam feindselige, wütende Ausdruck in seinen Augen... Sie konnte es sich noch immer nicht erklären. Mit ihr konnte es jedenfalls nichts zu tun haben... Da war sie sich ganz sicher. Schließlich kannte er sie ja überhaupt nicht. Sie waren sich gestern zum aller ersten Mal begegnet.
 

Und dann fasste Manami einen Entschluss. Sie beschloss Subaru direkt noch am heutigen Tag zur Rede zu stellen. Er sollte ihr schlicht und ergreifend sagen, was eigentlich sein Problem war. Das konnte ja nicht so schwierig sein. Als sie nachts schlaflos in ihrem Bett sich hin und her wälzte, hatte sie sich bereits ganz genau überlegt, was sie ihm sagen würde.
 

Aber an diesem Tag tauchte er einfach nicht auf.
 

Subaru Okiya kam nicht zur Schule.
 

Jodie Saintemillion teilte der Klasse mit, dass Subaru von seinem Pflegevater, Dr. Tomoaki Okiya, entschuldigt wurde. War er etwa krank? Merkwürdiger Zufall.
 

Irgendwie war Manami aber auf froh darüber, dass er nicht zum Unterricht erschien. Auch wenn sie es sich fest vorgenommen hatte... wenn sie ihm über den Weg gelaufen wäre, hätte sie wohlmöglich nicht den Mut gehabt ihn auf sein unangebrachtes und merkwürdiges Verhalten anzusprechen. Dazu war sie schlicht und ergreifend zu schüchtern.
 

Jedoch wurde das junge Mädchen diesen schleichenden Verdacht nicht los, dass sie der Grund für seine Abwesenheit war. Es war doch wirklich ein komischer Zufall gewesen, dass er ausgerechnet jetzt krank wurde.
 

Doch sie versuchte diesen Gedanken ganz schnell wieder los zu werden. Es war doch völlig albern und egozentrisch, sich einzubilden, dass ausgerechnet sie zartes Persönchen jemanden so stark beeinflussen konnte. Das war einfach unmöglich. Zumal sie ja nicht einmal etwas getan hatte, was ein derartiges Verhalten hätte begründen können. Sie und Subaru hatten am Tag zuvor nicht einmal viel miteinander gesprochen. Und doch konnte sie dieses Gefühl nicht abschütteln, dass es stimmte.
 

Auch am nächsten Tag ließ er sich nicht blicken...
 

Manami versuchte krampfhaft nicht mehr an ihn zu denken. Er war es einfach nicht wert, dass sie ihre Gedanken an ihn verschwendete. Im Grunde konnte sie ja auch froh sein, dass er nicht mehr auftauchte. Wenn er wirklich zur Organisation gehörte, wie sie vermutete, dann kam ihr diese Tatsache nur zugute. So war sie zumindest vorerst in Sicherheit.
 

So hoffte sie zumindest.
 

Allerdings konnte sie dieses quälende Gefühl, dass sie der Grund für seine Abwesenheit war, nicht völlig unterdrücken. Ganz gleich wie lächerlich ihr das auch vorkam.
 

Weitere Tage vergingen, in denen Subaru dem Unterricht fern blieb... Für Manami wurde das ganze immer merkwürdiger...

Festgefahren

Manami und Takehito führten nun bereits seit einem Monat ihre Leben als Yumi und Junichiro in Kyoto. Die Zeit schien zu verstreichen wie im Flug. In den letzten Wochen hatte sich das Leben der beiden Teenager weitestgehend normalisiert. Beide schienen sich – jeder auf seine eigene Art und Weise – mit der Situation arrangiert zu haben.
 

Doch der Schein trügte...
 

Auch wenn Takehito äußerlich so wirkte, als sei alles in bester Ordnung, sah es in seinem Inneren ganz anders aus. Er versuchte seine Gedanken für sich zu behalten. Er wollte seiner Freundin nicht unnötig mehr Angst machen, als sie ohnehin schon hatte.
 

Doch ihn beschäftigten so viele Sachen...
 

Seit ihrer Ankunft in Kyoto konnte er keine neuen Informationen über die schwarze Organisation in Erfahrung bringen. All seine Ermittlungen verliefen ins Leere. Auf eigene Faust zu ermitteln war gar nicht so einfach. Er hatte sich das ganze irgendwie einfacher vorgestellt. Das alles war nichts im Vergleich zu den Fällen mit denen er sonst zu tun hatte. Jede Spur, die im Sande verlief, machte dem jungen Detektiv klar, dass er es hier mit Mächten zu tun hatte, die in einer ganz anderen Liga spielten, als all die anderen Verbrecher mit denen er es bisher zu tun hatte.
 

Hätte sich dieses ganze Drama einzig und allein seinetwegen abgespielt, wäre ihm das wahrscheinlich egal gewesen. Doch seitdem er mit der Vermutung konfrontiert war, dass es sich bei Manami um Sherry handelte, wobei er sich in seiner Vermutung ziemlich sicher war, bekam das ganze einen ganz bitteren Beigeschmack.
 

Nicht er war das eigentliche Ziel der Organisation, sondern Manami. Und genau diese Tatsache brachte ihn um den Verstand.
 

Aus irgendeinem Grund hatte die Organisation ein begründetes Interesse an ihr. Doch welches nur? Wenn er wenigstens das herausfinden würde.
 

Aber sie war doch im Grunde eine völlig normale Mittelschülerin. Sie hatte sich noch nie etwas zu Schulden kommen lassen und verhielt sich stets unauffällig.
 

Noch immer ergab das ganze überhaupt keinen Sinn. Doch eines war ihm klar... er musste unter allen Umständen herausfinden, weshalb die Organisation es auf sie abgesehen hatte. Nur so könne er sie jetzt und in Zukunft beschützen.
 

Doch selbst Manami konnte sich absolut keinen Reim darauf machen, weshalb die schwarze Organisation es ausgerechnet auf sie abgesehen hatte.
 

Sie sollte Sherry sein? Doch wer war Sherry? Wer war sie wirklich? War ihr bisheriges Leben eine Lüge?
 

Noch immer versuchte sie krampfhaft sich an irgendetwas aus ihrer Kindheit in Kyoto zu erinnern. Aber es wollte ihr einfach nicht gelingen. Sie konnte sich an nichts erinnern.
 

Allerdings konnte sie sich auch nicht vorstellen, dass sie mit einer solchen Verbrecherorganisation zu tun gehabt hatte.
 

Doch nach allem was in den letzten Wochen geschehen war, war es unstreitig, dass sie eine Verbindung zu dieser Organisation hatte, denn sobald ein Mitglied dieser Organisation in der Nähe war, konnte sie ganz ohne jeden Zweifel diese außergewöhnliche Aura spüren.
 

Ihre Angst vor der Organisation schien grenzenlos zu sein.
 

Und zu Takehitos Gedanken bezüglich der schwarzen Organisation kam auch noch die Sorge um Manami.
 

Ihr Zustand schien sich mit jedem Tag in Kyoto zu verschlechtern. Man musste kein Detektiv sein um zu erkennen, dass sie unglücklich war. Wenn er sie allerdings nach dem Grund fragte, bekam er keine Antwort.
 

Das junge Mädchen zog sich völlig zurück. Sie mied die Öffentlichkeit so gut es ging und verließ die Wohnung nur ganz selten. Auch wenn die beiden Teenager sich bereits mit einigen ihrer Mitschüler angefreundet hatten, wollte Manami oft einfach ihre Ruhe haben. Während Takehito die Nachmittage oft mit seinen neuen Freunden Aoko, Akako, Kaito und Saguru verbrachte, zog sie es vor allein zu Hause zu bleiben.
 

Und dafür gab es einen Grund.
 

Sie wollte immer noch herausfinden von welcher Person damals an ihrem ersten Schultag an der Senshin Oberschule, die Aura der schwarzen Organisation ausging. Noch immer war es ihr nicht gelungen es heraus zu finden. Mit Takehito brauchte sie darüber nicht reden. Er glaubte ihr ja eh nicht, dass sie zum damaligen Zeitpunkt die Aura der schwarzen Organisation wahrgenommen hatte. Sie war sich allerdings hundert prozentig sicher, dass sie sich damals nicht geirrt hatte. Und es würde auch niemand schaffen ihr das Gegenteil einzureden. Dass sie die Aura der schwarzen Organisation seit dem ersten Schultag nicht noch einmal wahrgenommen hatte, machte das Ganze für sie nicht einfacher. Noch immer suchte sie einen Grund für das plötzliche Verschwinden der Aura, welche sie zuvor mit jeder Faser ihres Körpers spüren konnte. Und der Grund war definitiv nicht, dass sie sich diese Aura eingebildet hatte. Da war sie sich noch immer zu hundert Prozent sicher. Und dabei war es ihr völlig gleichgültig, dass Takehito ihren Worten keinen Glauben schenkte.
 

Und noch etwas anderes beunruhigte sie...
 

Die Tatsache, dass Subaru seit Wochen dem Unterricht fern blieb. Dafür musste es einen Grund geben. Sie konnte sich nicht vorstellen, dass er einfach nur krank war. Sie hatte sich unter den Schülern umgehört. Seit Subaru die Senshin Oberschule besuchte, hatte er keinen einzigen Tag gefehlt. Und jetzt sollte er plötzlich über Wochen krank sein? Und das rein zufällig als sie an dieser Schule auftauchte und das Gefühl nicht mehr loswurde, dass etwas mit ihm nicht stimmte? Das konnte unmöglich alles Zufall sein.
 

Sie war sich ganz sicher.
 

Subaru war nicht krank. Für sein Fehlen in der Schule musste es einen anderen Grund geben. Zu gern wäre sie diesem Grund auf die Spur gegangen. Aber was sollte sie tun? Sie konnte ja schlecht den Okiyas einen Besuch abstatten um sich von seiner Krankheit zu überzeugen. Sie hatte ja auch eigentlich keine Verbindung zu ihnen. Wie hätte sie also ihren Besuch rechtfertigen sollen?
 

Dazu kam, dass sie viel zu große Angst davor hatte allein zu den Okiyas zu gehen. Denn sollte sie mit ihrem Verdacht wirklich richtig liegen, dass Subaru Okiya zur schwarzen Organisation gehörte, so hatte mit Sicherheit auch der Rest der Familie etwas mit dieser Organisation zu tun.
 

Und dann würde sie sich mit ihrem Besuch in eine wahnsinnige Gefahr begeben. Eine andere Idee musste her.
 

Und so fasste sie schließlich einen Entschluss...

Das Verhalten der Okiyas

Es gab für Manami nur eine Möglichkeit um vielleicht etwas Licht in das Dunkel zu bringen. Sie musste irgendwie an Informationen kommen.
 

Doch wie?
 

Die Okiya Geschwister lebten völlig isoliert. In der Schule waren sie komplette Einzelgänger und blieben stets unter sich. Es würde also wenig Sinn machen, sich unter den anderen Schülern der Senshin Oberschule umzuhören.
 

Manami wusste... Es gab nur eine Möglichkeit...
 

Um an Informationen zu kommen, musste sie wohl oder übel mit einem seiner Geschwister das Gespräch suchen. Vielleicht würde sich ja jemand von ihnen verplappern oder wenigstens in Widersprüche verstricken, sodass sie sich sicher sein konnte, dass sie mit ihrer Vermutung richtig lag. Sie musste dabei allerdings geschickt vorgehen. Niemand von ihnen würde ihr wahrscheinlich einfach so etwas sagen. Und erst recht nicht wenn sie zusammen waren. Sie musste eine passende Gelegenheit finden, in der sie jemanden von ihnen allein erwischte. Nur so würde es eine reelle Chance geben an Informationen zu kommen...
 

Bereits bei der nächsten Gelegenheit setzte sie ihren Plan in die Tat um.
 

Es war während der Mittagspause. Es war mittlerweile Ende April. Manami und Takehito saßen wie in jeder Mittagspause mit Kaito, Aoko, Akako und Saguru an einem Tisch. Noch immer war es für sie schwer zu ertragen ihre Mitschüler um sich zu haben. Sie wehrte sich noch immer vehement dagegen an dieser Schule irgendwelche neuen Freundschaften aufzubauen. Während Takehito eine fröhliche Konversation mit seinen Mitschülern führte, war Manami völlig in Gedanken versunken, bis sie sich schließlich zu dem Tisch, an dem üblicherweise die Okiyas saßen, umwandte.
 

Dort saß Kazuha Okiya ganz allein und knabberte an ihrem Pausenbrot. Auch sie schien nicht wirklich mental anwesend zu sein. Ihr Blick war stur ins Leere gerichtet. Sie schien mit ihren Gedanken gerade ganz woanders zu sein.
 

Wo wohl ihre Geschwister waren? Dachte das junge Mädchen sich im ersten Moment. Doch dann durchzog es sie wie ein Blitz. Das war genau die Gelegenheit auf die sie gewartet hatte. Dass man einen der Okiyas allein zu Gesicht bekam, war eigentlich ein Ding der Unmöglichkeit. Man sah sie eigentlich immer mindestens zu zweit.
 

Ihr Herz begann zu rasen.
 

Nun war es an der Zeit ihren Plan in die Tat umzusetzen. Wer weiß, wann es die nächste Gelegenheit dazu gegeben hätte. Kneifen war also keine Option.
 

Langsam erhob sie sich von ihrem Stuhl. Es war nicht zu übersehen, dass sie gerade ziemlich nervös war.
 

Takehito blickte an ihr hinauf und murmelte: „Yumi? Wo willst du hin? Die Pause ist doch noch gar nicht vorbei."
 

Sie antwortete nichts. Sie hatte wahrscheinlich nicht einmal mitbekommen, dass er mit ihr gesprochen hatte. Ihr Herz schlug ihr bis zum Hals. Sie ballte ihre Hände zu Fäusten und nahm all ihren Mut zusammen.
 

Zielstrebig ging sie auf Kazuha zu.
 

Takehito folgte ihr mit seinen Blicken und war verwundert. Was zur Hölle wollte Manami von Kazuha Okiya? Was hatte dieses sture Weib denn nun schon wieder vor? Er ließ sie keine Sekunde aus den Augen.
 

Als sie dann schließlich Kazuha gegenüber stand, erreichte ihre Nervosität ihren Höhepunkt. Verwundert sah Kazuha an ihr hinauf. Es schien als hätte Manami sie gerade aus ihren Gedanken gerissen. Doch noch ehe Kazuha etwas zu ihr sagen konnte, ließ sich das entschlossene Mädchen auf dem Stuhl ihr gegenüber nieder. Auch wenn Manami ihr vor Nervosität nicht in die Augen schauen konnte, wollte sie an ihrem Vorhaben fest halten. Und jetzt saß sie ja ohnehin schon hier. Doch wie sollte sie nur anfangen?
 

Doch noch ehe sie auch nur ein Wort über ihre Lippen bringen konnte, ergriff Kazuha das Wort: „Kann ich dir irgendwie helfen? Oder hast du dich einfach nur im Tisch geirrt?"
 

Das nervöse Mädchen fuhr erschrocken zusammen. Jetzt gab es erstrecht kein Zurück mehr. Jetzt musste sie irgendwas sagen. Doch was nur?
 

„Ähm... du bist Kazuha Okiya, nicht wahr?", stotterte sie hervor.
 

Sie kam sich in diesem Moment so dämlich vor. Sie hätte wohl doch lieber nicht auf Kazuha zugehen sollen. Als ob sie ihr auch nur das Geringste über Subaru erzählen würde. Die Geschwister schienen sich blind zu verstehen und tiefes Vertrauen ineinander zu haben. Warum sollte also Kazuha ausgerechnet ihr irgendetwas erzählen? Aber ein Versuch war es schließlich wert. Sie würde ihr schon nicht den Kopf abreißen und ihr gar etwas antun.
 

Kazuha kicherte.
 

Natürlich hatte sie bemerkt wie dümmlich Manami sich gerade vorkam.
 

Dennoch erwiderte sie: „Ja, ganz offensichtlich. Das bin ich. Aber aus diesem Grund hast du mich sicher nicht angesprochen." Sie fragte nicht, sie stellte fest.
 

Manamis rasender Herzschlag nahm ihr fast die Luft zu atmen und es fiel ihr von Sekunde zu Sekunde schwerer etwas zu sagen. Was machte sie hier eigentlich? War sie denn von allen guten Geistern verlassen? Was hatte sie sich bei der ganzen Sache nur gedacht?
 

In diesem Moment betraten die übrigen Okiya Geschwister den Raum und setzten sich an den Tisch. Verwundert blickten sie Manami an. Ihre Blicke schienen sie förmlich zu durchbohren.
 

Ganz Klasse.
 

Genau diese beklemmende Situation wollte sie eigentlich verhindern. Selbst wenn Kazuha ihr etwas erzählen wollen würde... würde sie es nun nicht mehr tun, da sich ihre Geschwister an den Tisch gesetzt hatten. Warum mussten sie auch ausgerechnet jetzt auftauchen? Sie schienen wirklich ein Talent dafür zu haben in den unpassendsten Momenten aufzutauchen. Was sollte sie jetzt nur tun? Sie zu fragen, wenn sie in der Gemeinschaft waren, machte wenig Sinn... Manami fühlte sich unwohl. Sie konnte ganz genau spüren wie die Blicke der vier Okiya Geschwister auf sie gerichtet waren. Und es schien nicht so, als würden sie so schnell ihre Blicke von ihr lösen. Natürlich erwarteten sie etwas von ihr. Jedem von ihnen war klar, dass sie nicht ohne Grund an ihrem Tisch saß.
 

„Was willst du wirklich?", fügte Kazuha schließlich ihren Worten hinzu.
 

Manami fasste sich ein Herz. Mehr wie schief gehen, konnte es ja nicht. Was sollte schon passieren? Sie würde jetzt ihre Frage einfach gerade heraus über ihre Lippen bringen und dann würde es ohnehin nur zwei Möglichkeiten geben. Entweder wird Kazuha oder einer der anderen Okiyas ihr antworten oder sie würden Schweigen und Manami wäre am selben Punkt wie zuvor. Aber dann hatte sie es wenigstens versucht.
 

„Also ich... ich wollte... ich wollte dich fragen, wo Subaru ist. Ich meine... er bleibt seit Wochen dem Unterricht fern. Und da dachte ich mir, dass ich dich einfach mal Frage."
 

Ein verschmitztes Grinsen stahl sich auf Kazuhas Lippen. Und auch ihre Geschwister begannen zu grinsen.
 

Doch noch ehe Kazuha antworten konnte, ergriff Shinichi das Wort: „Ich glaube Jodie... ähm, ich meine Miss Saintemillion hat euch alles darüber gesagt, was ihr Wissen müsst. Subaru ist offiziell vom Unterricht entschuldigt. Unser Vater hat seine Krankschreibung abgegeben. Mehr hat dich nicht zu interessieren."
 

Manami war ziemlich genervt von dem Ton, den Shinichi an den Tag legte. Was dachte er denn wer er war? Er war nichts Besseres als jeder andere Schüler an dieser Schule. Was gab ihm also das Recht so mit ihr zu sprechen? Das wollte sie nicht auf sich sitzen lassen. Sie hatte eine vernünftige Frage gestellt, also wollte sie auch eine vernünftige Antwort haben.
 

Entschlossen stieß sie hervor: „Du brauchst mich ja nicht gleich so anfahren. Ich habe eine ganz vernünftige Frage gestellt, also verlange ich auch eine vernünftige Antwort. Ich habe auch gar nicht angezweifelt, dass Subaru krank ist. Das habe ich mit keinem einzigen Wort unterstellt. So etwas würde ich mir niemals anmaßen. Ich wollte einfach nur wissen wie es ihm geht. Ich meine... er ist schon so lange krank... Ich hatte mich einfach nur gesorgt, dass es vielleicht etwas Ernsthaftes ist."
 

Plötzlich und völlig unerwartet sprang Heiji von seinem Platz auf. Er schien durchaus aufbrausender zu sein als der Rest der Okiyas.
 

„Hast du nicht gehört! Es hat dich nicht zu interessieren! Und jetzt tu uns allen einen Gefallen und mach dich endlich vom Acker! Merkst du nicht, dass du nervst!", fuhr er sie ungehobelt an.
 

Aufgrund seines kaum überhörbaren Kansai Dialekts wirkte es noch unfreundlicher und aggressiver, als er es vermutlich gemeint hatte. Manami war klar... Die Okiya Geschwister hatten definitiv etwas zu verbergen. Anders konnte sie sich die Reaktionen von Shinichi und Heiji einfach nicht erklären. Subaru war nicht einfach nur krank. Sein Fernbleiben vom Unterricht schien einen ganz anderen Grund zu haben. Doch welchen nur?
 

Doch noch ehe sie etwas sagen konnte, war bereits Takehito zur Stelle und stellte sich schützend vor sie. Bis gerade eben hatte er das Geschehen von seinem Platz aus beobachtet. Doch als Heiji plötzlich so aufbrausend wurde, sah er sich direkt in der Pflicht einzugreifen. Niemand hatte das Recht so mit ihr zu sprechen.
 

Schützend stellte er sich vor Manami und sprach ruhig aber bestimmend: „Sag mal, spinnst du? Wie redest du mit meiner Schwester? Hat dir dein Pflegevater kein Benehmen beigebracht?"
 

„Dann pass in Zukunft vielleicht mal etwas besser auf deine Schwester auf! Sie nervt! Sie sollte ihre Nase nicht in fremde Angelegenheiten stecken!", entgegnete Heiji sofort mürrisch.
 

Bevor jedoch das Wortgefecht der beiden, bei dem keiner von ihnen nachgeben würde, in einen handfesten Streit enden konnte, mischte Kazuha sich schließlich ein: „Jetzt beruhigen wir uns alle erst einmal wieder! Es gibt keinen Grund sich zu streiten. Hör zu, Yumi... Subaru ist krank. Gib dich einfach damit zufrieden. Niemand von uns wird dir mehr erzählen, egal wie hartnäckig du bist. Ich kann dir nur eines sagen... Es ist nichts Ernsthaftes. Ihm wird es sicher bald besser gehen."
 

Widerwillig gab sie sich mit der Aussage von Kazuha zufrieden. Was hatte sie auch groß für eine andere Wahl. Sie hatte es ihr ja klipp und klar ins Gesicht gesagt... Niemand von den Okiyas würde ihr auch nur irgendetwas erzählen.
 

Doch noch bevor sie tiefer in ihren Gedanken versinken konnte, wurde sie unsanft von Takehito am Arm gepackt und er zerrte sie hinter sich her, weg von den Okiyas.
 

„Ach ja, eines noch, Yumi...", rief Kazuha den beiden hinterher, was Takehito schlagartig in seiner Bewegung stoppen ließ.
 

„Halt dich in Zukunft von unserer Familie, und vor allem von meinem Bruder fern. Glaub mir... es ist besser für dich.", fuhr sie ernst fort.
 

Ihre Worte gingen Manami durchs Mark und bescherten ihr eine Gänsehaut. Warum sagte sie so etwas? Und noch viel wichtiger... wie meinte sie das?

Zwei Sturköpfe

Erneut riss Takehito sie aus ihren Gedanken, indem er sie hinter sich her zerrte, weg von den Okiya Geschwistern, aus der Kantine heraus, hinaus auf den Flur.
 

Dort presste er Manami an die Wand und zischte forsch: „Kannst du mir mal sagen was das sollte? Spinnst du jetzt völlig! Kannst du dich nicht einfach etwas unauffälliger verhalten? Was wolltest du von den Okiyas?"
 

Sie sah ihm tief in die Augen und entgegnete: „Ich wollte nur wissen wie es Subaru geht..."
 

Noch ehe sie aussprechen konnte, wurde sie direkt von ihm unterbrochen: „Wer's glaubt wird seelig. Wen willst du hier eigentlich für dumm verkaufen? Schon wieder dieser Subaru? Warum interessiert dich dieser Kerl so? Als ob du dich aus reinster Nächstenliebe nach ihm erkundigt hast. Seit wir hier in Kyoto sind machst du nichts ohne Hintergedanken. Und erstrecht nicht in Bezug auf Subaru Okiya. Also?"
 

Das junge Mädchen schwieg. Sie wollte Takehito nicht antworten. Er würde ihre Worte ohnehin nicht ernst nehmen. Das hatte er ihr mittlerweile mehr als einmal deutlich klar gemacht. Doch ihr Schweigen brachte ihn nur noch mehr auf.
 

„Jetzt rede schon!", brüllte er, während er mit seiner Faust gegen die Wand schlug.
 

Es war unschwer zu erkennen, dass er ziemlich wütend war. Als er mit seiner Faust neben ihrem Kopf gegen die Wand schlug, zuckte sie kurz zusammen. Sie hatte ihn noch nie so wütend erlebt. Dabei hatte eher sie Grund wütend auf ihn zu sein und nicht umgekehrt. Und dann entschloss sie sich ihn mal in seine Schranken zu weisen. So langsam aber sicher ging ihr sein Verhalten nämlich ziemlich gegen den Strich. Er hatte nicht das Recht so mit ihr zu reden. Seitdem sie in Kyoto waren, behandelte er sie wie ein Kleinkind. Er hing wie eine Glucke auf ihr. Nichts durfte sie selbst entscheiden. Immer war sie unter Beobachtung. Er hing an ihr wie eine Klette. Natürlich meinte er es prinzipiell nur gut, schließlich sorgte er sich nur um sie. Aber das gab ihm noch lange nicht das Recht mit ihr so zu reden.
 

Und dann platzte es aus ihr heraus: „Sag mal spinnst du! Wie redest du eigentlich mit mir? Krieg dich mal wieder ein. So langsam entwickelst du dich echt zu einem ziemlichen Vollidioten! Ich bin alt genug! Ich kann selbst entscheiden, was richtig und was falsch ist. Und ich hatte allen Grund dazu mich nach Subaru zu erkundigen. Irgendwas stimmt hier nicht. Das muss doch selbst dir so langsam klar werden! Warum kannst du mir nicht einfach glauben? Warum vertraust du mir in diesem Punkt nicht ganz einfach mal? Die Reaktion von den Okiyas eben war doch alles andere als normal. Niemand würde sich so verhalten, wenn er nicht irgendetwas zu verbergen hätte. Das Ganze hier wird doch immer merkwürdiger, findest du nicht auch? Und die letzten Worte von Kazuha haben doch Bände gesprochen. War das für dich nicht auch Beweis genug, dass irgendetwas mit dieser Familie nicht stimmt?"
 

Allmählich beruhigte er sich wieder. Ihm war klar, dass er überreagiert hatte. Sie war alt genug. Natürlich wusste sie was sie tat. Da war sich der junge Detektiv völlig sicher. Aber er konnte nicht immer bei ihr sein um sie zu beschützen. Wenn es um Subaru Okiya ging oder generell um die Familie Okiya neigte seine sonst so vorsichtige und besonnene Freundin einfach dazu vorschnell und unüberlegt zu handeln Und er verstand auch beim besten Willen nicht, weshalb sie einen solchen Narren an Subaru Okiya gefressen hatte. Warum konnte sie sich nicht einfach damit zufrieden geben, dass er krank war und deshalb nicht zum Unterricht erschien?
 

Auch wenn er zugeben musste, dass seine Freundin recht mit dem hatte, was sie sagte. Das Verhalten der Okiyas war schon recht merkwürdig. Das war selbst ihm nicht entgangen. Und natürlich machte er sich zu der ganzen Sache seine ganz eigenen Gedanken. Das konnte er Manami gegenüber aber schlecht zugeben. Schließlich war ihre Angst, dass sich jemand von der schwarzen Organisation an dieser Schule befand so schon groß genug. Wenn er jetzt auf dieses Pferd mit aufspringen würde und ihr gegenüber zugeben würde, dass auch ihm so langsam das Verhalten der Okiyas komisch vorkam, würde sie wohlmöglich noch mehr Angst bekommen und sich im schlimmsten Falle gar nicht mehr vor die Haustür trauen. Vermutlich würde sie sich dann bis in alle Ewigkeit in ihrem Zimmer verschanzen. Und genau das wollte Takehito unter allen Umständen verhindern. Auch wenn diese Verbrecher hinter ihr her waren... Solange sie noch nicht wussten, wer Sherry war, war sie sicher. Und zumindest so lange könne sie noch ein halbwegs normales Leben führen.
 

Behutsam versuchte er erneut ihre Bedenken herunter zu spielen: „Jetzt hör endlich auf. Deine paranoiden Fantasien sind doch völlig haltlos. Oder hast du irgendwelche Beweise, die deine Annahmen oder Spekulationen in irgendeiner Art und Weise stützen? Du interpretierst da zu viel hinein. Für das Verhalten der Okiyas gibt es mit Sicherheit eine ganz logische Erklärung. Vielleicht hatten sie einfach nur einen schlechten Tag. Oder sie waren einfach nur genervt, weil du die was weiß ich wie vielte warst, die sich nach ihm erkundigt hat. Diese Reaktion von eben kann vielerlei Gründe haben. Du solltest dir nicht vorschnell ein Urteil erlauben. Halt dich in Zukunft einfach von dieser Familie fern. Das wird wohl das Beste sein."
 

Das junge Mädchen antwortete nichts. Was hätte sie auch sagen sollen? Dass dieser Krimifreak sie nicht von ihrer Meinung abbringen könne? Das brauchte sie ihm nicht sagen. Das war ihm wahrscheinlich ohnehin schon längst klar. Er kannte sie mittlerweile so gut, dass ihm klar war wie sie tickte. Selbst wenn die Gefahr offensichtlich wäre, würde sie sich, hatte sie sich erst einmal an etwas fest gebissen, blind in ihr Verderben stürzen. Das war ihm klar. Aber genau das machte es für ihn umso schwieriger für ihre Sicherheit zu sorgen.
 

Während er also fieberhaft überlegte, wie er dafür sorgen konnte, dass seine Freundin sich von den Okiyas fern hielt, wurde er plötzlich aus seinen Gedanken gerissen.
 

„Ich mache sowieso das was ich will. Gib dir also keine Mühe, Junichiro. Ich werde dir schon noch beweisen, dass etwas mit den Okiyas nicht stimmt. Und bis dahin möchte ich über dieses Thema nicht mehr mit dir sprechen.", kam es schnippisch von ihr.
 

Das war deutlich.
 

Dem hatte er nichts entgegen zu setzen.
 

Eigentlich waren ihr Sturkopf und ihre Eigenverantwortung immer eine Charaktereigenschaft, die er an ihr mochte. Aber in der momentanen Situation fand er sie völlig unangebracht. Er ärgerte sich über ihren Stursinn und dass sie nicht einfach mal auf ihn hören konnte. Aber diesen Dickkopf zu etwas zu drängen, machte ebenfalls wenig Sinn. Dann hätte sie erstrecht auf stur gestellt und aus Prinzip her schon genau das Gegenteil von dem gemacht, was er von ihr verlangte. Und diese Diskussion wollte er auch nicht hier auf dem Schulflur vom Zaun brechen.
 

Er nahm sich vor seine sture Freundin, die sich um nichts auf der Welt von einer anderen Meinung überzeugen lassen wollte, vorerst gut im Auge zu behalten. Sollte es zu einer gefährlichen Situation kommen, musste er sie schließlich beschützen...

Was wäre wenn...

Bis zum nächsten Tag sprach Manami nur das allernötigste mit Takehito.
 

Dass er, obwohl er selbst hautnah das Verhalten der Okiyas mitbekommen hatte, ihr noch immer nicht glaubte, konnte sie einfach nicht verstehen. Es machte sie einfach wütend, dass alles was sie sagte von ihm mit seiner ausgedachten Paranoia begründet wurde. Sie war nicht paranoid! Sie war sich absolut sicher, dass das, was sie bisher gesehen und gehört hat und was sie darin hinein interpretierte kein Hirngespenst war. Die Okiya Geschwister hatten etwas zu verheimlichen. Darin bestand für sie überhaupt kein Zweifel. Und nach der gestrigen Reaktion von Kazuha war sie sich noch sicherer, als bereits zuvor. Doch so lange Takehito ihr nicht glauben wollte, sah das junge Mädchen auch keinen Sinn darin weiter mit ihm darüber zu sprechen.
 

Sie wollte am liebsten gar nicht mehr mit ihm sprechen.
 

Es war doch ohnehin vollkommen egal, was sie sagte. Dieser Detektivfanatiker würde ihr ohne handfeste Beweise kein einziges Wort glauben. Indizien waren für ihn haltlos. Manami musste ihm Beweise liefern. Und das würde sie tun. Das hatte sie sich ganz fest vorgenommen. Früher oder später würden die Okiya Geschwister einen Fehler machen und dann würde sie schon ihre Beweise finden. Spätestens dann musste er ihr endlich glauben. Doch so lange wollte sie nicht mehr wie nötig mit ihm sprechen.
 

Jeder Versuch von ihm ein Gespräch anzufangen, wurde bereits im Keim erstickt, indem Manami ihn ganz einfach ignorierte. Es war offensichtlich, dass sie es satt hatte. Takehito wusste... Sie war es einfach Leid von ihm behandelt zu werden wie ein kleines Kind. Aber das war überhaupt nicht seine Absicht. Er wollte sie in keinster Weise bevormunden. Im Gegenteil. Er wusste wie verantwortungsbewusst und erwachsen Manami für ihr Alter war. Er wollte sie einfach nur vor sich selbst und ihrer Angst schützen.
 

Doch Manami war eines klar geworden, seit sie gemeinsam mit Takehito in Kyoto lebte... Sie brauchte keinen Aufpasser oder Beschützer. Sie konnte ganz gut auf sich alleine aufpassen. Und wenn die schwarze Organisation sie ausfindig machen würde, könnte er ohnehin nichts gegen sie ausrichten. Egal was für Geschütze er auffahren würde... Gegen die Organisation wäre selbst er machtlos. Es gäbe absolut nichts, was er gegen sie und ihre dunklen Machenschaften tun könnte. Seine detektivischen Fähigkeiten mochten vielleicht überragend sein. Aber er war nicht Super Man. Gegen Gin und Wodka hätte selbst er nichts ausrichten können.
 

Aus einem ihr unerfindlichen Grund war sich das Mädchen diesbezüglich ganz sicher. Sie wusste es einfach.
 

Egal wie sehr er auch versuchen würde sie zu beschützen... Gin, Wodka oder gar ein anderes Mitglied der Organisation würden ihn ohne mit der Wimper zu zucken aus dem Weg räumen. Zumal sie es ja ohnehin schon auf ihn abgesehen hatten, ohne dass sie wussten, dass er es sich zur Aufgabe gemacht hatte Sherry, also sie, vor den Fängen der Organisation zu schützen.
 

Schon allein aus diesem Grund hielt es das junge Mädchen eigentlich für besser wenn dieser Krimifreak sich einfach aus ihren Angelegenheiten heraushalten würde. Lieber würde sie durch die Organisation sterben, als dass sie mit ansehen müsste, dass ihrem liebgewonnenen Freund etwas zustößt. Egal wie er sich in letzter Zeit ihr gegenüber verhielt... Takehito war einer ihrer besten Freunde, den sie mehr als ihr eigenes Leben liebte und schätzte. Um ihn in Sicherheit zu wissen, würde sie selbst den Tod in Kauf nehmen. Sie würde alles geben um ihn aus der ganzen Sache so gut es ging heraus zu halten.
 

Oft hatte sie schon über einige „Was wäre wenn..." Szenarien ihre Gedanken gemacht.
 

Vielleicht würde sich die Organisation zu gegebener Zeit dann sogar auf einen Deal einlassen.
 

Ihr Leben könnten sie haben unter der Bedingung, dass die Organisation Takehito und all die Menschen in ihrer Umgebung in Frieden leben lassen würden. Das wäre die einzige Bedingung, die das mutige Mädchen an diese Organisation stellen würde. Unter dieser Bedingung würde sie sich ohne zu überlegen in die Fänge der Organisation begeben. Ganz gleich was sie dann mit ihr anstellen würden. Ganz gleich ob sie sie am Leben lassen oder sie töten. Dieser Umstand würde für sie in dieser Situation keine Rolle spielen. Für sie hatten ihre Freunde und Familie oberste Priorität. Und deren Leben stellte sie sogar über ihr eigenes. Noch immer vertrat sie die Meinung, dass es ein guter Grund wäre anstelle eines geliebten Menschen zu sterben. So groß ihre Angst vor der Organisation auch war, in einem war sie sich immer noch zu hundert Prozent sicher... Zum Nutzen der Allgemeinheit würde sie mit Freude den Tod begrüßen.
 

Doch würde die Organisation sich überhaupt auf einen solchen Deal einlassen?
 

War sie überhaupt in der Position über eine solche Eventualität nachzudenken?
 

Wer weiß welchen Status Sherry in der Organisation hatte. Niemand wusste weshalb genau sie nach ihr suchten.
 

Würden sie überhaupt eine solche Bedingung akzeptieren, wenn sie von ihr käme?
 

Eigentlich eher unwahrscheinlich, wenn man in die Überlegung mit einbezog, dass es sich bei den Organisationsmitgliedern um skrupellose Kriminelle handelte. Wenn sie wirklich so weit verzweigt und bösartig waren, wie Takehito versucht hatte ihr klar zu machen, dann hatten sie es überhaupt nicht nötig sich auf eine derartige Bedingung einzulassen. Wenn in einem solchen Szenario jemand in der Position war irgendwelche Bedingungen zu stellen, dann war es ja wohl die Organisation. Manami war nichts weiter als ein Opfer. Auf welche Art und Weise auch immer.
 

Auf der anderen Seite war es vielleicht auch gar nicht so unwahrscheinlich.
 

Und je öfter Manami darüber nachdachte, desto plausibler klang es für sie.
 

Offensichtlich schien ihnen Sherry überaus wichtig zu sein. Aus welchen Gründen auch immer. Vielleicht sogar ja so wichtig, dass sie sich aufgrund dessen doch auf einen solchen Deal einlassen würden.
 

Doch sich darüber jetzt den Kopf zu zerbrechen war zwecklos. Sie konnte es nur probieren, sollte es zu einer derartigen Situation kommen. Noch schien die Organisation völlig ahnungslos über ihre Identität zu sein. Und so lange musste das junge Mädchen diesen Umstand zu ihrem Vorteil nutzen. Ganz gleich was Takehito auch dazu sagte...

Gefühlschaos und Alpträume

Bereits beim Frühstück bemerkte Takehito sofort Manamis Gedankenversunkenheit. Dass sie in ihren Gedanken versunken war, war in den letzten Tagen und Wochen nichts Ungewöhnliches für ihn. Seit das junge Mädchen und er in Kyoto waren und das scheinbar langweilige Leben von Yumi und Junichiro führten, war sie sehr oft in Gedanken versunken.
 

Und seit das Thema Subaru Okiya permanent zwischen ihnen stand noch viel mehr.
 

Doch an diesem Morgen war es irgendwie anders.
 

Schon nach dem Aufstehen machte sie einen völlig zerstreuten und gedankenverlorenen Eindruck. Essen wollte sie nichts... Und dann wäre sie auch beinahe, hätte er sie nicht nett darauf hingewiesen, in ihrem Schlafanzug zur Schule gegangen.
 

Etwas musste ihr wirklich zu schaffen machen. Zu gerne hätte Takehito sie gefragt. Doch er war sich nicht sicher ob sie ihm nach dem Streit gestern überhaupt antworten würde...
 

Auch auf dem Weg zur Schule hielt Manamis Schweigen und Gedankenversunkenheit an.
 

Der junge Meisterdetektiv wagte nicht sie anzusprechen. Aufgrund der letzten Ereignisse hielt er es für besser sie in Frieden zu lassen. Er wollte darauf warten, dass sie von selbst ihr Schweigen brach.
 

Doch als das junge Mädchen fast eine rote Ampel übersehen hätte, während sie so in Gedanken versunken war, begann er sich ernsthaft Sorgen zu machen. Noch bevor sie von einem der vorbeifahrenden Autos erfasst werden konnte, packte er sie geistesgegenwärtig unsanft am Arm und zerrte sie zurück auf den Fußweg. In diesem Moment fuhr Manami ein wahnsinniger Schreck durch ihre Glieder.
 

Aufgebracht rief Takehito: „Sag Mal, kannst du nicht etwas besser aufpassen?"
 

Zu Tode erschrocken riss sie sich von ihm los und brüllte: „Warum musst du mich so am Arm packen?"
 

Er sah sie verwundert an. Scheinbar hatte sie gar nicht mitbekommen was beinahe geschehen wäre. Offensichtlich hatte sie alles um sich herum völlig ausgeblendet.
 

Mürrisch entgegnete er: „Was ist los mit dir? Hast du das eben überhaupt nicht mitbekommen? Die Ampel war rot als du die Straße überqueren wolltest! Wenn ich dich nicht von der Straße gezogen hätte, wärst du wahrscheinlich von einem Auto angefahren wurden. Wäre dir das vielleicht lieber gewesen?"
 

Sie antwortete nichts. Ängstlich wandte sie ihren Blick von ihrem Freund ab. Nun war ihm erst recht klar, dass ihr irgendetwas zu schaffen machte. Doch was nur? Was war geschehen? Hatte er vielleicht irgendetwas übersehen?
 

„Ich halte es hier einfach nicht mehr aus. Das ist alles. Wenn ich könnte, würde ich sofort von hier verschwinden. Noch in diesem Augenblick. Naja, früher oder später wird das ohnehin passieren...", murmelte sie leise, aber auch mit einem traurigen Unterton in ihrer Stimme, vor sich hin.
 

Was war nur plötzlich ihr Problem? Es konnte nicht einzig und allein daran liegen, dass er ihr bezüglich Subaru Okiya keinen Glauben schenkte. Da musste noch etwas anderes dahinter stecken. Doch was nur? Vernebelten ihr so langsam die Gedanken an Subaru den Verstand?
 

Der wachsame Schülerdetektiv machte sich ernsthaft Sorgen um seine beste Freundin, die er aktuell überhaupt nicht mehr wieder erkannte. Machte sie nur wieder einen ihrer dummen Scherze oder meinte sie es dieses Mal wirklich ernst?
 

Takehito war sich nicht sicher.
 

Dieses Mädchen war für ihn in den letzten Tagen völlig unberechenbar geworden. Es war, als würde ein völlig anderer Mensch aus ihr werden... Als wäre sie nicht mehr Manami Saitou, sondern würde sich mit jedem Tag, der verging zu Yumi Hirofumi entwickeln.
 

Mit jedem Schritt kamen sie der Senshin Oberschule näher. Von weitem war schon das Gelächter der anderen Schüler zu hören.
 

Manami seufzte.
 

Nun war es, wie jeden Morgen, wieder an der Zeit die Maske von Yumi Hirofumi aufzusetzen. Jeden Tag fiel ihr das schwerer und jeder Tag unter diesem Pseudonym machte für sie die Situation unerträglicher. Sie fühlte sich nicht mehr als Mensch. Nein. Das war sie schon lange nicht mehr. Sie war nur noch eine Kunstfigur...
 

Mit jedem Schritt beobachtete Takehito Manami ganz genau. Wieder war sie völlig in Gedanken versunken.
 

Und dann sprach er ihr ganz plötzlich aus der Seele: „Pass auf, die Sache ist die... Ich gehöre nicht hier her."
 

Verwundert sah sie ihn an. Was faselte er plötzlich für einen Unsinn?
 

„Wie?", hakte sie schließlich nach.
 

„Ich gehöre nicht hier her und ich muss schnellstens von hier verschwinden, damit ich niemand anderen in die ganze Sache mit rein ziehe. Sowas in der Art hast du doch gerade gedacht, nicht wahr?"
 

Das junge Mädchen, sichtlich ertappt, antwortete nichts. Das einzige, was sie von sich gab, war ein klägliches Seufzen. Dieser Krimifreak kannte sie wohl doch besser als sie dachte und als es ihr lieb war. Mit seiner Vermutung hatte er natürlich direkt ins Schwarze getroffen. Als Detektiv machte man ihm bei seinen Schlussfolgerungen so schnell nichts vor. Was hätte sie ihm also antworten sollen? Er hatte sie ohnehin schon längst durchschaut.
 

Doch noch ehe sie etwas antworten konnte, fuhr er bereits fort: „Mach dir keine Sorgen. Es ist doch eigentlich nur ein böser Traum, dass eine schwarze Organisation ungehindert im Verborgenen ihren kriminellen Machenschaften nachgehen kann und im Zuge dessen nach einer harmlosen Mittelschülerin suchen. Ich kenne auch niemanden, der so etwas glauben würde. Das ist doch der absolute Irrsinn. Auf so eine abgedrehte Idee würde wirklich niemand kommen. Wir müssen uns einfach nur weiter an meinen Plan halten und das Leben von Yumi und Junichiro Hirofumi führen. Dann sind wir sicher. Manami Saitou und Takehito Akanishi befinden sich aufgrund eines Schüleraustausches in Amerika. So einfach ist das. Solange wir uns als Yumi und Junichiro unauffällig verhalten, wird niemand auch nur den geringsten Verdacht hegen. Und wenn es hart auf hart kommt, wird mir bestimmt irgendwas einfallen."
 

Während die beiden ihren Weg zur Schule fortsetzten, dachte Manami: „Du hast ja keine Ahnung, Takehito. Ich bezweifle, dass du mit denen alleine fertig wirst. Wir brauchen nur einmal nicht aufzupassen... Das könnte unser Ende sein... Ja... Wenn... Wenn sie uns suchen kommen... Wie in meinem Traum... Irgendwo... In dieser Stadt."
 

Nachdem Manami selbst nach Takehitos Ansage noch immer so tief in Gedanken versunken war, reichte es ihm. Er konnte sich dieses Theater nicht länger mit ansehen. Wenn sie etwas bedrückte, dann sollte sie ganz einfach mit ihm darüber reden.
 

„Darf ich mal erfahren, was mit dir los ist? So kenne ich dich ja gar nicht!"
 

Erneut hatte er sie damit aus ihren Gedanken gerissen. Nun endlich sah sie ihn an und murmelte: „Ich hatte einen Alptraum, und zwar letzte Nacht..."
 

„Was hast du geträumt?", hakte er neugierig nach, wobei er froh war, dass sie endlich darüber zu sprechen schien, was sie seit dem Aufstehen belastete.
 

„Naja, dass Gin mich auf dem Heimweg von der Schule abpasst. Danach drängte er mich in eine Seitenstraße ab. Und zuerst hat er auf dich geschossen... Und dann schoss er immer weiter... Und alle fielen um... Einer nach dem anderen... Und das nur, weil sie mit mir zu tun hatten. Vielleicht hätte sie mich damals gleich an Ort und Stelle erledigen sollen... Das hätte uns viele Komplikationen erspart."
 

Das betrübte Mädchen war ganz offensichtlich völlig am Ende mit den Nerven. Ihre Angst vor der Organisation war so schon groß genug. Doch dieser Traum hatte es noch einmal etwas schlimmer gemacht.
 

Am liebsten hätte sie alles hin geschmissen und sich freiwillig in die Fänge der Organisation begeben. So würde sie sich einiges Leid ersparen und hätte es endlich hinter sich. Sie hatte grenzenlose Angst. Angst vor der Organisation. Angst vor dem was sie erwartete, sollten sie sie jemals finden. Und vor allem hatte sie Angst vor der Wahrheit. Die Wahrheit darüber welche Verbindung sie zu einer solchen Verbrecherorganisation hatte. Sie waren nicht ohne Grund hinter ihr her. So viel stand fest. Ihr Interesse an Manami bzw. Sherry musste einen tieferen Grund haben. Wenn sie diesen Grund doch nur wüsste. Dann würde es die ganze Sache vielleicht schon viel einfacher machen.
 

Dass eine Organisation bestehend aus skrupellosen Kriminellen nach ihr suchte, war für sie nicht einmal das Schlimmste. Viel schlimmer war die Ungewissheit. Nicht zu wissen, weshalb sie von ihnen gesucht wurde, war für das junge Mädchen einfach unerträglich. Und einen weiteren bitteren Beigeschmack verursachte die unbeschreibliche Angst, die sie jeden Tag, bei jedem Schritt den sie tat, begleitete. Seit sie von der Organisation wusste und wusste, dass sie hinter ihr her waren und dass sie allem Anschein nach Sherry war, konnte sie keinen Tag mehr ohne Angst leben.
 

In den letzten Wochen durchlebte das junge Mädchen immer wieder eine Achterbahn der Gefühle.
 

Es gab Tage an denen hätte sie am liebsten alles hin geschmissen. Wo sie sich am liebsten freiwillig in die Fänge der Organisation begeben hätte, um es endlich hinter sich zu haben. Um dem ganzen Spuk endlich ein Ende zu setzen.
 

An anderen Tagen wiederrum fühlte sie sich so stark, dass sie immer wieder dachte es würde alles schon irgendwie gut werden. Alles würde sich zum Guten wenden und die Organisation würde nie herausfinden, dass sie Sherry ist.
 

Doch konnte sie sich da wirklich sicher sein?
 

Sie hatten wahrscheinlich gute Agenten in ihren Reihen, die spezialisiert auf Informationsbeschaffung waren. Es war nur eine Frage der Zeit ehe sie herausfinden würden, dass Manami Sherry war und dass sie sich ganz offensichtlich nicht in den USA aufhielt, auch wenn Takehito meinte, dass er dafür gesorgt habe, dass alle Spuren darauf hinwiesen.
 

Die Organisation war gerissen. Da war sie sich ganz sicher. Nicht ohne Grund konnten sie all die Jahre ihre Verbrechen im Verborgenen begehen, ohne auch nur eine einzige Spur für die Polizei zu hinterlassen.
 

Und wenn sie erst einmal herausfinden würden, dass sie sich gar nicht in den USA aufhielt, würde es auch nicht mehr lange dauern ehe sie ihre Fährte aufnehmen würden. Dann war es nur noch eine Frage der Zeit. Sie würden schneller als gedacht Takehitos Plan durchschauen. Yumi und Junichiro Hirofumi waren Kunstfiguren, die sich Takehito ausgedacht hatte, um den beiden etwas Zeit und Zuflucht zu verschaffen. Die beiden existierten gar nicht wirklich. Sie waren seiner Fantasie entsprungen. Man brauchte nur ein paar Nachforschungen anstellen und man würde sofort dahinter kommen, dass es sich bei den beiden um Manami Saitou und Takehito Akanishi handelte.
 

Und wenn die Organisation erst einmal so weit war... Dann wäre ohnehin alles vorbei. Selbst Takehito könne dann nichts mehr ausrichten.
 

Oder vielleicht doch?
 

Hatte er diese Möglichkeit eventuell schon in Betracht gezogen und sich für diesen Fall ebenfalls schon einen Plan zurecht gelegt? Zuzutrauen wäre es ihm. Aber warum sprach er darüber nicht mit ihr? Warum behielt er immer alles für sich? Sie wurde das Gefühl nicht los, dass dieser Detektivspinner gewisse Sachen für sich behielt und ihr ganz bewusst nicht alles erzählte was er wusste. Doch warum nur?
 

Konnte sie ihm wirklich blind vertrauen?
 

Momentan hatte sie eigentlich keine andere Wahl. Von all diesen Gedanken war sie in den letzten Wochen geplagt.
 

Und als wäre das nicht schon schlimm genug gewesen, kam auch noch Subaru Okiya hinzu und brachte zunehmend ihre Gedanken noch mehr durcheinander. Er machte das Chaos in ihrem Kopf perfekt. Wieso verschwendete sie überhaupt nur einen einzigen Gedanken an ihn? Er konnte ihr doch völlig egal sein. Aber das war er nicht. Und das verwirrte sie noch viel mehr. Es musste einen Grund haben, weshalb sich das Mädchen so sehr zu ihm hingezogen fühlte. Vielleicht hatte er etwas mit ihrer Vergangenheit zu tun. Wenn dem so war, dann konnte er ihr auch sicher Antworten auf ihre Fragen geben. Sie musste es herausfinden. Ein Versuch war es jedenfalls wert. Mehr wie schief gehen konnte es ja nicht. Möglicherweise würde sie dann endlich auch ihr Gefühlschaos in den Griff bekommen...

Gegen die eigene Angst

Manami musste endlich etwas unternehmen. Ansonsten würde sie wahrscheinlich noch verrückt werden. Auf Takehito brauchte sie nicht zählen. Er schenkte ihren Worten ja ohnehin keinen Glauben. Also musste sie nun selbst aktiv werden, um diesen Spuk ein für alle Mal beenden zu können.
 

Und sie war sich sicher, dass die Okiyas eine verdammt heiße Spur waren. Sie klammerte sich an die Hoffnung, dass einer von ihnen mehr über ihre Verbindung zur Organisation wissen könnte.
 

Hoffnung...
 

Das war das Einzige, was ihr in den letzten Wochen geblieben war. Die Hoffnung, dass früher oder später sich das Blatt wenden würde und sie endlich wieder in Frieden leben könnte. Ohne Angst an jeder dunklen Straßenecke auf Gin zu stoßen.
 

Gin...
 

Immer wieder dachte sie über diesen Codenamen nach. Er war derjenige gewesen, der damals auf dem Beifahrersitz des Porsche 356 A saß und dessen jadegrünes eiskaltes Augenpaar ihr eine Angst bescherte, die sie zuvor noch nie gefühlt hatte. Dieser Hut... Das lange silberne Haar... Sie konnte sich noch ganz genau daran erinnern wie er ausgesehen hatte. Diesen Anblick würde sie wohl nie mehr vergessen. Seit diesem Tag erschien er ihr fast täglich in ihren Alpträumen. Allein aus diesem Grund würde sie ihn wohl nie vergessen können. Aber da war noch etwas anderes... Etwas, was ihr noch viel mehr Angst machte. Je mehr sie über Gin nachdachte, desto vertrauter wurden ihr dieser Gedanke und auch dieser Mensch. Irgendwie kam er ihr vertraut vor. Es war als würde sie diesen Menschen kennen. Und das lag keineswegs daran, dass sie ihm bereits zuvor im Disneyland begegnet war. Das war es nicht. Da war etwas anderes. Etwas, das sie sich absolut nicht erklären konnte. Sie musste ihn von irgendwo her kennen. Sie wusste wie gefährlich dieser Mensch war. Sie vermutete es nicht... Nein... Sie wusste es. Und das ließ nur einen einzigen Schluss zu... Gin hatte etwas mit ihrer Vergangenheit zu tun. Sie musste ihn zwangsläufig aus ihrer Kindheit in Kyoto, an die sie sich noch immer nicht erinnern konnte, kennen. Und die logische Schlussfolgerung daraus war, dass sie tatsächlich etwas mit der Organisation am Hut gehabt haben musste. Das war die einzig logische Erklärung. Doch warum konnte sie sich an nichts erinnern? Ganz gleich wie sehr sie es auch versuchte... Es gab nichts an das sie sich erinnern konnte. Rein gar nichts. Sie musste endlich herausfinden welche Verbindung sie zur Organisation hatte. Nur dann könnten sie und Takehito ernsthaft über ihre nächsten Schritte nachdenken.
 

Doch noch ehe sie sich weiter ernsthaft Gedanken darüber machen konnte, kamen die beiden Teenager an der Senshin Oberschule an. Jetzt war sie wieder Yumi Hirofumi. Eine Kunstfigur ohne Vergangenheit, ohne Gefühle, ohne Zukunft.
 

„Yumi! Junichiro! Guten Morgen!", brüllte ihnen Kaito beim Betreten des Schulgeländes fröhlich entgegen.
 

Sofort gesellten sich die beiden zu ihren neuen Freunden. Manami eher widerwillig als freiwillig. Aber Takehito hatte ihr unmissverständlich klar gemacht, dass sie sich wie ein ganz normales Mädchen benehmen solle. Und dazu gehörte nun mal auch, dass man an einer neuen Schule Freundschaften schloss.
 

Es war keineswegs so, dass sie Kaito, Aoko, Akako und Saguru nicht mochte. Im Gegenteil. Die vier waren ihr eigentlich recht sympathisch und hätten sie sich unter anderen Umständen getroffen und kennen gelernt, hätten sie wirklich gute Freunde werden können. Aber aufgrund der Situation, in der sie sich und auch dieser Detektivspinner derzeit befanden, wobei letzterer das offensichtlich gut zu verdrängen schien, konnte und wollte sie keine ernsthafte Freundschaft zu ihren Klassenkameraden aufbauen. Irgendetwas in ihr sträubte sich dagegen. Sie hatte einfach das Gefühl, dass es nicht richtig war. Was hätte diese Freundschaft auch für einen Wert gehabt. Sie hätte einzig und allein auf Lügen basiert. Und das widerstrebte dem grundehrlichen Mädchen zutiefst. Allein aus diesem Grund wehrte sie sich gegen diese Freundschaft. Takehito hingegen schien das keineswegs zu stören. Er spielte seine Rolle als Junichiro Hirofumi gerade zu perfekt. Niemand würde auf die Idee kommen, dass er nicht der war, der er vorgab zu sein.
 

„Ihr seid heute aber ganz schön spät dran. Wir dachten schon ihr würdet heute gar nicht kommen? War etwas?", riss Aoko sie aus ihren Gedanken.
 

Das junge Mädchen schüttelte den Kopf. Der Schreck darüber, dass sie, während sie so tief in ihren Gedanken versunken war, beinahe von einem Auto erfasst wurde, saß immer noch tief. Auch den Alptraum von Gin letzte Nacht konnte sie einfach nicht vergessen. Egal wie sehr sie auch versuchte es auszublenden... Es wollte ihr einfach nicht gelingen.
 

Dennoch machte sie gute Miene zum bösen Spiel, versuchte ihre wahren Gefühle zu überspielen und erwiderte: „Nicht der Rede wert. Wir sind ja jetzt da."
 

Sie wusste, dass ihr Antwort Aoko durchaus vor den Kopf stieß, aber was hätte sie ihr denn auch sagen sollen? Dass sie in der Nacht von Alpträumen geplagt war und auf dem Weg zur Schule beinahe von einem Auto angefahren wurde? Mit dieser Antwort allein hätte Aoko sich ohnehin nicht zufrieden gegeben. Dann wären ihr wahrscheinlich noch viel unangenehmere Fragen in den Sinn gekommen, auf die sie ohnehin nicht hätte Antworten können. Deshalb erschien ihr diese Reaktion am sinnvollsten, auch wenn das bedeutete Aoko so vor den Kopf zu stoßen.
 

Noch ehe Aoko erneut die Möglichkeit hatte den Versuch zu unternehmen sie in ein Gespräch zu verwickeln, ergriff bereits Kaito das Wort. Er war zwar ein Plappermaul und redete permanent wie ein Wasserfall, aber er hatte auch durchaus das Talent geschickt das Thema zu wechseln, ohne dass es groß auffiel.
 

„Sagt mal Leute, ist euch eigentlich schon aufgefallen, dass die Okiyas noch gar nicht da sind?"
 

Als das junge Mädchen realisierte, was Kaito gerade gesagt hatte, hatte er sie direkt in seinen Bann gezogen. Mit diesem Thema konnte man sie sofort aus all ihren Gedanken reißen. Hastig sah sie sich um. Kaito hatte Recht. Sie waren nirgends zu sehen. Das war wirklich ungewöhnlich. Zu dieser Uhrzeit hätten sie schon längst dort sein müssen. Der Unterricht würde in wenigen Minuten beginnen.
 

„Wer weiß, vielleicht haben sie einfach verschlafen und kommen heute einfach nur etwas später. Das kann ja mal passieren.", versuchte Takehito die Situation herunter zu spielen.
 

Er hoffte inständig, dass er Recht behalten würde. Er wusste, wenn die Okiyas nicht auftauchen würden, dass Manami sich wieder irgendwelche Hirngespinste zusammen reimen würde.
 

„Oder sie sind sich einfach zu fein zum Unterricht zu erscheinen. Ich meine... Nötig hat es von ihnen niemand. Jeder von ihnen hat einen Einser Durchschnitt. Sie sind wahre Wunderkinder. Außerdem fällt es doch ohnehin kaum auf, dass sie nicht da sind. Sie reden doch eh mit niemanden von uns Normalos. Sie sind halt was Besseres.", sprach Akako mürrisch.
 

Es war unschwer zu erkennen, dass sie nicht gut auf die Okiyas zu sprechen war. Sie hasste diese verkörperte Perfektion dieser Familie.
 

Ohne weiter auf dieses Thema einzugehen, betraten die sechs Schulkameraden nun endlich das Schulgebäude und begaben sich zu ihrem Klassenzimmer.

Immer mehr Merkwürdigkeiten

Das ertönen der penetranten Schulglocke symbolisierte den Beginn der ersten Unterrichtsstunde. Für Manamis und Takehitos Klasse wäre dies Englisch gewesen. Doch ihre Klassenlehrerin, Jodie Saintemillion, ließ heute auf sich warten.
 

Manami wurde skeptisch.
 

Das war völlig untypisch für sie. Seit das junge Mädchen die Senshin Oberschule besuchte, gab es keine einzige Unterrichtsstunde zu der Miss Saintemillion zu spät gekommen war. Sie kam ins Grübeln. Was hatte das alles nur zu bedeuten?
 

Erst die Sache mit Subaru, der seit Wochen dem Unterricht fern blieb. Und jetzt auch noch die Okiyas und Miss Saintemillion? Das konnte doch alles kein Zufall mehr sein. Was hatte das alles nur zu bedeuten?
 

Sie war sich sicher... Ihr Fernbleiben musste einen Grund haben.
 

Sie überlegte fieberhaft welche Verbindung Jodie Saintemillion und die Okiyas haben könnten. Sie mussten in irgendeiner Art und Weise eine Verbindung zu einander haben. Anders konnte sie sich nicht erklären weshalb sie zufällig am selben Tag nicht zum Unterricht erschienen.
 

Das junge Mädchen bekam Angst.
 

Hatte sie vielleicht die ganze Zeit mit ihrer Vermutung Recht gehabt? Waren die Okiyas wirklich Mitglieder der schwarzen Organisation? Und ihre Klassenlehrerin Miss Saintemillion vielleicht sogar auch? War das der Grund weshalb sie heute alle nicht zum Unterricht erschienen? Vielleicht hatten sie die beiden Teenager schon längst durchschaut und sie überlegten sich nun gemeinsam mit anderen Agenten der Organisation ihre nächsten Schritte. Wohlmöglich überlegten sie sich gerade in diesem Augenblick wie sie Manami unbemerkt entführen könnten.
 

Panik stieg in ihr auf.
 

Was war wenn sie bereits auf sie lauerten. Wenn sie sie auf dem Heimweg von der Schule abpassen würden? So wie in ihrem Alptraum letzte Nacht. Das wäre doch die passende Gelegenheit für die Organisation. Und das ängstliche Mädchen hatte keine Ahnung was sie dann tun würde.
 

Und viel schlimmer war noch, dass Takehito auch dabei wäre. Wieder kamen ihr die Bilder aus ihrem Traum in den Sinn... Wie Gin einfach auf ihn geschossen hatte und dieser einfach umfiel. Sie schüttelte ihren Kopf. Nein!
 

Das durfte sie auf keinen Fall zulassen.
 

Ihr Schicksal war ihr egal. Sie würde auch nicht davon laufen. Wenn Gott es so wollte, dass die Organisation sie findet und richtet, dann war das ganz einfach so. Dann musste sie dieses Schicksal wohl oder übel akzeptieren. Es würde schon seinen Grund haben, dass für sie ein solches Schicksal vorgesehen war. Aber sie wollte auf keinen Fall, dass Takehito in die ganze Sache mit hinein gezogen werden würde.
 

Aber wie sollte sie ihn auf dem Nachhauseweg nur abwimmeln? Dieser Detektivspinner würde doch sofort Lunte riechen. Für ihn wäre unverzüglich klar, dass sie etwas zu verheimlichen hatte. Und dann würde er sich gar nicht mehr abwimmeln lassen, egal wie sehr sie es auch versuchen würde.
 

Unterdessen war sie so tief in ihren Gedanken versunken und bemerkte dabei nicht einmal, dass sie am ganzen Körper begann zu zittern wie Espenlaub. Die Angst davor jemanden von der Organisation in die Hände zu fallen und dabei wohlmöglich nicht nur ihr Leben sondern auch das von Takehito auf dem Spiel stand, breitete sich in ihrem Körper aus und ließ sie erzittern.
 

Von all dem bekam sie gar nichts mit. Zu sehr war sie in ihren Gedanken versunken. Als sie dann urplötzlich eine Hand auf ihrer Schulter spürte, fuhr sie zusammen. Ein wahnsinniger Schreck ließ sie förmlich erstarren. Ihr Herz blieb für Sekunden stehen.
 

Erst als sie bemerkt, dass Takehito sich neben sie setzte und offensichtlich derjenige gewesen war, der seine Hand auf ihre Schulter gelegt hatte, beruhigte sie sich allmählich. Schon wieder war es lediglich Takehito gewesen. Wenn diese ganze Sache mit der Organisation nicht bald ein Ende finden würde, würde sie noch verrückt werden. Sie war in den letzten Wochen so schreckhaft geworden. So kannte sie sich selbst gar nicht. Sie war sich so fremd geworden. Und das machte ihr Angst. Könne sie, selbst wenn das alles ein gutes Ende nehmen sollte, je wieder sie selbst sein? Könne sie je wieder Manami Saitou sein, so wie sie jeder kannte und mochte? Oder begann sie sich ganz unbewusst zu jemand anderen zu entwickeln?
 

"Was ist denn nur los mit dir? Dein Gesicht ist kreidebleich. Man könnte fast meinen du hättest ein Gespenst gesehen.", flüsterte Takehito ihr besorgt zu, nachdem er sich neben sie gesetzt hatte.
 

Erst jetzt bemerkte das Mädchen, dass noch immer kein Lehrer aufgetaucht war und das Getuschel unter den Schülern immer lauter wurde. Hastig sah sie auf und ihrem besten Freund direkt in seine braunen Augen. Der Blick in seine haselnussbraunen Augen machte ihr noch einmal klar, dass sie ihn um nichts in der Welt in die ganze Sache mit hinein ziehen wollte. Er hatte doch rein gar nichts mit der Organisation am Hut. Warum solle dann also ausgerechnet er darunter leiden. Es war ja eigentlich nur ein dummer Zufall gewesen, dass die beiden sich kannten. Ja genau. Hätte das Schicksal die beiden nicht dummerweise zusammen geführt, wäre er wahrscheinlich nie mit der Organisation in Verbindung geraten. Und hätte sie damals nicht darauf bestanden mit ihm das Disney Land zu besuchen, wäre er ihnen wohlmöglich auch nie über den Weg gelaufen. Das alles geschah einzig und allein ihretwegen. Sie würde es sich niemals verzeihen, würde ihm etwas zustoßen. Er war keineswegs jemand der den Tod verdient hatte. Er tat nur Gutes. Er machte die Welt mit seinen detektivischen Fähigkeiten ein Stückchen besser. So jemand sollte nicht einem solchen Schicksal zum Opfer fallen.
 

Allmählich normalisierte sich ihr Puls wieder. Einerseits war sie erleichtert, dass es lediglich Takehito gewesen war, der ihr diesen Schrecken bereitet hatte, andererseits war sie kurz vor einem Herzinfarkt gewesen. Sie dachte wirklich Gin stünde hinter ihr und ihr letztes Stündlein hätte geschlagen. Langsam aber sicher wurde sie wirklich paranoid. Es war bereits so weit, dass sie an jeder dunklen Straßenecke jemanden von den Männern in schwarz vermutete und quasi minütlich damit rechnete von ihnen geschnappt zu werden.
 

"Hallo? Erde an Yumi!", verlieh er seiner Frage noch einmal Nachdruck.
 

Das junge Mädchen schluckte ihre Angst herunter, atmete merklich einmal tief ein und aus und überlegte kurz. Sie durfte sich jetzt bloß nichts anmerken lassen.
 

"Es ist alles in bester Ordnung. Mir ist nur etwas übel. Das ist alles."
 

Mit einem künstlich aufgesetzten Lächeln versuchte sie so überzeugend wie nur möglich zu wirken. Dass sich dieser Krimifreak davon nicht überzeugen lassen würde, hätte ihr eigentlich von vorn herein klar sein müssen. Skeptisch sah er sie an. Sie war noch immer kreidebleich im Gesicht. Aber allein die Tatsache, dass sie ihm nicht in die Augen sehen konnte, bestätigte ihn in seiner Vermutung, dass sie ihn angelogen hatte.
 

Aber anstatt sie direkt darauf anzusprechen, sprach er: „Jetzt pass mal auf, Yumi. Du brauchst keine Angst haben. Ich bin immer für dich da. Hörst du? Ich werde unter gar keinen Umständen zulassen, dass dir etwas passiert. Solange ich lebe, werde ich es auf gar keinen Fall zulassen, dass irgendjemand aus dieser Organisation dir auch nur ein Haar krümmt. Ganz egal was auch geschehen mag."
 

Sie seufzte.
 

Das war doch genau das was sie nicht wollte, was sie unter allen Umständen verhindert wollte. Er hatte ihr ja bereits mehr als einmal klar gemacht, dass er sie unter Einsatz seines Lebens beschützen würde. Allerdings machte es auch keinen Sinn ihn davon zu überzeugen sich aus der ganzen Angelegenheit heraus zu halten. Er würde sich ohnehin nicht davon überzeugen lassen. Da hatte dieser fanatische Detektiv seinen ganz eigenen Kopf. Wenn er sich erst einmal etwas in den Kopf gesetzt hatte, dann war er nur schwer wieder davon abzubringen. Da waren die beiden Teenager sich wirklich ähnlich. Wahrscheinlich war das auch der Grund, weshalb sie sich von Anfang an so gut verstanden hatten. Aber genau deshalb konnte sie ihm auch gar nicht böse sein. Sie war ja selbst nicht besser. Sie ließ sich von ihm ja auch nicht davon überzeugen sich von der Familie Okiya fern zu halten.
 

Doch noch ehe er weiter auf dieses Thema eingehen konnte und sie mit weiteren unangenehmen Fragen löchern konnte, öffnete sich ruckartig die Klassenzimmertür. Hastig begaben sich die Schüler wieder auf ihre Plätze und plötzlich war es totenstill im Raum. Erschien Miss Saintemillion nun doch noch zum Unterricht?
 

Hoffnungsvoll blickte das verängstigte Mädchen zur Klassenzimmertür. Doch ihre Hoffnung wurde jäh zerschlagen, denn es war keineswegs Jodie Saintemillion, die in der Tür stand. Es war Frau Kobayashi, die Klassenlehrerin des 2. Jahrgangs der Oberstufe, die in das Klassenzimmer trat. Direkt begannen die Schüler rings herum wieder zu tuscheln.
 

Doch recht schnell verschaffte Frau Kobayashi sich Gehör: „Könnte ich um Ruhe bitten?"
 

Schlagartig waren die Schüler wieder still und lauschten aufmerksam den Worten von Frau Kobayashi.
 

„Ihr habt sicherlich schon gemerkt, dass Miss Saintemillion heute nicht zum Unterricht erschienen ist. Sie hat sich soeben krank gemeldet. Sie hat uns allerdings zugesichert morgen wieder wie gewohnt zum Unterricht zu erscheinen. Da es uns nicht möglich war auf die Schnelle einen Vertretungslehrer zu organisieren, fällt der Englischunterricht heute für euch aus. Ich möchte euch allerdings bitten euch ruhig zu verhalten und nicht die anderen Klassen beim Unterricht zu stören. Außerdem wurden auch die Okiya Geschwister heute von ihrem Pflegevater entschuldigt. Sie werden heute nicht zum Unterricht erscheinen. Das war es von meiner Seite aus. Ich lass euch jetzt wieder allein."
 

Genau so schnell wie sie gekommen war, verließ Frau Kobayashi auch schon wieder das Klassenzimmer und überließ den Schülern sich selbst. Sofort begann wieder das Getuschel unter ihnen. Takehito saß noch immer neben Manami. Aufmerksam musterte er seine Freundin. Natürlich spürte sie seine Blicke, aber sie konnte ihre Angst nicht verbergen. Die Gewissheit, dass sowohl Jodie Saintemillion als auch die Okiya Geschwister heute nicht zum Unterricht erscheinen würden, ließ in ihr wieder die Angst hoch kommen. Warum meldeten sie sich ausgerechnet heute alle krank? Sie sah schon ihr Ende nahen. Ihr Alptraum von letzter Nacht war wohl eine Art Vorahnung gewesen. Sie konnte jetzt nur noch dafür sorgen, dass Takehito in die ganze Sache nicht noch weiter mit hineingezogen wird.
 

„Schon ziemlich merkwürdig, findet ihr nicht auch?", ertönte die Stimme von Akako.
 

Aoko fügte hinzu: „Ja, finde ich allerdings auch. Erst Subaru, der es schon über Wochen nicht für nötig hält zum Unterricht zu erscheinen und jetzt auch noch seine Geschwister und Miss Saintemillion, die urplötzlich nicht mehr zum Unterricht erscheinen. Und wenn ich ehrlich bin, habe ich Dr. Okiya heute auch noch nicht gesehen. Was stimmt bloß mit dieser Familie nicht?"
 

„Vielleicht machen sie ja einen fröhlichen Familienausflug.", stieß Kaito ironisch hervor und begann im selben Atemzug selbst über seinen Satz zu lachen.
 

Erst jetzt bemerkte Manami, dass die drei sich zu ihr und Takehito gesellt hatten. Das gefiel ihr gar nicht. Konnte sie nicht einfach mal einen Augenblick etwas Zeit für sich haben. Es gab wichtigeres als sich über solch belanglosen Kram Gedanken zu machen. Das junge Mädchen hatte ganz andere Probleme. Probleme von denen die drei nicht einmal im Geringsten etwas ahnten.
 

In einer Sache musste sie Aoko und Akako allerdings zustimmen... Das Ganze war wirklich merkwürdig und wurde für sie auch immer merkwürdiger. Sie musste der Sache endlich auf den Grund gehen. Spekulationen brachten sie nicht weiter. Sie hatte sich auch schon recht schnell einen Plan zurecht gelegt...

Manamis Plan

Bis zur Mittagspause sprach Manami kein einziges Wort. Der Unterricht zog an ihr vorbei. Nichts um sich herum bekam sie so wirklich mit. Sie war tief in ihren Gedanken versunken. Irgendwie musste sie Takehito loswerden. Um ihren Plan in die Tat umzusetzen, musste sie ihn irgendwie loswerden. Sollte er nur den geringsten Verdacht bezüglich ihrem Vorhaben bekommen, würde ihr Plan nicht funktionieren. Ihr war klar, dass er sie davon abhalten wollen würde.
 

Als die Schulglocke läutete, sprangen alle Schüler von ihren Plätzen auf und begaben sich zur Kantine. Manami hingegen blieb wie angewurzelt auf ihrem Platz sitzen.
 

„Sag mal, willst du hier Wurzeln schlagen?", ertönte Takehitos Stimme.
 

Er wartete offensichtlich darauf, dass sie ihn zur Kantine begleitete.
 

„Ich habe keinen Hunger. Ich sagte doch bereits, dass es mir nicht gut geht.", entgegnete sie monoton.
 

„Dann bleib ich auch hier.", kam es direkt von ihm.
 

War ja klar. Wäre auch zu einfach gewesen ihn auf diese Art irgendwie los zu werden.
 

Ahnte er bereits etwas?
 

Nein.
 

Manami hatte den ganzen Tag nicht viel zu ihm gesagt. Sie hatte auch krampfhaft versucht keinen Verdacht zu erregen. Aber vielleicht war genau das der Grund. Vielleicht hatte gerade der Versuch keinen Verdacht zu erregen erstrecht Verdacht erregt.
 

Sie seufzte.
 

„Ich würde einfach gern mal etwas allein sein, Junichiro. Ich wäre dir wirklich dankbar, wenn du mich wenigstens für ein paar Minuten allein lassen könntest. Ginge das?", bat sie ihn inständig.
 

Sie hoffte, dass er ihr wenigstens dieses eine Mal diese Bitte nicht abschlug.
 

„In Ordnung. Wenn irgendetwas ist, dann weißt du wo du mich findest.", erwiderte er ganz ruhig.
 

Hatte sie sich gerade verhört? War dieser Detektivspinner gerade wirklich auf ihre Bitte eingegangen?
 

Überrauscht sah sie auf.
 

Widererwarten verließ er das Klassenzimmer und ließ das junge Mädchen allein. Er hatte sich vorgenommen ihr zu vertrauen. Was hätte auch passieren sollen? Die Okiyas waren heute nicht da. Also konnte sie auch keinen Blödsinn machen. Also konnte er seine Freundin auch getrost mal für ein paar Minuten unbeaufsichtigt lassen. So dachte er zumindest.
 

Dabei hatte er allerdings die Rechnung ohne Manami gemacht.
 

Diese witterte nämlich nun endlich ihre Chance.
 

Es war einfacher als gedacht gewesen den selbsternannten Schülerdetektiv los zu werden. Scheinbar hatte er wirklich nicht mitbekommen, dass sie einen Plan hegte. Sie war ein wenig stolz auf sich. Sie hatte nicht gedacht, dass es ihr gelingen würde ihn zu täuschen. Aber scheinbar war sie im Lügen mittlerweile besser als sie dachte. Obwohl es ja eigentlich auch kein Wunder war. In den letzten Wochen tat sie nichts anderes als Tag ein Tag aus zu lügen. Logisch, dass man in etwas, was man jeden Tag tut, mit der Zeit immer besser wurde.
 

Jetzt musste es allerdings schnell gehen. Die Mittagspause ging schließlich nicht ewig. Und sobald die Pause vorüber war, würde er es merken. Also brauchte sie einen Vorsprung.
 

Hastig packte sie ihre Sachen zusammen, schnappt sich ihre Tasche und rannte aus dem Klassenzimmer, hinaus auf den Flur.
 

Doch soweit sollte sie erst gar nicht kommen, denn als sie hinaus auf den Flur rannte, stieß sie mit einem ihrer Mitschüler zusammen. Mit einem Ruck fielen beide zu Boden. Obwohl sie nun schon eine Weile diese Klasse besuchte, konnte sie sich beim Besten Willen nicht an seinen Namen erinnern. Sie war ja nur froh, dass es nur ein Klassenkamerad war und nicht Takehito, der zurückgekommen war, weil er Verdacht geschöpft hatte. Langsam richteten sich die beiden wieder auf.
 

„Tut mir leid, ich hätte etwas besser aufpassen müssen. Hast du dir wehgetan?", sprach der Junge ganz aufgeregt.
 

Manami schüttelte den Kopf. Scheinbar verbrachte der Junge seine Mittagspausen immer im Klassenzimmer. Jedenfalls hatte sie ihn noch nie in der Kantine gesehen. Das würde auch erklären, weshalb er absolut nicht damit rechnete, dass ihm jemand aus dem Klassenzimmer entgegen gerannt kommen würde.
 

„Nanu? Was willst du denn mit deiner Tasche?", riss der Junge sie aus ihren Gedanken.
 

Verdammt.
 

Jetzt musste sie sich irgendetwas einfallen lassen. Schließlich sollte er nicht gleich zu Takehito rennen und ihm Bescheid geben. Das hätte ihren ganzen Plan ruiniert.
 

Nervös stotterte sie hervor: „Also... Ich... Ähm... Naja... Mir geht's heute nicht so gut. Ich wollte eigentlich zu Dr. Okiya, aber scheinbar ist er heute gar nicht hier. Ich werde mich zu Hause etwas aufs Ohr hauen. Morgen wird es mir dann schon wieder etwas besser gehen. Junichiro weiß bereits Bescheid."
 

Bevor sie dieser Junge mit weiteren Fragen löchern konnte, machte sich Manami auf den Weg. Sie konnte jetzt nur hoffen, dass er ihr glauben würde und nicht direkt zu ihrem vermeintlichen Bruder gehen würde, um ihm davon zu berichten.
 

Als sie aus der Sichtweite des Jungens war, nahm sie die Beine in die Hand und rannte.
 

Es war zwar nicht die feine englische Art ohne sich bei einem Lehrer abzumelden die Schule zu verlassen und damit eigentlich den Unterricht zu schwänzen, aber das war ihr in diesem Moment völlig egal.
 

Was sollte schon passieren? Ein Brief an ihre Eltern? Zwecklos. Yumi war eine Kunstfigur, die keine Eltern oder andere Familienmitglieder hatte. Was sollte also schon groß passieren...



Fanfic-Anzeigeoptionen

Kommentare zu dieser Fanfic (2)

Kommentar schreiben
Bitte keine Beleidigungen oder Flames! Falls Ihr Kritik habt, formuliert sie bitte konstruktiv.
Von:  Kyubi0
2019-02-05T20:56:41+00:00 05.02.2019 21:56
Hey, du bist ja auch hier, Hallo Frau Kollegin, freut mich dich hier anzutreffen :D <3
Sehr coole Story, an alle anderen da draußen !
Antwort von:  ManamiSaitou
18.02.2019 16:46
Hey <3 Freut mich, dass du auch hier bist. Das ist ja ein Zufall :D
Antwort von:  Kyubi0
23.02.2019 02:46
Ist halt eine classic Seite für FanFictions 😁


Zurück