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Astrid Lindgren: Zwei Brüder und ein Tagebuch Buchvorstellung, Zitatsammlung

Autor:  halfJack

Astrid Lindgren
Die Brüder Löwenherz

Nangilima, so nannte sich früher eine Freundin von mir. Ich kannte damals dieses Buch noch nicht und ich bereue es ein wenig, dass ich es nicht in meiner Kindheit las. Damals mochte ich Pippi Langstrumpf ungemein und noch lieber Mio, mein Mio. Letzteres ist wahrscheinlich heute noch mein Lieblingskinderbuch; ich mochte die Ideen, es hinterließ ein so trostloses, geheimnisvolles Gefühl. Ich malte mir aus, Mio sei gleich zu Beginn des Buches draußen in der Nacht gestorben und alles danach nur Traumgespinst. Das war bloß meine Vorstellung, doch Die Brüder Löwenherz beschäftigt sich genau mit dieser Idee.

Nangijala, das Land hinter dem Tod, so möchte ich es nennen. Und Nangilima, das Land hinter dem Nichts?
Die Brüder Löwenherz ist ein schönes, ein trauriges Buch, aber vor allem: kein eindeutiges. Es hat mich am Anfang mit Achtung erfüllt, weil hier, in einem Kinderbuch, das Thema Tod so offen angesprochen wurde; wo wir den Tod an so vielen Stellen aus unserer Gesellschaft verbannt haben und uns nicht mehr damit konfrontieren. Andererseits hat es mich zweifeln lassen, weil der Trost hierfür aus Märchen, gefühlten Lügen, zu bestehen schien. Diese Lügen stellten sich dann als Wahrheit heraus. Soll man es verurteilen, einem Kind vom Jenseits zu erzählen, damit es keine Angst hat? Am Ende war ich sogar leicht bedrückt, weil ich mich fragte, ob dieses Buch denn zum Selbstmord einlädt ...

Aber was geschieht eigentlich in Die Brüder Löwenherz? Es handelt von Mut und Angst, von Stärke und Schwäche und von der Gutmütigkeit und Liebe zweier unterschiedlicher Brüder. Und es handelt vom Tod.
Mittlerweile glaube ich, dass es nicht um Selbstmord geht. Jonathan wollte seinen Bruder am Anfang schützen, nicht mit ihm gemeinsam sterben. Und Krümel tat nichts, um ihm zu folgen. Er war nur zuversichtlich, seinen Bruder wiederzusehen und sich nicht fürchten zu müssen. Der Schritt, den die Brüder zum Schluss gemeinsam taten, geschah nicht in der Realität, nicht zur Beendigung ihres Lebens, sondern in einem Land hinter dem Tod. Was endet, ist der Schmerz. Was weitergeht, ist das Leben.

Was glaubst du, was wird nach deinem Tod kommen? Nichts, werden viele sagen. Aber doch, da gibt es etwas. Menschen erinnern sich. Menschen haben sich durch uns verändert. Welleneffekt. Die beiden Brüder waren tapfer, so lange sie konnten, im Kampf und in ihrer Hilfestellung, sie hinterließen etwas. Darum ist es am Ende auch in Ordnung, zu gehen. Das zumindest ist die Botschaft, die ich darin sehe.

Astrid Lindgren schrieb diese Geschichte 30 Jahre nach dem Zweiten Weltkrieg. Vor kurzem las ich ihre, man könnte schon sagen, Kriegstagebücher.
 

Die Menschheit hat den Verstand verloren
Tagebücher 1939 - 1945

In diesen Aufzeichnungen tritt immer wieder ihr Unverständnis hervor, warum so etwas geschieht und wie erschreckend die Vorstellung ist, dass Kinder mit solchen Erfahrungen aufwachsen. Man kann niemals alt genug dafür sein, aber leider auch nie zu jung.

"[...] ich erinnere mich, dass ich dachte, wenn es noch einmal einen Krieg geben und Schweden daran teilnehmen würde, ich auf Knien zur Regierung rutschen und sie beschwören würde, die Hölle nicht losbrechen zu lassen. Lars würde ich selber erschießen, dachte ich, lieber das, als ihn in den Krieg ziehen zu lassen. Wie müssen sie leiden, die Mütter auf diesem wahnsinnigen Erdball. [...] Die, die ihr Leben bereits im Krieg verloren haben, sind womöglich die Glücklicheren."

Assoziationen sind merkwürdig. Mir fielen hierbei die Htoo-Zwillinge ein bzw. das berühmte Foto, das Weerawong von ihnen schoss. Kindersoldaten, die aussehen, als wären sie 50 Jahre älter.


Welt: Was aus Birmas berühmten Kindersoldaten wurde

"Möge, möge, möge es jetzt bald ein Ende haben, jedenfalls mit dem Blutvergießen, dann kommt ja noch all das andere Elend, das auf einen Krieg folgt. Großmutter ist in diesen Tagen so gesund und munter und optimistisch. Sie glaubt, das wieder Fried' und Freud' herrscht, wenn der Krieg nur erst vorbei ist. Sie glaubt vermutlich, die Menschheit wird glücklich, sobald es nur wieder Kaffee gibt und die Rationierungen aufgehoben sind, hier wie im Ausland, aber die unaussprechlich entsetzlichen Wunden, die der Krieg geschlagen hat, werden nicht mit ein bisschen Kaffee geheilt.
Der Frieden kann den Müttern nicht ihre Söhne zurückgeben, Kindern nicht ihre Eltern, den kleinen Hamburger und Warschauer Kindern nicht das Leben. Der Hass ist nicht zu Ende an jenem Tag, an dem der Frieden kommt, jene, deren Angehörige in deutschen Konzentrationslagern zu Tode gequält wurden, vergessen nichts, nur weil Frieden ist, und die Erinnerung an Tausende von verhungerten Kindern in Griechenland wohnt immer noch in den Herzen ihrer Mütter, falls die Mütter selbst überlebt haben. Alle Invaliden werden weiter herumhumpeln, auf einem Bein oder mit einem Arm, alle, die ihr Augenlicht verloren haben, sind noch genauso blind, und jene, deren Nervensystem durch die unmenschlichen Panzerschlachten zerstört wurde, werden auch nicht wieder gesund, nur weil Frieden ist."

Das schrieb Astrid Lindgren 1943.
Ein Jahr später begann sie die Geschichte von Pippi Langstrumpf. Vielleicht als kleines Glück in der Fantasie für ihre verängstigte Tochter. Und als Zuflucht für sich selbst und vor ihren persönlichen Problemen.

"Blut fließt, Menschen werden zu Krüppeln, überall Elend und Verzweiflung. Und ich kümmere mich nicht darum."

Irgendwann ist es für sie, als sei schon immer Krieg gewesen. Etwas, das allgegenwärtig ist, lässt abstumpfen. Umgekehrt scheinen Dinge zu verschwinden, über die wir nicht mehr sprechen und die fern zu sein scheinen, so eben auch Krieg und Tod. Doch diese Dinge sind nicht fern, darum glaube ich, dass Astrid Lindgren auch in ihren Kinderbüchern keine Berührungsängste hatte, um darüber zu schreiben.



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