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Einzelposting: Selbstbewusstsein?


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Von:   abgemeldet 13.02.2018 10:40
Betreff: Selbstbewusstsein? [Antworten]
Leider herrscht viel Uneinigkeit darüber, was nun Selbstbewusstsein eigentlich ist. Oft wird es verwechselt mit Selbstsicherheit und sozialer Sicherheit. Viel mehr ist Selbstbewusstsein der Zustand, in dem man sich seiner Selbst bewusst ist. Das führt auch nicht automatisch zum Verlust der Schüchternheit oder zum Erstarken von sozialer Interaktion nach außen. Dazu gleich mehr.

Sich selbst bewusst zu sein, bedeutet, zu wissen, was man ist, wo man hin steuert, was man will. Einfach ausgedrückt: Man nimmt wahr, was einen ausmacht.

Als ich damals immer öfter Probleme in meinem sozialen Umfeld bekam, da ich mich extrem schüchtern verhielt, dachte ich natürlich, dass mit mir etwas nicht stimmt. Ich verstrickte mich in die absurdesten Geschichten und Lügen, nur um irgendwie von der einen oder anderen Person gemocht zu werden.

Dann aber verließ ich meine Ex-Freundin. Mir wurde bewusst, dass ich etwas in meinem Leben ändern muss. Ich dachte nach und nach und las Bücher, die mehr oder minder abgedreht sind. Bis auf zwei-drei Ausnahmen half mir das alles aber nicht. Erst bestimmte Worte aus einem Buch in Verbindung mit einer mir eher unbekannten Person lösten etwas in mir aus.

Ich bin schüchtern und will das ändern. Warum will ich das ändern? Warum will ich mich selbst verdrehen. Bin ich etwa fehlbar, nur weil ich schüchtern bin, lieber zuhöre, beobachte und objektiv urteile, hinterfrage, kritisch bin, es aber nicht jedem auf die Nase drücke? Lieber nachdenke, als alles auszuplaudern?

Ich wurde mir bewusst, dass die Zurückgezogenheit meine Charaktereigenschaft ist. Und ich Idiot wollte sie auslöschen. Von der Grundschule an. Ich verstand: Es ist viel effektiver, seine Eigenschaften anzunehmen. Es ist auch okay, wenn man Fehler hat. (Fehler im Sinne von externer Wahrnehmung) Sie gehören zu einem. Mein gefühlter Fehler war, dass ich mich in Gesprächen wie ein Trottel fühlte. Und wie ein Trottel sprach ich dann auch. Kennt ihr das, wenn ihr im Schlaf, anfangt zu sabbern? Ich dachte, ich sehe so aus beim Sprechen.

Ich ging einen Schritt weiter: Was bin ich? Ich bin ein Einsiedler. Ich fühle mich ohne den Lärm der Menschen, ohne ihre ständigen Streits und ihre Wut auf ihre eigene Unzulänglichkeiten, viel wohler. Überall der Krach der Straßen, ständig nur das neueste Videospiel, Auto, Wohnung, Beruf. Immer nur das Beste. Und vor allem immer ernst sein! Wir Deutschen sind ja ein Paradebeispiel für ständigem kritisieren auf ernster Ebene.
All das brauche ich nicht. Was ich möchte, ist es, zurückgezogen zu leben. Das heißt ja nicht, dass ich komplett auf soziale Kontakte verzichte. Die, die mit mir reden, sagen mir nun aber immer wieder offen ins Gesicht, wie ausgeglichen auf sie wirke. Nanu? Ausgeglichen? Ich? Wo ich doch früher eine emotionale Zeitbombe war? Es muss also irgendwie richtig sein.

Zu mir und all den anderen, die darüber klagen, gehört also die Schüchternheit. Was wir als unsere Fehler ansehen, ist ein Teil unserer Selbst. Und wenn wir dem bewusst werden, können wir es als Werkzeug, manchmal sogar als Waffe verwenden.

Ist man sich selbst bewusst, wird man selbst auch sicherer. Man weiß, was man ist, also weiß man auch, wo man hin will. Stolpersteine werden dann nicht mehr aus dem Weg geräumt. (Was übrigens viel mehr Kraft kostet. Es ist, als würde man tatsächlich Steine räumen. Es kostet darüber hinaus auch Zeit und Geld und ihr braucht eine Halde, wo ihr die Steine hinbringt)
Im Gegenteil: Man weiß nun, wie man die Steine umgehen kann oder stolpert ganz bewusst darüber, damit man nämlich lernt, dass sie auf dem Weg zum Ziel liegen. Denn die Steine werden immer größer. Je öfter wir stolpern, desto besser wissen wir, wie wir den Sturz abfangen können. Es tut am Anfang weh, aber dafür gibt's Hello Kitty-Pflaster.

Das nennt man Sicherheit.

Selbstbewusstsein führt also zur Selbstsicherheit. Jetzt weiß ich also, dass ich zurückhaltend und scheu bin. Ich forschte nach, wie Menschen früher so waren. In ihren Anfängen, als Uggu noch seine Keule auf den Kopf von Bambo haute, weil es einfach Spaß machte.
Durch ein autodidaktes Anthropologiestudium verstand ich, dass der Mensch so gebaut ist, dass er besser fliehen kann, als kämpfen. Der menschliche Körper ist zwar schwach und kann nicht gut jagen. (Das funktioniert nur bedingt in einer Gruppe und ist sekundäres Verhalten) Also haben wir kräftige Beine bekommen, einen ausgeprägten Gleichgewichtssinn und Augen, die gut in Bewegung funktionieren. Wir sind grundsätzlich Fluchttiere, wenn wir nicht in Gruppen auftreten und Waffen haben, um zu jagen. Uggu und Bambo sind also mehr die Ausnahme. Es gab zwar Clans, aber die Struktur hat ganz anders funktioniert. Uggu war ein guter Fischer. Mumbo hingegen konnte eine Saline betreiben. Pukka ist eher der Sammler. Und alle zusammen haben etwas zum Clan beigetragen. Sie haben nicht gehandelt oder betrieben Tauschgeschäfte, sondern fungierten nur im Moment des Teilens als Einheit. Darüber hinaus waren sie immer allein für sich. Jeder tat das, was er am besten konnte. Aber jeder lebte auch zurückgezogen, wenn es um seine eigenen Fähigkeiten ging. Man hatte auch gar keine Zeit dafür, um ständig Kontakt zu pflegen. Die Welt damals war viel rauer.

Die Schüchternheit ist unser Urinstinkt zur Flucht. Angst ist EINER der Trigger, es gibt aber auch andere. Wenn uns eine Situation zum Beispiel keinen Nutzen bringt, dann drehen wir uns um und gehen unseres Weges. Und darum gibt es schüchterne Menschen. Sie wissen ganz instinktiv, was ihnen gut tut und was ihnen egal sein sollte. Schüchternheit ist also keine negative Eigenschaft, wie es viele meinen. Sie ist sogar einer der Schlüssel zum Selbstbewusstsein. Und die Ausprägung dieser Fähigkeit stärkt sie natürlich und mit ihr den Charakter.

Also begab ich mich ganz bewusst zur Eremitage.

Und das hatte noch weitere Effekte: Ich habe nun nur noch ganz wenige, dafür echt enge Freunde. Und bei fremden Menschen fiel mir auf, dass ich viel deutlicher, kräftiger und mit der passenden Wortwahl sprechen kann. Ich weiß nun, was ich zum Leben brauche. Höre auf meinen Körper. Er ist kräftiger, fitter geworden - nicht allein weil mein Bauch mir sagte, nur wenige Kohlenhydrate zu mir zu nehmen. Denn sie lösten in mir überall Entzündungen aus. Das Wort "Bauchgefühl" kommt nicht von ungefähr.
Wenn ich nun das Bedürfnis habe, etwas tun zu wollen, Malen und Zeichnen, etwas lesen, meditieren oder nachdenken, die Wohnung sauber machen oder ins Cafe zu gehen, dann tu ich es einfach. Bekomm den Arsch hoch und fang an. Denn mein Bewusstsein sagt mir: Mach mal das und das. Das brauchste jetzt. Würde dir nicht nur gut tun, sondern du lernst auch noch daraus.

Und eines dieser Sachen war: Nimm deine Fehler an. Denn sie sind keine Fehler. Sie sind du. Auch wenn du früher Scheiße gebaut hast und du am liebsten alles rückgängig machen würdest. Sie haben deinen Charakter geformt. Das sind die Steine, die deinen Weg schmücken. Und nicht jeder ist hässlich und eckig. Lehn sie nicht ab. Nimm sie in deine Arme. Und die schönsten von ihnen steckst du in deine Hosentasche. So wie früher als Kind, als dir deswegen ständig die Hose runtergerutscht ist. Der Stolperstein ist nicht dein Gegner. Der Stein bist du.


Auch wenn das jetzt nicht zur Länge zu meinem Post passt: Wer weniger redet, hört mehr zu. ;)

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