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Ulysses: Eine Leidensgeschichte Buchvorstellung, Literatur

Autor:  halfJack

Was habe ich da eigentlich gelesen? Es kam mir vor, als würde ich zunehmend hysterisch werden, und damit meine ich nicht das amüsierte Unverständnis, das ich empfand, als ich besoffen in Prag anfing Fifty Shades of Grey zu lesen. Das war eher lustig als quälend. Doch kaum ein Buch musste ich so durchleiden wie dieses:

James Joyce
Ulysses

Man wird mein Review nicht verstehen, wenn man dieses Stück wegweisende Weltliteratur nicht kennt. Um dennoch einen Einblick zu gewinnen, schicke ich mein Lesetagebuch voraus, das ich ungefähr ab der Hälfte zu führen begann, nachdem mir Dornentanz geraten hatte, im Takt von 10 Seiten weiterzulesen. Im Grunde dokumentiere ich hiermit meinen geistigen Verfall während der Lektüre. Ich warne vor galoppierender Beklopptheit.
 

Ulysses und ich: Irrfahrt im 10-Seiten-Schritt

Lesetagebuch

[Davor knapp 400 Seiten undokumentiertes Leid.]

Von den (ersten dokumentierten) zehn Seiten Ulysses blieben mir besonders zwei in Erinnerung: auf der einen wurden die Namen von Heiligen aufgezählt, eine ganze verf***te Seite lang; auf der nächsten standen dann ihre Heiligenzeichen (Kreuze, Bäume, Ranken, Stäbe, Baby in Badewanne (sic), Juwelen etc.). Als Autor würde ich in so eine Aufzählung Sätze reinschmuggeln, zum Beispiel: "... K. Johnson und F. Gibbel und S. Nervtdichbestimmtschon und W. Clarrington und F. U. Warumliestdudenscheiß und H. H. Verschwendetezeit und M. Sterling und ..."

Auf den neuesten zehn Seiten ging es um eine Frau (Wer ist das eigentlich?), die sich irgendwo befindet und die so Sachen anhat und ihre Augenbrauen waren früher nicht so hübsch wie jetzt und sie hat komischen Ausfluss. Mehr fällt mir jetzt nicht ein. Dublin, quo vadis?

Zehn Seiten über, äh, den Traumgatten und spielende Kinder am Strand, über eine Pissepfütze, einen Ball, Engel und heilige Jungfrauen. Oder so.

Zehn Seiten, von denen drei sich irgendwie um eine Uhr drehten (Uhr am Handgelenk, Wie spät ist es?, Uhr als Geschenk, Uhr auf Kaminsims). Zwei Pater bei Zeremonie. Abwechselnd Kirche, Strand, Kirche, Strand. Dann ein Feuerwerk und Mädchenschwärmerei. Als Lektor hätte ich die zehn Seiten gestrichen. Genauso wie die 400 Seiten davor. Bergfest, wuhu.

Zehn Seiten wirrer Schwachsinn. Palaver über Gerüche. (Da ist mir Das Parfüm doch lieber.) Abartiges stereotypes Gedankengut über Frauen. Und Blooms Vorhaut ist nass und tut weh.

Zehn Seiten Farbenblabla, Frauen, Hafen, Hafenhintern, P.L.E.M.: plem. Plemplemplem. Die Uhr gurrte. Kockuck Kockuck Kockuck. Argh.

Zehn Seiten Ulysses, verfasst im Stile der Bibel, zu Ehren Gottes und der Geburt des männlichen Erben und der gebärenden Jungfrau und der entjungferten Ehegattin.

Zehn Seiten mit ellenlangen Sätzen, Bibelstil und Huren und Geburten (zum Glück gibt es Präservativ und Kindstod), dann ein Mann oder Bulle (war nicht eindeutig zu erschließen) und ganz viel, weil irisch, grünes Gras (von dem hier jemand zu viel geraucht hat).

Zehn Seiten Ulysses, auf denen ein paar Besoffene über Schwangerschaft und Geburt reden. Glaube ich.

Zehn Seiten, oh, ah, siehe, Licht! Virgo! Götter! Dann ein Pferderennen (Spectre verliert). Zum Schluss Theorien über Empfängnis und Kindstod, was alles nur Ironie sein kann. Aber ein Thema, das ihn offenbar umtreibt.

Allfressendes Wesen, das kauen, schlucken und verdauen kann, auf den nächsten zehn Seiten Ulysses. Sie stürzen alle raus, auch der arme Zarathustra diesmal. Und ganz viel Milch. Soffne Umjangsprach daf nich fehln. Digidi Bum Bum.

Handelt die zweite Hälfte von Ulysses nur noch von Besoffenen, die durch die Nacht torkeln?
(Zehn Seiten Papier kommen übers Pflaster gekrochen.)
DAS PAPIER. Bam Bam, ritschratsch.
FRAGENDER. Was, was wollt ihr mir sagen, sprecht!
DAS PAPIER. Ritschratsch.
Die zehn Seiten es zerreißet,
Der Nachtwind trägt die Fetzen fort.
Auch ein Stück Seife
Meldet sich zu Wort.

Die nächsten zehn Seiten teetopfen vor sich hin. London teetopft. Mensch teetopft von oben bis unten. Nach 500 Seiten war sich Joyce sicher, dass solche Sätze nicht mehr auffallen. Bloom und irgendeine Frau sind offenbar im Hurenviertel. Zwei Armlose kämpfen miteinander. Und mich interessiert nicht besonders, was die Leute so anhaben.

Bloom wird von Polizisten aufgegriffen, weil er was weggeworfen hat oder einen Hund gefüttert oder mit zu vielen Frauen rumgemacht hat o. ä. Dabei wechselt er ein paar Mal die Identität. Irgendwo auf den zehn Seiten ist er plötzlich nicht mehr bei den Huren, sondern steht vor Gericht. Venus im Pelz ist auch dabei. Also alles eine Mischung aus Sacher-Masoch, Lewis Carroll und Shakespeare.

Bloom wird ausgepeitscht und soll für seine Verbrechen gehenkt werden. Der Geist von Dignam taucht auf und entlastet ihn. Dann ist er wieder bei den Huren, eine holt ihm eine Kartoffel aus der Tasche, Bloom referiert über Kartoffeln. Dann kandidiert er und spricht zu seinen Wählern, das ganze Volk glorifiziert ihn. Dazwischen habe ich irgendwo den Faden verloren.

Bloom wird gekrönt. Man baut ihm Bloomusalem. Schaulustige sterben. Ein Mann erscheint aus einer Falltür und beschuldigt ihn, Bloom lässt ihn erschießen. Viele andere sterben aus verschiedenen Gründen. Es werden die zwölf schlechtesten Bücher der Welt aufgezählt (und Ulysses steht nicht dabei). Bloom gebiert acht männliche, gut gekleidete Kinder, die fließend fünf Sprachen sprechen. P. L. E. M.: plem.
Wahrscheinlich habe ich einfach nur den Punkt verpasst, wo Bloom ins Saufkoma gefallen ist.

Nebenbei zehn Seiten Ulysses. Mittlerweile gehen die Huren richtig (und wortwörtlich) auf den Sack. Was sollen eigentlich die ständigen Seitenhiebe auf Juden? Witz oder Bösartigkeit? Tod ist die höchste Form des Lebens. Sogar die Mütze spricht. Das Ende der Welt naht.

BLOOM. Ich wünschte dann, es wäre jetzt zu Ende.
(Ich auch.)
BLOOM. Ich schreie gleich los.
(Ich auch.)
Jemand verwandelt sich in eine Motte und miaut.
(Ich haue Ulysses gegen die Klotür, jetzt ist da ne Delle drin, und tatsächlich sagt die übernächste Seite:)
Todeskampf auf dem Klosett.

Weitere zehn Seiten. Bloom unterhält sich mit einem Fächer. Sie werden vom Schuhband beobachtet. Sadomaso. Bloom wird jetzt ab und an zur Frau.

Zehn Seiten what the Ulysses. Bloom wird feilgeboten wie eine Kuh. Er gibt Milch und jemand schiebt ihm den Arm bis zum Ellbogen in die Vulva. Die Eiben unterhalten sich mit einer Nymphe. Und die Tölpelmumie spricht: Bbbbbbbbbbbbbschrpt. Mägmägmäg.

Ich fange gerade erst mit den heutigen zehn Seiten Ulysses an und schon spricht ein Hosenknopf. Schwapp! Noch immer Huren. Bloom will seine Kartoffel wiederhaben, ist nämlich ein Andenken an die Mama. Handlesen. Bloom hat ständig neue Klamotten an. Und mittlerweile ein Geweih. Gublasruck brukrachkrasch (sic).

Zehn Seiten, sie reden über einen Vampir, der eine Nonne vergewaltigt, lustigerweise heißt eine der Huren Bella, dann tanzendes Gemüse, froschhüpft beinwirft Bummhammer Halali wildeschnaufenblicktorkelntaumelnschiessen. Tränen aus geschmolzener Butter fallen aus seinen Augen auf den Kuchen.

ZEHN SEITEN ULYSSES. Was meinst du, wenn ich dir mal einen in die Kiemen wichste?
BUCHDECKEL.
Zwischen meinem Deckel drin
Steckt a lot of schwacher Sinn.

SCHMUTZTITEL. Also ich stecke mit dem Kopf in Eingeweiden.
(Soldaten tauchen auf.)
FOTZEN-KATE. Kann es sein, dass es seit über 100 Seiten um Huren geht?
(Dublin brennt, Kanonen, Vögel.)

Paar Seiten nur bis Teil III. Irgendwas mit Polizisten. Das Pferd wiehert Hauhauhause.

Hab grad nen guten Lauf, darum nochmal zehn Seiten. Bloom und Typ gehen in eine Kneipe. Ähm, den Rest hab ich nicht so aufmerksam gelesen.

Die nächsten zehn Seiten Ulysses befinden sich, nicht nur nicht zu meiner, sondern wahrscheinlich zu keines Menschen Verwunderung, in jenem Part, den ich angesichts der bisher vergangenen Stile bereits, und dies durchaus mit einer vorahnungsvollen Genervtheit, erwartet habe, nämlich einer Aneinanderreihung von nicht enden wollenden Sätzen, in denen nichts wesentlich Interessantes passiert, außer man findet es interessant, wenn ein Matrose erzählt, dass jemand mal zwei Eier zerschossen hat und das über die Schulter.

Nochmal zehn Seiten, der Matrose redet weiter, oder ist das jemand anderes, sollte vielleicht das Lied überspringen, worum geht es eigentlich gerade, irgendwas mit Physik und schon wieder Shakespeare, der arme Hamlet, wie viele Seiten muss ich noch, echt erst fünf hinter mir, es geht um Kaffee und ein Messer und römische Geschichte und Schifffahrt, hab ich jetzt eine Zeile übersprungen, ach egal, was könnte ich denn danach lesen, ist das langweilig, langweilig, langweilig.

Nochmal zehn Seiten Ulysses. Achilles wird erwähnt. Erstmals ein Hinweis auf Homer? Oder kam schon mal Helena vor? Bloom liest die Todesanzeige von Dignam in der Zeitung. Sein eigener Name ist falsch geschrieben (Boom, mit Absicht des Autors). Darunter die Nachricht vom Pferderennen. (Hieß das Pferd nicht Spectre? Hier steht jetzt Sceptre, ist wahrscheinlich auch Absicht).

Noch zehn Seiten. Es geht um eine Ehefrau, die fremdgeht oder so. Reicht es nicht, wenn ich meinen Kopf drauflege? Vielleicht erinnere ich mich später dann auch nicht an mehr. Ich verstehe, warum manche das Buch als Pageturner bezeichnen. Man möchte so schnell umblättern, dass man nicht mal dazu käme, die Seiten zu lesen.

Bei Ulysses könnte es jetzt auch mal zur Sache gehen, denn auf den nächsten zehn Seiten verlassen Bloom und Stephan gemeinsam die Kneipe, Arm in Arm, und ich denke mir, da geht doch was, aber stattdessen quatschen sie über Musik und Bloom denkt über Tiere nach, wäre ja auch zu schön gewesen, wie verzweifelt bin ich eigentlich, der Kutscher reagiert nicht und das Pferd lässt drei dampfende Äpfel fallen, vielen Dank für diese Information.

Was passierte auf den nächsten Seiten Ulysses?
Bloom und Stephan gingen zu Bloom nach Hause. Viele Aufzählungen von Dublins Straßen.
Kann man sich Dublin jetzt gut vorstellen?
Keine Ahnung, hab das nur überflogen.
Worauf wurde am meisten Aufmerksamkeit gelenkt?
Woher das Wasser aus dem Wasserhahn kam. Eine Seite für die Beschreibung der Rohre und Wasserwerke mit genauen Längenangaben. Zwei weitere Seiten darüber, was Bloom an Wasser toll findet.
Wie ist der Stil mittlerweile?
Das Buch stellt mir Fragen, deren Anworten mich nicht die Bohne interessieren.

Was weiß man nach den nächsten zehn Seiten Ulysses?
Was Bloom alles in seinem Küchenschrank hat.
Was ist eine Schnurrbarttasse?
Wen interessiert's?

Adressen, Namen, Adressen. Irgendwo street Zahl, Sonstwie lane Wievielauchimmer, Grafschaft Interessiertmichnicht. Werbung. Teischflopf. Blaumenpfaum. Toschfleipf. Plaumenbfaum. Stephan zitiert: suil arun. (Heißt das nicht Siúil a Rún?) Notenzeilen über Notenzeilen. (Na wenigstens lesen sich die Seiten dann schnell.)
Sie nahm ein Messer aus der Tasch
Und schnitt ihm ab den Kopf,
Und Ballspiele gibt's für ihn nicht mehr,
Den armen, kleinen Tropf.

Dem Mädchen (vgl. Katze, die eine Vorlesung hält), Philosophie, Kerze, Eschenstock, Universum und immer allen Eitelkeiten, den Eitelkeiten aller Eitelkeiten und allem was Eitelkeit ist, frönen.

Auf den nächsten zehn Seiten gehen Bloom und Stephan raus und pissen. Ihr jeweiliger Pissestrahl wird parallel vergleichend beschrieben. 10 Zeilen für den Pissestrahl und nochmal 13 für ihre jeweiligen Pimmelprobleme. (Kurzer Lachanfall meinerseits.) Sie trennen sich. Bloom stößt sich beim Reingehen den Kopf. Seine Einrichtung wird aufgezählt, natürlich mit Auflistung seiner Bücher nebst enthaltenen Lesezeichen auf korrekter Seitenzahl. (Wenn ich mal nicht weiß, was ich schreiben soll, zähle ich auch einfach alle meine Bücher auf, beschreibe den Einband, eventuelle Macken, Auflage, Bibliotheksausleihdatum etc.).

Was beschäftigte Bloom auf den nächsten zehn Seiten?
Das fehlende Verständnis für Literatur bei Frauen. (Ach, JETZT verstehe ich, warum ich das Buch so scheiße finde!!!)
Es folgt eine Art Einkaufszettel oder Bilanz.
Bloom hat ein Loch in der Socke. Er reißt ein Stück vom Zehnagel ab und riecht zufrieden dran. (Was. Zur. Hölle.)
Dann Immobilien, Finanzen, Zinsen, Zeug.

Was enthielt die erste Schublade, die Bloom aufzog?
Zwei Seiten über den Inhalt der Schublade. Währenddessen denke ich: "Erste" Schublade? Da wird doch nicht...?
Kurz darauf:
Was enthielt die zweite Schublade?
...

Zehn Seiten: Bloom geht ins Bett.

Zehn Seiten mit Sindbad dem Seefahrer und Tindbad dem Teefahrer und Jindbad dem Jefahrer und Windbad dem Wehfahrer und Nindbad dem Nefahrer und Findbad dem Feefahrer und Rindbad dem Refahrer und Drindbad dem Drehfahrer und Schnindbad dem Schneefahrer udn Bindfad de Befagev umd Hindbarx m Hefarbl un Zndba d Zeeefaaahahaa...

Nein nun denkt offenbar schon wieder eine Frau oder das was man für eine Frau halten soll diese ganze diffuse Scheiße ergibt überhaupt keinen Sinn lieber Gott mir wird ganz heiß das Kind ist schwarz und ist nicht weiß selbst wenn das kein Rassismus sondern Zynismus sein soll geht es mir gehörig auf die Nerven ständig denken alle in diesem Buch nur an Beischlaf und Kinderkriegen und die sogenannten Frauenzimmer haben so herrlich sensibel dämliche Gedanken hier steht eindeutig zu viel auf einer einzelnen Seite

denkt im September werde ich 33 was das erste Mal ist dass ich ihren Gedanken denen der Frau wahrscheinlich von Bloom zustimmen kann was für ein Zufall insofern ich überhaupt noch richtig weiß wie alt ich bin aber ein zweites Mal als sie denkt wie unästhetisch beim Mann die beiden vollen Säcke und dass das andere Ding runterhängt oder einem ins Gesicht steht wie ein Hutständer kann die eigentlich auch mal an was anderes denken

als Ulysses Grant wer war das jedenfalls wars ein berühmter Mann vom Schiff an Land kam scheint es als würde endlich der Titel des Buches aufgegriffen werden aber mehr Sinn als das Ende einer Irrfahrt kann ich darin auch nicht entdecken und dafür braucht man doch nicht

wie Blooms Frau sich über die Jüngeren aufregt früher sah sie ja auch ganz toll aus versucht im Bett leise zu furzen war beim Arzt wegen Ausfluss auf dem Nachttopf ist es so laut Bloom hält ihr beim Schlafen die Füße ins Gesicht wenn ich mir jetzt ein Auge aussteche ob ich dann nur noch über die Hälfte berichten muss und schon am Ende wäre aber so fehlen noch 11 Seiten

Die letzten Seiten Ulysses auf denen ISMIRSCHEIßEGAL.

Es schrieb einst James Joyce mit Witz und Genuss
Hunderte Seiten gefüllt bloß mit Stuss;
Ein leidender Leser, der es nicht mehr ertrug,
Ihn erschlug.


Mein Fazit

Beim Lesen bin ich einiges gewohnt. In meiner Teenagerzeit habe ich Homers Ilias und Odyssee gelesen, ich ackerte mich durch Herr der Ringe, las Kant (wenn auch nicht gern) oder sämtliche abartig pornografischen Werke von de Sade. Ich bin da recht ausdauernd und finde Gefallen an Werken, die andere staubtrocken finden. (Okay, Herr der Ringe ist beliebt, das mochte ich dennoch nicht und habe es in einem Monat durchlitten, äh, durchgelesen.) Bei Literatur mag ich es durchaus experimentell, konfus, metaphorisch. Aber Ulysses ...

Was wird an Ulysses gelobt und dem ignoranten Leser vorgehalten, der hierin keine große Kunst erkennt?

Es sei auf Basis der Irrfahrt des Odysseus konzipiert und beschreibe eine ähnliche Reise des Leopold Bloom entlang der gleichen Stationen, angewendet auf das moderne Dublin am 16. Juni 1904, also die Beschreibung eines einzigen Tages auf über 800 Seiten.
Es gibt ein nettes, wenn auch nicht überragendes Buch von José Carlos Somoza, der sich die Aufgaben des Herakles zum Fundament für sein Rätsel des Philosophen gewählt hat. Konzipiert ist dieses Buch wie eine überraschend entdeckte Quelle, die von jemandem übersetzt und kommentiert wird, also ähnlich wie Ecos Der Name der Rose, bloß dass bei Somoza beides - die fiktive Quelle und der Kommentar - fortwährend miteinander verwoben sind. Somoza hat sich hierfür das Stilmittel der Eidesis ausgedacht, bei der in den Text spezielle Metaphern zur Beschreibung der Handlung einfließen, die auf einen verschlüsselten doppelten Boden hinweisen, also zum Beispiel vielköpfige Schlangen als Verweis auf die Hydra, selbst wenn es eigentlich um eine Krimiszene in einem Keller geht o. ä. Man muss das nicht mögen. Der springende Punkt ist vielmehr, dass Somoza eine klare Idee verfolgte und in seine Umsetzung alles aufnahm, was dieser Idee dienlich war. Nicht weniger, aber vor allem nicht mehr.
Joyce hingegen dachte sich offenbar: Mehr ist mehr. Irgendwie scheint er alle Schmierblätter und Notizen, die im Laufe seines Schreibens anfielen, in sein Werk integriert zu haben. Wenn etwas unverständlich, unnötig, langgezogen, langweilig etc. wirkt, kann man ja im Nachhinein noch immer behaupten, es habe alles seinen Sinn und gehöre zum Konzept.

Joyce wollte mit Ulysses den Menschen in seiner Gesamtheit zeigen. Auch andere Autoren versuchten das und stellten fest, dass sie scheitern mussten, selbst wenn sie Tausende Seiten verfasst hätten. Bei Sartre führte diese Erkenntnis nicht zu einer wirren ausschweifenden Aneinanderreihung, sondern zu solchen dünnen Büchlein wie Baudelaire.
Erwähnt wird in den Lobhudeleien auf Joyce außerdem, dass er die vielen vermeintlich peinlichen Aspekte des Lebens aufgreift, nicht nur Sex, sondern auch Verdauungsprobleme oder komischen Ausfluss, nächtliche Fürze oder den nächsten Klogang. Natürlich kann man ihm anrechnen, dass er diese Dinge nicht übergeht. Aber wiederum die Frage: Wie ungewöhnlich ist das eigentlich? Angesichts der zahlreichen erotischen Literatur, die unter der Hand kursierte? Angesichts solcher Werke wie von de Sade, der bereits Ende des 18. Jahrhunderts perverse Auswüchse und Fäkalien noch und nöcher glorifizierte? Es ist okay, das Joyce das aufgreift, aber seine Protagonisten beschäftigen sich fast ausschließlich mit so etwas; Sex, Kinder, Kacken, neben Ausnahmen von unzusammenhängenden Gedanken (wohlgemerkt ausschließlich der Männer) über Philosophie, Politik, Wissenschaft ohne wirkliche Stellungnahme oder Fazit. Die Frauen denken über ihr Aussehen nach.

Was man bei Joyce loben kann, sind seine unkonventionellen Spielereien mit der Sprache. Unabhängig von Rechtschreibung und Grammatik versucht er, die Natur von Gedanken und Gesprächen einzufangen. Für mich persönlich funktioniert das jedoch oft nicht, weil ich weder die Unterhaltungen noch die Gedanken realistisch oder natürlich finde. Da fällt mir eher American Psycho von Bret Easton Ellis ein, bei dem sich die Zusammenhänge und Gedankensprünge viel organischer und echter anfühlten. Ob es daran liegt, dass dieses Buch ein knappes Jahrhundert später zu datieren ist, wage ich zu bezweifeln. Auch die ermüdende Detailliertheit, die Ellis zum Beispiel darauf verwendet, die scheinbar völlig gleichen Visitenkarten jedes einzelnen Protagonisten zu beschreiben, geschieht nicht aus bloßer Willkür, sondern sagt eine Menge über die Personen aus und ist ganz offensichtlich zynisch gemeint.

Zynismus ist der nächste Punkt, der im Ulysses auftauchen soll. Man erkennt ihn an den vielen rassistischen Seitenhieben, besonders auf Juden. Aber auch hier bleibt es bloß der Interpretation des Lesers überlassen. Nur weil etwas ständig erwähnt wird, ist es noch lange keine Kritik. Man entdeckt keinerlei Hintergründigkeit oder Humor wie etwa bei den zahlreichen Rückgriffen auf Verschwörungstheorien und Fremdenhass bei Eco. Und auch sämtliche "weiblichen" Gedanken, die Joyce kitschig übertreibt, wirken allenfalls oberflächlich und diskriminierend. Das hat nichts mit der Zeit zu tun. Edwin A. Abbott schrieb Ende des 19. Jahrhunderts die Satire Flatland, die einerseits mathematische Dimensionen anschaulich erklärte und andererseits eine Parodie auf die Struktur der Viktorianischen Gesellschaft war. In Flatland sind alle Akteure verschiedene geometrische Flächen, zum Beispiel Dreiecke, Vierecke usw. Weibliche Akteure hingegen sind bloß Striche, ohne eine weitere Dimension. Die Darstellung ist ganz offensichtlich eine Kritik am Frauenbild dieser Zeit, die als geistig minderbemittelt hingestellt wurden. Darüber gibt es aufgrund der satirischen Außensicht keinen Zweifel, wohingegen man sich bei Joyce fragt, ob er sich überhaupt schon mal mit einer Frau unterhalten hat oder nur versucht, ein angeblich weibliches Bewusstsein durch möglichst blumige Sprache und kitschige Gedanken rüberzubringen. Satire erkenne ich darin nicht.

Zahlreiche Professoren und Literaturkritiker werden das wahrscheinlich anders sehen, aber Ulysses ist meines Erachtens bloß eine Aneinanderreihung von Banalitäten mit einer passablen Grundidee, deren Umsetzung erstens an der Länge des Buches und zweitens an den fehlenden wirklich guten Ideen des Autors scheitert. Bis zur Hälfte hätte ich dem Buch noch zwei von fünf Sternen gegeben, weil es manchmal ganz nett formuliert war, weil ich einige intertextuelle Inhalte mochte oder Diskussionen und Gedanken, die sich zum Beispiel um Shakespeare drehten. Doch anders als etwa bei Oscar Wildes Bildnis des Mr. W. H. sind diese Überlegungen bei Joyce nicht zielgerichtet und virtuos konzipiert - was man bei Oscar Wilde wegen seiner sprachlichen Gewandtheit durchaus behaupten kann - sondern diese Themen werden allenfalls mal angeschnitten, als hätte Joyce das Erstbeste aufgeschrieben, das ihm durch den Kopf ging.
Manchmal wirkt es, als hätte er bloß irgendwelche Fremdwörter aus Lexika und wissenschaftlichen Werken eingebunden und das wiederum wird von der Nachwelt als lyrisch und genial bezeichnet. Im Grunde habe ich nichts gegen solche Entlehnungen. Paul Celan verwendet in seinen Gedichten zahlreiche botanische Begriffe, Felsformationen, Mineralien usw. Anhand seiner Notizen kann man jedes Wort zurückverfolgen und entschlüsseln, deshalb wirkt es bei Celan tatsächlich lyrisch virtuos. Bei Joyce dagegen nur lax und willkürlich.
Zeugt es wirklich von Genie, wenn ich einfach bloß aufschreibe, was mir gerade in den Sinn kommt, wenn ich alle Fremdwörter und Gedanken zu Themen erfasse, mit denen ich mich gerade wirr beschäftige, auf diverse Bücher querverweise oder intertextualisiere, weil mir gerade irgendwas in den Sinn kommt, und da ich gerade schon vor meinem Regal stehe, könnte ich ja alle meine Bücher aufzählen und meinen letzten Einkaufszettel einbinden und den kompletten Inhalt meines Küchenschranks und den Inhalt meiner Schublade und den Inhalt meiner zweiten Schublade usw.?
Die Grundideen von Ulysses sind nicht das Problem. Dafür hätte allerdings auch die Hälfte an Buch gereicht, wozu muss man damit über 800 Seiten füllen? Da ich mich irgendwann nur noch durchgequält habe, mit null Lesespaß und kaum Erkenntnis (außer, dass ich jetzt weiß, was eine Barttasse ist), fiel nun auch der zweite Stern weg. Ein Stern für das Grundkonzept ist schon ausreichend.

Das wahre Genie von James Joyce besteht meines Erachtens darin, dass er genau wusste, wie wahrscheinlich er zum Klassiker werden würde, wenn er nur ein genügend verschwurbeltes Werk erschuf, das vorher noch niemand verfasst hatte. Sprachliche Fähigkeiten hatte er durchaus. Er hätte auch ein gutes Buch schreiben können. Hat er aber nicht.



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